So gut es mit Freya im Schlepptau nun einmal ging, versuchte sich Miu langsam einen Weg durch das dichte Dickicht hindurch zurück zu ihrer Hütte zu bahnen. Während sie anfangs das Zerren und Ziehen von dem Mädchen ignorierte, war sie letzten Endes dazu gezwungen sich umzudrehen, als sich Freya aus ihrem Griff löste und Anstalten machte, sie nicht mehr weiter zu begleiten. Was sollte das? Erkannte die Kleine etwa nicht, dass sie so schnell wie möglich diesen Wald verlassen mussten? So schwer konnte sie doch gar nicht von Begriff sein, oder? Offensichtlich doch, denn die Magierin schien allen Ernstes einen Grund dafür haben zu wollen, der Kamui weiterhin zu folgen. Das konnte doch nicht wahr ein! Völlig perplex und vom Wind und Regen ganz zerzaust, stand Miu da, unwissend was sie nun unternehmen sollte. Warum war sie Freya eigentlich hinterher gelaufen? Wofür hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht? Für diesen Menschen? Die Schwertkünstlerin kam sich mit einem Schlag sehr dumm und einfältig vor und ihr Weltbild, in dem sie niemand anderem trauen und sich nur um sich selbst kümmern sollte, wurde gerade vehement bestärkt. Es war ja nicht so, als ob sie vor hatte Freya besser kennen zu lernen, sie war ihr nur hinterher gelaufen um sie zu beschützen und vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen. Aber auch wenn neunundneunzig Prozent der Menschheit diese Begründung gut genug gewesen wäre, so ahnte Miu doch, dass ihre Gesprächspartnerin nur erwidern würde, dass sie von jemandem wie Miu keine Hilfe brauche. Und dieser Gedanke machte sie rasend! Seitdem sie Freya getroffen hatte, machte das Mädchen nichts als Ärger. Tatsächlich kam Miu gerade der Einfall, ihre Begleitung einfach bewusstlos zu schlagen und selber nach Hause zu tragen, doch der Gedanke an die riesigen metallenen Fäuste, welche Freya einfach so heraufbeschwören konnte, behagte ihr nicht und ließ sie inne halten. "Also?", hakte Freya noch einmal nach und machte die Situation damit nicht besser. Wut brannte in Miu auf und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Was erlaubte sich Freya eigentlich? Dann soll der Blitz sie doch treffen..., dachte sich Miu und wollte sich gerade umdrehen um alleine weiter zu gehen, als keine zehn Meter hinter ihr wieder ein Blitz einschlug, der hell genug war um die Gesichtszüge der Magierin zu erhellen, die zu ihr empor blickte. Und als sich Sekunden später auch noch Zero auf Mius Schulter setzte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Diese ganze Situation erinnerte sie lebhaft an ein ganz anderes Pärchen, das sich vor einigen Jahren genau so in die Haare gekriegt hat. Hast du dich früher etwa auch so gefühlt, wenn du mit mir gesprochen hast... Mama?

Miu erinnerte sich. Früher, als sie noch jünger gewesen war, hatte sie es gehasst immer das tun zu müssen, was ihre Mutter von ihr verlangte. Es war ihr auf die Nerven gegangen wie ein kleines Kind behandelt zu werden, das keine Ahnung von der Welt um es herum hatte. Und so sehr sie ihre Mutter auch geliebt hatte, so konnte sie doch nicht leugnen, dass sie sich fast jeden Tag wegen irgendetwas gestritten hatten. Zwar hatte Miyuki ihr immer wieder gesagt, sie solle sich doch selber einmal in ihre Situation hineinversetzen, doch selbst wenn Miu das getan hatte, konnte sie die Beweggründe ihrer Mutter nie vollends nachvollziehen. Und auch wenn die Kamui meinte, Miyuki nach ihrem Tod ein wenig besser einschätzen zu können, so verstand sie doch erst jetzt, in diesem Augenblick, wirklich, was ihre Mutter gemeint hatte. Jetzt, wo sie Freya mit trotzigem Gesichtsausdruck und verständnislos vor sich stehen sah... jetzt verstand sie. Meine Mutter hat immer das getan, was das Beste für mich war, ganz egal ob ich es wollte oder es verstanden habe. Einfach weil... ich es nicht besser wusste. Und sie die Verantwortung übernehmen musste. Die Erkenntnis, die gerade auf sie eindrang, entspannte Miu ungemein und ihre Hände, die bis eben noch zu Fäusten geballt waren, lösten sich wieder. Sie wusste jetzt, wie sie mit Freya umzugehen hatte, wie sie das Mädchen wahrnehmen musste. Wie ein kleines Kind, das es nicht besser wusste und dem sie zur Seite stehen musste, selbst wenn sie ihr auf die Nerven ging. Denn höchstwahrscheinlich wollte Freya nicht einmal so sein, wie sie war... sie war es einfach. Und mit dieser Einsicht wählte Miu ihre nächsten Worte, sorgsam. So, wie ihre Mutter mit ihr gesprochen hätte. "Es ist gefährlich, wenn du noch weiter hier draußen im Wald herum läufst. Wenn es dir so viel Spaß macht Blitze zu beobachten, kannst du das auch von mir Zuhause durch das Fenster machen, aber nicht hier!". Die Kamui streckte ihre Hand aus und lächelte Freya entgegen, während sie die nächsten Worte, die sie sprach, direkt von ihrer verstorbenen Mutter übernahm. "Lass' uns gehen und nicht mehr streiten!".