cf: Über den Dächern Oshibana Towns - Drachenhort

Es war faszinierend, wie die beiden Magier es trotz aller unvorhergesehener Kleinigkeiten noch pünktlich zu ihrer Quest kamen, aber vielleicht lag das auch einfach daran, dass das Kunstmuseum, das seinen Namen an das allgemeine Flair dieser Stadt angepasst hatte, relativ zentral in Oshibana Town lag und daher von Seraphims Wohnung recht schnell und wenig umständlich zu erreichen war. Es hatte nicht einmal eines Schnellfluges gedurft, um pünktlich um neunzehn Uhr vor der Tür zu stehen und einzutreten, wie das auf dem Questbogen angefordert worden war. Wenn nun der Rest des Auftrags auch noch so glatt ging, hatten sie ja nichts mehr zu befürchten, außer vielleicht, dass sie irgendwelche Exponate beschädigen oder verschmutzen könnten. Da der Dragonslayer allerdings nicht sonderlich heiß auf ein Einschalten der Gilde wegen asozialen Verhaltens war, würde er sein Möglichstes geben, solche Dinge zu vermeiden, auch wenn manche Dinge einfach außerhalb seiner Macht lagen. Gewisse Argumente hatten eben immer Vorrang vor anderen, also war es gar kein Wunder, wenn er ab und an nicht immer das tat, was ihm sein Hirn sagte.
Das Kunstmuseum von Oshibana Town war ein für den sonstigen Stil der Stadt relativ modernes Gebäude, das von Außen wie ein Ungetüm aus Glas und Stahl wirkte. Trat man durch die Vordertüren in das geräumige Atrium, so sah man sich einer mitten im, mit Parkettboden gedeckten, Raum eingelassenen Erhöhung gegenüber, die als eine Art Tresen für Kassenvorgänge verwendet wurde. Links zweigte das Museumsgeschäft ab, in dem normalerweise Kleinigkeiten, Kunstbücher und Andenken an die Ausstellungen verschachert wurden, für Preise, die ein wenig an Apotheken erinnerten. Dennoch schienen sie bei den Museumsbesuchern einen guten Absatzmarkt gefunden zu haben, denn so lange der Dragonslayer sich zurückerinnern konnte, hatte es den schon gegeben. Das waren zwar nur drei Jahre, aber mit solchen Kleinigkeiten sollte man sich nicht aufhalten, wenn es hier noch mehr zu bestaunen gab. Weiße, hohe Einziehwände trennten das Museum in Räume auf, ohne dass sie diese komplett schlossen, weil der letzte Meter bis zur Decke fehlte. Zu ihrer Rechten ging es in eine Ausstellung, die "Wunderwelt der Farben" hieß und Seraphim wahrscheinlich nicht viel Freude bereiten würde, wenn er sie im Dunkeln besichtigen würde. Geradeaus stand in antiken Lettern "Kunst des Mittelalters" an der Wand und wies auf einen Durchgang, hinter dem neben Gemälden auch Kunstobjekte zu sehen waren, die in eleganten, beinahe zerbrechlich wirkenden Vitrinen lagen. Wahrscheinlich waren sie alarmgesichert, sodass sie schon einmal als Stütze ausfielen. Bevor sie das Gebäude betreten hatten, hatte ein großes Plakat neben der Tür das Herzstück der Mittelalterausstellung angekündigt, welches "Ein Diadem von wahrer Schönheit" genannt worden war, aber auf den Bildern für ihn persönlich nicht umwerfend aussah. Sicherlich war es aus Gold und damit wahrscheinlich ungemein wertvoll, aber da das Foto etwas verschwommen gewesen war, konnte man die ungeheure Detailarbeit des Krönchens nicht genau erkennen. Wahrscheinlich hatte ein damaliger König seine Gefährtin ganz besonders geliebt und ein Schweinegeld für dieses Kunstwerk gezahlt, auch wenn er den Macher einfach hätte umbringen lassen können. Seraphim verstand so etwas nicht - da war es ein Glück, dass er in diesem Jahrhundert geboren worden war. "Warst du schon einmal in diesem Museum, Souta-chan?~", säuselte er und lächelte dem Rothaarigen zu, auch wenn er sich sicher war, dass die Antwort auf diese Frage negativ ausfallen würde. Souta konnte bekanntlich keine fünf Sekunden still sitzen, wie sollte man ihn da zum Besuch eines Museums bewegen, das nicht für Fünfjährige konzipiert worden war? Er selbst hatte schon einige Ausstellungen besucht, aber er hatte den Museumsdirektor noch nie persönlich kennen gelernt. Noch war er nicht da, weswegen er die Zeit nutzte, sich in dem Vorraum umzusehen und den charakteristischen Geruch einzufangen, der in diesen Mauern schwebte. Nach Zedernholz roch es und nach den alten Dingen. Noch ein Grund, Museen zu besuchen: Sie hatten diese tollen Luftfeuchtigkeitsregler, die beinahe einem Geschmacksverstärker glichen.

Souta war noch nicht einmal sehr oft in Oshibana Town … Natürlich war er noch nie in diesem Museum, weil diese Gebäude langweilig und alt waren und somit schon einmal zwei Adjektive besaßen, die der Rothaarige als durchgehend negativ einschätzte. Unter Umständen hätte er das nun auch verdeutlicht, indem er über das Haus und seine Innenausstattung, die ihn wirklich nicht einmal ein bisschen interessierte, hergezogen wäre, aber es war so schwer, sich ordentlich aufzuregen, wenn man so … zufrieden war. Er fühlte sich beinahe high. Normalerweise wurde dieses Gefühl ja von einem dumpfen Schmerz beim Laufen oder Sitzen begleitet, der es ein wenig minderte, doch diesmal fühlte er sich einfach nur gut. Als würde er auf Wolken laufen, als hätte er sich bis oben hin vollgefressen ohne Kugelbauch, als wäre er … Okay, sagen wir es direkt: Souta lebte gerade mit jeder Faser seines Körpers das heilige „Ich wurde flachgelegt“-Gefühl. Er hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlen konnte. Für gewöhnlich fühlte er sich so nur nach einer seiner nächtlichen Besuche bei einem Weibchen seiner Wahl, er hatte ja keine Ahnung, dass man das auch … Es war ihm immer seltsam vorgekommen, wenn er daran dachte, dass Seraphim ja durchaus auch Erfahrung mit anderen Männern hatte, aber er hatte bisher nicht gedacht, dass das für ihn irgendwelche positiven Auswirkungen haben würde außer eben jenen, dass er nicht verletzt wurde. Gott, hatte er sich geirrt. Seine Schritte waren etwas schleppend, sein Hirn noch etwas schleppender, während er hinter dem Weißhaarigen durch das Museum torkelte, auf der Suche nach einem Objekt, auf das er sich fokussieren konnte, irgendetwas, was ihn davon abhielt, sofort irgendwo einzuschlafen, er war nämlich nicht nur glücklich und gesättigt, sondern auch noch erschöpft, was an sich ja schon eine Sache der Unmöglichkeit sein sollte. Alles in ihm verlangte gerade nach Stillstand, Ruhe und ein paar Stunden Schlaf, doch er wusste, dass er sich das jetzt nicht leisten konnte. Er musste diese Quest erledigen und zwei Nächte lang alles dafür tun, dass ein Diadem in der Mittelalterausstellung blieb und niemand auf die Idee kam, diese Krone zu stehlen, obwohl er ja persönlich relativ wenig für solche Arten von Kopfschmuck übrig hatte. Das war einfach zu weiblich. Goldringe und Ketten und Szepter waren eher sein Ding. Ehehe, Szepter … Träge legte er Seraphim eine Hand auf die Schulter und ließ seinen ganzen Körper folgen, hängte sich an ihn und grinste ihn mit einem Ausdruck der absoluten Freude an, der kaum zu sagen vermochte, wie sehr er seinen besten Freund im Moment liebte. „Noch nie“, sagte er und schlang ihm kurz einen Arm um den Hals, damit er seine Schläfe küssen konnte, weil im Augenblick niemand da war und Souta das dringende Bedürfnis hatte, Seraphim ganz für sich alleine zu behalten, zumindest für eine Weile. Sie würden nun mit dem Museumsheini reden müssen und wurden dann sicher in ihre Aufgabe eingeführt, aber er wollte nur durch die Gegend laufen und jodeln oder so … Oh, das ging langsam etwas zu weit. War es nicht lächerlich wie leicht man ihn ausknocken konnte? Ein Mann wie er war ein Opfer seiner Triebe, das war beinahe schon traurig, aber er war ja nicht der Einzige, den man dermaßen leicht abfertigen konnte. Das war ein Ding, das ihre Beziehung ausmachte und ihr zugleich einen Großteil der Komplexität nahm, an der andere scheiterten. Viele mussten sich erst einmal kennen lernen, bevor sie sich auf körperlicher Ebene verstanden, bei ihnen war das irgendwie umgekehrt geschehen und Souta wusste KEINEN Grund wieso das nicht immer so sein sollte, weil das nämlich eine großartige Art war, sich kennen zu lernen. Eine großartige, ungezwungene und lockere Art, ohne jeden Zwang. Und sie hatten es trotzdem geschafft die allerbesten Freunde zu werden und sich das Leben zu retten und coole Quests abzuschließen. Sie waren die besten Magier aller Zeiten und konnten alles tun, was sie wollten, weil sie so großartig waren. Besonders Seraphim. Er wollte ihn küssen, traute sich aber nicht, nur um sich dann zu erinnern, dass er das gerade ja schon getan hatte und vollkommen ohne Grund loszukichern. Er lief gerade so hoffnungslos auf Sparflamme, man könnte fast denken, er wäre betrunken. Das zeugte natürlich ungemein für seinen männlichen Stolz, sich über niedere Bedürfnisse hinwegzusetzen, aber wenn interessierte das schon, wenn man so unglaublich happy war, dass man die Welt umarmen wollte? „Ich liebe dich~“, seufzte er leise, scherzhaft natürlich, und wuschelte durch Seraphims Haare, weil das Museum zu dieser späten Stunde wirklich ausgesprochen ausgestorben war. Selbstverständlich meinte er das nicht ernst, es war ein Satz, den er zu vielen Leuten zu vielen Gelegenheiten sagte, aber sein weißhaariger Freund würde schon den Joke daraus extrahieren können und sich auf das darin enthaltene Lob konzentrieren. Momentan gab es wirklich keine Person, die er lieber hatte … Souta war so einfach gestrickt, manchmal war das geradezu erschreckend.

Souta kam dem Dragonslayer vor, als sei er betrunken, denn wenn man genauer auf seine Bewegungen zu achten gewohnt war, dann bemerkte er, dass sie gerade ein wenig unkoordinierter wirkten, als noch eine Stunde zuvor, auch wenn er da noch faul auf seinem Sofa gelegen hatte. Er fand es höchst amüsant, wie der Rothaarige so sehr von einer einzigen Sache beeinflusst werden konnte, auch wenn er natürlich wusste, dass er selbst kein gutes Gegenbeispiel war. Der einzige Unterschied war wohl traurigerweise, dass er eine Situation, in der ihre momentanen Rollen vertauscht waren, wohl nicht erleben würde, weil ihm ja eine verhasste Zopfträgerin mit Falten einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Zwar war es wahrscheinlich, dass ihre Fähigkeiten in der Hinsicht aufgrund von sehr unterschiedlicher Routine stark variierten, aber ihm ging es dabei nicht einmal darum, dass er das gut machte - sondern primär, dass er es überhaupt tat. Allerdings würde das wahrscheinlich nicht passieren, deswegen versuchte er alle leicht bitteren Gedanken daran zu verdrängen und sich stattdessen ganz auf die ausgesprochene Niedlichkeit des Kettenmagiers zu konzentrieren, derer er sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst war. Er fand Souta sogar hochgradig putzig, wie er so zufrieden neben ihm herlief, als habe er Wolken unter den Sohlen und kein Parkett und es fühlte sich gut an, wie er sich herüberlehnte und ihn küsste, einfach so. Wenn er dieses Verhalten damit auslöste, sollte er vielleicht darüber nachdenken, so etwas öfter zu tun... Selbstverständlich war Souta noch nie in diesem Gebäude gewesen, was zu dessen Leidwesen wohl bedeutete, dass Seraphim ihn herumzuführen gedachte, damit er im Falle eines Einbruchs wusste, wo er lang rennen musste. In diesem Zuge konnte er seinen Wissensstand um einige Details erweitern, weil er sich ebenso sicher war, dass er zwar viel über Damenunterwäsche, aber wenig über Gemälde des Expressionismus wusste. Der Dragonslayer hatte in der Hinsicht wenigstens schon das ein oder andere Buch gelesen, weil solches Wissen in höheren Schichten als normal galt und er doch seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass er sich nun deutlich besser unter solche Menschen mischen konnte. Das war nicht immer so gewesen, immerhin hatten seine Umgangsformen und Manieren kurz nach Ankunft aus dem Wald wirklich sehr zu wünschen übrig gelassen, sodass er sich alles in dieser Hinsicht mühsam antrainiert hatte, als er bemerkte, dass man so etwas unter Menschen brauchte, um seinen Willen durchzusetzen. Es war so viel einfacher, die Leute an der Nase herumzuführen, wenn man in ihren Augen ein gut erzogener, galanter Mann war, als ein ungehobelter Grobian, da sie einem viel schneller vertrauten. Natürlich gab es auch einige wenige Gegenbeispiele, aber schlechter anstellen konnte er sich immer, selbst wenn er es nicht gerne tat.
Den nächsten, in einem Seufzer versteckten Satz, hätte er wohl mit einem Lächeln aufnehmen und eine schlagfertige Antwort bringen sollen, aber irgendwie waren seine Mundwinkel schrecklich verkrampft, als er es tat. Selbstverständlich meinte Souta diese Aussage nicht ernst, immerhin benutzte er diese drei Worte sicherlich geradezu inflationär. Auch Seraphim selbst hatte sie schon so oft in fremde Ohren gewispert, dass sie ihre Bedeutung verloren haben sollten - und doch stach es ein wenig, den Witz darin sofort zu erkennen, weil das bedeutete, dass sie nicht ernst gemeint waren. Das war eine Art von Spaß, die er selbst nicht bringen könnte, weil bei ihm die Grenzen zwischen Lüge und Wahrheit viel zu schnell verschwimmen würde. Wenn er Souta sagen würde, dass er sich in ihn verliebt hatte, dann war das eine Tatsache, ein Geständnis, aber kein Witz und diesen Satz so spaßhaft aus dem momentan wirklich sehr lockeren Mundwerk des Rothaarigen zu hören hatte deswegen etwas schrecklich ehrliches, ernüchterndes. Trotzdem brauchte er nur eine geschlagene Sekunde, bis er mit sanfter Stimme feststellte: "Du siehst müde aus, wenn du möchtest, kannst du dich nach Erhalt unseres Auftrags ein bisschen hinlegen. Ich passe währenddessen schon auf, dass nichts passiert." Dann hatte er immerhin den Vorteil angenehmer Ruhe mit einem schlafenden Kettenmagier neben sich, das wäre ihm momentan ganz recht, um in sich zu gehen und sich davon abzuhalten, dem dummen Witz allzu viel Bedeutung beizumessen.
"Wer seid ihr?!", schallte es auf einmal durch die Halle und ein großer, dürrer und ältlicher Mann mit Schnurrbart und leicht hervortretenden, wasserblauen Augen kam auf sie zugestakst. Seraphim musterte ihn verblüfft und stellte fest, dass er zwar gut gekleidet war, aber die Förmlichkeit des Jacketts und der Anzughose nicht zu seinem Gehabe passen wollte, das alles in allem etwas wirr wirkte. "Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Mr. Arthur, der Museumsdirektor sind?", fragte der Dragonslayer entspannt und langte nach Souta, dem er schwungvoll das Hemd einige Zentimeter lupfte, bis das Gildensymbol auf seinem Bauch sichtbar wurde. Dabei konnte er es sich nicht verkneifen, seinen Hosenbund kurz zu streifen und zu schmunzeln, ehe er die Hand wieder zurückzog. "Wir sind die Magier von Blue Pegasus, die Sie zum Schutz des Diadems bestellt haben und hier, um unsere Aufgabe anzutreten..." Aber irgendwie wirkte der Alte nicht komplett überzeugt. Woran das nur liegen mochte?

Polizisten benutzten Abzeichen, um ihre Identität zu beweisen, Magier mussten auf andere Mittel zurückgreifen. Souta hatte sich schon ein paar Mal gefragt, wieso Gilden eigentlich keine Gildensymbole austeilten, die man in einer schicken Ledertasche aufbewahrte und in solchen Gelegenheiten vorzeigte, das ersparte doch vielen Menschen die Peinlichkeit einer Entblößung. Der Kettenmagier schämte sich zwar nicht für seinen Bauch und hatte daher auch recht wenig Hemmung, wenn Seraphim sein Hemd hochschob, um zu beweisen, dass sie der richtigen Gilde angehörten, aber es war doch etwas seltsam und musste gerade für Außenstehende mehr als nur befremdlich wirken. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, aber … Mussten sich die anderen nicht fragen, woher Seraphim wusste, wo sein Gildenzeichen war? Vielleicht sollte er nicht zulassen, dass der Himmelsmagier ihn so als Vorzeigebild benutzte und vielleicht sollte er ihn fragen, ob ihm diese Tatsache bewusst war und ob er das absichtlich machte, um alles zu zerstören, was er sich so mühsam aufzubauen gedachte. Soutas Männlichkeit war ihm sehr wichtig und er wollte nicht, dass jeder in Fiore erfuhr, was er mit dem Dragonslayer machte, weil er sich dadurch unterdrückt vorkam … Er war eine eigenständige Person, ein starker Kämpfer, ein respektables Gildenmitglied, aber wenn man ihn so servierte, kam er einfach nur wie die Schlampe eines einzigartigen Zauberers herüber, die sich dadurch Erfolg verhoffte, dass sie ihren Körper verkaufte. Natürlich war das nicht der Fall und Souta war viel zu stolz um Seraphim um solche Gefälligkeiten zu bieten, egal ob er sie denn nun eigentlich erfüllen könnte oder nicht, aber darum ging es ja gar nicht. Wäre Souta nicht so vollkommen entspannt gewesen, hätte er sich wahrscheinlich ziemlich vehement dagegen ausgesprochen, so behandelt zu werden, jetzt wo ihm die Tragweite dieses winzig kleinen Aktes bewusst geworden war, aber er war gerade gut drauf, also ließ er es unter den Tisch fallen und ging sogar so weit, den kaum existenten Abstand zwischen ihnen nicht weiter zu vergrößern. Seraphim hatte gesagt, dass er müde aussah – an sich kein großartiges Kompliment – aber wenn er wollte, konnte er sich genausogut auf das vor ihm Liegende konzentrieren wie alle anderen Menschen auch. Er würde sich ganz sicher nicht ein paar Stunden lang auf's Ohr hauen, nur weil er erschöpft war, nicht während einer Quest zumindest. Er musste nur eine Nacht lang durchhalten, dann konnte er einen Tag lang herumliegen und die zweite Nacht herumbringen. Das Einzige, was an diesem Job an seiner Substanz zehren könnte, wäre das Fehlen von nächtlicher Verpflegung, er brauchte nämlich einen Mitternachtssnack und wenn er den nicht bekam, würde sein Magen sich wahrscheinlich anhören wie ein aggressiver Rottweiler und seine Laune auch in etwa denselben Charakter annehmen. Das konnte großartig für Seraphim werden, er hatte ihn ja schon einmal im Divamodus erlebt, nur war er dort SATT gewesen … Na ja. Noch war sein Hungergefühl aushaltbar, noch war er sehr glücklich und noch konnte er freundlich zu dem komisch wirr aussehenden Typen sein, der auf seinen wunderschönen Bauch nicht ausreichend bewundernd reagierte. Er hätte in solchen Situationen gerne, dass alle Menschen, die ihn ansahen, Seraphims Blick bekamen, das wäre deutlich schmeichelhafter, auch wenn er nicht wollte, dass alle an seiner Hose herumfummelten. Souta brauchte gar keine stille Admiration, aber ein wenig mehr Begeisterung wäre schon toll gewesen, wo sie doch Magier waren und alles. Aber Mr. Arthur, ein interessanter Name, wo ihre Aufgabe sie doch in die Mittelalterabteilung treiben würde, um soetwas wie eine Krone zu besitzen, wirkte nicht einmal ansatzweise beeindruckt und reagierte stattdessen mit einer leicht gerunzelten Stirn. Gab es in dieser Stadt tatsächlich Menschen, die nicht ausflippten, wenn sie die Stadtgilde sprechen hörten? „Hmpf. Und ihr wollt unser kostbares Museum beschützen? Zu zweit?“ Er schnaubte und schüttelte den Kopf. „Ich wusste doch, dass die Sponsoren irre sind. Magier sind für diesen Job nicht zu gebrauchen, ihr habt doch keine Ahnung wie wertvoll diese Exponate sind!“ Er machte eine weitreichende Geste und als Souta total unabsichtlich lachte, weil sie in einem Korridor standen, der auf einer Seite zu den Klos führte und er das witzig fand, schien er seinen Gesichtsausdruck als Anreiz zu nehmen, um einen knochigen Spinnenfinger zu erheben und auf ihn zu zeigen. „Siehst du, kein Respekt vor der Kunst! Der Geschichte! Aber ich kann nichts tun. Was will ich tun? Die Förderer wollen es, und unser Etablissement lebt nun einmal von den Spenden ...“ Souta wusste gar nicht, was er darauf sagen sollte. Dieser Mann wedelte zwar mit seinem Finger im Gesicht des Kettenmagiers herum, schien aber mehr oder weniger mit sich selbst zu reden. War das so abgemacht? Oder fehlten ihm einfach gerade die sozialen Fähigkeiten, um herauszufiltern, was dieser Typ von ihm erwartete?

Oh Mann... wie gingen ihm alte Säcke doch auf den Sack. Seraphims Augenbraue zuckte unheilvoll, während er den Worten des Museumsdirektors lauschte. Dieser übertrat nämlich gerade mit Siebenmeilenstiefeln lauter Grenzen, die man in seiner Gegenwart nicht einmal auf leisen Sohlen überschleichen sollte. Das einzige, was ihn noch rettete, war zum einen seine Position als ihr Auftraggeber, auch wenn er das scheinbar gar nicht sein wollte, als auch die Tatsache, dass er immerhin nicht über die Drachen hergezogen hätte. Der Weißhaarige seufzte, lies den alten Mann ausreden und erwiderte dann mit kühler Stimme: "Ich glaube Ihnen ja, dass sie viel zu wenig sachkundige Kundschaft haben, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie in diesem speziellen Falle recht haben. Tatsächlich habe ich schon einige Ihrer Ausstellungen besucht und diese haben mir bewiesen, dass Sie oder Ihre Kuratoren einen exzellenten Kunstgeschmack besitzen. Bis auf die Ausstellung über altertümliche Buchdruckkunst, die ziemlich eintönig und fade war, haben Sie es stets geschafft, das Beste aus Ihren Exponaten herauszukitzeln, aber das hier bewegt sich etwas außerhalb ihres Horizontes. Wir beide haben im Alleingang eine Piratenflotte versenkt und einen Tsunami aufgehalten, es wäre ein leichtes für uns, eine gesamte Festungsanlage zu sichern oder, je nachdem, auch dem Erdboden gleich zu machen, also glauben Sie mal nicht, dass ein solch kleines Museum auch nur die Spur einer Herausforderung für uns wäre. Der einzige Grund, warum wir uns mit solchem Kinderkram beschäftigen, ist schließlich dass es schade, um das wunderbare Herzstück der Ausstellung wäre... dieses Diadem..." Und wegen des Geldes. Eigentlich ging es ja mehr um die Relation zwischen dem Verdienst und dem benötigten, zu betreibenden Aufwand, aber das würde den Alten wohl kaum beruhigen, sondern ihn noch mehr aufhetzen, nachdem Souta so taktisch unklug inmitten der Standpauke gelacht hatte. Alte Menschen waren oft so: Starrköpfig und aufgrund ihres Alters davon überzeugt, dass die Jüngeren ihnen Ehrerbietung erweisen sollten, einfach weil sie eben einige Jahrzehnte mehr auf dem Buckel hatten. Eigentlich war Seraphim nicht dafür bekannt, ihnen zu schmeicheln oder sie zu beruhigen, aber in diesem Fall hatte er einfach abgewägt: Wenn sie ihn am Ende so sehr davon überzeugten, dass sie Idioten waren, würde er noch dableiben... und dann könnte er eben nicht die Weitläufigkeit und Einsamkeit der Räume so nutzen, wie er es wollte. Sicherlich würde er nichts dagegen haben, wenn er durch die Ausstellungen patrouillierte, aber wenn er irgendwelche Techtelmechtel mit Souta beginnen würde, wäre er sicherlich nicht sehr erfreut. Wie sie auf dem Kreuzfahrtschiff bemerkt hatten, waren alte Menschen in dieser Hinsicht mehr als konservativ... Übrigens, hatte er gar nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass man aufgrund seines Verhaltens denken könnte, er habe eine intimere Beziehung zu Souta als Freundschaft. Er war sicherlich nicht der einzige Mann, der Souta im Sommer mit nacktem Oberkörper gesehen hatte, immerhin war er ja keine Frau, bei der so etwas nur mit einem Bikini oder bauchfreier Kleidung zu erklären gewesen wäre. Wenn der Kettenmagier ihm seine Sorgen vorgetragen hätte, hätte er wahrscheinlich gelacht - und es dann trotzdem nicht wieder getan. Es war nur einfach viel näher dran, als wenn er sich nun entkleidete, denn um sein Gildenzeichen vorzuzeigen, musste er wirklich strippen... zumindest oben rum. Ganz so provokativ, es sich unter die Gürtellinie zu setzen, wollte er dann doch nicht sein, immerhin entsprach es sicherlich nicht dem Gusto eines jeden Arbeitgebers, wenn sein Angestellter erst einmal die Hose runter ließ... "Machen Sie sich keine Sorgen, wir passen schon auf das Diadem auf." Der alte Mann wirkte etwas beruhigter, was ihn allerdings nicht davon abhielt, leicht die Glupschaugen zu weiten und beinahe ehrfurchtsvoll zu murmeln: "Das Diadem... es ist von wahrer Schönheit, aus reinem Gold mit einer solchen Sachfertigkeit gefertigt, dass es eigentlich nicht unter Menschen gehören sollte. Man sagt es stamme aus dem Schatz eines Drachens! Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber..." "Unwahrscheinlich. Das ist ein Klischee, ja, aber Schatzhorterei ist wenn nur ein Hobby bestimmter Exemplare, nicht aber eine allgemeine Veranlagung...", warf Seraphim ein, der sich zwar vorgenommen hatte, ihn nicht zu unterbrechen, bei diesem Thema aber einfach instinktiv hellhörig wurde, "Auch wenn sie selbstverständlich einen erlesenen Geschmack haben." Merkte man, warum er dieser bestimmten Gilde angehörte? Nun, er durfte das auch, da er doch von einem Drachen aufgezogen worden war.

Immer, wenn Seraphim sein Wissen über Drachen teilte oder nebenbei seine Mutter erwähnte, fragte sich Souta, wie es eigentlich gewesen sein musste, von einem geschuppten Riesenwesen erzogen zu werden und wie eigenartig es war, dass man so ein Monstrum auch noch „Mama“ nannte. Er war sicherlich selbst weit vorne im Rennen um die verkorkste Familie der Welt, aber bei ihm war zumindest alles menschlich. Natürlich hatte der Drache seinen besten Freund nicht wirklich geboren, sondern vielmehr adoptiert und dann mit einer einzigartigen Magie ausgestattet, aber es war dennoch eine interessante Überlegung. Ein Teil von Seraphims Leben, in dem er absolut keinen Zutritt hatte und um den er auch niemals beten würde, weil er Mutter-Kind-Beziehungen nicht verstehen konnte. Er war irgendwie verdreht Elternteil und nie wirklich Kind gewesen, und seine Mutter liebte er zwar über alles, konnte sich aber nicht dazu durchringen, mit ihr zu sprechen oder ihr auch nur in die Augen zu sehen. Er hatte Erinnerungen daran, wie sie durch seine Haare streichelte und ihn einen guten Bruder nannte und ganz dumpf glaubte er zu wissen, dass sie mit dem „Souta“ angefangen hatte, was seither irgendwie sein Name geworden war, aber es gab so viele andere Menschen in seinem Leben, wichtige Personen … Er fühlte sich nicht so verbunden zu ihr wie es der Himmelsmagier vielleicht zu seiner Mutter tat. Souta gehörte nicht in Familien, er wusste nichts davon und hatte kein Recht, sich eine Meinung darüber zu bilden, also tat er es nicht und machte einen Schritt von solchen Dingen weg, auch wenn sie ihn interessierten. Der Kettenmagier wusste nicht, ob sein Freund diesen Monolog hielt, weil er bedrängt und angemault worden war, oder ob er einfach nur in seinem Stolz gekränkt war, aber es tat eigentlich ganz gut, all ihre Heldentaten erneut zu hören. Souta war immer voll für Angeberei, absolut, er hätte kein Problem damit, Seraphim anzufeuern, aber das musste er nicht einmal, weil das Diadem irgendetwas in dem Museumsdirektor auslöste. Beinahe erwartete er ja, dass er sich jetzt gleich das Sakko aufriss und ein „I <3 DIADEM“ T-Shirt entblößte, aber das tat er natürlich nicht, obwohl das sicherlich witzig gewesen wäre. Stattdessen bekamen seine Augen einen irgendwie feuchten Schimmer, der irritierend war, und er nahm endlich die Hand aus seinem Gesicht – persönliche Grenzen waren wohl auch nicht mehr das, was sie einmal waren, dachte Souta, schaute zur Seite und machte einen halben Schritt von Seraphim weg – allerdings nur, um sie mit Pathos an seine eigene Brust zu legen und zu seufzen. „Drachen oder nicht, es ist ein Kunstwerk wahrer Schönheit, ein kostbares Kleinod … Oh, ihr müsst es beschützen, es ist so wunderschön ...“ Seine Stimme stieg ein paar Etagen an. „Es gibt viele Neider, die uns das Diadem rauben wollen! Sie verstehen nicht, dass es zu uns gehört. Ich bin mir sicher, dass jemand versuchen wird, es zu stehlen … Deshalb müsst ihr beide immer eure Augen darauf haben!“
„Klar, ich werde darauf achten, dass meine Augen das Ding nicht verlassen.“ Souta prustete leicht und zuckte mit den Achseln, weil es schon eine Weile her war, dass er einen so ignoranten Menschen getroffen hatte und er deshalb keine Lust hatte, sich nun allzu sehr anzustrengen, also blickte er kurz zu Boden und rieb sich den Nasenrücken, nur um im nächsten Moment aufzublicken, weil etwas klimperte. Die hervorschießende Hand fischte einen Schlüsselbund aus der Luft, der ihn wohl sonst am Kopf getroffen hätte und er sah noch, wie sich eine Tür schloss, die den Direktor verschluckt hatte. Ohne groß darüber nachzudenken, was gerade geschehen war, hielt er Seraphim die Schlüssel hin und hob eine Braue. „Dieser Typ war ja mal ballaballa. Was machen wir als Erstes?“

"Du hast gesagt, dass du noch nie in diesem Museum gewesen bist, Souta-chan~", schnurrte der Dragonslayer und hängte sich nun seinerseits leicht an den Rothaarigen, indem er ihm die Arme spielerisch um den Hals schlang und seine Nase leicht an seiner Wange rieb. Der Direktor war nach seinem beinahe etwas fanatischen Vortrag über die Wichtigkeit und der Wert des Diadems immerhin glücklicherweise verschwunden, sodass sie nun allein waren und das bedeutete wie immer, dass es keinen Grund gab, sich unnötig von Souta fernzuhalten. Es war viel schöner, den schmalen, aber so warmen Körper dicht bei sich zu haben, weil er dann nicht nur eine mobile Heizung, sondern auch einen Teddy mit Vorzügen besaß, aber da er wusste, dass Souta das ungerne in der Öffentlichkeit sah, versuchte er dort darauf zu verzichten. Die Male, die sie Händchen haltend durch die Straßen einer Stadt spaziert waren, war das auf Soutas Initiative hin geschehen, was ihn von der Verantwortung entband, sollte er sich am Ende darüber aufregen, dass ihn jemand schwul genannt hatte. Seraphim war es egal, was man in der Hinsicht von ihm hielt, da alle Gerüchte der Wahrheit meist sogar noch in einigen Details nachstanden und somit unwichtig waren. "Deswegen werden wir uns nun erst einmal das Museum angucken... in diesen Ausstellungen war ich noch nicht und ich denke etwas Kultur könnte dir auch nicht schaden... außerdem...", er näherte seine Lippen dem beringten Ohr des Einäugigen, "sind wir hier ganz alleine... niemand ist hier~" Er kicherte leicht, betrachte wieder etwas Abstand zwischen sie beide und zog seine Jacke im Gehen aus, während er auf die leere Garderobe an der Wand zusteuerte. Er musste dieses Ding immerhin nicht anbehalten, da Museen im Allgemeinen streng temperiert waren, da man ansonsten den Bildern schaden könnte. Was Souta mit seiner Kleidung machte, blieb ihm vorbehalten, aber vielleicht wäre es gar keine schlechte Idee, unnötigen Ballast dort abzulegen. "Aber du hast Recht.", gab er zu, als er die Lasche der Jacke über einen Haken zog, "Wenn man sich überlegt, was für Ausstellungen der schon ausgewählt oder zumindest doch bewilligt hat, hätte ich eine gesetztere, weniger senile Person erwartet. Eine Persönlichkeit eben, keinen... kleinen, gekrümmten Kauz." Er lachte, auf eine höhnische, unangenehme Art, die zum Glück nicht lange anhielt, dafür aber umso mehr hallte. Die Akustik in diesen Räumen war wahrscheinlich der Hammer, am Ende mussten sie noch aufpassen, dass nicht das Ordnungsamt bei ihnen klingelte oder so... auch wenn das sicherlich sehr unterhaltsam wäre.
Schwungvoll drehte er sich um und schritt zum Eingang der Ausstellung, die sich scheinbar mit Farben und deren Einsatz in der etwas moderneren Kunst befasste und wartete dort darauf, dass der Kettenmagier zu ihm aufschließen würde. Dieser Rundgang hatte natürlich von dem pädagogischen Nutzen abgesehen auch einen Sinn für ihre Quest: Sie konnten zwar Fluchtpläne studieren und sich daraus zusammen reimen, wie das alles aussah, aber am Ende überrannten sie dann in Hektik noch irgendein Artefakt, was locker das doppelte von ihren Wohnungen zusammen Wert war. Seraphim war sich sicher, dass dieser Schaden der Gilde nicht besonders gefallen würde, weil sie diesen sicherlich begleichen müssten. Das bedeutete auch, dass er wahrscheinlich keine Magie einsetzen konnte, weil die Gefahr bestand, dass er dadurch Gemälde von den Wänden oder Vasen von Sockeln wehte. Auch Souta würde er die Benutzung seiner Peitsche untersagen, wenn er sie denn überhaupt dabei hatte, denn in diesem Falle mussten sie große Rücksicht auf ihre Umgebung nehmen. So eine Nacht im Museum war sicherlich unterhaltsam, aber es war nun einmal kein idealer Kampfplatz.

Ach Gottchen … Womit hatte Souta eine solche Bevorzugung nur verdient? Es war ja ganz angenehm, dass sie hier nun alleine waren und Seraphim daher die Kuschelsaison wieder neu eröffnet hatte, aber er hatte ehrlich gesagt eher gedacht, dass sie sich nun anderen Dingen zuwenden würden, einem Austausch sozusagen, der nicht kultureller Natur war. Stattdessen sollte er nun wirklich neben dem Weißhaarigen hertraben und sich jahrhundertealten Kram ansehen, der ihn nicht die Bohne interessierte. Selbstverständlich war es dann auch noch so, dass die einzige Person, die ein wenig Spannung bereitstellte, in genau diese Richtung verschwinden würde und da er wusste, dass er beim Versuch sich zu unterhalten möglicherweise für Chaos und Vernichtung sorgen würde, weil er das eigentlich immer tat und er sich dafür nicht einmal anstrengen musste, blieb ihm wohl nichts Anderes übrig, als über das Parkett zu hüpfen und seine Jacke vielleicht etwas zu schwungvoll neben Seraphims zu hängen. Seine Waffe befand sich in einer der Taschen, aber er bezweifelte, dass er sie demnächst brauchen würde, außerdem war es ja nicht so, dass er das Kleidungsstück nicht innerhalb von Sekunden erreichen konnte, wenn es wirklich darauf ankam und selbst dann konnte er sich ja immernoch bestens im waffenlosen Kampf behaupten, falls denn überhaupt irgendwelche Kunstdiebe vorbeischauen wollten, wo es doch eigentlich klar sein sollte, dass man Leute wie sie für ein dermaßen teures Artefakt abstellen würde. Souta überging das grausamste Lachen des Jahrhunderts, weil er gut darin war, sich innerlich darüber zu beschweren, dass sein bester Freund nicht auf Waffen, Prügeleien und laute Rockmusik stand, sondern unbedingt diese Veranstaltung hier besuchen musste, als gäbe es auf der ganzen Welt nichts Schöneres. Prinzipiell war ja Souta das schönste Exponat in diesem Museum und er bekam gerade erschreckend wenig Aufmerksamkeit, da konnte man schon einmal über möglicherweise diabolische Tendenzen weißhaariger Männer hinwegsehen. Für ein paar Sekunden blieb der Kettenmagier stehen und verschränkte die Arme, darüber nachdenkend, ob er sich vielleicht einfach weigern sollte, denn was sollte es bitte heißen, dass er Kultur vertragen konnte?! War er hier der Typ aus der Wildnis? Ein wenig verletzte es ja schon seinen Stolz, für so ungebildet gehalten zu werden, in diesem speziellen Falle eben, weil er das eigentlich auch war aber natürlich nie zugeben würde. Was brachte es einem schon, wenn man über mittelalterliche Gemälde Bescheid wusste? Ein Gegner würde einen soetwas niemals fragen, bevor er einem das Gesicht eindellte und sinnloses Wissen zu sammeln war … sinnlos. Dennoch folgte er Seraphim natürlich, mit dem Auge rollend und einen Seufzer ausstoßend, in den Gang mit den wertvollen Stücken, die sicherlich für alle anderen fabulös anzusehen waren, für Souta allerdings eher Müll als vergangener Zeit darstellten. Er musste sich nicht wirklich anstrengen, um neben Seraphim herzulatschen, weil er natürlich tausendmal schneller war und ihn daher leicht einholen konnte. Für einen Moment überlegte er, ob er vielleicht einmal im Schnelldurchlauf durch diesen Gang laufen sollte, um den Älteren daran zu erinnern, wer er war und wofür man ihn normalerweise anheuerte, doch dann besann er sich, dass er die nächsten Stunden mit dem Anderen verbringen musste und initiierte Händchenhalten, weil sie das ja tun konnten, wenn sie sowieso die ganze Zeit nebeneinandergingen … „Ich bin gebildet ...-er als du denkst … Nur eben in nützlichen Gebieten“, meinte er zu seiner Verteidigung und suchte nach Fluchtwegen und Fenstern, die sich öffnen ließen. Hin und wieder strich sein Blick auch über die Ausstellungsstücke, aber er würde ihnen keine große Bedeutung beimessen, wenn er nicht explizit auf einige davon gestoßen wurde. Andererseits wollte er sich zumindest mit Seraphim unterhalten, wo er doch schon diese langweilige Wanderung aushalten musste, also sollte er ein Gesprächsthema finden, was sich zur Not etwas dehnen ließ. „Was gefällt dir an diesem Kram so?“ Er wandte den Blick zu dem Weißhaarigen und sah tatsächlich fragend aus. Vielleicht konnte man sich ja für uraltes Zeug interessieren, vielleicht konnten sie ein Interesse finden, was sie teilten. Es wäre schließlich toll, wenn man Sachen zusammen unternehmen konnte, die auch jugendfrei waren, soetwas sollte förderlich für Freundschaften sein ...

Und da war sie wieder: Die schmale Hand des Rothaarigen hatte sich in die seine gelegt, kaum war er in die Ausstellung gegangen und entfachte damit ein warmes Gefühl im Magen des Dragonslayers. Es war schön, wenn er das tat, weil es süß war und weil man solche Gesten normalerweise eher bei Pärchen beobachten konnte. Sie dagegen waren keines, aber die warme Hand in der seinen ließ ihn über dieses Ärgernis hinweg sehen. Wobei nach wie vor die Frage war, ob es sich wirklich um eine negative Tatsache handelte, dass er den Mund nicht aufbekam. Es konnte so viel schief gehen, wenn man sich erst einmal dazu entschloss, eine Beziehung zu führen, so viel Schmerz konnte entstehen, so viel zerstört werden, dass er lieber diese fragile Übergangslösung lebte, die die beiden gefunden hatten. Auf Dauer war sicherlich auch das zwar auf körperliche Weise, aber nicht auf geistiger Ebene befriedigend, aber er konnte damit besser zurecht kommen, als wenn auf einmal zu viel von ihm in dieser Richtung erwartet würde. Seraphim wusste immerhin, wie er war, er kannte seine Macken und schätzte sich selbst meistens richtig ein, sodass er stark vermutete, dass er selbst jemandem, den er von ganzem Herzen und mit jeder Faser seines Körpers liebte, nie im Leben treu sein könnte. Das war einfach nicht so in seinem Wesen verankert, wie es Pinguine gab, existierten eben auch Löwen, da war jeder anders. Selbst wenn es ihn nie langweilte, mit Souta zusammen zu sein, ihn lachen zu hören, seinen Geruch ind er Nase zu haben und über seinen Körper zu streicheln, sich in ihm zu verlieren oder einfach nur zu beobachten, wie er im Schlaf die seltsamsten Posen einnahm, so sehnte er sich irgendwann immer nach den Blicken eines Anderen, sah jemanden, den oder die er begehrte und tat einfach das, was er immer getan hatte. Souta war da wahrscheinlich wenig anders, also wäre es doch Wahnsinn, zwei derart veranlagte Menschen in einen Beziehungskäfig zu sperren und zu warten, bis sie ausbrachen und ihn dabei zerfetzten. Solange man nicht eifersüchtig auf die Aktivitäten des Anderen sein musste, ließ sich gut damit leben, fand er zumindest. "Ich weiß nichtmal genau, Souta-chan... ich finde solche Gemälde hübsch. Es ist manchmal ein bisschen so, als verarbeite ein Künstler neben Farbe auch seine Emotion in einem solchen Bild, sodass sie wie Fotos ihr Inneres widerspiegeln - oder wie sie die Welt sehen, durch den Filter ihres Selbst." Er schwieg einen Moment und grinste dann. "Und man kann manchmal toll mit solchem Wissen angeben." Es hätte jeden ehrlich engagierten Wissenschaftler wahrscheinlich gegraust, dass Seraphim das so sah, aber vieles, was er sich aneignete - im Grunde sogar fast alles - hatte nur den Grund, damit er zu gewissen Menschen Zugang hatte, die es ihm sonst sehr viel schwerer gemacht hätten. Man bekam keine Frau mit künstlerischen Ambitionen und Niveau rum, wenn man weltmeisterlich Bockwürste braten konnte. Es juckte ihn in den Fingern, Souta nun seinerseits eine Frage zu stellen, die aber eher weniger mit diesem Museum, sondern mehr mit ihren verschränkten Händen zu tun hatte, aber er verkniff es sich, weil das wahrscheinlich nicht allzu gut kommen würde. Stattdessen betrachtete er eine geschlagene Minute ein Gemälde, das aussah, als habe jemand gelbe und rote Farbtöne mit einem Spachtel auf die Leinwand geworfen und so einen wunderschönen Sonnenuntergang geschaffen, dass er beinahe lebendig schien. Das wurde hier schon wieder kitschig... "Was magst du denn so, Souta-chan? Außer Dingen, die ich nicht vor den Augen von Kindern tun oder essen könnte?" So wurde der Trip durch das Museum also zu einer späten Kennenlernstunde?

Wäre Souta zur Abwechslung einmal dazu in der Lage gewesen, Seraphims Gedanken zu lesen, was in gewissen Situationen nützlicher, in anderen peinlicher enden konnte, als man sich erhoffte, wäre er vermutlich nun rot angelaufen. Das passierte selten, Scham war ihm genauso fremd wie Reue und all die negativen Emotionen, die er in sich selbst einsperrte, um damit die Sonne anzutreiben, die aus seinem Hintern leuchtete, aber gelegentlich geschah es eben doch, natürlich nur bei gravierenden Dingen. Wie beispielsweise der Tatsache, dass er seinem besten Freund gestehen müsste, dass er heimlich monogam lebte, mit ihm. Das war extrem seltsam und untypisch für Souta. Vor seinem Weggang hatte er jeder Frau hinterhergejagt, die nicht bei Drei auf den Bäumen war und war fast jede Nacht irgendwo anders untergekommen. Nach seinem Weggang war da Seraphim. Und irgendwie … Brauchte er nicht mehr. Nicht, dass er es nicht vermissen würde, einen weiblichen Körper zu berühren, weiche Lippen zu küssen oder bei einer Umarmung einfach mal wieder die beruhigende Richtigkeit von Brüsten zu spüren, die sich gegen seine Brust drückten, er tat es. Er hatte manchmal so großes Verlangen danach, eine Frau abzuschleppen, dass er sich hin und wieder auf der Türschwelle vorfand, am Treppenhaus seiner neuen Residenz und sich die „Wieso eigentlich nicht?“-Frage stellte, zumal er ja nicht dumm war und mitbekam, wenn Seraphim am Morgen mit denselben Klamotten wiederkam oder sich eine Frau verstohlen die Stufen von der oberen Etage herunterschlich. Ab und zu war da auch ein Mann dabei, was wirklich sehr merkwürdige Begegnungen evozierte, auf die er in seinem Leben gerne verzichten könnte. Tief in seinem Inneren fühlte es sich immer wie ein Tritt in seine Weichteile an, wenn er daran dachte, ob er am Morgen danach auch so verstrubbelt und idiotisch grinsend in seine Wohnung zurückkehrte. Er konnte so oft innerlich dagegen protestieren wie er wollte, aber er hatte einen Spiegel im Gang und wusste, dass er genauso bescheuert aussah und sich manchmal sogar dabei erwischte, wie er aus dem Nichts irgendein Lied summte, ganz genau wie die Menschen, die Souta für gewöhnlich zu sich nach Hause gebracht hatte es wahrscheinlich in deren Wohnungen getan hatten. Und das war so unglaublich lächerlich. Am schlimmsten war es, wenn er frühstücken ging und derselbe Typ ihm in Hanibis Café seine Pfannkuchen servierte. Für einen flüchtigen, wortlosen Augenblick trafen sich dann ihre Blicke und es lag eine Art „Willkommen im Club“-Atmosphäre in der Luft, die den Kettenmagier beinahe dazu animierte, aufzuspringen und Objection zu kreischen. Das war der Grund, warum er nicht wollte, dass Seraphim ihn in der Öffentlichkeit angrabschte oder anderweitig irgendwelchen Besitz auf ihn geltend machte. Er schämte sich dafür, dass er nur einer von vielen war, der zufällig eben mehr Zeit mit dem Dragonslayer verbrachte, weil er auch noch mit ihm arbeitete. Er war um den Finger gewickelt worden. Das war peinlich für jemanden wie ihn, der Leute bezirzte, aber es geschah ihm wohl recht, schließlich galt Karma ja nicht umsonst als Miststück, das sich gerne rächte. Irgendwo gab es einen ganzen Haufen trauernder Bettgeschichten, die sich gewünscht hatten, er möge doch einmal auflaufen und dabei sämtliche Männlichkeit einbüßen, die er hatte, et voilà. Da stolzierte er neben einem lächerlich fröhlichen Weißhaarigen her und hielt seine Hand, während er sein Herz umklammert hielt und ihm Begriffe wie „Freundschaft“ und „Familie“ ins … Gesicht … schrie. Natürlich waren sie nur Freunde, natürlich gehörte Seraphim zu seiner Familie. Deshalb hatte er auch schon die Treppe nach oben erklommen, bis er darüber nachgedacht hatte, wo er heute Abend wohl ein hübsches Mädchen finden könnte. Deshalb reagierte er auf Seraphims Monolog mit einem ehrlichen Lächeln, nicht mit einem spöttischen Kommentar, ob er ihm nach der Nachtwache vielleicht eine Wärmflasche und etwas Kamillentee machen sollte, damit sie sich auf dem Sofa aneinander kuscheln und die Filter ihrer Selbst erkunden konnten, was er in jeder anderen Situation gemacht hätte. Deshalb, und nur deshalb überlegte er, ob er ihre kurze Pause lieber dazu nutzen wollte, dem Himmelsmagier auf die Wange zu küssen oder ob es vielleicht eine Chance gab, sich offensichtlich genug hinzustellen, damit Arme um seine Taille provoziert wurden. Das war so furchtbar pathetisch, dass er sich kaum auf das Sonnenuntergangsbild und noch weniger auf die Frage konzentrieren konnte, die ihm gestellt wurde. Er wusste sehr genau, dass er keine Beziehung wollte und er war sich sehr sicher, dass Seraphim ihn für einen solchen Vorschlag auslachen würde. Er würde ihn Souta-chan nennen und der Rotschopf könnte sich selbst etwas von diesem Kamillentee besorgen, weil ein Mann einen anderen nicht fragte, wie es eigentlich mit ihnen aussah. Männer isolierten sich in ihre Gedankenwelt, brachten eine Lösung hervor und versuchten währenddessen keine Aufmerksamkeit auf unangenehme Gesprächsthemen zu lenken. Irgendwann würden sie einen Punkt überschreiten, an dem sie darüber reden mussten, wie sie sich umeinander verhielten und dann würde jeder von ihnen ernüchtert sein und ihre Freundschaft würde zerbrechen. Das war der Lauf der Welt. Souta tat es weh, dass er nur eine Affäre war, Seraphim würde es wahrscheinlich wehtun, weil er den großartigsten Liebhaber aller Zeiten verlieren würde und am Ende war alles kacke. Wieso sollte man soetwas willentlich hervorrufen, wenn man auch einfach im Ungewissen herumdümpeln konnte? Bis auf Weiteres würde Souta seine Monogamie ignorieren und ihr keine Bedeutung beimessen und sich stattdessen auf die Fundamente ihrer Freundschaft stützen und versuchen, diese so fest wie möglich einzumauern, damit sie dem drohenden Bombenschlag standhielten, selbst wenn dies noch so utopisch war. Seit wann war es falsch, sich Illusionen hinzugeben? Das tat er doch schon immer. „Was ich mag?“, fragte er also, die Stimme ohne Anzeichen seiner philosopischen Gedanken und den Körper ein wenig dem des Weißhaarigen entgegengeneigt, „Na ja. Dich, offensichtlich. Auch wenn du mich nun erinnern musst dir zum Valentinstag ein Bild zu malen, was meine Emotionen zu dir widerspiegelt ...“ Er grinste und untermalte das ganze mit einer Hand über seinem Herzen und einer theatralischen Grimasse. „Ich mag Frauen. Die Natur mit Bäumen und Tieren. Barfuß laufen … Essen. Alle Formen von Essen. Sport und Training. Bücher, Waffen und Musik. Ich singe sehr gerne und angeblich auch ziemlich gut … Äh.“ Souta runzelte die Stirn und schaute nachdenklich ins Nichts. „Soll ich dir was vorsingen, ehe? Hm. Mehr weiß ich grade nicht, was ist mit dir?“