Ein kleines Stück außerhalb Hargeon Town befindet sich ein großes Gebäude; es wirkt von außen wie ein großer, grauer Quader, dessen Länge seine Höhe weit überschreitet, welcher in der Farbe Grau zwischen dem Wildwuchs steht, um den sich keiner kümmert. Einige Ranken haben sich auch bereits um das Gebäude geschlungen, man erkennt bereits auf den ersten Blick, dass es schon vor Jahrzehnten aufgegeben wurde ohne irgendjemanden, der auch nur einmal Staub gewischt hätte. Abgesehen von ein paar Fenstern, von denen die meisten bereits kaputt sind, besitzt dieser Ort von außen keinerlei Zierden oder Auffälligkeiten.
Im Inneren sieht es schon etwas anders aus: Man erkennt einiges an Metall, große Klötze von Maschinerie, an denen Knöpfe und tiefschwarze Anzeigen zu sehen sind, und ein großer, roter Hebel an einer der Wände; man erkennt, dass das hier ein technologisch ausgerichteter Platz war. Zu jener Zeit, als Magie noch kein alltägliches Mittel war und Elektrizität den einzigen Weg zu irgendeiner Form von einem erleichterten Leben darstellte, waren Kraftwerke wie dieses unverzichtbar gewesen, um aufgebrauchte Blitzlachryma wieder zu stärken. Damals konnte man so am schnellsten Licht und Wärme erzeugen, doch inzwischen waren sie längst überholt und unbrauchbar, vollkommen unnötig geworden. Daran liegt es, dass auch hier drinnen der Zahn der Zeit zu sehen ist und neben der dicken Staubschicht, die alle Neuankömmlinge begrüßt, auch einige Defekte in den Anlagen zu bemerken sind; selbst, wenn man wollte, könnte man das Kraftwerk nicht einfach wieder in Betrieb nehmen. Andererseits... wer käme denn auch zu einem solch trostlosen Ort? Angeblich soll es sogar spuken...

Es war gegen Mittag, als kräftige, aber ruhige Schritte auf dem steinernen Grund des Hafens zum Halten kamen, nur wenige Meter vom Meer entfernt, und die große Figur, zu der sie gehörten, atmete einmal tief durch die Nase ein. Hach ja, diese salzige Hafenluft tat gut, vor allem, wenn das letzte Mal schon so lange her war... Wie lange noch gleich? Acht, zehn, zwölf Jahre? So genau wusste der junge Mann es gerade nicht, wann genau er diesen Ort verlassen hatte, doch sein Leben in Oshibana Town war ohnehin angenehmer, als es hier je hätte werden können. Dennoch stand er jetzt wieder hier, in der Tasche auf seinem Rücken neben ein paar Energieriegeln und anderen Kleinigkeiten zwei Bücher und einen Hefter voller von Hand übersetzter und restaurierter Schriften, mit denen er sich die letzten Monate über beschäftigt hatte. Mit den Dialekten umzugehen, die vor noch weniger als einhundert Jahren üblich waren, war nicht immer einfach, und auch die Spuren, die die Zeit auf den Papieren hinterlassen hatte, senkten die Zahl der Probleme damit nicht. Dennoch, und bei diesem Gedanken strich er sich selbstbewusst durch das weiße Haar, war er sich ziemlich sicher, die Pläne wieder in die Originalfassung bekommen und gut übersetzt zu haben. Langsam drehte er seinen Kopf, blickte mit einem Lächeln in das Gedränge hinter sich, als auch schon seine Begleiterin wieder auftauchte und zu ihm aufholte.
„Oh, Nia. Tut mir leid, war ich etwas zu schnell?“, fragte Emaru warm und hielt ihr die rechte Hand entgegen, die sie auch gleich ergriff. „Entschuldige, ich bin einfach etwas aufgeregt... war schon lange nicht mehr hier. Von jetzt an passe ich besser auf, versprochen.“ So hielt er weiter an ihrer Hand fest, während die beiden sich wieder auf den Weg machten, über die gefüllten Straßen Hargeons schlenderten, ohne jede Eile auf dem Weg in Richtung des Stadtrandes, um von dort aus zu dem verlassenen Kraftwerk zu gehen. Das war der einzige Grund, aus dem der Dargin heute hier war; er hatte von diesem Kraftwerk gelesen, und seit jenem Tag über Monate hinweg sämtliche Schriften und Informationen darüber gesammelt, die er in seine Finger hatte bekommen können, sich jede Mühe gemacht, alles umzuschreiben und zusammenzufassen, sodass er nun relativ sicher war, alles Nötige zu wissen, um die Technologie dort wieder zum Laufen zu bringen – in gewissen Maßen jedenfalls. Und um sein Wissen unter Beweis zu stellen, sicher zu gehen, dass er wirklich nützliche Informationen geschaffen und nicht seine Zeit verschwendet hatte, war er nun hierher gekommen. Genauer gesagt, hatte er sich eine Quest in der Nähe von Hargeon Town gesucht, doch diese war keine große Herausforderung gewesen... Zusammen mit Nia hatte er sich schnell um das kleinere Problem gekümmert, dann noch die Nacht in dem kleinen Dorf verbracht und heute früh waren sie dann hierher gekommen, sie hatte ihn sogar noch bereitwillig begleitet auf seinem Weg, und er war durchaus glücklich darüber, das Mädchen an seiner Seite zu haben. Wie schon ein paar Mal zuvor, glitt sein Blick über ihren Körper, während sie nebeneinander herliefen, um am Ende für einige Sekunden an ihrem Gesicht hängen zu bleiben. Sie war so fragil und zierlich, ohne jedoch schwächlich zu wirken, und wenn man wusste, wo man nachzusehen hatte, konnte man sehen, dass sie bereits auf dem Weg war, eine richtige Frau zu werden. Besonders ihr Gildenzeichen lud dazu ein, den ein oder anderen Blick darauf zu werfen. Doch auch ihr Antlitz war fesselnd, ihr Lächeln wurde von diesen hellrosa Lippen wunderschön in Szene gesetzt, und ihre Augen zogen einen richtig in ihren Bann, wenn man zu lange hin sah. Und erst ihre blonden Haare, die so perfekt zu fallen schienen... Genau die Art Mädchen, die in Blue Pegasus gehörten. Als er wieder nach vorne sah, war Emaru einen Moment lang irritiert, irgendetwas war anders als sonst. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er darauf kam: Er fühlte sich irgendwie anders. Hm... was ist das? Zuneigung? Nicht ganz... Eher Zufriedenheit, würde ich sagen. Zufriedenheit... merke ich mir.

Ein wenig planlos schlich Sylvana durch die Gänge entlang, vorbei an merkwürdig aussehenden Stahlkästen, toten Armaturen und Generatoren, die in der fast vollständigen Dunkelheit den Anschein machten, jeden ihrer Schritte zu verfolgen. Jeder Hobbypsychologe würde ihr jetzt vermutlich eine gewisse Paranoia attestieren, aber in dieser Hinsicht wusste es die Dragonslayerin besser. Es war einfach der Nervenkitzel, allein in diesem alten, verlassenen Kraftwerk herumzuirren, in der Hoffnung nicht erwischt zu werden und, was noch tausendfach wichtiger war, eine Möglichkeit zu finden, dieses Ding für einen kurzen Moment anzuschalten, um ein gutes Mittagessen zu bekommen. Gut, ihr Hauptbeweggrund war nicht ihr Hunger, der war mehr die positive Beigabe ihres Wissensdurstes, den sie hier stillen wollte. Ein Kraftwerk dieser Art wurde ja in ihrem Zeitalter nicht mehr benutzt und es interessierte Sylvana schon brennend, wie diese ganze Maschinerie überhaupt in der Lage war, Strom zu erzeugen – genügend, um zu damaliger Zeit Hargeon versorgen zu können. Es sprach zumindest dafür, dass hier viel Energie erzeugt werden musste, was ihren Hunger garantiert stillen würde. Gut, wenn sie ehrlich war, so hatten Neugierde und Hunger beide den gleichen Wert für sie. Hätte sie die Mechanik hinter der Erzeugung nicht interessiert, wäre sie für den Strom gekommen und hätte es keinen Strom produziert, so hätte die Mechanik ihr Interesse eingefangen. So konnte sie aber zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
„Verdammtes Scheißding!“ Oder vielleicht nicht, denn bei all den Schalttafeln, Knöpfen und Hebeln, die man hier finden konnte, reagierte auch rein gar nichts auf eine Aktion ihrerseits. Egal was sie drückte, umlegte oder auch trat regte sich nicht. Nur ihr Fuß pochte, nachdem sie den Kasten aus Metall getreten hatte. Seufzend schüttelte sie den Kopf, hob ihre Taschenlampe und schaute sich um. Egal, wohin sie sah, alles schien ihr fremd. Vielleicht hätte sie doch auf die anderen aus der Gilde hören sollen. Geh nicht, hatten sie gesagt. Das Kraftwerk ist nicht umsonst stillgelegt. Wirklich optimistisch war sie ja von vornherein nicht gewesen, immerhin war ihr diese Tatsache auch bewusst. Aber normalerweise gab es doch in jedem Kraftwerk sowas wie einen Hauptenergieschalter, welcher alles ein- und ausschalten konnte. Stellte sich nur die Frage, welcher der gefühlten tausend Schalter und Hebel diesen Zweck erfüllte und wo er sich zwischen all den Generatoren und Metallkästen versteckte.
„Einfach noch mal von vorne…“, murmelte die Dragonslayerin und machte sich wieder auf den Weg zum Eingang. Es half nichts, wenn sie einfach weiter wie bisher umherschleichen würde, sie müsste die einzelnen Schaltkonsolen und Hebeln chronologisch abgehen – egal, wielange es dauern würde.

Oh, was für ein wundervoller Tag es doch war. Nia hatte nicht nur ihre zweite Quest überhaupt am Vortag für ihre Gilde erfüllen dürfen, nein, jetzt gab es als Bonus auch noch einen rätselhaften Ort zu entdecken: ein Kraftwerk. Laut den Informationen, die sie vernommen hatte, handelte es sich dabei um eine Ruine aus längst vergessenen Zeiten, die in der Lage war irgendeine Art von Energie zu produzieren. Ein ganzes Gebäude voller Wunder also. Perfekt für die Mel Mata geeignet. Was war sie doch froh, als Emaru sie danach gefragt hatte, ob sie ihn dahin begleiten wolle. Über die Antwort auf diese Frage musste sie natürlich nicht nachdenken. Als wahre Archäologin durfte sie sich diesen Schatz einfach nicht entgehen lassen. Fast schon penibel hatte die Magierin heute also nochmal ihr Inventar überprüft, immerhin durfte doch nichts für diese Exkursion fehlen, nur um glücklicherweise festzustellen, dass alles an seinem angestammten Platz war. Lupe, Pinsel, Hämmerchen und verschiedene Meißel. Wer wusste schon genau, was man brauchen konnte? Deswegen führte Nia diese Sachen auch stets in ihrem Täschchen bei sich. Zu gern hätte sie noch etwaige Zusatzinformationen über ihren Zielort eingeholt. Der Dargin hatte aber immer bekräftigt, dass er alle nötigen Schriften schon bei sich führte, auch wenn er ihr diese noch nicht gezeigt hatte. Um aber nochmal speziell auf den jungen Mann an ihrer Seite zu sprechen zu kommen, er war wohl ein weiterer Grund für ihren derzeitigen Enthusiasmus. Eigentlich kannten sie sich noch nicht richtig, die Quest war ja schnell gelöst worden, und dennoch schien die Chemie zwischen ihnen einfach zu stimmen. Es fühlte sich für die Blondine einfach richtig an an seiner Seite zu laufen. Vielleicht lag es ja an der gemeinsamen Vorliebe für Bücher? Oder doch möglicherweise weil er ganz schnucklig war? Wahrscheinlicher war eine Vermischung von weitaus mehr Faktoren, die dafür zuständig war. Sie musste sich unbedingt mit dem Weißhaar unterhalten, aber erst später, denn momentan überdeckte ihr Archäologentick alle anderen Bedürfnisse.
"Nein, das ist schon in Ordnung." Leicht schnaufend hatte Nia aufgeholt und sich dem Tempo von Emaru angepasst. "Das Gedränge hier ist einfach etwas irritierend." Besser gesagt hatte sie sich dazu hinreißen lassen verträumt durch die Straße zu schlendern, weswegen sie ihren Partner kurz aus den Augen verloren hatte. Sie konnte die ganze Spannung schlicht nicht mehr aushalten. Am liebsten wäre sie wohl mit dem kurzen Sommerkleid, welches sie am Leib trug, herumgetanzt, hätte wildfremde Leute geküsst und dabei noch - schlecht - gesungen. Zum Glück konnte sie sich aber noch gerade so zurückhalten, obgleich ihr eine bestimmte Frage färmlich aus dem Mund quoll. "Wann sind wir da?"

„Nicht mehr lange, wir sind schon so gut wie da“, antwortete der Dargin freundlich. Er erinnerte sich nicht besonders gut an Hargeon; es war einfach viel zu viele Jahre her, dass er über diese Straßen gelaufen war, da spielte sein Gedächtnis kaum mehr mit. Aber dass die Hafenstadt einiges an Größe abdeckte, das dürfte als Allgemeinwissen durchgehen und war auch ihm nicht unbekannt. Der Hafen lag in etwa mittig, das Kraftwerk den Karten nach ein kleines Stück außerhalb... wie lange würden sie für den Weg brauchen? Zwei, drei Minuten? Oder doch eher fünf bis zehn? Kurz überlegte der Dargin; wie lange brauchte er von seinem Heim zur Gilde? Von der Gilde zum Bahnhof? Wenn die Hälfte der Stadt etwa so lang war wie der Weg von ihm zuhause zum Bahnhof mit dem Umweg über das Gildenhaus, und sie dann noch ein paar Minuten im Dickicht verloren... „Weißt du, Nia, vielleicht dauert es doch noch ein wenig, tut mir leid. Aber nicht mehr lange, versprochen.“ Entschuldigend lächelte er ein paar Momente auf das Mädchen hinab. Sie konnte es wohl kaum noch erwarten... und ihm ging es da ähnlich. Das Erweitern seines Wissens, das Ergründen der Geheimnisse dieser magischen Welt, das Sammeln von allem, was Vergangenheit und Gegenwart hergaben, um mit eigenen Händen am Schaffen der Zukunft beteiligt sein zu können... all das war wichtig, für ihn zumindest. In dem Moment, in dem etwas in Vergessenheit geriet, ging es für die Menschheit verloren, und wenn es Leute wie ihn und Nia nicht gab, die nach dem Vergessenen gruben, die das Wissen darüber erneut sammeln konnten, ehe es verloren ging, dann musste früher oder später der Tag kommen, an dem es gebraucht wurde, aber niemand es mehr beschaffen konnte. Apropos erweitern des Wissens... „Wenn wir schon gemeinsam unterwegs sind, können wir uns auch unterhalten, nicht?“ Seine Mundwinkel zogen sich wieder leicht nach oben. „Erzähl mir doch etwas über dich, Nia... Wo kommst du her? Was hast du gemacht, bevor du Magierin geworden bist, und warum bist du jetzt Mitglied bei Blue Pegasus?“ Ja, gemeinsames Reisen hatte etwas Angenehmes...

„Und... hier müsste es ungefähr sein.“ Kaum hatte der Magier das große Gebüsch umgangen, das auf ihrem Weg gelauert hatte, erblickte er den Koloss schon. Grau und mit klaren Konturen, nahezu vollkommen abgegrenzt von der wild wuchernden Natur um es herum: Das alte Kraftwerk von Hargeon Town. „Weißt du, das ist ganz interessant... früher waren diese Kraftwerke sehr wichtig, aber es gab nur ein paar wenige... Vier oder fünf Stück in ganz Fiore, glaube ich. Die Materialien, die für die Maschinerie gebraucht wurden, sind ziemlich selten, daher auch die Rarität dieser Einrichtungen. Da das hier das einzig erreichbare Kraftwerk für die größeren Städte war, waren Blitzlachryma früher das Hauptexportmittel von Hargeon, und sehr teuer.“ Während er auf die Tür zuging, ließ er den Rucksack von seinen Schultern in seine Hand gleiten, öffnete ihn, ohne stehen zu bleiben. Mit einem kurzen Blick auf die Tür stellte er fest, dass das Schloss offensichtlich schon nachgegeben hatte und sie sogar einen Spalt breit offen stand. „Gut, darauf hatte ich gehofft...“, sprach er, während seine freie Hand die Tasche nach den Plänen durchsuchte und er die Tür deshalb mit dem Bein aufstoßen musste. „Ich hätte die Tür ungern aufgebrochen... es ist zwar juristisch gesehen erlaubt und ich glaube kaum, dass ich größere Probleme damit bekommen hätte, aber wir sind immerhin hier, um Dinge zu reparieren und nicht, um mehr kaputt zu machen. Ich sage dir, ich schaffe es, das Ding wieder zum Laufen zu... Nanu?“ Irritiert registrierte der Magier ein paar Schuhe in seiner Sichtweite und kam abrupt zum Stehen. Etwas vorsichtig arbeitete sich sein Blick über die Beine, den Bauch und die schwer zu übersehende Brust nach oben, bis er plötzlich in das Antlitz eines dunkelhäutigen Mädchens sah. Was machte die denn hier? Und wer war das? Sollte dieses Gebäude nicht verlassen und menschenleer sein...?

Auch hier zeigte sich wieder, dass Sylvana den Orientierungssinn einer Nuss besaß, schaffte sie es doch auf ihrem Weg zurück zum Eingang zumindest dreimal den falschen Weg zu nehmen und zusätzlich noch einmal in einem großen Kreis gelaufen zu sein. Erst, als ihre Taschenlampe den Dienst quittierte und sie fast völlige Finsternis umhüllte, entdeckte sie den helfenden Hinweis, den sie benötigte. Ein kleiner Lichtspalt, welcher von der Eingangstür ins Innere des Kraftwerks drang – und er war nicht weit von ihr entfernt. Sylvana schlug ihre flache Handfläche gegen ihre Stirn. Hier war sie schon vorbeigelaufen und ihr war diese Tür nicht aufgefallen? Wirklich? Naja, konnte ihr jetzt ja egal sein. Bevor sie dieses beinahe schon antike Gebäude weiter untersuchen konnte, benötigte sie ein neues Blitzlacrima, Nun, eigentlich benötigte sie ja keins, hatte sie drei Lacrima dabei, welche diese Lampe für Stunden bis Tage am brennen halten konnten. Aber sie wollte diese hochgeladenen Energiekristalle nicht für so etwas Banales verschwenden. Immerhin waren das ihre Notrationen, falls sie mal wirklich zwei Monate ohne ein Gewitter auskommen musste. Für eine Taschenlampe reichte ein einfaches Blitzlacrima, welches man bei jedem Otto-Normalhändler in Hargeon finden konnte. War ja alles kein Problem, dass Kraftwerk würde nicht weglaufen und Zeit hatte sie zu genüge mitgebracht. Solange man sie nicht erwischte…
Genau in diesem Moment zeigte sich, dass das Schicksal doch einen Spaß daran hatte, mit der Dragonslayerin zu spielen. Mit einem Mal flog die Tür auf, das grelle Tageslicht schien ihr direkt entgegen, blendete sie für einen Augenblick. Nach einem Moment, in welchem sich ihre Augen dann von völliger Dunkelheit auf die jetzigen Lichtverhältnisse einstellen konnten, bemerkte sie, dass dort jemand stand. Um genau zu sein ein großgewachsener, weißhaariger Mann. Sylvana schluckte nervös. Seine Worte hatte sie nicht registriert, wäre sie dann nicht so unruhig, wie sie es in diesem Moment war. Im Kopf der Dragonslayerin machte nur gerade die Information die Runde, dass sie erwischt worden war und jetzt eigentlich schleunigst hier weg musste. Ganz langsam machte sie einen Schritt nach hinten, merkte dabei aber natürlicherweise nicht, immerhin hatte sie keine Augen im Kopf, dass dort ein etwas größeres Kabel auf dem Boden als potenzielle Stolperfalle lag. Kurz darauf nahm sie den zweiten, fatalen Schritt, zog ihr anderes Bein ebenfalls nach hinten, bis sie auf den Widerstand stieß und, mit einem überraschten „Kya!“ auf ihren Po fiel. Man konnte wirklich sagen, dass ihr in letzter Zeit ein wenig das Glück fehlte.

Die schnelle Antwort ihres Partnes beflügelte Nia nur noch mehr. Es dauerte nicht mehr lang und dann würde das Entdecken und Erforschen dieser großartigen, alten Technik anfangen. Ein angenehmes Kribbeln breitete sich schon in ihren Fingern aus, die es kaum abwarten konnten jene, mit Staub bedeckte, archäologische Schätze anzufassen. Sie konnte schlicht nicht mehr an etwas anderes Denken. Alles drehte sich nur noch um dieses mysteriöse Gebäude und dem, was sie damit vorhatte. Beinahe wäre die Blondine sogar den Rest des Weges auf einer Wolke dahingeschwebt, hätte Emaru mit seinen nächsten Worten ihren Optimismus nicht gebremst. Es dauerte doch noch ein bisschen länger? Sie sah in den Himmel und seufzte einmal kurz. Okay, das war gerade noch so zu verkraften gewesen. Auch mit einem längeren Fußmarsch, würden sie trotzdem noch ihren Zielort heute erreichen. Möglicherweise mussten sie die verlorene Zeit jedoch mit einer Übernachtung in diesem Kraftwerk kompensieren. Ja, das hörte sich nicht schlecht an. Dank 'Pillow' würde es auch einigermaßen bequem beim Schlafen dort werden. So gesehen war also alles wieder ins rechte Licht gerückt worden. Statt allerdings den Rest des Weges genauso in Gedanken schwelgend zu überwinden, konfrontierte sie das Weißhaar plötzlich mit mehreren Fragen. Sie kamen wirklich überraschend, wurden solche Unterhaltungen doch besser in geschlossenen Räumen gemacht, dennoch wollte Nia nicht unhöflich sein. Wenn sie etwas gefragt wurde, was nicht unbedingt zu privater Natur war, dann antwortete sie auch darauf. "Ähm.. ja.. warum nicht?" Sie wischte sich kurz mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte dann den größeren Magier an. "Ich komme ursprünglich aus Magnolia Town, habe mich der dortigen Gilde aber nicht angeschlossen, weil.." Die junge Magierin suchte nach Worten. ".. diese einfach nicht passend war. So bin ich dann zu Oshibana Town und auch Blue Pegasus gekommen. Unsere Gilde schien mir für meine Bedürfnisse deutlich besser geeignet zu sein. Und was ich davor gemacht habe..?" Nia tippte sich mit einem Finger ans Kinn. "Eigentlich.. nichts." Fröhlich lachend machte sie eine Drehung, bei der ihr Kleid in der Luft umherflatterte.

Als das Duo dann tatsächlich vor dem verfallenen Bauwerk stand, rückten wieder andere Dinge in den Vordergrund. Eifrig nickend saugte sie die Informationen auf, die der Dargin zum Besten gab, während er die Tür untersuchte. Offenbar war sie schon einmal geöffnet worden oder man hatte sie schlicht in diesem Zustand zurückgelassen. Es trennte sie also nicht mehr viel von der heiß erwarteten Vergangenheit. Etwaige juristische Fragen waren ihr dabei völlig egal. Selbst wenn sie sich mit dem Betreten des Kraftwerks zehn Verstöße einhandeln würde, so wäre diese Sache es immer noch wert gewesen. Allzu leicht öffnete sich schlussendlich das letzte Hindernis, die Tür vor ihnen, und gab einen ersten Blick ins Innere frei. Was die beiden dort jedoch entdeckten, gehörte nicht zu dem, was sie erwartet hatten. Genauer gesagt sahen sie eine große, dunkelhäutige Frau mit braunen Haaren und einem gewaltigen Vorbau, die nun auch noch eine Bruchlandung auf ihr Hinterteil machte. "Ähm.. hallo?" Nia streckte ihren Kopf durch die Tür und blieb sicherheitshalber noch ein paar Schritte zurück. Von der Person vor ihnen schien keine Gefahr auszugehen, aber wer sagte denn, dass sie allein an diesem Ort war?

Nun... das hatte Emaru jetzt sicher nicht erwartet. Es war vermutlich reiner Zufall, dass nach so vielen Jahren plötzlich zwei verschiedene Personen gleichzeitig auf die Idee kamen, diesen verlassenen Ort zu besuchen. Da der Dargin Nia mitgebracht hatte, waren es streng genommen sogar drei. Die Wahrscheinlichkeit war unberechenbar niedrig, also was konnte es sein; Glück, Unglück oder unbedeutende Begebenheit? Nun, was auch immer es war, würde sich sicherlich noch zeigen und war jetzt, in diesen Momenten, nicht von Relevanz.
Der Weißschopf nahm das Treffen allerdings wesentlich gelassener hin als das Mädchen, welches – vermutlich in einem Anflug von Panik – nach hinten zu entweichen versuchte und dabei eine unsanfte Landung auf ihrem Allerwertesten zu verzeichnen hatte. Aus Reflex suchte sein Blick kurz den Raum hinter seiner eigenen Schulter auf, stellte sicher, dass Nia noch gesund und unverletzt dort stand – auch wenn er nicht genau sagen könnte, warum so ein Blick notwendig gewesen wäre –, ehe er sich wieder der Fremden widmete; aber auch jetzt dominierte seine Ruhe alles. Zuerst führte er seine geplante Bewegung zu Ende, zog also mit der linken Hand endlich die beiden wichtigsten Pläne aus der Tasche, die er dann in einer fließenden Bewegung wieder auf seinen Rücken zurück beförderte. Erst danach zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf seinem Gesicht ab, und er machte ein paar Schritte auf die Schönheit mit dem tropischen Teint zu. „Vergib mir... habe ich dir einen Schrecken eingejagt?“, fragte er, während er ihr die freie Hand reichte, um den Prozess des Aufstehens zu erleichtern. Erst jetzt konnte er sie so richtig begutachten; sie war wirklich hübsch, mit ihrem Hautton, den glatten Haaren und den eisblauen Augen, die gerade so überrascht zu ihm aufsahen. Es war nicht ganz leicht, ihr Alter zu schätzen; sie könnte ebenso gut eine gut gewachsene Fünfzehnjährige sein wie auch eine sehr jung gebliebene Frau von 25 Jahren. Spontan schätzte er sie auf achtzehn, vielleicht neunzehn Jahre... Mit so einer jungen Person hatte er hier eindeutig nicht gerechnet. Andererseits, er war auch achtzehn und Nia sogar noch jünger, also wäre es wohl ziemlich unangebracht, etwas dazu zu sagen. „Ach ja... mein Name ist übrigens Emaru. Ich hoffe doch, ich sehe nicht zu gruselig aus.“ Seine Mundwinkel zuckten kurz auf über seinen kleinen Scherz, während er der Fremden wieder auf die Füße half. Irgendwie fragte er sich aber trotzdem, was sie hier machte...

Ganz langsam sickerten zwei Erkenntnisse zu Sylvanas von Panik erfüllten Verstand durch. Zum einen hatte sie sich gerade vermutlich ziemlich blamiert und zum anderen ging von dem weißhaarigen, jungen Mann nicht die Gefahr aus, welche sie noch eben vermutet hatte. Also hatte sie sich mal wieder völlig umsonst Sorgen um Nichts gemacht. Aber gut, war sicherlich besser, als wenn dieser weißhaarige Mann nun Mitglieder einer örtlichen Behörde wäre und sie festnehmen wollte. Immerhin hätte sie da sicherlich auch eine der berühmten Standpauken der Gildenmeisterin zu hören bekommen, auf die Sylvana gerne verzichten konnte.
„Nein nein, ich habe einfach ein wenig überreagiert. Eigentlich dürfte ich hier ja gar nicht sein.“ Mit einem leicht verlegenen Lächeln griff die Dragonslayerin dankbar nach der Hand des Mannes und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Alleine schien er auch nicht gekommen zu sein, registrierte Sylvana doch an der Tür den Kopf eines blondhaarigen Mädchens, welches neugierig in ihre Richtung schaute. Damit konnte sie sich jetzt völlig sicher sein, dass die beiden nicht von einer Behörde oder, was für Sylvana noch schlimmer gewesen wäre, von den Runenrittern waren. Dennoch… ganz gewöhnliche Passanten konnten sie auch nicht sein, sonst würden sie kaum aus eigenem Antrieb das Kraftwerk besichtigen wollen… Aber… Moment Mal! Wer waren sie dann und was wollten sie hier?!
„Emaru also… Nein, keine Sorge, dein Aussehen hat damit gar nichts zutun.“ Verlegen rieb sich Sylvana ihre Hand am Hinterkopf. „Aber ich sollte mich auch vorstellen: Mein Name ist Sylvana. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Emaru.“ Noch während ihres Satzes ging sie einen Schritt zur Seite, sodass sie den Kopf des Mädchens auch direkt ansehen konnte. „Dasselbe gilt natürlich auch für dich, junge Dame.“
Jetzt aber genug von den Vorstellungen, immerhin musste Sylvana schon herausfinden, was genau diese beiden Personen hierherführte. Und viel wichtiger war dabei, dass sie einen Weg finden musste, wie sie das Kraftwerk wieder zum laufen bekommen konnte! Seufzend schaute sie sich über die Schulter, ehe sie kurz mit ihrer flachen Hand den Staub von ihrem Hinterteil klopfte und ihr Top zurechtrückte. „Dürfte ich denn erfahren, was euch Zwei hier in dieses Kraftwerk führt?“ Kurz ging der Dragonslayerin ein ziemlich abwegiger Gedanke durch den Kopf, den sie auf gar keinen Fall aussprechen wollte. Aber etwas Plausibleres fiel ihr in diesem Moment nicht wirklich ein. Was sonst wollten denn ein junger Mann und ein Mädchen in einem verlassenen Gebäude machen? //Nein, das wollen sie garantiert nicht! Da wird ein anderer Beweggrund existieren!//

Von ihrer sicheren Position aus dem Torrahmen beobachtete Nia weiterhin das Geschehen vor ihr. Wie es sich herausstellte, war die südländisch wirkende Frau hier anscheinend alleine auf Erkundungstour. Auf jedenfall machte sich niemand im Hintergrund bemerkbar. Und wieso sollte sie dann auch nervös werden, wenn sie Besuch bekam? Da dieser Umstand also schonmal geklärt war, löste sich die Mel Mata von dem rostigen Tor und machte ein paar Schritte in den Raum hinein. Statt jedoch auf das Ansprechen von Sylvana zu reagieren, wurde ihre Aufmerksamkeit ganz von ihrer Umgebung aufgesogen. Die Blondine spürte fast die Magie, die in diesem Ort einst steckte. Es war ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Vielleicht sogar noch besser. Im Moment war nämlich nur ein kleiner Teil der Anlage beleuchtet. Wie wollte die Fremde nur diesen Ort erkunden, wenn sie nichts sehen konnte. Dem musste unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Ohne Umschweife tapste Nia noch etwas mehr in die Dunkelheit hinein, konzentrierte sich und ließ dann mit einer fließenden Armbewegung das magische Wort 'Light' vor sich entstehen. Es wurde mit einem mal deutlich heller.
Da dieser Sachverhalt also schonmal geklärt war, widmete sich die Magierin wieder der unbekannten Person. Es wäre ohnehin unhöflich gewesen sie noch länger warten zu lassen. "Freut mich ebenso eure Bekanntschaft zu machen, Lady Sylvana." Die Blondine deutete eine kleinen Verbeugung an. "Mein Name ist Nia Mel Mata. Den Namen meiner Begleitung kennt ihr ja bereits." Ihr Blick wurde kurzfristig wieder einmal auf die umgebende Kulisse gelenkt. "Was wir in diesem Kraftwerk vorhaben?" Die Magierin breitete schwungvoll ihre Arme zu beiden Seiten aus und begann sich zu drehen. "Wir sind gekommen um all dies zu erforschen, dieser Ruine neues Leben einzuhauchen und die Vergangenheit wieder lebendig zu machen." Im Taumel bewegte sich Nia zu einer der vielen, inaktiven Gerätschaften, legte ihren Kopf auf die staub und rostbedeckte Oberfläche und streichelte zärtlich über das Metall. "Shh.. bald wird es dir wieder besser gehen."