Ja, wie sollte man denn auf die Aufforderung eines Perversen reagieren, sich gefälligst auf der Stelle nackig zu machen? Madame Pompadour hier hatte sich wirklich, wirklich ernsthaft vorgenommen, in Katsu etwas Gutes zu sehen und seine Stärken zu fördern, während sie seine Schwächen ignorierte oder glaubte, dass er diese ausbügeln würde. Aber der Gedanke, dass er vermutlich nachhelfen könnte, wenn sie sich jetzt nicht sofort der Klamotten entledigte, verursachte vor allem eins: Dicke Kullerkrokodilstränen. Schäm' dich, Katsu! Du hast Claire zum Weinen gebracht! Sie sah doch schon aus wie eine zerbrechliche kleine Blume, die nur eine Beleidigung von den Tränen entfernt war, wieso reizt du das auch noch aus? Na, ganz einfach: Er hieß Katsu und er hatte ein Hobby (Frauen, falls es jemand noch nicht mitbekommen hatte). Dabei war er mit seinem Hobby merkwürdigerweise der Macho schlechthin und ein Frauenfeind ohnegleichen, aber das wussten alle Beteiligten. Die Tatsache, dass Erin den jungen Herrn dann auch noch unangespitzt in den Boden stampfte, machte die Sache nicht wirklich besser, denn die Ojou war der Ansicht, dass Gewalt die Sache keinesfalls besser machte. Somit war ihre Reaktion, neben stillem Weinen, auf Erins Eingreifen zwar dankbar, aber dann doch ein wenig zwiegespalten.
"Erin? Wenn Katsu sich noch mehr verletzt, dann hat er vielleicht noch mehr komische Ideen."
Kleinlaut und wirklich nicht aufdringlich. Nur so eine Idee, für den Fall der Fälle, dass die burschikose Amazone sich irgendwann mal Gedanken um einen Plan B machte. Es war ja immerhin allgemein bekannt, dass Schläge auf den Kopf nicht unbedingt gesundheits- und hirnzellenfördernd waren, insofern machte ihr Gedankengang Sinn, auch wenn sie gerade Opfer von Katsus Gier geworden war. Es war schon ungesund, wie schnell sie ihm diese Ausrutscher vergab und kriminell, wie schnell sie sich die Tränen mit ihrem Ärmel wegwischte. Irgendwie tat ihr Katsu Leid; er musste so viel Schlimmes erlebt haben, wenn er ein solches Verhalten an den Tag legte und es ihm gleichgültig war, ob er nun Gefühle verletzte oder nicht. Eines Tages würde sie ihn vielleicht darauf ansprechen. Bis dahin empfand die Macht hinter Claire es als ausgleichende Gerechtigkeit, dass der Perversling genau dort landete, wo er hingehörte: Auf dem Boden.
Im Lager machte sich Claire zwar nützlich, rieb sich aber gelegentlich noch die Nase und die Augen, weil sie gerade vor Mitleid, Selbstmitleid, Scham und natürlich Enttäuschung zerfloss. Das passierte nun einmal, wenn man in die Welt hinausging: Man erlebte Gutes und Schlechtes. Da sie aber den Tag Revue passieren ließ und mal abgesehen von Katsu und der Nahtod-Erfahrung von dem Zirkusmädchen nicht wirklich viel Schlechtes passiert war, sah sie den Tag als gelungen an. Nebenbei ging nach einer Weile auch eine Frage an die beiden Damen.
"Warum seid ihr eigentlich weggelaufen? Gefällt es euch nicht im Zirkus?" Sie konnte sich nicht vorstellen, wie jemand keinen Zirkus mögen konnte. Sie liebte Trapez, Affen, Elefanten und den ganzen bunten Kladderadatsch viel zu sehr, deswegen machte sie sich Sorgen, dass die beiden Akrobatinnen sich heimlich aus dem Staub gemacht hatten, sodass man Magier hinterherschicken musste. War sie eigentlich die Einzige, die es interessierte?

A/N Mea culpa. AllesscheißedeineElli. Alles wird gut.

„Neon, Neon, Neon... Wenn nur Yugito sehen würde, wie dumm du dich verhältst...“ Wer sprach dort? Eine Person? Wo war Neon eigentlich? Als er sich so umblickte, erinnerte es ihn sehr an die Ödnis, in der auch Nocturna auf ihn gewartet hatte. Doch jetzt sah er, dass es dort kleine Unterschiede gab. Wenn schon Nocturnas Ort ein verlassenes Gebiet war, so war diese Landschaft unter ihm – ja er schwebte komischerweise ein wenig in der Luft – an Trostlosigkeit kaum noch zu überbieten. Hier und da ein kleiner sandiger Hügel, vereinzelt ein paar knorrige Äste, die wohl einst Pflanzen dargestellt hatten und ein tiefschwarzer, wolkenloser Nachthimmel zierten diesen Ort. „Ein schöner Ort, nicht wahr?“ Da war wieder diese Person, die komischerweise dieselben Männertrachten anhatte, obwohl sie eindeutig ein Mädchen zu sein schien, welches Neon verdammt ähnlich sah. Doch mit Schrecken konnte man feststellen, dass der Mund und die Augen dieser Person fehlten und dafür wabernde Flecken von Finsternis. „Willkommen in meinem Alltag, Neon.“ Wer war diese Person? Wieso war er überhaupt hier? Moment, er war in diesen Fluss gegangen, oder? Aber er konnte doch gar nicht schwimmen! War Neon etwa... gestorben?! Nein, er konnte nicht sterben! Erin war doch noch am Leben und er hatte gerade zwei neue tolle Freunde gefunden, das durfte einfach nicht wahr sein. Als Neon den Mund öffnete um zu sprechen, bemerkte er aber, dass er das gar nicht konnte. „Nur ich kann hier sprechen, es ist wirklich langweilig, deswegen möchte ich gern, dass du mich öfter zum Spielen holst.“ Zum Spielen holen? Was meinte sie damit? Neon würde sich nie einfallen lassen irgendwen nicht an seinem Spiel teilhaben zu lassen, dazu mochte er die Welt viel zu sehr. „Leider können wir nicht zusammen spielen gehen. Ich möchte die Welt da draußen sehen.“ Was für Zeug redete sie denn eigentlich hier? „Neon, du wirst verstehen... Wir werden uns sehr bald wiedersehen.“ Wieso kam sie denn nicht einfach mit? Man konnte doch sicherlich etwas gegen diese Augen unternehmen. „Sehr bald...“ Man konnte klar die Traurigkeit spüren, die die Person ausdrückte, obwohl er keine Augen und keinen Mund sehen konnte. Langsam fing ein hell gleißendes Licht an zu scheinen und beendete so seinen Aufenthalt innerhalb dieser traurigen Szenerie.

Als er erwachte, wurde er auf dem Rücken einer recht großen Person getragen, die Hände um den Hals eben dieser geschlungen. Der Geruch dieser Person, die weichen Haare am Rand seines Kopfes, es gab keinen Zweifel. „Erin, haben wir... gewonnen?“ Kraftlos sprach er über die Schultern der groß gewachsenen Gottesgleichen. Zu viel Wasser hatte seine Lungen durchtränkt, als dass er jetzt sonderlich viel Freude verbreiten konnte. Tja, was hatten sie eigentlich gewonnen und wieso fühlte sich Neon, als hätte er gerade einen engen Freund verloren? War es, weil diese Person Yugito erwähnt hatte? War es Mitleid, da sie so einsam schien in dieser Trostlosigkeit? Neon konnte es nicht sagen, also klammerte er sich nur fester an und warte bis sie das Reiseziel erreicht hatten, was sich als Lichtung entpuppte, auf der die Mädchen den Saustall angerichtet hatten. Natürlich wollte er nicht, dass alle anderen seine Arbeit machten, weshalb auch Neon herumlief und hier und da Müll aufsammelte, indem er sich hinkniete und Dinge in einen riesigen Sack warf. Jedes Aufstehen nach einer solchen Aktion ließ einen solch heftigen Schmerz durch seine Lungen jagen, dass er jedes Mal den Tränen nahe war und so kam es dem kleinen, tapferen Burschen nur Recht, als Katsu ihm anbot einfach nur das Grobe mit einem Stock aufzuspießen, was er darauf sofort tat. „Mädchen wie du und Claire sollten besser auf eure Kleidung achten!“ Ich bin kein Mädchen... Neon sprach es nicht aus. Er hatte seinen kleinen süßen Mund schon geöffnet, doch beim Herauspressen der Wörter erlitt er einen derartigen Hustenkrampf, dass er direkt an Ort und Stelle zusammenbrach und auf dem Boden liegen blieb. Die ganze Putzaktion überschritt wohl trotz der Entschlossenheit die körperlichen Grenzen des kleinen Körpers. Für Neon war diese Quest an dieser Stelle wohl offiziell zu Ende. ...

Na, endlich. Erin war irgendwie erleichtert, dass alle wohl behalten die Quest weiterbestanden – Katsu schien es auch wieder gut zu gehen. Eine Weile zuckte er auf dem Boden herum, dann war er auch schon wieder auf den Beinen und schlug dem Weibsvolk um ihm herum vor den zugemüllten Wald zu säubern. Genau dasselbe hätte die Schwertkämpferin auch vorgeschlagen, da sie hier die ganze Quest geleitet hatte, denn anders als sonst, wären sie wahrscheinlich gar nicht in dieser jetzigen Situation gewesen – alle putzmunter, bis auf Neon. Der lag noch bewusstlos auf dem Boden.
Nachdem Erin Katsu kurz zugenickt hatte, wandte sie sich an ihren kleinen Freund, neben dem sie sich hinkniete. Seine schmalen Beinchen waren relativ trocken, weswegen sie es wagte, ihm sein Unterteil wiederanzuziehen, damit er sich nicht noch unnötig erkältete. Anschließend nahm sie ihn vorsichtig huckepack, da der kleine Fratz wohl vorerst nicht mehr aufwachen würde.
Den anderen gab Erin mit einem Blick ein Zeichen, dass es weiterging und als wäre sie ein Beispiel schritt sie mit ihrem Schützling voran zu dem verlassenen Camp der beiden Akrobatinnen. Dabei schweiften ihre Gedanken zu dem schwarzen Strahl, mit dem Neon aus dem Wasser katapultiert worden ist bzw. sich so scheinbar selbst herausbefördert hatte. Da die anderen sich weiter hinter der burschikosen Dame befanden, fing sie leise instinktiv an laut zu denken. „Erst springst du ins Wasser, dann schießt du dich selbst wieder heraus. Was sollte das, Neon?“ Prüfend drehte sie sich danach um, nur um zu sehen, dass Katsu und die Mädels in sicherer Entfernung waren und ihren Monolog nicht mithören konnten. Neons Stimme brachte die Schwertkämpferin dazu sich wieder auf ihn zu konzentrieren. „Na, klar. Wir haben gewonnen, alles ist gut.“ Beschwichtigende Worte waren an dieser Stelle gut zu gebrauchen, auch wenn es für Erin nicht üblich war, dass sie so sorgevoll sein konnte bzw. dies auch offen zur Schau stellte. Naja, wenigstens bekam dies wenn überhaupt nur Neon mit. Die anderen scharwenzelten irgendwo hinter ihr, bis sie die Lichtung mit dem Müll erreichten.
Vorsichtig setzte sie den angeschlagenen Neon auf einer relativ sauberen Stelle des Waldbodens ab und sagte ihm, er solle sich schonen, weil er gerade wieder zu Bewusstsein gekommen war, doch der Racker dachte scheinbar nicht daran und hob hier und da irgendetwas auf und entsorgte dieses schließlich auch. Forsch hielt Erin alles im Blick, als die Zirkusmädchen sich von ihrer Arbeit davonmachen wollten, holte die Schwertkämpferin diese ganz schnell wieder zurück – dafür genügte ein einfacher erboster Blick. Irgendwo hinter ihr unterhielten sich scheinbar Katsu und Neon, doch anstatt, dass dieses Gespräch normal weiterlief, ertönte ein fast – aber auch nur fast – brachiales Husten, welches Erin sofort herumwirbeln ließ. Wie sie es sich gedacht hatte, tat die ganze Aufräumaktion dem Kleinen nicht gut, sodass dieser erneut zusammengebrochen auf dem Boden lag, weswegen die Schwertkämpferin auch geschwind an seine Seite eilte.
„Ich hab’s doch gesagt…“, schimpfte Erin leise, während sie ihren geliebten Wollschal ablegte, um ihren jungen Kameraden damit zu zu decken, denn der Schal war nicht nur lang, sondern auch breit und Neons nahezu winzigen Körper konnte man damit gut zudecken. Den Koalakopfrucksack von ihm legte sie ihm unter den Kopf, sodass dieser gut als Kissen fungierte.
Anschließend blickte Erin sich um, die Truppe, die sie anführte, war mit den Aufräumaktionen bereits fertig, doch warum sollte sie sich jetzt noch weiter um den ganzen Kram hier kümmern? Katsu hatte den Mist mit dem Wasser verbockt, also sollte er doch mal was zurecht biegen! „Tja, Katsu… Sag mal an. Wie genau sollen wir denn mit den Mädels hier weiterverfahren?“ Ihr Ton war sichtlich schnippisch, doch halt: Erin hatte gar nicht zugehört, warum die Mädels überhaupt abgehauen waren!

Yoko schaute bei Claires Frage zu Boden und grummelte: „Zirkus klingt vielleicht lustig, aber es ist hart. Jeden Tag müssen wir trainieren und als wir noch Kinder waren, hat man uns angeschrieen und bestraft wenn wir etwas nicht geschafft haben. Der Direktor ist ein Mistkerl und wir haben noch nie Urlaub gehabt, die einzigen Pausen die wir kennen ist, wenn wir von einen Ort zum andern reisen.“ Sie blähte die Wangen leicht auf und schmollte.
Deswegen übernahm Nami: „Wir sind nie in eine Schule gegangen und selbst wenn wir in einer Stadt waren, konnten wir sie uns nicht ansehen. Deswegen träumten Yoko und ich schon immer den Zirkus zu verlassen und nachdem was letzte Woche passiert war…“ Sie verschluckte den Rest der Worte als hätte sie etwas angesprochen, was sie eigentlich nicht erwähnen wollte…

Als sie mit dem Aufräumen fertig waren, wandte sich Erin an ihn und fragte Katsu, was sie nun machen sollen. Das bedeutete… das bedeutete… sie hatte ihn als Anführer anerkannt, er war nun endlich der Entscheidungsgeber und somit war seine große Chance gekommen! „Was wir tun sollen?“, Katsu verfiel in ein dunkles Kichern, während sein Kopf leicht hing und somit sein Gesicht in Schatten warf, es sah aus als wäre er von einem bösen Geist besessen: „Was wir tun sollen?!“, wiederholte er lauter und nachdrücklicher. Plötzlich hob er den Kopf und ein Strahlen war in seinen Augen zu sehen, er deutete auf die Zwillinge: „Als erstes ziehen wir sie aus und – argh.“, jäh wurde der Satz unterbrochen, als er eine Faust mitten auf dem Kopf spürte, kurz darauf blähte sich die geschlagene Stelle zu einer Beule auf. „Nicht gut, hm?“, murmelte er mit kleinen Tränchen in den Augenwinkeln, während er einen Blick auf Erin warf, die sich gerade die Knöchel rieb.
Katsu verschränkte die Arme und dachte noch einmal nach, dann hatte er einen Geistesblitz: „Als erstes ziehen wir sie aus und – uwa.“ Eine Faust bohrte sich in seine Beule, sodass eine Beule auf der Beule sich bildete. Scheinbar störte sich Erin daran, die beiden auszuziehen und es hatte nichts damit zu tun, was danach kommen würde.
„Hm…“ Katsu überlegte ernsthaft wie sie mit den beiden verfahren sollten, ohne sie erst auszuziehen. Das war ein echtes Rätsel! Aber letzten Endes war auch Katsu jemand, der sich hin und wieder sich ruhig verhalten konnte und seine perversen Gedanken beiseite schieben konnte: „Letzten Endes haben wir eine Quest angenommen, also bringen wir sie erst einmal zurück. Man kann bestimmt darüber reden, ob die Zwinnlinge nun am Ende beim Zirkus bleiben oder aber doch fortgehen, aber ohne zu Sagen abzuhauen ist nicht gut, denn dann machen sich die anderen Sorgen. So etwas tun Eltern und Elternersätze normalerweise, glaube ich.“ Er nickte seinen eigenen Worten zu, auch wenn er nicht wusste wie es war so etwas wie eine Mutter oder einen Vater zu haben, wusste er doch ziemlich wie es ist, jemanden zu haben, der ständig über einen wacht: „Und sobald wir das getan haben, ziehen wir sie aus und – taa.“ Und die Beule bekam ein weiteres Stockwerk.
Danach wankte Katsu zu den beiden Zwillingen und Claire herüber und deutete auf seinen Kopf: „Guck mal, ein Eisbecher.“, er lachte leicht verlegen und stark verletzt und versuchte einfach nur das Beste aus der Situation zu machen. Zumindest Nami kicherte, während Yoko eher angewidert aussah und Claire... Katsu überspielte seinen Schmerz:„Erst einmal geht es in die Stadt zurück und dann klären wir alles.“ Er gewann mit jedem Wort etwas Selbstvertrauen zurück: „Und keine Sorge: Wenn ihr wirklich nicht bleiben wollt, werde ich helfen, wenn es notwendig ist!“ Ein großes Versprechen von einem einfach…-perversen Jungen.

Ach herrje, die armen Mädchen. Sie hatten eine schwere Kindheit hinter sich und ihre Jugend sah auch nicht viel besser aus. Erin kannte das irgendwoher, ihr Schwertkampfmeister Naoto war zwar an sich ein guter Mensch gewesen, sie musste eine gute Schulausbildung genießen, doch im Training kannte er ebenso keine Gnade. Wer wirklich gut sein wollte, musste eben leiden. Ernst blickte Erin die Mädchen an, die ihre Gründe für ihr Verschwinden nannten. Es sah ganz so aus, als würde die knallharte Schwertkämpferin keinerlei Mitleid für die Akrobatinnen empfinden, dich innerlich sah es ganz anders aus. So war Erin eben, nach außen hin sehr ernst und distanziert, doch ihre Schale war butterweich. Auch wenn sie gerne etwas Aufmunterndes gesagt hätte, das Wort hatte sie leider schon Katsu überlassen. Sollte er doch mal beweisen, dass er ein guter Questleit- WAS?!
„Nicht gut.“, grummelte Erin, während ihre behandschuhte Faust auf Katsus mit lüsternen Gedanken verseuchten Schädel niedersausen ließ. Irgendwie wollte er es nicht verstehen, in Gegenwart von so vielen Frauen so… so… pervers zu sein! Und dann war da auch noch Erin, die ihn jedes Mal beleh- WAS?! „Abgelehnt.“, knurrte die burschikose Schwertkämpferin dieses Mal, als Katsu erneut an seinem Vorhaben die Mädchen auszuziehen, festhielt. Egal, wie oft sie ihn schlug, er schien einfach nicht dazu zu lernen! Dabei hatte Erin ihn so oft geschlagen, wahrscheinlich wurde er gar nicht schlau daraus. Oder er stand einfach Schmerz- WAS?! „Lass den Dreck…“ Erin stand wieder einmal kurz davor Katsu zu kastrieren, vielleicht würde er seine Libido und damit verbunden auch seine Gedanken endlich mal zügeln. Das war ja furchtbar! Dabei hatte er doch gerade eben noch vernünftige Aussagen von sich gegeben…
Als Katsu zu Ende geredet hatte, lockerte Erin ihre verkrampften Arme – denn jemand der strenge Sitten befolgte, wie sie, und etwas aggressiv gegenüber Perverslingen war, konnte nicht anders seine Gewalt unterdrücken(zumindest Erin nicht) – und nahm Neon wieder Huckepack. Also war es nun ausgesprochen: Die Mädels würden zurück zum Zirkus gebracht werden und dort, naja… Vielleicht konnte man den Direktor ja etwas einschüchtern, dass er die Mädchen in Zukunft etwas schonen würde.

So kamen sie beim Zirkus an, die beiden Akrobatinnen im Schlepptau, Yoko hatte den Rückweg über starken Argwohn gezeigt, Erin hatte sich strikt geweigert, Katsu Neon tragen zu lassen, weswegen sie stumm das Mädchen auf den Rücken transportierte.
Sie kamen in die momentan so gut wie leere Manege, man sah wie ein dicklicher Mann mit Schnurrbat, Zylinder und Peitsche gerade beobachtete, wie ein Bär auf einem Ball balancierte und währenddessen mit Stühlen jonnglierte… „Was für ein Bär!“, entfuhr es Katsu schlagartig als er das Tier beobachtete… er wusste gar nicht, dass ein Tier ohne Daumen jonglieren lernen konnte! Die beiden Zwillinge jedoch… Die Blicke hätten Katsu auf der Stelle schockgefroren, wenn sie ihm gegolten hätten! Der angestarrte Bär verlor das Gleichgewicht und fiel hin, die Stühle zerkrachten auf dem Boden und… die Raumtemperatur wurde noch viel kälter! Es folgte ein unhörbares, aber deutlich irritiertes: „Setzt hier jemand Eismagie ein?“
„Francois!“, stöhnte der Dompteur, der auch der Zirkusdirektor war. Der Bär deutete auf die Gruppe, damit drehte sich der Herr um und rief: „Yoko! Nami! Ihr seid zurück!“ Er schien ehrlich erleichtert zu sein und rannte auf die beiden zu, aber nur ein Blick von Yoko reichte, um den Direktor auf der Stelle erstarren zu lassen.
Diese Eismagie ist verflucht stark!, schloss Katsu an das Kommentar seines Mentors an. Egal was auch passiert war… es war ernst!
„Hallo, Peter!“, begann Yoko und betonte den Namen, als würde sie ihn normalerweise anders ansprechen, aber heute es eine besondere Bedeutung hatte, ihn beim Vornamen zu nennen: „Stühle also… Da warst du ja sehr einfallsreich!“
„Ähm…“, ein verlegendes Lächeln: „Ja, Stühle! Wo kann man sonst einen Bären betrachten, der mit Stühlen jongliert!“ Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. „Es ist eine gute Idee und hat nichts mit dem Disput zu tun, also…“
„Ich hätte mehr von dir erwartet.“, kam es enttäuscht von Nami. „Was kommt als nächstes? Suppe und Betten?“ Ein Blick voller Enttäuschung und Mitleid trafen den Direktor sehr, sehr tief. Kurz darauf wurde klar, warum die beiden weggelaufen waren.
Francois der Bär war das persönliche Lieblingstier des Direktors, aber wegen der Sonderbehandlung nahm es sich eine ganze Menge raus. Er hatte vor einiger Zeit Yokos Suppe getrunken, als sie noch schnell sich etwas zu trinken holen wollte, kurz bevor die beiden abgehauen waren, setzte er sich auf den Stuhl Namis, der das Gewicht des Bären nicht ertragen konnte und zerbrach… Sie wollten, dass der Direktor den Bären endlich züchtigte, aber jener weigerte sich, aus Sorge um seinen Liebling, also stellte er den Bären über die Zwillinge… Und als am gleichen Abend er die Betten der beiden in Beschlag genommen haben, ist sehr viel Groll durchgebrochen und sie sind abgehauen.
Kein Wunder, dass sie so sauer waren, aber nun wo der erste Zorn verraucht waren, doch recht umgänglich. Das erklärte so ziemlich alles, nur regelte es nicht, wie man nun verfahren sollte… denn der Direktor weigerte sich immer noch: „Aber der arme Francois, der versteht das doch alles nicht und es wäre doch gar nicht hilfreich, wenn…“
„Aber jeder hier beschwert sich wegen dem blöden Bären!“, konterte Yoko hart und so langsam wurde es schwer für die Ohren, das mitzuhören. Der angesprochene Bär wiederum tigerte… oder eher bärte ziellos durch die Gegend, als würde er sich langweilen.
Katsu kam da aber eine Idee… wenn er richtig lag… er ging zum Bär und flüsterte ihm zu: „Hey, auf Stühlen von Mädchen sitzen, ihre Suppe schlürfen, im Bettchen schlafen… bist du nicht einfach nur... frustriert?!“ Der Bär nickte, er verstand scheinbar die menschliche Sprache: „Ich kenne da so eine Bärin um Wald, die habe ich gestern getroffen als ich Spannen wollte, sie hat mich gejagt und mich ins Bad getrieben… so dass ich mich nicht verstecken konnte…“ Dir traurige Wahrheit. „Ich könnte euch einander vorstellen!“
Der Bär wedelte schüchtern mit der Hand, schien ziemlich verlegen zu sein… ah, das verstand Katsu. Wahrscheinlich hatte er sein Leben lang kein Bärenmädchen getroffen, weswegen er sehr peinlich berührt war und sein Frauenverständnis sich im Grunde fast nur auf Mädchen stützte, während der Rest mit allen möglichen Tierarten bis auf Bären verbunden war.
Während der Rest beschäftigt war, schlichen Katsu und der Bär raus, da der Junge seinem neuen Kumpel auf die Schulter klopfte und beschwichtigte. Kurz darauf hatte Francois sein erstes Date, aber das ist eine andere Geschichte…

Am nächsten Tag schlugen die vier wieder in der Gilde ein, um sich die Bezahlung zu holen. „Gut, dass alles ein Missverständnis war und schnell gelöst werden konnte.“, sagte Katsu frohlockend, während er zur Theke ging, wo ihnen die Jewel ausgehändigt werden würden. Da die Gruppe nach all den Aktionen gestern viel zu müde war und Katsu plötzlich verschwunden war, beschloss der Rest, dass das Geld erstmal hierher geschickt werden sollte und sie den Disput selbst bereinigen sollten.
Katsu hatte den anderen schon berichtet, dass er den Bären verkuppelt hatte, die beiden waren ein so schönes Paar, dass blanke Eifersucht in Katsus Herzen war, andererseits aber auch Mitgefühl, denn wie schlimm muss es sein, nur Frauen anderer Spezies zu kenne? „Hoffentlich werden die beiden glücklich.“, schloss Neon das Thema ab, während die beiden anderen Frauen nicht wirklich etwas dazu beitragen konnten.
„KATSU!“ Mit diesen Worten wurde ein Schlag von hinten direkt auf Katsus Hinterkopf gedonnert, die Mordwaffe war eine Handkante, die sich gefährlich tief eindrückte, dann als wäre der Kopf ein Gummiball aber wieder nach oben zurücksprang. Der Besitzer: „Was hast du getan?!“ Ein ziemlich wütend dreinblickender Gale…
„Meister…“, weinte Katsu während er seine neuste Riesenbeule hielt und sich umdrehte: „Ich habe alles gut gemacht, es gab keinerlei Probleme!“ Es gab tausend andere Gründe, warum Katsu so etwas erwartet hätte, aber auf dieser Quest hatte er sich echt gut benommen!
„Erst belästigst du die, die du finden und zurückbringen sollst, dann entwendest du den Bären und…“ Der Meister sollte echt auf seinen Blutdruck achten, denn die Wutadern traten viel zu deutlich hervor: „…nun ist jener mit seiner Freundin durchgebrannt, die ganze Stadt redet schon davon! „Zirkusbär mit Naturbär weggelaufen!“ Und das ist deine Schuld! Ich glaube, ich muss dir genau erklären, was du falsch gemacht hast…“
Wuuuusch~ Schneller als man ahnen konnte, war Katsu schon beim Weglaufen, doch scheinbar hatte der Gildenmeister von Lamia Scale die Eigenschaft, seinen Arm unendlich lang auszufahren, denn Katsu merkte obwohl er einiges an Vorsprung hatte, er plötzlich von hinten am Kragen gepackt und zurückgezerrt wurde. „Das scheint ein langes Gespräch zu werden…“, seufzte der Meister mit der Stimme eines besorgten Vaters, während er Katsu in einen anderen Raum zog…

Offizielles Questende

Valerie war ein Mensch, der grundsätzlich gerne spazieren ging. Sie mochte die frische Luft, das Zwitschern der Vögel und die warmen Sonnenstrahlen, die ihr hier und da auf der Haut kitzelten. Die Natur hatte eine beruhigende und einnehmende Ausstrahlung und schaffte es außerdem ein wenig Abwechslung in die letzten Tage der Sakai zu bringen. Diese hatte sie nämlich mit Besuchen bei ihrer Familie verbracht und nun, wo sie gerade wieder Zuhause war, konnte sie eine Pause durchaus gut gebrauchen. Dabei war es nicht einmal so, als mochte Valerie ihre Familie nicht. Es war nur leider eine ständige Begebenheit, dass sie sich mit ihrem Vater stritt, wenn sie nach langer Zeit wieder einmal nach Hause fuhr. Nach wie vor war das Oberhaupt der Sakai Familie nicht wirklich einverstanden mit der Berufswahl seiner jüngsten Tochter und immer wenn sie aufeinander trafen machte er keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit. Auch wenn die Finsternismagierin sich mittlerweile an die bissigen Kommentare ihres Vaters gewöhnt hatte, so hielt sie es dennoch niemals wirklich lange in seiner Gegenwart aus und nun war wieder einmal ein wenig Rehabilitation nach ein paar wirklich anstrengenden Tagen nötig. Deshalb hatte Valerie beschlossen, dass sie ein wenig in den hübschen Wäldern um Hosenka Town herum spazieren gehen würde und mittlerweile hatte sie es auch schon einige Meter in das dichte Grün hinein geschafft.
Bislang war die Sakai strickt den Wegen gefolgt und hatte hier und da am Straßenrand ein paar Blumen gepflückt, welche sie besonders hübsch anzusehen fand. Ganz vorsichtig hatte sie die Stängel mit spitzen Fingern abgetrennt und sich anschließend eine weiße Blume in das dunkle Haar gesteckt, welches sie am heutigen Tag offen trug. Die anderen duftenden Pflanzen hielt sie mit ihren blassen Händchen umklammert, während sie sich summend umsah und überlegte wohin sie als nächstes gehen sollte. Der Wald schien sich in seiner endlosen Schönheit vor ihr zu erstrecken und das Mädchen konnte sich nicht entscheiden, was sie als nächstes sehen wollte. Es gab so viel zu entdecken und zu erkunden, daher beschloss das Mädchen einfach in irgendeine Richtung loszugehen.
Zuvor streifte sie sich jedoch die Ballerinas von den Füßen, ehe sie barfuß querfeldein ihren Ausflug begann. Die Blätter knisterten unter ihren nackten Füßen und hier und da musste die Sakai aufpassen, dass sich ihr schwarzes Sommerkleid nicht in einem der nahen Äste und Gebüsch verfing und sie den dünnen Stoff wohl möglich in einer unachtsamen Begegnung einfach zerriss. Valerie mochte das Kleid und auch wenn sie nicht erwartete hier auf irgendwelche Menschen zu treffen, so würde es dennoch unangenehm werden, auf ihrem Rückweg durch Hosenka Town mit zerrissenen Klamotten zu spazieren.
Während Valerie also fröhlich summend durch die Natur spazierte und dabei die ein oder andere Lichtung passierte, übersahen ihre Augen in ihrer Neugier etwas, auf das sie vielleicht lieber geachtet hätte, denn kurz darauf stolperte die Dunkelhaarige unsanft über einen harten Gegenstand am Boden und landete kurzerhand mit dem Gesicht flach auf dem Erdboden. Ein unwilliges Schnauben entwich der Magierin, ehe sie sich aufrappelte und einen bösen Blick in die Richtung des Übeläters warf. Ein stämmiger Ast hatte sich ihr in den Weg gestellt und ihr dabei auch noch unsanft den Boden unter den Füßen weggerissen. Valerie biss sich hart auf die Unterlippe, während sie versuchte die Tränen zu bekämpfen, welche sich langsam den Weg in ihre Augenwinkel bahnten. Der gemeine Stock hatte ihr den gesamten Knöchel und einen Teil des Schienbeins aufgekratzt, welcher nun wie Feuer brannte. "Autsch, autsch, autsch...so ein verdammter Mist...", wimmerte die Siebzehnjährige und blinzelte, während die erste Träne ihren Weg über ihre Wange fand. "Das so etwas immer mir passieren muss." Wie sollte sie denn nun nach Hause gekommen, wenn sie sich wehgetan hatte? Sie war hier doch schließlich vollkommen alleine im Wald und niemand würde ihr helfen können. Und die hübsche Blume war ihr nun auch aus den Haaren gefallen. Konnte der Tag schlimmer werden?

Schlimmer ging es immer, das war nicht nur ein komischer Reim, sondern auch ein wahres Sprichwort. Insofern hatte Valerie wohl Glück, dass sie den letzten Gedanken nicht laut ausgesprochen hatte, sonst hätte sie das Schicksal und die Logik des Erzählens sicher mit spontanem Regenfall oder einem Klavier verhöhnt, das aus einer Baumkrone auf sie klatschte. Das mochte es alles geben, doch in diesem Augenblick war der Einzige, der vielleicht soetwas wie Mordfantasien mit Tasteninstrumenten aushecken könnte, ein junger Mann mit grünen Haaren, der beim dumpfen Aufprall und dem Gewimmer die gelben Augen aufschlug und sie erst einmal eine Drehung vollführen ließ. Übrigens hatte er sich auch nur mental gefragt, ob es hier etwas geben konnte, was ihn störte, also war Valerie ja vielleicht doch in Gefahr, was unter Umständen dazu führen sollte, dass er schnellstmöglich von ihr wegging, hätte er nicht gewusst, dass er das einzige Wesen in einem recht großem Umkreis war, niemand ihre Schreie hören würde und sie, so wie sie wimmerte, gerade die Hälfte ihrer Gedärme heraushängen hatte. Was sie irgendwie ebenfalls zum perfektem Opfer machte, nur um das mal zu sagen. Woher kommen diese Mordfantasien? Du hast sicher zwölf Stunden verschlafen, steh auf, fauler Sack und guck nach! Zum Glück hatte er ein sensibles Gewissen und eine sehr ausgeprägte Vorstellung von Moral, die ihn immerhin schon einmal dazu brachte, sich ohne Fluchen auf die Beine zu heben, penibel das Moos von sich abzukratzen und über einen der Steine in die Richtung des Mädchens zu blicken, welches zu Boden gesegelt zu sein schien. Eine steile Falte erschien auf seiner blassen Stirn, die gerade frei von Haaren war, welche in alle Richtungen abstanden. Eine Hand an der Basis seiner Nase, die andere auf dem kühlem Stein, brauchte er erst einmal ein paar Sekunden, bis sein schlaftrunkenes Hirn warmlaufen konnte. Am besten er fing mit den einfachen Sachen an. Da lag ein junges Mädchen, zwischen 15 und 17 Jahren alt, die sehr zierlich aussah und dadurch deutlich jugendlicher wirkte. Er hatte sie zu Beginn fast für ein Kind gehalten, doch wenn man genauer guckte, wurde ihre körperliche Reife doch ein wenig offenkundiger. Was man sofort sah, waren die oberflächlichen Verletzungen an ihrem Bein, die wohl auch der Grund für ihr Gewimmer zu sein schienen, aber für seine Salbe keine allzu große Herausforderung darstellen sollten. In Ordnung, damit wäre geklärt, dass er ihr helfen konnte. Der Grüne stieß sich von dem Stein ab und landete beinahe lautlos auf der mit Blättern bedeckten Walddecke, obwohl Geheimniskrämerei wirklich nicht nötig war, so wie sich das Mädchen da beschwerte und mit sich selbst sprach. Ivy griff in den Beutel an seinem Gürtel und umschloss ein kleines Döschen mit den Händen, machte allerdings noch keine Anstalten, auf sie zuzustürzen und ihr das heilende Pflanzenextrakt aufzuschmieren. Bei manchen funktionierte das gut, andere schlugen ihm die Nase ein, wenn er sie in einer verwundbaren Position bedrängte. Wie ein scheues Reh lungerte er also erst einmal hinter einem Baum und beobachtete die Dunkelhaarige weiterhin. Einbuchtungen im Gras und ein Stück morsche Rinde, was von einem nahem Ast abgeblättert war, ließen darauf schließen, dass sie über das Ding gestolpert war. Außerdem lagen in einiger Entfernung zwei Ballerinaschuhe, die niemand so abstellen würde, wenn sie nicht gerade im Sturz aus der Hand flogen und irgendwo landeten. Und da im Gras lag eine Blume, die zu keinem der Büsche hier gehörte. Er wusste das, er hatte die Pflanzen von Hosenka Town schon vor Urzeiten katalogisiert. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie tollpatschig über den Ast gefallen war, sich an der abgebrochenen Rinde den Fuß aufgeschürft hatte und nun im Gras lag und mit sich selbst redete, um ihren Ärger und ihre Verzweiflung auszudrücken. Daraus schloss der Grüne, dass sie alleine hier war oder sich im schlimmsten Fall verlaufen hatte. Wäre sie das nicht, wer würde da nicht sofort auf sie zuspringen und sie verarzten, abgesehen von ihm? Sie gehörte ganz offensichtlich einem unglaublich behütetem Elternhaus an, das sie niemals einfach so alleine vom Pfad gehen lassen würde oder das Risiko eingehen, sie am Ende noch zu verlieren. Immerhin weinte sie wegen einer Schürfwunde. Sie hatte eindeutig wenig Kampferfahrung durch ihre geringe Schmerzresistenz, denn jemand, den man schon einmal durchbohrt oder ernsthaft geschlagen hatte, würde wohl keine Tränen verlieren, wenn er eine derart lächerliche Verletzung erlitt. Andererseits war sie vielleicht auch superemotional. Was natürlich wieder auf das Elternhaus schließen ließ. Ihre Kleidung war hübsch und sah nicht ganz billig aus, und sie ließ sich von einer Verletzung aus dem Konzept bringen, also war sie das nicht gewohnt oder hatte keinen wirklichen Grund, Stärke zu zeigen. Also war sie nicht abgehärtet. Und wodurch wurde man nicht abgehärtet … Stopp. Der Grüne hob die Hände an seine Stirn und zog sich für einen Moment hinter den Baum zurück, um tief durchzuatmen, Mut zu fassen. Die vertraute Umgebung half ihm dabei, sich einen Ruck zu geben, und so schlenderte er mit konzentrierter Miene direkt auf das Mädchen zu, hockte sich vor ihr auf den Boden und suchte Blickkontakt, ehe er ihr seine Salbedose unter die Nase hielt. „Du solltest deine Wunde vom Boden fernhalten, wenn du keine Infektion kriegen möchtest.“ Sein Ton war warm, aber nicht wirklich gefühlvoll. Musste er auch nicht. Sie konnte nicht laufen, also würde er ihr helfen, damit sie wegging, und sich wieder hinlegen. Seine Aufmerksamkeit galt direkt wieder ihrem Bein, immerhin war das ja auch sein Zielobjekt. Ohne sich darum zu kümmern, dass er wahrscheinlich ganz schön bedrohlich auf sie wirkte, schlang er eine Hand um ihre Wade und hob ihren Fuß leicht, um die Wunde genauer betrachten zu können und sie auf Schmutz zu untersuchen. „Hier.“ Er löste eine Lasche und warf ihr seinen Beutel vor die Füße. „Hol ein Tuch und die Alkoholische … Das Wundspray. Fass nichts Anderes an und versuch nichts davon zu essen, auch wenn es gut riecht.“ Ein todernster Blick in ihre Augen. „Du hast deine Schuhe von dir geschleudert.“ Und er würde gleich aufspringen und sie holen, wenn sie nichts dagegen hatte.

Valerie war so auf die brennende Verletzung an ihrem Bein fixiert, dass sie die sich ihr nähernde Person kurzerhand ganz einfach übersah und nicht einmal bemerkte, dass sie nicht mehr allein war. Stattdessen strich sie mit spitzen Fingern vorsichtig über die abgeschürfte Haut und musste sich hier und da ein weiteres gequältes Wimmern verkneifen. Das tat aber auch was weh. Bei ihrem letzten und ersten Auftrag hatte sie sich kaum nennenswert verletzt und generell war Valerie niemand, der oft von körperlichen Mankos gequält wurde. Es war ganz einfach so, dass die meisten Menschen dazu neigten einen Beschützerinstinkt ihr gegenüber zu entwickeln und sie dadurch oft rund um die Uhr versorgt und behütet wurde. Daher hatte sie auch eine sehr geringe Toleranz gegenüber Schmerzen und Verletzungen aller Art, schließlich wurde das meiste Übel ganz einfach durch vorbeugende Maßnahmen abgewendet. Dafür trafen sie Kratzer, Schürfwunden und andere Verletzungen jedoch umso härter, wenn sie denn dann einmal in Kontakt mit ihnen kam.
Wie sie da so mit hart aufeinandergepressten Lippen ihre Wunde näher in Augenschein nahm, übersah die kleine Finsternismagierin auch völlig die Person, welche sich mit beachtlicher Vorsicht auf sie zu bewegte und erst als das Mädchen von einem Schatten überragt wurde, schreckte sie auf und blinzelte die Gestalt vor sich entsetzt an. "Oh Gott, bitte tu mir nichts!", stieß das Mädchen in ihrer Panik hervor, noch ehe der Herr auch nur die Chance hatte ein einziges Wort an sie zu richten. Normalerweise war Valerie eine Person, die ihrem Gegner stets das Gefühl von absoluter Überlegenheit und Stärke vermittelte und sich Situationen durch überraschende Flexibilität relativ schnell anpassen konnte. Unter normalen Umständen wäre es ihr auch extrem unangenehm gewesen, dass ein ihr vollkommen fremder Mensch sie in einem Moment der Schwäche zu Gesicht bekam. Valerie hasste es, wenn sie vor anderen weinte oder ihre Liebmädchenfassade fallen ließ. Es brachte sie aus dem Konzept und ließ sie zudem auch noch mit einer ordentlichen Portion Ungewissheit und Panik zurück. In diesem Fall sorgte jedoch vor allem Letzteres dafür, dass sie nicht einmal die Chance hatte, sich über ihr Verhalten oder aber ihr Erscheinungsbild näher Gedanken zu machen. Panik und Angst benetzte jede Faser ihres Seins, während in ihrem Hinterkopf nur der Gedanke hämmerte, dass sie einem möglichen Gegner verletzt und völlig hilflos ausgeliefert war. Sie hatte ja nicht einmal eine ihrer Waffen dabei!
Als die Sakai jedoch bemerkte, dass der Grünhaarige ihr ganz offensichtlich nicht schaden wollte, beruhigte sich ihr schnappender Atem langsam wieder und mit einem erleichterten Seufzen legte das zierliche Mädchen sich ihre rechte Hand über die Stelle, unter welcher sie ihr klopfendes Herz vermutete. Der Puls hämmerte ihr unter den Fingerspitzen, während sie versuchte ihren vor Panik starren Körper langsam wieder zu entspannen. "Hättest du dich nicht vorher ankündigen können? Sich so anzuschleichen ist wirklich nicht die feine Art...", murmelte die Dunkelhaarige heiser und fuhr sich müde mit ihrer linken Hand über das Gesicht. Der plötzliche Adrenalinschub hatte sie ganz plötzlich ausgezerrt und erschöpft zurückgelassen. Sie würde in diesem Fall über die Unhöflichkeit des Neuankömmlings hinwegsehen, hatte er doch ganz offensichtlich vor ihr zu helfen. Zudem schien er sich wenigstens ansatzweise mit Verletzungen auszukennen, riet er ihr doch, das verletzte Bein nicht mit dem dreckigen Erdboden in Kontakt kommen zu lassen. Das klang in ihren Ohren ganz logisch, wollte sie doch ebenfalls vermeiden Dreck und Schmutz an die abgeschürfte Haut und das Fleisch darunter kommen zu lassen. Jedes kleine Kind wusste schließlich, dass sich solche offenen Wunden nur zu leicht entzünden konnten und anschließend noch größere Schmerzen verursachten.
Er mochte noch so viel Ahnung haben, Valerie erschreckte sich trotzdem, als der Fremde mit einem Mal nach ihrem Bein griff und es vorsichtig hob, vermutlich um das Übel näher begutachten zu können. Tatsächlich zuckte sie so heftig zusammen, dass sie sogar ein wenig nach hinten rutschte und kurz darauf beschämt das Gras zu ihren Händen musterte, welches sie in ihrer Erschrockenheit so eilig umklammert hatte. "T-tut mir leid...du hast kalte Hände..." Das war gelogen. Eigentlich hatte er sogar recht angenehme Hände und wenn Valerie so näher darüber nachdachte, dann fühlte es sich gar nicht einmal so unangenehm an, seine Hände auf ihrer Haut zu spüren. Etwas ungewohnt ja, aber keinesfalls abstoßend oder beängstigend. Obwohl...Letzteres wohl doch irgendwie, kannte sie den seltsamen Jungen doch eigentlich gar nicht. Wer er wohl war und was er hier wohl ganz alleine im Wald gemacht hatte? Mit seinen grünen Haaren konnte man glatt denken, dass er sich in seinem natürlichen Lebensraum befand.
Die Sakai versuchte sich ein Schmunzeln bei ihren Gedanken zu verkneifen und sich stattdessen lieber auf den Ernst der Lage zu konzentrieren. Was hatte er gesagt? Sie sollte etwas in seinem Beutel suchen? Und sie sollte möglichst nichts...essen? Aus seinem Beutel? Glaubte er denn wirklich, dass sie naiv genug war um Essen von fremden Personen anzunehmen? Oder einer gut riechenden Speise nicht widerstehen konnte? Die Lamia unterdrückte ein Schnauben, während ihre dünnen Finger am Verschluss des Beutels friemelten und kurz darauf in ihm verschwanden um die verlangten Gegenstände zu finden. Als Valerie sich ein bisschen weiter vorbeugte um sehe zu können, was genau sie da suchte, musste sie feststellen, dass ihr Gegenüber recht gehabt hatte. Irgendetwas in diesem Beutel roch wirklich fantastisch. Das Mädchen schluckte hart und versuchte sich mit ihrer Suche zu beeilen. Es wäre schließlich wirklich mehr als peinlich, wenn sie sich nun doch nicht mehr beherrschen könnte und entgegen seiner vorherigen Anweisungen dennoch etwas aus seinem Privatbesitz vernaschte. Stattdessen griff die Siebzehnjährige so schnell wie möglich nach dem Tuch und einem Fläschchen, das sie als das Wundspray vermutete und hielt es ihrem Retter schließlich mit zitternden Händen entgegen. "Hast du das gesucht?" Sie war gespannt, was genau er nun damit vorhatte. Würde es wehtun, wenn er dieses komische Spray auf ihrer Wunde verteilte? Der Gedanke machte sie nervös, denn Valerie mochte keine Schmerzen. Tatsächlich kam sie sogar ganz wunderbar ohne sie aus und vermied sie wo sie es nur konnte. Nur dieses eine Mal hatte sie natürlich nicht aufgepasst und war kurzerhand ihrer eigenen Unachtsamkeit zum Opfer gefallen. Ein leises Seufzen verließ ihre Lippen, während sie dem Blick des Grünhaarigen folgte und tatsächlich ihre Schuhe in einigen Metern Entfernung entdeckte. "Da hast du wohl recht. Ich werde sie mir gleich holen müssen...", stellte die Magiern schließlich fest und starrte ihr schwarzes Schuhwerk an, als könnte sie es für ihren Sturz und die daraus resultierenden Schmerzen verantwortlich machen. Verflixte Ballerinas, verflixter Baumstamm. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?" Wenn er ihr schon half, dann musste sie wenigstens so viel über ihn erfahren.