Sehr gut, damit war Aurora nun ebenfalls am Start. Verwundert hatte dies den jungen Grynder jedoch nicht wirklich, er hatte schon damit gerechnet, dass sie auch einverstanden sein würde. Wie sie bereits sagte, jede Sekunde war wertvoll, denn sie wussten auch gar nicht, ob der Verschwundene überhaupt noch am Leben war oder nicht. Eine neue Hoffnung erschien in dem Gesicht des alten Hafenmeisters, während er seine Holzpfeife ausmachte und sie in einer seiner Taschen verstaute. "Sehr gut, dann bleibt zumindest noch etwas Hoffnung auf Rettung, vielleicht könnt ihr es ja tatsächlich schaffen. Dann auf, folgt mir zum Hafen, dort befindet sich mein Schiff." Auf dem Weg dorthin begann Aurora den alten Seebären weiter über den mysteriösen Velcan zu befragen, ihr Wissensdurst schien noch längst nicht gestillt zu sein. Dennoch eine gute Einstellung, je mehr sie über ihn wussten, desto besser und einfacher würde sich das Ganze erweisen. "Nun, Velcan soll mehrere große Parks besitzen, auf denen man für eine Stange Geld Jagd auf gefährliche und seltene Kreaturen machen kann, so weit ich gehört habe. Ich persönlich würde mir aber auch kein Geld von ihm leihen, ich weiß nicht. Aber so weit ich weiß kannte ihn Kyle, weshalb er sich letztendlich dazu entschloss, einen Kredit bei Velcan aufzunehmen." Stetig liefen sie weiter, während der Wind immer stärker wurde. Ganz feine Sache, und gerade sie mussten jetzt auf das stürmische Meer hinaus. Und das sogar noch schlecht bis gar nicht bezahlt, wenn man bedachte, dass die Familie ja wirklich bankrott hatte. Wahrscheinlich würden sie bei ihrem Glück noch ein paar Schuldscheine geschenkt bekommen, die sie dann ableisten durften. Würde Yuuki persönlich nicht wirklich verwundern. Mittlerweile wurde das Gespräch zwischen Evans und der Ilia weitergeführt. "Ich weiß es nicht, ich hatte noch nie mit ihm zu tun. Kyle ist die einzige Person, die ich aus meinem Umkreis kenne, die sich jemals Geld von ihm geliehen hat. Tut mir leid, da kann ich dir nicht weiter helfen." Bei diesen Worten bogen sie schließlich wieder am Pier ein und befanden sich am Hafen. Nach einigen Metern blieb der alte Hafenmeister stehen und zeigte auf eines der Schiffe. "Dort ist sie.", verkündete er stolz. "Die Sturmbrecher. Nehmt hinten Platz, ich befinde mich vorne und bereite alles für eine problemlose Fahrt vor." Daraufhin sprang er in das Schiff hinein und lief nach vorne, dennoch konnte ihn der Grynder aber auch weiter vor sich hinmurmeln hören. "Ziemlich harter Wellengang ... wird keine einfache Fahrt werden." Keine unbedingt erfreuliche Nachricht, wenn selbst ein erfahrener Seefahrer so etwas behauiptete. Das Ganze würde auf jeden Fall kein Zuckerschlecken werden.
Dann lag es nun an ihnen, Evan zu folgen, weshalb er es ihm nachmachte und aufs Schiff sprang. Im Gegensatz zum alten Hafenmeister, begab er sich jedoch zum Heck des Schiffes und nahm auf der einzigen Sitzgelegenheit platz, die ihm auf den ersten Blick ins Auge sprang: Einer Sitzbank für ungefähr drei bis vier Personen. Erschöpft ließ er sich in diese hineinfallen, als sein Medaillon laut gegen das Geländer schlug. Oh, zum Glück hatte er es jetzt gemerkt, während er es schön unter seinem T-Shirt verstaute, nicht, dass es noch aufgrund des Sturmes verloren ging. Das würde er sich auf keinen Fall verzeihen. Doch mit dieser Aktion schoss ein pochender Schmerz durch seine rechte Hand, was ihn über die vergangenen Stunden nachdenken ließ. Das schmerzende Handgelenk erinnerte ihn immer wieder an die Szene in der Bar und er war sich sicher, dass er es sich mindestens verstaucht hatte. Kein Wunder, das war schon ein wirklich harter Schlag gewesen. Wieder ein Grund mehr, welcher für das körperliche Training sprach, was er endlich mal durchziehen musste. Mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck fixierte er nun die Ilia, was jetzt? Sie würden hier bestimmt mindestens zehn bis fünfzehn Minuten verbringen, womit sollten sie sich die Zeit vertreiben?

Aurora setzte sich neben ihren rothaarigen Teampartner und blickte kurz aufs Meer hinaus, bevor sie sich diesem zuwandte. Ja, nun war wahrscheinlich an der Zeit, etwas zu tun, was sie noch nie gut gekonnt hatte und was in ihren Augen auch totale Zeitverschwendung war: Small Talk. Schließlich hatten sie wahrscheinlich ganze fünfzehn Minuten auf diesem Schiff und wenn sie nicht gerade um ihr Leben kämpfen mussten, dann war so eine Zeit wirklich lang. Lang und langweilig. Sie konnte auch nicht eine ganze Viertelstunde darüber philosophieren, dass der Name dieses Schiffes verdammt unkreativ war, aber dieses Thema hätte sie sicherlich nach wenigen Minuten dermaßen breit gedacht, dass sie danach in eine Art Starre fallen würde, so ähnlich wie ein Koma... Als Konsequenz daraus musste sie sich wohl oder übel mit der einzigen Person unterhalten, die sich hier auch nicht konzentieren musste: Yuuki. Nicht dass das ihr irgendwie unangenehm wäre, aber sie hatte nicht das Gefühl, dass der Junge so unglaublich gesprächig war - eine Eigenschaft, die sie irgendwie an ihm schätzte. Besser, als dass man irgendwo mit jemandem saß und eigentlich etwas lesen wollte, während sein Gegenüber einen vollquatschte, nicht? (Solche Leute waren echt zu bemitleiden, nicht?) Aber worüber sollten sie sich groß unterhalten? Das Wetterthema hatte sich wohl erledigt, sie beide wussten, dass es stürmen würde. Verdammt aber auch, dass keiner der beiden eine Magie beherrschte, die diesen Sturm irgendwie eindämmen könnte, so a la Windmagie oder so. Aber nein, das konnten die beiden wohl eher nicht. So gesehen konnte Aurora so verdammt wenig, dass es wirklich an ihrem Ego zerrte. Aber nun gut, ein Konversationsthema... wie wäre es zum Beispiel... mit diesem Medaillon, das Yuuki gerade unter sein Hemd gestopft hatte? Es war ihr schon aufgefallen, nachdem die beiden gegen den Lich gekämpft hatten, da hatte er es auch umgehabt. So gesehen hatte sie es eigentlich schon öfter erblickt, hatte sich aber noch nie besonders viel dabei gedacht. Zeit, mal ein wenig hinter die Kulissen zu schauen! "Sag mal Yuuki... was ist das eigentlich für ein Medaillon, das du immer mit dir rumschleppst? Was verwahrst du darin? Deine große Liebe oder so?" Sie hatte natürlich keine Ahnung, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte, vielmehr war es das typische Klischeebild. Wie der Magnetismusmagier darauf wohl reagieren würde?

Ja ja, hier zeigte sich wieder mal eines der vielen Talente, welche die junge Ilia besaß. Unter anderem bewies sie mal wieder ihr Feingefühl, was emotionale Sachen anging. Als hätten die beiden bei Derovs Frau nicht schon genug angerichtet. Dieses Mal hatte sie eine wirklich persönliche Frage einfach mal so aus dem nichts gestellt, mit einer Natürlichkeit, als ob man solch eine Frage jeden Tag beispielsweise seinen Nachbarn fragte. Kein Wunder also, dass der Verstand des Grynders ab diesem Moment an erst einmal blank war und er nur ausdruckslos nach vorne gerichtet schauen konnte. Was sollte er jetzt tun, was sollte er tun? Hierbei handelte es sich um eine spezielle Situation, denn einerseits hatte ihn Aurora gefragt – die bis dato die einzig wirkliche Person in seinem Leben war, die er als Freund betrachtete – und andererseits befanden sie sich auf hoher See. Nun ja, bald würden sie sich auf hoher See befinden, sobald der alte Hafenmeister startete und sie zur Insel rausfuhr. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte er sich einfach abgewandt und hätte den Fragenden oder die Fragende ignoriert. Oder unter anderem auch einfach so schnell es geht das Thema gewechselt, wenn er doch noch Lust aufs Gespräch hätte. Es schien also ganz so, dass es keine leichte Lösung für dieses Problem gab, denn sollte Yuuki seines übliche Masche abziehen, käme das nicht nur etwas komisch, sondern würde Aurora gewiss noch neugieriger machen und er konnte durchaus auf die Nachbohrerei ihrerseits verzichten. War es endlich an der Zeit, sich jemandem anzuvertrauen und dieser Person über seine Probleme und Ähnliches zu unterrichten? Wäre sein großer Bruder hier gewesen, so wäre dies alles kein Problem gewesen, denn dann hätte er sich einfach an ihn gewandt. Doch so wollte es das Leben nun mal nicht, also konnte man nichts dagegen machen.
Langsam aber sicher nahm sein Gesicht wieder einen normalen Ausdruck an, während er sich langsam zu dem Mädchen drehte, um sie anzuschauen. Gleichzeitig griff seine unverletzte Hand nach dem Medaillon und zog es wieder aus seinem sicheren Versteck heraus. Als er es ihr schließlich gemächlich und vorsichtig übergeben hatte, atmete er noch ein Mal tief durch, ehe er schließlich zu sprechen begann. Einerseits kostete ihn dies wahrlich eine Menge Überwindung, da er vorher noch nie mit irgendjemandem darüber gesprochen hatte, andererseits hatte sich so etwas wie ein Kloß in seinem Hals und ein Knoten in seiner Brust gebildet, die einfach nicht verschwinden wollten. "Sie starb vor über einem Jahr bei einem Häuserbrand ... und ich war nicht da, um sie zu beschützen." Bei diesen Worten schlug er mit seiner rechten Hand stark auf die Lehne, ehe ein stechender Schmerz durch diese fuhr. In diesem emotional aufgewühlten Zustand hatte er ganz vergessen, dass das rechte Handgelenk verstaucht war. Einmal, zweimal durchatmen, dann ging es wieder. "In Argeon Town hatte ich eine Spur gefunden, die sich dann aber als vorerst unzugänglich herausgestellt hat. Aber irgendwann werde ich die finden, die dafür verantwortlich sind, und dann ..." Genau, und was dann? Hatte er sich das auch wirklich gut durch den Kopf gehen lassen? Was würde er denn tun, sollte er erst mal diese Missetäter in die Hände bekommen? Sollte er seine gesamte Lebensexistenz aufs Spiel setzen, lediglich um seinen Rachgelüsten stattzugeben? Dann müsste er wohl oder übel auch Lamia Scale den Rücken zukehren, denn dort duldete man keine Verbrecher. Das würde sich einfach spontan ergeben, je nachdem, wie er in diesem Moment fühlte.

Ouh... hätte sie denn ahnen können, dass sie dermaßen ins Schwarze treffen würde? Sie hatte Yuuki bisher eigentlich als emotional recht stabilen jungen Mann eingeschätzt und nicht als jemanden, der irgendeine Art Trauma aus der Vergangenheit mit sich herum schleppte. Genau das schien aber der Fall zu sein, zumindest nach der doch recht heftigen Reaktion auf ihre Frage zu schließen. Nun - es war ja schon vorher klar gewesen, dass sie wirklich nicht besonders feinfühlig war. Aber das bekam man eben nicht mit, wenn man bei einem Vater aufwuchs, den die meisten nicht einmal zu duzen wagten, weil er ihnen ansonsten Gewalt antun könnte. In solch einem Umfeld lernte man eher, wie man sich durchboxte, als besonderen gesellschaftlichen Feinschliff. Verständlich, oder? Es war übrigens nicht sicher, ob sie nachgebohrt hätte. Vielleicht hätte sie sein Schweigen auch einfach akzeptiert, schließlich war sie es von ihm gewöhnt, zudem handelte es sich bei dem Rothaarigen um einen der wenigen echten Freunde, die sie hatte. Wahrscheinlich war sie einfach nicht gesellig genug, um gleich einen ganzen Haufen davon zu haben, aber wenn die wenigen so gute waren, dann brauchte man vielleicht auch nicht mehr. Dieser eine reichte ihr nun jedoch das Medaillon, von dem sie gedacht hätte, es habe eigentlich keine wirkliche Bedeutung und begann dann stockend etwas zu erzählen, von einer Person. Mit leicht zitternden Händen öffnete sie das Metall und was kam zum Vorschein? Das Bild eines Mädchens mit blauen Haaren und einem Ausdruck in den sanften Augen, der sicherlich ein wenig an Verliebtheit grenzte. Hatte sie also wirklich ehrlich Recht gehabt? Unglaublich. Und dieses Mädchen war also tot - und Yuuki gab sich die Schuld daran? Oder er gab sich eine Partialschuld, weil er es nicht hatte verhindern können. Aber trotzdem - wie konnte er sich denn sicher sein, dass jemand dieses ominöse Feuer gelegt hatte? "Wie kannst du sicher sein, dass das nicht alles nur ein Unfall war? Ich meine, Feuer brechen durchaus auch ohne Brandstiftung aus, oder?" Ein wenig leiser fügte sie hinzu: "Und dann? Was willst du tun, wenn du die Brandstifter gefunden hast - wenn sie denn existieren? Du weißt, dass Selbstjustiz nicht gerade erlaubt ist, oder?"

Wie Yuuki sich sicher sein konnte, dass es sich bei dem Ganzen um eine mutwillige Brandstiftung und nicht etwa um einen Unfall handelte? Die Antwort auf diese Frage war doch im eigentlichen Sinne recht simpel, denn auch er hatte im Nachhinein von den Brandstiftern gehört, die zu jener Zeit Hosenka Town unsicher gemacht hatten. Irgendwie war es ihnen gelungen – manche munkelten, dass sie dies mithilfe geheimer und verbotener Magie geschafft hatten – mehrere Wachtürme sowie einige Läden der Stadt anzuzünden. Diese Läden waren zudem keinesfalls willkürlich ausgewählt worden, jeder von ihnen hatte einen Besuch von einem hohen politischen Tier an diesem Tag gehabt. Zum damaligen Zeitpunkt hielt sich nämlich eine Delegation der Regierung in der Heimatstadt von Lamia Scale auf, was wohl diese Brandstiftergruppe angelockt hatte. Das Ganze hatte er übrigens vor nicht allzu langer Zeit herausgefunden. Vorher war es nicht gegangen, da er seelisch nicht einfach genügend gewappnet war, beziehungsweise Rizas Tod noch nicht mal ansatzweise verarbeitet hatte. Als es schließlich so weit gewesen war, hatte er sich an die Informationsbeschaffung gemacht und eben diese ganzen Fakten herausgefunden. Und eben aus diesem Grund konnte er Auroras Frage verneinen. "Als es passierte, gab es mehrere Brände in Hosenka Town. Mehrere Wachtürme sowie einige andere Läden wurden von einer Gruppe Brandstifter angezündet. Was sie jedoch damit bezwecken wollten, weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich es ja herausfinden, wenn ich diese Leute in die Finger bekomme, vielleicht werde ich es aber auch nie erfahren." So war das nun mal, diese Information lag nicht mehr in seiner Hand oder seiner Reichweite. Aber vielleicht bald ja, wer konnte das schon mit Bestimmtheit sagen. "Am Liebsten würde ich sie das Gleiche erleben lassen, was Riza durchgemacht hat ... damit sie einen kleinen Teil des Schmerzes kennen lernen, den sie durchgemacht hat ... den ich durchlebt habe ..." Ab hier brach schließlich die Stimme des Grynders ab und er musste mehrmals schlucken, um seinen Hals zu befeuchten. Warum war sein Mund jetzt nur so staubtrocken? Was nun? Er hatte alles gesagt, was es im Moment zu berichten gab. Aurora hatte ihn weder ausgelacht noch unter Druck gesetzt, ja sogar beim Fragen war sie relativ vorsichtig gewesen und hatte nichts von ihrem Anit-Talent bezüglich Empathie gebrauch gemacht. Das zeugte schon mal von den Mühen und der Rücksicht, die sie ihm gegenüber zeigte. Alles in allem hatte er also doch die richtige Entscheidung getroffen, als er sich entschlossen hatte, sich seiner Partnerin anzuvertrauen. Vielleicht konnte er ja mit ihr fortan anderer solcher Themen anschneiden.
Apropos Aurora, während er sie betrachtete und sein Blick zu ihrem Gesicht hochwanderte, sprang ihm plötzlich die ansonsten so gewöhnliche Augenklappe praktisch ins Auge. Was genau hatte sie ihm denn damals im Zelt nach der Schlacht mit dem Lich erzählt? Dass es Dinge auf der Welt gab, über die er am Besten nicht Bescheid wissen und in welche er sich nicht einmischen sollte? Nun, das würde man ja sehen. Er hatte gerade das Persönlichste von sich erzählt, da konnte man doch durchaus mit einigem entgegengebrachten Vertrauen ihrerseits rechnen, oder etwa nicht? Nun, ein Versuch war es ja wert, zudem es ein guter Grund war, von dem Thema Riza wegzukommen. "Hmm, warum verbirgst du denn eigentlich dein Auge? Um was handelt es sich denn bei diesem besonderen Grund, den du mir nicht verraten darfst oder willst?" Diese Frage wurde eher stockend gestellt, denn der Klos und die Trockenheit in seinem Hals waren noch nicht völlig verschwunden.

Gut, das stimmte dann wohl. Die Argumente, die der Junge für seinen Verdacht anführte, waren eindeutig schlagkräftig, denn so viele Feuer an einem Tag waren unwahrsccheinlich dem Zufall geschuldet. Außerdem schien es ja, als habe eer Beweise oder wenigstens Zeugenaussagen, die seinen Verdacht erhärten ließen. Dennoch schien es Yuuki emotional beinahe zu nah zu gehen. Wahrscheinlich hatte er sie wirklich gerne gehabt, dieses Mädchen in dem Medaillon, so gerne, dass ihr Tod ihn dermaßen mitnahm. Selbst wenn sie versucht hätte, ihn zu verstehen, dann hätte es wahrscheinlich nicht funktioniert, da sie selbst nie in einer solchen Situation gelandet war. Der einzige Mensch, der ihr viel bedeuten sollte, war ihr Vater und der würde schon nicht so schnell sterben, Unkraut verging nicht. Und vielleicht noch Yuuki selbst, der in der letzten Zeit zu ihrem besten Freund geworden war. Was würde eigentlich passieren, wenn sie sterben würde - schließlich hatte sie einen durchaus gefährlichen Beruf und war auch sonst nicht gerade mit den sichersten Dingen beschäftigt? Wer würde dann trauern? Selbst bei ihrem Vater konnte sie sich eine solche Gefühlsregung kaum vorstellen, auch wenn er ihr verbliebenes Elternteil darstellte. Wobei, verblieben war auch so eine Sache, da ihre Mutter unter Umständen noch lebte, auch wenn Aurora mit dieser Person nichts zu tun haben wollte. Sie sagte nichts mehr zu Yuukis emotionalem Ausbruch, zum einen, da wahrscheinlich jeder folgende Kommentar unangebracht wäre, zum anderen, weil sie damit nicht umzugehen wusste.
Dann aber fragte er von sich aus nach etwas, von dem er eigentlich gar nichts wissen durfte - ihrem Auge. Es störte sie, dass er es gesehen hatte, vollkommen ohne schützende Stoffschicht dazwischen, es war ein kleiner Moment der Schwäche gewesen, der nicht hätte sein sollen. Da war es nur verständlich, dass er nun mehr wissen wollte. Er selbst hatte gerade wahrscheinlich sehr viel von seiner inneren Beschaffenheit an sie verraten, also könnte man meinen, dass sie nun auch mit der Sprache herausrücken würde... aber sie konnte es nicht. Sie persönlich hätte es vielleicht getan, wenn nur sie selbst involviert wäre, aber ihr Vater hing da ebenfalls mit drin. "Wie du genau richtig gesagt hast, darf ich den Grund nicht mit dir teilen. Ich persönlich würde es vielleicht tun, aber andere Personen hätte da entschieden was gegen." Lüge, es musste Singular sein, da es nur ihren Vater gab. "Ich werde dir stattdessen etwas anderes erzählen, Yuuki. Etwas anderes über mich, das vielleicht ein wenig damit zusammen hängt." Sie räusperte sich und holte tief Luft, aber ließ sich nicht allzu viel Zeit, damit ihr Gehirn ihrer Zunge keinen Riegel vorschieben konnte. Sie erzählte ungerne etwas über ihre Vergangenheit, auch wenn sie ihren Vater ausließ blieb da immer noch ein weiterer belastender Faktor: Ihre Mutter. Sie durfte nichts über den Vater erzählen, also kam die Mutter dran, das war doch verständlich, oder. "Die Frau, die mich geboren hat... meine Mutter also... war eine Hure. Eine Frau die sich ihren Lebensunterhalt damit verdient hat, ihren Körper zu verkaufen. Mutter, sage ich - ist eine Mutter nicht eine Frau, die für ihr Kind sorgt und es am Leben erhält? Meine Mutter hat versucht mich umzubringen und schließlich hat sich mich in einer Tageszeitung vor einem Waisenhaus liegen gelassen. Es ist beinahe lächerlich, zu wissen, dass der eigene Name eigentlich von der Aurora kommt, die auf der ersten Seite behandelt wurde... Dabei kann sie nicht einmal schlecht ausgesehen haben, diese Frau. Violette Haare und ebensolche Augen muss sie gehabt haben - und wahrscheinlich war sie sehr schön. "War" ist auch gut. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt und ich weiß auch gar nicht, ob ich es wissen will, da ich nicht sicher bin, wie ich auf sie reagieren würde..." Siee scchluckte und drehte den Kopf leicht weg, sodass sie ihre Stiefelspitzen fixierte. Auch während sie geredet hatte, hatte sie Yuuki nicht einmal in die Augen gesehen - sie hatte nicht hinsehen können. Es war peinlich, solch eine Geschichte zu haben. Aber sie hätte schließlich nichts anderes auf seine Geschichte erwidern können. Sie konnte ihm wohl schlecht unter die Nase reiben, dass sie Lamia Scale von innen zerrütten wollte, oder?

Egal wie er es drehte und wendete, Aurora wollte ihm einfach nicht erzählen, was es mit ihrem verborgenen Auge auf sich hatte. Natürlich löste dies einen immensen Neugierigkeitsschub in ihm aus, der dazu führte, dass er sich die ganze Zeit über fragte, um was es sich wohl handeln konnte. Yuuki konnte sich nicht wirklich irgendetwas Gefährliches vorstellen, was ihn so sehr gefährdete, als dass er nicht darüber aufgeklärt werden konnte. Andererseits war er auch erst sechzehn Jahre alte, und auch wenn Magier in einer der renominiertesten Gilden Fiores, er hatte nicht unbedingt viel Erfahrung mit der Schlechtigkeit der Menschen oder der Unterwelt. Ehe er jedoch etwas sagen konnte, in dem Versuch sie zu überreden, schien sie zumindest gewillt, ihm etwas anderes über ihre Vergangenheit zu erzählen. Als sie nämlich mit der Erzählung begann, schloss er den soeben geöffneten Mund, um ihrer Geschichte zu lauschen. Wie sie bereits sagte, sie konnte ihm zwar nicht erzählen, um was es bei ihrem Auge ging, aber diese Geschichte schien jedoch wenigstens ein bisschen damit zusammenzuhängen.
Während Auroras Erzählung voranging, musste er darauf achten, dass ihm der Mund nicht aufklappte und sein Gesicht einen ungläubigen Ausdruck annahm. Der Grynder konnte gar nicht anders als die Ilia zu bemitleiden, wobei er sich jedoch überhaupt nicht vorstellen konnte, wie sich so ein hartes Schicksal anfühlen musste. Von der eigenen Mutter abgelehnt und weggeworfen ... wahrlich eine tragische Geschichte, ein Schicksal, dass er keiner anderen Person wünschte. So etwas gehört sich einfach nicht und seine Situation ließ sich in keinster Weise damit vergleichen. Zwar waren seine Eltern mittlerweile auch seit über 10 Jahren abwesend und er wusste überhaupt nicht, ob sie am Leben waren, doch erinnerte er sich an die Zuneigung, die ihm in seiner Kindheit zuteil geworden war. Das war etwas, das keinem Kind fehlen sollte und was man bestimmt nicht in einem Kinderheim entgegengebracht bekam, dessen war er sich sicher. Weiterhin bemerkte Yuuki auch, dass seine Partnerin überhaupt keinen Augenkontakt herzustellen vermochte. Woran das wohl lag? Hätte er raten müssen, dann hätte er auf jeden Fall auf Peinlichkeit und Scham getippt, den sie wohl in diesem Moment empfinden müssen. Vielleicht mit ein wenig Bitterkeit gepaart. Dennoch konnte er ihre Reaktion verstehen und nachvollziehen, sie musste sich wohl einen gewaltigen Ruck gegeben haben, ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen.
Hmm, aber was jetzt? Diese Frage schoss durch seinen Verstand in dem Moment, als die Ilia zu sprechen aufgehört und weggeschaut hatte. Sie hatte ihm soeben eine äußerst verwundbare Seite ihrerseits gezeigt, jetzt musste er lediglich zeigen, dass dies kein Fehler gewesen war und sie ihm vertrauen konnte. Nun, in der Theorie hörte sich das Ganze ziemlich einfach an, doch die Praxis sah dann wieder mal ganz anders aus. Wie man ja bereits gesehen hatte, konnte er nicht wirklich mit solchen Situationen umgehen, und auch in diesem Augenblick drohte sein Verstand blank zu werden. Oh nein, bitte nicht jetzt! Was tun, was tun? Genau, etwas sagen. Meistens sprach man doch mitfühlende Worte aus, damit sich der Gesprächspartner wieder etwas beruhigt. Das musste er tun ja. Einem Impuls folgend legte der junge Mann, völlig im Dunkeln gelassen über ihre wahren Intentionen gegenüber Lamia Scale , eine Hand sanft auf ihre Schultern und ... klopfte sie mehrmals beruhigend an. Zumindest erhoffte er sich diesen Effekt, man durfte ja nicht vergessen, dass es sich hierbei um einen empathischen Stein handelte. "Wenn du sie irgendwann aufsuchen willst und/oder meine Hilfe brauchst, für was es auch immer sein sollte, dann sag mir einfach Bescheid.", sagte er leise. Ja, das klang doch gar nicht schlecht, beinahe sogar mitfühlend. Wenn er noch ein paar Jährchen übte, hatte er diesen Trick bestimmt irgendwann raus. Doch es gab irgendetwas an ihrer Geschichte, das ihn stutzig machte, auch wenn er nicht sofort auf das kam, worum es sich handelte. Moment mal, sie hatte doch gesagt, dass ihre Mutter eine Hure war und sie vor einem Waisenhaus hatte liegen lassen. Aber was war dann mit ihrem Vater? Hatte es sich bei ihm etwa nur um einen Freier gehandelt, der seinen Spaß hatte haben wollen und sich einen Dreck um seine Tochter scherte? "Sag mal, kennst du denn deinen Vater? Wenn du in einem Waisenhaus aufgezogen wurdest, hattest du da überhaupt Kontakt mit ihm?"

Schlimm genug, dass sie Yuuki das über ihre Mutter erzählt hatte, nun fragte er auch noch weiter. Natürlich war das die logische Konsequenz aus dem allen, sie erzählte von ihrer Mutter, er fragte nach dem dazugehörigen Gegenpart. Na klar, Kinder entstanden nicht einfach so aus dem Nichts. Sie hatte irgendwie damit gerechnet, dass er nun nach ihrem Vater fragen würde, aber hatte dennoch an einem irrationalen Glauben geklebt, dass er es sein lassen würde. Es machte ihr nämlich keinen Spaß, zu lügen - besonders ihn anzulügen - aber er forderte es heraus. Sie konnte jetzt schlecht sagen "Ja, mein Vater hat mich als Kleinkind aus dem Waisenhaus errettet und mich dazu ausgebildet, eines Tages Lamia Scale zu zerstören. Übrigens handelt es sich bei ihm um einen der gefürchtetsten schwarzen Magier dieser Zeit, hier sind die Handschellen, viel Spaß beim Abführen.“, oder? Also, natürlich, sie könnte es sagen, aber damit würde sie sich nur selbst ins Fleisch schneiden. So ehrlich sie also zuvor gewesen war, desto mehr musste sie nun die Wahrheit abändern. Oder ausweichen, dann musste sie nicht ganz so viel Lügen erfinden. Schlussendlich kam es nur zu einem leichten Lächeln und einem kurzen "Nein." auf die Frage, ob sie ihren Vater kenne, denn wenn sie nun eine fiktive Person erfinden würde, würde sie sich wahrscheinlich im Geflecht ihrer eigenen Unwahrheiten verfangen und Yuuki würde es merken. "Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich weiß diese Person nicht einmal, dass sie ein Kind in die Welt gesetzt hat..." "Lüge. Diese Person weiß es sehr wohl und hat mir in etwa alles beigebracht, was ich weiß, hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Aber wenn ich nun eben das zugeben würde, würde Yuuki wieder nachfragen... und das kann ich nicht gebrauchen." Apropos Yuuki, hatte er etwa Fortschritte in Sachen "Wie drücke ich Empathie für meine Mitmenschen aus" gemacht? Zumindest der Versuch war unternommen worden und er war - das ließ sich nicht leugnen - sehr gut angekommen. Schließlich war nicht nur Aurora ein empathischer Stein, sondern alle Menschen, die mit ihr engeren Kontakt gepflegt hatten ebenso. Na gut, ihr Vater war sogar noch ein wenig schlimmer in der Hinsicht, aber was sollte es. "Danke aber auf jeden Fall für das Angebot, ich werde darauf zurückkommen, falls es nötig werden würde." "Was ich nicht annehme..."

Und von einem Augenblick auf den anderen war Yuuki klar geworden, dass Aurora noch ein härteres Leben gehabt hatte, als er zunächst angenommen hatte. Sie wusste nicht mal, wer ihr Vater war, und bei diesem konnte es sich um jede nur erdenkliche Person handeln, wenn man an den Beruf der Mutter dachte. Was sollte er denn jetzt machen? Sie in den Arm nehmen und trösten? Nein, das käme ziemlich komisch, zudem Aurora wirklich eine verdammt starke Persönlichkeit war. Sie hatte diesen Schrecken 15 lange Jahre lang überlebt, sie würde bestimmt nicht an der Erzählung daran zerbrechen. Da war er ja im Vergleich noch relativ gut dran. Aber nun gut, genug mit dem Selbstmitleid, hier ging es schließlich um Aurora. "Kein Problem, dafür bin ich doch da. Und wenn ich jemals etwas über deinen Vater in Erfahrung bringen sollte, werde ich dir Bescheid sagen. Sofern du ihn natürlich finden willst.", fügte er noch leise hinzu. In der Tat, er hatte einiges in Erfahrung bringen können. Einerseits sah Auroras Mutter ihrer Tochter selbstverständlich ähnlich, andererseits hoffte er, dass sie sich noch daran erinnern konnte, mit wem sie alles ... nun ja, gearbeitet hatte. "Selbstverständlich würde ich es auch verstehen können, wenn du ihn auch nicht sehen willst. War nur ein Angebot von mir." Ein aufmunterndes Lächeln begleitete diesen Satz, während er langsam seine Hand von ihrer Schulter zog und sie offen vor sie hinlegte. Natürlich, damit sie das Medaillon in diese legen konnte.
In diesem Augenblick kam der alte Evans an und schaute sie an. "Es kann losgehen, ich habe die Kleine zum Laufen gebracht. In zehn Minuten sollten wir die Insel etwa erreicht haben. Jetzt gibt es kein zurück mehr." Und es wurde auf jeden Fall höchste Zeit, denn es hatte zunächst einmal zu tröpfeln begonnen, ehe ein richtiger Sturm ausbrach. Grollender Donner ertönte und verschreckte die letzten Menschen und Tiere auf den Straßen der Stadt. Es würde knapp werden! "Bist du bereit?", fragte der Grynder die Ilia.

Jaja, das Medaillon. Sie betrachtete das Gesicht des Mädchens noch ein letztes Mal genauer, die freundlichen, offenen Züge, aus denen man dass reine Herz beinahe herauslesen konnte. Wie niedlich. Sie selbst hatte wahrscheinlich mehr Sünden vor, als dieses Kind überhaupt hätte begreifen können, sie war nicht so freundlich, nicht so verständnisvoll... wahrscheinlich war dieses Mädchen, von dem sie nur ein Foto kannte, bei weitem besser als sie. Nur, dass sie tot war, aber offenbar gab es noch Menschen, die sie am Leben hielten, in ihren Gedanken. Yuuki zum Beispiel. Irgendwie... mochte Aurora sie nicht, diese Blauhaarige, die so unschuldig aus dem vergilbten Foto herausblickte. Sie schien den Rothaarigen so zu bedrücken, dass er beinahe die Freude an seinem eigenen Leben verlor und das war nun wirklich nicht die Sache des Ganzen! Tote hatten tot zu sein, man konnte - wie in Cortas Fall - ihnen zwar gedenken, aber das eigene Leben so auf eine tote Person auszurichten... das war falsch. Vielleicht sollte sie dieses Medaillon einfach hochkant im See versenken, auch wenn Yuuki sie dann schlagen würde... Mist, das Ding war aus Metall, er würde es wieder haben, ehe sie blinzeln könnte. Widerwillig ließ sie die Kette durch ihre Finger gleiten, sodass das kühe Metall wieder auf Yuukis Handfläche landete. Und wieder fragte er, ob sie bereit war...
Urplötzlich packte sie den Jungen vorne am Kragen und zog ihn zu sich herüber, bis ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Wie oft musste sie es denn noch sagen? Sie hatte keine Angst, Angst war etwas für Schwächlinge! "Allerliebster Yuuki. Melancholisches Gelabere hin oder her, aber wenn du mich das noch einmal fragst, wirst du am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen!" Das bedeutete Ja. Natürlich war sie bereit, sie war immer bereit... also wirklich! Nicht dass sie ihn wirklich kalt machen würde, nur wenn er es noch einmal sagte, aber vielleicht war die Botscchaft denn nun durchgedrungen. Plötzlich lächelte sie und ließ ihn wieder los. Oh und schon wieder hatte sie gezeigt, wie unglaublich geschickt sie doch im Umgang mit anderen Menschen war... "Aber natürlich doch.", wiederholte sie die Antwort, diesmal, wie sie es normalerweise tat, wenn sie jemand fragte, mit dem sie nicht ganz so viel zu tun hatte. Sie hatte ihre strikte Tarnung bei Yuuki ja sowieso schon halb aufgegeben.