Noah verwendete eine etwas unkonventionelle Methode, um zu Shi hinüber zu gelangen, doch streng genommen hatte der Weißschopf den gleichen Weg gewählt, also konnte man ihm da wohl keinen Vorwurf machen. Jetzt ging es aber um Timing! Aschhüne setzte nach, wollte wohl noch einmal auf Noah einschlagen, um ihn endgültig aus diesem Kampf zu entfernen – was bei einem so direkten Treffer und dem geschwächten Zustand des Jungen durchaus möglich war –, als sich der größere Magier plötzlich zwischen die beiden schob. Der Hüne schaffte es, ziemlich sofort abzubremsen und gleichzeitig all seine Energie in einen heftigen Schlag zu legen, doch unter diesem duckte sich der Dargin einfach weg. Auch, wenn er trotz allem schnell sein mochte, war dieser klobige Kerl doch nicht so geschickt wie Emaru, sodass es dessen Körper ziemlich leicht fiel, so einem ungezielten Angriff auszuweichen, der nicht einmal mehr umgelenkt werden konnte. Natürlich setzte der große Kerl gleich zum nächsten Schlag an, doch das galt für beide Kontrahenten: Während Shi realisierte, dass auf seinen Magen gezielt wurde, riss er seinen rechten Arm davor – allerdings so, dass die Lampe nicht darunter würde leiden müssen – und schlug mit der linken Faust zu, aus der im Moment des Einschlages zwei Sting of Darkness austraten. Der Schlag des Größeren war kräftiger, doch mit dem Arm konnte dieser ein wenig abgefangen werden, auch wenn das bedeutete, dass Emarus eigener Körperteil in seine Magengrube gejagt wurde, und noch immer reichte die gewirkte Kraft, um ihn ein Stück weit vom Boden zu heben und einige Zentimeter zurück zu werfen; sicherlich noch mehr, hätte sich der Magier nicht so auf seinen festen Stand fixiert. Dafür jaulte Aschmeise jetzt auch auf wie ein nasser Hund, während sein Gesicht stark zu bluten begann, was Shi die Möglichkeit eröffnete, ihn einmal zu umrunden, sodass sich die Positionen geändert hatten: Vom Fass aus gesehen kam nun zuerst Aschmonster und danach Shi. Nun musste nur noch der Rest stimmen... „Mag sein, dass du kräftiger und schneller bist als ich, aber das bedeutet rein gar nichts! Man kann dich nicht mit mir vergleichen... denn dieser Körper ist der nächste Anwärter auf den Titel Sephiroth!“, rief das Alter Ego und lachte auf eine Art, die man eigentlich nicht dem Guten zuordnen würde. „Dieser Körper ist ein Meister zweier Magien! Dieser Körper hat mehr Wissen verinnerlicht als jeder andere in Fiore! Und dieser Körper hält mehr aus als ein ganzer Berg! Dieser Körper... er ist unbesiegbar!“ Blitzschnell fuhr die freie linke Hand durch die Luft vor dem Dargin, hinterließ bei jedem Zug eine kleine Klinge aus Finsternis, die so ausgerichtet waren, dass sie das gesamte Feld vor ihm abgedeckt war – doch jede einzelne von ihnen zeigte leicht nach unten. „Jeder, der nicht mein Gegner ist, sollte sich jetzt lieber entfernen... Denn die Inkarnation des Todes wird diesen Kampf beenden, ohne Rücksicht auf Verluste. Mini Blades!“ Mit diesem letzten, besonders lauten Schrei wischte die Hand des Zauberers einmal komplett von Rechts nach Links, woraufhin sämtliche Klingen ihren Flug begannen. Zur Seite auszuweichen war bei der Ausrichtung unmöglich, das merkte Aschmeier offenbar, denn er nahm den einzig logischen Weg: Einen Sprung über die Klingen hinweg. Und zauberte damit ein dreckiges Grinsen auf das Gesicht Shis. „Nimm das! Todes-Boxer!“, schrie der Körper aus, stürmte sofort hervor und ließ eine Salve kräftiger Schläge auf den Körper los. Natürlich spürte der Hüne es wieder kaum, aber darum ging es auch nicht. Der Koloss stand nicht länger auf dem Boden, alles, was an Reibung blieb und ihn somit abbremsen konnte, war der Luftwiderstand, und der war nicht relevant genug, die dunkle Seite des Magiers aufzuhalten. Die Schläge stellten gerade eine horizontale Kraft dar, die auf den Körper wirkte und ihm somit eine Beschleunigung in Richtung des Fasses verursachte. Zum Glück war er hoch genug gesprungen, dass die Erdanziehungskraft ihn nicht noch vor der Kollision auf den Boden der Tatsachen zurückholen konnte, denn so geschah genau das, was Shi geplant hatte: Der große Körper schlug auf das Fass voll Alkohol auf, dieses ging kaputt und seine Haut wurde bedeckt sowie seine Kleidung vollgesogen mit der hochgradig brennbaren Flüssigkeit. Dann war jetzt die Zeit für den finalen Angriff gekommen: „Petroleum des Todes!“ Lachend zerschlug die finstere Seele die uralte, brennende Lampe am Kopf des Hünen, woraufhin das Feuer übersprang und der Junge zu brennen anfing. Flink zog sich der Magier aus der Reichweite der Flammen zurück und kicherte: „Tut mir ja leid, Aschmun, aber ich habe dich gewarnt. Du weißt doch: Staub zu Staub, Asche zu Asche...“ Damit machte er auch schon seine ersten Schritte zurück in Richtung Richards Haus, bedeutete Noah mit zwei Fingern, ihm zu folgen. Eschmun hatte wohl vorerst das Bewusstsein verloren, oder er schaffte es gerade nicht, aufzustehen, aber wahrscheinlich würde er es überleben. Darüber brauchte er sich nicht zu sorgen, konnte stattdessen eine ganz ruhige Konversation führen, während er weiterging und den Griff der zerstörten Lampe zu Boden fallen ließ: „Denkst du, die muss ich Richard ersetzen...? Ich glaube nicht, dass diese Dinger überhaupt noch hergestellt werden... verdammt, das wird mich was kosten, oder?“

Zurück im Heim ihres Klienten nutzten die Magier diese Gelegenheit erst einmal, um sich ein gutes Mahl zu gönnen. Inzwischen hatte der Besitzer des Körpers wieder einmal gewechselt, und so saß Emaru mit Noah da und kümmerte sich um die weitere Strategie. „Mh, das schmeckt wirklich gut. Du hast gute Vorräte bekommen, Noah... oder habe ich das Leyla zu verdanken?“ Er lächelte die beiden entschuldigend an. „Ich kann immer noch nicht glauben, was Shi vorhin getan hat... Er war immer ein wenig brutal, aber angezündet hat er noch nie jemanden. Und eigentlich zerstört er eigentlich auch nicht mutwillig das Eigentum anderer Leute... Wobei die Situation schon ein wenig verfahren war.“ Eine Serviette fand ihren Weg zum Mund des Magiers und tupfte kurz über diesen, ehe sie wieder zurückgelegt wurde. „Aber ich glaube, ich habe mir ein ganz gutes Bild machen können... ich bin mir ziemlich sicher, dass Karthago ganz schön in unsere Aufgabe verstrickt ist. Würde der Junge mit den Tierhaaren nicht zu ihnen gehören, würde ihn der Keller nicht interessieren und Eschmun hätte auch nicht auf ihn aufgepasst. Aber offensichtlich nutzen sie dafür ein anderes Versteck, vermutlich diese mysteriöse Höhle, die du erwähnt hast... Südöstlich von hier, wenn ich mich richtig erinnere?“ Eine kurze Pause, um Noah antworten zu lassen, dann nickte er. „Auch gut, solang du die Richtung kennst... Wir haben, wahrscheinlich hauptsächlich meinetwegen, wohl schon einiges an Aufruhr in der Organisation geschaffen, sie werden also wahrscheinlich auf der Lauer liegen. Deswegen schlage ich vor, wir ruhen uns jetzt erst einmal ein paar Stunden aus und machen uns dann um Mitternacht auf den Weg... ich muss mich nämlich erstmal erholen...“ An dieser Stelle musste er husten, schon wieder. Seit ihm Shi den Körper zurückgegeben hatte, passierte das alle paar Minuten, und jedes Mal kam etwas Blut mit heraus, sodass sein Kinn inzwischen ganz verschmiert war. Der Hüne von Karthago war wirklich ein passabler Kämpfer gewesen...

Das Problem war gelöst: Der Hüne bewegte sich dorthin, wo er sollte. Zwar würde Noah keinen Preis für die Besonderheit der Ausführung bekommen, aber so wenig schön sie auch anzusehen war, so effizient war. Ob der Junge dabei durch die Luft geworfen wurde oder nicht, konnte er vernachlässigen. Der Schmerz durch die Bruchlandung blieb aus, nennenswerte Verletzungen hatte er nicht- und der Kopf funktionierte auch so, wie er sollte. Das Ergebnis stimmte, also konnte sich der Espérance nicht beschweren. Lieber konnte er die kommende Show betrachten und beobachten, wie Eschnun nun auseinandergenommen wurde. Diese begann direkt vor Noah. Der Feind wollte den Jungen mit einem Schlag wahrscheinlich endgültig aus diesem Kampf entfernen, doch der Finsternismagier wirkte diesem entgegen, indem er sich zwischen beide stellte, den Schlag abfing und gleichzeitig einen Konter durchführte. Der Stellarmagier machte das für ihn momentan einzig sinnvolle: Er suchte sich einen sichereren Platz, von dem aus er den Kampf beobachten konnte. Natürlich könnte er versuchen, sich in dem Kampf zu beteiligen, um Emaru in irgendeiner Form zu helfen, doch im Endeffekt würde er als Boxsack des Hünen enden. Die Geschwindigkeit oder Geschicklichkeit wären nicht stark genug, um effizient gegen Eschnun anzutreten, die Stärke zu gering, um Schaden anzurichten, und einstecken würde er nichts, oder nicht viel, können. Einen Stellargeist auf den Feind zu hetzen wäre ebenfalls von keinem Erfolg gekrönt, da jeder der vier Stück, welche sich in dem Besitz des Espérance befinden, schwächer waren als er selbst. Zuschauen wäre doch die wesentlich nützlichere (und sicherere) Option… Nachdem sich der Junge einen Platz einige Schritte entfernt gesucht hatte, konnte er noch rechtzeitig sehen, wie Shi einen Zauber auf den Feind los lies: Es befanden sich mehrere kleine Klingen aus Finsternis auf dem Weg zu Eschnun und um diesen Angriff auszuweichen (selbst er würde bei diesem Angriff bestimmt verletzt werden), war der Jugendliche gezwungen in die Luft zu springen. Der Plan von Shi schien aufzugehen und auch das, was Noah erwartet hatte, wurde irgendwie erfüllt (wenn auch nicht exakt in der Ausführung). Während sich der Fleischklops noch in der Luft befand, wurde er einer Salve Schläge ausgesetzt, welche ihn direkt in die Fässer mit Alkohol beförderten. In der Luft konnte er keinen Widerstand leisten, auch hatte er nirgends Halt- da Shi genügend Kraft besaß, die Fleischmaße zu bewegen, war das Ergebnis nur logisch. Die Fässer zerplatzten und gaben ihren Inhalt preis. Sofort drängte sich die Kleidung des Hünen mit dem Alkohol und seine Haut wurde durch diesen ebenfalls bedeckt. Bekannt sollte auch sein, dass Alkohol leicht brennbar war- und so dauerte es nicht lange, bis das Wort „Fackel“ eine neue Bedeutung bekam. Dank dem Alkohol brannte Eschnun äußerst gut, einige Verletzungen sollten ihm gewiss sein. Während sich Noah den Jugendlichen anschaute, fragte er sich, ob er etwas wie Mitleid fühlen sollte. Hatten es Menschen verdient, so behandelt zu werden? Er hat euch zuerst angegriffen, er hätte ahnen können, was ihn erwartet. Er ist selbst dran schuld. Dies wäre eine Möglichkeit, die Tat zu rechtfertigen. Strenggenommen konnte es dem Espérance auch egal sein, der Anblick brachte ihn nicht dazu, auf einmal das Fühlen wieder anzufangen, er hatte keine nennenswerten Verletzungen und seinem Partner schien es Ähnlich zu gehen, auch wenn dieser mehr einstecken musste, dafür war er aber auch widerstandsfähiger. Als Shi ihn zu sich rief war der Junge eigentlich froh, aus seinem Gedanken bezüglich des Feindes gerissen worden zu sein. „Ich weiß nicht was du hast. Ich hab doch genau gesehen, wie Eschnun versucht hat, nach dir zu schlagen, nachdem er bereits in die Alkoholfässer gefallen war. Du hast intuitiv versucht, den Angriff zu blocken, doch leider hast du nicht an die Lampe gedacht, welche daraufhin getroffen wurde und unseren Freund in eine lebendige Fackel verwandelt hat. Die Schuld liegt doch offensichtlich bei unserem lieben Karthager, und das Gegenteil muss er uns erst beweisen.“ Ohne irgendwelche Gewissensbisse kam die Lüge über die Lippen des Jungen. Wenn Leyla jetzt anwesend und nicht bewusstlos wäre, konnte sie auf ihren männlichen Part durchaus stolz sein, da er manches von ihrem Verhalten annahm- mehr oder weniger. „Und sollte er uns die Geschichte nicht glauben, besänftigt ihn vielleicht ein Kurzurlaub in einem Luxushotel oder ein gefüllter Geldbeutel. Beides sollte für mich kein Problem sein und vielleicht wollte er die Lampe sowieso loswerden?“

Nach einer Weile saßen die Magier in ihrem Quartier und konnten etwas von ihren Vorräten essen, sich erholen und weiter besprechen. „Dank uns beiden, dass sollte es am ehesten treffen.“, kam es etwas scherzhaft über die Lippen des Braunhaarigen. „Die Art von Shi mag zwar brutal gewesen sein, aber so konnten wir den Kampf gewinnen. Ich will mir nicht ausmalen, wie er sonst geendet hätte.“ Er nahm ein paar Bissen und lauschte den Worten seines Partners. Wie er hatte auch Noah das Gefühl, dass Karthago irgendwie mit dem Auftrag zu tun hatte- wieso hätten sie ansonsten auch Emaru angreifen sollen? Dass der Junge verschwunden war, bevor ihm die Magier hätten befragen können, warf weitere Fragen auf. „Nein, die Höhle ist südwestlich vom Dorf. Niemand aus dem Dorf soll sie erkunden wollen, was sie weiter verdächtig macht.“ Nach einer Pause stellte er noch eine Frage. „Wie geht es dir inzwischen?“ Dachte der Espérance an die Verletzungen, welche der Dargin erhalten hatte, wären die Stunden Erholung mehr als erforderlich, wenn nicht sogar zu wenig. Aber er kannte seinen Körper besser, vielleicht würden sie ausreichen, um die Arbeit fortzusetzen. Vorsichtig sollten sie aber auf jeden Fall sein. Wer wusste schon, was sie bei der Höhle erwarten würde?

Dass Noah Shis Gewalttätigkeit aufgrund der Umstände akzeptierte und zu verteidigen bereit war, mochte im Moment zum Vorteil Emarus stehen, doch gleichzeitig bedeutete das, dass er nicht sagen konnte, wie sehr sein Partner für brutale Lösungen einstand. Was, wenn er jemand war, der es für das Richtige hielt, alle Probleme nur mit Gewalt zu lösen...? Wenn er die Art Magier war, die kein Problem damit hatten, sich Leute untertan zu machen und Dörfer zu unterwerfen, nur, weil sie als Magier das eben konnte? Vielleicht war er sogar so zügellos wie einer dieser Fairy Tail-Zauberer... Das wäre ein Problem. Abgesehen davon stellte sich in dem Gespräch heraus, dass Emarus Gedächtnis wieder einmal gewusst hatte, wie es ihn betrügen konnte, denn statt südöstlich war die Höhle angeblich südwestlich angesetzt. Glücklicherweise hatte wenigstens Noah noch den richtigen Weg im Kopf, ansonsten hätte das übel ausgehen können... „Südwest, hm...? Gut, dass du dich daran erinnerst, mein Gedächtnis spielt nicht immer mit“, murmelte der Dargin nachdenklich als Antwort auf die Frage, die sich eigentlich um seinen körperlichen Zustand drehte. Dann erst schreckte er hoch und erinnerte sich an den genauen Wortlaut. „Ach richtig... mir geht es gut, keine Sorge. Ich bin Gegner eines niedrigeren Levels gewöhnt, trotzdem kann mir so ein Bauernopfer nichts anhaben. Ich hoffe, dich hat der Kampf nicht zu sehr mitgenommen...“ Dann hustete er wieder, musste sich wieder Blut vom Kinn wischen, das inzwischen schön rot verschmiert war. Dennoch grinste er recht fröhlich. „Es ist verdammt nervig, die Haut voll zu bluten, um die ich mich sonst so kümmere... Ich hoffe, das hört bald auf.“ Damit lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und wartete... es würde nicht lange dauern, bis er einschlief, und in ein paar Stunden würde es dann mit der Quest weitergehen...

Emaru war rechtzeitig wach, genauer gesagt eine halbe Stunde vor Mitternacht, also dem Zeitpunkt, an dem sie aufbrechen wollten. Nun musste er nur noch diese dreißig Minuten warten, dann konnte er Noah wecken und sich mit ihm auf den Weg machen, um endlich den Grund für alles zu finden, was geschehen war. Die Verbindung zwischen verschwindenden Tieren und einer Gruppe, die Fremdenfeindlichkeit bekämpfte. Vielleicht sogar die Geschichte hinter diesem Jungen, den alle Melkart nannten. Es war seltsam, dass ihm scheinbar alle Kinder und Jugendlichen des Dorfes folgten, und vor allem, dass er den Titel eines Herrschers innehielt, während er seine exekutiven Ladies und Götter aus schickte, um Magier zu zerlegen. Ein Geräusch im unteren Teil des Gebäudes riss den Weißschopf aus seinen Gedanken. Es sah aus, als würde der andere Pegasus noch immer schlafen, also würde Emaru selbst nachsehen. Langsam schritt er zur Treppe, ging hinunter und blickte sich um in dem niedrigen Raum. An dem Kamin – welche Häuser hatten denn heutzutage noch Kamine? – saß Richard, knabberte langsam an Marshmallows, die er offenbar an Spießen röstete. Er konnte wohl auch noch normales Essen zu sich nehmen...
„Hallo, Richard“, grüßte der Dargin freundlich und setzte sich neben ihn. „Kannst du nicht schlafen...? Keine Sorge, die Sache mit den Tieren ist so gut wie gelöst.“ Zuversichtlich lächelte der alte Mann ihn an: „Weiß ich, weiß ich. Ich glaub an euch, das kann ich dir sagen! Sonst hätte ich euch gar nicht erst gerufen, hätte ich nicht. Weiß auch nicht, warum ich nicht schlafen kann. Ich hab heute vier Nickerchen gemacht, sag ich dir, und da hatte ich gar keine Probleme. Ach, wenn ich nur wissen täte, warum es jetzt nicht geht!“ Der Magier hatte so langsam ein Bild im Kopf, woran es liegen könnte, lächelte aber nur zurück, anstatt mehr dazu zu sagen. Dann blickte er in den Kamin, in die tänzelnden Flammen, in denen Marshmallows dahin schmolzen. Die überholten Dinge waren teilweise doch noch ganz schön. „Und wegen der Lampe braucht ihr zwei euch, das sag ich, keine Sorgen zu machen. Es war ohnehin für eine neue Zeit, jetzt hab ich einen Grund.“ Lachend winkte der Mann ab und stopfte sich den nächsten Marshmallow in den Mund. Kaute, schluckte. „Ich mag euch Magier. Den Kleinen, das sag ich dir, und auch dich, Kizaru!“ „Es heißt Emaru“, korrigierte das Weißhaar fröhlich. „Emaru Dargin. In einem oder zwei Jahren wird der Name sehr bekannt sein, also merk ihn dir bis dahin, ja?“ Er war sehr entspannt, doch nun änderte sich Richards Gesichtsausdruck, und er schien sich Gedanken zu machen. „Dargin...?“, murmelte er vor sich hin, dann guckte er seinen Gesprächspartner an. „Du kommst aus Blue Pegasus, kommst du nicht? Du bist nicht zufällig... Emaru Dargin?“ Hab ich das nicht gerade gesagt...?, schoss es ihm durch den Kopf, aber er nickte mit einem bitteren Gesichtsausdruck, der soviel bedeutete wie „Hör mir zu, alter Mann!“ Der stand eilig auf, hastete durch seine Räumlichkeiten, lief noch einmal durch das Wohnzimmer, in dem sie eigentlich saßen, nahm eine andere Tür und kehrte dann langsamer zurück, hatte jetzt irgendetwas in der Hand. „Das hier... das gehört dir, oder? Dieser andere Magier, der aus Hargeon Town... er hat gesagt, sein Bruder Emaru sei ein Magier in Blue Pegasus, deshalb würde er irgendwann sicher eine Quest hier erledigen. Und wenn es soweit ist, soll ich dir den Handschuh zurückgeben...“ Handschuh...? Irritiert blinzelte Emaru, zog etwas aus einer seiner Hosentaschen hervor, etwas, das er immer dabei hatte. Der rechte Handschuh mit dem roten Drachenkopf darauf... Also hatte James den anderen gehabt. Er ließ sich den linken Handschuh geben, den, auf dem der blaue Drachenkopf zu sehen war. Die beiden gehörten zusammen, und jetzt, nach Jahren, hatten sie einander endlich wieder gefunden... Emaru wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, lächelte. James hatte gewollt, dass er hierher kam... und jetzt war er endlich da. Mal sehen, was es zu tun gab!

Seine Handschuhe trug Emaru nicht, als er zusammen mit Noah in südwestlicher Richtung das Dorf verließ. Sie steckten in den Taschen seiner Jacke, die er sich angezogen hatte, immerhin war es kühl um diese Zeit. Sie schafften es etwa einen Kilometer aus Mirobi heraus, bis... „Ich wusste doch, dass ihr wiederkommt! Ihr hättet gleich auf den Weisen Heiner hören sollen, dann hättet ihr eure Lektion nicht auf diese Art lernen müssen!“ Oh ja, den Verrückten, dem sie ganz am Anfang des Abenteuers begegnet waren, hatte der Weißschopf ja fast vergessen. „Wir bleiben nicht lange weg. Wir wollen bloß einer Höhle einen Besuch abstatten, dann kommen wir zurück.“ Zuerst wirkte Heiner irritiert, dann weiteten sich langsam seine Augen und seine Mundwinkel begannen, hinab zu hängen. „Wawawawa... Was? Ihr wollt doch nicht in diese Höhle! Oh nein, ihr seid ja noch gagaer als diese Mirobianer! Ich war einmal da, da wollt ihr nicht hin, ehrlich! Wenn euch dieses Mädchen sieht, dann peitscht sie euch aus! Außerdem lebt in der Höhle ein Monster, das von den Kindern fordert, dass es ihnen Tieropfer bringt... immer, wenn Kinder mit Zicklein und Hündchen und anderen Tieren da rein gehen, hört man etwas laut kauen und kreischen und knurren... Wie ein Drache! Geht bloß nicht in diese Höhle rein!“ Während die Magier weiterliefen, tänzelte der Weise um sie herum und erklärte ihnen immer eindringlicher, wieso sie ganz sicher nicht zu der Höhle wollten. Dass er aber auch immer etwas an ihren Zielen auszusetzen hatte... gab es eigentlich irgendeinen Ort auf der Welt, der ihm behagte? Und warum hatte er überhaupt so lange gewartet, wenn er doch unbedingt hier weg wollte? Immerhin war das schon ihre zweite Nacht hier...
Dieses Problem löste sich allerdings von selbst, als sie näher an ihren Zielort kamen und der weise Heiner plötzlich jammernd an einem Seil an einem Baum hing. Offenbar war er in eine Falle getreten... das bedeutete dann wohl, dass es hier Fallen gab. „Keine Sorge, wir holen dich da wieder runter, wenn wir in der Höhle fertig sind“, rief Emaru enthusiastisch mit unverhohlenem Spott über ihren netten Begleiter, dann wandte er sich an seinen Mitmagier. „Sag mal... kann dein Indus eigentlich auch Fallen aufspüren?“

Noah sollte ein Magier sein, welcher Dörfer, Städte oder Regionen unterwarf? Wenn dies passierte, dann nur in der Fantasie des Jungen. In der Realität war dies unmöglich. Seine Magie befand sich auf keinem Stand, um sie effektiv in einem Gefecht zu benutzen, schließlich kann man mit einer Mücke schwer einen Kampf gewinnen, außer der Feind hat panische Angst vor allen Insekten. Mit Corona Borealis könnte Noah zwar einen König bestechen, um an eine Armee zu bekommen, doch erstens gibt es in Fiore keinen König, vielleicht aber jemanden, der an der Krone Interesse hätte und die sonstigen Bedingungen trifft, weiterhin gibt es einen zusätzlichen Haken: Sofern der Stellargeist zu lange in der Welt der Menschen bleibt, wird er über kurz oder lang sterben. Sobald seine magische Energie aufgebraucht ist, was passieren wird, sofern er Jemand wochenlang dienen muss, verschwindet die Krone- für immer. Unwiderruflich. Außerdem hat der Espérance überhaupt kein Interesse an Macht. In die Kategorie „wahnsinnige Magier“ könnte man ihn aber schon eher packen, da er seinen Tod erhofft, solange sich sein Leben nicht ändern sollte. Nachhelfen oder ihn erzwingen würde er aber nicht. Anderen Schmerzen zuzufügen gehörte auch nicht unbedingt zu seinen Vorlieben. Außerhalb einer Mission will er normalerweise seine Ruhe, meidet viel menschlichen Kontakt. Sollte man ihn angreifen, wehrt er sich… eben so gut wie es ihm möglich ist. Was darin enden könnte, dass er haushoch unterlegen ist. Zwar durchlebt der Stellarmagier in seiner ausgeprägten Fantasiewelt vieles, wozu er in der Realität nicht in der Lage wäre, doch das Unterwerfen von Regionen oder Quälen von Menschen gehörte nicht unbedingt dazu. Vielleicht würde sich dies in Zukunft aber ändern? Wer konnte schon sagen, wie sich die Meinung des Jungen der Menschheit gegenüber entwickelte. In den letzten Jahren hatte er viel Negatives erfahren, dies konnte einen Menschen verändern. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich der Junge in das Negative verändern würde, doch ausschließen kann man es nicht- bei jedem Menschen.
Als sein Partner alles erzählt hatte, was er zu sagen hatte, beobachtete Noah diesen leicht skeptisch. Zwar sagte er, dass es ihm gut geht, doch ob das Blut, welches an seinem Kinn klebte, wirklich ein gesundes Zeichen war, bezweifelte der junge Magier. Aber Emaru ist alt genug, um den eigenen Zustand einzuschätzen. „Schön zu hören, dass es dir gut geht. Freu dich doch über das verblutete Kinn, manch Anderer hätte das nicht überlebt, was du einstecken musstest.“ In diesem Moment konnte man eine Prämiere erleben: Die Worte Noahs wurden in einem normalen Tonfall gesagt, von Emotionslosigkeit gab es keine Spur. Selbst die Körpersprache war für einen Moment normal. Für einen Moment könnte man meinen, Noah wäre ein normaler Junge, der keinerlei psychischen Probleme besaß. Doch sobald er über sich sprach, baute er dieses Verhalten wieder ab. Gegenüber Emaru besaß der Junge also anscheinend sich langsam entwickelndes Vertrauen. Hätte er dies nicht, würde er wieder mit völliger Emotionslosigkeit reden. „Mir geht es gut. Etwas einstecken zu müssen ist zwar für mich ungewohnt, durch meine Gefangenschaft bin ich aber schlimmeres gewöhnt. Heute Abend sollte ich problemlos weitermachen können.“ Für einen kurzen Moment umspielte ein ehrliches Lächeln seine Lippen, bevor es sich der Espérance bequem machte und langsam aber sicher einschlief. Ein paar Stunden Erholung würde jeden der beiden Magier gut tun. Während er anfangs bewusst träumte, tauchte er langsam aber sicher in einen richtigen Traum ein, den er nicht mehr beeinflusse konnte…

Von dem Gespräch zwischen seinem Gildenkollegen und dem Auftragsgeber bemerkte Noah nichts. Momentan befand er sich an einem anderen Ort- einen, den er heute bereits besucht hatte. In dem Moment, in welchem Leyla die Bewusstlosigkeit überfiel, befanden sich beide in der gemeinsamen geistigen Welt, welche zu diesem Zeitpunkt von Verwüstung zu Schönheit wechselte. Doch nun sah es hier völlig anders aus. Die Pflanzen, welche zuvor den Ort in eine Idylle verwandelt hatten, welkten entweder gerade oder waren bereits abgestorben. Die Häuser waren nur noch Ruinen, Trümmer lagen überall verteilt. Wolken bedeckten den Himmel und verhinderten, dass Licht den Erdboden erreichte, schafften eine düstere Atmosphäre. Nun war es kein Ort mehr, an dem man sich hätte wohlfühlen können. Noah schlenderte durch die Straßen und versuchte irgendetwas zu finden, was noch schön war. Mit einem angenehmen Platz zum entspannen wäre er auch zufrieden gewesen, doch selbst diesen konnte man nicht mehr finden. Zu allem Übel begann auch noch, Nebel aufzuziehen, welcher, je nachdem wo man sich befand, dichter wurde. Doch eines war an diesem Nebel unnatürlich: Er schien sich in eine Richtung zu bewegen. Er schien irgendetwas zu verfolgen… Da der Junge nicht wusste, was er machen sollte, entschloss er sich, dem Nebel zu folgen. Falls dies überhaupt möglich ist… Auf einem großen Platz angekommen, konnte Noah eine große Gestalt erkennen. Der Platz besaß zwar wie der Rest des Ortes keine Schönheit mehr, aber er war wenigstens ordentlich. Noch. Die Gestalt, ähnelte einem Menschen, doch war sie geschätzt drei Meter groß und mit übernatürlich vielen Muskeln ausgestattet. Zudem besaß es Klauen und Fangzähne. Um dem Bild zu entsprechen, demonstrierte es seine Macht und zerstörte weitere Häuser. Während Noah dieses Wesen voller Ekel betrachtete, bemerkte er, wie alle Geräusche zunächst leiser wurden, bis man sie kaum mehr hörte. Nur ein Geräusch war davon nicht betroffen: Von den Wänden hallte ein Schritt nach dem anderen wider, viel zu laut für diesen Ort- aber immerhin befand sich Noah hier in einem Traum, dort müssen Dinge keiner Logik folgen. Im nächsten Moment konnte man eine Klinge hören, welche durch die Luft schnitt. Daraufhin begann der Nebel den Platz zu umhüllen, verdichtete sich und raubte der widernatürlichen Kreatur die Sicht. Für einen Moment konnte Noah am Ende des Nebels eine menschliche Gestalt sehen, welche komplett in einem grauen Mantel gehüllt war und selbst unter der Kapuze das Gesicht mit Tüchern verdeckte. Einzigallein Augen und Mund konnte man erkennen. In der rechten Hand befand sich eine Klinge, welche die mysteriöse Gestalt durch die Luft schwang. Daraufhin entstand neuer Nebel oder verdichtete den bereits vorhandenen. Insgesamt konnte Noah für zwei oder drei Herzschläge die Gestalt sehen, bevor sie in einem Sprint im Nebel verschwand. Das letzte, was er in diesem Traum hörte, war ein widernatürlicher Schmerzensschrei. Danach wachte der Junge auf und konnte feststellen, dass es bereits Nacht war und es Zeit zum Aufbrechen wurde. Welche Bedeutung dieser Traum besaß? Nun, dies weiß selbst Noah nicht…

Den ersten Kilometer auf den Weg zur ominösen Höhle konnten die Magier problemlos absolvieren. An seinen Traum verschwendete der Junge nicht viele Gedanken, dies würde er frühestens auf der Heimreise machen. Momentan gab es wichtigeres, als Zeit mit Traumdeuterei zu verschwenden. Wahrscheinlich verarbeitete sein Körper das Erlebte in einer komischen Art und Weise…. Es dauerte nicht lange und die Gruppe bekam einen Begleiter. Einen ungewollten Begleiter. Der allseits beliebte Weise Heiner zollte den Magiern seinen Respekt und begleitete diese. Natürlich versuchte er ihnen, einen anderen Zielort ans Herz zu legen. Irgendetwas solle an der Höhle nicht stimmen. Es wäre sicherer, diese zu meiden. Leider wurden die Magier aber dafür bezahlt, besagte Höhle zu untersuchen. „Also scheinen wir mit dieser Höhle doch unserem Ziel näher zu kommen.“, meldete sich Leyla gedanklich an Noah. Wenn es solche Gerüchte über die Höhle gibt, beherbergte sie wahrscheinlich des Rätsels Lösung. Dass Kinder und Jugendliche dort mit Tieren hineingingen, machte die Höhle weiter verdächtig. „Ob es uns passt oder nicht“, begann Noah nun laut, ohne Emotionen, sich an Heiner wendend, „wir werden dafür bezahlt, uns die Höhle anzuschauen.“ Nachdem der Weise allerdings in eine Falle tappte, hatte sich das Problem gelöst. Jetzt mussten sie nur noch problemlos zur Höhle kommen… „Einen Versucht ist es wert.“ Noah schnappte sich einen seiner Silberschlüssel und kurze Zeit später befand sich Indus vor den Magiern. Kurz schilderte der Espérance seinem Geist die Situation und schilderte ihm in etwa den Weg, welchen sie gehen mussten (schließlich kannte er ihn selbst nicht), bevor Indus sagte, er würde nach Fallen ausschauhalten. Sofern es Spuren gab, würde er diese schon entdecken. Den Weg zur Höhle setzte die Gruppe nun wieder zu Dritt fort, allerdings war die dritte Person wesentlich angenehmer als der letzte Kandidat. Je näher sie der Höhle kamen, desto vorsichtiger wurden die Magier. Theoretisch konnten sie jeden Moment in eine Patrouille laufen oder doch in eine zu gut getarnte Falle tappen. Indus bremste das Fortbewegungstempo zwar etwas aus, aber er konnte die Magier vor Fallen warnen- oder die Gruppe hatte Glück und begegnete keinen neuen. Nach einer Weile hatten sie die Höhle sicher erreicht. „Nochmals danke, Indus. Bis zum nächsten Mal.“ Mit einem Nicken verabschiedete sich der Indianer und verschwand. Jetzt konnten die Magier endlich die Höhle erkunden! Damit begannen die beiden auch sofort, allerdings konzentrierten sie sich besonders darauf, nicht erkannt zu werden. Sollten sie zu früh erkannt werden, würde es nur unnötigen Tumult geben… Vielleicht würden sie die Mission auch unerkannt beenden können? Nach einer Weile hatten sich die Magier ein Bild von der Höhle gemacht. Im Großen und Ganzen schien sie aus zwei Gängen zu bestehen. An einer Gabelung, welche jeweils in einen der beiden Gänge führte, genauso wie zum Eingang der Höhle, hatten sich Emaru und Noah hinter einigen größeren Fässern und Steinen versteckt, um sich zu beraten. „Warum gibt es eigentlich einen Pausenraum, wenn die immer alle verscheucht, wenn sie jemanden da sieht? Sklaventreiberin!" Konnten sie plötzlich einen Jungen sagen hören, welcher aus einem Gang gestürmt kam. Der Gang, aus welchem er kam, war anscheinend der Pausenraum- immerhin sagte er dies. Das Ende dieses Flures war wesentlich leiser, im anderen konnte man die Stimmen vieler Kinder und Jugendlicher hören. Während der Junge fluchte, wurde er von einem weiteren begleitet, der seinen Freund beruhigen wollte. „Hey, hey! Wenn Melkart das hört, dann bist du dran! Lass uns einfach wieder an die Arbeit gehen..." Nach einer Weile, um genauer zu sein, als die beiden Jungen in sicherer Entfernung waren, flüsterte Noah etwas. „Das klingt doch interessant.“ Nach einer Weile fuhr der Junge fort. „Was hälst du davon, wenn wir uns aufteilen und jeder einen der Gänge genauer betrachtet? So könnten wir effektiver die Höhle erforschen. Ich würde dann den Pausenraum erforschen, der klingt harmloser.“ Sollte es zu einem Kampf kommen, würde Noah wahrscheinlich Probleme bekommen- vielleicht gab es aber auch einen Gegner, den selbst er besiegen könnte. Nach einer Weile hörte er Emaru sagen, dass er seine Unsichtbarkeitskrone verwenden sollte, um schwerer erkannt zu werden. „Corona Borealis.“, konnte sich Noah nicht verkneifen, seinen Partner zu korrigieren. Den passenden Schlüssel umklammerte er bereits, sollte es losgehen, würde er seinen Stellargeist beschwören. Zwar konnte er nicht durchgehend durchsichtig sein, aber sofern er sich nicht bewegte, was er bestimmt oft machen würde, konnte man ihn nicht durch Blicke entdecken.

[OUT: Ich hatte eindeutig Langweile... xD]

Der Plan mit dem Stellargeist schien aufzugehen... offensichtlich waren die Fähigkeiten von Noah zumindest außerhalb von Kämpfen vielseitig und nützlich. Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn ein Wesen kleine Pfotenabdrücke und Spuren entdecken konnte, nicht aber Fallen. Verlässlich führte der Indianer die beiden in die Nähe der Höhle, ehe er entlassen wurde. Die Magier nutzten zuerst einmal eine kleine Einbuchtung am Eingang, um sich schwer sichtbar einen Überblick zu verschaffen. Zwei Gänge, aus einem waren Schritte und Stimmen zu hören, alles ziemlich durcheinander, der andere war eher ruhig, bis plötzlich zwei Jungen aus ihm heraus rannten. Ihrer Konversation nach zu urteilen war das wohl ein kaum besetzter Pausenraum... Ganz offensichtlich der sicherere der beiden Wege. Dennoch konnte man natürlich nicht genau sagen, welcher zum Ziel führte, nicht einmal dass nur einer der richtige war. Sie würden wohl oder übel beide Gänge durchkämmen müssen, ein Schluss, auf den auch Noah kam. Ja, der Vorschlag des Jungen deckte sich so ziemlich mit dem, was der Dargin vorgesehen hätte, also nickte dieser kühl. „Ja, an so etwas hatte ich auch gedacht. Ich überlasse dir den Pausengang gern, aber sicher ist sicher... setz lieber deine Unsichtbarkeitskrone auf. Du weißt schon, der Stellargeist...“ Corona Borealis, äffte Shi gedanklich den Jungmagier nach, wofür er von Emaru gedanklich angeschnauzt wurde, während dieser sich in der realen Welt langsam in die dunkle Höhle vor tastete. Jetzt wurde es interessant...

Zuerst einmal wurden einfach die Stimmen lauter und besser verständlich. Es hörte sich alles sehr jung an, manche waren noch Kinder, andere schon Jugendliche, aber einen Erwachsenen konnte man nicht heraushören. Immer wieder huschte ein Schatten an dem Magier vorbei, der dauernd darauf achtete, an Stellen zu stehen, die nicht so leicht einsehbar waren. Um selbst etwas zu erkennen war es doch etwas zu dunkel, aber das war auch nicht so wichtig. Er hörte die Anwesenden in ausreichendem Maße und konnte sich so einfach Stück für Stück fortbewegen, ohne ihnen zu nahe zu kommen. Währenddessen lauschte er ein wenig auf ihre Gespräche, hörte Dinge von Opfergaben, Baseball, Magiern und wie süß diese arme Katze sei, aber nichts, mit dem man wirklich viel anfangen konnte. Die Arbeiter von Karthago wussten wohl Bescheid, dass Emaru und Noah im Dorf waren und erwarteten die beiden bereits hier, aber keinem schien bekannt zu sein, dass sie Eschmun bereits außer Gefecht gesetzt hatten, da sich ein paar Leute einen Spaß daraus machten, zu beschreiben, wie er dem Weißschopf den Schädel einschlug. Sehr bildlich zu beschreiben, wohlgemerkt. Er schaffte es noch weiter, sah sogar ein schwach scheinendes Licht am Ende des Tunnels, als er plötzlich einen Schritt hörte, direkt hinter sich. Er wirbelte herum, schlug aus, doch sein Schlag wurde mit einer einfachen Hand geblockt und er sah in ein grinsendes Gesicht, das er in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Er war sich allerdings sicher, diese Person nicht zu kennen. „Na, na. Man schlägt doch nicht nach seinen Gastgebern“, kicherte die Gestalt mit einer überraschend weiblichen Stimme – war es etwa ein Mädchen? – und versetzte ihm einen überraschend kräftigen Schlag in die Magengrube. Was war los mit diesen Kindern? Und dann merkte er es: Da war nicht nur das eine. Ohne, dass er es gemerkt hatte, hatten diese Karthager ihn umzingelt! Natürlich war ein Schlag, der für ein junges Mädchen unglaublich stark war, kein wirklicher Angriff für Emaru Dargin, aber ein wenig überrascht war er schon und außerdem verwundert; irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Eine Weile später war er fertig, hatte selbst nicht die kleinste Verletzung, während all diese Kinder zwar außer Gefecht, aber kaum verwundet am Boden lagen. Er hatte sich zurückgehalten, nur mit gezielten Schlägen auf Solarplexus und Hinterkopf gearbeitet und kein einziges Mal seine volle Kraft verwendet. Wenn die auf ihn einschlugen, war es, als würden sie ihn kitzeln... das bedeutete nichts für ihn, das konnten sie ruhig stundenlang machen. Er klopfte seine Hände aneinander ab, während er auf die improvisierte Tür traf, die das Ende des Ganges signalisierte. Es war eigentlich nur ein großes Holzbrett, hinter dem ein helles Licht strahlte und auch in diesen Teil der Höhle schien. Er drückte es langsam auf, ging hindurch, und wie erwartet war es hier blendend hell. Doch dieses Mal hatte er es erwartet, sich vorbereitet. Durch einen Spalt hatte er die Lage zweier Scheinwerfer ausmachen können, ehe er hinein gekommen war, und nun schlug er einfach nur seine Fäuste in die entsprechenden Richtungen: „Scream.“ Die Finsternis glitt problemlos durch das Licht, erreichte seine Ziele und es kam, wie es kommen musste: Die große Beleuchtung fiel aus. Es gab immer noch Lampen und weiter hinten im Raum etwas, das wie ein Brutkasten aussah, doch obwohl es hier noch immer hell war, konnte man problemlos sehen, es war nicht länger so grell wie zuvor. In diesem großen Raum befanden sich jetzt nur noch zwei Personen; ein kleiner Junge hinten bei dem Brutkasten, er selbst natürlich, und dazwischen ein Mädchen, brauner Zopf, tiefrote Lippen, breitkrempiger Hut. „Mariah...“, murmelte der Zauberer, während er auf das Schwert in ihren Händen sah, danach auf ihren offen sichtbaren Bauch, der voller Peitschenhiebe war, dann auf die Bandage, die ihre Augen verdeckte. „Was ist passiert? Was ist mit deinen Augen?“ „Ich wusste, dass du es bist, Emaru... niemand sonst könnte Eschmun besiegen und dann an all unseren Priestern vorbei kommen. Warum musstest du dich einmischen...?“, wich sie der Frage aus, und man hörte ihrer Stimme an, dass sie kurz vor dem Weinen stand. Erst dann antwortete sie: „Ich habe dem großen Melkart geschadet. Unser Gott ist allmächtig. Sämtliche Plätze von Karthago sind entweder hell erleuchtet oder in tiefe Finsternis gehüllt, so zeigt er es, verstehst du? Deswegen brauchen Mitglieder von Karthago auch keine Augen, um kämpfen zu können. Er gibt das Licht, und er nimmt es auch... Er hat das Licht aus meiner Welt genommen, und die Strafe ist angemessen!“ Dem Weißschopf stockte der Atem. Dieser Verrückte konnte doch unmöglich...? „Ich darf die Bandagen erst abnehmen... ich darf das Licht erst wieder sehen, wenn ich dich besiegt habe.“ Erleichterung. Also ging es ihr doch noch gut. „Aber zuerst... muss ich dir eine Geschichte erzählen. Damit du es verstehst.
Alles begann mit vier Kindern. In der Mitte der Gruppe stand Ushio, ein Junge, der immer wusste, was zu tun war, und immer zufrieden schien. Er war aber anders als seine Eltern. Sie verabscheuten Fremde und scheuchten sie weg, und wenn sie das taten, schlich er sich nachts aus dem Haus und brachte diesen Fremden etwas zu Essen. Er mochte es, wenn Leute zu Besuch kamen, und weigerte sich, den Hass seiner Eltern zu verstehen. Seine beiden Anhänger waren ein Mädchen namens Kira, das immer bei ihm zu sein schien, und sein Adoptivbruder Noir. Beide waren zwar älter und kräftiger als Ushio, Noir war auch immer sehr groß für sein Alter, aber sie nahmen ihn als ihren Anführer wahr und taten einfach alles, was er wollte. Und dann war da seine beste Freundin, mit der er immer im Sandkasten gespielt hatte. Sie hatte nicht viele Freunde, eigentlich nur ihn, seine Freunde konnten sie auch nicht leiden. Dafür war sie sehr belesen, sie wusste viel und verbrachte die meiste Zeit zuhause, wenn er nicht bei ihr war. Und auch sie verweigerte sich dem sinnlosen Fremdenhass. Die beiden wollten zusammen die Zukunft des Dorfes ändern und redeten deswegen immer mit ihren Eltern und den anderen Erwachsenen, doch die hatten kein Verständnis... stattdessen verboten sie ihren Kindern, mit den vier zu spielen. Mariah war enorm traurig, doch Ushio gab nicht auf. Er war immer enthusiastisch und sympathisch, bis... bis zu diesem Vorfall...“

So, irgendwie musste es Noah unbemerkt in den Aufenthaltsraum schaffen. Wenn das stimmte, was die beiden Jugendlichen sagten, befand sich dort nur eine Frau- allerdings konnte man sich darauf nicht verlassen. Vielleicht hatten die Jugendlichen des Dorfes bereits Emaru und Noah gemerkt und warteten darauf, dass die Magier in eine Falle liefen. Bezogen auf Noah wäre dies ein leichtes. In dem Pausenraum könnte sich eine größere Zahl von Karthagos Mitgliedern befinden, welche stillschweigend auf die Ankunft eines der Magier wartete, um diesen dann zu überwältigen. Der Dargin würde gewiss Widerstand leisten können und einen Großteil der Jugendlichen besiegen können, wenn nicht sogar alle, da ihr stärkster Kämpfer ausgeschaltet war, nur traf dies auf Noah nicht unbedingt zu. Körperlich war er vielleicht etwas besser als der Durchschnittsmensch, doch hatte er im Verhältnis zu anderen gleichrangigen Magiern wenig kämpferische Erfahrung. Genauso wenig könnte er sich auf seine Magie verlassen, da ihn diese nicht schützen könnte. Es blieb also zu hoffen, dass diese Sklaventreiberin allein war und es selbst Noah möglich sein sollte, diese zu überwältigen. Wenigstens bot der Flur genügend Möglichkeiten, fast unbemerkt den Zielort zu erreichen. Er war schlecht beleuchtet und bot viel Schatten, in welchem man sich verstecken könnte. Außerdem könnte man sich notfalls noch hinter dem einen oder anderen Objekt verkriechen, falls es nötig sein sollte. Und wenn jemand plötzlich auf den Flur treten sollte, konnte Noah immer noch stehen bleiben, um unsichtbar zu werden. Worauf wartete er also noch? Mehr als schiefgehen kann der Ausflug ja nicht…
Langsam erhob sich Noah aus dem Versteck und lief zu der Gegenüberliegenden Wand. Die Tür des Aufenthaltsraumes war leicht geöffnet und ein Kegel aus Licht war auf dem Flur zu sehen, welcher allerdings auf der anderen Wand endete. Durch das Lichtverhältnis zwischen Flur und Raum konnte man Noah nicht sofort sehen, falls man sich in dem Pausenraum aufhielt. Dieser Tatsache gewiss, lief Noah langsam in Richtung Tür. Darauf achtend, keine unnötigen Töne von sich zu geben. Zwar konnte man ihn schwer sehen, doch wenn man aufmerksam war, konnte man ihn immer noch hören. Öfters blieb der Junge stehen, um mit den Schatten zu verschmelzen und zu lauschen, was um ihn herum geschah. Doch bei jedem seiner Versuche hörte er das Gleiche: nichts. Hieß das, der Raum war inzwischen leer? Diese Tatsache wäre zu schön, um wahr zu sein. Bestimmt lauerte dort irgendeine Falle auf den Jungen. Den Gedanken, Musca zur Aufklärung in den Raum zu schicken, lies der Espérance fallen. Von der Fliege würde man nichts erwarten, doch wenn sie auf einmal anfangen würde, einen Karthager zu beschimpfen, könnte die Tarnung des Stellarmagiers auffliegen. Und das wollte er garantiert nicht! Nach einer gefühlten Ewigkeit, wenn es auch nur wenige Minuten waren, hatte der Magier endlich die Tür erreicht. Doch hieß das noch nicht, dass er eintrat. Ihn konnte immer noch ein Hinterhalt erwarten, deshalb blieb er nun vor der Tür stehen, wurde unsichtbar, lauschte und versuchte so viel wie möglich von dem Raum zu sehen. Natürlich konnte er aus seinem Blickwinkel nicht den gesamten Raum erfassen, aber in dem Teil, den er sah, gab es keine Menschenseele. Weiterhin konnte er nichts hören. Ob der Raum sicher war? Nun, es gab nur eine Methode, dies herauszufinden… Langsam nahm er seinen Stellargeist vom Kopf, woraufhin dieser verschwand. Danach wartete er noch einen kurzen Moment, bevor er langsam in den Raum trat. Doch kaum befand er sich mehrere Schritte im Raum, passierte das, was er insgeheim erwartet hatte. Zwar konnte er keine Person in dem Raum sehen, allerdings hörte er hinter sich einen stumpfen Aufprall, die Tür wurde zugeschlagen und eine Peitsche zischte durch die Luft, genau in die Richtung des Braunhaarigen. Dieser konnte nicht rechtzeitig reagieren und schaffte es nur, minimal auszuweichen, allerdings konnte er so nur einen minimalen Teil der Wucht abfangen. Nachdem sich der Espérance umdrehte, erblickte er eine junge, weibliche Gestalt. „Na endlich traut sich einer von euch zu mir. Ich dachte schon, ihr verkriecht euch dauerhaft in eurem Versteck am Eingang.“ Woher wusste sie, dass sich die beiden Magier am Eingang des Verstecks aufgehalten hatten? Von hier konnte sie die Magier unmöglich bemerkt haben, besonders da sie sich auf einem der Regale so positioniert hatte, dass es unmöglich war, sie von außen zu bemerken. Gegenüber dieser Fremden gelang Noah es perfekt, seine bekannte Emotionslosigkeit vorzuspielen, er musste sich dafür nicht einmal anstrengen. Den Schmerz, welchen er durch den Peitschenhieb eigentlich spüren müsste, blieb auch aus. Diesen Fakt konnte er aber noch für sich behalten. Er würde sein Gegenüber noch überwältigen müssen, und diese Kleinigkeit stellt so ziemlich seine einzige Trumpfkarte dar. „Und wer bist du?“ Eine Augenbraue der jungen Frau zuckte hoch. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass der Feind das Hauptquartier seines Zieles angriff, ohne dessen Führungsspitze zu kennen. „Ich bin Astarte, einer der drei Exekutiven von Karthago. Dein Pech ist, dass du mir begegnet bist, da ich dich leider verprügeln muss. Versuch nicht erst zu fliehen, ich kann deine Bewegungen blind verfolgen. Solange du Geräusche von dir gibst oder riechst, weiß ich, wo du bist. Selbst als du unsichtbar im Flur warst, wusste ich deine Position.“ Sie lächelte kurz amüsiert und siegessicher, bevor ihre Peitsche wieder durch die Luft zischte. Mit dieser Waffe konnte sie Noah garantiert auf Distanz halten, und wenn ihr dies lange genug gelang, hätte sie gewonnen. Mal schauen, wie er diese Situation zu seinen Gunsten löst…

„Es war wirklich schlimm... am Anfang hätte das keiner gedacht. Es kam einfach eine kleine Gruppe aus vier Magiern her, die waren sehr nett und gesellig. Aber natürlich wurden sie abgewiesen und gemein behandelt, und aus Zorn darüber wollten sie sich an dem Dorf rächen. Unter anderem stellten sich die Eltern von Ushio und die von Mariah in ihren Weg, um ihre geliebte Heimat zu verteidigen, doch leider waren sie den magischen Fähigkeiten nicht gewachsen und verloren ihr Leben. Erst ein anderer Magier, der zufällig dorthin reiste, konnte alle drei ganz leicht vertreiben und die Bewohner wieder in Sicherheit wiegen. Mariah zog nun bei ihrem Großvater ein, und auch James, der Zauberer, verbrachte ein paar Nächte dort, und in dieser Zeit haben sich die beiden viel unterhalten. Ushio war still geworden nach dem Verlust seiner Eltern und eine Weile sahen sich die beiden nicht mehr. Dafür lernte Mariah viel von James und bekam auch ein paar Bücher geschenkt, außerdem hat er gesagt, dass sich die Situation in dem Dorf verbessern würde, solange die neue Generation nicht die Vorurteile ihrer Eltern beibehalten würde. Außerdem habe er den roten Drachen zurückgelassen, und gesagt, der blaue Drache würde kommen um ihnen zu helfen... wir sollten ihn an seinem weißen Haar erkennen. Das hat zuerst keiner verstanden...“ Emaru war klar, wer mit dem blauen Drachen gemeint war. Das war der Bezug auf die Handschuhe gewesen, also sollte er, James jüngerer Bruder, sich um das Dorf kümmern. Ihr das klar zu machen, sollte nicht allzu schwierig sein... dachte er jedenfalls, bis sie weitersprach: „Und dann kam er auch! Es war unglaublich, wie eine Prophezeihung! Zuerst war es nur ein Ei, doch bald schlüpfte tatsächlich einer der seltenen Drachen daraus, bedeckt mit schlohweißem Haar! Das heiterte Ushio auf und gab ihm seine Entschlossenheit zurück, und schnell konnte er alle Kinder des Dorfes dazu bringen, sich im Geheimen um das majestätische Tier zu kümmern. Es entstand eine Subkultur unter den jungen Einwohnern der Stadt, mit Ushio an der Spitze und im Mittelpunkt. Eines der Bücher Mariahs bezog sich auf eine untergegangene Zivilisation namens Karthago... eine großartige Kriegsmacht, die nie verlieren konnte und der sich niemand in den Weg stellen wollte. Nach dieser wurde die Subkultur errichtet, und Noir, Kira und Ushio benannten sich als oberste Macht nach drei Göttern, die von den Karthagern verehrt wurden... Eschmun, Astarte und Melkart. Und Mariah...“ Ein leises Schluchzen war zu hören, während ihr Griff um das Schwert sich verstärkte, Schmerz war aus ihrem Gesicht abzulesen. „Mariah... Ich würde alles für Ushio tun!“

Sie brach in Schluchzen aus, dann hob sie ihre Waffe. Doch selbst wenn Emaru nicht so ein starker Kämpfer wäre, so war ihre Konzentration am Boden und ihre eigenen Geräusche übertönten seine Schritte. Wahrscheinlich wäre sie so auch ohne ihr Handycap ein Kinderspiel, andererseits war es dem Dargin wichtig, sie nicht zu verletzen – weder physisch, noch emotional. Sie war so schon angeschlagen. Problemlos wich er ihrem Schwerthieb aus und begab sich hinter sie, flüsterte ihr ins Ohr: „Du musst das nicht tun... und das weißt du auch.“ Sofort wirbelte sie herum und zog mit dem Schwert nach, doch er hatte sich bereits aus ihrer Reichweite begeben und glitt erneut hinter sie, ohne, dass sie es bemerkte. So langsam regte sich die junge Frau wirklich auf, schien wütend zu sein auf den Dargin. Er hatte Recht, und sie wusste es. Sie beide wussten, warum sie das tat, und genau deswegen war es umso schlimmer für sie. Sie schnitt noch zweimal ziellos durch die Luft, ehe er ihr das nächste Mal zu wisperte: „Ist er wirklich noch derselbe wie damals? Ist dein Ushio dieser erbarmungslose, machtbesessene Gottkomplex?“ Erneut drehte sie sich zum Angriff um, und erneut wich er ihr problemlos aus. Wütend stürmte sie mit dem Schwert voran in die Richtung, in der sie ihn vermutete, bis die Spitze gegen eine der steinernen Höhlenwände stieß. Sofort stand er dicht hinter ihr, sie spürte seine Wärme und dann seine Hände, die sich um ihre legten und sie festhielten. Das Schwert konnte sie nicht mehr bewegen, überhaupt konnte sie sich nicht mehr bewegen, als er es zuließ. „Mariah... Ist das wirklich, was du sein willst? Ein kontrolliertes Werkzeug für jemanden, in dem du noch immer den siehst, der er mal war?“ Er sprach diese Wort mit einer gewissen Trauer aus und sie blieb stumm, auch wenn man noch immer spürte, dass ihr nach Heulen zumute war. Sie wollte das genauso wenig wie er...

Langsam, aber entschlossen zog Emaru die Hände des Mädchens auseinander, ohne große Kraft, um sie nicht zu verletzen. Im ersten Moment noch spürte er leichten Widerstand, doch dann ließ sie los, kraftlos, und senkte den Kopf. Der Dargin hörte die ersten Schluchzer, ließ ihre Arme los, und schon drehte sich das Mädchen um und trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust, wurde ihre Frustration los, wenngleich hinter ihren Schlägen kaum Kraft steckte – davon hatte sie gerade sicher nicht viel. Eine ganze Reihe von Sekunden brauchte sie, um zum Ende zu kommen, am Ende ruhten nur noch ihre Fäuste und ihr Gesicht an seiner Brust, und sie gab den Versuch, ihre Tränen zurückzuhalten, endgültig auf. Zwar ruinierte sie damit sein Hemd, aber das war ein Opfer, das er in diesem Augenblick freiwillig bringen konnte. Sanft legte er seine Arme um sie, wartete ab, bis sie sich wieder beruhigt hatte, dann flüsterte er ihr zu: „Keine Sorge, es wird alles gut... der blaue Drache ist bei euch.“ Mariah nickte stumm und blieb noch ein wenig an ihn gedrückt, dann hob sie den Kopf und blickte ihn an. In ihren Augenwinkeln glitzerten die Tränen noch immer. „Ich hätte dir eigentlich nicht von ihm erzählen dürfen... aber er stellt die Zukunft dieses Dorfes dar, zumindest nach Melkarts... Ushios Idealen. Ich finde das aber nicht gut...“ Etwas Verzweiflung schlich sich in ihre Stimme, während sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um Emaru besser in die Augen sehen zu können. „Du meinst auch, dass wir ihn freilassen sollten, nicht wahr?“ Jetzt war Emaru wieder leicht verwirrt, ließ das Mädchen wieder los, das allerdings trotz dieser Chance keine Anstalten machte, sich wieder von ihm zu entfernen. „Moment... was glaubst du, was der blaue Drache eigentlich ist?“ Eigentlich war doch er es! Aber stimmt, sie hatte schon vorhin so etwas komisches gesagt. Sein Blick wanderte hinüber zu dem Brutkasten, bei dem noch immer der verschüchterte Junge von vorhin saß. Das konnte doch unmöglich...?

Mit einem lauten Krachen knallte das zweite Tor auf, das zu dieser Höhle führte, und nach einer Schrecksekunde erkannte der Dargin, wer dort hineingetorkelt kam. Noah sah gar nicht gut aus, übersät mit ähnlichen Wunden wie denen, die Mariah von der Peitsche davongetragen hatte. Und er wirkte, als hätte er viel Kraft verloren, sich überanstrengt... „Oh nein! Kira hat ihn erwischt!“ Mit diesen Worten trennte sich die Brünette von ihrem lebenden Kuschelkissen und stürzte zu Noah hinüber, blickte dann in den Ganz, aus dem er gekommen war. „Sie kommt nicht... das kann nicht sein! Sag bloß, du hast sie besiegt?“ Mit einem gewissen Stolz in der Stimme bestätigte der Espérance, und Mariahs Augen begannen zu glitzern. „Das ist unglaublich! Ihr zwei seid unglaublich! Erst Eschmun, all unsere Priester und dann auch noch Astarte... Ich hätte das nie für möglich gehalten!“ Unentschlossen blickte sie zwischen den beiden Magiern hin und her, dann seufzte sie und machte sich langsam auf den Weg an das Ende des Raumes, unterhielt sich kurz leise mit dem Jungen, der sofort aufgesprungen war, als sie in seine Richtung gekommen war. Nach etwas mehr als einer Minute schienen sich die zwei einig zu werden, dann öffnete das Mädchen den Kasten, und heraus kam etwas, das Emaru bisher nur auf Bildern gesehen hatte... „Ein... ein echtes Drachenbaby“, hauchte er, und jetzt erkannte er auch, wie Mariah die Verwechslung hatte gelingen können. Zwar glitzerten die Schuppen des kleinen Wesens in einem lieblichen azurblau, doch über seinen gesamten Rücken erstrechte sich eine weiße Mähne, bis hin zu seinem Schweifansatz. Und er war noch so winzig... unglaublich, dass daraus eines Tages ein großer, brutaler Drache werden würde. Aber vor allem... konnte man so ein Wesen in den Händen dieses Dorfes lassen? Das wäre so unverantwortlich...
„Mariah... du brauchst keinen Drachen. Und du brauchst Ushio nicht!“ Entschlossen ging der Dargin zu ihr und blickte in ihre Augen. „Der Weg, diesen Ort zu ändern, liegt nicht darin, die Erwachsenen zu unterdrücken und zu irgendetwas zu zwingen... So schafft ihr nur einen kleinen Krieg zwischen den Generationen. Ihr seid viele... ihr könntet wirklich etwas verändern, ohne Gewalt. Aber nicht unter jemandem wie Ushio... sondern unter dir, Mariah. Du bist der Schlüssel zu diesem Dorf, kein Kult, keine Subkultur, kein Drache... allein du!“ Sie war unsicher, blinzelte einige Male, dann schüttelte sie langsam den Kopf: „Ich kann das nicht allein...“ „Du bist nicht allein!“, unterbrach er sie, und zeigte auf den fremden Jungen, der immer noch sehr unsicher wirkte. „Siehst du ihn? Die anderen Kinder? Sie alle wünschen sich Veränderung in eurem Dorf! Aber sicher wünschen sich nur die wenigsten diese Gewalt. Und sie alle lieben dich... als ihre Anführerin würden sie dir zur Seite stehen. Und ich kann dir helfen, das zu werden... ich werde dafür sorgen, versprochen. Ich unterstütze dich, sodass du dieses Dorf in eine bessere Zukunft führen kannst!“ Er wollte Noah nicht in diese Situation mit hinein ziehen... der konnte gehen, wenn er es wollte. Aber er musste bleiben. James hatte sich dieses Schicksal für ihn ausgesucht, und er würde sich dem Fügen, auch wenn Mariah nicht erfahren würde, dass diese Begegnung vorbestimmt gewesen war. Und natürlich musste er auch etwas wegen dem Drachen unternehmen...

Eine Sache war allerdings klar: Sie hatten den Grund für die verschwindenden Tiere gefunden, dafür gesorgt, dass es nicht weiter geschehen würde, und damit wohl ihre Quest erfüllt. Well done!

So stand der junge Espérance nun Astarte gegenüber. Sein Wunsch, keinem Gegner gegenüberzustehen, erfüllte sich offensichtlich nicht. Wäre auch zu schön gewesen… Aber eigentlich hätte er auch damit rechnen können. Noah ist Magier- als solcher sollte er darauf vorbereitet sein, in einen Kampf zu geraten. Sich darüber beschweren würde an der Situation auch nichts ändern. Schweigsam stand Noah der Exekutive gegenüber, während um seinem Kopf ein leuchten erschien- die Krone war verschwunden. Im Kampf würde Korona Borealis ihm keinen Nutzen bringen und daher wollte er seinen Stellargeist nicht unnötig gefährden. In dem Kampf würde er sich nur auf sich selbst verlassen können. Kaum war der Geist verschwunden, stand er Astarte freisichtbar gegenüber. Sofort wirkte diese amüsiert, vor allem aber siegessicher. Sie war sich wirklich sicher, den jungen Espérance besiegen zu können- wen sie bei dem Anblick des Jungen wirklich Zweifel bekommen sollte, würde sie Menschen völlig falsch einschätzen. Körperlich konnte er nicht wirklich viel bieten. „Genug geschwiegen.“, ertönte es bittersüß aus dem Mund der Exekutive. In ihrer Stimme gab es keine Spur davon, dass sie Zweifel an ihrem Sieg hegte. Kaum schwieg sie wieder, konnte man das Zischen der Peitsche durch die Luft hören. Im nächsten Moment wurde Noah getroffen, bevor er sich richtig wehren konnte. „Na, tut’s weh?“, fragte sie, bevor sie zu kichern anfing. Aber da war ja eine Kleinigkeit…. Astarte war zwar schnel und geschickt, doch verfügte sie nicht gerade über viel Stärke- dementsprechend fühlte Noah nur einen Treffer, aber keinen Schmerz, dank der Folter die er in seinem Leben erdulden musste. Mit diesem kleinen Umstand konnte er sich Vorteile verschaffen. Zwar würde er seinen Körper einiger Gefahr aussetzen, allerdings konnte er sich so eine Möglichkeit erahnen, seine Gegenüber zu erreichen. Und dann könnte sich die Situation völlig ändern….

Einige Angriffe später hatte der Espérance bereits einige Blessuren erhalten. Viele Menschen würden bereits vor Schmerzen wimmern, während Noah keinen Muskel in seinem Gesicht verzog. Langsam begann Astarte zu zweifeln… ließ sich aber nichts anmerken. Einige Verletzungen weiter erreichte Noah seine Gegnerin. Nachdem er selbst einen Treffer erzielen konnte, sprach er nach einiger Zeit das erste Mal. „Du hast die ganze Zeit über einen Fehler gemacht.“ Da er über keine Waffen verfügte, musste er mit seinen Fäusten kämpfen. Jetzt war er aber an der Reihe, Schaden zuzufügen. „Du hast mich unterschätzt. Mit meiner Magie kann ich dich nicht bekämpfen. Auch habe ich Probleme, dich zu erreichen.“ Wieder legte er eine Unterbrechung ein und schlug nur seine Gegnerin. „Die meisten deiner bisherigen Gegner hatten ein normales Schmerzempfinden- im Gegensatz zu mir. Ich habe Schlimmeres erlebt als deine schwachen Hiebe. Verletzen kannst du mich damit zwar, aber nicht bremsen.“ Nach einem letzten Schlag sank Astarte gen Boden. Ein Blick an ihm herab offenbarte dem Stellarmagier nun, wie viele Treffer er wirklich eingesteckt hatte- strenggenommen viel zu viele. Er hatte noch viel zu lernen, er hatte noch viel zu trainieren. Ohne auch nur eine emotionale Regung in dem Raum lief er zu der Tür, welche Astarte zu beschützen versuchte. Mal schauen, was sich dort verbarg…

Die großen, glorreichen Auftritte waren nichts für Noah. Kaum bemerkte er, dass sich Emaru mit Mariah im nächsten Raum befand und sich letztere auf ihn stürzte, verabschiedete Noah sich (innerlich), damit Leyla die Kontrolle über den Körper haben konnte. Für solche Auftritte war sie geeigneter und wahrscheinlich würde der Dargin den Wandel bemerken, schließlich hatte er diesen bereits mehrfach erlebt. „Ich bin zwar kein großer Kämpfer, gegenüber Astarte habe ich aber einen Vorteil.“, sagte Leyla mit einem siegessicheren Lächeln. Auf die Leistung ihres männlichen Parts konnte sie stolz sein, wie es schien hatte er in letzter Zeit etwas gelernt. In den kommenden Minuten trat Leyla in den Hintergrund und überließ das Reden dem Teamleiter. Dieser hatte mehr Informationen und kannte sich mit der Lage von Karthago besser aus. Als die Cope allerdings ein lebendiges Drachenbaby erblickte, staunte sie schlecht. Wie viele Fanatiker aus der eigenen Gilde die beiden Magier wohl für diesen Auftrag beneiden würden? Wenn das Drachenbaby publik werden würde, könnte sich Mirobi zur Pilgerstätte von Blue Pegasus entwickeln… Nachdem der Dargin Mariah versprochen hatte, noch einige Zeit in Mirobi zu bleiben, wandte sich Leyla an ihren Partner. „Ich werde hier nicht von großer Hilfe sein. Daher werde ich meine Wunden verarzten so gut ich es kann und mich danach nach Hause begeben. Ich berichte dann schon mal alles unserem Meister und erkläre ihm, warum du noch hier bleibst.“ Damit konnte wohl festgehalten werden, dass der Auftrag erfolgreich abgeschlossen wurde. Die Ereignisse der letzten Tage würde wohl keiner der beiden Magier so schnell vergessen.