Im Prinzip war es nicht Valeries Schuld, dass sie die Situation überinterpretiert hatte. Sie hatte mit dem Rücken zum Geschehen gestanden, nicht gesehen was genau tatsächlich vorgefallen war und demnach aus reinem Instinkt und basierend auf Sylvanas Anschuldigungen reagiert. Das war ein Fehler von ihrer Seite und vermutlich fühlte sie sich deshalb bei Soutas Gefühlsausbruch mit einem Mal so schlecht. In einem Augenblick hatte die Sakai noch mit geradem Rücken und funkelnden Augen dagestanden, von der Wut und ihrem Stolz als Magierin gepackt, in der festen Absicht ihren beiden Kameraden klar zu machen, dass sie sich hier nicht auf einem Spaziergang befanden und diese sich dementsprechend verdammt noch mal zusammenreißen sollten. Doch innerhalb weniger Sekunden hatte der Rothaarige das Blatt gewendet und nun stand das Mädchen zusammengesunken auf der Stelle, die Stäbe schlaff in der Hand, so das diese drohten jeden Augenblick ihren dünnen Fingern zu entgleiten, die Augen auf den Boden zu ihren Füßen fixiert. Souta hatte etwas ungemein Autoritäres, wenn er es denn darauf anlegte und das erinnerte die Finsternismagierin auf beinahe befremdliche Art und Weise an ihren Vater, der ebenfalls niemals ein Geheimnis aus seiner Meinung gegenüber des Mädchens gemacht hatte. Auch in seinen Augen war sie nichts weiter als ein einfaches Kind, dass belehrt werden musste und offensichtlich nicht über genügend Wissen und Erfahrung verfügte, um ihre eigenen Entscheidungen und ihre eigene Meinung zu bilden oder gar zu vertreten. Bei Souta hatte sie nun ebenfalls das Gefühl, dass er in gewisser Art und Weise auf sie herabblickte und ihre Entrüstung und ihren Zorn nicht wirklich ernst zu nehmen schien. Vermutlich hätte sie diese Erkenntnis wütend machen sollen, aber tatsächlich ließ sie nur die Kehle des Mädchens schmerzhaft eng werden, während sie versuchte sich das Brennen aus den Augen fortzublinzeln, welches kommende Tränen ankündigte.
Normalerweise war sie nicht der Typ, der sich von solchen Dingen beeindrucken oder gar einschüchtern ließ und dennoch hatte die Situation etwas von einem unheimlichen Déjà-vu, welches einen Klumpen in ihrem Magen formte und ihre Hände verkrampfen ließ. Ja, Souta war ihrem Vater wirklich auf gespenstische Weise ähn-...Valerie verharrte in ihren Gedanken und ihre Augen fixierten geistesabwesend einen Punkt hinter dem Rothaarigen. Hatte sie gerade richtig gehört? Nein, sicher musste sie sich irren. Da hatte sie bestimmt etwas falsch verstanden. Anders ließ sich doch nicht erklären, dass Souta eben gesagt hatte, sein Partner hätte nichts gegen sein Verhalten, oder? Noch einmal ließ die Sakai die Worte des Feuermagiers durch ihren Kopf wandern, bis sie sich sicher war, dass seine Formulierung absolut keinen Irrtum zuließ, dann platzte sie mit dem erstbesten heraus, das ihr in den Sinn kam. “Du bist schwul?“ In ihrer Stimme lag nichts als pure Überraschung, während ihre dunklen Augen sich für einen Augenblick weiteten und sie den Größeren voller Verwunderung anstarrte. Niemals hatte sie damit gerechnet, dass Souta eventuell an Männern interessiert sein könnte. Dort, wo Valerie herkam, galt eine solche Orientierung ohnehin als ein Tabuthema, über das niemals gesprochen wurde und sie hatte noch nie jemanden getroffen, der seine...Vorlieben so offen und ohne Zurückhaltung aussprach. Dann jedoch kam ihr mit einem Mal ein erschreckender Gedanke. Was, wenn sie ihn beleidigt hatte, mit der unterschwelligen Behauptung, er könnte sich für Sylvana auf unanständige Art und Weise interessiere. Voller Entsetzen sog das Mädchen die Luft scharf zwischen ihren Zähnen ein, ehe sie sich recht eilig in eine entschuldigende Verbeugung zwang. “Es tut mir wirklich leid, falls ich dich beleidigt habe. Das war ehrlich nicht meine Absicht. Ich hätte besser auf das achten sollen, was passiert ist. Ich bin nur seit wie hier sind so schrecklich angespannt und meine Nerven liegen praktisch blank, da habe ich eben einfach aus dem Impuls heraus gehandelt.“ Normalerweise war die Sakai wirklich kein Mensch, der sich bei anderen oft entschuldigte oder gar etwas aus tiefstem Herzen bereute, aber nun, da die Möglichkeit bestand, den Rothaarigen ernsthaft gekränkt zu haben, wurde ihr das Herz doch etwas schwer in der Brust. Sie hoffte wirklich, dass er ihr verzeihen würde und ihr das impulsive Verhalten nicht zu sehr nachtragen würde. Immerhin standen sie mit ihrer aktuellen Situation schon unter genug Druck, als das sie sich noch einen inneren Gruppenstreit erlauben konnte. Außerdem hatten sie sich doch bisher alle so gut verstanden, da wäre es doch schade, wenn es nun an einer solchen Kleinigkeit scheitern würde...

Souta hasste es, der Leiter zu sein. Seit vielleicht etwas mehr als einer halben Stunde besaß er nun die Verantwortung für sein kleines Squad und trotz all seiner aufrichtigen Bemühungen hatte er sich in dieser kurzen Zeit als Vollidiot hingestellt, eine Frau gegen ihren Willen geküsst, sich mit seinen Teammitgliedern gestritten und sich überdies anscheinend auch noch geoutet. Und seine treuen Kameraden sahen nicht einfach über diesen letzten Fakt hinweg, nein, das wäre ja zu schön für unseren Kettenmagier. Inmitten der regenbogenfarbig blinkenden Lichter des Ganges, mit dem Arsch zur Barierre und dem Kopf zu einer merkwürdig summenden, flüsternden Menge, im Traumland der Epilepsie, in das sich Acid nehmende Junkies verkrochen, wenn sie richtig abheben wollten, stand Valerie mit ihrer blassen Haut und ihren ebenholzfarbenem Haar und fragte ihn, ob er schwul sei. Als gewissenhafter Gruppenanführer, von dem in einer solch entgleisten Situation erwartet wurde, mit eiserner Hand durchzugreifen und Sylvanas Einsicht zu bestärken, indem er als gutes Vorbild voranschritt, tat er das einzig Richtige: Er lief rot an, wedelte mit den Armen und machte ein Geräusch, das klang, als würde man auf ein Gummihühnchen treten. Man sollte an dieser Stelle wahrscheinlich erwähnen, dass Souta ein kompletter Idiot war. Manchmal, im Eifer des Gefechts, spalteten sich die Lippen des adonisgleichen Magiers und entließen hinreißend schlagfertige Kommentare und gewitzte Spitznamen für seine Feinde, aber in vielen Momenten riss der Rotschopf gerne einmal die Klappe auf und entließ neben heißer Luft etwas, was er gar nicht hatte erzählen wollen. So war sein Gedankengang, während er sich Valerie gegenüber rechtfertigte, dass er sich ihr gegenüber nicht zu rechtfertigen hatte, vermutlich etwas in die Richtung eines bissigen Kommentars, der sie aus dem Latschen hauen sollte, wobei er versehentlich seine fragwürdige sexuelle Ausrichtung zum Thema machte, über die er allerdings eher ungerne sprach, weil sie eben sehr fragwürdig war. Für ihn. Für alle anderen war ziemlich klar, dass er auf Frauen stand und zufällig einen männlichen Freund hatte. Souta ruderte so heftig mit den Armen, weil er das Gespräch zu seinem Ursprung zurückbringen wollte, denn er war lieber ein mieser Anführer als schwul … Nur konnte er sich diesen Schuh jetzt unmöglich wieder ausziehen. „Nein, nein, Valerie. Ich bin nicht schwul. Ich habe eine Beziehung mit einem Mann, mit dem ich quasi zusammenlebe und wenn sich unsere Blicke treffen, möchte ich die Glanzlichter der Sterne in seinen amethystfarbenen Augen zählen und seine Marmorhaut unter meinen Fingern fühlen, aber … Ich bin nicht schwul!“ Kam nicht so gut, was? Souta atmete tief durch und erinnerte sich daran, dass dieser Auftrag keine Beziehungsratgeberstunde war und dass er dem Mädchen überhaupt keine Rechenschaft schuldete. Hätte sie sich doch bloß nicht so kleinlaut bei ihm entschuldigt und dabei so niedlich ausgesehen, dann säße er jetzt nicht in dieser verdammten Patsche … „Also … eigentlich bin ich nicht schwul“, meinte er und klang dabei doch ganz überzeugend, so wie er hoffte, wobei er sich halb umdrehte und pinkfarbene Kristalle über seinen Rücken tänzelten. „Es ist nur er.“ Gott, wie konnte etwas in seinem Kopf so gut klingen und ausgesprochen so furchtbar kitschig? Wieso musste er lächeln? Was zur Hölle? „Ich … ich … ENTSCHULDIGUNG ANGENOMMEN. WEITER!“ das Murmeln übertönte seinen hysterischen Ruf fast, deshalb streckte er den Arm in die Richtung des Ganges aus und schritt mutig voran, in der Hoffnung eine von der Decke schwingende Klinge möge ihn nach den nächsten paar Schritten enthaupten.

Aha, Souta war also schwul? Oder eher mit einem schwulen Kerl in einer Beziehung, obwohl er eigentlich nicht schwul war. Mit schiefem Kopf beobachtete die Dragonslayerin die ganze Szene. So ganz verstand Sylvana nicht das ganze Theater um die Tatsache, dass Souta nun auf Kerle stand – oder er mit einer Beziehung mit einem Kerl war, der schwul war, es aber selber nicht war. Allein diese Aussage ließ Sylvana verzweifelt ihre Hand gegen die Stirn klatschen. Dann war er halt eben schwul, na und? Was war daran so problematisch? Vorallem die Überraschung in Valeries Stimme und die Überraschung in ihrem Blick konnte Sylvana so gar nicht verstehen und für einige Momente wollte sie das Thema auch noch einmal anschneiden, beließ es aber dabei, als Souta hysterisch zu werden schien. Seufzend ließ sie die Schulter hängen und schaute ihm nach. Warum nur diese ganze Aufregung um so ein unwichtiges Thema? War doch völlig egal, ob Souta nun auf Männer, Frauen oder Tiere (gut, hier wurde dann schon die Grenze zur Eigenartigkeit überschritten) flog, so war die Liebe eben: Man konnte sich nicht aussuchen, an wen man sein eigenes Herz schließlich verlieren würde. Gut, Sylvana war noch nie in einer solchen Situation gewesen und kannte auch keine Leute (zumindest stand sie in diesem Glauben), die Gefallen am gleichen Geschlecht fanden, von daher konnte sie sich da keine eigene Meinung basierend auf Erfahrung machen. Fakt war aber, dass Raiden sie doch recht weltoffen aufgezogen hatte (der Fakt, dass Drachen sich nicht fortpflanzten mochte da wohl eine große Rolle gespielt haben). Liebe ist vielfältig, genau wie all die verschiedenen Arten von Magie, Tieren, Pflanzen und Menschen auf dieser Welt – genau so hatte der weise Drache es ihr vor vielen Jahren erklärt, was Liebe war, wie sie aussah und ob man sie essen konnte. Ja, auch Sylvana war mal ein kleines, naives und unwissendes Mädchen gewesen und hatte ihre toughe Art nicht schon in ihrer Kindheit mit großen Löffeln verschlungen. Sie hat erst zum Ende ihrer Ausbildung unter Raiden gelernt, dass man Bienen doch kauen konnte. Auch wenn man das nach ihrer Angsteskapade vielleicht nicht mehr glauben mochte…
Ohne lange zu zögern schritt Sylvana dem rothaarigen Magier hinterher, beschleunigte ihren Gang um zu ihm aufschließen zu können, nur um dann ihre Hand auf seine Schulter zu legen. „Für mich bleibst du trotzdem noch ein Kerl, auch wenn du einen festen Freund hast.“ Sanft lächelte sie ihn an, überholte ihn und ging mit Rückwärtsschritten vor ihm weg. „Wenn wir das hier überstanden haben, dann musst du mir deinen Herzbuben mal vorstellen, okey?“ Kurz zwinkerte sie ihm zu, drehte sich dann wieder um und übernahm die Führung. Hätte sie gewusst, wer denn überhaupt hinter diesen ominösen Freund stand, hätte sie die letzten Worte sicherlich nicht so fröhlich formulier. Aber gut, sie war halt in dieser Situation einfach nicht wissend, was vielleicht doch besser war.
Eigentlich war dieser ganze Gang nicht wirklich merkwürdig, wenn man das Gemurmel und den wohl völlig krassen Drogentrip einmal beiseite ließ. Jetzt hatte Sylvana nur einen Grund mehr nie in ihrem Loben zu diesen merkwürdigen Substanzen greifen zu wollen. Wer wollte so ein Farbenmeer nur freiwillig erleben?! Ohne sich was weiteres zu denken schritt Sylvana tiefer in den Gang hinein, achtete natürlich zu jedem Zeitpunkt wieder auf Fallen oder Fallgruben, man wusste ja nicht, was hier noch so alles auf einen wartete. Dem Zugrunde gelegt entdeckte die Fernandez schließlich auch eine für sie recht eigenartige Nische. Auf den ersten Blick, wenn man nicht direkt daneben stand, nicht wirklich eindrucksvoll, zeigte sich die Eigenartigkeit dieses Flecks in der Kristallwand erst dann, wenn man in sie hereinsehen konnte. Verwirrt rieb die Dragonslayerin ihre Augen, vermutete eine optische Illusion oder ein merkwürdiges Spiegelbild. Da kauerte doch tatsächlich eine Person, die Beine eng an den Körper geschlungen, die langen, schwarzen Haare tief im Gesicht hängend, und murmelte vor sich hin. Zwar mochte man nicht verstehen, welche Worte seine Lippen verließen, doch ging Sylvana davon aus, dass es ein Mosaiksteinchen in dem unverständlichen Gemurmel des Bienenschwarms aus Stimmen war, was er da von sich gab. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, berührte vorsichtig das Knie der Person, die vom Körperbau her auf einen Mann schließen ließ (oder auf eine Dame mit wirklich nicht existenten Vorbei). „Hallo? Können sie mich verstehen?“ Ein kleines Stück hob er seinen Kopf, schien seinen Blick auf sie zu legen, Sylvana erkannte jedoch schnell, dass dies nicht der Fall war. Seine Augen waren leer, wiesen keinen Funken Leben vor und starrten geradewegs durch sie durch, als würde sie dort garnicht stehen, ehe der Kopf wieder nach unten sackte und sein abwesender Blick sich auf ihre Beine zu wenden schien – doch auch diesmal war Sylvana klar, dass er sich nicht auf sie fokussierte, sondern einfach ins Nichts starrte. Als sei nichts vor ihm als völlige Finsternis. Besorgt schaute sie zu Souta und Valerie, schritt zur Seite, damit sie sich auch ein Bild von dem eigenartigen Mann machen konnten. „Ich frage mich, was ihn in diesen Zustand versetzt hat…“

Valerie wusste nicht wirklich, was sie mit der ganzen Situation anfangen sollte. Hier stand sie also, die Augen in Verwirrung leicht geweitet und den Mund, als Reaktion auf Soutas Redeschwall leicht geöffnet, in der Überlegung, was wohl eine angemessene Reaktion auf seine Antwort wäre und zudem nicht ganz sicher, was sie von der gesamten Unterhaltung überhaupt halten sollte. Es mochte noch so viele offene Menschen wie Sylvana geben, welche sich durch ihre Erziehung ein sehr tolerantes und liberales Weltbild angeeignet hatten und dennoch konnte man Valerie Sakai unter keinen Umständen zu dieser Sorte Mensch zählen. Sie war streng erzogen worden und auch wenn ihre Eltern sich bemüht hatten, ihr immer jeden Wunsch von den Augen abzulesen, so hatten sie ihr auf der anderen Seite dennoch klare Grenzen aufgezeigt, nach welchen sich das Mädchen zu richten hatte und von denen klar war, dass diese besser nicht überschritten wurden. Sexualität war eine davon. Im Hause Sakai hatte man das jüngste Kind natürlich grob über die Liebe und auch über die körperliche Fortpflanzung aufgeklärt und dennoch wurden Orientierungen, die über die Liebe zwischen Mann und Frau gingen, vorsichtig umschifft und niemals mehr als schwammig angedeutet. Eine Beziehung zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau war daher gerade für die jüngste Sakai seit jeher recht undenkbar gewesen und dementsprechend verwirrt war sie nun auch über Soutas Reaktion. Er war also...nicht schwul aber dennoch mit einem Mann in einer Beziehung? Man konnte das große gelbe Fragezeichen beinahe über dem hübschen Köpfchen der Sakai schweben sehen, während sie versuchte herauszufinden, was genau das eigentlich zu bedeuten hatte. Das Souta keine Frau war, da war sie sich ziemlich sicher, aber das konnte ja auf der anderen Seite nur bedeuten, dass es ihm...naja...egal war, was für ein Geschlecht sein Partner besaß. Oder aber dieser hatte eine so feminine Seite, dass man ihm sein Geschlecht gar nicht erst anmerkte.
Verwirrt fuhr sich die Finsternismagierin mit der freien Hand durch die Haare, während sie ihren beiden Partnern noch immer leicht in Gedanken verloren hinterher blinzelte und dabei versuchte, sich auf Sylvanas Worte zu konzentrieren. Sie kannte Soutas ominösen Freund also auch nicht? Nun, in jedem Fall ging sie mit der ganzen Situation deutlich souveräner um, als die Sakai selbst, weshalb diese beschloss, sich eilig am Riemen zu reißen und die Entfernung aufzuholen, welche sich unterdessen zwischen ihr selbst und ihren beiden Gefährten gebildet hatte. “Ich würde deinen Freund auch sehr gerne kennen lernen, Souta-kun.“, meinte sie dann noch liebenswert, ehe sie sich begleitet von ihrem altbekannten Lächeln wieder auf ihre Umgebung konzentrierte und versuchte, den Zweck hinter diesem glitzernden Party-Gang zu ergründen. Es schien nichts Ungewöhnliches vorzuliegen, keine eigenartigen Magieschwingungen und auch sonst nichts, was einen Grund zur Beunruhigung geben könnte oder sonst irgendeinen Hinweis auf Gefahr gab. Nun, wenn man von den seltsamen Stimmen absah, dessen Ursprung noch immer ungeklärt war, natürlich. Diese schafften es nämlich noch immer, eine leichte Gänsehaut über die Arme der Sakai tanzen zu lassen, während sie krampfhaft versuchte sich auf Sylvana vor ihr zu konzentrierten. Denn den Worten zu lauschen schien ohnehin keinen Sinn zu machen, war es doch unmöglich, klare Sätze oder Ausdrücke aus dem Wirrwarr der Geräusche zu filtern und ihnen eine Bedeutung zu entnehmen. Dann jedoch hatte Sylvana etwas entdeckt und als sie zur Seite trat, um dem Rest der Gruppe einen Blick auf ihren Fund zu gestatten, wäre Valerie in ihrem Entsetzen beinahe einige Schritte zurück gestolpert. Normalerweise war sie wirklich niemand, den man als leicht zu verängstigen bezeichnen würde und dennoch hatte der leere Blick der Person etwas derart kaltes und grausames, dass sich die Sakai zusammenreißen musste, um nicht in plötzliche Panik oder Angst zu verfallen. Die Dunkelhaarige zwang sich tief durchzuatmen, dann versuchte sie sich zu konzentrieren. Wie konnte man der Person wohl am besten helfen? Irgendetwas um ihn aus seiner Lethargie zu befreien...ihm zu helfen...
Man konnte das Plingen beinahe hören, als der Magierin mit einem Mal ein Licht aufging und ihr eine Idee kam. Sylvanas Berührung hatte offensichtlich nicht wirklich etwas gebracht, aber warum nicht versuchen, sich auf andere Art und Weise einen Zugang zu der verstörten Person zu verschaffen? “Ich habe eine Idee, wir wir ihn vielleicht zu uns zurückholen können...“, meinte sie schließlich langsam und war dann auch schon vor dem Mann auf die Knie gesunken, ehe sie vorsichtig die magieblockenden Stäbe auf den Boden zu ihrer Seite legte. Dann hob sie die Hand, konzentrierte ein wenig Mana in ihren Fingerspitzen und kurz darauf waren diese auch schon in einer flinken Bewegung durch die Luft gehuscht, woraufhin in leuchtenden Runen das Wort „Herz“ in der altertümlichen Sprache vor ihr in der Luft zu leuchten begann. Dieses war kurz darauf auch schon wieder verschwunden und leuchtete dann auf dem Bein der zusammen gekauerten Gestalt wieder auf. Erwartungsvoll starrte Valerie auf den Fleck, an welcher ihre Runen in hübschem, dunklen lila leuchteten, in der offensichtlichen Erwartung einer Reaktion, doch diese blieb aus. Ein Seufzen entwich der Sakai, dann blies sie frustriert die Wangen auf, ehe sie den Zauber löste, die Stäbe griff und sich wieder auf ihre Füße kämpfte. “Nun gut, dass hat offensichtlich nicht geklappt. Was machen wir jetzt? Wir können ihn immerhin nicht einfach hier liegen lassen, oder?“ Denn auch wenn ihre eigentliche Aufgabe eine andere war, so ging es hier immer noch um ein Menschenleben, oder?

Es tauchten keine schwingenden Klingen oder rotierende Sägeblätter auf, welche die Scham des Rothaarigen durch einen schnellen Tod mindern konnten, daher verschwand weder der rosarote Schimmer auf seinen Wangen noch das nagende Gefühl, dass dieses Gespräch in die vollkommen falsche Richtung verlaufen war. Irgendetwas hatte er wohl getan, damit das Schicksal ihn dermaßen bestrafen musste … Und nun wollten seine Teamkameraden seinen Freund kennen lernen. Seinen … Herzbuben. Souta wusste nicht so recht, ob er wegen dieser Bezeichnung nun lachen oder weinen sollte, denn einerseits traf sie überhaupt nicht zu und war eine geradezu makabre Peversion des Charakters seines Lebenspartners, andererseits musste sein Hirn automatisch daran denken, was Seraphim wohl mit ihm machen würde, wenn er durch einen solchen Titel seine Männlichkeit anzweifelte … Und das sorgte für einen satten, dunkelroten Kirschton, der mindestens so sehr leuchtete wie die Wandlichter. Es war aber auch unfair. Eigentlich wollten sie hier die Welt retten und sich als großartige Helden hervortun, aber irgendwie waren sie jetzt soetwas wie Freunde und Souta hatte aus Versehen ein Coming-out angezettelt, das er nicht mehr rückgängig machen konnte. Was, wenn sie das nun jedem erzählten, den sie trafen? Sein Ruf wäre sofort dahin und jeder würde ihn für das Betthäschen eines S-Rang-Magiers halten und seine eigenen Erfolge als nichtig bezeichnen. Es stimmte schon, dass er durch seine Beziehung in der Gilde in etwa denselben Status wie ein Dragonslayer bekam, weil er von einem solchen beschützt wurde, aber das war doch nicht sein Wunsch gewesen oder seine Motivation … Nein, das durfte sich nicht verbreiten, daher durften sie auch nicht wissen, wer genau sein Freund war. Valerie würde das wahrscheinlich nicht sonderlich kratzen, da sie ihn nicht kannte, aber Sylvana war in derselben Gilde und zudem noch ein weiterer Dragonslayer. Andererseits war es irgendwie aufregend, weil er schließlich keine Familie besaß und es das erste Mal sein würde, dass er jemanden als seinen Freund vorstellte – normalerweise konnte man seine Liebschaften nämlich nicht als solche bezeichnen. Vielleicht sollte er ihre Neugierde also doch befriedigen, doch das würde er später entscheiden, wenn es soweit war. Irgendwo in diesem Schloss mussten sie schließlich aufeinanderstoßen, oder? Zunächst einmal war ihre Aufgabe jedoch wichtiger als dieser ganze romantische Kram, also fasste sich das Rothaar ein Herz und schritt mit gewohntem Selbstbewusstsein hinter seinen Schützlingen her, wobei ihm durch das merkwürdige Gemurmel Schauer über seine Wirbelsäule liefen. Er hatte nicht direkt Angst, sondern eher ein mulmiges Gefühl, eine leise Vorahnung, dass sie hier schnell Probleme bekommen könnten, wenn sie nicht genau darauf achteten, was sie taten. Schreie, Lichter und nun auch noch Murmeln, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Souta schritt den Gang entlang und blieb stehen, als Sylvana eine Person entdeckte, die den Kettenmagier sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Zunächst musste man annehmen, dass er einer dieser Schergen war, welchen sie bekämpfen sollten, doch schon nach den ersten paar Sekunden war klar, dass dieser Mensch nichts dergleichen war. Er schien verwirrt, brummelte vor sich hin und hatte keine Augen für die Umgebung. Worte, Gerüttel und sogar Magie prallten einfach an ihm ab und es hatte den Anschein, als wäre er gar nicht auf dieser Sphäre, sondern irgendwo ganz weit weg. Drogen, vielleicht, diese würden auch den glasigen Blick erklären, aber seltsamerweise befanden sie sich hier ja in einem Kristallschloss, welches frei von Zivilisten sein sollte … Was war also mit dieser Person geschehen? Souta runzelte auf Valeries Worte hin die Stirn und erlebte einen kurzen Gewissenskonflikt. Natürlich hatten sie einen Auftrag und konnten nicht einfach mit einer Person herumlaufen, welche sie verlangsamte, denn es war wahrscheinlicher, dass sie ihre Last in Gefahr brachten und sie hatten ja auch noch das Zeitlimit … Jemanden bei ihm zurücklassen klappte natürlich auch nicht, daher mussten sie ihn fast sitzen lassen, obwohl das Souta persönlich mehr als nur widerstrebte. „Hm, wartet hier. Vielleicht gibt es irgendwo einen sicheren Ort, wo wir ihn hinbringen können.“ Tatsächlich hörte das Geblinke wenige Meter den Gang entlang, nach einer scharfen Biegung, plötzlich auf. Souta nickte den beiden zu und umrundete die Kurve, nur um vor einer kristallenen Tür zu stehen, mitsamt eines funktionsfähigen Knaufs und einer schönen Musterung. Vorsichtig versuchte er, sie zu öffnen, und stellte fest, dass die nicht abgeschlossen war, doch als er in den Raum dahinter linste, verschlug es ihm den Atem.

Es war ein relativ großer Saal, mit schmuckvoller Dekoration und einer beeindruckenden Masse an Fläche, weswegen Souta annahm, dass er als Dinier- oder Ballsaal benutzt werden sollte. Es gab jedoch keine Tische und keine Stühle, sondern nur Menschen, davon jedoch einige. Sie saßen auf dem Boden oder wankten in immer gleichen Strecken durch den Raum, wobei sie teilweise aneinander stießen, umfielen und liegen blieben, ohne auf die Umgebung zu reagieren. Es waren vielleicht zwanzig oder dreißig Personen in dem Saal, und alle murmelten ihren unverständlichen Singsang, was unisono zu einem Brummen anschwoll, welches sie schon im Gang vorher zu Hören bekommen hatten. Souta beobachtete entsetzt, wie leer die Augen der Menschen waren und wie wenig es sie zu stören schien, dass er hier aufgekreuzt war. Was war mit diesen Leuten los? Wieso waren sie so merkwürdig? Der Feuermagier schluckte und kehrte zu den beiden Mädchen zurück, ehe er mit dem Daumen über die Schulter zeigte. „Ihr solltet euch das mal ansehen ...“

Was auch immer hier vor sich ging, es ließ Sylvana eiskalte Schauer den Rücken runterlaufen. Was war nur mit diesen armen Menschen passiert, dass sie fast schon wie Zombies durch die Gegend taumelten? Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe rum, während sie neben Souta dem Schauspiel mit ihren Augen folgte. Egal, wie sehr sie ihre Ohren spitzte und eine einzelne Stimme rauszuhören versuchte, sie ging nach nur wenigen Augenblicke im Meer der anderen Stimmen unter. Sie mochte eine Dragonslayerin sein, aber die Verbindung zur alten Magie der Drachen hatte nur ihre Nase, nicht ihre Ohren empfindlicher werden lassen. Dabei war ein scharfes Gehör gerade etwas, was Sylvana gerne gehabt hätte. Vielleicht ließ sich ja aus dem Gesang, wenn man ihn denn verstehen mochte, ein Hinweis raushören. Aber zurück im Text, immerhin war Sylvana momentan eher auf das Verhalten der Menschen in dem Saal fokussiert. Einige Ideen, was dahinterstecken könnte, hatte sie bereits: Psychotrope Substanzen, Illusionszauber oder ein antiker, sehr komplexer Fluchzauber. Bedachte man nun den Zustand des Mannes, den sie vorhin entdeckt hatten und übertrug die Erkenntnis, dass sie anscheinend ihre Umgebung nicht wahrnahmen und Magie keinen sichtbaren Einfluss auf sie zu tragen schien, auf all die Personen, die sich hier im Raum befanden, machten Drogen und Illusionen keinen Sinn. Ein äußerer Einfluss reichte oftmals schon, um einen Illusionszauber zu wirken und keine Droge dieser Welt konnte so stark sein, dass sie die Wirkung eines Zaubers übertrumpfen konnte. Wobei, wer wusste schon, ob es nicht doch so eine Droge gibt. Was nun auch immer stimmte, je mehr sie darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher schien die Wirkung eines Fluchzaubers auf ihnen zu liegen. Zugut erinnerte sie sich noch daran, wie mächtig ein Fluch doch sein konnte, als sie von einem dieser alten Zauber beeinflusst worden war. Gut, an die Zeit, wo sie unter dem Fluchbann gestanden hat, konnte sich Sylvana nicht wirklich erinnern. Dennoch konnte sie aus der Beschreibung ihres damaligen Partners Kabuto über ihr Verhalten, sowie aus einem Buch, welches bei der leichtesten Berührung fast schon zu Staub zerfallen wollte, so in etwa die Wirkung des Fluchs, der auf ihr gelegen hatte, rekonstruieren. So hübsch es sich auch anhörte und Sinn in Sylvanas Köpfchen machte, gab es doch auch ein großes Problem mit dieser Überlegung: Als sie gestolpert und physischen Schmerz gespürt hatte, konnte sich ihr Körper aus der Kontrolle des Fluchs befreien. Dies schien bei diesen Menschen jedoch nicht der Fall zu sein, so wie sie ständig auf den Boden fielen, ohne sich dabei auch selbst zu schützen. Was wurde hier nur gespielt?!
„Das gefällt mir nicht…“ Sylvana ballte ihre Hände zu Fäusten, schien für einige Augenblicke mit dem Gedanken zu spielen, ein kleines Experiment mit physischer Gewalt veranstalten zu wollen. Was würde es ihr aber bringen? Sie würde eine unschuldige Person verletzten und ihr garantiert nicht aus ihrem Delirium befreien können. Eigentlich konnten sie ihnen nicht einmal helfen, was die Dragonslayerin irgendwie nicht akzeptieren wollte. Gut, es gab eine Möglichkeit, nur konnten sie da nichts direkt machen. „Wir müssen diese Menschen hierlassen und unsere Aufgabe beenden. Wenn die Barriere zerstört ist können die Runenritter die Menschen hier evakuieren und hoffentlich aus diesem Zustand befreien. Souta, kannst du über dein Kommunikationslacrima den Runenrittern von den Umständen hier berichten, damit sie dann auch beim Sturm auf das Schloss eine Einheit beauftragen können diese Leute zuerst in Sicherheit zu bringen?“ So ganz wusste Sylvana nicht, ob ihre Gedanken wohl die beste Möglichkeit waren, diese armen Menschen wieder zurück in die Welt der Lebenden zu bringen, aber sie durften sich jetzt nicht von ihnen aufhalten lassen, soviel stand fest. Immerhin hatten sie gerade eine wichtigere Aufgabe, mit welcher sie eventuell ihre Sicherheit gewährleisten konnten.

Valerie gehörte eindeutig nicht zu den Menschen, die das Leid anderer Menschen großartig interessierte. Natürlich hatte sie Ivy damals erzählt, dass sie Magierin geworden war, um anderen Menschen zu helfen und ihnen beistehen zu können, doch in Wirklichkeit war diese Antwort mehr Schein als sein gewesen und die Wahrheit nicht ganz so schön und bei weitem nicht so edelmütig. Tatsächlich hatte die junge Sakai den Weg der Magie gewählt, weil sie, wie so viele andere Menschen, nach Macht und Stärke gegiert hatte. Sie hatte dem goldenen Käfig, der damals ihr Zuhause gewesen war, entfliehen und sich ihre eigene Existenz aufbauen wollen, ganz zu schweigen von der Aufmerksamkeit und der Anerkennung, die sie so begehrt hatte. So wirklich hatte ihr das Wohlbefinden anderer Menschen nicht am Herzen gelegen, im Prinzip ließen sich die Handlungen, die sie zur Hilfe anderer getroffen hatte, mit Leichtigkeit als Eigennutz widerlegen und auf das Bedürfnis nach Gesellschaft und Anerkennung zurückführen. Valerie war einfach kein Empath, weshalb es ihr auch nicht sonderlich leicht fiel, sich mit den Gefühlen anderer Menschen auseinanderzusetzen, ganz zu schweigen von ihren eigenen. Dabei hielt sie sich selbst, vor allem auf Grund ihrer recht verrückten Theorie in Bezug auf das menschliche Glück und die damit verbundene Erwartungshaltung durchaus für einen Kenner ihrer eigenen Spezies, wenn auch nicht so, wie andere Personen es wohl möglich bei ihr vermuten würden. Valerie war sich sicher, dass sie wusste, was genau Menschen wollten, doch das hieß noch lange nicht, dass sie auch verstand, warum dem nun eigentlich so war. Nun, in jedem Fall konnte man von der Finsternismagierin nicht wirklich behaupten, dass sie von dem Unglück anderer Menschen sonderlich betroffen wäre und dennoch erschreckte sie das Bild, mit welchem sie in dem hübschen Kristallsaal konfrontiert wurde. Die vielen Menschen schienen wie tausend und abertausende Eindrücke auf sie einzuhämmern, während sie wie an der Stelle festgefroren da stand, nicht sicher, was genau sie von der ganzen Situation eigentlich halten sollte. Nie zuvor war sie einer Magie begegnet, die sich ähnlich verhielt, wie die, mit welcher diese Menschen offensichtlich verzaubert worden waren. Hier war eindeutig ein schonungsloser und grausamer Magier am Werk und wo das die junge Sakai auf der einen Seite durchaus faszinierte und beeindruckte, machte es ihr auf der anderen Seite auch in gewisser Weise Angst und beunruhigte sie. “Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, sie einfach hier zurückzulassen?“, meinte sie schließlich auf Sylvanas Aussage, während sie sich nachdenklich mit der freien Hand durch die Haare fuhr. “Wer weiß schon, wann die Runenritter da sind und ihnen helfen. Es besteht vermutlich keine Gefahr für sie, immerhin scheinen sie sich schon länger hier zu befinden ohne das irgendetwas passiert ist, aber meint ihr nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn wenigstens einer von uns hier bleibt und auf sie acht gibt?“ Nicht, dass diese völlig apathischen Menschen sich noch etwas antaten oder etwas anderes Schlimmes geschah. Wobei, wenn Valerie sie so objektiv betrachtete, dann wirkten diese Personen nicht, als würden sie recht bald aus ihrer Trance erwachen und irgendein Unheil anrichten. Und so richtig behaglich war ihr der Gedanke auch nicht, die Gruppe könnte sich auf Grund dieses Vorfalls trennen und einer von ihnen würde hier alleine zurückbleiben. Rein logisch wäre das nämlich sie selbst, wenn man allein von den einzelnen Fähigkeiten der Gruppenmitglieder ausging und auch wenn Valerie sich schon lange nicht mehr vor der Dunkelheit fürchtete, so hatte sie doch noch immer so ihre Probleme mit der Einsamkeit, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ein Aufenthaltsort zwischen lauter verwirrter und gruselig murmelnder Menschen nicht unbedingt einen wahr gewordenen Traum darstellte. Man befand sich also in jeder Hinsicht in einer Zwickmühle und wieder einmal lag es im Prinzip an Souta, als Teamleiter zu entscheiden, wie es mit der kleinen Gruppe weiter gehen würde. Eine blöde Situation und Valerie war nicht zum ersten Mal froh, dass sie hier bei dieser Quest nicht in der Haut des Rothaarigen steckte. Die Verantwortung für sein eigenes und das Leben zweier weiterer Personen zu tragen konnte ganz einfach nicht leicht sein, vor allem nicht, wenn dann überraschend auch noch zwanzig Personen ganz unerwartet dazu kamen. Blieb nur zu hoffen, dass der Feuermagier eine Idee hatte, was genau sie jetzt tun sollten und wie weiter vorzugehen war.

Im Laufe seiner Ausbildung in einer Magiergilde wurde ein Lehrling der Zauberei in vielen praktischen Dingen unterrichtet und übte seine Kampfeskraft auf den Trainingsgeländen zu beweisen. Aber es gab nun einmal gewisse Dinge, auf die man sie unmöglich vorbereiten konnte, obwohl die erfahrensten Magier ihr Möglichstes versuchten: Das dumpfe, schmerzhafte Ziehen in der Brust, wenn das naive Versprechen an eine Zielperson zum ersten Mal mit der Leiche eines Sohnes, einer Tochter oder eines Partners endet. Der Ekel und die Abscheu beim ersten Blick in die gestörte, böse Natur eines Gegenübers, dem nicht mehr zu helfen ist. Das hilflose Zittern in den Händen und dem Herzen, wenn man der Grund dafür ist, dass ein anderes menschliches Wesen seinen letzten Atemzug haucht … und der Blick von Untergebenen auf einer speziellen, besonders schweren Quest, während man in einem Raum voller katatonischer Gestörter stand und ein Flattern im Bauch spürte, das an eigene Panik und Hilflosigkeit grenzte. Souta erlaubte sich keinen Blick auf die über den Boden rollenden Menschen mit ihren glasigen Blicken, er erlaubte sich nicht einmal einen abtrünnigen Seufzer, der irgendwie auf Überforderung schließen könnte. Der Druck des magischen Handschuhes kam ihm plötzlich unbequem und einengend vor, die massiven Kristallwände um ihn herum viel zu nahe. Der Kettenmagier fühlte sich für einen Moment wie eine in die Enge getriebene Wildkatze, mit einem abgeschnittetem Rückzugort und dem unbestimmten Gefühl lauernder Gefahr. Er wusste nicht, ob er kurz davor war, sich zu vergessen und die Angst in seinen Gliedern in gerechten Zorn auf ihre Feinde umschlagen zu lassen oder ob er weiterhin durch die Verantwortungen tänzeln sollte, wie es nur jemand konnte, der mit seiner Samtpfötigkeit durchs Leben schritt, deshalb schwieg er und tat so, als würde er sich genau überlegen, welche Entscheidung er fällen wollte und verschiedene Argumente abwägen.
In Wirklichkeit rang Souta mit dem Anblick dieser gebrochenen Menschen, deren Zustand ihn auf unangenehme Weise berührte. Er hatte sich die Leitung nicht ausgesucht, sie war ihm einfach zugeteilt worden, nicht wahr? Das Leben dieser beiden Frauen war einfach in seinen Schoß geschleudert worden, ohne darüber nachzudenken. Man hatte die besten Magier des Landes genommen und ihnen Gruppen zugeteilt, so dass er nun mit zwei quasi wildfremden Personen hier stand, für die er nicht mehr als kameradschaftliche Verbundenheit verspüren sollte. Wäre er Seraphim, würde eine naturgegebene Überheblichkeit seine Nervosität verbergen, er würde seine Teammitglieder verspotten und provozieren, bis ihre Ärgernis ihre eigene Angst überlappte … Aber er war Souta. Er hatte genau fünf Minuten gebraucht, bis er diese beiden dummen Mitglieder seines Teams in sein Herz gelassen hatte und nun waren sie dort verkeilt wie eine partikulär nervtötende Fischgräte, die er in seiner Gier, es allen recht zu machen, verschluckt hatte. Und nun erstickte sie ihn langsam … Bloß durfte er nicht husten, nicht einmal ein bisschen, sonst verriet er sich am Ende noch und dann war alles vorbei.
Das grüne Auge scannte den Raum und suchte nach irgendeinem Ausweg, wobei er es tunlichst vermied, allzu viel Aufmerksamkeit auf die kriechenden und murmelnden Menschen zu verschwenden, die in ihrer ganz eigenen Welt zu leben schienen. Nur einen winzigen Gang vor ihnen hatten sie einem Spiegel ins Auge geblickt, doch ironischerweise erkannte Souta in diesen geschädigten Individuen mehr von sich selbst als in tausenden Spiegelbildern steckte. Vielleicht würde er in ein paar Jahren auch so enden … Kriechend und so verzweifelt an etwas geklammert, dass alles um ihn herum unwichtig wurde. Würde es sein Stolz sein? Seine Menschlichkeit? Der letzte Rest geistiger Gesundheit?
„Ja. Ich kümmere mich sofort darum.“ Seine eigene Stimme wirkte wie ein Pflaster, welches man zu schnell von einer Wunde riss und fegte seine Existenz in den Realm der Wirklichkeit zurück, ehe er nach seinem Lachryma fingerte und – trotz der Tatsache, dass er seine Befehle bereits erahnte – die vorliegende Situation schilderte.
„Die Mission besitzt weiterhin höchste Priorität.“
Natürlich tat sie das. Souta hatte keinen Augenblick darüber nachgedacht, diese Menschen mitzunehmen, denn hier waren sie offensichtlich in Sicherheit, von wenigen Blessuren durch Fallen einmal abgesehen. Auf ihrer Aufgabe würden sie nur eine Behinderung darstellen, etwas, was sie darüber hinaus noch zu beschützen und zu koordinieren hatten, weswegen es dumm wäre, sich mit den Menschen herumzuschlagen. Am besten sie blieben genau dort, wo sie waren.
„Wir lassen sie hier. Es wäre zu gefährlich, sie mitzunehmen und würde zuviel Zeit kosten, sie umzulagern … Also lasst uns ...“ Der Feuermagier stockte und fuhr herum, denn plötzlich schienen die Menschen nicht mehr ganz so unkoordiniert zu sein wie vorher. Sie knieten auf dem Boden, in keiner Form, die irgendwie ordentlich aussah, aber auf eine merkwürdige Art doch synchron. Das vielstimmige Gemurmel hörte auf und machte einem einzigem Wort Platz, welches man nun klar und deutlich verstehen konnte: „Contriisten.“ Immer wieder wiederholten die Leute in dem Raum diesen eigenartigen Begriff, wie ein Mantra oder die Anrufung einer Gottheit, senkten dabei den Blick und schienen ganz in ihr Gebet versunken zu sein. Soutas Augenbraue begann zu zucken, doch er beherrschte sich und wies auf das Ende des Festsaals und die damit verbundene Tür. „Lasst uns … hier verschwinden.“

Die Situation gefiel Valerie nicht. Wie gesagt, das lag nicht unbedingt daran, dass es hier um das persönliche Wohl anderer Menschen ging, sondern einfach um die Art, mit welcher das ganze Problem behandelt wurde. Die Mission besaß höchste Priorität, dass hatte die Finsternismagierin bereits erahnt und dennoch traf es sie irgendwie ein wenig, dass man die betroffenen Leute hier einfach schutzlos in diesem magischen Schloss zurücklassen würde, offensichtlich recht uninteressiert an ihrem Schicksal. Sie wirkten so verlassen und verletzlich, wie sie so lethargisch und puppenähnlich auf dem Boden kauerten, als hätte man ihnen in einer grausamen Handlung die Fäden von Armen und Beinen abgetrennt und würde sich nun einen Spaß daraus machen, sie unkoordiniert durch den Raum rutschen und kriechen zu sehen. Nun, im Grunde war das jetzt offiziell nicht mehr ihr Problem, denn Souta hatte Anweisungen bekommen, die keinen Zweifel und keine Diskussion an ihrem weiteren Vorgehen zuließen und denen sich die Lamia Scale Magierin als unterstellter Part der Gemeinschaft zu fügen hatte. Nicht, dass ihr das gerade jetzt sonderlich gefiel, aber aus irgendeinem Grund vertraute sie Soutas Entscheidungskraft und wenn dieser behauptete, dass die Menschen hier in Sicherheit waren und weder eine Gefahr für sich selbst, noch für sie darstellten, dann würde sie ihm das glauben, immerhin hatte er sie bisher sicher durch das Schloss geleitet und damit genügend Führerqualitäten bewiesen. Es gab daher keinen Grund, diese Entscheidung anzuzweifeln, weshalb Valerie auf den Befehl hin erst in einer verstehenden und anerkennenden Geste nickte, dann jedoch in ihrer Bewegung verharrte und die Augen ein Stück weit aufriss. Ähnlich wie Souta war auch ihr der Wechsel in der Atmosphäre aufgefallen, die Luft schien plötzlich stickiger und angespannter, während eindeutig zu erkennen war, dass die Bewegungen der Menschen sich geendet hatte. Das Gemurmel schien an zu schwollen, in Valeries Ohren lauter zu werden und immer wieder konnte sie dieses eine Wort heraushören, mit dem sie wenig bis gar nichts anzufangen wusste. Was oder wer waren die Contriisten? Was ging hier vor sich, was hatte sich plötzlich geändert, dass die Puppen ähnlichen Figuren mit einem mal einer bestimmten, unordentlichen Struktur folgten, die Valerie nicht nur beunruhigte, sondern ihr auch ein wenig Angst machte. Daher zögerte sie keinen Augenblick, Soutas Vorschlag zuzustimmen und sich augenblicklich in Bewegung zu setzen, die Tür wie die Zielleine nach einem Kilometerlauf klar vor Augen, mit der Absicht sie so bald und schnell wie möglich zu durchschreiten. Weit kam sie jedoch nicht, denn kaum hatte sie einen Fuß vor den anderen gesetzt, da hatte sie schon eine Hand fest am Knöchel gepackt, in der Absicht sie am weitergehen zu hindern. Ein erstickter Schrei verließ die Kehle der Dunkelhaarigen und eine Gänsehaut raste ihre Beine und anschließend ihren Rücken und ihre Arme hinauf. Sie schüttelte ihren Fuß, versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch der Mann schien sie nicht gehen zu lassen wollen. Stattdessen hob er in beinahe gespenstischer Mine den Kopf und blinzelte die Sakai aus trüben Augen an, ehe er mit rasselnder Stimme einige Worte hervor keuchte. „D-die Godslayer....die Godslayer sind die...Antwort...“ Das Sprechen schien ihm unwahrscheinliche Mühe zu bereiten und seine Stimme klang derart kratzig, dass es für die Finsternismagierin den Anschein machte, als versuche etwas oder jemand mit aller Macht, ihn am freien Sprechen zu hindern. Hinzu kam, dass die anderen Menschen im Raum seine Worte als eine Art Aufforderung zu sehen schienen, sich der kleinen Gruppe zu nähern und kaum das Valerie sich aus dem klammernden Griff des Mannes befreit hatte, konnte sie schon eine weitere Hand spüren, die an ihrer Kleidung zog und kurz darauf von einer zweiten Gesellschaft bekam. “Oh Gott...Souta...Souta ich fürchte wir haben ein Problem!“, zischte die junge Magiern schließlich panisch, sich windend wie ein Aal, in dem Versuch die tastenden und zerrenden Hände loszuwerden. Sie gehörte nun einmal nicht zu den kräftigsten Menschen und die vielen Eindrücke, die auf einmal von allen Seiten zu kommen schienen, überwältigten sie und sorgten dafür, dass sie sich hilflos und verlassen vorkam. Irgendwie musste sie von diesen Menschen los und an ihnen vorbeikommen, denn sie wollte verdammt noch mal endlich diese Tür erreichen und hier raus kommen. Wie genau sie das jedoch anstellen sollte, dass war ihr nicht klar, denn ihr Gewissen verbot es ihr, selbst in dieser Situation Magie gegen die eigentlich doch recht hilflosen Menschen anzuwenden.

ooc: Sylvana auf Wunsch übersprungen.

Die Konstruktion des Saales bewirkte, dass alle Geräusche einen lauten und erhabenen Klang bekamen, so dass man das vielstimmige Gemurmel der Gefangenen weithin gehört hatte, abgeschwächt zu einem misstönigem Summen, das einem durch Mark und Bein ging. Souta machte sich diesen Effekt eher unabsichtlich zu Nutze. Etwas Schnelles, Rötliches blitzte durch die Luft, eine sonst so freundliche Stimme rief ein „YO!“, welches an den Wänden abprallte und sich in Wellen durch den Raum zu bohren schien, kurz darauf waren zwei dumpfe Aufpralle zu vernehmen und Valerie konnte sich wieder bewegen. Das leise Wimmern der Fortgeschlagenen kam dem Kettenmagier überdeutlich laut vor und er bemerkte erst ein paar Sekunden nach seinem Hechtsprung, dass er sich Valerie bis auf wenige Zentimeter genähert hatte und sein Schlag knapp an ihr vorbeigerauscht war. Der Betende, der sie am Fuß gepackt hatte, hielt sich die Stirn, auf der ein großer roter Fleck prangte, der sich vermutlich bald zu einer ansehlichen Beule aufschwingen würde. Souta wiederum betrachtete missmutig seine Hand und schüttelte sie ein bisschen, aber weder sie noch der magische Handschuh waren beschädigt worden, obwohl der zweite Übeltäter in nicht zu unterschätztender Entfernung lag, den Hintern in die Höhe gestreckt und das Gesicht auf dem harten Boden plattgerdrückt. Der Feuermagier richtete sich zur vollen Größe auf und ließ den Blick über die plötzlich aktiv werdenden Menschen schweifen, welche immer schneller auf sie zukrabbelten und mit Grabschehänden nach ihnen griffen. Valerie war mit ihren Stäben natürlich ein gutes Ziel gewesen … Doch was war eigentlich in diese Typen gefahren? In einem Augenblick waren sie noch lahm und hatten sich nicht die Bohne um sie gekümmert und im nächsten wollten sie auf Tuchfühlung gehen? Souta hatte nicht vor, sich von Fremden betatschen zu lassen, welche deutlich unattraktiver waren als seine momentane Questbegleitung, daher hatte er derart impulsiv reagiert. Diese Menschen bewegten sich sehr flink auf die beiden Frauen und ihn zu, doch unabhängig ihrer Geschwindigkeit bezweifelte er, dass sie ihn ergreifen konnten – zum Einen war er zu schnell für sie und zum Anderen hatte er gewisse feurige Gegenargumente, doch diese würde er erst einsetzen, wenn es ernst wurde. Noch hatten sie einen Fluchtweg. „Weißt du nicht, dass man schöne Frauen nicht einfach so angrabscht?“ Er legte Valerie zur Verdeutlichung dieser Aussage eine Hand auf die Schulter und drängte sie mit sanfter Gewalt an sich vorbei, bis er sie mit seinem schmalen Körper einigermaßen abschirmen konnte. „Geh zur Tür und mach sie auf, schnell!“ Er gab ihr einen kleinen Schubs und wandte sich den sich aufrappelnden und rennenden Leuten zu, welche die Distanz des Saals recht bald überbrückt haben würden. Sie durften ihnen nicht den Weg abschneiden … Es wäre wohl ratsam, sie loszuwerden, doch Soutas Innerstes wehrte sich heftig dagegen, eigentlich harmlose Zivilisten ernsthaft anzugreifen oder gar zu töten. Dafür waren sie nicht hier. Diese Menschen wirkten auf ihn eher fanatisch motiviert oder von einer Gehirnwäsche betroffen, nicht aber bösartig. Es war natürlich klar, dass sie sich nicht greifen lassen durften – wer wusste schon, was dann passierte – aber das ließ als einzige Alternative ja nicht nur Todschlag übrig. „Sylvana!“, rief der Rotschopf und machte einige schnelle Schritte rückwärts, während er nach ihr suchte und überprüfte, ob es ihr gut ging. „Kannst du sie irgendwie großfächig betäuben, ohne sie lebensgefährlich zu verletzen?“ Wenn er etwas beherrschte, dann waren es schnelle und effektive Attacken auf einzelne Ziele, im Stil eines blitzschnellen Attentäters, doch hatte die Dunkelhäutige nicht etwas von mehreren Gegnern gesagt, als sie sich getroffen hatten? In der kurzen Zeit war soviel passiert, dass das Adrenalin in Soutas Adern seine Erinnerungen fortgespült hatte, aber einen Versuch war es wert. Sie durften sich von diesen Marionetten nicht aufhalten lassen, sondern mussten weiter und ihren Auftrag erledigen!