So lag Yureiko nun in ihrem Schlafsack, in irgendeiner Höhle auf dem Mount Hokabe. Irgendwie hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden, allerdings war die Höhle nie und nimmer groß genug, als das jemand außer Souta hier sein konnte. "Oh... Souta. Klar werde ich beobachtet", schoss es der Magierin durch den Kopf. Im Zug hatte sie es noch geschafft, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, aber hier auf dem Berg, wo sie auch noch ungemütlich lag, war das schon bedeutend schwerer. Souta, Souta, Souta... was sollte man nun wirklich von ihm halten? Bis jetzt hatte er sie genervt, sie entblößt - woher er gewusst hatte, wo das Gildenzeichen war, war ihr auch jetzt noch ein Rätsel - gegessen, sie aus der Gletscherspalte gerettet und sie beide schnell die letzten steilen Meter hochgebracht. Trotz all dem wusste sie nicht wirklich, was sie von ihrem Begleiter halten sollte, aber während sie noch über diesen Gedanken brütete, dämmerte die Kabane langsam in tiefen, festen Schlaf hinüber.
Stunden später erwachte die Blonde wieder aus ihren Träumen, in denen ihr rothaariger Gefährte natürlich wieder eine Rolle gespielt hatte, genauso wie eine Streckbank, eine eiserne Jungfrau (nein, nicht sie selbst) und ein Fallbeil. Durch und durch erfrischende Träume also.
Langsam streckte die Blondine ihre Glieder von sich und als sie die Augen öffnete fielen gerade die ersten Strahlen des Sonnenlichts durch den Höhleneingang. Ein perfekter Morgen auf dem Berg, wo die Sonnenstrahlen doch bedeutete, dass es nicht bewölkt war und daher logischerweise auch nicht schneien konnte. Während sie begann sich aufzurichten gab sie Souta erst mal einen Guten-Morgen-Tritt, egal ob er schon wach war oder nicht, er sollte dadurch auf jeden Fall in die Gänge kommen. "Los, beeil dich, damit wir bald oben sind. Vielleicht schaffen wir es sogar wieder hinunter, bevor es dunkel wird!" , schnauzte Yureiko den Rotschopf an. Er sollte gar nicht erst glauben, dass sich durch seine Rettungsaktion irgendwas geändert hätte. Sie hasste ihn noch immer genauso sehr wie zuvor, zumindest nach außen. "Wir machen das so wie gestern, würde ich sagen. Wir sparen damit wirklich viel Zeit", befahl die junge Dame, nachdem sie ihr Reisegepäck gerichtet hatte. Zum zweiten Mal machte sie sich nun bereit um auf den Rücken des Kerls zu steigen, der sie so gut nerven konnte.

Irgendwann hatte Souta es geschafft, sich von Kabane-samas Anblick fortzureißen und war innerhalb von wenigen Sekunden eingeschlafen. Normalerweise brachte den Rothaarigen nichts in Fiore wieder auf die Beine, wenn er nicht aufstehen wollte. Man konnte eine Kanone neben ihm abfeuern, eine Flutwelle einschlagen lassen oder auch ein schreiendes Baby neben ihn hinlegen. Die häufige Annahme, dass der Kopf des Kettenmagiers aus Stein bestand, verhärtete sich wortwörtlich darin, dass er schlief wie ein Felsbrocken. So war es ziemlich großes Glück für seine Teamleiterin, dass sie es schaffte, ihn mit einem einzigen Tritt wachzurütteln. Eigentlich war er ja bereits wach, warum auch immer, doch er gönnte ihr diesen Erfolg. Außerdem durfte er so noch einige Sekunden mit Gähnen und Strecken verschwenden. "Einen wunderschönen guten Morgen, Kabane-sama!", erwiderte er mit einem breiten Grinsen auf ihre freundlichen Antreibungsworte und warf sich die Umhängetasche über. Fröhlich pfeifend ging er zum Ausgang der Höhle und atmete erst einmal genüsslich ein. Warum sollte er nicht glücklich sein an so einem wundervollen Morgen, klar und frisch, wie Morgen eben sein sollten? "War das nicht eine interessante Nacht?", fragte er zwinkernd, auf etwas anspielend, was er während sie geschlafen hatte angestellt haben könnte. Natürlich hatte er nichts gemacht, aber das wusste sie ja nicht? "Ich muss dir leider eine schreckliche Nachricht übermitteln. Diese Felswand ist ziemlich hoch. Meine Fähigkeiten sind zwar mannigfaltig und überdurchschnittlich und unglaublich...aber leider verfüge ich nicht über den Betrag an Mana, den es kosten würde, mich bis ganz nach oben zu schwingen. Du kannst dich natürlich trotzdem an mich hängen, wenn du das möchtest. Ich werde nun erst einmal etwas essen." So gesprochen, blieb er stehen, erwartete aber nicht wirklich, dass sich die Transformationsmagierin auf ihn stürzen würde. Erst drei Fladenbrote und zwei der eingewickelten Packungen Pökelfleisch später tätschelte sich Souta zufrieden den Bauch und streckte sich. Mit vollem Magen ließ sich viel besser arbeiten, nicht wahr? "Tut mir Leid, wir werden wohl klettern müssen..." Mit einem entschuldigenden Achselzucken machte Souta einen Schritt rückwärts, über den Rand der Plattform hinaus. In der Schräglage wirkte er einen Kettenzauber und zog sich die ersten zehn Meter nach oben. Oben angekommen, salutierte er mit zwei Fingern und streckte ihr einen Arm hin, der sich ebenfalls in eine Kette verwandelte. Zumindest für einen Teil der Strecke reichte sein Mana - den Rest würden sie auf die altmodische Art zurücklegen...

So gut der Morgen auch begonnen hatte, so schlecht war er in dem Moment geworden, in dem Souta den Mund aufgemacht hatte und von einer "interessanten Nacht" gefaselt hatte. Was dachte er sich, wenn er sowas sagte? Dass seine Begleiterin darauf hin ausflippen würde oder glaubte er wirklich, dass sie das dazu bewegen würde, ihn gerne zu haben? Entweder war er wirklich so dumm, dass er glaubte, dass das funktionierte, oder andere Frauen waren tatsächlich so schwach, dass sie auf solche Mätzchen hereinfielen. Wie auch immer es war, Yureiko würde das niemals passieren, schon gar nicht bei so einem ekelhaften Typ. Außerdem konnte er auch sonst nur mit schlechten Nachrichten aufwarten: Das tolle Kunststück, mit dem er sie wirklich beeindruckt hatte, konnte er also nicht wiederholen. Außerdem wollte er nun noch unbedingt essen, bevor es losging - gut, keine schlechte Idee an sich, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie auch ordentlichen Kohldampf. Trotzdem hatte nicht er zu entscheiden, wann gegessen wurde, niemals! Der Rotschopf hatte gar nichts zu entscheiden, weder hier und jetzt noch zu irgendeiner anderen Zeit oder in irgendeinem anderen verdammten Universum. Nichtsdestotrotz entschied sie sich auch ihre Karotten zu essen, während ihr Begleiter schon wieder unaussprechliche Mengen verdrückte. "Keine Ahnung, wo er das Zeug hinfuttert, aber normal ist das sicher nicht."
Immerhin hatten sie nach einer Weile fertig gegessen, also würde es nun losgehen. Doch etwas überrascht beobachtete die Blondine Souta seinen Arm wieder in eine Kette verwandelte und diese einige Meter über ihnen anbrachte. Na, ein wenig schien doch noch zu gehen, endlich wieder eine gute Nachricht für die Magierin. Also klammerte sie sich, wie auch am Vorabend, wieder am Rücken ihres Begleiters fest, während dieser sie mit sich nach oben zog. Auch wies sie ihn schon wie gestern an, wo er seinen nächsten Griff setzen sollte, damit sie nicht direkt wieder hinunter fielen. Drei Mal ging das so, ehe der einäugige Magier sein Mana scheinbar aufgebraucht hatte und sie nun ganz normal zu klettern begannen, über zerklüftete Felsen und Formationen aus Eis, immer weiter in die Höhe. Die Kabane spürte, dass die Luft zunehmend dünner wurde und auch, wie es ihren Kopf und ihre Konzentration langsam beeinflusste. Ihre Konzentration lies stellenweise nach, aber zum Glück wusste sie, dass sie sich dieses nicht lange erlaubte - zum Glück, denn sonst wäre sie mit Sicherheit rücklings abgestürzt.
Nach zwei Stunden des Kletterns, schmerzenden Händen und der einen oder anderen kräftigen Windböe, die sie nur mit Glück überstanden hatten, waren sie endlich an ihrem Ziel angelangt. Vor ihnen erstreckte sich ein kleines aber feines Plateau, auf dem eine kleine Hütte stand - sogar einige Nadelbäume gab es hier, wobei unklar war, wie diese hier überhaupt gedeihen konnten. Zufrieden seufzend schüttelte Yureiko ihre klammen Glieder aus. "Endlich oben. Dort muss sie wohnen", stellte sie fest, während sie sich schon auf den Weg zu dem Häuschen machte, aus dessen Schornstein Rauch quoll. Mit lautem Knarzen öffnete sich die Tür, als die Magierin sie aufstieß. Mit langsamen Schritten betrat sie die Hexenhütte, die nur aus einem Raum bestand und eher Karg eingerichtet war. Hinten in einer Ecke an einem Tisch saß im Zwielicht eine Gestalt, die über irgendetwas gebeugt war. "Entschuldigt, dass wir euch stören! Die Dorfbewohner brauchen eure Hilfe im Kampf gegen eine gefährliche Seuche und baten uns, euch um Hilfe für sie zu bitten!" , rief die Magierin der Person zu. "Soso, meine Hilfe wollen sie also, ja?", antwortete die Stimme einer älteren Frau, die überraschend belustigt zu sein schien. "Hoffentlich hat das nichts zu bedeuten..."

Dreimal schaffte es Souta das Gefühl von Kabane-sama, die sich gegen seinen Rücken presste zu spüren, hörte ihr zartes, liebliches Stimmchen, dass in sein Ohr kreischte. Dann war es leider vorbei und die beiden Magier kletterten auf herkömmliche Weise (Hand-Hand-Fuß-Fuß) aufwärts, ganze zwei Stunden lang. Die körperliche Anstrengung war halb so wild für ihn, schließlich hatte er vorher ja einen 'kleinen' Snack gehabt, doch das eintönige Greifen und Hochziehen war wirklich schlimm. Für den Rothaarigen war die Langeweile, die sich aufbaute eine Qual, obwohl er jedes Mal schmunzeln musste wenn seine Kollegin neben ihm keuchte. Zum Glück war sie keine Gedankenmagierin, sondern beschränkte sich auf das Verwandeln von Gliedmaßen - sonst hätte sie ihn wohl einfach in die Tiefe getreten. Tja, was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, hm? Nicht einmal singen oder pfeifen konnte er, weil der Wind so stark war, dass er all seine Muskelkraft beanspruchte und wahrscheinlich nicht mehr als ein Urwaldschrei seinen Mund verlassen hätte.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit zogen sie sich ächzend und erschöpft über die Kante und - begannen sofort, herumzuspringen und alle Gliedmaßen auszuschütteln. Souta konnte es einfach nicht ab, eine Bewegung eintönig immer wieder auszuführen. Seine Muskeln kribbelten vor Abscheu, sein Hirn war ganz ordentlich! Also legte der Kettenmagier erst einmal eine Tanzeinlage auf dem Schnee hin, wodurch er sich wieder einigermaßen lockerte, während Kabane-sama schon voraus zur Hütte stiefelte. Um sie einzuholen nahm Souta Anlauf und hoppste mit beiden Beinen weite Strecken vorwärts, bis auch der letzte Muskel seines Körpers wieder wachgerüttelt war. Dass er sich dabei in Schnee hüllte und aussah wie ein mit Puderzucker bestreutes Plätzchen, war in diesem Moment egal. Seine Chefin war also wiedereinmal ganz auf Seriösität gedrillt, wie sie hereinplatzte und direkt auf das Thema zu sprechen kam. Souta hingegen blieb im Türstock stehen, lächelte und wackelte zur Begrüßung mit den Fingern einer Hand. Und klinkte sich direkt aus dem Gespräch aus, um misstrauisch die Hütte zu betrachten, ebenso die Frau, die ihm nicht ganz geheuer vorkam. Der Rotschopf war zwar der Letzte, der eine Falle erwartete, dennoch schlossen sich seine Finger um den Griff seiner Peitsche. Lag es an ihm, oder stimmte irgendetwas nicht...?

Als sie den Berg bestiegen hatten hatte Yureiko noch gedacht, dass das schlimmste schon überstanden war, als sie den Berg bezwungen hatten. Aber nun waren sie hier, in diesem Häuschen auf dem Gipfel, und irgendetwas sagte ihr, dass die schwierigste Aufgabe noch bevor stand. Sie mochte sich täuschen, sogar mit allergrößter Freude, aber ihr Gefühl sagte ihr eben etwas anderes, vor allem da der Blondine die Antwort der Alten gar nicht gefallen hatte. Sie hatte doch gesagt, dass sie Hilfe brauchten, also wieso war es so schwer, zu fragen, wobei? Wie auch immer, war es dennoch das klügste die patzige Frage einfach zu beantworten und zu erklären, wieso sie den ganzen Weg auf den Berg gekommen waren.
"Ja, sie brauchen eure Hilfe. Sie schafften es aber nicht selbst, zu euch zu kommen, da die Witterung des Berges sie davon abhielt", erklärte die Kabane so höflich sie konnte und kam nicht darum herum sich zu fragen, wie die Vettel selbst auf den Berg gekommen war und es nun schaffte, hier ganz alleine zu überleben. Dennoch fuhr sie mit ihrer Erklärung ungerührt fort: "Die Leute im Dorf sind krank und sie sagten, ihr wüsstet, wie man sie heilen kann. Deswegen bitten wir euch darum uns entweder ein Heilmittel zu geben oder mit uns zu kommen, um ihnen zu helfen. Es ist dringend, wir wissen nicht, wie lange sie noch durchhalten." Irgendwie schien die Hexe davon nicht sehr getroffen, im Gegenteil, sie wirkte eher so, als würde sie sich hinter vorgehaltener Hand sogar darüber freuen. Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl und machte sich auf, um einen Teekessel, der gerade zu pfeifen begonnen hatte, vom Feuer zu nehmen. "Das geschieht ihnen nur Recht, diesen räudigen Bastarden, hört ihr? Wenn die Hölle zufriert, dann werde ich ihnen helfen!" , spottete die Alte hämisch. "Wenn sie das nicht schon getan hat", murmelte sie, während sie aus dem Fenster sah. Es war schwer zu glauben, was hier gerade geschah. War ihr etwa nicht bewusste, wie ernst die Lage war und das sogar Menschen sterben konnten, wenn sie nicht rechtzeitig zurückkamen? "Das kann doch nicht euer Ernst sein. Menschenleben stehen auf dem Spiel und ihr seid die einzige, die helfen kann. Sie bitten euch darum", setzte Yureiko entgegen - selbst sie wäre nicht so herzlos, Menschen einfach sterben zu lassen, doch auch die Kräuterfrau schien das nicht so stehen lassen zu wollen und donnerte los: "Sie bitten mich also, ja? Sie bitten mich, mich die sie eigenhändig aus dem Dorf geworfen haben? Und jetzt, wo sie meine Hilfe gebrauchen können, das sind sie sogar zu feige um selbst zu mir zu kommen und schicken anstatt dessen zwei Laufburschen hier hoch? Vergesst es, niemals... niemals. " Als sie den Teekessel auf den Tisch gestellt hatte, ließ sie sich, von ihrem Ausbruch erschöpft, auf dem Stuhl nieder. "Ihr wisst doch gar nicht, was diese Menschen mir angetan haben... ich war jahrelang für sie da. Ich habe sie geheilt, wenn sie krank waren, egal wie arm oder reich sie waren, wer zu mir kam, konnte Hilfe erwarten. Und dann? Ein Mal unterläuft mir ein Fehler bei einer Kräutermischung und sie jagen mich mit Schimpf und Schande davon. Sie sagten, ich hätte die Menschen absichtlich vergiftet. Pah! Elende Verräter. Was mit ihnen passiert ist mehr als gerecht, auch wenn keiner von ihnen daran sterben wird. Aber es ist die gerechte Strafe - meine gerechte Strafe!" , schnaubte die Greisin verächtlich. Das alles war zwar nicht gut, aber man konnte zumindest damit arbeiten, wenn man wusste, wo der Hase im Pfeffer lag.

Nur äußerst wenige Dinge konnten es schaffen die gütige, fröhliche Schale des Itasa zu zersprengen. Eigentlich war das sogar sogut wie unmöglich, denn wenn man es direkt darauf anlegte, so reagierte Souta meist aus Trotz genau so, wie man es nicht erwartete. Das lag in seiner Natur. Er war einfach ein Kerl, der nichts und niemanden böse sein konnte, zumindest nicht allzu lang. So hätte man auch gedacht, dass er die Rachegelüste der alten Frau vor sich verstand und ihre Gründe akzeptierte. Schließlich hatte man auch ihn selbst aus seiner Stadt verjagt - mehr oder weniger - und für etwas verantwortlich gemacht, was ihn bis heute noch in seinen Träumen verfolgte. Tja. Falsch gedacht. Das Gesicht des Rotschopfes begann sich zu verhärten, die Hände, die locker in die Hüften gestemmt waren, ballten sich zu Fäusten, so fest, dass man das Leder seiner Handschuhe leise knarzen hörte. Diese Frau verachtete das Leben. Sie beschmutzte ihre Existenz...Sie...Der Kettenmagier machte einen Schritt vor. "Jetzt passen Sie mal auf, sie alte Hexe...", knurrte er, eine Charakterwendung sondergleichen hinlegend. Aus dem sonst so freundlich leuchtenden Auge schienen Blitze zu zucken, er mahlte mit den Kiefern und sein Herz pochte vor aufgestauten Zorn so heftig, dass er nicht wusste, ob er die Worte, die er sagen wollte überhaupt herausbringen würde. Diese Frau hatte es tatsächlich geschafft ihn wütend zu machen. Wütend. Nicht genervt, nicht gereizt. Souta war fuchsteufelswild. "Erstens sind wir keine Laufburschen, sondern Magier der Gilde Lamia Scale. Zweitens...Was bilden Sie sich eigentlich ein?! Diese Menschen leiden. Sie sind krank und hilflos. Ich habe eine verdammte Liste mit all den Symptomen dabei. Ich bin diesen beschissenen Berg hochgestiegen und starre seit mehr als einem Tag ständig eine wunderhübsche Frau an, ohne auch nur die geringste Chance zu haben, zum Schuss zu kommen. Ich bin hungrig und mir ist kalt und sogar in meiner Unterwäsche ist Schnee. Und was sagen Sie?! Sie haben die Dorfbewohner absichtlich krank gemacht, weil sie Sie verjagt haben! Wissen Sie was? Sie kotzen mich an! Kein Wunder, dass man sie verjagt hat! Sie haben die Macht all diesen Leuten zu helfen, aber Sie unterstellen ihnen, dass sie feige sind! Sie mögen sie fortgejagt haben - aber mussten sie deshalb alle krank machen? Die Kinder? Unschuldige Frauen? Sie missbrauchen ihre Kräfte, weil SIE feige sind! Wer hat sich denn auf diesen Berg zurückgezogen - wie auch immer sie es geschafft haben da hochzusteigen - und greift sie von der Ferne aus an?!" Souta machte eine kurze Pause um Luft zu holen und legte den Weg zu der Hexe mit eilenden, energischen Schritten zurück, bis er knapp vor ihr stand und zu ihr hinabfunkelte. "Rache ist das Sinnloseste, was die Menschheit jemals erfunden hat...Das sollten Sie eigentlich wissen, alt genug sind Sie ja. Und trotzdem benehmen sie sich wie ein störrisches, beleidigtes Kind! Reden Sie doch mit ihnen und erklären Sie ihnen, was passiert ist! Sie können den ersten Schritt machen, indem sie mir das dumme Gegenmittel geben!" Fordernd streckte er ihr die Hand entgegen, sein Gesicht eine Maske aus Stein. Man konnte sehen, wie sein Arm leicht zitterte, bevor er alle Muskeln darin anspannte. "Wissen Sie denn nicht, dass Auge um Auge die ganze Welt blind macht!?!"

Eigentlich war das ja nun doch zu komisch. Die Blondine hätte es nie für möglich gehalten, dass dieser abartige Kerl es tatsächlich geschafft hatte, wütend zu werden. Eigentlich war er nicht nur wütend, nein, wenn man es genauer betrachtete war er stocksauer. Irgendwie machte es den jungen Mann etwas sympathischer, dass er nicht immer nur der verfressene, Mädchen nachgaffende Sunny-Boy war, als den sie ihn bisher kennen gelernt hatte. Er schien zwar ein etwas zu gesundes Verständnis vom Leben zu haben, aber trotzdem war es gut zu wissen, dass man ihn damit auf die Palme bringen konnte. Sicher würde Yureiko diese Tatsache irgendwann noch zu nutzen wissen, aber vorerst stand dann doch die Mission an erster Stelle und dabei konnte man es sich dann doch nicht erlauben einer rachgierigen alten Vettel Dinge zu sagen, die sie zwar wusste, aber mit Sicherheit nicht hören wollte. Also tat die Magierin das einzige, das ihr spontan richtig erschien. Sie holte weit aus und trat ihrem Begleiter, der nun netterweise einen Schritt vor ihr stand, kräftig in die Kniekehle und gab ihm, im Falle seines Einknickens, einen Klaps auf den Hinterkopf. Für den Beobachter musste es wohl wie eine tadelnde, beinahe demütigende, Geste erscheinen, gemeint war aber dennoch ein freundliches "Hast du gut gemacht, bin stolz auf dich" - nur eben auf Kabane-Art - wobei man auch nicht vergessen durfte, dass es der Zauberin schlicht Spaß machte, Souta ab und zu zu schlagen.
"Na, na. Wir wollen gar nicht erst damit anfangen, jemanden anzuschreien, von dem wir etwas erbitten wollen, nicht wahr? Er ist so unglaublich schlecht erzogen", erklärte die Frau seufzend, allerdings konnte sie dabei nicht verbergen, wie unglaublich sie diese Situation amüsierte, und grinste deswegen unaufhörlich. "Wir werden doch wohl einen Weg finden", fuhr sie fort, "Um uns einig zu werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr nicht länger hier oben bleiben wollt, für eine Frau eures Alters, bei allem Respekt, ist das Leben hier oben sehr hart und wird in den nächsten Jahren nur noch schwerer. Kommt mit uns hinunter und helft den Menschen, unter der Bedingung, dass man euch wieder ins Dorf lässt. Wir verlieren kein Wort darüber, wie das alles zu Stande gekommen ist und alle werden glücklich sein. Was sagt ihr, haben wir einen Handel?"
Weder während der Rotschopf gesprochen hatte, noch während sie selbst ihren Vorschlag dargebracht hatte, hatte die Hexe eine Miene verzogen. Ob sie wohl darauf eingehen würde? Eines wusste Yureiko mit Sicherheit: Souta würde damit nicht wirklich glücklich sein.

Da stand er also und starrte die alte Schrulle hasserfüllt an. Sie erwiderte den Blick, als wäre Souta kein großer, gutaussehender Mann, der sich bedrohlich vor ihr aufgebaut hatte, sondern ein quengeliges kleines Kind, das es nicht einmal würdig war, getadelt zu werden. Der Rotschopf war kurz davor die Hexe gegen die Wand zu dreschen, so sehr war sie ihm im Moment zuwider, aber er war im Grunde genommen ja immernoch ein netter Kerl. Außerdem begann langsam sein Rücken von dem Dolch wehzutun, den Kabane-sama in seinen Rücken gerammt hatte. Allerdings war dieser Schmerz nur mental und wurde von dem in seiner Kniekehle mit Leichtigkeit überlagert. Sie hatte ihn zum Einknicken gebracht und ihm einen Klapps auf den Kopf gegeben. Das war etwas irritierend. Befürwortete sie nun, dass er die Alte angeschrien hatte, oder wollte sie nur einmal wieder ihre Aggressionen auslassen und Souta eine reinwürgen? Im Prinzip war es ihm recht egal, die Worte, die sie danach von sich gab, lenkten ihn ohnehin mehr als genug ab. Absolut freundlich - so freundlich, dass er ganz eifersüchtig wurde - verhandelte sie mit der alten Frau, während er sich wieder aufrappelte und die Arme verschränkte. Sein Gesicht war ganz und gar nicht begeistert, aber schließlich war Kabane-sama seine Teamleiterin und dementsprechend würde er ihren Befehlen Folge leisten, wie auch immer sie lauten mochten. Erwartungsvoll blickte er also zu der alten Frau, welche nun die Entscheidungsfreiheit hatte. Tatsächlich öffnete sich ihr Mund und sie grinste, was beinahe etwas diabolisch wirkte. Er ahnte schon, was kommen würde, bevor sie ein Wort sagte, denn ihr Blick war ihm gut bekannt. Viele Frauen besaßen ihn. Normalerweise war eine Beziehung, die bei diesem Blick angekommen war für Souta schon überfällig, doch jetzt konnte er nicht einfach abhauen. Es war der gefürchtete "Ich habe etwas, was du haben willst und du bekommst es...unter der Bedingung, dass...".
"Nun gut, ich werde zurückkehren, aber ich bin viel zu alt, um den Weg auf meinen eigenen Beinen zurückzulegen. Dieser unverschämte Bengel wird mich die ganze Strecke tragen und mir jeden Wunsch erfüllen, nur unter dieser Bedingung lasse ich mich überreden, ihnen vielleicht zu helfen!" Schicksalsträchtig ruhte ihr knorriger Wurstfinger auf Souta gerichtet, der sie entsetzt anstarrte. Bitte was?! Das Letzte, das er wollte war eine alte Schrulle auf dem Rücken mit sich zu schleppen. Allerdings...vielleicht konnte er sie ja ganz aus Versehen fallen lassen oder so? "Wenn es unbedingt sein muss...", seufzte er und ging in die Knie, um die Hexe aufsitzen zu lassen. Die ließ sich nicht zweimal bitten und hüpfte mit irrem Gegacker heftig auf sein Kreuz, so dass er das Gefühl hatte, als hätte sich seine Wirbelsäule verschoben. Ächzend stemmte er die Frau und watschelte ein paar Schritte. Zufälligerweise war sie ziemlich dick gekleidet, also musste er nicht stehen bleiben, damit sie sich umziehen konnte, sondern trat mit einer Grimasse hinaus ins Schneegestöber. Nur kurz blickte er nach hinten zu Kabane-sama, da drehte ihm die Alte auch schon den Kopf wieder nach vorne. Oh Mann...ich werde diesen Alte-Weiber-Geruch nie wieder los... Resigniert stapfte er durch den Schnee und fragte sich, wie er jemals diese Felswand herabkommen sollte und ob sein Rücken das Ganze unbeschadet überstehen konnte. Wow, diese Hexe hatte es geschafft Souta die gute Laune zu vermiesen. Respekt!

Was für ein heeeeerrlicher Tag! Die alte Vettel hatte eingeschlagen und nun konnten sie sich endlich auf nach unten machen. Und das Allerbeste an der Sache war ja, dass die Alte von Souta auch noch verlangt hatte, sie zu tragen. Unglaublich toll! Es war quasi das I-Tüpfelchen auf einem ohnehin schon guten Tag, der nun damit enden würde, dass sie ihren Auftrag erfüllen würden und dass Yureiko selbst den Rotschopf endlich los sein würde. Ein unglaublich schöner Gedanke, der die kalte Bergluft beinahe im selben Moment erwärmte, in dem er gedacht worden war. Nachdem die Hexe nun auf Soutas Rücken saß, war es Zeit den Abstieg zu beginnen.
"Ich habe ein paar Seile mitgenommen, damit wir uns abseilen können. Wir kommen damit zwar wahrscheinlich nicht bis ganz unten, aber wir sparen uns auf jeden Fall ein gutes Stück Kletterei", erklärte die Magierin, ehe sie damit begann erst die Alte und Souta so gut es ging miteinander zu verknüpfen. Daraufhin band sie ein weiteres Seil um die Hüfte ihres Begleiters und ein weiteres um ihre eigene und diese beiden verknotete sie dann wieder um zwei herausragende Felsen. Nachdem nun alle gut gesichert waren, konnte der Abstieg also endlich beginnen. Obwohl sie sowas noch nie zuvor gemacht hatte, war es doch nicht halb so schwer, wie sie gedacht hätte. Nachlassen und abstoßen, das waren die einzigen Dinge, an die man sich erinnern musste. Zum Glück hatte das Wetter auch den ganzen Tag über gehalten, denn ansonsten wäre der Abstieg mindestens so gefährlich gewesen wie der Aufstieg am Vortag. Irgendwann hatten sie es bis zur Übernachtungshöhle geschafft, als auch die Seile schließlich aufgebraucht waren. Nun hieß es also Klettern, zum Glück nicht allzu weit. "Wenn wir schnell sind, ist es noch richtig hell, bis wir unten sind. Also schwing die Hufe! Und wehe, du fällst mir hier hinunter", drohte die Blondine, während sie gerade dabei war sich über den Vorsprung der Höhle hinunter zu arbeiten. An dieser Stelle, wurde der Abstieg deutlich schwieriger. Es dauerte deutlich länger sich an den Steinen nach unten zu hangeln und kräfteraubender war es auch, dennoch war es nach einer ganzen Weile geschafft.
Nun waren sie also wieder auf der Hochebene, die nun noch verschneiter war, als noch am Vortag, was also hieß, dass man die Gletscherspalten noch schlechter sah, als bei ihrem letzten Besuch. Die Kabane schluckt schwer, als die Erinnerung an ihren Sturz wieder lebendig wurden. Hoffentlich kamen sie bald weg von hier!

Was war denn nun besser? Dass Kabane-sama sich gerade außerordentlich fröhlich zeigte, oder dass sie, nachdem sie einige Schritte gegangen waren, die Erlösung in Form eines langen, hanfträchtigen Gegenstandes - unter Kennern auch 'Seil' genannt - bereit hielt? Nein, das war es noch nicht, welches die Laune des etwas angepissten Magiers wieder zum Überschwingen brachte. Immerhin hockte da noch immer eine alte Hexe auf seinem Rücken und rammte ihn die Knie in die Nieren, wenn er zu langsam durch den Schnee stapfte. Seine Teamleiterin musste da schon einen richtigen Brüller bereithalten, damit es ihm wieder besser ging. Und das tat sie. Kaum hatten sie den Abgrund erreicht, dem Souta in diesem Moment gerne eine zappelnde, zwickende Alte hinzugefügt hätte, begann sie aus eigenem Antrieb das nützliche Werkzeug, welches ihren Abstieg erheblich erleichtern würde, um seine Hüfte zu schlingen. Ihre Berührung brachte sofort wieder ein Schmunzeln in sein Gesicht und die trübsinnigen Gedanken waren wie weggeblasen. Uh, da war jemand gut drauf, so gut, dass sie ihren Ekel soweit überwunden hatte um ihn an der Hüfte zu berühren. Selbst als die Hexe ihn dafür an den Haaren zog, konnte dies den Moment nicht mehr vermindern. Wie auf einer rosaroten Wolke erlebte er den gesamten Weg hinab bis in die Ebene hinein, selbst die Kletterpartie, die für ihn außerordentlich unangenehm hätte sein müssen, überstand er fröhlich wie zuvor. So standen sie also auf der Ebene und sahen sich damit konfrontiert, den Gletscherspalten auszuweichen. Souta hatte nun natürlich ein ganz anderes Gewicht und konnte deshalb nicht mehr voraus gehen, doch irgendwie schafften sie es ohne weitere Vorkommnisse auch durch dieses Hindernis. Nach ein paar Stunden, in denen Soutas Rücken immer steifer und sein Magen immer knurrender wurde, erreichten sie schließlich wieder den Dorfeingang. Allerdings würde nun der richtige Ärger beginnen. Wie würden sie den Dorfbewohnern klarmachen, dass der Preis für ihre Heilung das Akzeptieren der Hexe war? Würde er jemals wieder aufrecht gehen können? "Da wären wir also...", meinte er überflüssigerweise und wurde direkt von einem Kreuztritt der Alten daran erinnert, dass er da eine Last auf dem Rücken trug. Eine, die offenbar nicht vorhatte, diesen demnächst zu verlassen...