Unkontrollierte Wutausbrüche? Schwere Körperverletzung? Probleme mit der Staatsgewalt? Solche Probleme waren Nia überhaupt nicht bekannt. Sie stammte einerseits aus gutem Hause und wurde auch genau so erzogen und andererseits war sie dazu viel zu liebenswürdig. Warum sollte sie auch ohne triftigen Grund ihren niederen Gelüsten nachgeben? Das war doch mehr oder weniger zu primitiv, besonders ohne irgendeinen Grund. Zum Glück kannte sie die verborgenen Seiten von Emaru und Sylvana aber nicht. Das machte fürs Erste viele Dinge bedeutend einfacher. Allerdings bekam die Blondine auch ohne dieses Hintergrundwissen die derzeitige Athmosphäre mit. Die zuckenden Blitze, welche über ihren Körper bis hin zum Dargin reichten, waren ja auch kaum zu übersehen gewesen. Bis jetzt machte die gut gebräunte Schönheit auf jedenfall keine weiteren Pluspunkte, eher das Gegenteil, obgleich sie sich endlich vorgestellt hatte. Fairy Tail war aber auch wirklich ein chaotischer Haufen. Gar nicht auszudenken, wenn sie damals die Entscheidung gemacht hätte, in diese Gilde zu wechseln und nicht zu Blue Pegasus. Ob sie es bis heute in der Gilde ausgehalten hätte? Nicht unmöglich, aber auch nicht allzu wahrscheinlich, besonders falls dort noch mehr solche Persönlichkeiten dazugehörten. Glücklicherweise ließ sich das Weißhaar durch die Blitze aber nicht beirren und blieb weiterhin respektvoll und nett. Eine Eigenschaft, die Nia an ihm schätzen gelernt hatte. Was jedoch sie selbst betraft, nun, das war eine andere Geschichte. Aufgrund ihrer gemachten Erfahrungen konnte sie allein durch den bloßen Anblick der Elektrizität nicht mehr ruhig stehenbleiben. Vielmehr bekam Nia den Drang dazu sich irgendwo verstecken zu müssen, ergriff als Ersatz dafür aber legiglich die Hand ihres Partners und drückte sie fest. Doch wie kam sie überhaupt auf die Idee mit solch einer Schwäche einen Ort zu besuchen, der bald wohl wieder voller elektrischer Energie überquellen würde? Nun, die Antwort dazu war eigentlich recht schlicht. Der Drang der Blondine vergangene Orte zu erkunden war stärker als ihre Angst gewesen. Außerdem war es ja nicht so, dass sich das Kraftwerk in einen Blitzkäfig verwandeln würde. Die ganzen Maschinen verwalteten diese mehr oder weniger unsichtbar, wodurch es nicht ganz so schlimm war. Momentan gab es eh eine Sache, die ihr noch weniger gefiel. Nia wurde von den beiden einzigen Personen im Raum offenbar ignoriert, zumindest kümmerte sich keiner mehr um sie oder würdigte sie eines Blickes. Um also wieder mehr ins Rampenlicht zu rücken, machte die Mel Mata eine kleine, aber auch effektive Bewegung. Da sie ja ohnehin schon nahe an Emaru stand, umarmte sie ihn von hinten und drückte sich mit ihren Rundungen an seinen Rücken.

Endlich bewegte sich die ganze Situation in eine Bahn, die der Dragonslayerin gefiel. Gut, die Ausnahme, dass Emaru mit gespaltener Zunge einige süße Wörter säuselte, ließ Sylvana außen vor. Sie traute dem weißhaarigen Mann nicht ganz über den Weg. Ihre Instinkte kribbelten seit dem ersten Moment, in welchem sie ihm gegenübergestanden hatte. Da war irgendwas mit Emaru, wovor sie sich in Acht nehmen musste. Sie wusste nicht was, aber es war eindeutig da. Sylvana blieb also wachsam und konzentriert, auch wenn sie nach außen hin sich vermutlich genauso verhielt, wie es Emaru geplant hatte. Dennoch… bevor Sylvana sich irgendeiner fremden Person außerhalb einer Quest unterordnen würde, mussten schon Zahnräder in Gang gesetzt werden, die nur schwer zu bewegen waren. Dafür war die Drachentochter einfach ihrer Herkunft halber viel zu stolz.
„Ich soll einfach nur ein paar Teile wieder miteinander verbinden?“ Sylvana hob skeptisch ihre Augenbraue. War das gerade eine scherzhafte Frage gewesen? Traute Emaru ihr wirklich so wenig zu? Seufzend schüttelte Sylvana die Augen, streckte Zeige- und Mittelfinger aus und ließ sogleich einen hell leuchtenden Blitzfunken erscheinen, der von einem Finger zum anderen Sprang. „Mach dir mal darüber keine Sorge, dass sollte keinen großen Aufwand benötigen. Zeig mir einfach die Teile und ich löte sie dir in Nullkommanichts wieder zusammen.“ Grinsend ließ Sylvana den Blitzfunken wieder verschwinden, richtete ihre Aufmerksamkeit auf Nia. Ehrlich gesagt musste selbst die Dragonslayerin zugeben, dass sie ihr nicht fair gegenüber gewesen war. Offen würde sie dies zwar niemals aussprechen, aber sie wusste, dass so etwas wie eine Entschuldigung fällig war. Sie mochte zwar merkwürdige Ideen haben, aber… im Endeffekt war sie doch auch nur eine, scheinbar leicht schüchterne, junge Dame, die sich der Magie verschrieben hatte.
„Nia?“ Langsam schritt Sylvana neben den weißhaarigen Mann, schaute der Mel Mata die gesamte Zeit in die Augen, ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen gezogen. Ein wenig verlegen kratzte sich die Dragonslayerin am Hinterkopf. „Du… Ich wollte mich für vorhin entschuldigen. Diese Drohung war unnötig gewesen. Im Endeffekt möchten wir ja alle dasselbe. Dass…. Betsy… wieder zum Leben erweckt wird. Nicht wahr?“
Das leichte Lächeln wurde breiter, als Sylvana einen Schritt zurücktrat und nach einem kurzen Moment der Stille ihre Hand der jungen Dame entgegenstreckte.
„Vergessen wir also alles und fangen nochmals von vorne an.“ Kurz räusperte sich die Dragonslayerin, ehe sie ihre Augen langsam schloss und ein fröhliches Grinsen sich auf ihre Lippen legte und einen Blick auf ihre strahlendweißen Zähne freigab. „Ich bin Sylvana, freut mich dich kennenzulernen, Nia.“

Seit jeher war das Ziel der männlichen Bevölkerung des Erdreiches, die Fähigkeit zu meistern, sich zur gleichen Zeit die Gunst zweier Frauen zu sichern, sie sich zu Willen zu machen, ohne dass sich eine an der anderen stören würde. Die Wege dorthin, auf denen man oft gewandelt und oft gescheitert war, waren weitläufig und verschieden, doch Emaru Dargin hatte sich nie die Mühe gemacht, sich mit ihnen abzugeben. Die Notwendigkeit von mehr als einer Frau zur gleichen Zeit hatte er nie eingesehen, ging davon aus, dass es allein eine Egofrage war, behaupten können zu wollen, dass man mehrere Weibchen auf einmal sein Eigen zu nennen vermochte. Entweder pure Angeberei oder die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, was man wirklich wollte – beides Dinge, denen Emaru aus dem Weg zu gehen vermochte, weshalb er dem Prinzip 'Eine Frau nach der Anderen' folgte. Bisher hatte das auch wundervoll funktioniert, nur in diesem Moment fiel ihm auf, dass er aufgrund dieser fehlenden Erfahrungen womöglich die Situation falsch eingeschätzt haben könnte. Zuerst kam ihm dieser Gedanke in dem Moment, in dem Nia seine Hand ergriff und drückte; natürlich drückte er ihre Hand auch, zog sie noch ein bisschen zu sich, vermittelte ihr ein Gefühl von Nähe. Aber es stimmte, er schaffte es irgendwie nicht, beiden Mädchen gleichermaßen Aufmerksamkeit zu schenken...
Als sie dann auch noch die Arme um ihn schlang und sich an ihn drückte, während Sylvana sich zum Löten bereiterklärte, wurde es noch etwas komplizierter; er musste sich um Nia kümmern, das war klar, aber er musste auch die Dragonslayerin anleiten. Glücklicherweise bekam die Blondine jetzt erst einmal ihre Aufmerksamkeit, also ließ der Dargin sie und Sylvana Frieden schließen, und als das erledigt war, streichelte er ihr durch die Haare und knuddelte sie einmal kurz. „Ich hab dir noch gar nicht erklärt, was die verschiedenen Geräte eigentlich machen, oder?“, fragte er und lächelte sie an. „Dabei muss meine kleine Forscherin das doch wissen.“ Er streichelte sie noch einmal, dann wandte er sich an Sylvana, zeigte ihr die Teile innerhalb der Maschine, die herausgefallen haben, wo sie hingehörten und wie sie verbunden werden mussten. Es fiel ihr überraschend leicht, zu verstehen; vielleicht hatte der Weißschopf sie wirklich unterschätzt. Sie konnte tatsächlich problemlos Schritt-für-Schritt-Anleitungen befolgen...
Jetzt, wo eines der Mädchen beschäftigt war, konnte er sich um das andere kümmern. Er zeigte Nia den Plan, den sie ihm zuvor gebracht hatte, und begann, zu erklären: „Das ist eine Gathering-Unit, oder kurz G-Unit. Sie ist dafür da, dass der Strom sicher und ungefährlich geleitet werden kann, deswegen will ich sie zuerst reparieren. G-Units bestehen fast nur aus Metall, abgesehen von einer Isolierung, die verhindert, dass das ganze Gerät unter Strom steht. So geht der Strom durch die dafür vorgesehenen Leitungen und folgt den ihm vorbestimmten Wegen.“ Dann zögerte er kurz, nickte zu sich selbst und sah Nia in die Augen. „Sag mal, traust du dir zu, dich selbst um die letzte Gathering-Einheit zu kümmern? Ich glaube, du könntest es, Nia.“
Bald war dann auch Sylvana fertig, Emaru sah sich das Ergebnis an und nickte zufrieden: „Sehr gut, das sollte halten. Tut mir leid, dass ich dich unterschätzt habe, Sylvana... Kommt nicht wieder vor.“ Dann verschloss er das Gerät und blickte sich noch einmal um, ehe er wieder aufstand und die Pläne weiter führte. Er setzte bereits zum Weitersprechen an, als plötzlich eine Stimme von draußen ertönte. Nein, nicht eine Stimme... einige Stimmen, die durcheinander sprachen. Und die meisten von ihnen klangen ziemlich jung... Besorgt steckte er den Schlüsselbund weg und ging zum Eingang, um hinaus zu spähen. Dort standen zwei Erwachsene und eine ganze Menge Kinder, und von hier konnte er sie auch recht gut hören... Leise seufzend schritt er wieder hinein. „Uff... wie es aussieht, gibt es heute einen Schulausflug hierher. Wenn ich das richtig verstanden habe, werden die Leute einige Stunden hierbleiben, und ich möchte sie nicht unbedingt dabei haben, während wir mit empfindlichen Maschinen hantiere. Ich würde sagen, wir lassen ein paar Stunden verstreichen... Hargeon ist eine schöne Stadt, es gibt einiges zu sehen und ich kenne mich hier noch ganz gut aus, glaube ich. Was meint ihr?“ Er packte schon einmal alles wieder in seinen Rucksack und schulterte ihn, dann blickte er die beiden Mädchen einfach wieder an. Sie mussten auf jeden Fall schnell hier weg, auch wenn die Kinder sie vermutlich sehen würden...

Konnte es tatsächlich sein? Hatte sich Nia vielleicht doch noch einmal in der Dragonslayerin vor ihr geirrt? Erst hatte sie gedacht, dass Sylvana ganz bewusst die Aufmerksamkeit von Emaru an sich riss, damit sie mit leeren Händen dastand. Immerhin gab es ja schon vorher ein paar Funken zwischen ihnen, weswegen sie sich auch notgedrungen an ihren Partner gedrängt hatte. Auf irgendeine Weise musste sie ja um ihn kämpfen und das war halt die erste Sache gewesen, die ihr eingefallen war. Möglicherweise war Sylvana allerdings dann doch keine so schreckliche Person, wie sie gerade empfand. Bevor sie sich nämlich daran machte nach der Anleitung vom Dargin die Teile der Maschine vor ihr zusammenzulöten, zeigt sie plötzlich doch eine nettere Seite. Sie war jedoch nicht nur nett, sie entschuldigte sich erfreulicherweise sogar bei ihr. Das angespannte Klima im Kraftwerk konnte sich für die Blondine also doch noch zum Guten wenden. "J-Ja, das hört sich.. in Ordnung an. Beleben wir Betsy und fangen nocheinmal von Vorne an." Ein kurzes Lächeln huschte über die Lippen von Nia. "N-Nett dich ebenso kennenzulernen Sylvana." Das war jedoch nicht das einzige Problem, welches sich mit einem mal auflöste. Emaru blieb das werben um seine Person letztendlich nicht unbemerkt und so ließ er seiner Gildenpartnerin endlich die gewünschte Aufmerksamkeit zukommen. Noch immer an seinen Rücken gepresst, streckte Nia also ihren Kopf über die rechte Schulter des jungen Mannes und warf einen Blick auf den Plan, den er in Händen hielt. Er erklärte Aufbau und Zweck der G-Units und obwohl das Thema nicht unbedingt wirklich interessant für die Blondine war, sog sie die Informationen doch wie ein Schwamm auf. Damit dieser Ort wieder funktionieren sollte, brauchte man schließlich das theoretische Wissen dazu. Am Ende übertraf die abschließende Frage des Dargin aber nocheinmal ihre Erwartungen. Er wollte tatsächlich, dass sie allein, nur sie allein, an einem dieser wichtigen Dinger arbeiten sollte. Er musste ihr wirklich vertrauen. Mit einem breiten Lächeln und heftigem Kopfnicken nahm sie das Angebot mehr als freudig entgegen. "Ja, ich.. ich schaffe das ganz bestimmt." In diesem Moment löste sich Nia auch von seinem Körper und seufzte einmal wohlig. Es schien gerade alles so perfekt zu laufen. Da musste ja noch irgendetwas dazwischenfunken. Und blöderweise passierte dies auch. Einige Minuten später kündigte sich durch dem dumpfen Klang von Stimmen eine Ausflugsgruppe an. Eigentlich kein Grund zur Sorge, war es doch nicht verboten hier zu sein. Nichtsdestotrotz hatte Emaru einen guten Einwand gegen einen Verbleib hier eingebracht. Ohne also groß darüber nachzudenken, stimmte sie ihm zu. Ein bisschen in der Stadt zu bummeln war jetzt auch nicht unbedingt die schlechteste Zeitvertreibung. "Okay, machen wir es so."

„Sehr gut... Sylvana?“, fragte Emaru, nachdem Nia schon zugestimmt hatte. Es war nicht weiter überraschend, aber dennoch erfreulich, dass die Blondine so kooperativ war, denn einerseits bewies es, dass er fähig war, sie gut einzuschätzen, zweitens, dass sie eine gute Begleitung und definitiv keinen Ballast darstellen würde – nicht, dass er daran je gezweifelt hätte – und drittens, dass sie den Ernst der Situation verstand. Immerhin war sie so darauf versessen, die Maschinen zu reaktivieren, das würde sie nicht verschieben, wenn es nicht wichtig wäre.
Sylvana war da schon etwas schwieriger. Sie schien keine Lust auf eine Tour von Hargeon mit den beiden zu haben, wollte lieber selbst eine Weile etwas erledigen, was sie sowieso noch machen wollte. Nun, wenn sie die Gelegenheit so nutzen wollte, war das ihre Sache... Emaru würde sie nicht davon abhalten. „Okay“, meinte er also und legte einen Arm um Nia. „Wir gehen dann nach Hargeon. In, sagen wir, vier Stunden treffen wir uns wieder hier, ja?“ Das schien soweit kein Problem darzustellen. Seite an Seite mit den beiden Mädchen verschwand er also durch den Hintereingang und huschte dann mit Nia an der Schulgruppe vorbei, unbemerkt. Dann machte er sich eben einen angenehmen Nachmittag mit einem schönen Mädchen in einer beliebten Hafenmetropole... es gab nun wirklich Schlimmeres.

Tbc: Straßen Hargeon Towns