Im Nachhinein betrachtet, hatte sich Kabuto nicht gerade einen idealen Platz zum Stehen ausgesucht. Nein, oh nein, sich unter das Fenster zu stellen war ganz und gar nicht ideal gewesen...

Es ging alles ganz schnell. Gerade schalt sich Kabuto noch dafür, dass er diesen Jungen zum Stürzen hatte bewegen wollen, da stürzte doch tatsächlich etwas auf ihn hinab. War das Karma, das ihn dafür bestrafte, an so etwas gedacht zu haben? Oder einfach nur ein Fehler, resultierend aus seiner eigenen Dummheit? Vielleicht hatte er ja auch einfach nur Pech gehabt und es hätte ihn auch getroffen, wenn er ein paar Meter weiter weg gestanden hätte – er wusste es nicht. Was er wusste, war, dass er sich plötzlich nicht mehr im Stand, sondern auf dem Boden befand und irgendetwas – irgendjemand? – eine Menge Druck auf ihn, besonders auf seinen Ellbogen, ausübte. Es tat weh, wenn jemand auf einen viel, das hatte er gerade bemerkt, auch wenn er es sich hätte denken können. Keine Erfahrung, mit der er prahlen würde, zweifellos, aber eben eine Erfahrung. Es war ziemliche Ironie, dass er für den Jungen, den er selbst hatte stürzen wollen, als eine Art Kissen diente, aber keiner von beiden schien besonders verletzt zu sein. Kabutos Rücken und sein Kopf taten höllisch weh, aber er blutete nirgends und seine Knochen waren alle noch an Ort und Stelle und so intakt, wie Knochen eben sein konnten – Glück im Unglück. Gerade wollte er sich selbst wieder hoch drücken, um aufzustehen, als er die Hand erkannte, die ihm hingehalten wurde, und zugegebenermaßen ziemlich blöd guckte. Oh, der Fremde half ihm auf und bedankte sich sogar... Aufgefangen? Das war nun wirklich nicht Kabutos Absicht gewesen...
A-Ach was, nichts zu danken... Ist doch selbstverständlich, antwortete er peinlich berührt, während er sich an der Hand des anderen auf die Beine zog und ihn sich zum ersten Mal aus der Nähe ansah. Der brünette Typ wirkte eigentlich ganz nett, und irgendwie strahlte er gleichzeitig etwas Intelligentes aus. Das passte irgendwie nicht zu einem Spanner. Hatte Kabuto etwa vorschnell geurteilt und dieser Fremde war tatsächlich auf einer wichtigen Mission hier, die ihn dazu zwang, solche... zweideutigen Aktionen auszuführen? Ohje, das war dann eine ziemlich peinliche Situation! Der Kyofu lief leicht rot an und unweigerlich wanderte seine rechte Hand in seinen Nacken, ehe er weitersprach: Eh... A-also, ich bin Kabuto. Schön, dich, ähm... kennen zu lernen, Junge auf wichtiger Mission. U-und entschuldige, wenn ich dich gestört habe... Oh nein... wenn er wirklich auf einer wichtigen Mission war und Kabuto die Magierin auf ihn aufmerksam gemacht hatte, dass er da war, und die ihn hatte fallen lassen, und seine geheime Mission jetzt auf der Kippe stand, dann wäre das alles die Schuld des Kyofu! Das konnte doch nicht sein... O-oh nein... I-ich habe ihm nicht alles versaut, o-oder? N-nein, das kann doch nicht sein... Oh! Was, wenn er zu einer anderen Gilde gehört? Wenn die erfahren, dass Fairy Tail ihnen in ihre Arbeit pfuscht, sie sabotiert... Nein, nein! Ich gefährde gerade den Ruf meiner Gilde! D-das kann ich nicht zulassen... ich muss das irgendwie wieder hinbiegen! A-Also... I-ich helfe dir auf deiner Mission, so gut ich kann, um es wieder gut zu machen! Versprochen!, rief er als Antwort, ehe er wieder knallrot wurde. Ups, da war er wohl mal wieder etwas zu laut gewesen...

Die beiden Jungs standen schon wieder, als Sylvana sie schließlich erreicht hatte. Hatte sie sich jetzt etwa vollkommen umsonst Sorgen gemacht und ihnen war wirklich nichts geschehen? Gut, wenigstens sah man es ihr nicht an. Eigentlich war es ja völlig normal, dass man nach jemanden schaut, wenn man ihn von der Fensterbank trennt und zu Boden fallen lässt. Auch, weil sie ja gesagt hatte, dass sie über diese Mission unten sprechen wollte. Zwar bezweifelte Sylvana weiterhin, dass dieser Kerl nichts anderes als ein kleiner Spanner war und seine Mission vermutlich etwas in dieser Richtung darstellte, aber trotzdem konnte sie ja hören, was er denn wollte.
„Verzeihung Kleiner. Ich hätte vorher noch mal runter schauen sollen. Alles in Ordnung bei dir?“ Kurz musterte Sylvana den Jungen mit den grünen Haaren. Gesehen hatte sie ihn vorher noch nie, konnte sich Sylvana doch perfekt Gerüche und Gesichter merken und solche grünen Haare vergaß man nicht so einfach. Wenn sie seinen Geruch nicht schon einmal im Gildenhaus wahrgenommen hätte, so würde sie vermutlich davon ausgehen, dass er ein ganz gewöhnlicher Junge sei. Ohne Magie und so. Immerhin konnte sie auf den ersten Blick nicht einmal sein Gildenzeichen entdecken. Aber gut, es konnte ja auch möglich sein, dass es sich irgendwo unter seiner Kleidung versteckt befand. Viele Magier ließen es sich auf die Brust oder auf den Rücken setzen. Wahrscheinlich gehörte er auch zu ihnen. Was wohl seine Magie war?
Lange Zeit blieb ihr Blick jedoch nicht auf dem grünhaarigen Jungen liegen, immerhin war er nur Zuschauer gewesen, der versehentlich in das Geschehen reingezogen worden war. Wichtiger war nun ihr ungebetener Gast mit den braunen Haaren. Auch ihn musterte sie genau, prägte sich dabei unterbewusst seinen Geruch ein. Passend zu den Haaren waren auch seine Augen in derselben Farbe gehalten. Viel interessanter als Haare, Augen oder seine blutende Nase war jedoch das blaue Symbol, welches sie ihn seiner rechten Handfläche entdecken konnte. Lamia Scale… Was führte einen Magier aus Hosenka Town den ganzen weiten Weg nach Magnolia Town? Ohne einen wirklichen Grund wird er sicherlich nicht seine Gilde verlassen haben. Aber dennoch… warum versuchte er dann in Fairy Hills einzudringen? Wenn er etwas von einer der hier anwesenden Magierinnen wollte, so hätte er doch anklopfen und fragen können. So machte ihn sein Verhalten nur noch verdächtiger, nichts als ein Spanner zu sein.
„Verzeih mir meine Vorgehensweise, aber ich mag es nicht, wenn fremde Jungs an meiner Fensterbank hängen, verstehst du?“ Er konnte sich glücklich schätzen, dass sie so milde mit ihm gewesen war. Hätte er nicht diese Mission erwähnt hätte sie ihn vermutlich erst reingeholt, um ihm anschließend einen Freiflug zu geben. „Was aber viel wichtiger ist: Von was für einer Mission redest du? Ein Magier der Gilde Lamia Scale wird immerhin nicht den ganzen Weg nach Magnolia Town gekommen sein, um sich ungesehen Eintritt in das Wohnheim der Magierinnen der Gilde Fairy Tail zu verschaffen, oder?“
Sylvana verschränkte ihre Arme, stellte sich mit starrem Blick vor den Jungen. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass seine Nase blutete. Da sie immerhin für diese Blutung verantwortlich war und nun auch nicht so eine schlechte Gastgeberin sein wollte, griff sie in ihre Tasche und holte ein Taschentuch raus, hielt es dem Jungen vor die Nase. „Hier, bitte.“

So langsam wärmte sich Magnolia Town dem armen, armen Katsu auf. Der gestrige Feind war der Freund von Morgen, nicht nur dass der Junge namens Kabuto seine Hilfe zugesichert hatte, nein, das Mädchen vom Fenster reichte ihm sogar ein Taschentuch. Etwas verlegen nahm er das Taschentuch und versuchte dabei nicht auf ihren Busen zu starren, aber der Wunsch es nicht zu tun, bewirkte das genaue Gegenteil, ein Phänomen dass wohl jeder kennt: Obwohl man sich selbst es gegenüber verneint, zieht man aus gewissen Anblicken Freude, so wie beispielsweise leicht erschreckbare Mädchen in Geisterhäuser gehen, sich die Augen zuhalten und dann doch sie hin und wieder aufmachen, um ihre Neugier zu befriedigen.
Genau mit diesen Phänomen hatte auch Katsu gerade zu tun: Er nahm sich fest vor, nicht hinzuschauen, jedoch kaum versuchte er seinen Blick in einen weiten Bogen zu schwenken, machte er einen zackigen Abgang nach unten zu Berg und Tal.
Auf der Stirn bildeten sich Schweißtropfen, die langsam herunterliefen, während er mit stark verengter Iris und leichtem Zittern dem… Traum ansah. Wieder schoss etwas Blut durch seine Nase, er hielt sich schnell das Taschentuch vor und wandte nun den ganzen Körper verlegen ab. Auch wenn es etwas unhöflich war, musste sie einfach an seiner starren, angespannten Haltung erkennen, wie verlegen er eigentlich war: „Ähm… Ich.. ich bin auf Mission!“, solange er sie nicht ansah, konnte er die Sätze etwas geordneter herausbringen. „Ich soll eine bestimmte Person antreffen, aber der Rest ist absolut vertraulich.“ War es verwunderlich, dass seine Stimme etwas piepsig war? „Ich hatte keine unlauteren Absichten!“ Das-Spannen-war-eines-der-reinsten-Gefühle,-die-man-haben-konnte,-da-das-Ausleben-seiner-sexuellen-Gelüste-ein-absolutes-Grundbedürfnis-eines-jeden-Lebewesens-war-und-dafür-sorgte,-dass-weiteres-Leben-entstehen-konnte.-Jeder-der-Spannen-als-schmutzig-und-pervers-bezeichnete,-der-war-selbst-beschmutzt,-da-er-sich-selbst-verleumdet. „Tut mir Leid, dass du mich in dieser Lage erwischt hattest.“ Besser nicht erwischt zu werden.
Aber vielleicht arbeitete gerade seine Gildenzugehörigkeit mit ihm, denn aus irgendeinem Grund schien Lamia Scale eine sehr angesehene Gilde zu sein, obwohl es da eine Person gab, die sich viel Mühe dabei machte ihre Schüchternheit dadurch zu verschleiern, indem sie Katsu umbringen wollte. Nicht dass Katsu den Namen seiner Gilde wegen so etwas verwenden würde: „Noch mal: Ich bin Katsu Ryoku von der Gilde Lamia Scale.“ … OK, er tat es.

Die nächsten Momente hätten genauso gut ein Traum sein können, wenn der Körper Kabutos nicht so geschmerzt hätte: Aus dem Mädchenwohnheim Fairy Tails trat ein ziemlich großes und unglaublich gutaussehendes Mädchen, und sie fragte ihn, ja, ehrlich, ihn (!), ob es ihm gut ging! A-ah!, brachte er schüchtern heraus und nickte hastig. J-ja, alles in Ordnung. V-vielen Dank, dass du gefragt hast! Man merkte deutlich, wie sehr ihn diese Geste erfreute. Er verletzte sich ständig, ungeschickt, wie er war, aber bisher hatte ihn noch nie jemand gefragt, ob er in Ordnung war... Mitgefühl? Was für eine wundervolle, neue Erfahrung, nicht derjenige zu sein, der es gab, sondern der, dem es geschenkt wurde! Ah! Wir kennen uns ja noch gar nicht... Ich bin Kabuto, auch aus Fairy Tail, und du? Dieser Moment war spannend und wichtig, denn welchen Namen sie ihm jetzt auch immer nannte... Er würde ihn sich für immer einprägen! Dieses Mädchen, die erste Person, die ihm je Mitgefühl geschenkt hatte... Er stand auf ewig in ihrer Schuld!

Ach, und der Fremde war ja auch noch da. Auch er schien vom Auftritt der Dragonslayerin ziemlich gefesselt zu sein, was Kabuto ihm nun wirklich nicht verübeln konnte. Ihr Auftritt war ziemlich eindrucksvoll gewesen, und abgesehen davon war die Stelle, die er so dezent anstarrte, gut ausgebildet. Während ihm das Blut aus der Nase schoss wie Wasser aus einem Hydranten, wandte sich das Braunhaar ab und zählte auf, warum er hier war. Irgendwie lief alles darauf hin, dass er ihnen eben nicht den Grund nannte, sondern nur, dass er ihn nicht nennen konnte, aber wenigstens offenbarte er seine Identität: Katsu Ryoku aus Lamia Scale! Wieder errötete der Kyofu, dieser Junge gehörte also tatsächlich einer Gilde an, und somit war sein Eingreifen in die ganze Affäre tatsächlich ein gildenübergreifendes Ärgernis gewesen, das Fairy Tail sicher schaden würde, wenn Katsu zu der leitenden Person Lamia Scales ging und ihr davon berichtete. Allerdings wirkte er nicht so, Kabuto schätzte, dass man ihm genügend Vertrauen schenken konnte, dass er das nicht tat. Er hatte es also verdient, dass der Fairy Tail Magier ihm zum Dank dabei half, seine Aufgabe zu erfüllen, da er scheinbar nicht wirklich wusste, wie er zu der Person kam, die er suchte. Da diese jedoch zu Fairy Tail gehörte – warum sonst sollte man das Mädchenwohnheim der Gilde für die Suche auswählen –, wäre es sicherlich hilfreich, wenn ein anderes Gildenmitglied ihn begleitete. Also war es an der Zeit, endlich wieder gut zu machen, was er dem Ryoku angetan hatte: In Ordnung, Katsu! Wenn du jemanden aus Fairy Tail suchst, dann ist es sicher von Vorteil, wenn ich dich begleite. Also, sag mir einfach, zu wem du gehen musst, und ich werde alles daran legen, dass deine Mission ein Erfolg wird! Mit einem überzeugenden Lächeln auf den Lippen nickte er Katsu zu. Und sollte er sich doch noch als einfacher Spanner herausstellen, würde Kabuto das auch merken...

Eine Mission, deren genauer Inhalt der Junge nicht nennen durfte? Irgendwie missfiel der Dragonslayerin die Aussage des ihr gegenüberstehenden Magiers. Er sollte also hier in Magnolia Town eine Person finden und wollte sich deswegen Eintritt ins Mädchenwohnheim verschaffen? Da war es anscheinend wirklich unmöglich einfach an der Tür zu klopfen, nach dem Namen selbiger Person zu fragen. Man konnte also davon ausgehen, dass der Junge, sollte man seinen Worten glauben schenken und nicht davon ausgehen, dass er sich gerade nur eine Ausrede einfallen lassen hat um seine wahren Intentionen zu verschleiern, ein Magierin aus der Gilde suchte. Warum sonst wäre er sonst hier beim Wohnheim?
Weiterhin musste Sylvana sich wirklich ein wenig zusammenreißen, ihm nicht gleich einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen. Es störte sie gewaltig, dass seine Augen ständig auf ihre Brüste wanderten. Würde er nicht so einen verlegenden Eindruck machen, so hätte sie ihm wohl schon eine ordentliche Beule beschert. Da war es ihr vollkommen egal, ob er aus Lamia Scale oder sonst wo herkam.
„Keine unlauteren Absichten? Dass will ich mal für dich hoffen!“ Eine einfache Beule wäre da doch irgendwie ein bisschen wenig, oder? Hoffentlich würde ihr etwas Besseres einfallen, wenn sich das Gegenteil herausstellen sollte. Bis dahin hatte sie sicherlich noch etwas Zeit.
„Aber verzeiht mir meine Unhöfflichkeit. Da habt ihr euch schon vorgestellt und wisst immer noch nicht meinen Namen.“ Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie zwischen Kabuto und Katsu einmal hin und herblickte. „Mein Name ist Sylvana, Tochter Raidens und Dragonslayerin des Donners. Erfreut eure Bekanntschaft zu machen.“ Bei den letzten Worten verformte sich das Lächeln in ein leichtes Grinsen, während sie eine leichte Verbeugung andeutete. Anschließend fixierte sie erneut Kabuto. Irgendwie war der kleine Magier niedlich. Ein wenig schüchtern anscheinend. Warum er sich aber so über ihre kleine Geste freute konnte Sylvana nicht wirklich begreifen. Würde sich vielleicht noch zeigen, wenn er ihn besser kennengelernt hatte. Ein gutes Herz schien er ja zu besitzen.
„Wie auch immer. Ich bin dran schuld, dass du eine solche Bruchlandung erfahren musstest. Lass es mich also wieder gut machen, indem ich dir auch bei der Suche helfe.“ Eigentlich war es ihr vollkommen egal, was ein fremder Magier hier in Magnolia machte. In Katsus Fall aber hatte sie ja diesen kleinen Verdacht im Hinterkopf. Auf diesem Weg konnte sie sicher stellen, dass er nicht noch mehr Unsinn anstellte. Hoffentlich für ihn, würde er sonst Sylvanas andere Seite kennenlernen. „Also? Welche Magierin unserer Gilde suchst du?“

„Ich…“, Katsu schluckte leicht und zog sich den Kragen zurecht, versuchte sich richtig auf das was ihm bevorstand zu konzentrieren. Denn die beiden bedrängten ihn gerade, einen Namen zu nennen, den er aber andererseits nicht herausgeben konnte, ohne dass sie stattdessen schnurstracks zur Gilde laufen würden, anstatt in das Mädchenwohnheim hinein. Das bedeutete… er musste entweder ein gutes Ablenkungsmanöver finden und sich seinen Weg hinein erzwingen, die beiden durch eine geschickte Täuschung einlullen oder aber sich in sein Schicksal ergeben und endlich das tun, wozu er hier ist… Aber wenn Katsu aufgeben würde, würde er das einzige im Leben auf das er stolz sein konnte verlieren: Seine Beharrlichkeit! Auch wenn sie zu falschen Zeitpunkten und Themen zum Einsatz kam, war an der Beharrlichkeit selbst wenig auszusetzen. Ein Messer brachte auch niemanden um, sehr wohl aber der Mensch der es führte. „Ähm… ich…“
Er verbeugte sich: „Tut mir Leid, ich kann es nicht direkt sagen!“ Seine Zahnräder klickten und bewegten sich träge: „Am besten wäre es gewesen, wenn mich niemand, nicht einmal die Zielperson selbst bemerkt hätte, bevor der Kontakt geknüpft worden wäre…“ Ja, so langsam kam er in Fahrt! „Wenn es zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, mag es vielleicht sogar gefährlich werden!“ Es wurde immer besser, so langsam glaubte er seine Lüge sogar selbst! „Es handelt sich um wichtige Gildenangelegenheiten und deswegen muss ich auch mit einer wichtigen Gildenfrau sprechen!“ … Nicht gut, er sollte es besser jetzt stehen lassen und schnell das Thema wechseln, er hatte mal in einem Buch „Wie man eine Frau anbaggert“ gelesen, dass es wichtig war, auch Fragen über sie zu stellen: „Aber eine Dragonslayerin?“, fragte er sie, sich an die wichtigsten Details erinnernd, diesmal sogar direkt in die Augen: „Das… das…“ Hört sich sehr, sehr, schmerzhaft an! war sein direkter Gedanke in der Befürchtung was sie tun würde, wenn sie wütend wäre. „Wir haben auch welche bei der Gilde, auch wenn ich bisher keine davon kennengelernt habe.“ Der Umstand dass er nicht einmal wusste, dass Neon eine Dragonslayerin war, war im Grunde traurig, aber irgendwie hatte die letzte Quest so gar nichts mit Magie zu tun gehabt: „Doch ich habe eine wichtige Frage!“ Wenn sie die Dragonslayerin des Donners war, war diese Frage unheimlich wichtig, wenn er keine Antwort darauf erhalten würde, dann könnte er wochenlang nicht schlafen, dann… dann… dann wurde ihm klar, dass er ihr in die Augen geschaut hatte und zum ersten Mal sah er wirklich, wie schön sie war, weswegen er erst einmal nur mit offenen Mund stumm japste, als wäre er ein Fisch aus dem Wasser.
Seine Hände zitterten, sein Gesicht war voller Schweiß, die Konzentration gebrochen, aber er… aber er… er wollte, aber er konnte nicht, nicht jetzt! Aber er würde die Antwort noch erfahren, noch heute, das schwor er sich! Weswegen er verlegen den Kopf wieder wegwandte und murmelte: „Wo gibt es hier etwas zu essen?“ Auch wenn sein Hunger ein anderer war, ist er rhetorisch vollkommen in eine Sackgasse gelaufen, weswegen aus seinen verengten Augen ihn Tränen der Niedergeschlagenheit über die Wangen liefen.

Sylvana, Dragonslayerin des Donners... Kabuto würde es nicht vergessen, niemals. Dieses Mädchen, diese großartige Samariterin, war noch dazu eine Dragonslayerin! Dragonslayer waren wohl alle besonders nette Personen, erst Lia, dann Sylvana... nein, das war sicher kein Zufall. Zwei so wundervolle Menschen... Ja, Sylvana stand für Kabuto jetzt schon auf der gleichen Stufe wie die heißblütige Feuermagierin, wegen der er eigentlich hier war. Katsu dagegen empörte ihn gerade. Egal, wie geheim eine Mission war, man konnte doch keine Geheimnisse haben vor dieser Göttin, die noch dazu so unglaublich nett und hilfsbereit war zu diesem fremden Jungen! Aber naja, eigentlich wollte Kabuto ihm ja helfen und nicht versuchen, ihm Vorwürfe zu machen, also dachte er ein wenig darüber nach. Eine wichtige Gildenfrau also... hm. Da fiele mir spontan Meisterin Fiona ein... unsere Gildenmeisterin. Und wenn sie es nicht ist, weiß sie sicher, wo du die Person findest, die du suchst. Als Gildenoberhaupt hat sie für gildeninterne Transaktionen natürlich die höchste Sicherheitseinstufung, du kannst ihr alles sagen! Mit einem überzeugten Lächeln nickte Kabuto, unterstützte seine eigene These. Ja, zu Meisterin Fiona zu gehen war eine brillante Idee, doch die würden sie hier sicher nicht finden.
Scheinbar gab es aber zuerst ein dringlicheres Problem, Katsu schien Hunger zu haben. Oh ja, das Problem kannte Kabuto gut. Er konnte zwar kein Essen kaufen, da sein Onkel seine Ausgaben kontrollierte, doch er wusste ziemlich gut, wo man etwas leckeres bekommen konnte. Andererseits war doch seine Mission angeblich so unglaublich wichtig, dass er liebe keine Zeit verlieren sollte. Wir sollten uns erst einmal um deine Nachricht kümmern, danach kannst du immer noch etwas Essen gehen. Es gibt hier mehr als genug Möglichkeiten, keine Sorge. Damit klopfte er dem Lamia Scaler auf die Schulter, aufmunternd, ehe er sich an Sylvana wendete. Also, wir sollten in die Gilde gehen, oder? Was meinst du, Sylvana? Natürlich war die Meinung dieser Göttin sehr viel wichtiger als die eines armen, kleinen Grünschopfes, der nichts über das Leben wusste bis darauf, wie er ein paar Käfer kontrollieren konnte. Es war keine Schande, sich jemandem unterzuordnen, der so wundervoll, so lieb und zuvorkommend und noch dazu eine wunderschöne Dragonslayerin war! Was natürlich nicht heißen sollte, dass man gleich zu einem sabbernden und stotternden Perversling wie Katsu werden musste.

„Wichtige Gildenangelegenheiten?“ Sylvana legte ihren Kopf schief. Warum schickte man einen gewöhnlichen Magier wegen wichtigen Angelegenheiten? Sollten da nicht eher ein Ace oder der Gildenmeister höchstpersönlich vorbeikommen? Die Ansprache ihres Ranges, den sie als Dragonslayer in der Welt der Magier innehielt, nahm sie ohne darauf einzugehen hin. Das Lamia Scale ebenfalls Dragonslayer in ihren Reihen besaß hatte sich Sylvana schon gedacht. Ihr wäre es lieber zu wissen, bei welchen anderen Drachen sie aufgewachsen waren. Aber darum ging es im Moment ja nicht.
„Ja, Meisterin Fiona wäre in der Tat wohl die wichtigste Frau innerhalb der Gilde. Da gibt es nur ein kleines Problem…“ Die Dragonslayerin verschränkte ihre Arme unter ihren Brüsten, wodurch selbige ein wenig angehoben wurden – hoffentlich sah da Katsu mal nicht hin. „Die Meisterin hat mir erst heute Morgen, bevor ich duschen gegangen bin, gesagt, dass sie heute den ganzen Tag nicht anzutreffen sein wird. Irgendwelche Termine mit der Stadtverwaltung.“
Damit würden sie also den ganzen Tag auf Katsu aufpassen müssen. Kabutos Idee, ihn einfach zur Gildenmeisterin zu bringen, wäre sie am liebsten nachgegangen. Aber sie jetzt bei der Stadtverwaltung aufzusuchen war die schlechteste Idee, die man haben konnte. Wenn sie einem schon sagte, dass sie nicht anzutreffen ist, dann sollte man nicht unbedingt ihre Nähe suchen. Fiona mochte unnötige Störungen sowieso noch nie.
„Wir können also entweder bis heute Abend warten und dich dann zur Gildenmeisterin bringen oder aber, wie gehen in die Gilde und schauen, ob du die Person, die du suchst, eventuell findest.“ Natürlich könnten sie auch ins Wohnheim gehen und Sylvana würde Katsu einer Magierin nach der anderen vorstellen. Aber da sie ja noch weiterhin den Hintergedanken hatte, dass er perverse Gedanken im Kopf gehabt hatte, als er an ihrem Fensterbrett hang, war es unverantwortlich ihm einfach Einlass zu gewähren. Gildenmeister Fiona wäre die einzige Person, zu welcher sie ihn bringen würde.
„Verdammt!“ Etwas pansich weitete die Dragonslayerin ihre Augen, als ihr wieder einfiel, was Fiona ihr noch am heutigen Morgen gesagt hatte. „Sie wird mich umbringen!“ Eilig drehte sie sich um, wollte gerade wieder ins Wohnheim laufen, stoppte aber mitten in der Bewegung. Sie konnte Kabuto ja jetzt schlecht mit Katsu alleinlassen. Immerhin musste sie sich ja an die Etikette halten, die es ihr untersagte, einen Magier einer anderen Gilde einfach so zurückzulassen. Er war sogesehen Gast ihrer Gilde.
„Ähm… Katsu, hättest du ein Problem damit, bis zum Abend auf die Gildenmeisterin zu warten und mit mir zum Strand zu gehen? Ich habe dort auf Wunsch unserer Meisterin einige Dinge zu erledigen.“ Verlegen lächelnd kratzte sie ihren Hinterkopf, während sie kurz zu Katsu schaute, dann aber auch zu Kabuto schwenkte. „Wenn du möchtest, kannst du mich auch begleiten, Kabuto. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.“

Also war die Meisterin weg, das war nicht gut… wieso konnte sie nicht im Wohnheim sein, der arme Katsu wollte doch so dringend da rein… Verlegen kratzte sich Katsu den Kopf, nicht so ganz sicher, wie er nun verfahren sollte, aber wahrscheinlich würde er sich simpel etwas reinschieben, ein wenig die Stadt und die Badehäuser ansehen und anschließend mal bei der Gilde vorbeischauen… Zumindest war das der Plan, bis dann Sylvana-san ein ganz anderes Angebot gemacht hatte… Der Strand! Und sie bot ihn an, sie zu begleiten!
Der Junge schaute verlegen zu Boden, denn der Gedanke an Sylvana-san im Bikini war sehr anregend, auch wenn er gerade Angst darum hatte, dass er im momentanen Zustand das nicht ertragen konnte, aber… Lieber sterbe ich durch den Anblick, als mein Leben lang es zu bereuen, das Angebot abgelehnt zu haben!
„Nein! Nicht sterben, nicht bevor ich wieder einen Körper habe!“[/size]
Ruhe auf den billigen Plätzen! Bezahl mal gefälligst Miete, bevor du dich beschwerst!
[size=80]„Ich habe dir alles beigebracht, was du über Magie weißt, du undankbarer Bengel, zoll deinen Meister etwas Respekt! Ohne mich, da wärst du niemals in diese Situation bekommen, das Angebot der Dame, dass hast du mir zu verdanken!“
Das ist das Ergebnis meines tagtäglichen Benehmens!, verkündete Katsu stolz gedanklich seinen Mentor. In gewisser Weise stimmte das, hätte Katsu nicht Yoko und Nami sexuell belästigt und Francois der Bärendame vorgestellt, woraufhin beide durchgebrannt sind, wäre er nicht hier! Denn dann gäbe es keinen Grund zur Bestrafung.
Nachdem der Disput sich gelegt hatte: „Ähm…“, stammelte er, immer noch auf die eigenen Füße blickend: „Also… Wenn es dir wirklich nichts ausmacht, mich mitzunehmen…“ Dann fiel ihm etwas ein, er wollte den Blick heben, doch als er etwas Bestimmtes sah, musste er wieder nach unten schauen! Es war zu schön um direkt betrachtet zu werden, er musste sich erstmal geistig darauf vorbereiten! „Aber… ich habe keine Badehose mit, ist das schlimm?“

Sylvana war also der gleichen Meinung wie der grünhaarige kleine Anhang... sehr gut. Dann mussten sie nur in die Gilde, mit Meisterin Fiona sprechen und schon wären für Katsu alle Probleme gelöst! Und er würde auch problemlos noch etwas essen können, während Kabuto seine neue Bekanntschaft mit der Dragonslayerin zelebrierte... Ende gut, alles gut! Aber, wie so oft im Leben des Käfermagiers, war es natürlich auch dieses Mal nicht so einfach. Ganz im Gegenteil, die Probleme fingen gerade erst an...
Nicht anzutreffen...?, murmelte das Blauauge missmutig und sah enttäuscht zu Boden. Er hatte sich so gefreut, dem unbekannten Magier helfen zu können, aber am Ende war sein Plan doch nichts weiter gewesen als eine dumme Zeitverschwendung. Auch, wenn es rein praktisch gesehen nicht die geringste Möglichkeit für ihn gegeben hatte, die Aufgaben seiner Gildenleiterin mitzubekommen, hätte er als zünftiger Magier Fairy Tails niemals einen solchen Fehler machen dürfen. Sein Sensei wäre sicher furchtbar enttäuscht, wenn er wüsste, dass sein ehemaliger Schüler und derzeitiger Nachfolger nicht einmal wusste, ob Fiona derzeit anzutreffen war, obwohl sie doch so weit über ihm stand! Der Aikami war vielleicht nicht besonders ernst gewesen, aber dafür hatte er all seine Aufgaben immer gründlich erfüllt und genau gewusst, was er wissen musste... Er war ein großartiger S-Rang Magier gewesen! Dass nach seinem Tod so ein Würstchen wie Kabuto in seine Fußstapfen zu treten hatte, wurde ihm einfach nicht gerecht... Nein, nein, nein! Akaroshi-sensei hat immer wieder gesagt, ich soll mich selbst nicht so runtermachen!, schalt sich Kabuto innerlich und hob den Blick, der sich während seiner negativen Gedanken immer weiter seinen Fußspitzen genähert und sie fast sogar erreicht hatte – aber nur fast! Ein bisschen Stolz war der Kyofu ja schon, dass er seine Gefühlslage gerade rechtzeitig wieder in den Griff bekommen hatte, doch schnell fokussierte er sich wieder auf das Wesentliche: Was würden sie jetzt tun, wo Fiona nicht zu erreichen war? Wie nicht anders zu erwarten führte Sylvana sofort ein paar wundervolle Vorschläge auf, dass sie einfach bis zum Abend warten oder ihn gleich in die Gilde bringen könnten, damit er sich die richtige Person heraus pickte. Sofort hellten sich die Gesichtszüge Kabutos auf, wurden dabei jedoch ganz plötzlich unterbrochen, als die Göttin mit dem braunen Haar einen Fluch ausbrechen ließ. Einen Moment lang machte er sich wirklich Sorgen, was sie hatte, aber es war dann doch nichts Schlimmes, sie hatte nur noch ein paar Aufgaben, an die sie sich gerade erst erinnerte; ein riesiger Stein fiel von Kabus Herzen. Und jetzt... lud sie ihn ein, mit zum Strand zu kommen? Sofort stand Kabuto kerzengerade vor seiner Gildenkollegin – die trotzdem noch weit über ihn ragte – und zwang sich dazu, nicht gleich aus reinem Reflex zu salutieren, wirkte also deutlich steif. Er sah zwar gerade nicht unbedingt aus wie jemand, der gerade auf dem Weg zum Strand war, nickte aber heftig, mit leicht geröteten Wangen und einem unsicheren Lächeln auf den Lippen. J-Jawohl! Ich komme sehr gerne mit, Sylvana! Sehr gerne! Mit seinen kurzen Hosen passte er ja ziemlich gut in die Strandatmosphäre, und selbst wenn nicht, gab es für ihn nicht einen Gedanken, der das Abschlagen einer Einladung von dieser Person rechtfertigen würde. Einzig Katsus Beitrag bezüglich seiner fehlenden Badehose zerstörte für den Kyofu ein bisschen den Moment, seine gerade Haltung wurde wieder so krumm und unsicher wie ganz oft, wenn er unsicher war, und auch seinem verdatterten Gesichtsausdruck konnte man das deutlich ansehen, während er zu dem Braunhaarigen blickte: Sie hat nichts von schwimmen gesagt, oder...? Auf jeden Fall ging er gerade nicht davon aus, Sylvana heute im Bikini zu sehen. Sie schien gerade aber wirklich ein bisschen hektisch, sagte, sie müsse noch einmal auf ihr Zimmer, sich umziehen, und Kabuto solle schon einmal mit ihrem Gast aus Lamia Scale vorgehen. Ein Wunsch einer Göttin, also ein Wunsch, der dem Grünschopf Befehl war...

tbc: Weißmond-Strand