Was tat man nicht alles um den Pflichten als Magierin gerecht zu werden? Eines dieser Dinge war in einem fürchterlichen Zimmer mit einem fürchterlichen Bett und Badezimmer am Gang zu schlafen. Besser gesagt: Zu nächtigen. Geschlafen hatten sie nämlich kaum, also war sie nicht nur übernächtig sondern auch noch schlecht gelaunt. Dennoch stand sie nun hier, direkt vor dem Tor des Gildenhauses von Lamia Scale und war auf dem direkten Weg hinein, immerhin war es Zeit, sich endlich bei einer angemessenen Aufgabe zu beweisen. Langsamen, aber zielsicheren Schrittes durchschritt die Magierin die Pforte und wandte sich direkt dem Questboard zu, auf dem die Aufgaben, die zu erledigen waren, hingen. Gemächlich ließ sie ihren Blick über die Aushänge gleiten und hielt dabei nach etwas Ausschau, bei dem man sich erstens beweisen konnte, bei dem es zweitens keine größeren Probleme geben sollte und das drittens am besten noch interessant wäre.
Da war doch etwas! Ein Bergdorf mit Kranken, die Unterstützung brauchten, eine hoher Berg und eine Hexe, das klang doch nicht so übel. Vor allem die kranken Menschen hatten Yureikos Aufmerksamkeit auf sich lenken können, denn wo kranke Menschen waren, da starben auch Menschen und wo Menschen starben gab es Leichen. Schöne Leichen, kalte Leichen, hübsche Leichen. Tote Leichen, vor allem. Wieder beschlich sie das beklemmende Gefühl, dem Tod bald in die Augen sehen zu müssen. Ihre Finger fühlten sich ein wenig taub an, als sie nach dem Aushang griff, um ihn herunterzunehmen. Dieser Auftrag barg Gefahr. Eine Krankheit war nun mal etwas gefährliches, aber es war gewissermaßen auch eine Chance, denn wenn jemand starb, würde sie vielleicht die Möglichkeit haben, etwas darüber in Erfahrung zu bringen, wie sie sich davor schützen konnte. Oder, wenn es ganz gut lief, wie sie die Krankheit für noch mehr nutzen konnte.
Sie blinzelte etwas, als sie sich wieder beruhigt hatte. Mittlerweile hielt sie den Aushang längst in der Hand, ohne sich daran erinnern zu können, wie sie ihn an sich genommen hatte, aber immerhin konnte dieser Aussetzer nicht allzu lange gedauert haben. Es war fast so, als hätte sie sich in letzter Zeit besser unter Kontrolle, aber obwohl das so war, war ihr immer noch klar, dass dieser Auftrag nichts war, dass man auf die leichte Schulter war. Sie sollte sich vielleicht Begleitung suchen. Und die richtige Ausrüstung für einen Berg, die sollte sie sich wohl auch besorgen.

Zum Glück war das Gildenhaus von Lamia Scale nur einen Katzensprung von seiner schäbigen kleinen Hotelwohnung entfernt. Nicht, weil er sich vielleicht verlaufen hätte. Souta fand beinahe immer den Weg zum Zielort, manchmal musste er eben Umwege nehmen. Nein. Der Rothaarige hatte tiefsitzende Probleme mit der Pünktlichkeit, und wenn man nicht früh genug eine Quest aufgabelte, besonders wenn man Geld brauchte, blieben die Langweiligen übrig. Und damit auch die schlecht bezahltesten. Da Langeweile für ihn natürlich das Schlimmste war, was man abkriegen konnte, hatte er sich heute extra früh aus dem Bett begeben. Normalerweise befolgte er einen einfachen Lehrsatz, wenn es darum ging zu schlafen und aufzustehen: Man wachte auf, wenn man nicht mehr müde war. Egal ob man um fünf Uhr morgens oder um fünf Uhr nachmittags aufwachte. Der Pflicht halber hatte er sich allerdings den Wecker gestellt, der für gewöhnlich nur den Zweck erfüllte, auf immer neue möglichst kreative Weise durchs Zimmer gekickt zu werden. Und so stand er nun vor der Gildentür, das Auge noch etwas klein und die Haare leicht verwuschelt, was man durch die Stirnbandfrisur natürlich nicht wirklich von der sonstigen Wuscheligkeit unterscheiden konnte. Und öffnete sie. Nach einem kurzen Blick in die Runde herrschte erstaunlich wenig Betrieb. Entweder war er also verdammt früh aufgestanden und hatte brutales Glück, oder es war später als er dachte und er durfte Klos putzen oder anderen Tätigkeiten nachgehen, die mindestens so aufregend waren. Doch was brachte es ihm schon das Schlechtere anzunehmen? Überzeugt davon, dass tausende Quests, eine gefährlicher und spannender als die andere, auf ihn warten würde, ging er beschwingten Schrittes zum Questboard und ließ den Blick seines Auges eine fröhliche Melodie pfeifend darüberschweifen, während er sich mit einer Hand durch die Haare fuhr und die andere hinten in die Potasche seiner Hose gesteckt hatte. Na ja...
He, moment mal. Wie konnte er denn die süße Schnecke neben ihm übersehen haben? Sie stand rechts von ihm, natürlich. Wer Souta gut kannte wusste jetzt, dass er nur noch so tat als würde er sich eine Mission suchen, in Wirklichkeit besah er sich die Blondine neben ihm. Ihre weiblichen Formen standen in einem schönen Verhältnis, auch wenn ihre Kleidung nicht unbedingt das Beste aus ihnen herausholte. Und ihr Gesicht wäre sicher schöner gewesen, wenn sie halbwegs amüsiert gewirkt hätte. Welche Laus war ihr nur über die Leber gelaufen?
Vielleicht konnte er es ja herausfinden...Alle Quests auf dem Board waren mäßig interessant, und egal, was diese junge Frau in ihrer Hand hatte, die Aussicht mit ihr auf einer gefährlichen Mission sein zu können, ihr vielleicht das Leben zu retten und damit ihre Dankbarkeit gewiss zu haben...die Spannung, die von diesem Blatt Papier ausging war beinahe greifbar. Um zu wissen, ob er mitwollte musste er natürlich erst einmal ein Gespräch beginnen. Wenn sie den Mund aufmachte und der voller schwarzer Zahnleichen war, oder ihre Stimme klang wie die eines Mannes, konnte er wenigstens direkt abdrehen. Alles schon gehabt. Diese Erfahrungen hatten ihn vorsichtig werden lassen.
Mit einem freundlichen Lächeln aus den strahlend weißen Zähnen drehte sich der Rotschopf ein wenig seitlich, um den Anschein zu erwecken, auf ihr Blatt zu linsen - doch natürlich hatte er es schon längst bei seiner ersten Begutachtung analysiert. Kranke und ein Berg. Zu zweit auf einem eiskalten Berg hinaufsteigen. Anstrengende Arbeit, Steine an denen man umknicken konnte und getragen werden musste - gebongt!
"Die Quest klingt doch ganz interessant", meinte er, plötzlich ein ganzes Stück näher bei ihr und über ihren Kopf auf das Blatt schauend. "Ist alles schon geregelt, oder darf man sich noch melden?"

"Was für ein Dummkopf." Mit gehobener rechter Braue und leicht in den Nacken gelegtem Kopf sah Yureiko über sich. Es gab zwei Gründe, aus denen er diese Art der Begrüßung wählen hätte können. Nummer eins: Er war zu dumm um auf eine andere Idee zu kommen. Nummer zwei: Er hatte es tatsächlich für lustig, interessant oder es sonst irgendwie vorteilhaft gehalten, sich auf diese Art einem Menschen zu nähern, was es natürlich niemals sein konnte. Die Magierin wählte für sich persönlich Variante zwei, denn damit hatte er sich praktisch bei ihr vorgestellt: „Hallo, ich bin der Kasper von nebenan.“ Sie rümpfte nun auch noch die Nase. „Mach mal langsam“, raunte sie ihn in aller Höflichkeit an, die sie gerade für dieses Etwas aufbringen konnte.
Der Kerl sah genau so aus, wie er sich benahm, vor allem die Augenklappe war für die junge Kabane ein Zeichen von Lächerlichkeit, denn auch für das Tragen dieser konnte es natürlich zu zwei Gründe geben. Erstens: Er war wirklich und wahrhaftig im Glauben, dass Geheimnisse cool waren und irgendwelche Leute – oder auch Leute wie sie, denn irgendjemand war sie bestimmt nicht – sich von sowas beeindrucken ließen. Zweitens: Er hatte sein Auge tatsächlich verloren. Das war zwar traurig für ihn, aber zum einen war das Tragen eines Glasauges zum Einen unter Umständen dezenter und zweitens war es schlichtweg schwach, in seinem Alter schon ein Auge weniger zu haben. Wäre er ein alter Veteran wäre es vielleicht noch akzeptabel gewesen, aber in diesem Alter verlor man einfach keine Augen. Auch seine restliche Erscheinung half ihm nicht dabei, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Die viel zu lässige Frisur, die Ohrringe, die ihrer Meinung nach nicht ein Mal Frauen wirklich standen, und das verboten fröhliche Grinsen in seinem Gesicht – all das veranlasste die junge Frau dazu, die Braue noch etwas weiter anzuheben. Oder, um es kurz zu sagen: Sie konnte diese Person nicht ausstehen.
„Wie heißt du überhaupt?“, sagte sie, zwar schon etwas gefasster, aber noch immer mit reichlich genervtem Unterton. Gott, wie sehr sie von diesem Menschen angewidert war. Trotzdem konnte sie sich einer Tatsache nicht verschließen: Er wollte sie begleiten und das war, schlicht und ergreifend ausgedrückt, verdammt nützlich, denn immerhin ersparte ihr das die lästige Suche nach Partnern für diesen Auftrag und wer wusste schon, ob überhaupt in nächster Zeit jemand außer ihr sich dafür interessieren würde? Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass er beim Aufstieg verunglückte oder sich bei den Dorfbewohnern anstecke und daran verreckte. Und wenn nicht, dann blieb er eben am Leben und würde ihr dafür zumindest eine Hilfe sein können. So oder so, sie würde Nutzen aus ihm ziehen können, wenn er sie begleitete, während er das Risiko trug – klang doch nach einer guten Sache, oder?
Sie wartete seine Antwort ab, ehe sie fortfuhr. „Ich bin Kabane, oder für dich Kabane-sama, wenn du mich begleiten willst. Klar so weit, ja?“, erklärte sie ihm. Wenn er mitkam, dann wusste er jetzt, wer hier das Sagen hatte. Und wenn er nicht mitkam, dann war es nicht allzu schade um einen ungehorsamen Gefähren.

Die Blondine hob eine ihrer reizenden Augenbrauen und drehte den Kopf leicht zu ihm, so dass sie angenehm nahe an seinem Schlüsselbein war. Als sie auch noch ihr Näschen kräuselte und ihm zuflüsterte, er solle es nicht so schnell angehen lassen, war ihr Schicksal eigentlich besiegelt. Er würde sie jetzt begleiten. Objekte, die man erst erobern musste weckten Soutas Interesse nun einmal. Während ihrer darauffolgenden Musterung machte er keine Anstalten sich von ihr zu entfernen, wenn sie ihn genauer sehen wollte musste sie sich wohl oder übel umdrehen - und dann standen sie sich in einem halben Meter Höchstentfernung gegenüber, Körper an Körper. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Ich bin genial...einfach genial. Spontan habe ich die perfekte Position gewählt.
Die Braue, die in noch höhere Weiten wanderte markierte wohl das Ende ihrer Inspizierung und veranlasste ihn, ihr so breit ins Gesicht zu grinsen, dass sie wissen MUSSTE, dass er ganz genau wusste was sie von ihm hielt. Und dass er trotzdem blieb wo er war. Er war sich beinahe sicher, dass sie sich gleich freiprügeln würde oder ihm ausbreiten, wie schrecklich er doch war, doch stattdessen konnte er in ihrem Gesicht sehen, wie sie Ketten um ihren Geist legte und ihn so höflich, dass es schon fast wieder unfreundlich klang fragte, wie er hieß. So, sie hatte also eingesehen, dass sie ihn brauchte, weil sie im Gegensatz zu ihm offensichtlich sozial eher ungern tätig war, wie sich daraus schließen ließ, wie sehr er sie als freundliche, offensichtlich an ihr interessierte Person anwiderte. Das wiederum ließ Souta darauf kommen, dass sie noch vollkommen allein war und die Vorstellung, mit jemanden zu reisen der sie ekelte für sie noch immer besser war als die, durch die Stadt zu laufen und Leute zu bitten. Ganz offensichtlich war sie viel zu stolz dazu. Und deshalb brauchte sie ihn, der sich ihr angeboten hatte. "Souta." Kurz und knapp, doch der Umstand, dass er dabei zwinkerte und sich etwas mehr über ihre Schulter beugte, um das Blatt noch einmal zu lesen und ihr Gesicht seiner Wange dabei SEHR nahe kam, machten jegliche Seriösität wieder wett. "Kabane-sama. Freut mich. Nachdem du die erste warst, die das Blatt an sich genommen hat überlasse ich dir natürlich das Amt des Questleiters. Ich stehe also unter deinem Befehl. Und der erste davon ist...?"

Es war einfach unglaublich, wie ekelhaft jemand sein konnte, während dieser jemand einem sagte, dass man selbst die Befehlsgewalt hatte. Immer wieder versuchte er ihr unauffällig nahe zu kommen und immer wieder war sie kurz davor ihm einfach mit handfesten Argumenten klar zu machen, dass das so nicht laufen konnte – zum Glück unterließ sie das, denn wenn sie mal wirklich zulangen würde, bräuchte sie mit Sicherheit einen neuen Partner.
Diese Gedanken musste sie nun dennoch bei Seite lassen, zumindest fürs Erste. Nachdem er sie nach ihrem ersten Befehl gefragt hatte, musste dieser nämlich auch prompt folgen, wer wusste, was diesem widerlichen Kerl sonst noch alles einfallen würde, wenn man ihm zu lange Zeit ließ, um sich etwas zu überlegen. Mit noch immer hochgezogener Augenbraue sah drehte sie sich nun zu ihm um, bevor sie zu sprechen begann: „Wir müssen uns vorbereiten, diese Reise wird nicht einfach.“ Und was nahm man am besten mit? Wir rekapitulieren: Die beiden würden in ein Dorf mit kranken Menschen gehen, sie würden auf einen hohen Berg klettern und es würde verdammt kalt sein. Demnach mussten sie ihre Ausrüstung weise wählen, die Magier mussten nämlich alles mit sich nehmen, was sie brauchen würde und andererseits durfte die Ausrüstung nicht zu schwer sein, weil sie auf dem harten Aufstieg sonst mit Sicherheit schlapp machen würden. „Das heißt, wir brauchen passende Ausrüstung. Warme Kleidung, jeder ein Seil, festes Schuhwerk… vielleicht sollten wir auch Steigeisen und Eispickel mitnehmen, falls wir klettern müssen. Andererseits gibt es das vielleicht im Dorf, falls wir es überhaupt brauchen“ , erklärte sie. „Ich würde sagen, wir besorgen uns alles davon und zur Not lassen wir die Sachen dann einfach im Dorf, die wir nicht brauchen. Wenn wir alles haben, treffen wir uns vor dem Gildenhaus. Klar?“ , erklärte die junge Magierin weiter. Auf die Gefahr der Krankheit hätte sie ihn wohl auch noch aufmerksam machen sollen, aber irgendwie hatte Yureiko absolut keine Lust darauf.

Ihre kurze Pause gab Souta noch mehr Stoff, sich königlich darüber zu amüsieren, wie sehr er ihr auf die Nerven zu gehen schien. Was für ein Mensch musste man nur sein, um Freundlichkeit abstoßend zu finden? Mit jeder Bewegung, die sie machte, interessierte Kabane ihn mehr und mehr. Ihre Augenbraue, die ein Indikator dafür zu sein schien, wann sie ihn mit einem Kick aus der Tür hinausschleudern würde, ihr Mund, der sich leicht verzog und die Nase, die sich rümpfte. Um nicht gleich alles zu verpulvern, was er sich auch für später aufheben konnte, rückte er tatsächlich einen klitzekleinen Zwergenschritt zurück, als sie sich umdrehte. Dennoch hätte er immernoch die Hände ausstrecken können und mit den Handflächen das Questboard berührt, während sie zwischen seinen Armen gefangen war und seinen minzigen Atem roch. Hätte er gekonnt. Hätte er gerne gemacht, doch er musste sich auch noch auf etwas anderes konzentrieren, statt nur auf ihre Augenbrauenturnübungen. Er lächelte sie also weiterhin an und filterte, was sie zu sagen hatte. Warme Kleidung trug er gerade. Ein Seil brauchte er nicht unbedingt, schließlich hatte er eine Kettenpeitsche, die stabil genug war um sich damit über Abgründe zu schwingen und zur Not konnte er noch seine Arme in Ketten verwandeln. Ernsthaft, der Kletterteil würde für ihn ein Kinderspiel sein. Es war sein Spezialgebiet schnell Hindernisse zu überqueren. Mauern. Hotelbette...Souta würde dennoch ein Seil mitnehmen. Wenn Kabanes Halt riss, konnte er ihr damit aushelfen. Vielleicht wurde er auch verletzt, dann war es erst Recht nützlich, eines dabeizuhaben, damit die Nutzung seiner Zauber ihn nicht flachlegte. Er musste beinahe laut loslachen, als er Kabane so vor sich sah und das Wort "flachlegen" in seinem Kopf erschien, doch er beherrschte sich und nickte stattdessen nur. Der Treffpunkt war jetzt eindeutig, und er würde noch einige Dinge einpacken, die er für nützlich hielt. "Alles klar. Dann sehen wir uns später. Ciaoi!" Mit den Fingern einer Hand lose winkend, drehte er sich um und spazierte, schon wieder dieses fröhliche Gepfeife auf den Lippen, aus der Tür ohne sich noch einmal umzudrehen.

Da ging er dahin, pfeifend, als gäbe es etwas, worüber man unbedingt glücklich sein müsste. Gut, für ihn gab es sicher etwas, immerhin durfte der junge Mann sie ja begleiten. Wenn er sie nicht von selbst angesprochen hätte, dann wäre sie niemals auf die Idee gekommen so jemanden zu fragen. Aber wie schon erwähnt gab es bei ihm zumindest noch die Möglichkeit, dass er eine halbwegs brauchbare Leiche abgeben würde, wenn er von einem Felsbrocken erschlagen wurde oder von einer steilen Felswand hunderte Meter hinunterstürzte. Wahrscheinlich würde er sogar dabei noch ein breites Grinsen auf dem Gesicht haben, wenn Kabane nach dem urteilte, was er bisher von sich gezeigt hatte. Einfach widerlich war das.
So machte sie sich auch selbst auf den Weg nach Hause, die miese Laune stand ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Es war schon mehr als anstrengend gewesen den Jungen nur einige Augenblicke zu ertragen. Wie würde es sich dann anfühlen, diesen Souta dann auf einer ganzen Mission um sich zu haben? Vielleicht würde der Berg nicht das größte Hindernis werden, das sie zu überwinden hatte.
Endlich war sie in ihrer verstaubten Einzimmerwohnung angekommen und begann direkt alles ein zu packen, was sie angeordnet hatte: Zwei Seile nahm sie mit, Handschuhe steckte sie zusammen mit der Standardausrüstung in ihren Rucksack und ihren schwarzen Pelzmantel zog sie gleich an, nachdem sie vergeblich versucht hatte, ihn auch noch in den Rucksack zu bekommen. Auf Steigeisen und Eispickel verzichtete Yureiko – aus dem ganz einfachen Grund, dass sie feststellen musste, dass sie solche Dinge gar nicht besaß und wenn, dann sicher nicht hier. Außerdem steckte sie noch zwei Masken in die Manteltaschen, um Mund und Nase abzudecken. So gerne die Forscherin ihren Partner auch sterben gesehen hätte, so sehr war ihr dann auch klar, dass er immerhin ein Mitglied ihrer Gilde und ihr „Untergebener“ war und somit darauf vertrauen durfte nicht hintergangen zu werden. Es schmerzte zwar, aber was sollte man schon dagegen tun.
Voll bepackt verließ sie ihre Wohnung wieder und schlug den direkten Weg Richtung Gildenhaus ein, denn sie hatte vor, deutlich vor ihm wieder da zu sein. Dann könnte sie ihm immerhin vorwerfen, dass er zu lange gebraucht hatte und so ein wenig Dampf an ihm ablassen, was ja auch nur gerecht war, wenn sie sich schon um seine Sicherheit Gedanken machte, nicht wahr?

Doch zu Kabanes gesichertem Unwollen lehnte, als sie wieder auf das Gildenhaus zukam, schon ein rothaariger Einäugiger verboten lässig und mit einer schwarzen Umhängetasche beladen am Zaun, der ihren Treffpunkt umgab und hatte die Arme verschränkt. Da er im Schatten des Hauses stand und sein Kopf leicht gen Boden gerichtet war, schien es beinahe als würde er schlafen. Eine nicht gerade unprovokante Geste gegenüber seiner Teamleiterin, denn mehr als zwei Minuten war er selbst auch noch nicht da. Der Entfernungsvorteil hatte einfach für ihn gesprochen, denn das Hotel, in dem er hauste war nur einen Katzensprung entfernt. Außerdem war Geschwindigkeit sein Wesensmerkmal - zwar war Pünktlichkeit definitiv nichts, was Kabane-sama weiterhin erwarten konnte, aber die Aussicht auf ihr gereiztes Gesicht hatte ihn dazu angespornt, zur Abwechslung einmal Vollgas zu geben. In seinem Zimmer angekommen hatte er mit geübten Handgriffen seine Tasche beladen. Geld, Seile, ein bisschen Erste-Hilfe-Versorgung und natürlich ein paar zusätzliche Glieder für seine Kettenpeitsche. Wenn sie beschädigt wurde, konnte er sie mit seiner Zange und diesen Materialien schnell reparieren. Alles was er an seiner Kleidung verändert hatte, war, dass er statt dem schwarzen T-Shirt nun ein langes Oberteil trug und darüber - wie gewohnt - seinen Mantel. Da er keine Gelegenheit haben würde ihn auszuziehen, sollte es so kalt werden wie er dachte, schloss sich sein Gürtel diesmal außen herum und präsentierte direkt die an seiner Hüfte herabhängende Waffe. Seine Finger steckten in ebenso schwarzen Handschuhen, welche die Fingerkuppen freiließen. Letzendlich wurde noch der Kragen seines Mantels hochgeklappt - et voilà. Ready to rumble und so.
Nachdem er einen Sprint zurück zum Treffpunkt hingelegt hatte, lehnte er nun am Zaun und schien angestrengt nachzudenken - oder zu pennen - als er Schritte vernahm. Sein Blick hob sich, wodurch sich die Haare wieder wie von Zauberhand in eine senkrecht vom Stirnband abstehende Position verwandelten, lächelte so warm, dass es beinahe schien als würde das Blitzen seiner Zähne den Schatten um ihn herum verdrängen und kam auf sie zu, die Hände in den Taschen vergraben. "Yo, Kabane-sama. Ich bin fertig", grüßte er mit einem Kopfnicken. Das grüne Auge wanderte an ihrem Körper hinab. Sie trug eine Winterjacke und einen Rucksack. Durchaus die passende Kleidung für einen solchen Ausflug - aber etwas körperbetont wäre ihm doch ganz recht gewesen. Wie auch immer. Jetzt wo es los ging, würde er ihr zeigen, dass er neben seiner umwerfenden Art, die sie ganz offensichtlich so sehr betörte, dass er schon beinahe abstoßend auf sie wirkte - schließlich war sie jemanden wie ihn nicht gewohnt! - auch eine gewisse Professionalität besaß. Jedenfalls würde er das versuchen...Wenn sie irgendwann nicht mehr an sich halten kann und sich in meine Arme werfen muss, kann ich auch nichts tun...

Unglaublich! Unglaublich unglaublich! Unglaublich, wie sehr dieser nervende Kerl nur sein konnte, während er gleichzeitig die Frechheit besessen hatte, vor ihr da zu sein – ein Frevel, für den sie ihn nicht mal maßregeln konnte und das obwohl sie so nett gewesen war, ihm sogar eine Maske zum Schutz vor der Krankheit mitzubringen. Einfach unglaublich war das!
Schnaufend warf sie ihm einen Mundschutz zu, während sie ihm ihren üblichen verachtungsvollen Blick schenkte. Immerhin diesen hatte er sich redlich verdient, nachdem er sie schon wieder auf so eine idiotische Art und Weise begrüßt hatte. „Yo, Kabane-sama. Ich bin so aufgeblasen, dass ich wahrscheinlich platzen würde, wenn man mich mit einer Nadel sticht!“ , äffte sie den Jungen in Gedanken nach. Vielleicht konnte sie ihm zumindest dafür eine verbale Ohrfeige verpassen. „Gewöhn dir das ab. ‚Yo‘ ist für kleine Kinder. Bist du ein kleines Kind, Souta?“ , fragte sie den Magier mit hochgezogener rechter Augenbraue und fuhr fort, ohne auf eine Antwort zu warten: „Nimm die Maske mit. Wir wissen nicht genau, was in dem Dorf abgeht. Wenn viele Menschen erkrankt sind müssen wir davon ausgehen, dass das, was dort umgeht recht ansteckend ist, also setzen wir die Dinger auf, bevor wir das Dorf betreten. Soweit kapiert, Einauge?“
Kabane seufzte leise. Wie sie diese Person überstehen sollte, war ihr noch nicht klar geworden, denn selbst wenn er nach ihrer Ansprache ab nun beleidigt die Klappe hielt, war ihr seine bloße Existenz so unangenehm, dass die junge Frau tatsächlich schon bereute die Maske weitergegeben zu haben, egal wie unmoralisch oder verwerflich solche Gedanken waren – selbst wenn er nützlich war, hatte er ihr noch keinen echten Grund gegeben, seine Gesellschaft auch nur in irgendeiner Weise gut zu finden. Genauer gesagt in gar keiner.
Ein weiteres Seufzen verließ die Lippen der Formwandlerin. Sie sollte sich wirklich nicht so viele Gedanken darüber machen, wie sehr sie ihn hasste. Viel vernünftiger wäre es einfach darüber nachzudenken, wie man ihn schnell und einfach wieder los wurde – zum Beispiel durch einen schnellen Abschluss der Quest. Folgerichtig war es das Beste, schnell zum fraglichen Berg zu kommen, um so schnell als nur irgendwie möglich mit dessen Besteigung zu beginnen und um schnell dorthin zu kommen, sollte man sich schnell auf den Weg dorthin machen. Das Schlüsselwort war klar: Schnell!
Also richtete Yureiko sich ein weiteres Mal an ihren nervtötenden Begleiter: „Wir sollten zum Bahnhof. Ich habe keine Lust erst zum Berg hingehen zu müssen, wenn wir sowieso noch raufklettern müssen. Also beeilen wir uns, ich möchte diese Sache schnell, sauber und ohne größere Zwischenfälle erledigen. Wehe, du fällst zurück.“ Nachdem sie diese Dinge ihrer Meinung nach ausreichen erklärt hatte, ging sie los, direkt in Richtung Bahnhof. Ja, Schnelligkeit war wirklich das Gebot der Stunde. Wie sehr die junge Kabane diesen Augenblick verabscheute!

Die Maske wurde aus der Luft gefischt, kurz betrachtet und dann in die Tasche gestopft. Viel interessanter war ihr Schnauben und der Blick, der ihn ereilte. Wenn Blicke töten könnten, dann hätte ich jetzt ein Problem. Doch die Abscheu schien fühlbar an einer Mauer aus purer Fröhlichkeit abzuprallen, als er ihr immernoch unbebrochen aus blitzenden Zähnen zulächelte. Die dunklen Schwaden der Unfreundlichkeit hatten keinerlei Chance gegen seine strahlende Präsenz. Selbst als sie ihn darauf hinwies, was sie von seiner Begrüßung hielt, zuckte er nur mit den Schultern. "Schadet doch niemanden, wenn er zu einem Teil noch ein Kind bleibt. Das hält jung und ist lustig!", meinte er kichernd, ein ehrliches Kichern, das tatsächlich von einem kleinen Jungen hätte stammen können, und fuhr dann fort, plötzlich mit einem etwas seriöseren Gesichtsausdruck: "Na ja, es wäre auch möglich, dass der Auslöser dieser Krankheit im Trinkwasser ist, oder durch verdorbenes Fleisch verbreitet wurde. Wir sollten uns auch genügend Reiseverpflegung besorgen, denn ich bin nicht gerade scharf drauf, auf halber Strecke den Berg hinauf zu krepieren weil das Wasser vergiftet war..." Selbst während er vom Sterben redete zog sich der Schatten eines Grinsens über sein Gesicht. Es schien nie ganz zu verschwinden, so ernst er sich auch gab. Kurz darauf seufzte sie zweimal, was ihm dazu veranlasste sie etwas genauer zu mustern. War sie jetzt von verbalen Attacken auf Resignation übergegangen? Oder schwitzte sie in ihrem schwarzen Pelzmantel? Wie auch immer - hoffentlich hatte er ihre Reizgrenze nicht schon überschritten, sonst würde der Trip nur halb so lustig werden...Nein, da sprach sie auch schon wieder. Er hatte kaum Zeit ihre Worte zu registrieren, da setzte sie sich auch schon in Bewegung, doch ein keckes "Was dann?" konnte er sich nicht verkneifen. Nicht, dass er vorhatte zurückzufallen. Er war sich sogar sicher, dass er ohne weitere Probleme ihr Tempo halten konnte. Bahnhof also. Die Aussicht des Zugfahrens schmälerte seine gute Laune ein klein wenig. Allerdings gab es ein Speiseabteil. Und wenn er schon im Dorf nichts zu beißen bekam, würde er sich da erst einmal den Bauch vollschlagen. Schließlich erwartete sie ein anstrengender Marsch...