Da lag sie nun also vor ihr, die schneebedeckte Ebene, irgendwo hoch oben in einem Gebirgsmassiv des nördlichen Fiore. Gigantische Massen aus Stein, Eis und Schnee, voller Spalten und Schluchten, die mit Sicherheit schon einige engagierte und talentierte Bergsteiger verschlungen hatten. Und sie, Kabane Yureiko, eine begnadete Magier und Alchimisten, fürchtete sich gerade davor, ihr Schicksal zu teilen, während sie die ersten Schritte über knirschenden Schnee machte. Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen, und so elendig langsam, dass wahrscheinlich sogar die alte Hexe schneller gewesen wäre, wenn Souta sie nicht getragen hätte. Ob dieser das bemerkte? Wahrscheinlich. Aber wen interessierte das schon, wenn man anstatt dessen tot sein konnte? Gar niemanden, zum Glück. Deswegen bahnte sie sich weiter ihren Weg, genau so lahm und übervorsichtig wie zuvor auch, bis sie endlich den "rettenden" Weg erreicht hatten, der zum Fuß des Berges führte. Dieser war zwar Steil und man konnte auch abstürzen, allerdings war der Weg bei weitem nicht so heimtückisch, weswegen die Magierin ihn beinahe leichtfüßig zurück legte. Ihre Gute Laune schien auch wieder zurückzukehren, als das Ziel immer näher und näher kam. Nach nur kurzer Zeit konnte sie die Dächer des Dorfes schon wieder gut erkennen und noch ein Weilchen später, konnte die Blondine sie sogar aus der Nähe betrachten: Der Weg war geschafft. Mit einem tiefen, befreiten Seufzer setzte die Kabane ihren Fuß hinter das Stadttor. So bald würde sie auf keinen Berg mehr klettern, so weit war sie sich sicher.
Hier war alles anders. Das Knirschen des Schnees war nicht mehr bedrohlich, als würde man einbrechen, sondern es war lieblich und schön, als würde man über einen weißen Teppich laufen. Die Stadt war noch immer wie ausgestorben, aber mittlerweile wussten sie ja, dass keine Gefahr bestand, weswegen die Forscherin diesmal auf ihre Schutzmaske verzichtete. Deutlich sicherer als vor kurzem auf dem Berg lenkte sie ihre Schritte durch die Stadt, direkt in Richtung des Rathauses. Als sie die Doppeltüren aufstieß, bot sich ein ähnliches Bild wie am Vortag, wobei diesmal nur eine Gestalt im Zwielicht saß. Sie erkannte nicht unbedingt, wer er war, aber das Gesicht hatte sie gestern erst gesehen. Ruhig deutete die Magierin ihrem Begleite die Alte abzusetzen. "Wir haben unseren Auftrag erfüllt. Die Heilerin stellt allerdings die Bedingung, wieder im Dorf aufgenommen zu werden, falls sie euch helfen sollte", schallte ihre Stimme durch das Amtsgebäude.
Wenn die Dorfbewohner ihren Wunsch ausschlugen, musste die greise Vettel dann eigentlich wieder auf den Berg gebracht werden? Bei allen Göttern, bloß das nicht!

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, durfte Souta die Vettel von seinem Rücken schälen. Mittlerweile fühlte es sich schon so an, als wäre sie dort festgewachsen, oder zumindest angefroren wie eine Zunge an einem eiskalten Laternenmast. Soetwas soll ja schnell passiert sein...! Vorsichtig, zumindest seiner Gereiztheit entsprechend, ließ er sie also auf den Boden, wo sie sofort wieder begann zu grinsen. Kaum hatte Kabane-sama ihre Ansprache gehalten, watschelte sie auf den Bürgermeister zu und stellte sich mit einem breiten Froschlächeln direkt vor ihn. Währenddessen klinkte sich der Kettenmagier aus dem weiteren Gespräch aus, weil er damit beschäftigt war, die Hände in sein Kreuz zu stemmen und sich nach hinten zu beugen, begleitet von einem schmerzvollem Stöhnen. "Auauauau..." Jeder Muskel an seiner Rückseite war verkrampft und verhärtet, noch dazu roch er irgendwie nach alten Frauen. Wie abartig! Dementsprechend wenig achtete der Rotschopf natürlich auf das heisere Gezeter und kehrte erst wieder in die Realität zurück, als sein Rücken halbwegs gelockert war. Gerade bekam er noch mit, wie der Bürgermeister auf den Knien rutschend um Entschuldigung bat und darum, das Dorf zu heilen. Blinzelnd tauschte er einen Blick mit Kabane-sama. Das war schnell gegangen. Aber vermutlich war es einfach die Verzweiflung, die ihn antrieb - oder die Hexe war noch einschüchternder, als er angenommen hatte. Wie auch immer, er war froh, dass es keine größeren Komplikationen gegeben hatte. Die Quest war endlich zu Ende und das nächste Mal, wenn er Stormroad besuchen würde, war das Dörfchen voller glücklicher Bewohner und gesunder Frauen, die es nicht erwarten konnten, sich bei ihrem Retter zu bedanken. Schmunzelnd schaute er über die Schulter in das verschneite Bild, welches sich ihm außerhalb der beschlagenen Fenster bot, da strich sein Blick über die blonden Haare seiner Teamleiterin. Diese Frau war definitiv eines der wenigen Geschöpfe, die gegen seine Anziehungskraft beinahe immun waren. Schade. Aber auch interessant. Wer weiß, ob er sie nicht öfter treffen würde - es war zumindest nicht unwahrscheinlich. Eigentlich sollte er sich für den schönen Trip bedanken. Ja, das war mehr als höflich. Die Hexe und den Bürgermeister, die sich angeregt über das Haus, welches der Vettel zur Verfügung stehen sollte, unterhielten, ignorierend, wandte er sich Kabane-sama zu und lächelte sie an. "Hey, ich denke, das war's dann für mich. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag, es ist ja noch früh. Vielleicht sehen wir uns nochmal im Zug, aber ich bedanke mich trotzdem schon einmal für diese professionelle Führung." Und ehe sie wahrscheinlich wusste, wie ihr geschah, hatte sich der Rotschopf schon hinabgebeugt, seinen Kopf in eine seitliche Lage gebracht und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gehaucht. Die Romantik dieses Moments wurde allerdings davon unterbrochen, dass er kurz darauf sein Stirnband festhielt und die Beine in die Hand nahm, um so schnell ihn diese trugen, Land zu gewinnen. Mit laut polternden Schritten brach er durch die Rathaustür und rannte über den Marktplatz wie ein geköpftes Huhn. Es war weniger die Angst vor der Verfolgung, die ihn das tun ließ. Souta lief, dass der Schnee nur so unter seinen Stiefel knarrte, weil er frei war! Vogelfrei! "Yaaahooo!", brüllte er gegen den Wind und ließ sich im gesunden Abstand hinter einen großen Baum in den Schnee fallen, um ein paar Schneeengel zu machen. Noch würde er den Zug nicht nehmen. Wie schnell das Mittel der Alten wirkte war unklar - aber wenn es das tat und die jungen Frauen aus Stormroad wieder wach wurden und spürten, wie die neu durchbluteten Glieder nach Wärme lechzten...ER würde da sein. Nur um ihnen zu helfen, natürlich.

Das alte Weib war eindeutig gut darin, zu bekommen, was sie wollte. Nicht nur, dass sie scheinbar ihren Platz im Dorf zurückerhalten sollte, nein, der gute Bürgermeister war sogar vor ihr auf die Knie gefallen, nur um sein Bedauern über das Vorgefallene auszudrücken und um Verzeihung zu bitten - natürlich mit durchschlagendem Erfolg. So hatte diese Unternehmung also doch noch ein ganz ordentliches Ende gefunden, mit dem alle zufrieden sein konnten, die Dorfbewohner, die Hexe und natürlich auch die beiden engagierten Magier, die all das mit ihrer waghalsigen Klettertour ermöglich hatten. Im Großen und Ganzen war sie wirklich zufrieden mit dem Missionsverlauf und sich selbst, immerhin hatte es keine gröberen Verletzungen gegeben und sie würde einen positiven Bericht abgeben können. Und mit Souta, ja mit dem hatte die Blondine sich auch irgendwie arrangieren können, was sie ehrlich gesagt nie für möglich gehalten hätte. Zweifellos ein Fortschritt, in irgendeine Richtung.
Während die Verhandlungen scheinbar voran kamen, es wurde gerade über Häuser gesprochen, schien ihr rothaariger Begleiter sich verabschieden zu wollen. Schön dankbar war er, wie man es von ihm kaum erwarten hätte dürfen, sehr zur Freude der Kabane. Er hatte wohl erkannt, dass diese Aufgabe mit ihm wahrscheinlich zu einer Katastrophe verkommen wäre. Hatte er das? Nein, das hatte er natürlich nicht. Alles erstunken und erlogen! Wie sich herausstellte, war es nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver gewesen, aber als sie es bemerkte, war es schon zu spät. Seine Lippen näherten sich ihrer Wange, hauchten einen Kuss darauf und entfernten sich mitsamt dem dazugehörigen Kerl so schnell, als müssten sie um ihr Leben fürchten. Gut, eigentlich mussten sie das auch, aber die junge Frau war im ersten Moment viel zu perplex ob dieser Frechheit, als das sie etwas dagegen hätte tun können. Sie suchte ein Wort, dass den Zustand beschrieb, in dem sich der Magier gerade befand - und fand eines: Vogelfrei! Flatterhaft und zum Abschuss freigegeben! "Pass bloß auf!" , brüllte die Magierin ihm noch hinterher, ehe sie selbst das Rathaus verließ und die Tore hinter sich schloss. Langsam wanderte sie in Richtung des Stadtrands, wo am Bahnhof hoffentlich schon ein Zug auf sie warten würde. Endlich wieder nach Hause!