Hier zu sitzen war nicht wirklich angenehm. Der Boden war uneben und das Holz splitterte an manchen Stellen wahrscheinlich schon. Und dann gab es natürlich noch die allgegenwärtige Gefahr, dass unter einem der Boden wegbrach, wenn man am wenigsten damit rechnete... Nein, Shi fühlte sich nicht wohl hier. Andererseits konnte er aber auch nicht aufrecht stehen, ohne sich den Kopf an der Decke anzuschlagen, oder ihn vielleicht sogar durch die Decke zu schlagen – denn auch das schien nicht unmöglich. Sitzen war wohl die bessere Alternative, weshalb er sich damit zufrieden geben konnte. In solchen Momenten waren Leute wie Noah zu beneiden, kleine Leute, die nicht Gefahr liefen, an Decken zu stoßen. Natürlich hatte groß zu sein auch einige Vorteile, so sah man beeindruckender aus, konnte nach höher gelegenen Dingen greifen, sah problemlos über größere Menschenmengen hinweg... ein Team aus einer großen und einer kleinen Person war also eher gut, da war für jede Aufgabe etwas dabei. Jetzt wieder aufstehen zu müssen war ihm nicht wirklich recht, aber als derzeitiger Besitzer des Körpers des Teamleiters hatte er eine gewisse Verantwortung zu erfüllen, vor der er sich nicht einfach drücken konnte. Außerdem hatte er ja das Angebot gemacht, dass Leyla entscheiden durfte, ob sie jetzt schon etwas machten, also nickte er auf ihre Aufforderung hin nur. „Gut, dann reden wir noch kurz mit Richard, lassen uns noch einen kurzen Überblick geben über die Quest an sich und die Lage im Dorf, und dann kannst du ihm gern alle Fragen stellen, die du stellen möchtest... Aber dann machen wir Schluss für heute, einverstanden?“ Hoffentlich war das okay für Leyla, aber eigentlich war es erstmal egal, ob sie jetzt ja oder nein sagte – das Gespräch mit dem Hausherrn kam sowieso als erstes. Was danach geschah, konnten sie ja immer noch ausmachen.

Auf der Treppe nach unten musste Shi den Kopf zum Glück nicht einziehen, doch auf der untersten Stufe angekommen merkte er wieder, dass dieses Haus nicht für Leute seiner Größe ausgelegt war. Er konnte zwar aufrecht stehen, doch mit seinen Haaren reichte er bis etwa einen Zentimeter unter der Decke, und bei jedem Balken musste er sich deutlich ducken, doch irgendwie schafften sie es bis ins Wohnzimmer, in dem Richard an einem hölzernen Tisch saß, der ebenfalls aussah, als würde er gleich zusammen klappen, und aß eine Art Brei, über dessen Zutaten der Dargin gar nicht nachdenken wollte. Wie hatte so jemand bloß das Geld für zwei Magier aufbringen können...? Aber wie dem auch sei, sie waren nicht hier herunter gekommen, um sich über die Einrichtung zu beschweren. „Guten Abend, Richard“, grüßte der Weißschopf höflich und setzte sich an den Tisch, darauf achtend, nicht die Breischüssel anzusehen. „Wir würden gerne etwas mehr über diese Quest und dieses Dorf wissen, wenn sie nichts dagegen haben...“ Mit einem fröhlichen Lächeln hatte er diese Worte gesprochen, auch wenn er sich eher angewidert fühlte von diesem Haus und den sogenannten Lebensmitteln darin. Er würde heute auf sein Abendessen verzichten. "Die Quest...? Ah... ah... Ach ja, richtig! Ihr seid Magier, nicht wahr?", fragte er mit einer kratzigen, etwas heiseren Stimme und nickte mit seinem stummen Opalächeln. "Ja, ja, das seid ihr doch! Also, wir haben hier im Dorf viele Tiere, versteht ihr? Oder, wir hatten. Aber jetzt machen die alle Renovierung, und die Häuser sollen größer und anders werden, und Mirobi soll eine Stadt sein. Eine Stadt, könnt ihr euch das Vorstellen? Also, zu meiner Zeit wäre das noch völlig undenkbar gewesen, ich sage euch..." Die nächsten paar Minuten hörten sich die Zauberer eine ausschweifende Erklärung darüber an, wieso er sein Haus so lassen wollte und warum Städte doof seien. Als einzige verwertbare Information sah Shi an, dass das Dorf hier bis vor kurzem wohl hauptsächlich durch den Export von selbst angebauten Lebensmitteln existiert hatte, es war also eine Art großer Bauernhof gewesen. Dann kam der Alte endlich wieder auf das eigentliche Thema zurück: "Aber vor einem Monat ist dann ein frisch geborenes Kalb einfach verschwunden! Verschwunden, sage ich euch! Man hat nicht mal seine Überreste finden können, es war einfach weg, potzblitz! Zuerst haben wir uns nicht viel dabei gedacht, aber dann sind auch Hunde und andere Tiere verschwunden, und alle Dorfbewohner haben Angst bekommen. Als wäre es noch nicht genug, dass Kargo oder wie die sich nennen uns das Leben schwer machen, jetzt kommt auch noch so etwas dazu..." „Kargo?“, unterbrach Shi ihn mit einem verwunderten Blick auf den verdeckten Augen. „Wer oder was bitte ist Kargo?“ Wütend stampfte der alte Mann mit einem seiner Füße auf den Boden, während sich seine Augenbrauen zusammenzogen. Das Thema gefiel ihm wohl nicht... "Ach, diese Jugend von heute, immer müssen sie Namen für alles erfinden! Was ist so schlimm an den guten alten Worten? Die sagen jetzt auf jeden Fall Kargo oder so, ich hab das zum ersten Mal von Mariah gehört, und die anderen älteren Mitbürger haben deshalb jetzt Angst. Aber ich nicht, das sag ich euch! Ich lass mich nich so einfach unterdrücken, nur wegen nem neumodischen Namen! Ich nich, nee, da ham sie sich geschnitten. Auch wenn es mich ärgern tut, dass die meine arme Mariah da mit reingezogen haben..." Mehr ließ sich aus ihm wohl nicht rausbekommen. Ein paar Mal versuchte sich Shi noch daran, genauere Antworten aus ihm heraus zu locken, doch da war Richard wohl ziemlich stur, er verlor kein einziges richtiges Wort darüber, also seufzte der Dargin am Ende und bat ihn, weiter über die Quest zu berichten. "Also gut! Also, diese anderen haben dann auf der Versammlung gefragt, was wir wegen den verschwindenden Tieren tun sollen, und ich hab gesagt, erinnert ihr euch noch an den Magier, der vor ein paar Jahren bei mir gewohnt hat? Der hat was gesagt von Gilden, und in denen sind noch andere Magier drin, und wir sollten ein paar von denen herholen, die helfen uns sicher. Aber die haben alle gesagt, ne, das geht nich, wir können keine Magier holen, wegen Kargo. Und ich hab dann geantwortet dass ich keine Angst vor Kargo hab, und dass ich die Magier trotzdem hole, doch die andern haben mirs verboten. Hab das dann aber trotzdem gemacht, hehe!" Stolz strahlte er über beide Ohren, als er das sagte, scheinbar wegen seiner überlegenen Intelligenz. Shi dagegen drehte gerade am Rad. Mit dieser Aussage war rein gar nichts anzufangen, mal abgesehen davon, dass vielleicht das hier auch das Haus war, in dem James damals übernachtet hatte. Nach kurzem Schweigen ergriff der Weißschopf wieder das Wort: „Okay, vielen Dank, Richard. Ich schätze, wir haben alle Informationen, die wir bekommen können... oder hast du noch weitere Fragen, Noah?“ Höflich lächelte er seinen Kollegen an, in der Hoffnung, dieses Gespräch jetzt beenden zu können. Er hielt diesen Mann nicht mehr aus...

Ob Shi wirklich im Stande war, das kommende Gespräch zu führen? Tja, da die Cope nicht Hellsehen konnte, musste sie sich wohl oder übel überraschen lassen. Aber seitdem Shi die Kontrolle über den Körper des Dargins hatte, wirkte er wenigstens wesentlich fitter. Vielleicht wäre Emaru sofort eingeschlafen, als er sich auf seine Schlafstätte für die nächsten Tage niedergelassen hatte. Aber solange Shi noch wach bleiben konnte, sollten es die Magier ausnutzen. Das Gespräch mit Richard musste irgendwann kommen- und wenn sie es noch heute führten, hätten sie morgen mehr Zeit für andere Dinge. „Alles klar, solltest du nicht mehr können, kannst du ja immer noch früher gehen. Ich versuch mich kurz zu halten, falls ich irgendwelche Fragen bekommen sollte.“ Nachdem alles geklärt war, konnten sich die beiden nach unten begeben. Mal schauen, was der Auftragsgeber alles an Informationen anzubieten hatte. Hoffentlich war er nicht so eigenartig wie die Frau…
Auf dem Weg nach unten konnte Leyla wieder einmal feststellen, welche Vorteile es hatte, klein zu sein. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen konnte sie dank Noahs Größe problemlos durch das Treppenhaus laufen. Es gab keinen Balken, der sie am Laufen hindern konnte. Das Wohnzimmer des Gebäudes sah genauso baufällig aus wie der Rest des Hauses. Es war wirklich verwunderlich, dass hier noch jemand wohnen wollte… oder konnte. Richard saß an einem Holztisch und aß gerade irgendeine Art Brei, welche Leyla eher an Tapetenkleister als an etwas genießbares erinnerte. Bekam man bei diesem Anblick nicht Appetit auf die Küche von Mirobi? Die hiesigen Delikatessen würde man wahrscheinlich in den großen Städten vergeblich suchen. Diesen Brei garantiert. Shi und Leyla setzten sich zu ihrem Auftragsgeber an den Tisch und erleichtert konnte die Magierin feststellen, dass der Stuhl ihr Gewicht tragen konnte. Vielleicht sah die ganze Einrichtung nur baufällig aus, war es aber in Wahrheit gar nicht? Solange alles die nächsten Tage so stabil blieb, sollte es Leyla recht sein. Danach konnte das Haus ihrer Meinung nach getrost renoviert werden- wobei abreisen und neuaufbauen wahrscheinlich einfacher wäre. Während sie sich lauter Gedanken über den Zustand des Hauses gemacht hatte, hätte sie beinahe das verpasst, weshalb die Magier sich nach unten begeben hatten. Richard begann, ausschweifend auf die Fragen der Magier zu antworten. Oder besser gesagt antwortete er mit dem, was er für wichtig empfand. Seine Meinung zur Renovierungsarbeit des Dorfes war Leyla eigentlich so wichtig wie der Drachenkult ihrer Gilde. Aber da er sich anscheinend gerne reden hörte, musste dieses Thema unbedingt angerissen werden. Zwischen seinen Vorträgen konnte man einige brauchbare Informationen erhalten. Anscheinend wollte ein Teil der Bürger Mirobi umbauen, auf mysteriöse Weise verschwanden Tiere, eine Information, welche die Magier bereits besaßen, und irgendein Kargo schien darin involviert zu sein. Es wäre natürlich hilfreich gewesen eine Erklärung zu bekommen, was dies nun genau sei, doch anscheinend dachte der Auftragsgeber, jeder müsste wissen, was Kargo sei. Doch in diesem Moment traf er zwei Menschen, die damit nichts anfangen konnten. Die gesamte Zeit lächelte Leyla freundlich, auch wenn ihr nicht danach war. Die Situation war schlichtweg zum Mäuse melken- jeder Versuch den Shi startete, um irgendwelche Informationen zu bekommen, scheiterte klaglos. Leyla hätte versuchen können, selbst an irgendwelche Hinweise zu kommen, doch bezweifelte sie ihren Erfolg. Wahrscheinlich war es doch besser, bei anderen Dorfbewohnern Informationen zu suchen. „Nein, ich habe keine weiteren Fragen. Danke Richard, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben, wir gehen dann zurück in unser Zimmer, um uns weiter zu beraten, damit wir für morgen einen Plan haben.“, kam es über ihre Lippen. Hätte sie dieses Gespräch erahnen können, wäre sie wohl gleich oben geblieben. Während sich die beiden Magier wieder auf dem Weg nach oben befanden, erhob sie ein weiteres Mal das Wort. „Das Gespräch hätten wir uns auch sparen können. Viel Brauchbares habe ich nicht mitgenommen.“ Sie sprach leise, um sicherzugehen, dass Richard nichts hören konnte. Das Gebäude ist vielleicht baufällig, was allerdings nicht heißen musste, dass er es auch ist.

Auch Leyla hatte wohl verstanden, dass Richard den beiden Magiern keine große Hilfe sein würde; kein Wunder, immerhin war sie ein kluges Mädchen. Somit bot sich nun endlich die ersehnte Nachtruhe an, denn mit ihrer Beschreibung des Gespräches zeigte sie deutlich, dass sie eine weitere Beratung ebenso wenig für nötig hielt wie er. Das erleichterte ihm den Aufenthalt in dem kleinen Zimmer; zumindest ein Stück weit, ducken musste er sich noch immer. Relativ schnell ging er in eine sitzende Position über, ließ sich nieder auf einem der Schlafsäcke und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Er versuchte gar nicht, sich in dieses für ihn viel zu kurze Ding zu quetschen, schließlich war dieser Körper wirklich jede Schlafposition gewohnt, da musste man nicht die Farce aufrecht erhalten, man würde es sich gemütlich machen – in dieser Situation war das eh nicht möglich. Auch schlief er in voller Montur, nicht etwa aus Scham, sondern einfach, weil es das einfachste war; mit seiner Statur konnte er in diesem Raum nicht einfach so die Kleidung abnehmen, ohne sich unnötig zu verrenken. Es war also die beste Idee, einfach hier an der Wand den Schlaf zu suchen...

Am nächsten Morgen standen Emaru und zumindest der Körper Noahs vor dem Haus ihres Auftraggebers, um sich über das weitere Vorgehen zu beraten. Es war zwar noch früh, doch die Sonne schien bereits hell und klar, auch wenn es noch ein wenig kühl war – für den Dargin also ein sehr angenehmes Wetter. „Wenn wir übermorgen unsere Arbeit beenden, reicht das völlig... Und unvorbereitet sollten wir uns nicht in Gefahr bringen. Deswegen würde ich sagen, wir sollten uns heute erst einmal Informationen besorgen, denn aus Richard haben wir wirklich nicht viel bekommen können. Abgesehen davon wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du uns ein wenig Verpflegung besorgen würdest, denn das Essen in unserer Unterkunft sah nicht unbedingt... appetitlich aus.“ Nach seinem Eröffnungsplädoyer nickte Emaru kurz, dachte noch einmal nach, ob er nicht etwas vergessen hatte. Verpflegung, Informationen... Waffen würden sie als Magier nicht brauchen. Selbst, wenn Noah noch immer nicht kämpfen können sollte, wäre Emaru allein mit Sicherheit genug, um es mit irgendeinem Tier aufzunehmen, das sich Nutztiere einverleiben wollte. Und auch ansonsten würden sie nicht viel benötigen, die Frage war nur: Was für Infos wurden gebraucht? „Gut... nützlich wäre alles, was wir über das Dorf und die Umgebung erfahren können, und dieses Kargo interessiert mich. Am wichtigsten ist es aber, etwas über die Vorfälle mit den verschwundenen Tieren herauszufinden. So, wie es klingt, wurden sie entweder entführt oder von einem wilden Tier aufgefressen, aber ich wüsste nicht, warum jemand die Nutztiere aus Mirobi holen sollte. Du vielleicht?“ Hier legte er eine kurze Pause für eine Antwort seines Partners ein, allerdings war es egal, was die beiden für wahrscheinlicher hielten; die Informationen der Einheimischen machten ja am Ende aus, wie sie an die Sache herangingen. Es gab eigentlich nur noch einen wichtigen Punkt zu klären. Eigentlich wäre es ja von Vorteil, wenn sie sich jetzt trennten, damit sie mehr Leute befragen konnten, denn wahrscheinlich gab es nicht viele, die eine Auskunft zu geben bereit waren. Andererseits war Noah schon das letzte mal, als sie wesentlich weniger feindliche Leute nach einer Wegbeschreibung hatten fragen wollen, vollkommen untergegangen, ob er also allein eine Hilfe darstellen konnte, war fraglich. Vielleicht brauchte er ja auch jemanden, der ihn vor den Leuten hier beschützte, weil er sich trotz seiner magischen Fähigkeiten nicht selbst beschützen konnte... Am besten überließ man die Entscheidung ihm selbst. „Ich würde vorschlagen, dass wir uns trennen, weil es so schon wenige Leute gibt, die uns zu helfen bereit sind. Aber diese Entscheidung überlasse ich dir, ob du allein gehen oder mit mir kommen möchtest...“ Gut, das wäre es dann. Jetzt musste Noah seine Entscheidung treffen, und dann konnte ihre Quest endlich richtig beginnen!

Der Weg in die gemeinsame Kammer, welche für die nächste Zeit die Unterkunft der Magier bilden sollte, war schweigsam. Nach dem Kommentar von Leyla herrschte Schweigen- Shi erwiderte nichts und die Cope schwieg ebenfalls. Vielleicht war es auch das richtige, nichts zu sagen. Wenn Richard irgendwelche Kommentare hören würde, könnte es nur Probleme geben: Entweder würde er die Jugendlichen mit Informationen überschütten, welche die Welt nicht braucht, oder er wäre nur beleidigt, was die gemeinsame Geschäftsbeziehung schädigte. Natürlich könnte er auch irgendeine brauchbare Information übermitteln, aber wie wahrscheinlich war dies schon nach dem letzten Gespräch? Außerdem würde bestimmt keiner der beiden ein Gespräch mehr als nötig mit dem Alten führen wollen… Als die Kammer erreicht wurde, setzte sich der Missionsleiter auf einen der Schlafsäcke und lehnte sich gegen die Wand. Anscheinend wollte er sich nicht in den Schlafsack quetschen, was verständlich war. Leyla war froh, dass sie so nicht schlafen musste, irgendeine Verspannung im Körper wäre so vorprogrammiert, und auch wenn Noahs Körper nicht ihr eigener war, lebte sie noch in diesem. Allerdings war es auch fraglich, ob Emaru solche Probleme bekommen würde, da das Thema Schlaf bei ihm eine andere Bedeutung hatte. Wer schlafwandelnd den Weg zu seinem Zielort finden würde ohne sich zu verletzten, würde schon problemlos so schlafen können. Leyla krabbelte in ihren Schlafsack, zog sich aber keine Kleidung aus. Sie würde sich zwar dafür nicht schämen (immerhin befand sie sich in dem Körper eines Jungen, in ihrem Eigenen wäre dies etwas anderes), aber sie wollte nicht daran denken, wie dreckig der Schlafsack sein könnte. Das Gebäude und manches von dem Mobiliar sah baufällig aus, wieso sollte da das Inventar in einem besseren Zustand sein?
Leyla hatte eine Weile gebraucht, bis sie eingeschlafen war, da sie nicht sonderlich müde war. Aber dadurch hatte sie nur ein paar Stunden Schlaf und stand früh genug auf, um mit der Arbeit zu beginnen. Der Schlaf war erholsam (auch wenn sich dies der weibliche Part nicht vorstellen konnte) und, für Noah typisch, voller verschiedenster Träume. Der Traum, an welchen sich Noah am besten erinnern konnte, bestand darin. Dass dieses ominöse Kargo Heiner war, welcher die Tiere entführte, sie knuddelte und die Dorfbewohner aus irgendeinem Zorn tyrannisieren wollte. Heiner war zwar verrückt, aber bestimmt nicht verrückt genug um zu einer solchen Tat fähig zu sein. Obwohl man es ihm zutrauen konnte, schließlich hegte er einen Groll gegen das Dorf. Als sich der Körper von Noah erhob, konnte man die altbekannten Unterschiede zwischen Noah und Leyla erkennen: Die Körperspannung war nur in einem solchen Maß vorhanden welches dazu reichte, sich aufzurichten, die Mimik besaß kaum eine Emotion (wäre Emaru ein Fremder gäbe es überhaupt keine) und nun kam noch hinzu, dass die Lust auf diesen Auftrag recht gering war. Noah sprudelte so schon kaum vor Freude, wieso sollte er es dann in einem Dorf mit (verrückten) Fremdenhassern machen? Höchstens aus Vorfreude, diesen Ort bald zu verlassen… Schweigsam liefen die beiden vor das Haus, wo sie mit einer Beratung begannen. Beide mussten ihre Klamotten nicht anziehen, was einiges an Zeit sparen konnte. Für eine Weile lauschte Noah den Worten und sprach erst, als es die Pause gab. „Irgendwelche Vorräte zu bekommen wäre sinnvoll. Auf dieses… Etwas von Richard habe ich ehrlich gesagt auch keine Lust. In dem örtlichen Supermarkt könnte man vielleicht irgendjemanden finden, welcher gerne viel erzählt- und nicht ganz so fremdenfeindlich ist. Warum irgendjemand oder irgendetwas hier Tiere stehlen will kann ich mir aber auch nicht denken, vielleicht ist es irgendeine kriminelle Bande, welche die Tiere verkaufen will oder etwas, welches sich von ihnen ernährt. Wenn wir mehr Informationen hätten, könnten wir brauchbare Hypothesen aufstellen…“ Informationen waren für diesen Auftrag essentiell. Sie mussten hinter ein Mysterium kommen, was kaum möglich war, wenn sie ohne Plan durch das Dorf laufen würden. Jede Information konnte helfen, auch wenn sie noch so klein war. Daher favorisierte der Espérance es ebenfalls, getrennt nach Hinweisen zu suchen. „Wenn wir getrennt nach Informationen suchen, können wir mehr herausfinden. Ich werde schon zurechtkommen, und notfalls gibt es noch…“ Für einen Moment veränderte sich der Körper des Magiers. „… mich.“ Leyla übernahm für eine kurze Zeit den Körper- in der nächsten Zeit war Noah an der Reihe. „Ich werde schon mit der Situation zurecht kommen und gewalttätig werden sie bestimmt noch nicht. Hoffentlich.“ Kaum kamen diese Worte über die Lippen, hatte wieder Noah die Kontrolle. Zwar konnte sich Noah inzwischen besser selbst verteidigen, doch Emaru kämpft immer noch auf einem wesentlich höheren Level. Die Arbeit konnte beginnen!

„Sehr gut, dann sind wir uns einig.“ Noah war auf das gleiche Ergebnis gekommen wie auch Emaru, dass es besser wäre, sich zu trennen, und so würden sie sicherlich effektiver arbeiten können. Dass es nicht zu Gewalt kommen würde, das hoffte auch Emaru – Shi würde er heute sicher im Zaum halten können, doch das schützte ja noch nicht vor den Dorfbewohnern. Eigentlich konnte alles passieren, doch sie sollten nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen, und er hatte auch nicht wirklich Lust, seinem Partner unnötig Angst zu machen. Also sollte man die ganze Sache positiv angehen: „Ich bin sicher, wir werden ein paar Informationen einholen können. Lass uns wieder hierher kommen in, sagen wir... drei Stunden, dann ist es ein Uhr, bis dahin sollte sich etwas finden lassen. Viel Erfolg euch beiden.“ Mit einem kurzen Zwinkern beendete er den Satz, ehe er sich auch schon herumdrehte und sich auf den Weg machte. Hoffentlich fand er jemanden...

Jetzt stellte sich natürlich die große Frage, wo man denn anfangen sollte. Emaru sah zurzeit nur wenige Leute, und die paar, die er sah, waren Bauarbeiter, die gerade mit der Renovierung des Ortes beschäftigt waren. Naja, einen Versuch war es wert. „Entschuldigung, es gibt da ein paar Dinge, die ich wissen muss... können sie mir helfen?“, rief er hinauf zu einer Gruppe aus drei Leuten, die gemeinsam an einer Wand zu arbeiten schienen – was genau sie machten, war für den Dargin nicht ersichtlich. Er hatte sich nie damit befasst, was man alles für Arbeiten an einem Haus vornehmen konnte, und wenn man als Laie zuguckte, sah es irgendwie grotesk und sinnlos aus. Einer der drei schien gerade Pause zu machen, ein übergewichtiger Kerl mit fettigen, schwarzen Haaren, der gerade ein dick belegtes Baguette verputzte und Emaru nicht einen Blick schenkte. Die anderen beiden sahen gesünder aus, doch einer von ihnen war so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er nur laut zischte und umso schneller weiterarbeitete. Nur der dritte, der Blondschopf mit Dreitagesbart und einer viel zu breiten Sonnenbrille, blickte hinab mit deutlich unzufrieden verzogener Schnute. „Verzieh dich, du Weißkopfseeadler! Wir sin' hart arbeitende Männer, un' wir könn's nich' gebrauchen, dass einer wie du uns 'zwischen quatscht! Also weg, weg mit dir!“ Mit beiden Händen machte er Bewegungen, als wolle er eine Taube vom Dach verscheuchen, wie eine Marionette, bei der nur die Fäden gezogen wurden, die die Hände nach oben rissen, um sie dann wieder fallen zu lassen und von vorn zu beginnen. Nur leider war Emaru keine Taube, und reagierte nicht auf so einen primitiven Versuch: „Wenn sie wollen, helfe ich ihnen gerne bei ihrer Arbeit. Ich bin kräftig, sie finden bestimmt etwas, das ich für sie tun kann. Beantworten sie einfach meine Fragen, dann sorge ich schon dafür, dass das Ganze viel schneller läuft.“ Kurz darauf zerschellte ein Dachziegel nur einige Zentimeter von dem jungen Magier entfernt, der nach seiner etwas zu langen Reaktionszeit stark zurück zuckte. „Ich sag's nur einmal, Adler: Der Nächst' geht nich' danem. Verzieh dich jetzt lieber! Jeder kennt hier jeden, wir wissen genau, dass du'n Fremder bist, also versuch' gar nich' erst, mit mir auf gut Freun' zu machen!“ Das war deutlich. Mit einem höflichen Winken und langsamen Schritten zurück verzog sich Emaru erst einmal hinter die nächste Ecke, ehe er endlich wieder aufatme. Verdammt, warum bekam er es immer mit irgendwelchen Verrückten zu tun? Irgendwie stellte sich jede einzelne Quest als schwieriger heraus als angenommen... Natürlich hatte er erwartet, dass die Leute ihm gegenüber nicht allzu freundlich reagieren würden, doch dass gleich so drastische Maßnahmen an den Tag gelegt wurden war wirklich überraschend. Irgendetwas lief gar nicht gut hier. Wären die Einwohner hier gewalttätig gewesen, wäre das sicher kein Detail gewesen, das James seinem kleinen Bruder, dem Gildenmagier aus Blue Pegasus, der sicher irgendwann hier auftauchen würde, verheimlicht hätte. Aber gut, es blieb ja noch einiges an Zeit, der Dargin würde schon noch jemanden finden...

Mal schauen, wie unhöflich die Dorfbewohner sein konnten. Bisher waren alle außer Richard unfreundlich gewesen, dafür war der Alte mehr als merkwürdig. Aber was ertrug man nicht alles, um die Arbeit zu absolvieren? Man begibt sich freiwillig nach Mirobi und will sogar mit den Einheimischen kommunizieren. Ob dies einfach wird? Bestimmt nicht. Ob man an viele Informationen kommt? Garantiert nur sehr, sehr, seeeeeeeeeehr schwer. Falls überhaupt. Vielleicht konnte man den Dorfbewohnern ja irgendwie verklickern, dass die Magier für das Wohl des Dorfes arbeiteten? Dass nicht alle Fremdlinge gleich schlecht sind? Natürlich gab es bisher nur Beispiele, dass sie in guten Absichten kommen. Sie wollen in dem Dorf Ermittlungen durchführen, sie trauen sich überhaupt hier herein, sie übernachten in einer Baracke… und haben eine Bürgerin vermöbelt, was als Contra-Argument lieber unter den Tisch gekehrt wird. Nun können die Jugendlichen getrost mit der Fragerunde im Dorf beginnen. Vielleicht finden sie ja irgendjemanden, der sie nicht gleich davonjagt, sondern erst wartet, bis die Magier ihr Anliegen geschildert haben? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zu Letzt… „Dir auch viel Glück, wir werden es brauchen.“, kam es kurz über die Lippen des Espérance, bevor er es seinem Missionsleiter nachmachte und ebenfalls davonlief.
Noah hatte momentan zwei Aufträge, die es irgendwie zu erfüllen galt. Einerseits musste er irgendwie an brauchbare Informationen kommen, schließlich wussten sie nicht sonderlich viel, andererseits musste er ein paar genießbare Lebensmittel finden und kaufen. Sollte Noah einen baufälligen Laden finden, würde er sich gleich den nächsten suchen, da er dann vermuten würde, dass Richard aus diesem seine Nahrung bekam. Und nach dem gestrigen Anblick, was der Mann aß, wollte er gewiss anderes essen. Da Mirobi früher gute Lebensmittel produziert haben sollte, konnte man hier gewiss besseres finden, als das, was der Gastgeber seinen Gästen auftischen wollte. Dann hieß es wohl nur noch einen Supermarkt oder Ähnliches zu finden. Wäre er dort angekommen, könnte er bestimmt irgendeine der sich dort befindenden Personen seine Fragen stellen können. Mit viel Glück würde er auch eine Antwort ernten. Im Schlimmsten Fall würde er mit verfaultem Gemüse beworfen. Dazu musste er aber nur ein Geschäft finden, wozu er langsam einmal loslaufen musste. Planlos setzte sich der Espérance in Bewegung. Die ersten Minuten schaute er sich im Dorf um. Vielleicht fand er ja irgendjemanden, der ihm Informationen liefern konnte, sei es entweder zur Mission, oder wo er ein Geschäft finden konnte. Doch das Ergebnis der Suche war erstaunlich überraschend: nichts. Weder hatte er etwas zur Mission erfahren, noch zu einem Lebensmittelgeschäft. Hätte er einen Menschen gefunden, wäre es ihm erst möglich gewesen, eine Frage zu stellen. Doch alle Dorfbewohner schienen sich in ihren Häusern zu verstecken, was er daran erkennen konnte, das sich ab und zu eine Gardine bewegte und ein Kopf zum Vorschein kam, welcher den Jungen verfolgte. Hatte der Stellarmagier versucht, sich einem Haus zu nähern, wurde er durch rufen sofort vertrieben. Bei dem Verhalten der Einheimischen bekam der Braunhaarige Lust, das Dorf zu verlassen und seine Ruhe zu suchen. Sollten sie doch selbst schauen, wie sie ihre Probleme lösen können, alt genug sind sie schließlich! Aber nein, die Magier wurden dafür bezahlt, sich dieser Tortur zu unterziehen- wenigstens ein positiver Aspekt. Gedankenverloren schlenderte der Junge weiter durch die Straßen und wäre fast gegen ein Schild gelaufen, was entfernt für Gelächter sorgte. Wäre Noah gegen das Schild gelaufen, wüsste es wahrscheinlich jeder im Dorf binnen kürzester Zeit. Schließlich musste man ja Beweise finden, wie unfähig Fremdlinge waren. Aber dieses Schild zeigte genau den Ort an, welchen der Junge vergeblich suchte: einen Lebensmittelmarkt, oder viel eher DEN Lebensmittelmarkt des Dorfes. Zügig begab sich Noah dorthin und konnte zufrieden feststellen, dass er geöffnet war, und sich eine alte Frau, welcher der Laden wahrscheinlich gehörte, dort befand. Interessiert schaute er sich das Obst und Gemüse an, naja, er versuchte wenigstens interessiert zu wirken, was Außenstehende wohl kaum bemerken würden. Als er einen Apfel in die Hand nehmen wollte, um ihn und mehrere Exemplare in eine Plastiktüte zu stecken, hörte er die alte Frau krächzen. „Finger weg von meinen Waren. Die sind nich‘ für Fremde bestimmt!“ Sofort hielt Noah in der Bewegung inne und schaute die Frau verdutzt an, für seine Verhältnisse gelang ihm das auch äußerst gut. „Und jetzt verschwinde, bevor ich dich mit verfaultem Gemüse bewerfe!“ Dass wollte die Alte nicht wirklich machen? Sie nahm eine verfaulte Tomate- und warf sie tatsächlich nach dem Jungen! Hätte sie noch brauchbare Augen, wäre die Tomate vielleicht in die Nähe des Jungen gekommen, aber die Ansage war klar. Er ging ein Stück zurück und überlegte, wie er die Alte zum sprechen bringen konnte- irgendwelche Informationen und Lebensmittel musste er bekommen!

Hier in Mirobi herrschte wirklich dicke Luft. So sehr sich Emaru auch anstrengte, er bekam keine Informationen, selbst in der nächsten Stunde, als sich die Straßen langsam füllten. Irgendwann knurrte sein Magen, kein Wunder, denn das Letzte, was er gegessen hatte, war ein Eis gewesen, und das war jetzt auch schon fast 24 Stunden her. Unentschlossen blickte er zurück in die Richtung, aus der er kam; Noah war sicher noch hart am arbeiten. Er würde sich alle Mühe geben, bis er seine Aufgaben erfüllt hatte, also schuldete Emaru es ihm, das Gleiche zu tun. Andererseits... er würde seine Arbeit sicher besser erledigen, wenn er es nicht auf leeren Magen tun musste. Außerdem gab es in einem kleinen Restaurant sicherlich die ein oder andere Gelegenheit, etwas aufzuschnappen, vielleicht fand man darin ja sogar jemanden, der bereit war, Informationen herauszugeben! Wenn man so darüber nachdachte, waren Bars, Cafés, Lokale oder eben Restaurants die besten Plätze des ganzen Dorfes, wenn man etwas erfahren wollte, also war etwas Essen zu gehen die einzig richtige Sache, die Emaru bei dieser Arbeit tun konnte; nein, tun musste! Würde er sich jetzt nicht diese nötige und auch wohlverdiente Pause nehmen, die in Wahrheit wichtiger Teil der Suche nach Informationen war, würde er damit fehlenden Respekt gegenüber des Engagements seines Partners ausdrücken, und das wäre einfach falsch, daher entschloss er sich dazu, das nächste Lokal anzusteuern.
Einige Straßen wollten durchquert werden, ehe tatsächlich ein kleines Restaurant entdeckt werden konnte; man merkte eindeutig, dass Mirobi nicht auf Touristen ausgelegt war. Dafür schienen die Leute darin alle sehr heiter zu sein, man hörte selbst durch die geschlossenen Glastüren die Unterhaltungen, und obwohl es noch nicht einmal Mittag war, konnte der Dargin beobachten, wie ein paar Männer ihre Gläser hoben. Alles in allem eine wundervolle und ungezwungene Stimmung, perfekt zum Sammeln von Informationen. Lächelnd öffnete Emaru die Türen, schritt hinein. Sofort drehten sich alle Köpfe um, jeder einzelne starrte ihn an und es wurde totenstill. Kein Geräusch war zu hören, der geballte Hass ließ selbst den Weißschopf für einen Moment erstarren, ehe er sich daran machte, tiefer hinein zu gehen. Er setzte sich an einen kleineren Tisch, der noch unbesetzt war, und entfachte so eine Welle der Bewegung; die Leute um ihn herum standen auf, einige verließen das Restaurant, andere setzten sich einfach nur um, bis kein einziger mehr in seiner Nähe saß. Er bemerkte, wie die Leute zu murmeln anfingen hinter ihm, während er jede Menge Augen auf sich gerichtet spürte und die Besucher, die er ansah, sich nicht zu regen wagten. Verstehen konnte er kein einziges Wort, dafür waren sie zu leise, und der Wirt grummelte irgendetwas in seinen Bart, machte keine Anstalten, ihn zu bedienen. Hier würde es zumindest für ihn wohl weder etwas zu Essen geben, noch konnte er Informationen abstauben von Leuten, die weder mit ihm, noch miteinander sprachen. Er war schon drauf und dran sich von diesem Tisch zu erheben, als sich die Türen schon wieder öffneten. Besser gesagt flogen sie auf, stießen heftig gegen die Wand, und zu sehen war ein Mädchen, fast schon eine junge Frau. Ihr hellbrauner Zopf wehte in einem sachten Lüftchen, und ihre hochroten Lippen waren verzogen zu einem triumphalen Lächeln, während ihre Augen von dem breitkrempigen Hut auf ihrem Kopf verdeckt wurden. Ihre Kleidung war elegant und dominiert von der Farbe Rot, und sowohl ihr Hemd, als auch ihr Rock waren ziemlich weit. So groß wie Emaru war sie nicht, natürlich nicht, doch ein paar der anderen Dorfbewohner überragte sie sicher... Das Weißhaar schätzte sie auf etwa einen Meter achtzig, vielleicht fünfundachtzig. „Macht euch keine Sorgen, ihr lieben Dorfbewohner! Lady Mariah wurde über die Fremden informiert, und Lady Mariah ist schon auf dem Weg!“ Dann hob sie den Blick, schien genau in Richtung des Dargin zu blicken, auch wenn dieser ihre Augen nicht sehen konnte. „Ah, da bist du ja schon...“

Einkaufen konnte doch eines der einfachsten Dinge der Welt sein. Man geht in einen Laden, betrachtet sich die Waren, welche man kaufen will, falls man unentschlossen ist lässt man sich fachmännisch beraten, letzten Endes lässt man etwas Geld in dem Geschäft und trägt die neu erworbene Trophäe stolz nach Hause. In diesem kleinem Dorf gibt es diese Theorie des Kundenservices bestimmt auch, doch gibt es hier eine andere Auffassung, wer ein Kund eigentlich ist. Zu mindestens, wenn er ein Fremder ist. Er ist in keinster Weise ein konsumierendes Wesen, welches von den hiesigen Waren profitieren möchte, nein, viel eher ist er ein Gesandter einer Müllentsorgungsfirma, welcher für die Mirobianer das verfaulte Obst und Gemüse entsorgen will. Wenn er seine Arbeit gewissenhaft erledigen will, lässt er sich auf seinen Pullover eine Zielscheibe drucken, damit die Dame des Lebensmittelgeschäfts besser zielen kann. Der Kundenservice ist bei ihr so sehr, dass man als Fremder nicht nur Waren minderen Wertes sprichwörtlich nachgeschmissen bekommt, sondern ein Work Out gratis dazu! Träumt nicht jeder Kunde davon, einen solchen Service überall zu haben? Nun, es würde bestimmt den ein oder anderen Verrückten geben, welcher dies gut hieß, doch Noah ist gewiss keiner dieser Menschen. Wenn er Sport machte, musste dies nicht unbedingt in dieser Form passieren, lieber machte er etwas Effektiveres, und außerdem war er, wie wahrscheinlich fast jeder Mensch Fiores, Lebensmittel eines höheren Niveaus gewöhnt, besonders, da er reichen Verhältnissen entsprungen ist. Aber am meisten störte ihn wohl die Tatsache, dass er abgeworfen werden sollte. Die alte Frau wollte den Jungen vertreiben, nicht ihm einem Gefallen erfüllen, wie manch ein Verrückter vielleicht denken würde. Hinter der Hauswand konnte er seelenruhig beobachten, wie die Tomaten, Gurken und Äpfel ihr Ziel verfehlten- offensichtlich waren die Augen der Frau schon so schlecht, da sie überhaupt nicht sah, dass Noah verschwunden war. Lieber schrie sie sich Mut zu. „Ha! Die Fremden warn auch schon taffer! In meiner Jugend musst‘ ich noch mit Wassermelonen werfen, um dieses Gesindel zu vertreiben, heute reichen schon Tomaten! Und was bilden sich diese jugendlichen Fremdlinge eigentlich ein, mich zu belästigen? Als ob freiwillig einer von uns mit Informationen um sich schmeißt, pah!“ Während sich Noah immer noch in seiner Deckung hockte, wünschte er sich, irgendeine andere Magie verwenden zu können. Ein Helm wäre momentan bestimmt hilfreich, irgendwelche Tricks auf der Basis von Elementarmagie würde die Alte vielleicht abschrecken, aber die vier Stellargeister, welche Noah rufen konnte, waren momentan eher nutzlos. Eine teure Krone, eine Mücke, ein Indianer oder eine komische Variante eines Karrens würden sie bestimmt nicht abschrecken. Vielleicht würde sie aber vor lauter Lachen einen Herzinfarkt bekommen? Dann wäre wenigstens ein Problem gelöst, Noah konnte Lebensmittel mitnehmen und sich eine andere Informationsquelle suchen. Aber der Plan hatte einen Haken… genau! Die Frau war immer noch eine unschuldige, dessen Dorf geplündert wurde. Besser diesen Gedanken zu verwerfen… Während Noah einen Blick über die Schulter warf, bekam er eine Idee, wie er an Informationen kommen konnte. Zwar war er kein sonderlich guter Schauspieler, geschweige denn ansatzweise so gut wie Leyla, mit ihrer Regie könnte er aber es schaffen, zu bekommen, was er wollte. Auf dem Plakat stand, dass die Ladenbesitzerin ihre Katze „Miezi“ vermisste. Vielleicht konnte man diese Info ja benutzen, um mehr zu erfahren? Einen Versuch konnte man unternehmen, irgendwann würde ihr das schlechte Gemüse und Obst wohl ausgehen, falls sie ihre Katze unbedingt wollte, würde sie vielleicht die Hilfe von Fremdlingen annehmen. Wer wusste das schon. Vorsichtig versuchte Noah einen Blick auf die Alte zu erhaschen, lugte kurz um die Ecke, doch dieser Moment war wohl schon zu viel. „Du bist immer noch da? Verschwinde endlich von hier!“ Sofort fand sich nach einer kurzen Pause das nächste Gemüse in der Luft. Okay, Zeit den Plan in die Tat umzusetzen. Nach einigen gedanklichen Anweisungen von Leyla konnte die erste Phase des Plans eingeleitet werden. In einem Moment, in dem Ruhe herrschte, musste zugeschlagen werden! „Wie ich sehe, vermissen Sie ihre Katze-“ Weiter kam der Junge nicht, da er bereits unterbrochen wurde. „Na und, was geht dich das an? Nichts, genau!“ Immer schön ruhig bleiben (was für Noah sowieso kein Problem sein sollte), irgendwann würde er die Alte schon knacken. „Dann interessiert es sie bestimmt nicht, dass ich vor den Stadttoren eine ähnliche Katze gesehen habe…“ Natürlich war diese Aussage gelogen. Er hatte keine solche Katze gesehen- wenn doch wäre sie ihm bestimmt nicht über den Weg gelaufen, sondern in einem Käfig abtransportiert. Aber dieses Wissen konnte man ja für sich behalten. Erstaunlicherweise verstummte die Frau für einen Moment. Weckte der Junge tatsächlich das Interesse der Frau? Als er langsam aus seinem Versteck kam, wurde er schon einmal nicht mehr abgeworfen. „Wir sollen die Entführungen untersuchen und nach Möglichkeit die Tiere befreien. Wir wollen eigentlich nur das Beste für das Dorf- und seine Bewohner.“ Ob die Worte, welche Leyla ihrem männlichen Part in den Mund legte, wirklich Wirkung zeigten? Immerhin schien die Frau nachzudenken. Vielleicht hatte er nun seine Informationsquelle gefunden! „Falls Sie mir helfen, kann ich Ihnen bestimmt auch helfen.“ Das nächste Wort der Dame war weder freundlich noch überzeugend, aber immerhin war es ein erster Schritt. Jetzt mussten nur noch die nächsten klappen. „Erzähl.“ Mehr kam nicht über ihre Lippen, aber diese Einladung würde er sich nicht nehmen lassen. Der erste Stein viel von seinem Herzen, wenn jetzt alles glatt lief, konnte er an brauchbare Informationen kommen.

„Emaru, hm? Das ist ein wirklich hübscher Name.“ Lächelnd stützte das Mädchen ihre Ellbogen auf dem Tisch auf, überkreuzte die Arme und beugte sich in ihrem Stuhl vor, sodass sie zu dem Weißschopf aufblicken konnte. Jetzt, wo ihr Hut über der Stuhllehne hing, konnte man ihre grünen Augen sehen, wie sie glitzerten, und so langsam wurde sich der Dargin auch bei ihrem Alter sicherer: Sie war sechzehn Jahre alt, siebzehn vielleicht, maximal. Warum sie sich zu ihm gesetzt hatte und sich mit ihm unterhielt, als wäre er kein Fremder, sondern jemand, mit dem sie sich anfreunden wollte, wusste er nicht, aber seit ihrem Auftauchen war die Stimmung in dem Lokal noch angespannter geworden als ohnehin schon. „Das ist Japanisch, nicht wahr? Kannst du Japanisch? Hat dein Name eine Bedeutung?“ Wie ein kleines Kind stellte sie ihm Fragen über Fragen, schien wirklich fasziniert zu sein von dem jungen Mann, dem jeder andere ablehnend gegenüber getreten war. Es war gleichzeitig irgendwie schön, und extrem beunruhigend. „Ähm, ja“, setzte er zu seiner Antwort an. „Der Name ist tatsächlich ein japanischer. Aber ich spreche das nicht fließend, nur ein kleines bisschen... Aber warum bist du so nett zu mir?“ Erst hatte sie gespannt zugehört, doch beim letzten Satz wurden ihre Augen groß und sie blickte ihn verwundert an. „Aber... Emaru! Warum sollte ich nicht nett zu dir sein? Du hast mir doch nichts getan!“ „So meine ich das nicht...“ Sie konnte einem wirklich sympathisch sein. Und sie hatte ja Recht: Es gab keinen Grund, ihm gegenüber feindselig zu sein, also sollte er es eigentlich auch nicht erwarten. Aber... „Die anderen Dorfbewohner sind nicht so tolerant. Du weißt doch, dass ich ein Fremder bin...“ Langsam wurde ihr Blick verständnisvoll, dann nickte sie und guckte grimmig drein. „Jaa, wem sagst du das! Die Leute hier sind soo intolerant! Aber das sind nur die alten, die letzte Generation, du weißt schon. Wir Jugendlichen sind vernünftiger, wir haben hier unsere eigene kleine Gesellschaft, weißt du? Wir lehnen nicht jeden gleich ab, wir arbeiten sogar daran, das ganze Dorf offener zu machen!“ Während sie sprach kam eine Kellnerin vorbei, stellte zwei Teller voller Essen vor ihnen ab und dazu zwei Getränke, vom Aussehen und Geruch her eindeutig Orangensaft. Bestellt hatten die beiden nicht, für sie war das wohl ein persönlicher Service... es hatte seine Vorteile, bei ihr zu sein. Aber er wusste immer noch nicht, was genau los war... „Sag mal, du hast vorhin gesagt, Lady Mariah sei auf dem Weg hierher... wer ist das?“ Ein deutliches Kichern kam von dem Mädchen, ihre Wangen röteten sich, während sie ihre Hand auf seine legte. „Ach komm, tu nicht so. Ich bin Lady Mariah, natürlich. Eigentlich heiße ich ja nur Mariah, das Lady ist nur mein Titel, der ist viel offizieller. Weißt du, ich bin nämlich die exekutive rechte Hand des Anführers von Karthago!“ Stolz reckte sie ihr Kinn nach oben, doch das verflog schnell, als Emaru sie fragte, was Karthago denn war. Sofort wurde sie knallrot und schüttelte den Kopf. „Ver-Vergiss es! Das hätte ich dir gar nicht sagen sollen! Aber weißt du, deine Haare sehen echt cool aus. Das Weiß steht dir. Färbst du sie extra so, weil das so besser aussieht? Was ist denn deine natürliche Haarfarbe? Weißt du, ich würde mir die Haare ja nie färben, aber...“
Sie redete noch eine ganze Weile weiter, es stellte sich heraus, dass sie tatsächlich sechzehn war, und als beide aufgegessen hatten, rückte sie dicht an ihn heran, schmiegte sich an seinen Arm und flüsterte ihm ins Ohr: „Komm mit mir, Emaru. Ich will dir etwas zeigen...“ Ohne groß nachzudenken, nickte der Dargin, woraufhin er von ihr wieder ein Kichern zu hören bekam – das hatte sie die ganze Zeit immer mal wieder gemacht. Dann erst sah er auf die Uhr; er hatte noch knapp eine Stunde, bevor er sich mit Noah treffen könnte, das war sicher genug Zeit, um etwas von dieser Mariah gezeigt zu bekommen. Er hatte nicht richtig zugehört und war öfter mal eingenickt – mit offenen Augen und ohne vorzukippen, daher hatte sie es wohl kaum bemerkt – während sie gesprochen hatte, doch soweit er das beurteilen konnte, hatte er noch immer nichts Hilfreiches an Informationen bekommen, daher musste er zumindest dieser Fährte noch nachgehen.

Nach einigem Laufen erreichten die beiden einen Eingang. Es war der Eingang zu einem Keller, nicht zu einem Haus, man konnte also von hier aus nicht sehen, wie groß der Ort war. Als sie ihn hinein geleitete, seine Hand in der ihren, tauchten sie ein in vollkommene Finsternis. In dem Moment, in dem sich die Luke über ihnen schloss, drang wirklich kein einziger Lichtstrahl mehr herein. Emaru schreckte das nicht ab; er selbst war die Finsternis, und er trug etwas in sich, das noch finsterer war. Auch Mariah ließ sich nicht abhalten davon, lief zielstrebig weiter und führte ihn dabei an der Hand. Sie gingen um eine Ecke, dann noch eine zweite, dann ein Stück geradeaus, ehe sie wieder abbogen, dann blieb sie stehen. Vor den beiden öffnete sich eine Tür, aus der gleißend helles Licht heraus strahlte. Emaru wurde hinein gezogen, dann ließ die Gezopfte seine Hand los und schloss die Tür hinter ihnen. Es dauerte ein paar Momente, bis sich seine Augen so halb an das Licht gewöhnen konnten, es war viel zu grell für ihn. Er erkannte nur Silhouetten, ein Stück weit vor ihm schienen sich drei Personen zu befinden. Eine davon saß auf so etwas wie einem Thron, die beiden anderen standen daneben – eine der Gestalten hühnenhaft, die andere durchschnittlich groß, von der Form her vermutlich eine Frau. „Da bin ich wieder, großer Melkart“, hörte er die Stimme seiner Begleiterin jetzt neben sich, merkte, dass sie sich wohl verbeugte. „Ich habe uns ein besonders gutes Exemplar mitgebracht...“

Noah hatte es geschafft, er war gerade wirklich dabei, Informationen aus einer Einheimischen zu bekommen! Genauer gesagt versuchte er erst, ein Gespräch mit der alten Dame aufzubauen und immerhin glückte es ihm, sie zu beruhigen. Wenn man die Gerüchte und Erlebnisse mit den hiesigen Bewohnern beachtete, war dies bereits ein Erfolg. Hätte man den Espérance gefragt, ob er die Worte Emarus, nachdem dieser die Erfahrungen seines Bruders weitergegeben hatte, völlig geglaubt hätte, so wäre seine Antwort wahrscheinlich „Nein“ gewesen. Emaru hätte seinen Teamkameraden mit einer solchen Information bestimmt nicht angelogen, aber dass das Verhalten der hiesigen Bewohner so extrem war, konnte auch niemand ahnen. Eigentlich konnte jede Ortschaft sich über Besuch freuen, welches auswärts ihr Geld verdiente und dieses dann im besuchten Ort lässt- aber die Mirobianer ticken da wohl doch etwas anders, obwohl sie ihr Dorf modernisieren wollen und dafür bestimmt Geld gebrauchen konnten. Aber nun genug der Euphorie- Noah hatte Arbeit zu erledigen! Langsam lief er in den Laden und wirkte alles andere als erleichtert oder gar selbstsicher. Seine Körperspannung ähnelte wie (fast) immer einem nassen Sack und seine Mimik gleicht der Wärme eines Eisblocks. Der alten Frau musste bestimmt die ein oder andere Beleidigung auf der Lippe liegen, immerhin konnte man Noah als Idealtypus für schlechte Fremdlinge nehmen. Wie viele ihrer Vorurteilte er wohl erfüllte? Strenggenommen konnte es ihm egal sein, da er die Ortschaft bestimmt nicht mehr so schnell betreten würde. Aber die nächste Zeit musste er leider Gottes arbeiten… „Verdammt noch Mal, hast du vor lauter nicht vorhandener Freude über mein Zuvorkommen das Sprechen verlernt? Sprich oder verschwinde, Knirps!“ Die geliebte Freundlichkeit kehrte zurück und für diese Worte bekam die Alte aus der Ferne Beifall. Vorführen Fremder war in Mirobi wohl eine allseits beliebte Methode des Zeitvertreibs. Der Stellarmagier ignorierte die Worte und setzte seinen Weg gewohnt ruhig fort. Er würde schon noch an seine Informationen bekommen- noch bevor er etwas sagte, nahm er etwas Obst und Gemüse und legte es in einen Plastikbeutel. Immerhin erlaubte es ihm die Alte nun, die Waren zu kaufen. „Wird’s bald?“ Noah schaute sich nun die restlichen Waren in Ruhe an und packte hier und dort etwas ein, sofern es für die nächsten Tage das Verhungern verhindern konnte. Kulinarische Höchstleistungen brauchten die Magier nicht, aber gewiss etwas besseres als das, was Richard essbar schimpfte. Währenddessen brach der Junge auch das Schweigen seiner Seitz- sein weiblicher Part musste ihm schließlich einige Wörter zurechtlegen, nicht zu schweigen davon, dass eine gewisse Lebensmittelverkäuferin ruhig die Bedeutung von warten lernen konnte. „Nun gut, haben Sie bereits den Begriff „Kargo“ gehört? Gibt es in der Nähe vielleicht ein Versteck, welches mögliche Diebe verwenden könnten?“ Kaum hatte er beide Fragen ausgesprochen, befand sich der Magier auch bereits vor der Kasse und einige Jewels wechselten den Besitzer. Schön, wenn Unternehmer einen Meinungswechsel hatten. „Kargo? Was soll das sein? Noch nie gehört und ich höre in unserem Dorf viel. In der Umgebung gibt es eine Höhle, südwestlich von unserem Dorf. Vielleicht gibt es dort Hinweise, von uns will dort niemand hin. Jetzt verschwinde, such meine Miezi. Untersteh dich, erneut hier aufzutauchen, wenn du sie nicht dabei hast!“ Um ihre Worte zu untermalen, umklammerte ihre rechte Hand bereits die nächste faule Tomate. Von wo hatte sie überhaupt das Ganze verdorbene Obst und Gemüs? Vielleicht musste man einmal das Gesundheitsamt hierherberufen… Der junge Espérance bedankte sich knapp, nahm seine Einkäufe und lief zum Treffpunkt. Mit der Alten hatte er sich doch länger herumgeschlagen als erwartet, Zeit, sich mit Emaru über kommende Schritte zu beraten.