So langsam gewöhnten sich Emarus Augen an die grellen Lichtverhältnisse. Aus den Silhouetten entstanden unscharfe Konturen, langsam kamen Farben hinzu und bald schon konnte er wieder völlig klar sehen, auch wenn diese Helligkeit fast schon schmerzte. Seine Theorie stellte sich als wahr heraus, ein ganzes Stück vor ihm standen tatsächlich ein junger Mann und eine junge Frau, und zwischen ihnen ein Sessel, der verziert war wie ein Thron. Auf diesem saß ein Junge, geschätzt im Alter von fünfzehn Jahren, zurück gelehnt und mit den Beinen überschlagen, der seinen eiskalten Blick auf den Weißschopf richtete. „Mariah, Schätzchen... komm mal her“, sagte er nach einigem Zögern, ohne seinen Blick auch nur einen Moment vom Dargin abzuwenden. Sofort erhob sich die Angesprochene und eilte hinüber zu ihm, verbeugte sich noch einmal und sah ihn mit leuchtenden Augen an, während er sich ihr endlich zu wandte. „Mariah, Schätzchen... du hast so richtig Mist gebaut. Der Typ ist Magier...“ Im nächsten Moment war es still, die Gezopfte wirkte einen Moment lang geschockt, sah Emaru an, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, nein, Emaru ist kein Magier! Er ist ein junger Fremder. Ich hab ihn mitgebracht, weil er so stark aussieht, und er ist echt klug und witzig! Er wird wundervoll zu Karthago passen!“ Hatte sie da schon wieder Karthago gesagt? Also Kar-tha-go? Wenn man die mittlere Silbe heraus nahm, war das Kargo, und ehrlich gesagt traute der Weißschopf es seinem derzeitigen Gastgeber durchaus zu, eine Silbe zu vergessen. Also war es möglich, dass er gerade mit diesem ominösen Kargo zu tun hatte, von dem Richard gesprochen und über das er bisher noch keine Informationen bekommen hatte, also die Gelegenheit, etwas darüber herauszufinden. „Mariah, Schätzchen, ich weiß, dass ich dich zu meiner rechten Hand gemacht habe, weil du mir viel bedeutest und gute Arbeit leistest...“, ertönte wieder die raue, gelangweilte Stimme des sogenannten Melkart. „Aber das heißt noch lange nicht, dass du mir widersprechen kannst. Der große Fremde mit den weißen Haaren und das fremde Kind mit den braunen Haaren, die beiden sind Zauberer. Das waren die beiden, die Natalia angegriffen haben, und sie erinnert sich sehr gut daran... immerhin mussten wir sie dafür bestrafen, dass sie Informationen an die Fremden ausgegeben hat, bevor wir Entwarnung gegeben haben.“ Erneut geschockt blickte Mariah zu Emaru hinüber, dann kniff sie die Augen zusammen, ihr Gesichtsausdruck drückte Qual aus, während sie sich auf die Knie fallen ließ. „Es tut mir so leid, das wusste ich nicht! Ihr... ihr könnt mich jetzt in angemessenem Maße bestrafen!“ Grinsend trat die andere Frau einen Schritt hervor, kramte bereits in ihrer Tasche, doch der Junge auf dem Sessel erhob die Hand und winkte ab. Tadelnd blickte er hinüber zu der Frau, dann wieder zu Emaru. „Nicht jetzt, Astarte. Wir müssen uns zuerst einmal um den Fremden kümmern, um Lady Mariahs Dummheiten auszubügeln. Eschmun!“ Er schnippte mit den Fingern, und schon setzte sich der Hüne neben dem improvisierten Thron in Bewegung, ließ seine Knöchel knacken. Während er auf den Dargin zukam, wurde klar, dass der Magier ausnahmsweise nicht der Größere unter den Kontrahenten war, und kräftiger sah dieser Eschmun ebenfalls aus. Das hier sollte Emaru lieber schnell erledigen...
Innerhalb von Sekunden steckte die Faust des Dargin voller Finsternismana und krachte mit voller Kraft gegen die Nase des Hünen, der auf ihn zukam. Lautes Knacken war zu hören, der Karthager taumelte zurück und verlor das Gleichgewicht, während der Weißschopf sich umdrehte und zur Tür, durch die Tür stürmte, hinein in die Finsternis. „Haltet ihn!“, erklang noch einmal die Stimme Melkarts, und plötzlich hörte Emaru Bewegung aufkommen in dem Flur, in dem er sich befand. Das war kein Problem; schnell ließ er sich zwei Dark Stings aus den Händen wachsen und lief einfach weiter, wehrte einfach jeden ab, der sich ihm in den Weg stellte oder sich zu sehr näherte, hören konnte er das hier sehr gut. Ab und an rannte er die Leute auch einfach um, während er den Weg, auf dem ihn Maria geführt hatte, wieder in sein Gedächtnis rief und rückwärts nachlief. Kurz hinter er Tür kam die erste Ecke, dann ein langer Weg. Hier musste Emaru abbiegen, verschätzte sich aber ein wenig in der Wegstrecke und lief deswegen einmal gegen eine Wand, das Zeichen für ihn, erneut abzubiegen, bis er die erste Stufe spürte, hinauf stieg, damit er den Kellereingang aufdrücken und entkommen konnte. Natürlich hätte er es schaffen können, diese Leute zu erledigen, als einer der größten Magier des normalen Rangs, die Blue Pegasus zu bieten hatte, aber zuerst einmal waren das Zivilisten, und außerdem musste er sich mit Noah treffen. Ein Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk zeigte ihm, dass er schon eine Dreiviertelstunde hinter dem Zeitplan lag, er hatte Noah viel zu lange warten lassen. So schnell er konnte lief er durch die Straßen, hielt dann am Treffpunkt vor Richards Haus an, etwa eine Stunde, nachdem er eigentlich hatte hier sein wollen. Hoffentlich war sein Partner noch da...

Endlich konnte sich Noah von der Alten abwenden. Wenn man ihr Glauben schenken konnte, wusste sie wirklich nicht, was Kargo ist. Auch wenn er darüber nichts in Erfahrung bringen konnte, so hatte er wenigstens einen Ort genannt bekommen, welchen man genauer erkunden könnte. Die erwähnte Höhle könnte als Versteck genutzt werden. Wenn die Ladenbesitzerin auf die Idee gekommen war, dass sich dort Verbrecher verstecken können, hätte sie dies doch Verantwortlichen des Dorfes sagen können und jemanden losschicken können, wer die dortige Umgebung kontrolliert. Womöglich wussten die Verantwortlichen selbst um diese Höhle- in einer solch ländlichen Umgebung kannten die meisten Bürger die nähere Landschaft, wenigstens wenn sie länger dort wohnten oder noch besser dort aufgewachsen sind. Doch wenn die Allgemeinheit über diese Höhle informiert waren, wieso hatte noch niemand den Ort inspiziert? Die Alte hatte deutlich gesagt, dass niemand der Bewohner zu der Höhle will. Irgendeinen Grund musste es dafür geben! Am besten wäre es, wenn die beiden Magier diesen Ort etwas genauer unter die Lupe nehmen würden, vielleicht wurden sie dort fündig. Aber für dieses Unternehmen fehlte noch etwas, genauer gesagt fehlte noch jemand: Emaru. Dass der Dargin soeben das Versteck von einer gewissen Gruppe namens Karthago untersuchte, wusste Noah natürlich nicht, aber bei diesem „Karthago“ könnte es sich um das „Kargo“ handeln, welches Richard erwähnte- und deren Versteck könnte die Höhle sein, von welcher der Espérance erfahren hatte. Alleine würde er dort aber nicht hingehen. Zwar hatte er seit dem letzten Einsatz an Stärke gewonnen, doch reichte es bestimmt nicht dafür, was ihn erwarten würde. In einer Kampfsituation waren ihm seine Stellargeister auch keine große Hilfe, für solche Geister war er einerseits noch zu schwach, andererseits fehlte ihm ein passender Schlüssel. Vielleicht sollte er Indus beschwören und diesen die nähere Umgebung der Höhle inspizieren lassen? Der Indianer würde Spuren entdecken, an denen die Magier vorbeigehen würden. Mit weiteren Hinweisen wären sie in der Lage, einen Plan zu erarbeiten, wie sie besser vorgehen könnten. Mehr Informationen erleichterten das Kämpfen ungemein, manches Mal konnten genügend Informationen auch gleich einen Sieg einbringen. Aber wenn plötzlich ein Indianer durch Mirobi laufen würde, hätte es dieser nicht leicht. So wie die Einheimischen die Fremden behandelten, müssten sie einen Indianer sofort angreifen. Schließlich sahen sie etwas so exotisch Fremdes nur selten… Nicht auszudenken, was für Krankheiten Indus mitbringen könnte! Bevor der Geist irgendetwas herausgefunden hätte, wäre er bestimmt schon gezwungen, zu verschwinden. Vielleicht würden die Einwohner auch einen Lachkrampf bekommen, nicht mehr atmen können und ersticken. So wäre wenigstens das Problem mit der Fremdenfeindlichkeit gelöst…
Pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt erreichte Noah den Treffpunkt, das Haus von Richard. Strenggenommen war er noch einige Minuten früher erschienen, weshalb er sich entschloss, den Einkauf im Inneren des Hauses zu platzieren. Viel länger wollte er den Beutel nicht mit sich herumtragen- falls er seine Hände brauchen würde, wäre der Einkauf nur eine Last. Sollte er ihn vor dem Haus stehen lassen, würden sich bestimmt einige heimische Kinder einen Spaß daraus machen, den Beutel zu stehlen und in dem Inneren der Ruine bestand noch immer die Chance, dass niemand das Haus betreten würde. Es gab zwar noch das Risiko, dass der nächste starke Windhauch das Gebäude zerstören würde, doch dieses konnte man wohl eingehen. Schließlich war es momentan windstill. Vorsichtig klopfte Noah gegen die Tür und hoffte, sie nicht zu zerstören- wie der Rest des Gemäuers war dieser Teil ebenfalls baufällig. Nachdem niemand die Tür öffnete, wollte der Junge erneut klopfen, doch konnte er erkennen, dass die Tür überhaupt nicht verschlossen war. Nach kurzem Zögern trat der Espérance ein und hörte Richard schnarchen. Dieser fürchtete sich wohl nicht vor Einbrechern… Schnell lief der Magier in die Besenkammer und platzierte die Einkäufe neben einen Schlafsack. Danach lief er nach unten, schloss vorsichtig die Tür und wartete auf seinen Partner. Doch dieser war alles andere als pünktlich. Fünf bis zehn Minuten Verspätung würde Noah okay finden, eine Viertelstunde wäre noch erträglich, doch nachdem der Dargin nach einer halben Stunde nicht auftauchte, machte sich der Espérance einige wenige Gedanken. Er bezweifelte, dass Emaru so einfach etwas passieren würde, doch warum verspätete er sich so viel? Vielleicht noch viel wichtiger: Was sollte der Stellarmagier jetzt machen? Wenn er jetzt loslief um seinen Kollegen zu suchen, könnten sie sich wahrscheinlich verfehlen… Würde er Indus losschicken, hätte dies wegen seinem Äußeren bestimmt wenig Erfolg und Musca würde zu langsam fliegen, außerdem wäre die Fliege planlos. Der Espérance hatte es sich schon lange auf einer Bank bequem gemacht und wartete. Die Blicke der Einheimischen störten ihn überhaupt nicht. Dort, wo er war, befand sich niemand in seiner Nähe. Solange dies gegeben war, konnte er sich wohlfühlen. Solange sich Emaru nicht über eine Stunde verspäten würde, entschloss der Zwerg nichts zu unternehmen. Und so wartete er, und wartete… und wartete, rutschte in seine Fantasiewelt ab und bemerkte fast nicht das Auftauchen seines Kameraden. Kurz musterte er diesen, alles schien in Ordnung. „Wo warst du?“, fragte Noah, als er zu Emaru lief. In seinen Worten konnte man auch einen Hauch Sorge hören.

Ziemlich außer Puste, aber ansonsten völlig intakt, erschien Emaru vor Richards Haus, stützte sich erleichtert auf seinen eigenen Knien auf, als er Noah erblickte, und atmete tief durch. Erst war es schwierig, die Hast aus seiner Atmung zu vertreiben, doch nach ein paar Sekunden ging es, und dann ließ auch sein Herzschlag langsam nach, normalisierte sich. Erst jetzt richtete er sich wieder auf, antwortete seinem Partner, der bereits zu ihm gekommen war: „Ah... Entschuldige, ich bin ganz schön spät dran. Ich habe ein bisschen das Versteck von Kargo ausgekundschaftet, und dann wollten sie mich nicht einfach so gehen lassen... tut mir sehr leid.“ Wie beiläufig erwähnte er diese großartige, außergewöhnliche und sicherlich unerwartete Leistung, ging dann aber etwas mehr ins Detail: „Kargo, wie Richard sagte, heißt eigentlich Karthago und ist, wenn ich die Sache richtig einschätze, eine Jugendsubkultur. Sie scheinen ein Problem mit der Fremdenablehnung hier zu haben und versuchen, kräftige Fremde in ihrem Alter zu rekrutieren, Magier wollen sie hier aber nicht sehen. Wahrscheinlich sind sie es, die hier die Fäden ziehen, und vermutlich ist es auch ihnen zu verdanken, dass Mirobi aufrüsten will...“ Dann ging er genauer auf die Geschehnisse ein. Erklärte, dass ihr Versteck ein großes, finsteres Kellergewölbe am Rande des Dorfes war, und der Anführer sich Melkart nannte. Dann erzählte er, wie er mit Ziegelsteinen beworfen wurde, wie ihn ein Mädchen namens Mariah auf der Straße angesprochen und zum Essen eingeladen hatte – gut, das stimmte nicht so ganz, aber dass er eine kleine Pause hatte machen sollen, war jetzt nicht wichtig. Er sagte auch, dass die älteren Leute ihm alle übel gesinnt waren, Mariah dagegen – oder Lady Mariah, wie sie sich selbst bezeichnete – sei von Anfang an freundlich gewesen und hatte ihm sogar mehr oder weniger etwas spendiert, auch wenn sie streng genommen keinen Jewel bezahlt hatte. Sie hätten sich unterhalten, erzählte er weiterhin, dann habe sie ihn zu dem Keller geführt, aus dem er flüchten musste, und so war auch die Verspätung zu Stande gekommen. „Allerdings...“, begann Emaru das Ende seiner Erzählung, die sicherlich zehn, fünfzehn Minuten in Anspruch genommen hatte. Leicht hob er den Kopf, blickte in den klaren Himmel über dem Dorf, in dem sich gerade eine kleine, schneeweiße Wolke vor die wärmende Sonne schob. So friedlich, wie es gerade war, bemerkte man nichts von all dem Hass, der Feindlichkeit, der Angst und der Unterdrückung, die hier herrschten, die einen das Überbleibsel einer alten Generation, beladen mit Vorurteilen, die anderen geschürt von all den jungen Leuten hier, die diese Vorurteile verurteilten. Der Frieden, den man hier spürte, war nichts weiter als die Farce des Landes, die verdeckte, was hier alles vor sich ging. Auf der Erde wurde verurteilt und gefürchtet und gehasst. Unter der Erde brodelte ein Aufstand. Über der Erde schien fröhlich die Sonne...
„Allerdings habe ich dort nichts gesehen, das darauf hinweisen würde, dass sie mit unserer Quest zu tun haben. Ich mache mir wirklich Sorgen um Mirobis Zustand, aber das ist nicht mit unserer Aufgabe verbunden, und ich habe in dem Versteck nichts gehört oder gesehen, das auf die verschollenen Tiere hinweisen würde. Hast du irgendetwas herausbekommen?“ Er war wirklich ein bisschen nachdenklich geworden, aber er war hier der Leiter. Wenn er sich nicht konzentrieren und sachlich bleiben konnte, würde das ihre Quest beeinträchtigen, und das wollte er wirklich nicht zulassen. Emaru Dargin würde alles tun, um seine Aufgabe zu erfüllen...

Emaru erschien völlig außer Puste und benötigte einige Herzschläge, um sich zu beruhigen. Bevor er irgendetwas sagen konnte, fing Noah an ihn zu mustern, suchte nach irgendwelchen Ungereimtheiten. Er wirkte nicht verletzt, was wohl das Wichtigste war. Gespannt wartete Noah auf irgendeine Regung, irgendeine Äußerung, warum er sich so sehr verspätet hatte. Gut eine Stunde war keineswegs normal, irgendjemand musste ihn also aufgehalten hatten. Doch die Antwort, welche der Dargin lieferte, hatte sich der Espérance garantiert nicht erträumt. Er war überrascht, dass der Finsternismagier es in das Versteck von Kargo, beziehungsweise Karthago, wie es sich eigentlich nannte, geschafft hatte- doch an dem Äußeren des Jungen konnte man keine Spur erkennen, ob er sich über diese Neuigkeiten wunderte. „Bitte was?“, fragte er nur, bevor sein Questleiter weiter ins Detail ging. Karthago war also eine Gruppe Jugendlicher, die etwas gegen den Fremdenhass unternehmen wollte. Diesen Punkt würde Noah begrüßen, wenn er sich an die Alte des Gemüseladens erinnerte, wünschte er sich, die hiesigen Einheimischen würden anders denken. Aber vielleicht würde diese Organisation ja etwas ändern können? Warum sie allerdings Magier vertreiben wollten, konnte er sich nicht erklären. Bestimmt verheimlichten sie etwas… Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lauschte der Stellarmagier den Worten seines Partners und versuchte sich, irgendwelche Schlüsse ziehen zu können oder einen Zusammenhang mit ihren Auftrag zu finden. Eine Gruppe Jugendlicher gleich für den Diebstahl mehrerer Tiere verantwortlich zu machen, wäre womöglich zu weit hergeholt- die beiden Magier besaßen keinerlei Beweise. Nur Vermutungen, die nicht stimmen mussten. Nachdem der Dargin seinen Bericht beendet hatte, begann Noah zu erzählen, was er erlebt hatte- was natürlich wesentlich unspektakulärer ist. „Viel zu erzählen habe ich nicht. Vorneweg: In unserem Kämmerchen habe ich einen Einkaufsbeutel voller Lebensmittel, also müssen wir schon mal nicht verhungern, geschweige denn Richards Kochkünste genießen. Während ich das hiesige Lebensmittelgeschäft gesucht habe, wurde ich wie erwartet von Einheimischen gemieden und die alte Ladenbesitzerin wollte mich vertreiben und hat mich mit verfaultem Obst und Gemüse beworfen… naja, sie hat es wenigstens probiert.“ An dieser Stelle legte er eine kurze Pause ein, bevor er zu den Ergebnissen seiner Erlebnisse kam. „Letzten Endes habe ich doch noch ein paar Informationen erhalten, wenn auch nicht sonderlich viele: Von einem Kargo hat die alte Frau nichts gehört, und ihrer Aussage nach erfährt sie in Mirobi vieles, das andere wäre, dass sie sich vorstellen könne, dass eine Höhle südwestlich von dem Dorf als Versteck genutzt werden könne- allerdings traut sich niemand aus dem Dorf dorthin, weshalb auch immer. Könnte dies zufällig die Höhle sein, von der du berichtet hast?“ Das wäre alles, was er erlebt hat. Jetzt, da er wusste, was Karthago war, konnte er sich vorstellen, dass es sich bei besagter Höhle um ihr Versteck handeln könnte- ob es stimmte, wusste er natürlich nicht. Wenn die Jugendlich jetzt wussten, dass sich Magier in der Stadt befanden, würden sie vielleicht etwas unternehmen wollen, um diese „Bedrohung“ zu beseitigen. Vielleicht würden sie so ja irgendwelche Hinweise bekommen? Aber während er darüber nachdachte, bekam er eine Idee. Wenn Karthago für die Entführungen verantwortlich war, mussten sie irgendwelche Spuren hinterlassen haben- und wozu besaß Noah Indus? „Falls es nicht zu gefährlich wäre, können wir erneut in die Nähe ihres Verstecks gehen. Wenn ich dort bin, kann ich leicht herausfinden, ob sie für die Entführung der Tiere verantwortlich sind, falls ja, müssen sie irgendwelche Spuren hinterlassen haben, besonders, wenn sie schwerere Nutztiere entführt haben. Für ein solches Szenario habe ich einen Stellargeist parat, genauer gesagt einen Meister, wenn es darum geht, Spuren zu verfolgen. Er könnte Fährten finden, sie Lebewesen zuordnen und verfolgen, wir würden aber das Risiko eingehen, entdeckt zu werden. Was denkst du? Unsere Hinweise sind mager und wenn Indus keine Spuren findet, ist Karthago entweder unschuldig, oder kann meisterhaft Spuren verwischen. Sollten sie nichts mit unserem Fall zu tun haben, sind sie mir egal.“ Nachdem Noah nun ungewöhnlich viel geredet hatte, wurde es Zeit, zu schweigen. Emaru war der Questleiter, also würde er entscheiden, ob sie sich die Gegend näher anschauen würden. Vielleicht würde Indus Hinweise finden, vielleicht auch nicht. Möglicherweise würde die Höhle, von deren Existenz Noah erfahren hatte, Hinweise liefern, was allerdings nicht sicher ist. Jetzt hatten die Magier aber wenigstens ein paar Ideen, wie sie vorgehen konnten…

Mit geschlossenen Augen lauschte Emaru auf die Worte seines Partners, unterdrückte ein Gähnen, das sich wie so oft aus seinem Mund stehlen wollte. Er legte sich die rechte Hand auf den Mund und sah – aufgrund der Größenverhältnisse gezwungenermaßen – hinunter zu Noah. Mit möglichst viel Konzentration versuchte der Dargin, alles zu erfassen: Etwas zu Essen hatten die beiden jetzt, Noah war mit Gemüse beworfen worden, der Name Kargo wurde von niemandem erkannt, die Frau erfuhr angeblich alles und im Südwesten des Dorfes gab es eine verdächtige Höhle. Schmerzhaft erinnert fühlte sich Emaru an den Zeitpunkt, an dem direkt neben ihm auf dem Boden ein Ziegel zerschellt war, es war wirklich bewundernswert, dass Noah solche Informationen aus einer gewöhnlichen Dorfbewohnerin bekommen hatte. Ein Ort, der von den Leuten, die hier lebten, als verdächtig angesehen wurde, war bestimmt ein guter Ansatzpunkt, um mit weiterführenden Untersuchungen zu beginnen. Allerdings schien Noah einen Teil von Emarus Schilderung missverstanden zu haben... „Höhle...? Nein, nein, ich war in keiner Höhle“, antwortete der Weißschopf also träge und ließ den armen Gähner endlich heraus, auch wenn er seine Hand vor dem Mund ließ. „Karthago versteckt sich in einem Keller, zugegebenermaßen einem ziemlich großen Keller, innerhalb von Mirobi. Aber ich nehme an, deinen Informationen kann man vertrauen...“ Erneut dachte Emaru über das nach, was sie bisher erlebt hatten: „Erinnerst du dich an die Frau von gestern? Sie wollte gar nicht mit uns reden, uns nicht einmal anlügen. Außerdem habe ich vorhin erfahren, dass hier wirklich jeder jeden kennt, deshalb weiß deine Informantin mit Sicherheit, was in Mirobi so passiert und auch, dass du ein Fremder bist. Wenn sie nicht helfen wollen würde, würde sie gar nicht erst mit dir reden...“ Ja, so weit ergab das alles Sinn. Mit ziemlicher Sicherheit stimmte das mit der Höhle, das würde also eines ihrer nächsten Ziele sein. Dennoch hatte Noahs Argument einen Punkt, wenn er tatsächlich einen Weg hatte, Spuren zu lesen. Zurzeit konnten sie Karthago nicht mit den Tieren in Verbindung bringen, aber komplett ausschließen ebenfalls nicht; das zu überprüfen würde ihnen Gewissheit bringen. Also wurde es Zeit, eine Entscheidung zu fällen: „Auch, wenn wir dort keine Tiere finden werden, werden wir noch einmal Karthagos Versteck aufsuchen und nach Hinweisen überprüfen. So können wir feststellen, ob sie etwas mit unserer Aufgabe zu tun haben oder nicht. Allerdings... sollten wir eine Lampe mitnehmen.“

Eine Weile später standen die beiden also erneut vor der Luke, die hinab führte in Karthagos finsteres Reich. Zu hören war nichts, entweder hatten sich die Leute hier beruhigt oder den Ort verlassen, aus welchen Gründen auch immer. In Emarus Hand befand sich tatsächlich so etwas wie eine Lampe, eine uralte Petroleumleuchte, die sicher schon den letzten Krieg miterlebt hatte. Bisher hatte er so etwas nur in Büchern gesehen, in alten Büchern, die keinen mehr interessierten, und die Funktionsweise hatte er sich auch erst erklären lassen müssen von Richard. Dafür hatte er noch so ein Relikt bekommen: Sogenannte Streichhölzer. Wie die funktionierten wusste er zwar, dennoch waren sie eindeutig längst überholt – selbst in Haushalten, die kein Feuer benötigten, fand sich eigentlich immer ein kleiner Feuerlachryma, nur für den Fall. Die waren sicher, die gingen nicht einfach von selbst los, und es war eigentlich unmöglich, damit versehentlich etwas abzubrennen. Aber hier und jetzt musste er nun einmal mit dem leben, was er hatte, ließ Noah erst einmal die äußere Umgebung untersuchen, doch ohne Erfolg; hier befanden sich keine Tierspuren. Also entzündete der Dargin die Leuchte und machte sich daran, die Luke zu öffnen, es war an der Zeit, erneut einzudringen und zu sehen, wie viel Einfluss Karthago wirklich hatte.

Egal ob Karthago nun in einer Höhle oder einem Keller residierte, konnte den Magiern egal sein, da sie wenigstens einen Hinweis hatten, welchen sie nachgehen konnten. Dass der Espérance etwas falsch verstanden hatte, konnte er da getrost verkraften. Einerseits konnte er einen seiner Geister die Gegend um den Keller genauer erforschen lassen, andererseits konnten sie eine Expedition zur Höhle starten. Zuversichtlich wie er war, würden sie schon Hinweise auf die Entführer finden können. An dem, was Emaru sagte, konnte man aber immerhin glauben: Hätte die alte Ladenbesitzerin Noah wirklich keine Informationen gegeben, hätte sie statt verfaulten Tomaten intakte Wassermelonen genommen. Zwar wirkte sie alles andere als „ausländerfreundlich“, doch hatte sie dem Jungen doch einen Hinweis gegeben, welcher ihm helfen konnte. Die Frau vom ersten Tag hatte da ein wahrlich anderes Verhalten an den Tag gelegt… Aber in diesem Dorf war alles irgendwie anders, wenigstens aus der Sicht von Fremdlingen.
Die beiden Gesandten aus Blue Pegasus brauchten eine Lampe und hatten sich ein Exemplar von Richard besorgt. Wenn man diese Lampe beschreiben musste, konnte man dies in einem Wort schnell abschließen: Antik. Noah hatte eine gute Schulausbildung genossen, hatte mehr gelernt als manch ein anderer Jugendlicher in Oshibana Town, doch selbst er hatte über Petroleumlampen wenig gelernt. Wieso auch? In Fiore gab es für alles Mögliche einen Lacryma- auch um Licht zu machen. Sein Vater wollte sein Geld wahrlich für brauchbarere Dinge ausgeben, wozu eine solche Lampe bestimmt nicht gezählt hat. Besonders da er nicht abergläubisch war und dachte, dass der Schein einer Petroleumlampe böse Geister fernhalten würde, hätte diese Lampe überhaupt keine Chance im Haushalt Espérance gehabt. Umso erstaunlicher konnte es sein, in der Moderne solche antiken Hilfsmittel zu verwenden. Richard würde bestimmt noch einige andere ähnliche Objekte auftreiben können, welche viele Bürger Fiores (besonders in zivilisierteren Gebieten) längst vergessen haben. Nach einem kurzen Marsch hatten die Magier den Zielort erreicht. Während beide liefen, veränderte sich Noah wieder völlig: Körperspannung konnte man an ihm erkennen, Emotionen waren nun kein Fremdwort mehr und gesprächiger würde er auch werden. Leyla übernahm wieder die Kontrolle, was Emaru bestimmt bemerken würde. „Dann wollen wir einmal.“, kam es über ihre Lippen, während die Hand zum Schlüsselbund glitt und einen Silberschlüssel von diesem löste. Der Arm wurde gestreckt, Magie in den Schlüssel geleitet und im nächsten Moment entstand ein Leuchten, welches langsam menschliche Form annahm. „Open the Gate to the Indian: Indus!“ Kaum endete der Satz, konnte man klare Konturen eines Menschen erkennen, welche nur Sekunden später einen Indianer zuzuordnen waren. Indus glich womöglich dem Bild dessen, wie man sich einen Indianer vorstellen würde: Seine Kleidung hatte mehrere Löcher, in seinem Stirnband befindet sich eine Feder, die Haut ist von der Sonne gebräunt und von Erlebten gezeichnet. Einzig und allein die Hakennase widerspricht womöglich dem Bild eines typischen Indianers, wie es Bürger von Fiore haben konnten, doch der Stellargeist war auf diese besonders stolz. Recht grimmig schweifte der Blick von Leyla zu Emaru, doch binnen kürzester Zeit besserte sich die Mimik. Manch ein Mirobianer würde nun einen Herzanfall bekommen, da er einen so exotischen Menschen sehen würde, doch konnte dies den Magiern egal sein. Solange die Bewohner keine Protestaktion organisieren konnten, sollte es den Suchenden egal sein. „Du hast gerufen, Kleiner?“, fragte Indus und beäugte die Umgebung. Sicherlich fragte sich dieser bestimmt, was er hier sollte. Bisher hatte er auch von Leyla oder Noah keinen Einsatz in einer Stadt gehabt. „Ja, das habe ich. In diesem Dorf sind vor kurzem mehrere Tiere spurlos verschwunden. Wir sollen herausfinden, wer dahinter steckt und vermuten, dass diejenigen, die hier unten residieren“ um ihre Worte zu unterstreichen, deutete sie auf die Luke vor ihr „dafür verantwortlich sind. Allerdings haben wir keine genauen Beweise und würden gerne sichergehen, ob wir hier auf einer richtigen Fährte sind, bevor wir gegebenenfalls uns unten erneut umschauen. Könntest du bitte nach Spuren suchen, welche darauf hinweisen können, dass Tiere hierhin verschleppt wurden, Indus? Wenn jemand Spuren finden sollte, dann du.“ Kurz nickte der Indianer, bevor er mit seiner Arbeit begann. Emaru und Leyla hatten genügend Zeit, um sich zu beraten oder selbst zu suchen. Strenggenommen stand Indus auch nicht in der Position, Leyla zu widersprechen, sollte sie oder Noah einem der Stellargeister einen Befehl geben, hatten diese diesem zu folgen, sofern er die Geister in Gefahr bringen würde. Zwar konnten diese nicht sterben, doch fühlen sie genauso wie Menschen, auch wenn ein Kampfgeist solche gewohnt war, musste man sie nicht wie Dinge behandeln, was bestimmt der ein oder andere Stellarmagier machen würde- und dazu gehörte weder der Espérance, noch die Cope. Ersterer würde ihnen nie freiwillig etwas antun wollen, dafür schätzte er das Vermächtnis seiner Mutter viel zu sehr. Leyla beobachtete Indus bei seiner Arbeit, dieser konnte allerdings keine Hinweise finden. „Nichts außergewöhnliches, Kleiner. Keine Spuren von Tieren oder Entführung. An einem anderen Ort finde ich vielleicht etwas, doch hier gibt es nicht einmal vertuschte Spuren oder jemand hat es geschafft, sie gänzlich zu vernichten. Ich…“ Weiter konnte der Stellargeist nicht mehr sprechen, da die Gruppe Besuch bekam. Aus einer Seitengasse erschien ein Junge. „Was wollt ihr Freaks hier? Verschwindet von hier!“ Zielstrebig bewegte sich der Kleine zu der Luke. Emaru war gerade dabei, die Lampe anzuzünden. Das störte den Fremden allerdings nicht- typisch für die Einheimischen wollte er die Jugendlichen und den Stellargeist vertreiben. „Seid ihr schwerhörig?“ Intuitiv lief Indus hinter den Jungen und ignorierte dessen Beschimpfungen. Leyla runzelte nur die Stirn. Nach einer kurzen Inspektion übertonte Indus den Jungen und korrigierte seine vorherige Aussage. „Ich muss mich korrigieren. Dieser Junge verliert Tierhaare, vielleicht hilft euch das.“ Daraufhin umspielte ein Lächeln die Lippen von Leyla. Dies klang doch schon vielsprechender! „Danke für deine Hilfe, Indus. Du kannst dich nun ausruhen. Ich bin mir sicher, dass uns dies helfen kann.“ Bisher hatte Leyla auf die Worte des Jungen nicht reagiert- in Kürze könnte sich dies ändern. Doch war dies noch nicht alles. Kaum hatte sich Indus wieder in Licht aufgelöst, was für einige dumme Kommentare von dem Jungen sorgte, erschien ein Mann, dessen Bekanntschaft Emaru bereits erlebt hatte: Der Hüne von Karthago, welcher die schmerzhafte Bekanntschaft mit Emaru erlebt hat. Wie sich die Situation wohl entwickeln würde?

Langsam hob sich das Metall, quietschte dabei leise, dann war das Untergeschoss endlich für die Außenwelt geöffnet. Emaru blickte hinab, direkt unter der Luke wurde der Keller gerade vom Sonnenschein erleuchtet, da er ja nun offen stand, doch hinter dem zugehörigen Lichtkegel begannen gleich wieder Halb- und Kernschatten, die in die tiefe Dunkelheit führten. Viel dunkler als dort unten konnte es eigentlich nirgendwo sein, einzig Emarus Magie vermochte es, einen Raum mit noch weniger Licht zu erschaffen, mit gar keinem Licht – absolute Finsternis. Ob Noahs Stellargeist dort unten wohl arbeiten konnte? Hier draußen hatte er rein gar nichts gefunden, nicht einmal einen Schatten von einem Hinweis. Etwas seltsam war es allerdings schon, dass niemand da war, nachdem es gerade etwas mehr als anderthalb Stunden her war, als Emaru dort einer gefühlten Armee hatte widerstehen müssen. Unsicher hob er die Lampe auf, wollte gerade den ersten Schritt hinein machen, als plötzlich... „Was wollt ihr Freaks hier? Verschwindet von hier!“ Der Dargin wirbelte herum, fixierte den Jungen, der gerufen hatte. Das war noch ein Kind, der konnte nicht viel älter als zehn, höchstens elf Jahre alt sein. Die Stirn unterhalb des weißen Haaransatzes runzelte sich ein wenig, doch er sagte nichts, wie hätte er darauf auch reagieren sollen? Dachte dieses Kind wirklich, es könnte zwei ältere Jungen einschüchtern?
Während dieser Indus sich hinter den Jungen begab, trat Emaru mit gelangweiltem Blick vor und sah auf den Herausforderer herab. Nicht wie bei Noah, sondern wirklich, wirklich tief hinab. Nach der Schätzung des Hochgewachsenen war der Junge bestimmt noch keinen ganzen Meter groß, und entsprechend deutlicher wurde der Unterschied mit jedem Schritt weniger, der die beiden voneinander trennte. Scheinbar war das Kind nun doch nicht mehr so mutig, es hörte auf zu schreien und blieb mit seinen weit geöffneten Augen einfach stehen. Als Indus wieder zu sprechen begann, stand Emaru nur wenige Meter von den beiden entfernt, ein Riese mit einem kraftlos herabhängenden Arm, an dem eine alte Leuchte baumelte, und einer freien Hand, die gerade an seiner Hüfte auflag. Interessiert wirkte er absolut nicht, ebenso wenig aufgeregt, eher ein wenig unaufmerksam – bis herauskam, dass das Kind voller Tierhaare war. „Tierhaare?“, erklang die Antwort des Dargin, der nun eine seiner Augenbrauen anhob, was auf das Kind wohl schon wieder seltsam wirkte. „Sag mal, wo hast du diese Haare her?“, ertönte die Stimme des Weißschopfes, und wie auf Stichwort drehte sich der Junge geschockt herum und rannte hinfort. Es wurde eine lange und ausgiebige Verfolgungsjagd... oder es wäre eine geworden, wäre da nicht der Unterschied in der Beinlänge. Drei Sätze waren es insgesamt, die der Hüne benötigte, um den Ausreißer am Kragen zu packen und in die Lüfte zu heben. Die Beine des Kindes bewegten sich weiter, doch sie waren nicht lang genug, um Emaru gefährlich zu werden... Kinderspiel. „Lass... ihn runter...“
Die Anzahl der Stimmen des heutigen Tages, die aus dem Nichts heraus kamen, war auf eine nervige Art hoch – auch wenn es bisher nur zwei waren. Für gewöhnlich passierte so etwas einmal alle paar Wochen, aber mehrfach am gleichen Tag... das war einfach nur störend. Genervt drehte Emaru sich um, sah hinüber zu der Stelle, aus der diese Stimme gekommen war. Sie war tief, rau, erinnerte ein wenig an Sandpapier, das über eine Steinwand gezogen wurde; und träge war sie ebenfalls. Ob Hünen das gemeinsam hatte? Als der Dargin ihn erblickte, erkannte er den Giganten mit der gebrochenen Nase jedenfalls sofort. Schockierend war da schon eher seine Hand – seine monströse Hand, in der sich gerade der Kopf seines Partners befand. Von oben hielt der Karthager Noahs Schädel fest, drückte wohl kräftig zu, wenn man einmal ansah, welche Schmerzen sich im Gesicht des Jungen ausdrückten. „Lass ihn... runter...“, wiederholte er noch einmal, ebenso träge, aber mit einer leicht veränderten Betonung. Emarus Blick wanderte zu dem Jungen in seiner Hand, dann hinüber zu Noah, er runzelte die Stirn... und legte den Kopf in den Nacken. Ein herzhaftes Gähnen entwich ihm, ehe er zu Murmeln anfing: „Heh... warum nur? Warum nur muss immer alles so anstrengend sein... Ich habe keine Lust hierauf, mach du das.“ Und als sich der Kopf wieder hob, das halblange Haar vor die Augen des Magiers wippte und diese über einem breiten Grinsen den Hünen fixierten, wurde die Stimme wieder lauter – und tiefer: „Ahaha... Du willst dich nicht mit mir anlegen... Aschmond, nicht wahr?“ „Eschmun...“, korrigierte sein Gegenüber unbeeindruckt. „Sekundärer, exekutiver... Gott von... Karthago... Und du... Emaru?“ „Voll daneben!“, rief der Körper, voll motiviert, mit einem boshaften Unterton in der Stimme. „Shi Dargin, lebende Inkarnation des reinen Todes! Sehr... ERFREUT!“ Mit dem letzten Wort holte er aus, warf den kleinen Jungen direkt in Richtung seines Gegners, der spontan Noah losließ und das Kind auffing – wieder staunte der Dargin. Wie konnte so ein klobiger Kerl, der noch dazu so träge sprach, sich so schnell bewegen? Natürlich ließ auch Shi sich nicht lumpen, jetzt, wo wenigstens seine linke Hand wieder frei war, ließ er seine Claws of Darkness darum herum entstehen, während er auf den Hünen zu rannte, und ihm seine klauenbestückte Hand mitten in die Magengrube rammte. Nur leider reagierte der Junge nicht wie erwartet – eigentlich reagierte er gar nicht. Machte nur einen kleinen Schritt zurück und blickte leicht irritiert auf den Magier hinunter, während er eine Hand zum Schlag anhob – um den Jungen zu halten, reichte ihm die andere wohl völlig. Emaruuu! Dein verdammter Arm tut weh...!

Die Mission konnte wirklich schön ablaufen. Der vorlaute Junge hatte viele Tierhaare auf seiner Kleidung und befand sich in der Nähe von Karthago- wenn alles gut lief, hatten sie in diesem einen brauchbaren Zeugen gefunden, welcher die Magier mit Hinweisen füttern konnte. Für den Kleinen wäre es auch unmöglich zu entkommen. Emaru war wesentlich größer und schneller als er, weshalb er ihn problemlos verfolgen und fangen könnte. Sollte das vorlaute Balg aber trotzdem einen Weg finden, den Fängen der Magier zu entkommen, könnten sie immer noch die Fähigkeiten von Indus in Anspruch nehmen, welcher die Spuren verfolgen könnte. Ein in Hektik wegrennendes Kind sollte Spuren hinterlassen, welche der Stellargeist wahrscheinlich direkt nach dem Aufstehen noch halb verschlafen verfolgen könnte. Aber den Indianer mussten die Magier nicht um Hilfe fragen, der Finsternismagier hatte keine Probleme, den kleinen Jungen gefangen zu nehmen. Das Verhör könnte beginnen! Allerdings gab es da noch einen alten Bekannten (wenigstens für Emaru), welcher den Magiern einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Der Hüne aus dem Keller, welcher bereits die Kraft von Emaru spüren musste, schaffte es tatsächlich, sich anzuschleichen. Vielleicht hätte es der Fleischklopf nicht geschafft, wenn Leyla sich mehr auf die Umgebung konzentriert hätte, doch hatte sie sich zu sehr auf den Jungen konzentriert. Den Hünen sollte man eigentlich hören, anschleichen wäre für ihn normalerweise schon fast ein Akt der Unmöglichkeit… Auch wenn man abgelenkt war, sollte dies eigentlich klappen. Eigentlich. Aber Ausnahmen bestätigen doch des Öfteren die Regel. Unerwartet streckte das Mitglied von Karthago seine Pranke um den Kopf von Noahs Körper und konnte diesen problemlos in die Lust heben- wenigstens ein Stück. Mit seinen 56 Kilos war Noah wohl ein Leichtgewicht, welches so mancher Gewichtheber zum aufwärmen stemmen konnte. Würde Eschnun, so lautete der Name des Hünen, den Körper nur hochheben, wäre dies vielleicht noch erträglich, doch das Druckausüben auf den Kopf konnte doch stören. Genauer gesagt sorgte es dafür, dass Leyla anfing, vor Schmerzen zu schreien. Würde Emaru nicht schnell etwas unternehmen, könnte die Unachtsamkeit von Leyla fatale Folgen haben. Ihr war es nicht möglich, sich zu befreien. Um irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, müsste der Schmerz nachlassen. Langsam driftete sie ab…

Wie aus einem Albtraum erwacht schreckte Leyla auf. Sie lag auf dem Boden einer Straße. Während sie sich umschaute, konnte sie nur eine Stadt erkennen, welche in Trümmern lag. Kannte sie diesen Ort irgendwoher? Langsam rappelte sie sich auf, stütze sich mit ihrem linken Arm ab, während die Rechte an die Stirn fasste. Ihr Kopf schmerzte mehr als normal… Während sie darüber nachdachte, konnte sie sich an den Hünen erinnern, welcher Leyla gepackt hatte und durch sie die Freiheit des Jungen erpressen wollte. Sie erschrak ein weiteres Mal, als sie an sich herabblickte. Sie war in ihrem Körper, nicht in dem von Noah. Hieß das, sie war… tot? „Nein, das bist du nicht.“ War das nicht die Stimme von Noah? Wenn sie tot war, musste er es unwiderruflich auch sein. Schließlich teilten sie sich einen Körper. Wieso aber verleugnete er ihre Aussage? „Momentan befindest du dich in unserer gedanklichen Welt- doch hat sie momentan nichts von ihrer eigentlichen Schönheit. Was wir erleben schlägt sich auf diese Welt nieder, daher herrscht hier Chaos.“ Während sich die Cope umschaute, konnte sie mehrere Häuser sehen, die brannten. Erblickte sie diese, intensivierten sich auch gleich ihre Kopfschmerzen. Vor ihr tauchte langsam ihr Geliebter auf. Kaum erblickte sie diesen, spürte sie weniger Schmerz. „Schmerz ist nichts für dich. Überlass wieder mir die Kontrolle.“ Er streckte eine Hand aus und ohne zu zögern griff Leyla nach dieser. Kaum hatte sie diese ergriffen, verlor sie allen Schmerz. Alles Feuer, welches in der Stadt wütete, erlosch. Pflanzen bezogen ungewöhnlich schnell, über die Ruinen zu wachsen. Langsam kehrte Leben, Schönheit zurück in die ausgedachte Welt. Noch bevor alle Pflanzen in ihrer vollen Pracht erblühten, verlor der weibliche Part das Bewusstsein. Nicht vor Schmerz, sondern vor Müdigkeit. „Ruh dich aus.“, war das Letzte, was ihre Ohren vernahmen. Danach hatte Noah wieder die Kontrolle über seinen Körper.

Die Szene, welche sich für Leyla ereignet hat, dauerte vielleicht einige Minuten in der gemeinsamen ausgedachten Welt an, doch in der Wirklichkeit waren nur einige wenige Herzschläge vergangen. Langsam aber sicher kehrte Noahs Bewusstsein in seinen Körper ein, und je mehr Kontrolle er über diesen erlangte, desto leiser wurde das Schreien- bis es schließlich völlig stoppte. Den „Schmerz“ welchen Eschnun auf ihn ausübte, was nicht mit dem zu vergleichen, was der Espérance bisher durchleiden musste. Was er fühlte war ein Witz. Die Dauer, in welcher Noah und Leyla weggetreten waren, hatte anscheinend schon gereicht, dass beide Fronten ihre Seiten geklärt hatten. Emaru, oder besser gesagt Shi, von dem Persönlichkeitswechsel hatte der Stellarmagier nichts mitbekommen, warf den Jungen in die Richtung des Hünen. Dieser ließ Noah fallen, um das Kind zu fangen. Allerdings startete Shi sofort den nächsten Angriff. Auch wenn Noah nicht den Schmerz in seiner vollen Auswirkung fühlte, spürte er die Konsequenzen. Im ersten Moment war er ziemlich benebelt, sobald er einigermaßen die Kontrolle über seine Sinne erhalten hatte, versuchte er den Hünen unterhalb die Rippe zu schlagen. Zwar hatte Noah inzwischen die gleiche körperliche Stärke wie Emaru, da er aber leicht benebelt war, konnte er nicht seine volle Kraft aufbringen. Der Schlag würde wahrscheinlich wenig Wirkung haben, sobald der Schlag allerdings erfolgt war, torkelte er einige Schritte zurück und beobachtete, was sein Partner anstellte. Langsam sollte es Noah besser gehen, falls er Shi helfen wollte… Solange seine Sinne immer noch benebelt waren, wäre er wohl eher eine Bürde.

Leyla begann zu schreien... Wahrscheinlich war es verständlich bei den Schmerzen, die sie zu erleiden hatte, doch von Shi konnte man kein Verständnis erwarten. Ihn störte es einfach nur, wobei er nicht wirklich darauf reagierte, er schenkte dem Körper bloß einen abfälligen Blick, den man unter dem weißen Haarschopf ohnehin nicht sehen konnte. Viel wichtiger war doch jetzt dieses Aschgesicht, oder wie er hieß. Noah frei zu bekommen war ziemlich leicht, scheinbar kümmerten sich die Mitglieder Karthagos wenigstens umeinander. Dafür brachte der Kombinationsangriff von Shi und Noah so gar nichts. Wenigstens konnte der kleinere Magier sich noch in Sicherheit bringen – das Weißhaar schaffte es nur ganz knapp, dem nach unten gerichteten Schlag des Hünen zu entkommen, und konnte dafür beobachten, wie die schlecht asphaltierte Straße unter der großen Faust splitterte. Und noch immer war er verwundert, wie schnell sich dieser klobige Kerl bewegen konnte. In einer flinken Drehung schaffte es der Junge nämlich, den kleineren Jungen sicher auf dem Erdboden abzusetzen und einen schwungvollen Angriff mit der flachen Hand gegen den Brustkorb Emarus zu schleudern, ohne dass der auch nur realisieren konnte, was geschah. Etwa einen Meter weit glitt der Magier durch die Luft, ehe er hart gegen die nächstbeste Hauswand knallte und sich nur schwer davon abhalten konnte, auf die Knie zu sinken. Gleich im nächsten Moment stand Aschkopf direkt vor ihm, führte einen sehr kraftvollen Tritt aus, um ihn wieder gegen die Mauer zu hämmern. Dort prallte er ab, empfing noch einen Tritt, knallte gegen die Wand, prallte ab, bekam einen weiteren zu spüren... So ging das mehrere Sekunden lang.
Magier waren nicht bekannt dafür, viel einstecken oder austeilen zu können, wenn sie ihre Magie nicht nutzen konnten. Emaru gehörte in dieser Beziehung zu den Ausnahmen. In Blue Pegasus gehörte er zu den Top Fünf der widerstandsfähigsten Zauberer, das hatte sich bei mehreren Prüfungen von Master Ryce gezeigt, er übertraf in diesem Punkt sogar einen der großen S-Rang-Magier. Ja, auch die Sephiroth waren in diese Statistik mit einbezogen, was Platz fünf umso beeindruckender machte, wenngleich der Gildenmeister sich selbst enthalten hatte – dieser würde sicher mit Abstand den ersten Platz belegen. Trotz allem brauchte der zweite Gott von Karthago nur vier seiner Wandtritte, damit es vor Shis Augen schwarz wurde, und er spürte, dass es ihm mies ging. Die Schmerzen durchzogen den gesamten Körper, so kräftig war dieser Jugendliche; das konnte doch gar nicht sein! Irgendwann, etwa nach dem zehnten oder zwölften Treffer – so richtig hatte der Dargin nicht mitzählen können – hörte es aber auf. Shi prallte von der Wand ab und wurde nicht zurückgetreten, sondern fiel direkt auf den Boden. Schnell kniete er sich auf, doch es dauerte ein bisschen, bis seine Sinne zurückkehrten. Momentan sah er eher verschwommen – ob Noah den Hünen abgelenkt hatte? Leicht zittrig kam der Pegasus auf die Beine, wischte sich die Augen und schüttelte den Kopf, um wieder klarer zu werden, und das erste, was er erblickte, war ein wohl bekannter Karthager, der auf ihn zu stürmte und ihn mit einem seitlichen Kick noch einmal durch die Luft segeln ließ. Dieser Aschmeister musste wohl der beste Kämpfer von ganz Karthago sein, es grenzte an ein Wunder, dass sich die hellhäutige Hand immer noch so fest um den Griff der Petroleumlampe klammern konnte. Das bedeutete aber auch, dass Shi immer noch nur eine einzige Hand zum Kämpfen frei hatte, während sein Gegner den Jungen, der seine freie Hand belegt hatte, schon losgeworden war... apropos, wo war der Junge? Shi sah sich um; oh nein, der Kleine war abgehauen. Er griff an das hölzerne Ding neben sich, um sich daran hochzuziehen, schnupperte und roch... Alkohol? Sein Blick wanderte auf das Ding, an das er gerade gelehnt war, erkannte es als Fass, schnupperte noch einmal daran: Ja, das war eindeutig ein hochprozentiges, alkoholisches Getränk. Ein finsteres Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Jungen aus, während er zu dem Typen blickte, der ihn zu diesem Fass geschleudert hatte. Dieser guckte zu ihm herüber mit einem Blick, aus dem man eventuell ein minimal winziges Fünkchen Besorgnis ablesen konnte. „Oh... Melkarts Opfer...gaben...“ Ah, also spendeten die Einwohner des Dorfes diesem selbsternannten Gott sogar Alkohol, dabei war er doch noch minderjährig... aber darum ging es jetzt nicht. Wichtig war nur, diesen Aschklotz zu besiegen, und diesbezüglich hatte die dunkle Seite des Dargins bereits eine wundervolle Idee: „Noah! Lock diesen Mistkerl zu mir rüber, ich weiß, was zu tun ist! Und beeil dich!“ Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser Kampf endgültig seinen Abschluss finden würde...

Im ersten Moment schien es immer von Vorteil zu sein, keinen Schmerz zu sein. Selbst wenn man nur noch wenig von diesem fühlen würde, könnte man dies als Vorteil bezeichnen. Man wäre in der Lage, trotz normalerweise großem Schmerz problemlos weiterzumachen, wo andere „normalfühlende“ Menschen bereits in Ohnmacht fallen würden. Doch so positiv dies klang, hatte dieser vermeintliche Vorteil einen großen Schatten, wenn nicht sogar mehr Schatten als eigentlich gut wäre. Schmerz soll als Schutzmechanismus für die Menschheit dienen, dem Individuum zu vermitteln, dass zu viel den Organismus schädigen würde. Bei Noah war dies nichts anderes. Solange Leyla die Kontrolle über den gemeinsamen Körper besaß, konnte man das normale menschliche Verhalten beobachten: Großer Druck wurde auf den Kopf ausgeübt, wodurch Schmerzen als Warnsignal entstanden. Die Art Schmerz sorgte bei vielen Menschen außerdem dazu, dass sie früher oder später bewusstlos werden, damit dem Körper weniger Schaden zugefügt werden kann. In diesem Fall würde dies aber wesentlich schlechter enden, da der Feind seine Beute widerstandslos umbringen könnte. Allerdings hatte Leyla letzten Endes das Bewusstsein verloren, falls man dies bei einer zweiten Persönlichkeit ohne eigenen Körper überhaupt so bezeichnen könnte. Fakt ist, dass sie auf nichts mehr reagierte, zu mindestens vorübergehend. Nachdem der Espérance die Kontrolle über den eigenen Körper besaß, änderte sich das Schmerzensbild drastisch. Während ein normaler Mensch bereits wahnsinnig vor Schmerz werden würde, spürte er einen festen Druck- das Warnsignal namens Schmerz blieb nahezu aus, da der Stellarmagier in seinem Leben schlimmeres erlebt hatte. Dies sorgte dafür, dass er die Folgen des Griffes ertragen musste. Die Koordination fiel ihm schwer, genauso wie Herr über seine Sinne zu sein. Zwar besserte sich seine körperliche Verfassung von Atemzug zu Atemzug, doch von normal war keines Falls die Rede. Zwar hatte es der Junge geschafft, seinem Feind einen Schlag zu verpassen, doch hatte dieser keine Auswirkung- wenigstens keine offensichtliche. Shi startete ebenfalls einen Angriff, doch hatte dieser ebenfalls keinen nennenswerten Effekt. Es war viel eher so, dass Eschnun die beiden Magier problemlos bezwingen konnte. Den ersten Angriff konnte Noah noch erstaunlicherweise gut ausweichen, Shi schaffte es auch noch, doch der Karthager suchte sich den Missionsleiter aus und zeigte diesem, wozu man ohne Magie in der Lage sein konnte. Im nächsten Moment deckte der Hüne Shi mit einer Kombination von Hieb und Tritten ein, welche man von ihm nicht erwarten konnte. Von den beiden Magiern befand sich ein Fleischklops, von dem man keinerlei Geschwindigkeit erwartete, zu mindestens im Verhältnis zu seiner Körpermasse. Zusammen mit seiner körperlichen Stärke, die so einiges übertraf, konnte er an wahrscheinlich allem beträchtlichen Schaden anrichten. Nicht zu schweigen von seinem Vermögen, Schläge einstecken zu können. In einem körperlichen Kampf wäre es wohl ein Wunder, Eschnun zu bezwingen. Doch noch viel verwunderlicher war es, was Shi aushalten konnte. Dieser hatte einige Schläge einstecken müssen, die bei einem normalsterblichen Menschen verheerende, wenn nicht sogar tödliche, Folgen mit sich ziehen könnte. Der Finsternismagier musste einen Schlag nach dem anderen einstecken, ohne sich wehren zu können. Und was konnte Noah machen? Nichts. Es dauerte seine Zeit, bis er wieder Herr über seinen Körper war, doch mit seiner Magie, wahrscheinlich die einzige Waffe, die Eschnun im Allgemeinen fürchten musste, konnte Noah auch nicht kämpfen. Eine Krone, Mücke, ein Indianer oder kleptomanisches Bär-Waagen-Wesen würde wohl in einem Kampf nicht helfen würden. Muska könnte den Hünen vielleicht nerven, doch mit einem Fingerschnipsen wäre die Mücke zurück im Reich der Stellargeister. Ohne wirklichen Erfolg. Könnte der Zwerg sonst irgendetwas unternehmen? In einem Zweikampf würde er garantiert den Kürzeren ziehen, wahrscheinlich Shi nur ein paar Sekunden verschaffen können. Das Spektakel nichts machend zu beobachten würde aber auch keine Veränderung bringen. Inzwischen war genügend Zeit vergangen, damit der Magier wieder die Kontrolle über seine Sinne hatte. Vor den Tod fürchtete er sich nicht, ganz im Gegenteil, zu verlieren hatte er nichts mehr, Schmerz würde er ebenfalls nicht spüren. Wieso sollte er also keinen Angriff starten? Langsam stand Noah auf, und während der Feind eine Pause startete, bevor er wieder Angriffe auf sein Opfer starten konnte, rannte der Junge los. Die Aktion des Espérance würde bestimmte keinen großen Erfolg haben, aber Shi würde so wenigstens Zeit bekommen, um klar denken zu können oder Magie zu sammeln- falls er einen Zauber weben konnte, würden sich die Chancen auf einen Sieg drastisch erhöhen. Bei dem Hünen angekommen, schlug er mehrmals auf diesen, versuchte, möglichen Bewegungen auszuweichen, doch der Hüne bewegte sich nicht und blickte nur auf Noah herab. Nachdem er genug von dem „Angriff“ hatte, schlug er einmal beiläufig nach dem Jungen, als ob man ein nervendes Insekt beseitigen wollte. Durch das wenige Gewicht von Noah flog dieser ein gutes Stück, bevor dieser hart auf den Boden landete, den Sauerstoff aus der Lunge gepresst. Einen Moment verbrachte der Espérance husten und nach Luft schnappend auf dem Boden, erwartete die nächsten Schläge, doch anscheinend wollte Eschnun erst den anderen, wesentlich gefährlicheren, Magier ausschalten. Noah wäre wohl alles andere als eine Gefahr. Nachdem sich Noah von dem Schlag erholt hatte und sich wieder aufrichtete, konnte er das ganze Spektakel wieder beobachten. Shi diente immer noch als Boxsack. Aber anscheinend hatte dieser eine Idee, wie man den Hünen besiegen konnte. Also wurde es wohl Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen… Der Espérance stürmte erneut auf sein Ziel los. Große Verletzungen hatte er garantiert nicht, er spürte keine Behinderung und Schmerz erst recht nicht (wundersamerweise). Doch bei diesem Angriff wollte sich Eschnun weniger Zeit lassen. Dem ersten Hieb konnte Noah ausweichen, doch im nächsten Moment wurde er von einem Tritt getroffen, welcher ihn in die Richtung von seinem Partner katapultierte. Im Anschluss bewegte sich der Hüne in die Richtung der Magier. Zwar wurde das Ziel nicht galant gelöst, doch immerhin bewegte er sich dorthin, wohin sich Eschnun bewegen sollte… Jetzt musste nur noch der Plan klappen.