Was hielt Cyrus eigentlich von dem Neuankömmling, der so seltsam und beinahe verrückt anmutend auf den Gartenzaun gesprungen war und sich ein wenig kleinkindhaft gebärdete, die beiden Magier allerdings zu einem Kartenspiel herausforderte? Gute Frage... Sein erster Eindruck war zumindest, dass dieser Typ wahrscheinlich wahnsinnig war oder aber nur einen äußerst schlechten Geschmack besaß. Er selbst tippte allerdings auf ersteres, da er bereits zu Anfang damit begann, sich mit sich selbst zu unterhalten, zudem schien er ja wirklich seinen Spaß daran zu haben, die beiden im Matsch herumwühlen zu sehen. Wobei, nass war es immerhin nicht, dafür aber unerträglich warm... wie konnte der Junge eigentlich in einer Pelzjacke herumrennen, während er hier so schon schwitzte? Hatte er ein integriertes Kühlsystem da drinnen oder konnte er es einfach nur verdammt gut überspielen?
Der Spitzname Hime-chan war im Übrigen natürlich unglaublich einfallslos, aber der Junge provozierte ihn einfach extrem, zudem Cyrus zwar noch andere Kosenamen einfielen, diese aber entweder von den elektrischen Funken zwischen den Händen des Blonden herrührten – und er sie somit zuvor nicht hatte erstellen können – oder aber sofort beleidigend sein würden. Selbst er schreckte seine Opfer nicht auf den ersten Blick ab, nur wenn sie erst einmal an Ort und Stelle gebunden waren. So war das beispielsweise Maenor ergangen, der wohl erst bemerkt hatte, dass Cyrus nicht gerade besonders freundlich war, als er schon mit ihm in einem Zugabteil saß… jaja, man konnte sich eben in Menschen täuschen, nicht wahr? Und erst Recht in ihm, ein kleines Wunder also, dass Rai der Meinung war, er müsse Maenor gewinnen lassen. Der Plan, den er sich dafür zurecht rückte, war relativ extrem simpel, weswegen es nicht wundern durfte, dass Cyrus am Ende nicht frustriert, sondern eher mitleidig lächelte, als Rai erklärte, es tue ihm Leid, aber er müsste nun wohl weiterarbeiten. "Ich hätte erwartet, dass du dir einen Trick aussuchst, der nicht ganz so einfach zu durchschauen sein würde, Hime-chan.", meinte er nur kopfschüttelnd, wobei eine Strähne seines schneeweißen Haars in sein Gesicht fiel, die er kurz darauf mit einer schnellen Wischbewegung wieder in die richtige Position beförderte. Eine Karte ziehen ohne sie zu zinken und den anderen beginnen lassen war ja nun wirklich nicht die Erfolg versprechendste Idee, um ein Kartenspiel zu gewinnen. Also hatte er wohl extra verloren, was bedeutete, dass er entweder geil aufs buddeln war – unwahrscheinlich – oder sich mit Cyrus unterhalten wollte – auch unwahrscheinlich? Weswegen war er also hier? Von seinem Tonfall auszugehen, versuchte er ihn zu ärgern, deswegen vielleicht auch das Spiel, da er Cyrus so immerhin einen kurzen Moment in dem Glauben gelassen hatte, er habe eine Chance, sich hier nicht mit den Brombeeren weiter vergnügen zu müssen. Wenn es ihm nur darum ging, Maenor abzulösen, dann hätte er die Karten auch stecken lassen können, das Resultat wäre das gleiche gewesen. Dummerweise war Cyrus wirklich nicht der Typ Mensch, der sich einfach nerven ließ oder der sich gar die Blöße gab, dass man ihn ärgern konnte. Der Kleinere konnte es ja ruhig probieren, aber in Anbetracht der Tatsache, dass Grandine die einzige Person war, die ihn je zum weinen oder dazu gebracht hatte, seine gute Laune offiziell zu verlieren, standen seine Chancen doch gering. Ebenso gering, wie, dass er ihn auf einmal mit Hime-sama ansprechen würde, also eigentlich bei null. "Zudem du nun auch arbeiten musst~ Und die Dornen sind, wie du bereits bemerktest, recht schmerzhaft." *Nicht, dass ich mich davon verletzen lassen würde, aber ganz so sonnig ist das hier nicht…* Cyrus grinste zurück, ehe er die Schaufel wieder aus der Erde zog und sich dem Loch zuwandte, welches er schon geschaffen hatte. "Im Schnelldurchlauf, damit du weißt, wo der Haken an der Sache ist…", meinte er, ohne Rai eines Blickes zu würdigen, ehe er mit dem Daumen über die Schulter und auf den Alten deutete, "Der Alte da meint, er habe hier einen Schatz vergraben, ist aber halb dement und hat keinen Schimmer mehr davon, wo genau." *Willkommen im Paradies, mein Kleiner...* Das metallene Schaufelblatt wurde in die Erde gestochen und hebelte erneut die Wurzeln eines Strauches heraus. "Hopp, hopp, Hime-chan, ich esse Weihnachten eigentlich immer recht früh~", lächelte er darüber, dass der Blonde die Schaufel irgendwie ein wenig deprimiert anstarrte. Hätte er früher darauf kommen können, dass er sicherlich nicht faulenzen konnte? Würde er das tun – der Alte stand immer noch nahe beim Haus und beäugte den Neuankömmling ein wenig misstrauisch.

"Oi! Erwecke ich für Shiro-chan etwa den Eindruck, als wäre ich schlau? Nun, nun. Es sind oft die einfachen Tricks, die am schwersten zu durchschauen sind. Bei großem Tamtam rechnet doch jeder damit, dass man Leute veräppelt. Aber du vertraust bestimmt aus Prinzip niemanden, eh? Und ich wette, du zermartest dein hübsches Hirn in dem Moment, wieso ich diesen Trottel gewinnen ließ, wo es doch soviele Nachteile für mich hat, nicht, ja? Yare-yare...vielleicht habe ich ja doch zuviel Tamtam gemacht, so dass du nun doch misstrauisch geworden bist? Schade aber auch. Aber ich liebe Tamtam. Sogar das Wort ist toll!" Und mit diesen Worten, alle breit grinsend gesprochen, ignorierte er Seraphim erst einmal, denn im Moment hatte er etwas weitaus Fesselnderes gefunden als die Pseudo-Freundlichkeit des Weißhaars, das er in Ermangelung eines Namens einfach einmal 'Weißlein' getauft hatte. Schrecklich passend, wo Shiro doch auch 'Unschuld' bedeuten konnte, non? Und Seraphim tat ja wirklich herzallerliebst unschuldig. Natürlich konnte Rai nicht wissen, ob er vielleicht wirklich so lieb und nett war, aber der flötend, säuselnde Tonfall biss sich irgendwie mit dem gehässigen Sinn der Worte. Egal, egal, der Typ mit dem Prinzessinnenkrönchen war momentan in seine eigene kleine Welt versunken und trällernde fröhlich eine Melodie aus "Tamtamtaratatatatam..." vor sich hin, während er doch tatsächlich die Schaufel aufhob und zunächst sie und dann seine Stiefel einer eingehenden Musterung unterzog. Schließlich entschloss er sich, die ihm aufgebotene Arbeit erst einmal auszuprobieren, um später zu entscheiden, ob er einfach verschwinden würde oder nicht. Er hatte sich zwar per Spiel dazu verpflichtet, für Maenor zu arbeiten und Spielschulden waren bekanntermaßen Ehrenschulden, aber Rai gab für gewöhnlich ein Stoffwechselendprodukt auf die Erhaltung seiner Ehre. Das Ausgraben eines Schatzes (der Blondiner hatte übrigens durchaus zugehört, was Seraphim ihm da über den Alten erzählte, trotz seiner ziemlich penetranten Tamtamerei) war eine entwürdigende Arbeit, nicht geschaffen für einen Dragonslayer wie ihn. Hime-chan war ein Unikat, ihn gab es nur einmal auf der Welt. Drache behüte, dass er sich auf solch niedrige Dienste herabließ. Nun, so dachte zumindest der vernünftige Teil des jungen Mannes, der aber - leider - nicht wirklich derjenige war, der im Geiste des Ichimatsu die Vormachtstellung innehatte. Vielmehr kämpfte er auf verlorenem Posten und hielt schwitzend die Tür in sein schwarzes Inneres, während all die kleinen Dämonchen, die dort lebten, gackernd gegen diese rannten. Immer und immer wieder. Was meinte denn Rais innerer Schweinehund zu der ganzen Sache? Blut. Okay, der war nicht sonderlich gesprächig, aber im Prinzip verstand er schon, was er damit sagen wollte. Der rote Lebenssaft hatte auf ihn eine ganz besonders anziehende Wirkung und dabei kam es auch gar nicht darauf an, ob er nun das anderer oder sein eigenes vergoss. Es war immer ein faszinierendes Schauspiel. Deshalb störte die Schärfe der Dornen den Blitzjunkie überhaupt gar nicht. Das Lächeln schrumpfte, bis es nur noch in einem Mundwinkel zu sehen war, was durchaus bedrohlich aussah, dann rammte er die Schaufel mit der Spitze voraus kerzengerade in den Boden. Eine Hand schloss sich um die Ketten und zog sie alle auf einmal vom Hals. Ihr Gewicht zwang seinen Arm sogar ein Stück nach unten, bevor er sie hinter sich auf den Boden fallen ließ. Sie machten ein dumpfes Geräusch, als sie auf das Gras prallten, ganz so als hätte man gerade einen Ziegelstein hineingeworfen. Und sie waren auch wirklich so schwer - Rai hatte heute eine größere Masse als sonst gewählt, da er nicht vorhatte, auf eine Quest zu gehen. Tja, das war jetzt wohl eher überflüssig, schließlich würde er sein Training woanders erhalten. Und Bewegungsfreiheit war hoch geschätzt!"Och, keine Sorge, die Brombeersträucher werden sicher nicht verschwinden....", flötete er nunmehr mit einem breiten Grinsen, ehe sich die schlanke Hand um den Griff der Schaufel schloss und er sie mit einem Ruck aus dem Boden zog. Mit einem Gesicht, als gäbe es keine größere Freude, als diese Arbeit zu verrichten, bohrte sich das Metall in die Erde und wurde mit einem Fuß weiter hineingetrieben, um die Wurzel des ersten Strauches auszuhebeln. Kichernd ergriff er den Stamm des lose hängenden Gestrüpps und brachte es mit einem kräftigen Zug dazu, die kleineren Wurzeln zu verlassen. Achtlos warf er das Teil beseite und betrachtete dann erwartungsvoll seine Hand. Von seinem Zeigefinger tropfte ein kleiner, unwichtiger Rinnsal Blut, der fasziniert analysiert wurde, ehe sich die rote Zunge aus dem Mund schob und es aufleckte. Sich bereits wieder der Schaufel zuwendend, schlug er einen ähnlich künstlichen Tonfall an wie Seraphim. "Hime-chan hat keine Angst vor Schmerzen oder Verletzungen...Bin ich jetzt eine schlechte Prinzessin?~ "

Shiro-chan? Ernsthaft, Shiro-chan? Hatte der Kleinere ihm etwa gerade einen herabwürdigenden Spitznamen verpasst und nachfolgend versucht, eine psychologische Abhandlung über sein Wesen zu erstellen, obwohl er ihn erst Minuten zuvor getroffen hatte? Ouh, er schien es ja beinahe darauf anzulegen, das Weißhaar gegen sich aufzubringen, was vielleicht ein nicht besonders kluger Schachzug war, wenn man bedachte, dass die beiden hier zusammen eine Quest erledigen würden und Cyrus ihm die Informationen, worum es hier eigentlich ging, noch nicht gegeben hatte. Und wenn er so weiter machen würde, würde er alles dafür tun, dass Rai auf die harte Tour würde lernen müssen, dass ihr Auftraggeber ein wenig anstrengend war.
Ob er den Eindruck erweckte, dass er schlau sei? Nein, eigentlich das eher weniger, er wirkte primär so, als habe er ordentlich einen an der Waffel. Allerdings war er ziemlich undurchschaubar (bis jetzt), schon allein, weil es dem Dragonslayer noch nicht gelungen war, die Augen des Jungen zu erblicken. Diese waren ja bekanntlich das Fenster zur Seele und wenn sie sich vor ihm versteckten, dann verbarg sich ihm auch ein Blick ins Innere des Menschen. Er musste also bei nächster Gelegenheit den Schleier (oder den Pony) des Unwissens lüften und darunter spähen, um sich ein genaueres Bild machen zu können. Allerdings hatte er schon einmal den Makel an sich, dass er unglaublich respektlos war - was wohl auch auf Cyrus zutrat, aber keinen Respekt vor seiner Person zu haben war ein echtes No-Go. Das tat man einfach nicht, er war der Himmels Dragonslayer, verdammt noch mal. Kein kleines Menschlein, das man herumkicken und zu seinem Vergnügen quälen konnte. Nein. Wie er wohl darauf reagieren würde, wenn er herausfand, dass Rai ebenso von einem Drachen aufgezogen worden war? Ob Cyrus aus Prinzip niemandem vertraute? Ins Schwarze getroffen, bis auf Grandine und vielleicht einer anderen Person vertraute er niemandem. Warum auch? Die anderen waren schwach und damit unwürdig, sein Vertrauen zu genießen und seine Schwächen zu kennen. Selbst erwähnter Person vertraute er nur so weit, dass er sicher war, dass er ihn nicht unnötig verletzen würde - wovon man umgekehrt nicht ausgehen konnte. Ob er sich den Kopf zerbrach, warum Rai das Spiel verloren hatte? Nein, das war schon längst vorbei, dafür war das Blondchen gar nicht wichtig genug. Prinzipiell war er doch auch nur ein kleines Krabbelvieh, das vor seinen Füßen im Staub kroch. Allerdings hatte eben jenes Käferlein es gerade geschafft, sich ein wenig unbeliebt bei dem Weißhaarigen zu machen, weswegen er die beinahe freundlich gemeinten Informationen über den alten Mann erst gar nicht aussprach. Richtig, statt den Sätzen über demente alte Männer meinte er nur mit nach wie vor freundlicher, aber bestimmter Stimme "Seraphim. Weder Shiro-chan noch irgendeine andere Vergewaltigung dieses Namens." durch das ätzende tamtamere des Jungen.
Aber war es nicht eigentlich recht niedlich, wie ähnlich die Gedankengänge der beiden jungen Männer waren? Genau wie Rai sich zu gut für diese Tätigkeit hielt, war auch Cyrus davon überzeugt, dass dieser Garten seiner eigentlich nicht würdig war. War das ein Fluch, der den Ziehsöhnen und -töchtern der Drachen anheimgefallen war? Dass sie allesamt arrogant wurden und sich höher als den Rest der Menschheit schätzten? Vielleicht, lag ja auch nahe, schließlich zählten ihre Magien zu den stärksten der Welt. Aber hey, endlich begann das Bürschchen sich zu bewegen und die Schaufel in die Hand zu nehmen, nachdem er sich auf eher unelegante Art und Weise seines Schmucks entledigt hatte. War ja auch verdammt viel Krimskrams, was der Junge da an sich hängen hatte, zu viel des Guten, wenn man Cyrus fragte. Er hatte ja generell nichts gegen schmückendes Beiwerk, auch beim männlichen Geschlecht (Immerhin trug Souta Ohrringe und er selbst hatte beispielsweise eine Tätowierung mitten im Gesicht – wie käme er denn dazu, einen der beiden als hässlich darzustellen?), aber der Blonde übertrieb es wirklich ein wenig, das war nicht mehr schön, das war einfach nur überladen. Zudem schienen das ja mehrere Kilogramm Metall zu sein, die der Blonde mit sich herumschleppte. Nun ja, er schien verrückt zu sein, sollte man ihm sein Privatvergnügen doch nicht nehmen. Nachdem auch Cyrus seine Schaufel wieder in die Erde getrieben hatte, beachtete er den Blonden einfach nicht weiter, bis dieser ganz offenbar neue Gipfel der Idiotie erklomm und einen Strauch mit den bloßen Händen herausriss. Trottel. Brombeeren haben Dornen, war er blind oder einfach nur blöde – oder hatte er das etwa extra gemacht? Schließlich lutschte er das Blut von seinem Finger und schien seinen eigenen Sprachduktus zu imitieren, als er sich erkundigte, ob das nun etwas seltsames für eine Prinzessin sei. *Aww… versuchst du wirklich, mich zu ärgern?* Bei diesem Gedanken grinste der Dragonslayer und betrachtete eindeutig gespielt mitleidig die Hand des Jungen, bevor er den Kopf schüttelte und tadelnd meinte: "Traurigerweise habe ich kein Pflaster für die zarte Haut unseres Prinzesschens dabei, dass es sich aber auch verletzen muss…" Oh, ja, richtig… Cyrus könnte ihn heilen. Nein, dieser Gedanke wurde ganz schnell wieder verdrängt, als ob er einen kleinen Irren heilen würde, der sich selbst verletzte! Wäre ja zu schön. Nein… das würde er einfach mal tot schweigen, wie er es sonst auch immer tat. Statt also erste Hilfe zu leisten reagierte er ansonsten nicht weiter groß auf Rais Zurschaustellen seines Wahnsinns, sondern hebelte einen weiteren Brombeerstrauch aus, ehe er zu dem Alten auf der Terrasse herüber spähte, seufzte und noch einen Strauch aus der Erde hob. Himmel… warum hatte er sich gleich für diese Quest gemeldet? Nun hockte er hier in einem verdammten Garten mit einem verdammten Irren und einem verdammten Dementen und durfte einen verdammten Schatz suchen, dessen Existenz nur von dem Mann bestätigt worden war… das war so erniedrigend! Um sich von diesen Gedanken abzulenken fragte er nach ungefähr einer Minute zu dem Anderen gewandt: "Und? Welche Magie beherrschst du, Hime-chan?" Gut, er hatte ja schon einiges mitbekommen, die Blitze um seine Hände waren ihm nicht entgangen, aber so hatte er immerhin erst einmal ein Gesprächsthema.

Normale Menschen, die den Namen ihres Gegenübers herausfinden wollten, griffen für gewöhnlich auf eine simple Frage zurück. "Wie heißt du?" war beliebt unter sozialen Artgenossen, schließlich war ein Gespräch gleich viel persönlicher, wenn man die Aufmerksamkeit durch das direkte Ansprechen der Person vertiefen konnte. Leider war Ichimatsu Rai aber nicht normal. Außerdem hatte er entweder keinen Zugang zu den Tiefen der zwischenmenschlichen Beziehungen - oder aber es machte ihm einfach viel mehr Spaß, den Namen von Seraphim herauszufinden, indem er ihn mit peinlichen Spitznamen solange quälte und ärgerte, bis der ihm freiwillig davon erzählte. Im Grunde interessierte ihn nicht die Bohne, wie das Weißhaar hieß, aber er wollte nett sein und war gerade dabei wie eine Raubkatze um ihn herumzuschleichen (rein metaphorisch gesehen natürlich), pieksend und drückend auf der Suche nach dessen Schwachstellen. Der erste Impuls des sadistischen Psychophaten war es nämlich immer, nachzusehen, ob man nicht eine Gelegenheit beim Schopfe packen konnte. Das Salz für die vielleicht vorhandene Wunde war immer gezückt. Allerdings war ihm selbst klar, dass es nicht so einfach sein würde. Rai war nicht dumm, und das ließ ihn erkennen, dass auch sein frischgebackener Questpartner alles andere als auf den Kopf gefallen war. Der Umstand, dass der nicht wirklich auf seinen frechen Spitznamen reagierte - nicht ärgerlich, aber bestimmt - tat sein Übrigens. Es war allein diese winzige Geste, die den Dragonslayer eines vermittelte: Seraphim wollte der Boss sein. Seine Vorgehensweise, um dies zu ermitteln, war wirklich genial gewesen. Man musste immer wissen, mit welcher Sorte Mensch man es zutun hatte, denn die Schwächen der verschiedensten 'Herrschertypen' waren an den unterschiedlichsten Orten angesiedelt. Hätte das Weißhaar beispielsweise mit Humor auf seinen Spitznamen reagiert, so hätte er sich direkt auf dieselbe Ebene wie Rai begeben. Frei nach dem Motto: "Ich ärgere dich damit, also darfst du mich auch ärgern." Dies war jedoch nicht der Fall. Und da Seraphim ganz offenbar auch nicht in Tränen ausgebrochen war (Rai starrte ihn ziemlich penetrant die ganze Zeit über an) blieb nur noch die letzte Möglichkeit übrig. "Ich ärgere dich, aber du bist es nicht wert mich zu ärgern. Einmal ist okay, aber ich zeige dir direkt sachlich, wo dein Platz ist." Auch die Untergrabung seiner Männlichkeit durch den Namen 'Hime-chan' war ein Indiz dafür. Es war seinem neuen Freund offenbar sehr wichtig, der Mann zu sein, der die Fäden in der Hand hielt. Ob man davon auch auf Manipulation schließen konnte? Rai selbst behandelte gerne seine Mitmenschen wie Marionetten, aber das ließ sich nicht unbedingt auch auf andere übertragen, leider war er nämlich recht einzigartig...Nichtsdestotrotz war es doch erstaunlich, wieviel Shiro-chan mit einem ganz einfachen Satz an Informationen preisgab? So gesehen hatte der Ichimatsu also eine anständige Gegenleistung für die zurückgehaltenen Questdaten erhalten, ob es dem Weißschopf wohl ärgern würde, wenn er das wüsste? Bestimmt. Aber der Zeitpunkt für die Offenbarung war noch nicht gekommen. Außerdem zeigte er sich von seiner psychologischen Abhandlung wahrscheinlich sowieso eher unbeeindruckt. Was nicht bedeutete, dass Rai nicht langsam aber sicher immer mehr Informationen horten konnte. Irgendwann war schon eine Schwachstelle dabei. "Yare-Yare, keine Sorge, Seraphim. Ich brauche kein Pflaster, ich bin ein großes Mädchen." Ein giggelndes, sehr unmädchenhaftes und eher irres Kichern begleitete seine Aussage, während er seine bluttropfende Hand hob. Rai war Sadist. Und in gewisser Weise auch Masochist. Das war ein Nichts gegen andere Verletzungen...lustigere Wunden...Nanu? Hatte Seraphim etwa seine soziale Ader neu entdeckt, während er selbst noch damit beschäftigt war, sich einen abzulachen? Schien so, jedenfalls fragte er ihn richtig pseudo-freundlich, welche Magie er beherrschte. Aiai. Da war er in Oshibana Town und das Weißhaar wusste es nicht, wenn er einen Dragonslayer vor sich hatte? Dabei war er doch berühmt (beziehungsweise berüchtigt) und alles! Rai fühlte sich aufrichtig brüskiert. So aufrichtig, wie er sein konnte. Also gar nicht. Der Donnermagier lächelte wieder, zeigte alle seine Zähne und stieß den Spaten in die Erde. So als wäre es das Natürlichste überhaupt, flötete er, während sich die Schaufelspitze wieder vom Boden hob, um ihre Ladung loszuwerden: "Donner Dragonslayer. Und du?"

"Donner Dragonslayer. Und du?"
Cyrus' Spaten stieß auf einen Widerstand, als wolle das Universum seinen Gedankengang in diesem Moment nachvollziehen, der mit einem Mal stillzustehen schien. Moment, dieser seltsame, vollkommen wahnsinnige Rai war der Donner Dragonslayer? Das änderte einiges, zumindest für ihn, denn der junge Mann, der Menschen normalerweise für nicht viel wertvoller als den Dreck unter seinen Stiefeln erachtete, hatte durchaus eine höhere Meinung von denjenigen Ausgewählten unter ihnen, die das Privileg genossen hatten, von einem Drachen ausgebildet zu werden. Sie waren einfach wertvoller als einfache Menschen und wurden deswegen von Cyrus meist besser behandelt. Also hatte Rai gerade eine gute 150-Prozent-Aufwertung erhalten, Glückwunsch. Aber leider machte das noch nicht besonders viel her, da der Junge an sich dem Weißhaar eher widerstrebte, seine seltsame Art, sein Auftreten, die Tatsache, dass man seine Augen nicht sehen konnte... also würde er nicht von einer auf die andere Sekunde zur Respektsperson werden, nein. Der Donner Dragonslayer war also ein kleiner Irrer? Ohne respektlos klingen zu wollen, wunderte es ihn nicht. Grandine hatte ihm von ihren Schwestern und Brüdern erzählt und Mjöllnir war dabei nicht gerade besonders gut weggekommen; auch wenn sie sicherlich nicht über ihn gelästert hatte (Drachen lästerten nicht, sie erörterten), so war doch eher durchgeklungen, dass er noch ein wenig mehr mit Emotionen als seine Ziehmutter geizte und vor allem seine eigenen Ziele verfolgte, diese aber hartnäckig. Wobei er niemals von dem Drachen auf seinen Schüler schließen würde, nein. So naiv würde er nicht sein, da er selbst wohl das beste Beispiel dafür war, dass das nicht stimmte. Immerhin half Grandine den Menschen, wenn auch selten, und war von Krieg nicht besonders angetan. Sie war der Drache, der wohl am hilfreichsten den Menschen gegenüber wirkte - war aber auch die einzige, die über entsprechende Fähigkeiten verfügte. Und was hatte sie herangezogen? Einen Egoisten, der nie auf die Idee kommen würde, einem Menschen freiwillig zu helfen. Puh... wenn Grandine das so direkt erfahren würde, würde es sicher Schläge setzen... Zwar war sie ja gegen Kriege, aber ihren Ziehsohn bekam sie mit Worten allein auch nicht in die Knie. Nahe dran, aber nicht ganz. Also durfte sie es nicht erfahren, ganz einfach.
Welch ein Glück, dass Cyrus' Lächeln brav an seinem angestammten Platz blieb, während er ohne mit der Wimper zu zucken weiter grub und die Erde links an ihm vorbei warf, ehe er den Spaten in den Boden rammte und Rai von oben bis unten musterte, wie er da in eindeutig zu femininen Kleidern stand und im Dreck buddelte. War man sich denn wenigstens einig, dass diese Mission für gleich zwei Dragonslayer wirklich entwürdigend war? Cyrus kicherte und legte dann den Kopf schief, um den Blonden leicht abschätzig aus seinen hellvioletten Augen anzusehen. "Mjöllnirs Ziehsohn also...?", stellte er fest und musterte ihn erneut, als wolle er mit sich überein kommen, ob dieser Junge dem Drachen wohl würdig war. Was das Grinsen auf seinen Lippen wohl zu bedeuten hatte, hmm? "Chihihi... das heißt wohl, wir sind sowas wie verwandt~", fuhr er fort, das Lächeln nach wie vor konstant, auch wenn diese Vorstellung nicht gerade wundervoll war. Immerhin war Rai interessanter als so etwas wie Maenor, mochte er noch so viel von Menschen verfolgt werden, nicht wahr? Übrigens, um noch einmal auf Rais Vermutungen zurückzukommen: Er hatte Recht. Cyrus mochte so bisexuell orientiert sein, er war immer und nur der Mann. Er ließ sich auch nicht unterbuttern oder gar fremdbestimmen; wenn er die Kontrolle nicht erringen konnte, so entfernte er sich lieber, anstatt jemand anderem diese zu überlassen, das war so gar nicht sein Ding. Deswegen ließ er es auch gerade in kämpferischen Auseinandersetzungen gar nicht erst zu, dass er in die unschöne Lage geraten könnte, hilflos dazuliegen. Lieber haute er dann ab. Hilflosigkeit war... nicht schön. Erinnerte nur an unschöne Dinge und brennende Häuser. Aber in einer Folgerung hatte der Junge wohl ebenso Unrecht: Es hätte Cyrus nicht gestört, im Gegenteil war es nur gut, dass er das wusste, dann konnte er sich daran halten.
"Himmels Dragonslayer, Itoko*-kun~", säuselte er, während er den Spaten wieder aus der Erde zog und weiter grub. So langsam waren sie eigentlich schon recht tief und immer noch kein Schatz... irgendwie hatte er das ungute Gefühl, dass sie an der falschen Stelle suchten. Warum nochmal, hatte er diesen Job angenommen?

*Cousin

D'Aww. Herzallerliebst. Hatte Rai etwa gerade ein verloren geglaubtes Familienmitglied entdeckt, so ganz zufällig? Was genau erwartete Shiro-chan jetzt? Dass er sich ihm "Oh mein Cousin!" kreischend um den Hals warf? Bestimmt nicht, die einzige Gelegenheit, wieso der Dragonslayer jemanden die Arme dorthin legen würde, wäre, um diese Person zu erdrosseln. Mjöllnir hatte ihm recht eindrücklich gelehrt, dass er keine Familie besaß und niemanden trauen durfte, auch nicht irgendwelchen anderen, welche das Glück hatten, von Drachen aufgezogen worden zu sein. Deshalb wurde das in tiefschwarzem Morast der Bösartigkeit steckende Herz auch nicht berührt; Rai nahm den Fakt sachlich und gleichmütig an. Dann waren sie eben 'sowas wie verwandt'. Ja und? Selbst wenn Weißhaar sein Papa gewesen wäre, das hätte ihn auch nicht davon abgehalten, seine Schwachstellen zu analyiseren. Wobei der Vergleich mit seinen Eltern ohnehin etwas hinkte, der Donnermagier war ja im Allgemeinen nicht so gut auf seine Erzeuger zu sprechen, schließlich waren sie auf die brilliante Idee gekommen, ihr Baby auf einer gewitterumtobten Bergstraße zurückzulassen...waren Menschen nicht abartige Geschöpfe? "Scheint so." Obwohl er seinen Questpartner dabei so breit angrinste, dass die aufeinandergepressten Zähne ein unangenehmes Knirschen von sich gaben, klang es irgendwie, als würde er über das Wetter oder andere Nichtigkeiten sprechen. Allerdings hatte das Wissen darum, dass Seraphim ein Himmels Dragonslayer war zumindest einen Aspekt, der ihm nicht ganz gleichgültig war: Von seinem eigenen Ziehvater wusste er, dass diese Magie nicht nur das Manipulieren von Winden beinhaltete, sondern auch die Kraft zu heilen. Es war durchaus interessant und beinahe ironisch, dass ein Kaliber wie der Weißhaarige diese Magie besaß. Geradezu lächerlich! "Weißt du, Itoko-kun, wenn ich dich so ansehe, erscheinst du mir aber nicht gerade wie jemand, der den Leuten hilft...Ich kann mich ja verschätzen, aber bisher hattest du eher Spaß daran mich zu ärgern, nicht wahr? Was denkt Grandine denn dau? Yare-yare...Spaß beiseite...hast du vielleicht so...interfamiliär...einen Tipp, wonach wir eigentlich suchen? Ich meine, ich würde es aus dem alten Mann da schon herauskriegen, aber..." Für einen kurzen Moment verschwand das breite, pseudo-freundliche Grinsen und wurde zu einer Grimasse des Wahnsinns, während er sich an seine nunmehr ruhende Schaufel lehnte und seinen 'Cousin' anstarrte. Wenn Seraphim auch nur den Hauch einer Ahnung von Mjöllnirs Erziehungsmethoden hatte, würde er sicher nicht zulassen, dass der Ichimatsu den Alten 'befragte'. Vor allem nicht, wenn klar war, dass sich der Kleinere in einem leicht angepissten Zustand befand und eindeutig eine sadistische Ader besaß. Zudem waren Regeln wie das Vermeiden von Kollateralschäden nicht wirklich wichtig für ihn, wenn er dafür schneller vorankam. Und wenn er ihn nicht aufhielt? Na, umso besser! Dass sie nämlich an der falschen Stelle suchten, das war ja wohl klar, schließlich hatten sie trotz der Tiefe, die ihre Ausgrabung schon erreicht hatte, noch gar nichts gefunden. "Vorschläge für einen anderen Grabungsort sind natürlich auch herzlich willkommen, aber ich schlage vor, wir beeilen uns. Prinzessinnen warten nicht gerne..."

Wow, wenn Rai Gedanken lesen könnte, dann hätte er sich ganz bestimmt in genau diesem Moment einen Ast gelacht, da er so dermaßen ins Schwarze getroffen hatte, dass es schon an ein Wunder grenzte. Was dachte Grandine nur von ihrem Zögling, der sich weigerte, seine Mitmenschen zu heilen? Schon allein, dass Rai von den Heilfähigkeiten eines Himmels Dragonslayers wusste, wunderte, amüsierte und beunruhigte Cyrus zur gleichen Zeit. Wunderte, weil er bisher recht gut damit gefahren war, diesen herausstechenden Teil seiner magischen Befähigung einfach der Welt vorzuenthalten, wenn er ihn denn nicht gerade dazu benutzte, andere zu erpressen und somit die wenigsten von den wahren Fähigkeiten wussten, die Grandines Schüler beherrschen könnte. Amüsierte, weil er dann also genau wusste, dass Cyrus ihm seine Hand hätte heilen können, aber es nicht tat; zwar hatte er so rein theoretisch nerviges Herumgeplärre am Hals, sollte Rai ihn dazu bewegen wollen, was er aber bei der Persönlichkeit des Jungen nicht annahm, aber das Wissen darüber, dass sein Gegenüber um sein schieres Desinteresse wusste, war unterhaltsam. Beunruhigte aber auch, weil Cyrus wirklich nicht wollte, dass all zu viele Menschen von seinen Heilfähigkeiten Wind bekamen, nicht dass er nicht die Stirn hätte, sie alle abzuweisen, aber es würde ihn Zeit kosten, die er eigentlich auch weitaus bequemer verbringen könnte. Oh ja, weitaus angenehmer, als hier in einem dummen Garten herumzubuddeln. Viel angenehmer~ Wenn man zu diesen dreifaltigen Gedanken aber auch noch die Tatsache hinzuaddierte, dass Rai in gewisser Weise angemerkt hatte, dass Grandine sein eigennütziges Verhalten wohl nicht gutheißen würde, dann glitten die beiden ersten Reaktionen des Weißhaars sehr schnell hinter der dritten zurück. Um das zu verstehen, musste man wohl die Beziehung Grandines zu ihrem Schüler ein wenig näher beleuchten: Während Mjöllnir Rai ganz offenbar durch seine Lehrmethoden zu einem Psychopathen verstümmelt hatte, war die Drachin eigentlich gütigerer Natur und hatte den kleinen Cyrus - oder Ikaros, denn bei dem Namen nannte sie ihn im Allgemeinen, da sie meinte, er passe besser zum Wesen des Jungen - zwar ohne wirkliche Liebe, aber dafür recht frei erzogen, hatte ihn anfangs richtiggehend in Schutz genommen, weil der Junge nach dem für ihn traumatischen Zwischenfall, bei dem seine Eltern gestorben waren, erst einmal nicht ansprechbar gewesen war. Dann war sie wahrscheinlich zu lange nicht streng genug mit ihm gewesen, bis sie bemerkte, dass er sich nicht ihren Wünschen entsprechend entwickelte. Erst danach hatte sie damit begonnen, den Jungen in seine Schranken zu weisen, zuerst verbal – was sie wirklich gut beherrschte, niemand konnte Cyrus so gut zum Weinen bringen wie sie – und später, gerade als sie begann, ihn wieder an Menschen zu gewöhnen, durchaus manchmal auch physisch. Um es kurz zu machen, hatte sie dem Jungen einen ziemlichen Respekt vor ihrer Person eingebläut und dennoch dachte Cyrus nicht daran, seine Fähigkeiten in den Dienst der Menschheit zu stellen. Ja… und natürlich fürchtete er sich in gewisser Weise davor, dass sie das so auf dem Silbertablett erfahren würde, denn obwohl sie ihn mochte, so würde sie das sicherlich nicht gut aufnehmen. Gar nicht gut. Und gerade Rai sollte wohl aus Erfahrung wissen, dass ein wütender Drache nicht gerade zimperlich war, vor allem nicht, wenn er den angerichteten Schaden reparieren konnte, um dann einfach weiter zu machen. Doch anstatt zu erstarren und sich auszumalen, wie dieses Treffen wohl ausgehen würde, grinste Cyrus nur etwas breiter und meinte anschließend mit fröhlicher Stimme: "Wenn man den Menschen einen bequemen Weg vorgibt, werden sie ihn wählen, obwohl der kompliziertere der vorteilhaftere gewesen wäre. Ein Kind, das nie lernt, dass Feuer weh tut, wird eines Tages verbrennen, du verstehst?" Teehee… da war er einer Lüge aber gut ausgewichen, denn diese Lebensweisheit stimmte wohl vollkommen, wich einer direkten Antwort allerdings natürlich aus. "Oh~ Du weißt also gar nicht, wonach du hier gräbst, Itoko-kuuuun?", fragte er gedehnt und scheinbar überrascht ob der Unwissenheit des Jungen, "Natürlich nach einem Schatz, mein Kleiner…" An seinem Ton konnte man unmöglich feststellen, ob er das nun ironisch oder tatsächlich ernst gemeint hatte, was man daraus allerdings erkannte, war sein absolutes Desinteresse an der implizierten Drohung, der Blonde würde dem Alten etwas antun, wenn er es ihm nicht sagte. Er hatte es ihm gesagt, nun, aber wie die Chancen wohl standen, dass er den anderen Dragonslayer davon abhalten würde? Ziemlich schlecht, Cyrus hielt zwar eine amüsierte und ansonsten eher gelangweilte Fassade aufrecht, aber wirklich Spaß hatte er auch nicht. Einen anderen Grabungsort könnten sie dennoch suchen… "Hier ist nichts, Ojiisan… Haben Sie einen anderen Vorschlag?", rief er deswegen quer durch den Garten zu ihm hinüber – deutlich und laut, damit der auch verstand. Und, was antwortete der? Er runzelte nur die Stirn und nickte. Und nickte? Was sollte das denn nun? Cyrus seufzte, ignorierte den „Prinzessinnen warten nicht gerne“-Spruch von Rai und blickte ihn stattdessen an. "Hatte ich erwähnt? Er ist ein wenig schwerhörig, zudem scheint sein Gedächtnis auch nicht mehr das beste zu sein… insofern können wir uns sicherlich einfach so einen anderen Ort aussuchen… Prinzessinnen zuerst."

"Hatte nicht gedacht, dass du die Menschen dieser Welt als deine Kinder betrachtest...wie überaus fürsorglich." Die Falschheit der Worte troff geradezu aus seinem breiten Grinsen, aber das war doch nur fair, Seraphims Hinweis auf eine Lebensweisheit war ebenso nur gesagt worden, um seiner Antwort auszuweichen, das sah sogar ein Blinder. Aber ihm war es nur Recht. Man konnte Rai nicht ausweichen, und wenn Shiro-chan es versuchte, schrie er bei seinem Topfschlagen nach Schwächen nur aus voller Kehle "HEISS!". Kichernd wandte er sich also ab und ignorierte das sarkastische Geschwätz des Weißhaars soweit, um den alten Mann beobachten zu können. Natürlich hörte er trotzdem halbwegs zu. Waren ja auch gute Informationen. Einen Schatz suchten sie also? "Nun, der muss ja schon ziemlich lange da drin liegen, wenn er ihn einbuddeln, aber nicht mehr ausgraben konnte, non? Was es wohl ist...? Unheimlich spannend...!" Nein, es war nicht spannend. Vielleicht für einen Kindergeburtstag, an dem alle ganz begeistert waren, wenn es eine Schnitzeljagd gab, aber Rai ließ das relativ kalt. Vielleicht, wenn der Preis ein menschliches Schnitzel gewesen wäre, noch roh und blutig, dann hätte er rein deshalb mitgemacht, weil es makaber war, aber so? Er spitzte die Lippen missbilligend und rückte das Krönchen zurecht, was wirklich etwas prinzessinnenhaft aussah, während seine Augen den Garten scannten. "Was unglücklicherweise natürlich auch bedeutet, dass wir keine Chance haben, den Grabungsort anhand der Bodenbeschaffenheit zu ermitteln. Aww, wir sind so arme Schweinchen." Für einen Augenblick klang er durchaus bedauernd, doch dann riss er die Schaufel aus der Erde und begann wieder mit dem "Tamtamtamtam", während er rhythmisch durch den Garten (zumindest durch die Stellen, die er betreten konnte) rannte und sich umsah. Gerne hätte er es ja aus dem Alten herausgeprügelt, aber gegen fehlendes Erinnerungsvermögen konnte er leider auch nichts tun, da half auch die größte Folter nicht. Schade aber auch. Dann musste er eben seine sadistische Ader woanders ausleben, hm? Rai hob den Arm und knickte knapp neben der Schulter die Hand nach außen, so dass er auf eine Art, die bestenfalls 'ladylike' zu nennen war, nach rechts deutete. "Versuchen wir es doch hier, hm? Und sagmal, hast du diesen weisen Spruch von deiner Ziehmutter? Hat sie dich auch oft in deinen Schlamassel laufen lassen, auf die naturelle Herdplatte langen? Siehst du es vielleicht deshalb nicht gerne, wenn man dominant ist? Weil Grandine den kleinen Seraphim dominierte und der sich niemals davon erholen konnte? Tihihi!" Okay, das war gewagt. Aber ihm war langweilig und etwas Spaß musste doch sein...wenn einer der Beteiligten dann noch Schmerzen hatte, war das ja umso besser. Egal wer.

Oh, Rai wollte nun wirklich mit Sticheln beginnen? Vielleicht sollte Cyrus mal zurückhauen, damit der Kleine lernte, dass man ihn lieber nicht zu sehr ärgerte? Damit man es nicht falsch verstand, so recht wie er noch mit dem Seitenhieb auf Grandine gehabt hatte, so falsch lag er nun bei seinen weiteren Vermutungen, was den weißhaarigen Dragonslayer anging. Aber in gewisser Weise war das durchaus beruhigend, denn bisher schien der Kleinere nicht nur nach Cyrus' gut getarnten Schwachpunkten zu sondieren, sondern auch analytisch perfekte Durchsicht zu haben. Dabei gab er sich doch große Mühe, dass er undurchschaubar blieb, zumindest für den Pöbel. Gut, Rai hatte wahrscheinlich einen Vorteil, da auch er von einem Drachen aufgezogen worden war und die Spannungen zwischen solch zwei unterschiedlichen Wesenheiten wohl kennen musste (Haha, Spannung, wie überaus passend...), aber trotzdem gefiel ihm nicht, wie weiter der Junge nun ging. Irgendwo war genug und diesen Punkt hatte der Andere nun schon länger überschritten. Gut, er selbst machte auch noch lange nicht halt, wenn die Ethik es ihm einflüstern wollen würde, aber das bedeutete nicht, dass Rai sich das auch erlauben durfte. "Kinder, Itoko-chan, Kinder. Nicht meine, das würde ja bedeuten, dass ich mich tatsächlich um sie kümmern müsste~ Und wer will sich schon um Kinder kümmern müssen...", lächelte er, mit einer Stimme, die zwar korrigierend klingen sollte, aber nichtsdestotrotz immer noch gutmütig schien. Zwar hatte Rai ihn wohl bereits so weit durchschaut, dass er verstand, dass der Weißhaarige das alles nur spielte, aber so ließ sich wohl viel besser ausdrücken, wie wenig der Kleinere seine Aufmerksamkeit Wert war. Apropos Rai. Der Gegenangriff hatte bereits mit diesem harmlos wirkenden Satz begonnen, da der Dragonslayer wusste, dass alle Magier, die von Drachen aufgenommen worden waren, ihre Eltern entweder ganz verloren hatten oder sie für lange Zeit nicht gesehen hatten. Oft waren sie deswegen auch Schwächen dieser Personen, wären sie sicherlich auch für Cyrus, aber er konnte sich kaum noch an sie erinnern und hatte es geschafft, jede emotionale Komponente aus diesem Kapitel seines Lebens zu ziehen. Mal sehen, wie es Rai da ergangen war... Was für ein Schatz es war? Gold... aber da es den Blonden nicht interessierte, sondern dieser wahrscheinlich ebenso gelangweilt war, wie er selbst in diesem Moment, antwortete er erst gar nicht darauf, sondern beobachtete, wie Rai offenbar seinem inneren Wahnsinn folgend durch den Garten hopste. Irgendwie war seine Motivation in den letzten Minuten so dermaßen eingetrocknet, dass er sich am liebsten in die Sonne legen würde, um einfach nichts zu tun. Oder er würde einen Streifzug durch die Stadt unternehmen und auch graben... aber sicherlich nicht in einem fremden Garten, sondern eher an irgendjemandem, mit dem oder der er den Rest des Tages auf angenehmere Art, wenn auch nicht unbedingt weniger anstrengend, verbringen könnte. Rai eignete sich dafür ja nun schon einmal gar nicht, dass er aber auch immer so ein Pech mit seinen Questpartnern haben musste. Erst Maenor, den er viel lieber auf- als auszog und nun so etwas: Einen kleinen, unattraktiven Dragonslayer, der offenbar ein Fan von lockeren Schrauben war. Na prima... was ihm fehlte, war ein Lichtblick und irgendwie konnte ihm der Alte da gerade nicht zu reichen, da Cyrus zwar vieles war... aber auf keinen Fall senilophil.
Schließlich hatte Rai eine Stelle für gut genug befunden und deutete darauf, nur um einen deutlich gelangweilten und absolut desinteressierten Blick von Cyrus zu ernten, der seinen Spaten mal wieder als Stütze benutzte, um seine Ellbogen darauf zustützen und sein Kinn in die verschränkten Hände zu betten. Ja prima, es war eh egal, wo sie suchten, oder? Da machte es keinen Unter- Moment! Versuchte er allen Ernstes, mit einer so gewagten Vermutung noch ein wenig mehr an Cyrus gigantischem Ego zu kratzen? Tatsächlich erstarrte der Weißhaarige dieses Mal nicht im Geringsten, sondern ließ den Blonden nicht einmal ausreden, ehe er in offenes, schallendes Gelächter ausbrach, das sogar den schwerhörigen Alten zum Aufblicken brachte. Langsam wurde es geregelter, senkte sich zu einem Kichern, bis er sich zum Schluss eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel strich und mit den Fingern auf den blauen Zacken unter seinem Auge liegen blieb. "Das habe ich mir gerade ausgedacht, Kleiner~", säuselte er mit mühsam beherrschter Stimme, da er wohl jeden Augenblick wieder in Lachen ausbrechen könnte, "Zudem muss ich zugeben, dass du wirklich goldig angestrengt versuchst, meine Schwächen zu ertasten, aber ich fürchte, dass du deine Zeit verschwendest. Schließlich habe nicht ich den Sadisten zum Lehrer bekommen, sondern du und ich würde sehr vieles darauf verwetten, dass du seinetwegen nicht mehr alle Tassen im Schrank hast. Hat er dich sehr oft unter Strom gesetzt? Hat nicht eher er dir dermaßen Schmerzen zugefügt, dass du nun krampfhaft versuchst, sie an andere weiter zu geben? Bist nicht eher du es, der keinem aus Prinzip vertraut? Sind nicht alle deine Sticheleien gegen meine Person in Wahrheit die Probleme deiner eigenen, kranken Psyche?", fügte er vollkommen nüchtern und mit einem unverbindlichen Lächeln auf den Lippen hinzu, während er den Kopf in eine leichte Schieflage brachte, die violetten Augen immer noch auf Rais Gesicht gerichtet. Dorthin, wo eigentlich die Augen sein sollten, aber bei dem Jungen nur Haare zu sehen waren. "Aber mein Kleiner…", nun nahm seine Stimme zum erstem Mal einen wirklich mitfühlenden Ton an, obwohl klar war, dass sein nächster Satz nur so von Ironie troff: "Du musst dich dafür doch nicht schämen~" Oh ja, was Rai konnte, konnte Cyrus schon lange. Er hatte durchaus nichts dagegen, dass einer der Beteiligten Schmerzen litt, aber es würde der Blonde sein – nicht er.

"Hmm...was für ein Vortrag, Itoko-kun...! Ich bin beeindruckt."...Nicht. Hatte Seraphim gedacht, sein Gelächter und seine durchaus zutreffende Analyse von Rai würden dem Donner Dragonslayer irgendetwas anhaben können? Ihn vielleicht verletzen oder sogar seine aufgesetzte Fröhlichkeit zerstören? Nein, so einfach klappte das leider nicht, denn obgleich der Ichimatsu sehr flink war, wenn es darum ging andere verbal fertigzumachen, war er doch relativ immun dagegen und störte sich keinesfalls daran, was ihm gerade an den Kopf geworfen worden war. Zumal es ja nur die Wahrheit war und wer die nicht verkraften konnte, der war auch ein schlechter Lügner und Betrüger. Ganz einfach. Shiro-chan sprach also leider gegen eine Wand an, aber Rai traute ihm soviel Intelligenz zu, dass er wusste, wann er seinen Cousin verärgerte. Andernfalls musste er seine Meinung von ihm schnell verändern. Schon ungefähr in der Mitte seines Vortrages, nachdem klar war, was dieser im Kern beinhalten würde, hatte sich der Donnermagier einfach umgedreht und grub fröhlich weiter, ohne den geringsten Eindruck eines Schmollenden zu erwecken, dem man gerade Saures gab. Konnte Seraphim damit umgehen, ignoriert zu werden? War er sich dafür nicht zu wichtig? Aber mal ehrlich: Rai bezweifelte, dass die beiden Dragonslayer sich nicht gegenseitig an einer bestimmten Stelle vorbeigingen, welche in seinem Fall gerade seinem neu entdecktem Verwandten zugewandt war. Einen Schatz suchten sie also? Wer vergrub seinen Schatz denn bitte in einem verwilderten Garten? Normale Menschen machten Schätze zu Jewels, um mit ihnen Dinge zu kaufen oder sie auf die Bank zu bringen. Nun...zumindest glaubte Rai das, er hatte ja nicht viele Erfahrungen mit normalen Leuten, er jedenfalls hielt es so. Er war zwar paranoid, deshalb aber noch lange nicht so vom Verfolgungswahn zerfressen, dass er den Bankangestellten nicht mehr vertraute. Zumal er ein ziemliches Vermögen verwaltete und es unmöglich jeden Tag mit sich herumschleppen konnte - paranoid genug, um den Hotelangestellten zu misstrauen, die sein Dauerzimmer reinigten war er allerdings schon. Aber genug von den finanziellen Gepflogenheiten des Ichimatsu, nun ging es ja darum, die Erde mit einer Schaufel unsicher zu machen. "Oh, du bist fertig? Tut mir Leid, ich habe dir nicht wirklich zugehört. Wie wäre es, wenn du mir Gesellschaft leistest, Seraphim?" Und mit diesen Worten versenkte sich der Spaten aufs Neue im Erdreich, in der Hoffnung, irgendwann an diesem Tag noch auf Widerstand zu stoßen...