Eines musste man der jungen Frau lassen. Sie war ziemlich hartnäckig und schien nicht daran gewohnt zu sein, dass man ihr widersprach. Diesen Eindruck hatte Maenor zumindest teilweise, denn Lia schien beinahe ein wenig traurig zu wirken, dass er sie nicht besuchen wollte. Sie musste aber verstehen, so gerne er sie auch besuchen würde, er konnte es nicht. Nicht unter diesen Umständen, immerhin wollte er weder sie noch ihre Familie in Gefahr bringen. "Vielleicht, unter anderen Umständen …" Aber daran wollte der Schwertkämpfer nicht nachdenken, diesen Luxus konnte er sich in diesem Moment leider nicht leisten. Auch über ihre Aussage wollte er jetzt nicht philosophieren, vielleicht war es das Beste und Einfachste, wenn er sie nur kurz mit seiner Anwesenheit belastete und sich untersuchen ließ, ehe er sich wieder aus dem Staub machen konnte. Zwei der vier Gegner waren schon ausgeschaltet, doch wie ging es nun weiter? Sofern er sich recht entsann, war einer der Agenten an ihm vorbei und auf die Valencia zu gerannt. Schnell wirbelte der Fice herum, um sicher zu gehen, dass es der jungen Frau auch sicher ging, und was er sah, ließ ihm den Mund aufklappen. Warum hatte er sich überhaupt Sorgen um sie gemacht? Wie sie hier abermals zeigte, konnte sie ganz gut auf sich alleine aufpassen, als sie den Angreifer mit einem Flammenstrahl erwischte und ihn damit auch außer Gefecht setzte. Den Titel eines Dragonslayers trug sie also wohl nicht ohne Grund. Mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht wandte sich Maenor schließlich dem letzten Gegner zu, der nach wie vor eifrig in den Lachrymakristall sprach. Ohne Zweifel berichtete er von den Geschehnissen hier und teilte den anderen Leuten vermutlich ihren Aufenthaltsort mit. Das war schlecht, sehr schlecht. Nicht auszudenken, um wie viel komplizierter das alles werden würde, wenn einer seiner alten Bekannten oder gar sein Bruder auftauchte. Nicht, dass der Fice Angst vor diesem hätte, er wollte einfach nicht gegen sein eigen Fleisch und Blut kämpfen müssen. Zudem er einfach nicht verstand, warum sein Bruder einen derartig großen Groll gegen ihn hegte, hatte er ihm doch nie etwas angetan, was das rechtfertigen würde. "… eine Lichtung in der Nähe von Magnolia Town, unweit auf der rechten Seite des Weges, Sir.", ertönte es vom Agenten. Verdammter Mist, damit war ihr Aufenthaltsort schon verraten worden! Jetzt galt es, den angerichteten Schaden zu minimieren. Mit einem weiteren Satz war der braunhaarige junge Mann an den Gegner herangetreten, wich dessen ungestümen Angriff aus und rammte ihm anschließend das Schwertheft in den Solarplexus. Keine Sekunde daraufhin brach der ältere Mann schon zusammen und ließ den Kommunikationslachryma auf den Boden fallen. Dort konnte man für einen kurzen Augenblick Aeros Gesicht sehen, ehe Maenor sein Katana niedersausen ließ, und das Gesicht seines Überwältigers entzwei teilte. Wie gerne würde er dies auch in Wirklichkeit machen, doch irgendwie bezweifelte er, dass er dazu überhaupt in der Lage sein würde. Sollte Aeros wirklich hier auftauchen, so konnte er genauso gut aufgeben. Wahrscheinlich hatten noch nicht ein Mal Lia und er zusammen eine Chance gegen einen Gegner vom Kaliber Aeros. Wie es mit Kyle und Zara aussah, das vermochte er nicht zu sagen. Seit ihrem letzten Treffen war beinahe ein ganzes Jahr vergangen und er hatte verdammt große Fortschritte hinter sich. Bestimmt hatten die Beiden auch keinen ruhigen Tag gehabt und gefaulenzt, sondern ihre Fähigkeiten verfeinert, doch das war sowieso abzusehen gewesen.
In diesem Augenblick trat Lia zu ihm, um sich zu erkundigen, wie es von nun an weiter gehen sollte. Das war in der Tat eine gute und vor allem berechtigte Frage. "Der Typ hier hat sofort verraten, wo wir uns befinden.", gab er von sich, während er den am Boden liegenden Agenten leicht mit seinem Fuß anstupste. "Auf jeden Fall müssen wir hier weg, und zwar schnell.", sagte der Fice noch, während man schon immer näher kommende Stimmen vernehmen konnte. Um keine Sekunde Zeit zu verlieren, agierte der Schwertkämpfer so, wie er es in diesem Moment für richtig hielt. Er ergriff die Hand von Lia und rannte scheinbar blindlings in den Wald rein. Sie mussten rasch Distanz zwischen ihnen und ihren Verfolgern bringen, denn nur so war ihnen eine glückliche Flucht sicher. Die Lautstärke der Stimmen nahm keinesfalls ab, was darauf hindeutete, dass man sie entdeckt hatte und jetzt auch noch verfolgte. Mit einem Mal hörte man ein Rauschen und Maenor bremste ab. Doch warum? Ganz einfach, noch einige Schritte weiter, und er wäre mindestens ein Dutzend Meter in die Tiefe gefallen. Ein reisender Fluss befand sich ganz in ihrer Nähe, der sich in einem Wasserfall in einen verdammt großen See ergoss. "Und was machen wir jetzt?", fragte Maenor Lia und schaute sie an. Sie mussten sich schnell entscheiden, denn ihre Hascher waren keinesfalls so nett, ihnen Stunden um Stunden Gedenkzeit zu geben.

Es war ja nicht unbedingt eine gute Nachricht, dass einer dieser verrückten Familienfanatiker bereits den Standpunkt von Maenor und Lia weitergefunkt hatte. Wie lange würden ihre Kumpanen wohl brauchen, bis sie hier ankommen würden? Gegen diejenigen, die hier waren, würden die beiden Magier schon Herr werden, egal wie anstrengend es werden würde. Doch auf was mussten sie sich gefasst machen, wenn Verstärkung hier auftauchen würde? Wie viele würden es sein? Welche Fähigkeiten hatten diese Leute? Würden sie stärker sein, als Lia und er? Ihre einzige Hoffnung war wohl daher die Zeit, welche sie eventuell noch hatten, um zu verschwinden. Das wäre am besten, wenn sie auf Nummer sicher gehen wollten. Auch Maenor schien diese Lösung des Problems am ehesten zu beharren, was er auch direkt aussprach. Tja, gesagt, getan! Ohne sie lange darauf vorzubereiten, ergriff er Lia’s Hand, was sie noch eine Sekunde lang stutzen ließ, und rannte mit ihr los. Und selbst in dieser stressigen Situation, in welcher die Gefahr auf sie lauerte, selbst da verdrehte Lia genervt die Augen, während er sie hinterher zog. Sie war vielleicht ein Mädchen, was nicht unbedingt so aussah, als würde sie sich durch die Wildnis kämpfen. Lia war rein äußerlich eher der Typ, der sich sorgen über abgebrochene Fingernägel machte oder sich Haarkuren auf den Kopf schmiert. Schön, das alles tat sie ja auch!! Aber trotzdem konnte sie sich selbst verteidigen, hatte zwei gesunde Beine zum Davonlaufen und brauchte keinen Aufpasser! Aber ganz ruhig, Lia, er meinte es bestimmt nur gut. Kein Grund, sich darüber aufzuregen, es sind rein gute Absichten, die der nette Chibi alias Maenor verfolgt. Allerdings schienen sie trotz dem schnellen Tempos nicht wirklich eine Chance zu haben, den nötigen Abstand zwischen ihnen und ihren Verfolgern herstellen zu können, um endgültig zu verschwinden. Aber mittlerweile waren es nicht nur deren Stimmen, welche die beiden Magier wahrnahmen. Ein lautes, bald schon penetrantes Rauschen unterbrach das Stimmwirrwarr. Ein reißender Wasserfall, welcher in einem schönen Waldsee sein ruhiges Ende fand, war die neue Geräuschquelle. Schweratmend blieben die beiden stehen, wie sollte es weitergehen? Auf Maenors Frage hin blickte sie um, ihre Verfolger hatten sie noch nicht entdeckt, jetzt oder nie! „Ich hoffe du kannst schwimmen, halt die Luft an!“, sagte sie noch hektisch, ehe sie ihn an her Hand mit sich zog und Lia sich selbst samt Chibi in die Tiefe stürzte. Am liebsten hätte sie geschrien, doch das würde sie verraten. Die Sekunden des Falls schienen ewig, bis sie die harte Wasseroberfläche durchbrachen. Ihr letzter Gedanke war, dass ihre Verfolger hoffentlich nicht gehört hatten, wie sie im Wasser aufkamen, doch der Wasserfall war laut genug. Reflexartig schwammen beide nach oben, um Luft zu holen. Das Wasser war kalt, unangenehm kalt. Doch da mussten sie einfach durch. Oben angekommen, blickte Lia Maenor entgeistert an, als würde sie selbst kaum fassen, was sie gerade getan hatten. Doch unweigerlich bildete sich ein Lächeln auf ihren Lippen, welches doch einen Blick nach oben unterbrochen wurde. „Runter!“, zischte sie bloß und schob ihn über die Schultern ins Wasser. Noch immer langen ihre Hände auf seinen Schultern, während sie ihm in das, durchs Wasser verschwommene, Gesicht blickte. Wie lange würden sie die Luft anhalten müssen? Besser noch: Wie lange würden diese Typen den See begutachten? Waren weiter rechts nicht Seerosen und Schilf? Dort könnten sie vielleicht unbemerkt nach Luft schnappen. Möglichst tief tauchte Lia mit Maenor im Schlepptau zu den vielen Pflanzen, bevor ihnen die Luft ausging.

Auch wenn er die junge Frau gefragt hatte, so hatte Maenor nicht wirklich erwartete, dass sie sich sofort in Bewegung setzen und handeln würde, sondern eher erst mal überlegen, welche Möglichkeiten ihnen noch blieben. Eigentlich hatte der Fice ja vorgehabt, die wenigen Sekunden, die ihnen noch blieben, ehe ihre Verfolger zu ihnen aufschlossen, dafür zu nutzen, um zu schauen, ob es noch andere Fluchtmöglichkeiten gab. Abgesehen von dem tiefen Sprung ins kühle Nass. Vielleicht, aber nur vielleicht, gab es ja eine andere Lösung, um sie heile hier rauszubringen. Aber leider hatte der junge Mann die Rechnung ohne das temperamentvolle Mädchen gemacht. Kaum hatte er ihre Worte vernommen, schon übte sie mehr Druck auf ihn aus und zog ihn mit sich. "Was? Warte mal, hab ..." Doch da war es schon zu spät, die Valencia war von der Klippe gesprungen und zog ihn mit sich. Anders als sie war es ihm jedoch nicht vergönnt, elegant ins Wasser einzutauchen, er machte einen Bauchklatscher mit voller Wucht und ging unter. Es war beinahe so, als ob er einen frostigen Tod starb. Das plötzliche Eintauchen in das Wasser fühlte sich dermaßen unangenehm an und es war einfach so verdammt kalt. Das gepaart mit dem Fakt, dass er voll auf die Oberfläche geklatscht war, führte dazu, dass ihm die Luft wegblieb und er panisch nach dem überlebenswichtigen Sauerstoff atmete. Unter Wasser ließ sich das jedoch nicht ganz so einfach anstellen, wie es sich sein Körper in diesem Moment wohl vorgestellt hatte. Das führte weiterhin dazu, dass er wild umherstrampelte und sich stark verschluckte. Zum Glück war er nicht so weit unter Wasser gesunken, sodass er hustend und prustend wieder auftauchte und endlich frische Luft einatmen konnte. Angst gehört zu werden brauchten sich die Beiden eigentlich nicht zu machen, da der laute Wasserfall all ihre Geräusche übertönte. Dennoch, es war immer besser, wenn man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnte und den Bogen überspannte. Je weniger Risiko sie eingingen, desto besser. Das wirkliche Problem war doch, dass sie gesehen werden konnten. Dafür brauchten ihre Verfolger nur über die Blicke auf den See zu schauen und schon würden ihnen die beiden schwimmenden Jugendlichen ins Auge springen. Diesen Gedankengang hatte wohl auch die Feuer Dragonslayerin, was zu ihrer nächsten Aktion führte. Ehe der Schwertkämpfer ihr nettes und überraschendes Lächeln erwidern konnte – immerhin waren sie gerade über ein Dutzend Meter in die Tiefe gestürzt, waren komplett durchnässt und froren bestimmt – tunkte sie ihn erneut unters Wasser. Kaum hatte er Luft geholt, wurde er weider unter die Wasseroberfläche gedrückt und anschließend angeschaut. Zumindest vermutete dies der Fice, da er Lia's Gesicht nicht wirklich durch das trübe Wasser erkennen konnte. Kurz daraufhin tauchte sie ebenfalls unter und dirgierte ihn in eine bestimmte Richtung. Was es da wohl gab? Nach einer guten halben Minute befanden sich die beiden Magier gut veredckt durch Seerosen und Schilf und vermochten aufzutauchen. Aber das Glück schien es endlich gut mit ihnen zu wollen, denn was Maenor beim Auftauchen erblickte, erfreute ihn ungemein. Dort, hinter dem Wasserfall und sicherlich nur aus ihrer Position heraus erkennbar, befand sich eine Höhle! Hey Lia, dorthin, gab er von sich und zeigte auf die Höhle, worauf er hin sofort wieder untertauchte und begann, in die Richtung zu schwimmen. Vor Wasser triefend, tauchten die beiden Jugendlichen auf und gelangten dank eines Felsvorsprungs in die Höhle, die einigermaßen weit in die Tiefe ging. Zu gerne hätte er gesehen, wohin der Weg führte, doch es war einfach zu dunkel, um wirklich etwas erkennen zu können. Zudem waren sie klatsch nass und würden sich bestimmt eine Lungenentzündung einfangen, wenn sie es nicht irgendwie schafften, ihre Sachen zu trocknen und sich zu wärmen. "Geht es dir gut?", erkundigte er sich bei Lia, kaum waren sie zur Ruhe gekommen. Nicht, dass sie hier verletzt war, dann steckten sie wirklich in der Patsche. "Wir müssen irgendwie einen Weg finden, unsere Sachen zu trocknen, nicht, dass wir noch unterkühlen. Aber es ist zu gefährlich, sich nochmals nach draußen zu wagen, Holz zu besorgen, dieses nicht nass werden zu lassen, um anschließend hier drinnen ein Feuer zu entfachen …" Inmitten seiner kleinen Rede starrte er wie gebannt die Valencia an, ehe der Groschen fiel. "Lia, könntest du nicht unsere Sachen mit deinem Feuer trocknen?" Sogleich begann er, sich oben herum auszuziehen und das Wasser aus seiner Kleidung zu wringen. Zwar zitterte er schon ein wenig aufgrund der Kälte, aber wenn er gleich wieder etwas Warmes und Trockenes zum Anziehen hatte, wollte er sich mal nicht beschweren.

Erleichtert tauchten Lia und Maenor zwischen den Wasserpflanzen auf und hatten das erste Mal Zeit, wieder ein wenig aufzuschnaufen. Allerdings machte das kalte Wasser ihnen allmählich ernsthaft zu schaffen. Die Kälte drückte so sehr auf die Brust, dass man gar nicht mehr sagen konnte, ob es nun wirklich so viel anstrengender über Wasser war, zu atmen. Aber immerhin war es ein Trost, zwischen all dem Grün nicht gleich erkannt werden zu können, dennoch, ewig konnten sie in dieser eisigen Brühe nicht bleiben. Das erkannte auch Maenor, fragend blickte Lia ihn an, wo wollte er hin? Er musste schon einen sicheren Plan haben, dass er nach so kurzer Zeit wieder das sichere Versteck zwischen Seerose und co. verließ. Es wurde immer schwerer, durch das eisige Wasser zu schwimmen, Lia bemerkte, wie ihre Glieder allmählich steif wurden und ihre Bewegungen im Wasser immer anstrengender wurden. Endlich erkannte sie, wo Maenor hinwollte. Eine Höhle, welche sie nicht nur aus diesem See holen würde sondern auch noch ein sehr gutes Versteck war. Die Magierin war sich ziemlich sicher, dass sie dort ein für alle Mal sicher sein sollten. Hoffentlich irrte sie sich nicht, denn so langsam hin ihr diese Verfolgungsjagd zum Hals raus. Natürlich machte sie Maenor keinen Vorwurf, es war absoluter Zufall, vielleicht sogar Schicksal, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort über den Weg gelaufen sind. Außerdem hatte sie ja keine Ahnung, dass er fast täglich mit solchen Problemen zu kämpfen hatte. Lia konnte sich selbst gar nicht einschätzen, hätte sie Maenor gemieden, wenn sie es gewusst hätte? Wahrscheinlich schon, egoistisch genug war sie eigentlich. Aber nun war es ja eh zu spät, also waren diese Gedanken auch hinfällig. Als sie bei der Höhle angekommen waren und hineinstiegen, entflammte Lia reflexartig ihre Hand, damit die beiden etwas sehen konnten. Für sie war es relativ einfach, was das Aufwärmen betraf, schließlich konnte sie das Feuer überall an sich entflammen. Auch die Kleidung würde bald trocken sein, da hatte es Maenor leider nicht so einfach. Seine Worte hallten durch die Höhle, obwohl er sie leise aussprach. Ebenso still antwortete Lia ihm: „Ja, mit geht’s gut. Dir?“ Als er von seinen Sorgen und Problemen erzählte, konnte sie nicht anders, als ihn mit hochgezogener Augenbraue anzulächeln. Er war anscheinend von der ganzen Sache noch ziemlich durch den Wind, was durchaus verständlich war, dass er erst gar nicht bemerkte, dass die Wärmequelle samt Feuer vor ihm stand. Als der Groschen fiel, formulierte es noch seine Bitte, welche Lia nun im Voraus schon klar war. „Das lässt sich schon einrichten, aber lass wenigstens ein bisschen was noch an.“, antwortete sie mit einem schiefen Lächeln, dass ihr etwas unwohl war, dass er sich sogleich auszog, zeigte sie nicht. Stattdessen formte sie ihre Hände zu einer Schale, um Problemlos eine größere Flamme erzeugen zu können. Das strahlte eine unglaublich angenehme Wärme aus und schon bald hörten beide das Zittern auf. Als sich die Magier von dem her wieder beruhigt hatten, fragte Lia in die Stille hinein: „Glaubst du, wir haben sie abgehängt? Wie lange werden wir uns wohl hier verkriechen müssen, um sicher zu gehen, dass sie weg sind..“ Irgendwie machte die vorherige eisige Kälte und die nun darauffolgende, wohlige Wärme unglaublich müde. Angestrengt musste Lia einige Gähner zurückhalten, irgendwann hockte sie sich auf den Höhlenboden. Sie würde sicherlich noch eine Weile das Feuer brennen lassen können, es sei denn, wie würde einschlafen. Dabei wollte sie das gar nicht, sie wollte gefasst sein, falls sie entdeckt wurden! Müde versuchte sie, ein Gespräch zu beginnen, um sich wach zu halten. Blöderweise fiel ihr dabei kein besseres Thema ein, als: „Wie lange kennst du Seraphim eigentlich schon? Lange genug, um mit Sicherheit gewisse Anschuldigungen aussprechen zu können?“

Kurz, nachdem Lia fertig gesprochen hatte, erntete sie einen etwas verwirrten Blick seitens des Fice. Ja klar, er wollte sich hier schließlich nicht komplett vor ihr ausziehen. Sah er etwa so aus, als ob er über eine exhibitionistisches Ader verfügte und es ihn ansprach, sich vor anderen Leuten auszuziehen? Natürlich war dem nicht so, vielmehr schämte er sich sogar ein bisschen, seine Kleider vor dem Mädchen ausziehen zu müssen, aber was getan werden musste, musste eben getan werden. Da seine ganzen Sachen triefend nass waren und er vor Kälte schon zitterte, war es nur noch eine Frage der Zeit, ehe er sich eine schwerwiegende Erkältung einfing. Das würde praktisch sein Todesurteil bedeuten, da er seinen Verfolgern auf diese Art und Weise nicht mehr entkommen und man ihn wohl ziemlich mühelos überwältigen konnte. Doch nicht all seine Gedanken gab der junge Mann laut preis. "Sobald meine Sachen wieder getrocknet sind, ziehe ich sie auch wieder an, keine Sorge." Bis dahin würde sie wohl oder übel damit leben müssen, dass er sich in der Höhle halb nackt befand. Aber hey, was war denn schon der große Unterschied dazu, wenn sie zu einem Badesee oder Schwimmbad gegangen wäre? Dort befanden sich ja schließlich auch halb nackte Menschen und einen so großen Unterschied zwischen einer Badehose und einer Boxershorts gab es nicht wirklich. Das war durchaus eines der größten Mysterien der Frauen, sie hatten nichts dagegen, ihren Körper in einem Bikini preiszugeben, doch wehe einer erwischte sie nur in Unterwäsche. Im Grunde genommen gab es auch nicht unbedingt viel Unterschied zwischen beiden Erscheinungen, doch trotzdem galt das eine als in Ordnung, während es das Andere nicht war.
Währenddessen wärmte sich Maenor an der großen Flamme der jungen Frau und bedachte sie mit anerkennenden Blicken. Wie ungemein praktisch so eine Magie war, vielleicht sollte er ja selbst den Weg des Elementarmagiers gehen. Sich eines Elementes der Natur bemächtigen zu können, war schon eine ziemlich feine Sache. Sollte er sich jemals in der Wüste befinden und nichts mehr zu trinken besitzen, so konnte er sich beispielsweise mit Hilfe von Wassermagie einfach eigenes Wasser beschaffen. Und es gab ja noch viele andere Elementarmagien, welche die unglaublichsten Fähigkeiten bargen. Dafür mussten sie es aber erst mal hier raus schaffen und ihre Verfolger abhängen. Und auch erst wenn er seine Ausbildung in der Kunst der Klinge vollendet hatte, würde er sich dem Erlernen einer anderen Magie widmen. Die nassen Sachen des braunhaarigen Jungen waren auch wieder komplett getrocknet, sodass er sich wieder anziehen konnte. Ach, war das ein gutes Gefühl, trockene und warme Kleidung anzuhaben. Da machte es auch gleich viel mehr Spaß, sich zu unterhalten, was sich sogleich in seiner erhöhten Gesprächsbereitschaft widerspiegelte. "Das kann ich dir nicht mit voller Gewissheit sagen, aber ich glaube nicht, dass sie so einfach ausgeben werden, nachdem sie uns so nahe waren. Vielleicht sollten wir uns ein wenig ausruhen, ehe wir die Höhle erkundigen?", fügte er hinzu, nachdem er Lia hatte gähnen sehen. Womöglich führten die dunklen Gänge ja zu einem geheimen Ausgang, aus dem sie ungesehen verschwinden konnten? Bevor sie das nicht auf eigene Faust herausfanden, würden sie es auf jeden Fall nicht wissen. Und letztendlich kam man auf das alte und sehr gut bekannte Thema, über das der junge Fice eigentlich nicht unbedingt reden wollte. Warum kommt sie nur immer wieder auf diesen ollen Schleimbeutel zurück? Vielleicht hatte sich die Dragonslayerin ja tatsächlich in ihresgleichen verliebt und zweifelte deshalb derart an seinen Worten. Wenn man sich die Situation genau ansah, stand sein Wort gegen das des Ikarus. Wem die Valencia wirklich Glauben schenken würde, das konnte der Schwertkämpfer überhaupt nicht voraussagen. Eines stand aber fest, sie glaubte ihm nicht wirklich oder vertraute ihm nicht genug, sonst würde sie nicht immer wieder ihren Liebsten ins Spiel bringen. Vielleicht sollte er sie ja einfach den Fehler machen lassen, dann würde sie schon erkennen, dass er recht gehabt hatte. Mehr als ihr immer wieder davon abzuraten und die Wahrheit über Seraphim zu erzählen konnte er einfach nicht machen. Mit einem müden Seufzen lehnte er sich an die Wandgegenüber der jungen Frau und blickte die Decke der Höhle an, ehe er zu erzählen begann. "Ich kenne Seraphim nun schon seit gut einem Jahr. Bisher bin ich ihm weniger als eine Handvoll Male über den Weg gelaufen, doch diese wenigen Treffen reichten schon aus, um zu erkennen, wer er wirklich ist. So weit ich das beurteilen kann, ist er ein manipulativer Aufreißer, der sich nicht zu schade ist, andere unter Druck zu setzen und sie zu erpressen, um das zu bekommen, was er will. Aber wer weiß...", fuhr er fort, während seine Stimme vor Sarkasmus troff. "Vielleicht ist er ja wirklich an dir interessiert und will nicht mit dir spielen. Das wirst du selbst herausfinden müssen, wenn du mir nicht glaubst. Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist und du das Ganze schließlich als einen großen Fehler erkennst. Hat er sich mit dir seit dem Ereignis in der Zukunft eigentlich in Verbindung gesetzt?" Nicht, dass ihn das wirklich interessierte, aber so schnell wollte der Fice das Gespräch nicht enden lassen.

Das war wirklich zum Haare raufen, diese ganze Geschichte mit dem weißhaarigen Magier. Einerseits konnte man sich ja oft auf den ersten Eindruck, welchen man von einer Person hatte, verlassen. Denn auch wenn Maenor ihn noch nicht oft getroffen hatte, so reichte dies anscheinend wirklich aus, um sich eine ordentliche Meinung über Seraphim zu bilden. Nur war es leider so, dass beide Parteien einen grundlegend verschiedenen ersten Eindruck von dem Guten hatten. Denn während Maenor ihn auf den Tod nicht ausstehen konnte, war Lia zuerst hin und weg gewesen. Tja, bis der Schwertkämpfer ihr plötzlich Dinge über ihn erzählte, die so gar nicht in ihr Bild von Seraphim passten. Letztendlich würde es schwierig werden, das herauszufinden, wenn jeder sich nur auf seine Meinung versteifte, denn so richtig kennen tat ihn ja eigentlich niemand, schließlich hatten sie nun auch nicht so viel Kontakt zu ihm gehabt. Trotzdem, Maenor schon öfter, als Lia selbst. Und sein Sarkasmus war ihr nun auch nicht entgangen, als er davon redete, dass der Dragonslayer sie vielleicht tatsächlich gern haben könnte. So abwegig war das für Lia ja auch nicht, schließlich wusste sie, dass sie sehr gut aussah und des Öfteren schon einen positiven Eindruck beim anderen Geschlecht hinterlassen hatte. Nur musste der Pinkschopf einsehen, dass sie nicht die einzige junge Frau auf der Welt war, die ein hübsches Gesicht und eine tolle Figur hatte. Daher war es genauso gut möglich, dass sie für Seraphim letztendlich dann doch nur eine von vielen gewesen war. Und das war nun einmal nicht das, was sie wollte. Trotz der dominanten, manchmal etwas schroffen Art träumte sie eben doch heimlich von dem Ritter auf einem weißen Ross, der nur Augen für sie hatte. Und zwar für immer! Naja.. zumindest, solange sie ihn wollte. Seine lange Ansprache über Seraphim quittierte Lia nur mit einem nachdenklichen „Mhm!“, ehe sie sich abwand und über all das nachdachte, was hier bereits niedergeschrieben wurde. Doch schließlich stand da noch eine Frage im Raum, deren Antwort sie Maenor selbstverständlich nicht vorenthalten wollte. Sie setzte sich ein wenig auf, streckte sich kurz und ließ sich wieder langsam gegen die Felswand hinter sich fallen. „Selbstverständlich nicht! Das ist ja auch erst ein paar Tage her und ich wollte sowieso erst diesem Yuuki den Ring bringen. Außerdem..“ Sie schürzte die Lippen und blickte schräg nach oben. Argh, sie wollte es ja nicht vor Maenor zugeben! Aber sie hatte bereits angefangen, den Satz zu sprechen. „Außerdem bin ich ja nicht sicher, ob ich ihm überhaupt nochmal über den Weg laufen will, klar?!“, giftete sie ihn grundlos an. Es war schon schlimm für Lia, jemandem indirekt sagen zu müssen, dass man ihm Glauben schenkte, obwohl man sich selbst doch so sehr wünschte, dass der andere Unrecht hatte. Nicht, weil man einfach recht haben wollte, sondern weil es einfach schön wäre, wenn Seraphim wirklich auf dem weißen Ross angeritten käme. Aber das würde er nicht, damit musste Lia sich abfinden. Ungewollt seufzte sie auf diesen Gedanken hin und murmelte: „Es tut mir leid, ich vergreife mich ständig im Ton. Darunter müssen meistens die Magier leiden, die während einer Quest unter meiner Leitung stehen.“ Obwohl das ja eigentlich nichts ist, worauf man stolz ist, musste sie dennoch etwas amüsiert über sich selbst lächeln. „Ein guter Bekannter von mir, er heißt Magnus Lindqvist, wurde wegen mir aus der Bücherei geworfen und bekam Hausverbot. Das war wohl der schlimmste Tag in seinem Leben. Ein Freund von mir, sein Name ist Gale Zecar, hatte auf einer Quest eine tolle Idee, die ich ihm wortwörtlich unsanft vom Kopf riss.. einfach weil ich sie zuerst nicht gut fand.“ Allein bei dem Gedanken an die beiden musste sie genervt die Augen verdrehen, obwohl sie beide doch mochte. „Aber immerhin arbeite ich an mir, wenn ich gerade Zeit dafür habe. Dich habe ich auch falsch eingeschätzt, du bist eigentlich ein sehr angenehmer und netter Mensch.“ Was sie zuvor für Adjektive für seine Beschreibung verwendet hätte, verschwieg Lia lieber mal für’s erste, doch immerhin hatte sie sich für die positive Seite hinreißen können. Und so verging die Zeit in der Höhle und die beiden Magier warteten darauf, dass die Luft endlich wieder rein war.

Eigentlich hatte Maenor nur eine Frage in den Raum geworfen, um das Gespräch weiter am Leben zu erhalten. Keineswegs rechnete er mit einer derart krassen Reaktion und dass er von der Seite angemacht wurde. Hatte er vielleicht etwas Falsches gefragt? Dies konnte er nicht wirklich ausschließen, womöglich war Lia tatsächlich verletzt, dass sich ihr Traumprinz nicht sofort bei ihr gemeldet hatte. Als Reaktion zickte er keinesfalls zurück, sondern hob lediglich eine Augenbraue an und warf der jungen Frau einen etwas seltsamen Blick zu. "Schon gut, ich hatte ja nur fragen wollen ...", quittierte er ihre Art und hoffte, dass sie sich alsbald beruhigte. Am Besten sollte er das Thema wechseln, denn es sah ganz danach aus, als ob sie noch einige Zeit zusammen verbringen würden. Und die wollte er sicherlich nicht streitend verbringen, oh nein. Im Grunde genommen musste aber gesagt werden, dass es doch ihre Schuld war, immerhin hatte sie das Thema Seraphim mal wieder zu Sprache gebracht. Da musste man doch eigentlich damit rechnen, auch Sachen zu hören, die nicht sonderlich positiv waren, schon gar nicht vom Fice, der den Himmels Dragonslayer weitaus besser als die Valencia kannte. Ehe er jedoch wirklich dazu kam, das Thema zu wechseln und über etwas zu reden, was die Gute hoffentlich nicht auf die Palme brachte, überraschte ihn Lia erneut. Dieses Mal fuhr sie ihn nicht an, vielmehr gab sie Sachen von sich preis, die er nicht erwartet hätte. Sie sah einfach nicht wie jemand aus, die sich bei anderen Personen für das Verhalten entschuldigte, dass sie nun mal an den Tag legte. Gut, dass er nicht in derselben Gilde tätig war, wie sie, sonst würde er unter Umständen auch so behandelt werden wie ihre „Freunde“. Obwohl, wenn man ehrlich war, hatte er sie nicht wirklich so eingeschätzt. Nun gut, in der Zukunft war sie nicht sonderlich nett zu ihm gewesen, was aber auch an Missverständnissen gelegen hatte. Zu Seraphim und Zero war sie ja ziemlich nett gewesen und auch Aurora und Yuuki gegenüber war sie nicht wirklich böse gewesen. Bei ihrer letzten Aussage musste er doch ein wenig schmunzeln. "Vielen Dank, das hört man doch gerne." Und wenigstens tat sie ja etwas gegen ihre Launenhaftigkeit … zumindest wenn sie Zeit dafür fand, wenn man ihren Worten Glauben schenken durfte. Und was jetzt? Wenn er einfach zurückgab, dass sie auch nett war, dann war das doch mega lahm. Ohne weiter lange nachzudenken, gab er schließlich das Erstbeste von sich, was ihm in diesem Moment durch den Kopf ging. "Du bist auch anders, als ich dich zunächst eingeschätzt hatte." Hoffentlich verstand sie ihn nicht falsch, damit meinte er doch natürlich, dass sie nett war. Die Beiden hatten nämlich keinen wirklich guten Start gehabt, wenn man sich einige Tage zurückerinnerte, als sie sich paradoxerweise noch ein paar Jahre in der Zukunft befunden hatten.
Nachdem die beiden doch so unterschiedlichen Magier noch ein wenig Zeit zusammen in der Höhle tot geschlagen hatten, entschlossen sie sich, dass es an der Zeit wäre, endlich mal die Höhle zu erkunden. Sehr zu Maenors Erstaunen zumindest, erwies sich die Höhle als nicht besonders groß. Schon nach wenigen Hundert Metern neigte sich der schmale Tunnel aufwärts und kurz daraufhin befanden sie sich wieder im Wald, kurz vor Magnolia Town. Der Schwertkämpfer blieb abrupt stehen und sog begierig die frische Luft in sich ein, ehe er leise ausatmete und schließlich nach verräterischen Geräuschen lauschte. Befanden sich irgendwelche Agenten in der Nähe, die ihr Auftauchen mitbekommen hatten und es sogleich melden würden? Oder hatte er doch endlich mal Glück gehabt und würde seinen Haschern entkommen und endlich mal wieder zu Kräften kommen können? "Hey Lia, weißt du zufällig, wo wir uns befinden und in welche Richtung es nach Magnolia Town geht? Wenn ja, könnte ich mich ja bis zum Einbruch der Nacht hier versteckt halten und anschließend in Richtung Stadt gehen, um mich mit dir zu treffen, falls dein Angebot nach wie vor gilt?", fragte er die junge Frau. Wie sie sich wohl entscheiden würde?

Lia versuchte sich ein wenig entspannen, ihre Schultern würden sie sonst umbringen. Doch bei so wenig Bewegungsfreiheit war das ziemlich unmöglich. Ohne ihre Hände würde sie niemanden hier gezielt angreifen können. Und die Leute hier einfach mit Feuer weg zu pusten, wie es sonst so einfach war, würde auch hier nicht sehr effektiv sein, schließlich konnte sie seit über einer Stunde nur in eine Richtung blicken. Die Anwesenden waren nicht dumm und stellten sich leider nicht gerade in Lia’s Zielbereich. Das Ziehen in ihren Schultern wurde bald unerträglich nervig und von Minute zu Minute schmerzhafter. Lia war mehr als hochsicher an eine stählerne Säule gekettet, ihre Arme wurden hinter ihrem Rücken verschränkt verbunden, sodass es unmöglich war, dass sich auch nur ihre Fingerspitzen berühren konnten. Erträglicher war es für die Beine, die wurden einfach ebenfalls an die Säule gekettet, so auch der Hüftbereich. Grundsätzlich waren bisherige Entführer von Lia nicht in das Wissen eingeweiht, dass sie ihre Fesseln einfach abfackeln kann. Doch Familie Fice hatte vorgesorgt und Ketten aus rostfreiem Stahl verwendet. Bis Lia die zum Schmelzen gebracht hätte, wäre es ihnen schon längst aufgefallen. Und so blieb der jungen Magierin nichts anderes übrig, die Kräfte zu sparen und sie bei einer hoffentlich bald eintreffenden Auseinandersetzung – sollte sie wieder frei kommen – ordentlich einzusetzen. „Du wirst hier loskommen und dann wirst du ihnen die Hölle heiß machen..“, sprach sie sich gedanklich immer wieder zu. Manchmal stellte sie sich sogar schon vor, wie sie sich für ihre schmerzenden Schultern rächen würde. Und dafür, dass man ihren Eltern gedroht hatte.

Ihr Blick wanderte zum gefühlt hundertsten Mal durch die Umgebung. Lia wusste, wo sie hier war. Nicht allzu weit von Magnolia Town entfernt stand ein altes, schon seit Jahrzehnten leerstehendes Fabrikgebäude. Wo diese Säule herkam, wusste sie nicht. Wahrscheinlich hatte Maenors liebe Verwandtschaft vorgesorgt. Die Truppe lümmelte im großen Raum des Gebäudes herum, stets bereit, einzugreifen, falls etwas geschieht. Die vier Personen, welche Lia von zuhause aufgegabelt hatten, standen beisammen. Die Fabrik war schwach erhellt, doch Lia konnte die Gesichter erkennen. Der unsympathischste von allen war der Blonde, welcher mit Lia gesprochen hatte, als sie noch in der Stadt waren. Zuvor wurde er mit dem Namen Aeros angesprochen, er schien der Anführer zu sein. Zumindest machte das den Eindruck. Weniger nervig waren die Frau und der Schwarzhaarige mit der Narbe, wobei Erstere auch ziemlich von sich eingenommen so sein schien. Der Junge hingegen schien gar nicht von der Sorte Mensch zu sein, die andere entführen und fesseln. Der Vierte von ihnen war eindeutig die jüngere Ausgabe von Maenor, selbst deren Duft glich sich ein wenig, könnte das sein Bruder sein? Das war alles so was von anders geplant gewesen! Seufzend senkte Lia den Blick wieder.

„Oh, keine Sorge! Er wird schon kommen, um dir zu helfen!“, höhnte dieser Aeros. Innerlich explodierte Lia bereits vor Wut. „Na hoffentlich, sonst wäre dein Plan ja ordentlich danebengegangen!“, zischte Lia. Aeros Augen verengten sich. „Du solltest Dankbar sein, dass man dich nur gefesselt hat.“ Wahrscheinlich hatte er damit sogar Recht. „Ja, das ist wie Weihnachten.“, entgegnete sie mit bösem Blick, was den Schwarzhaarigen leise prusten ließ. „Kyle.“, mahnte Aeros ihn, was den Jungen zum Schweigen brachte. Der Typ, welcher wohl Maenors Bruder war, beobachtete das Ganze nur schweigend, er wirkte fast abwesend. War anscheinend sein großer Tag, heute. „Woher kennst du Maenor?“, brach die junge Frau das Schweigen. Lia sah verwundert zu ihr auf. Ernsthaft, Smalltalk? Nein. Der Pinkschopf ignorierte sie einfach. Plötzlich ging diese jedoch auf die Magierin zu und wiederholte sich lauter aus nötig: „Ich habe dir eine Frage gestellt! Woher kennst du ihn?!“ Wahrscheinlich war die Tatsache, dass sie im Moment mehr Macht hatte als Lia interessanter, als die Antwort selbst. Am liebsten hätte Lia ihr zynisch geantwortet, dass sie Maenor in der Zukunft getroffen hatte. Das wäre ja sogar die Wahrheit, aber der Pinkschopf sollte die Vernunft siegen lassen und vielleicht wirklich dankbar sein, nur gefesselt worden zu sein. „Über einen Bekannten.“, antwortete sie daher nur knapp und erwiderte den Blick der Brünetten so lange, bis diese sich beleidigt abwandte. „Was für ein Haufen.“, dachte Lia und erinnerte sich dabei an ihre eigene Familie, welche wirklich das absolute Gegenteil war. Hoffentlich ging es allein gut.. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Ohne es sich anmerken zu lassen, zog sie intensiver die Luft hier ein. War Maenor in der Nähe oder täuschte sie sich?

Es war eine wirklich seltsame Situation, in der sich der Fice im Augenblick befand. Hätte es sich bei dieser Geiselbefreiung um eine andere Person als gerade Lia gehandelt, so wäre Maenor wohl viel überlegter vorgegangen. In dem Wissen, dass er noch gut 15 Minuten bis zum Ablauf der vorgegebenen Zeit hatte, hätte er problemlos alle Wachen lokalisieren können und sich auf diese Weise am Besten und völlig unbemerkt Eintritt in das Gebäude verschaffen können. Und auch bei der Befreiung an sich hätte er wohl eher einen kühlen Kopf bewahrt und wäre die Sache clever angegangen. Nur leider handelte es sich hierbei nicht etwa um eine Quest und eine x-beliebige Person, die Rettung brauchte. Nein, es handelte sich um die Valencia und das änderte schlicht und einfach alles! Der Schwertkämpfer konnte nicht so ohne Weiteres ruhig bleiben und das ganze Gelände zunächst nach Fallen und Gegnern absuchen, er hatte keinerlei Zeit zu verlieren! Das Nichtwissen, wie es um das Wohl der Dragonslayerin stand, trieb ihn beinahe in den Wahnsinn.
Nachdem er den Blick einige Sekunden lang über das Gelände schweifen ließ, entdeckte er einen Punkt, an dem er das verlassene Gebäude betreten konnte. Er hatte sich für den Teil des Waldes entschieden, der nur gut zehn Meter von der nördlichen Seite des Gebäudes entfernt war. Da er selbst sich im Osten befand, musste er den Weg schnellstmöglich hinter sich bringen, um sich anschließend Zugang zur Festung des Bösen zu verschaffen. Gesagt, getan. Seinem Verhalten zufolge hätte man glatt meinen können, dass es ihn nicht wirklich kümmerte, ob ihn die auf dem Gebiet verteilten Wachen entdeckten, derart stürmisch bewegte er sich durch das Geäst. Das stimmte sogar zum Teil, immerhin lag es klar auf der Hand, dass er kommen würde und es war beinahe zwei Uhr nachmittags. Andererseits war er so geschickt und schnell wie fast kein Zweiter, weshalb es mehr als verwunderlich gewesen wäre, wenn ihn die ganzen Wachen im Auge hätten behalten können. Aus diesem Grund befand er sich nach kürzester Zeit am Rand des Waldes, doch sollte er nicht lange dort verweilen. Mit einem Satz überwand er die Entfernung zu dem Fenster, welches er mitten im Sprung mit einem sauberen Schwung seines Katanas zerschnitt, sodass das Glas durch seinen Aufprall nachgab und ins Innere des Gebäudes fiel. Unzählige Scherben fielen zu Boden und zierten diesen, doch noch ehe die Letzte gefallen war, rannte der Schwertmagier schon um die nächste Ecke. Seine Gedanken drehten sich einzig und allein um Lias Wohlbefinden, was ihn antrieb und leider auch seine Deckung vernachlässigen ließ. Jedoch hatte er bei den hier postierten Wachen nichts zu befürchten, denn wenn man nüchtern seine eigenen Fähigkeiten mit den ihren verglich, stand er Dimensionen über ihnen. Das erste Zweierteam wusste gar nicht, wie ihnen geschah, so schnell gingen sie zu Boden. Dem Ersten verpasste er einen Schlag in den Solarplexus, dessen Wucht allein ihn schon einige Meter zurückfliegen und reglos am Boden liegen ließ. Seiner Partnerin zog er in der nächsten Bewegung die Beine weg und verpasste ihr mitten im Flug einen Schlag gegen den Kopf, der auch sie zu Boden gehen ließ. Kurz nachdem Maenor die Wachen überwältigt hatte, verfluchte er sich selbst. *Du Idiot. Wenn du einen von ihnen nicht ausgeknockt, sondern befragt hättest, wüsstest du mit Sicherheit, wo sie Lia aufhalten.* Das war nicht gut. Er musste sich in den Griff bekommen. Noch etwa zehn Minuten bis Ablauf der Frist, bis dahin musste er die junge Frau finden. Doch vor allem musste er bis dahin einen kühlen Kopf bekommen, sonst war es um sie beide geschehen. Während er nun langsamer voranschritt, atmete er die ganze Zeit langsam ein und aus, um seinen Puls zu beruhigen. Mit mäßigem Erfolg, wie er sich selbst eingestehen musste. Aber es reichte aus, um ihn bei dem nächsten Pärchen geschickter vorgehen zu lassen. Dieses Mal handelte es sich um zwei Männer, etwa Mitte 20. Mit einem Wahnsinnstempo überwand er die kurze Distanz zwischen sich und den Beiden, schnappte sich den einen von ihnen und ließ dessen Kopf innerhalb Sekundenbruchteile mehrmals gegen die dicke Steinwand knallen. Genug Schaden also, um ihn aus dem Gefecht zu ziehen, ohne ihn wirklich zu töten. Dessen Partner ging indes zum Angriff über und schlug mit seinem Schwert nach dem Kopf von Maenor, der sich natürlich längst nicht mehr dort befand, wo die Wache mit dem Streich hingezielt hatte. Mit einigen flinken Bewegungen hatte er den Kerl entwaffnet und hielt ihn mit einem Hebelgriff in Schach. "Ahhh!", gab der Mann vor sich, als der Fice den Druck auf den Arm erhöhte und diesen fast brechen ließ. "Sag mir sofort, wo sie ist, sonst brech ich dir den Arm. NA LOS!" "Au au au, schon gut, ich spreche ja schon.", brachte der Kerl vor Schmerzen keuchend hervor. "Einfach dem Gang bis zum Ende folgen und dann abbiegen. Dort befindet sich der Hauptraum und dort halten sie sie gefangen. Kannst du mich jetzt endlich loslassen?" Das tat der Schwertmeister, doch ehe sich die Wache ihrer Freiheit erfreuen konnte, krachte der einst verzierte Griff von Maenors Katana auf seinen Kopf und schickte ihn ins Land der Träume. Mit vor Aufregung rasendem Herz, rannte Maenor den Gang entlang und folgte der ihm gegebenen Beschreibung, weshalb er sich bald am Ziel befand. Reglos blieb er stehen, um zu horchen und tatsächlich vernahm er viel Gemurmel aus dem Raum. Noch lange nicht deutlich genug, dass er verstand, was dort gesprochen wurde, aber dennoch war dies der Beweis dafür, dass sich dort Leute befanden. Voller Wut holte er aus und schlug gegen die alte und marode Tür, die sogleich mit einem gewaltigen Krachen aus ihren Angeln flog und einige der normalen Clanmitglieder auf ihrem Weg mitnahm. Was ein Auftritt! Doch er würde den Raum nicht langsam betreten und dem Feind Zeit lassen, sich zu ordnen. Ohne eine Sekunde zu verlieren, betrat er den Raum, entdeckte Lia, sprang auf sie zu und ließ das Schwert auf ihre Ketten niedergehen. Leider reichten seine Kräfte und Künste nicht aus, um die metallenen Fesseln zu zerstören, doch wurden sie nun von tiefen Kerben gezeichnet. Ob das ausreichen würde? Leider hatte der Fice nicht viel Zeit darüber zu philosophieren, da sich zumindest einer der Anwesenden gefangen hatte und ihn mit einem einzigen Schlag mehrere Meter zurückweichen ließ. Aeros. "Da ist er endlich gekommen, der strahlende Ritter.", höhnte er. Und er war nicht allein. Kyle schaute ihn mit einer Mischung aus einem Lächeln und Trauer an, Zaras Blick konnte er nicht entschlüsseln, doch unübersehbar war die Aufregung und der Zorn, wie ihn sein Bruder anschaute. Schade nur, dass Maenor nur Blicke für Lia übrig hatte und sich auf diese Weise vergewisserte, dass ihr kein Leid zugefügt worden war. "LIA! Bist du wohlauf?"

Lia war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass Maenor in der Nähe war. Sein Duft wurde intensiver und glücklicherweise war sie die einzige im Raum, die diesen wahrnehmen konnte. Eine ungefähre Richtung hatte sie ausmachen können, aber genau orten konnte Lia nicht, wo Maenor sich nun befand. Hoffentlich würde er vorsichtig bleiben und nicht zu viel Aufsehen erregen, schließlich war es deren Plan, ihn-
Reflexartig zuckte Lia zusammen, als ein lautes Krachen hinter ihr zu vernehmen war. Nicht nur sie, auch einige der Clanmitglieder erschraken über den plötzlichen Krach. Alle starrten sie begannt hinter Lia, welche sich noch ärgerte, dass sie sich nicht umdrehen konnte, um selbst nachzusehen. Aber wenige Sekunden darauf konnte sie sich bereits einen Reim auf die Sache machen, denn nun vernahm sie Maenors Geruch so deutlich, als würde er wirklich im selben Raum stehen. Noch bevor sie etwas sagen konnte oder einen möglichen, nächsten Schritt planen konnte, erschütterte ein Schwertschlag auf ihre Fesseln ihre Gelenke. Sie prüfte sofort, ob sie sich befreien konnte, doch leider musste sie feststellen, dass Maenors Schlag nicht ausgereicht hatte. Aber egal, Lia hatte deutlich hören können, dass die Ketten einen gewissen Schaden davongetragen hatten. Mit etwas Glück würde es ihr vielleicht nun selbst gelingen, sich zu befreien.

Noch bevor sie damit beginnen konnte, hörte sie Maenors Stimme hinter sich, wie er ihren Namen rief und sich nach ihr erkundigte. Auf Aeros reagierte er gar nicht, aber auch Lia selbst hatte ihm in diesem Moment nicht zugehört. „Ja, mir geht’s gut!“, versicherte sie ihm, auch wenn sie ihn noch nicht sah. Diese blöden Fesseln, es wurde Zeit, dass sie die Teile loswurde. Es würde wohl ein Weilchen dauern, bis sie die Stellen an ihren Ketten gefunden hatte, welche großzügig beschädigt sind. Würde sie einfach einen Blick darauf werden können, wäre das natürlich einfacher. Aber jetzt würde Lia anhand der Wärmeleitung herausfinden müssen, an welcher Stelle das Metall nicht mehr so dick war. Es würde ihr leichter fallen, könnte sie die Augen schließen und sich ganz auf ihr Element konzentrieren, aber sie konnte in dieser Situation unmöglich ihr Umfeld aus den Augen lassen. Außerdem sollten die Leute hier möglichst keinen Verdacht schöpfen, sonst würde man ihr am Schluss noch einen Strich durch die Rechnung machen. Und das wäre ja wohl nur noch ärgerlich.

Hier wurde Lia’s Willenskraft allemal gefordert. Glücklicherweise hatte sie eine tiefe Kerbe in den Ketten relativ schnell gefunden, doch nun galt es, all die Magie, welche sich in unglaublich heiße Temperaturen wandelte, stets auf nur diesen Punkt zu konzentrieren. Sie war geübt genug, dass es den Großteil der Zeit auch gut gelang. Doch kleine Ablenkungen reichten oft, um die Temperatur über eine größere Stelle als gewollt einherkommen zu lassen. Das Gespräch zwischen Maenor und seinem – tatsächlich, wie vermutet – kleinen Bruder war eine dieser Ablenkungen. Und auch wenn es höchst interessant gewesen wäre, so musste Lia sich bewusst zwingen, nicht hinzuhören. Ihre Aufmerksamkeit sollte einzig und allein ihrem Werk zukommen. „Was ist?! Warum bist du plötzlich so still?!“, höhnte die Frau, welche Lia vorhin schon ausgefragt hatte. Der Pinkschopf antwortete ihr nicht, sie würde es bald geschafft haben. In diesem Moment trafen Maenors und die Klinge seines Bruders aufeinander. Diese Frau wandte sich kurz um, sah danach wieder zu Lia. Sie wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als ihr erstmals der Rauch auffiel, welcher hinter der Magierin hochstieg. „Hör sofort auf!“, befahl die Frau und drohte ihr mit ihrem Schwert. Nur noch einen Moment, dann hätte Lia es geschafft.. „Du hast es so gewollt!“, rief die Frau ihr wütend zu und holte zum Angriff aus. Jäh in diesem Moment reichte es, dass Lia das fast flüssige Metall an der schmalen Stelle mit ihrer Kraft auseinanderzog. Blitzschnell formte sie eine Flammenpeitsche mit den freien Händen und schlug diese kraftvoll nach der Frau, welche aufschrie und zurückwich. Ein Moment, der Lia böse lächeln ließ.
Natürlich waren Beine und Hüften noch nicht frei, aber wer brauchte das schon, wenn die Arme zur Selbstverteidigung reichten? Mit Hilfe der Fire Dragon’s Tenacious Flame schoss Lia einen Feuerstrahl nach der (anscheinend etwas überforderten) Frau, welche sich schreiend auf dem Boden wälzte, um somit die Flammen zu löschen. Sie war nicht tot, doch die Schmerzen hatten ihr für’s Erste wohl die Lichter ausgeblasen. „Und das war erst der Anfang. Ihr hättet euch nicht mit mir anlegen sollen.“, knurrte Lia.