Magnus war sich sicher, dass Lia diese brenzlige Situation erkennen und einlenken würde.
Aber da hatte er sich wohl getäuscht. Anstatt einfach mit ihm den Laden zu verlassen und die Situation wieder in den Griff zu kriegen, schrie sie ihn noch mehr an. Er hatte das ganze doch gar nicht böse gemeint, aber diese Lia schien wohl alles als Angriff zu verstehen. Dabei wollte er doch einfach nur einen Menschen kennen lernen. Aber diese Erfahrung wird ihm eine Lehre sein. Er würde nie wieder jemanden ansprechen… jedenfalls nicht mehr so schnell.
Menschen haben einfach immer so schreckliche Eigenarten. Magnus wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ihn plötzlich jemand am Kragen packte. Der Buchhändler! Oh nein, jetzt war alles zu spät. In Schockstarre verfallen bekam Magnus gerade noch irgendwas von „so schnell nicht mehr blicken“ mit. Wie meinte er das? Er durfte also nicht mehr in die Buchhandlung? Aber wie sollte er dann überleben, geschweige denn endlich mal richtig kochen lernen? Natürlich wusste er eine Menge über Nahrungsmittel und kannte auch viele Rezepte. Diese jedoch in der Praxis anzuwenden, da haperte es noch gewaltig. Ohne professionelle Tipps eines geeigneten Buches würde er dies doch niemals erlernen. Und jetzt konnte er wohl wirklich lange Zeit nicht mehr nach geeigneter Fachliteratur Ausschau halten. Diesen erschreckenden Gedanken kaum fertig gedacht, stand er auch schon draußen vor der Tür. Neben ihm Lia, die anscheinend von einem weiteren Wutanfall heimgesucht wurde. Dies alles kam ihm wie ein böser Traum vor. Das passierte gerade doch nicht wirklich? Schon wieder brach Lia einen Streit vom Zaun. Jetzt gab sie also auch noch IHM die Schuld an diesem Desaster! „Ja genau Lia, ich hab mich natürlich selber angeschrieen, du standest nur brav daneben…!“, schnaubte er. Tausende von Wörtern und Sätzen sammelten sich in seinem Gehirn, die er ihr am liebsten alle gegen den Kopf geknallt hätte. Aber nein, Magnus schwor sich er würde sich diesmal nicht darauf einlassen. Wie war das noch mal, der Klügere gibt doch nach oder so. Außerdem war er jetzt völlig durcheinander und er wusste auch, dass sich Lia früher oder später nicht mehr mit Worten sondern eher mit Taten wehren würde. Er war sich sicher, dass in Lia sehr viel Aggressionspotenzial steckte, auch wenn sie rein äußerlich betrachtet wirklich gar nicht danach aussah, doch das kam ja schon bei der Sache mit der Tasche zum Vorschein. Das war eindeutig zu viel für einen Tag. „Weißt du…“, fing er an, konnte den Satz aber vor lauter Verwirrung in seinem Kopf nicht zu Ende bringen und setzte also noch einmal erneut an: „Das mit diesem Hausverbot macht mir wirklich zu Schaffen, Lia.“, er sah sie nun mit ernster Miene an. „Und dir bestimmt auch, deiner Reaktion nach zu urteilen.“ Nun machte Magnus eine kleine Pause, den Blick weiterhin auf Lia gerichtet. „Wieso lassen wir es jetzt nicht einfach gut sein?“

Er schnaubte zurück! ER SCHNAUBTE ZURÜCK! Er wusste tatsächlich nicht, wen er da vor sich hatte. Er hatte gar keine Angst vor ihr, obwohl sie ihn bereits angeschrien hatte. Die meisten junge Männer hatte das bisher total abgeschreckt. Und Lia hatte seine ironische Aussage sehr wohl verstanden. Machte er sich denn gerade über sie lustig? Das war doch zum Verrückt werden! Was sollte sie schon tun. Würde sie sich mit ihm anlegen und ihn ernsthaft verletzen, bekäme sie große Probleme mit der Gilde. Einen Kameraden zu verletzen, absolute Todsünde in Fairy Tail. Dort wurde der Zusammenhalt besonders hoch gewertet. Aber es wäre einfach zu schön, diesem Magnus mal zu zeigen, wo der Hammer hängt. Wütend blickte sie ihn an, war jedoch mehr als überrascht, als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruckerkannte. Oh Gott, nein. Bitte nicht! Nein, es war bereits unaufhaltsam. Stadium Nummer zwei holte Lia ein: Schulgefühle. Immer, wenn sie gerade jemanden angeschrien hatte oder sonst wie ihren Zorn gezeigt hatte, plagte sie kurz darauf ein furchtbar schlechtes Gewissen. Dieses arme, arme Würstchen! Wie es in die Bibliothek kam, nichts Böses ahnte und dann auf Lia traf! Sicherlich hatte sie seinen ganzen Tag völlig grundlos verdorben! Hauptsache, sie war zufrieden! Dieses selbstverliebte, egozentrische, gemeine Wesen! Warum war Lia nur so sehr.. Lia! Plötzlich setzte Magnus wieder zu sprechen an, was das Mädchen aus ihren Gedanken riss. Es machte ihm zu schaffen? War er denn wirklich so traurig deswegen? Oh Gott und sie war schuld! Was hatte dieser Magnus denn schon für ein Leben? Was konnte der schon? Bestimmt nicht viel. Daher hatte er nur seine Bücher. Und die hatte Lia ihm jetzt auch noch genommen! Allmählich füllten sich ihre grünen Augen mit Tränen. Der junge Mann schien das bemerkt zu haben, denn er redete irgendetwas von wegen ihrer Reaktion. Aber was interessierte es Lia, was der Buchhändler gesagt hat? Spätestens übermorgen stand sie wieder im Laden. Was Magnus dann vorschlug, hatte ihr Gewissen endgültig belastet: Es einfach vergessen. Er vergaß einfach alles, was sie verbockt hatte. Was für ein Engel! Einfach unglaublich, ein toller Junge! Und sie? Sie war nicht toll. Eine erste Träne lief über Lia’s Wange, gefolgt von einer zweiten. Ihre Unterlippe begann verdächtig zu zittern, während sie spürte, dass ihre Stimme sie jeden Moment verlassen würde. Doch bevor es soweit kam, hatte sie noch etwas zu sagen. Die hübsche Pinkette begann heftig zu schluchzen, ließ ihren Gefühlen nun freien Lauf und fiel Magnus förmlich um den Hals: „Vielen Dank, dass du so unglaublich... Verständnisvoll bist!“, ihre Stimme wurde von einem Schluchzen gestört, wieder überkam sie ein kleiner heulkrampf. Sie drückte sich fester an Magnus: „Und mir, mir tut es wirklich so leid, dass ich dir dein wahrscheinlich sowieso schon klägliches Leben noch unerträglicher gemacht habe!“ Im Ernst, diese Entschuldigung meinte Lia ehrlich! Nur wusste die Arme oft nicht, wie man so was am besten ausdrückt, ohne noch mehr Schaden anzurichten. Noch immer klammerte sie sich an Magnus, während sie heulte wie ein Schlosshund. Der junge Mann war sich doch hoffentlich bewusst, dass nur ein falsches Wort wieder dazu führen könnte, dass sie ihn erneut zornentbrannt anbrüllte..

Oh nein, was hatte er denn jetzt schon wieder gemacht. Gerade noch zornentbrannt stand Lia nun heulend vor ihm. Unbewusst legte Magnus sich die Hand auf die Stirn, als ob er so sein Denken unterstützen und auf den Grund kommen könnte, was hier eigentlich los war. War das alles nur irgendein Spiel, das nur Magnus nicht kapierte? Aber, das war doch unmöglich. Er stieg schließlich hinter jedes Rätsel, jede Regel und überhaupt alles. Nein, das musste wirklich echt sein. Ehe er sich versah, hängte die junge Dame auch schon um seinen Hals. „Oh mein Gott.“, dachte Magnus nur knapp und kippte von der Wucht dieser stürmischen Umarmung leicht nach hinten. „Oh mein Gott.“, wiederholte er in Gedanken. Er spürte wie sein Hemd langsam nass wurde und bis auf die Schulter durchfeuchtete. Jetzt weinte sie also auch noch auf seine Klamotten. „Hoffentlich ist sie nicht geschminkt“, ängstlich blickte er auf Lia hinab und sah schon einen riesigen nassen und mit schwarzen Fahrern übersäten Fleck auf seiner Schulter. Lia schluchzte irgendetwas in sein Hemd hinein, was er aber nicht verstehen konnte, da er immer noch viel zu vertieft in seinen zweiten Gedanken war: „Wie viele Bakterien werden jetzt wohl auf mich kriechen…“, er verzog sein Gesicht. Eigentlich hatte Magnus nichts gegen Umarmungen, aber doch bitte nur von Menschen, die er auch gut kannte. Das heißt, von denen er wusste, welche Krankheiten sie schon hatten und welche Kontakte sie pflegten. Von Lia wusste er gar nichts, bis auf die Tatsache, dass sie wohl ziemlich konträre Gefühle plagten. Als er jedoch den Geruch von Shampoo wahrnahm, beruhigte er sich wieder etwas. Wenigstens wusch sie sich. Jetzt konnte er sich auch wieder etwas mehr auf das konzentrieren, was Lia da in seine Schulter nuschelte, während er nun reflexartig ihren Rücken tätschelte. Schließlich weinte das arme Ding ja. Sein kurzzeitig aufkommendes Mitgefühl verflüchtigte sich allerdings bald wieder, als er verstand, was Lia da zu ihm sagte. „Klägliches Leben?“, stieß Magnus dann ungläubig aus. „Glaubst du wirklich, dass mein Leben kläglich und unerträglich ist?“, noch immer ruhte seine Hand auf Lias Rücken, als ob er sie dort vergessen hätte. Das Entsetzen und die Kränkung schwangen in seiner Stimme mit, auch wenn Lias Aussage gar nicht mal so falsch war. Sein Leben WAR kläglich. Doch wer gibt sowas schon freiwillig zu? „Ich denke, das können Sie nun wirklich nicht so einfach beurteilen, junge Dame.“, Magnus glaubte mit dem Sie könne er wieder etwas mehr Distanz zwischen beiden schaffen, er fühlte sich nun wirklich etwas beleidigt. Dies war allerdings ziemlich sinnlos, wenn man bedachte, dass er noch immer den Arm um sie geschlungen hatte.

Oh weh. Wenn Lia wüsste, dass sich Magnus allen Ernstes Sorgen darüber machte, ob das selbstverliebte Mädchen gewaschen ist, würde sie sich augenblicklich von ihm losreißen und ihn umhauen. Sie, das wohl eitelste Wesen in ganz Fiore, soll als nicht hygienisch abgestempelt werden? Wenn Lia wüsste. Auch, dass sich der junge Mann den Kopf darüber zerbrach, dass sein Hemd befleckt wurde, sollte der Magierin wohl eher nicht zu Ohren kommen. Dann wäre er nämlich sofort ein kalter Klotz, der sich rein gar nichts um seine Mitmenschen schert und Lia würde beleidigt von Dannen ziehen. Aber davon wusste das Mädchen ja nichts! Nein, stattdessen kümmerte sich der liebe Magnus um sie und tätschelte ihr sacht den Rücken. Wie lieb von ihm, dass er ihr Trost spenden wollte! Dabei hatte sie das doch gar nicht verdient, so, wie sie gerade mit ihm umgesprungen war. Beruhigt schloss Lia gerade die Augen, als die Ruhe eben so schnell wieder vorbei war. Was hatte er? Weil sie sein Leben als kläglich bezeichnet hatte? Naja, er schien wohl nichts anderes zu machen, als Bücher zu lesen. In der Gilde war er noch nicht lange und um Freunde zu haben, dafür schien er etwas zu anstrengend zu sein. Und Lia wusste, wovon sie sprach, denn sie war auch sehr schwierig im Umgang mit anderen Menschen. So wie es aussah, hatte sie richtig vermutet. Magnus passte es wohl nicht so ganz, dass sie ihn ein wenig schlecht gemacht hatte. Ohje, dabei wollte sie das doch gar nicht! Und wie er das sagte, so traurig und enttäuscht. Nein, nein nein! Warum ging das immer schief! Lia wollte ihm doch nur irgendwie verständlich machen, dass sie ihn verstehen konnte.. oder so etwas in der Art. Das sollte doch gar kein Angriff sein! Naja, aber dass man sich nicht gerade darüber freut, wenn das Leben als kläglich bezeichnet wird, soweit dachte sie nun auch nicht. Das Mädchen war eben eine ehrliche Haut. Auf seine Frage hin konnte sie Magnus nur verwirrt anblicken und ein: „Ähm..“, hervorbringen, doch was dann kam, brachte ihre Sprache wieder zurück. Junge Dame? Irgendwie klang das ein wenig herablassend, oder? Wollte er sich etwa schon wieder mit ihr anlegen? Dabei sollte ihm doch mittlerweile klar sein- „Nein, vielleicht wollte er das gar nicht. Schließlich hast du dich ja auch eben falsch ausgedrückt. Er will dich nicht kränken, Lia, er meint es nicht persönlich.. Denk an deinen inneren Frieden, du hast die Trilogie doch gelesen.“ Der Pinkschopf lehnte sich ein wenig in dem Arm des Mannes zurück, um ihn ins Gesicht blicken zu können. Losgelassen hatte sie ihn noch nicht, da sie in ihrem kleinen Wutschwall, der sie überkam, sich unbewusst in Magnus‘ Hemd festgekrallt hatte. „Kann ich nicht? Mag sein. Aber dann musst du mich auch vom Gegenteil überzeugen.“ Ein herausforderndes Lächeln bildete sich in ihrem Gesicht, während sie die grünen Augen des Mannes fixierte. „Was hältst du denn von einer kleinen Quest? Nur wir beide.“ Das Lächeln wurde immer breiter, bis es sich in ein Grinsen verwandelt hatte, mit einem Hauch von Arroganz. „Vorausgesetzt, die Leitung der Quest wird mir überlassen..“

Magnus bemerkte, wie sich Lia immer mehr in sein Hemd einkrallte. Was hatte sie denn jetzt vor? Schlug ihre Laune etwa schon wieder um? Oh nein, sie wollte ihm bestimmt das Hemd vom Leib reißen, um ihrer Wut Luft zu machen. Aber doch nicht dieses Hemd, er hatte es extra für seinen Buchhandlungsbesuch angezogen. Es war rot-grau kariert und passte Magnus wirklich gut. Er hatte es meist bei einem seiner Einkäufe an, denn man musste ja schließlich gepflegt auftreten und sich gleichzeitig in seiner Kleidung wohl fühlen. Wenn man sich nicht wohl fühlte, konnte man auch keinen brauchbaren Kauf erledigen. Das war … Einfach unvorstellbar eben! Und jetzt hieß es Abschied nehmen. Sein nahezu perfektes Einkaufshemd sollte also heute zum letzten Mal ausgeführt worden sein. Voller Angst sah er auf Lia hinab und bemerkte, dass sie ihn auch betrachtete. Noch immer hielt er den Atem an, doch es passierte nichts. Als sich Lias Griff wieder ein wenig lockerte und sie wieder den Mund öffnete, um, anscheinend, weiterzuplaudern, holte Magnus wieder erleichtert Luft. Er war dem Hemdtod also doch noch knapp von der Schippe gesprungen. Vielleicht hat sein Versuch, sie wieder zu siezen, Lia doch eher besänftigt als aufgeregt. Immerhin schwingt mit einem Sie ja auch immer ein wenig Respekt mit. Sie hatte das bestimmt erkannt und jetzt war sie wieder gut gelaunt. Ja genau, sie lächelte sogar! Und sie wollte von ihm, dass er ihr das Gegenteil beweist, davon, dass sein Leben nicht so kläglich war, wie sie dachte. Das gefiel ihm, sie ließ sich also doch nicht nur von ihrem ersten Eindruck leiten, sondern nahm sich reichlich Zeit um ihren Gegenüber zu analysieren. „Genauso, wie ich es auch immer mache..“, dachte er nun etwas glücklicher als zuvor. Und eine Quest war wohl genau richtig, um den anderen etwas besser kennen zu lernen. „Ja klar! Da bin ich natürlich dabei!“, stieß er sofort aus. Doch schon eine Sekunde später, bereute er diese schnelle Antwort. Sie sagte doch nur sie und er. Ganz allein. Aber was, wenn sie dann dort plötzlich einen schrecklichen Wutanfall bekam und ihm doch noch seine Kleider zerfetzte? Wenn noch jemand dabei wäre, dann gibt es wenigstens noch eine zweite Person, an der sie ihre heftigen Gefühle auslassen konnte. Aber wen kannte er schon? Würde ihnen nicht bald zufällig jemand über den Weg laufen, musste er es wohl oder übel allein mit ihr ausstehen. Jetzt konnte er nämlich auch keinen Rückzieher mehr machen. Magnus hatte ja schon eingewilligt und schließlich auch seinen Stolz. „Die Leitung der Quest kannst du haben. Dann lass uns doch einfach mal ins Gildehaus gehen.“, er wand sich nun vorsichtig aus Lias Griff. „Hoffentlich wartet irgendwo im Gildehaus noch eine Rettung auf mich…“, dachte Magnus etwas verzweifelt und lächelte Lia gleichzeitig selbstbewusst an.

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