Es war erstaunlich, aber Naomi hatte sofort verstanden, warum er sie so anstarrte. Da zeigte sich mal wieder, dass sie noch klein war, denn er konnte mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sie sicherlich anders reagiert hätte, wenn sie auch nur annähernd Interesse am anderen Geschlecht gehabt hätte. Wenn Cyrus sich feststarrte und den Blick der amethystfarbenen Augen auf eine Person fixiert hielt, dann bekamen nicht wenige weiche Knie. Dabei konnte er natürlich triggern, was für eine Absicht er deutlich machen wollte, in diesem Fall einfach nur die Aufforderung, sich ins Bad zu verdrücken, bei anderen konnte es aber auch anzüglich oder so eiskalt abweisend werden, dass es schwer wurde, seinen Blick zu halten. "Ich muss nicht dringend ins Bad, aber du solltest dich beeilen, du kippst sonst noch aus den Latschen.", meinte er immer noch unbewegt. Es war relativ offensichtlich, dass Naomi es nicht gewöhnt war, lange Strecken zu laufen, zudem sie durchaus nicht gerade wenig Kilometer hinter sich gebracht hatten. Sie war noch jung und dementsprechend war es sicherlich ebenso wenig normal für sie, lange wach zu bleiben, selbst ein Blinder hätte erkannt, dass sie todmüde war. Cyrus hätte an sich noch deutlich länger wach bleiben können, er hätte sich auch noch körperlich betätigen können, aber das fiel aufgrund der Umstände ja eh flach. Insofern wollte er dann lieber auch schlafen, damit er morgen wach war, beinahe wichtiger war aber noch, dass Naomi eine gesunde Mütze Schlaf bekam. Nicht, weil er um die Gesundheit des kleinen Mädchens besorgt war, sondern weil er keine Lust darauf hatte, eine übermüdete Kleinstblondine morgen mitzuschleppen, die dann sicherlich zu noch weniger brauchbar war, als ohnehin schon. "Husch, husch~" Er grinste und ließ sich mit dem Rücken auf die Matratze fallen, starrte an die Decke. Es war irgendwie schon lange her, dass er an solcher Lustlosigkeit gelitten hatte, wie in einem Winzkaff mit einer Winzmagierin eine alberne Reliquie zu suchen... das war einfach nur eine Zumutung. Dafür würde irgendjemand bluten... er seufzte, setzte sich wieder auf und entkleidete sich bis auf die Unterwäsche, ehe er seine Sachen über die Lehne des Stuhls warf, der etwas verloren im Raum stand und sich unter die Bettdecke verzog. Auf dem Rücken liegend blickte er wieder an die Decke und legte die Arme über den Kopf. Irgendetwas war falsch... ach ja, richtig. Er setzte sich auf, sprang aus dem Bett und schlenderte zum Fenster, das er einen Spalt öffnete. Kühle Luft zog herein und strich angenehm über seine blasse Haut, die im rötlichen Abendlicht ein wenig farbiger wirkte, als das sonst der Fall war. Er schlief nie mit geschlossenem Fenster, es sei denn es war erbitterter Winter dort draußen und wenn Naomi keinen triftigen Grund hatte, dann würde er das ihr zuliebe nicht ändern. Der Blick seiner violetten Augen schweifte über die Dächer der wenigen Häuser, die das Gasthaus umgaben, es war lange her, dass er ein so kleines Örtchen besucht hatte. Früher hatte er ganz außerhalb der Zivilisation gelebt, aber nun doch eher in größeren Städten. Vorsichtig legte er die Fingerspitzen der rechten Hand an die kühle Fensterscheibe und strich darüber. Glatt. Auch die Haut des jungen Mannes war ungewöhnlich ebenmäßig, was man nun deutlicher denn je sehen konnte. Wenn auch ein bisschen rau, zog sie sich makellos über die trainierte Gestalt, der einzige Schandfleck darauf schienen die beiden riesigen Narben zu sein, die seinen Rücken dominierten. Dunkler als der Rest, hoben sie sich leicht knotig von seinen Schulterblättern ab und warfen einen leichten Schatten über den Glanz des Beinahealbinos, dessen Haare im Gegenlicht leicht zu glühen schienen. Cyrus besaß eine körperliche Vollkommenheit, die über das verdorbene Wesen hinter dieser Fassade gut und gerne hinwegtäuschen konnte, da war es ja schon beinahe positiv zu bewerten, dass seine Partnerin zu jung war, um sich dafür groß zu interessieren.
Nachdem er noch einmal tief eingeatmet hatte, setzte er sich wieder auf den Rand seines Bettes und wartete darauf, dass das Mädchen fertig wurde, damit er sich zumindest die Zähne putzen konnte. Er hatte sich zwar heute von wenig anderem als Luft ernährt, aber dennoch musste er ja nicht mit Mundgeruch aus der ganzen Sache herausgehen, das mochte doch auch niemand. Naomi konnte nun also einen leicht ungeduldigen Weißhaarigen erspähen, der leicht angespannt darauf lauerte, selbst ins Bad zu können.

Das war also ein Volltreffer, es ging wirklich um die Nutzung des Badezimmers. Irgendwie hatte sie nicht erwartet, dass sie als Erste in den Genuss kommen sollte, aber vielleicht wollte der Magier sie auch nur auf schnellstem Wege ins Land der Träume schicken, damit er seinen eigenen Interessen nachgehen konnte. Also nahm sie ihre Tasche und ging auf den Gang hinaus und ins Bad. Das war zum Glück gerade nicht belegt, weshalb sie sich schnell umzog und die Zähnchen schrubbte. Dabei fiel dem Kind auf, dass sie so langsam eine neue Zahnbürste benötigte. Jene welche sie nutzte sah schon recht abenteuerlich aus. Das kam also auf die Einkaufsliste für Rio. Allerdings erst wenn sie wieder zu Hause war. Es gab wenig, was ihr Vater erledigen konnte, seid er im Rollstuhl unterwegs war, aber den Einkauf erledigte er gerne. Dann hatte sie ihn eine Weile aus dem Haus und konnte putzen oder aufräumen. Eben Dinge tun, bei denen er sonst gerne im Weg herumrollte. Tief atmete sie durch und streckte sich, das erste Mal, dass sie nicht daheim schlief. Wenn das Mädchen sich vorstellte, es wäre eine lustige Pyjamaparty, würde es sicher nicht allzu schlimm werden. Wobei eine Übernachtungsparty mit Seraphim doch recht merkwürdig sein würde. Immerhin war der Dragonslayer nicht der Typ für einen kindischen Akt jeglicher Art. Wenn man es genau nahm, hatte sie Vergnügen dieser Art auch nie sehr begeistert, mal ganz davon abgesehen, dass sie niemals auf einer gewesen war. In dem Leben die junge Magierin gab es so viele wichtigere Dinge, welche beachtet werden mussten, da konnte sie nicht auf irgendwelchen Feiern herumgammeln, sie wollte auch gar nicht. Auch wenn sich die Blonde gut vorstellen konnte, dass ihr Begleiter auf solchen Veranstaltungen ein gern gesehener Gast war, glaubte sie nicht, dass er oft zu welchen ging und wenn doch, dann verweilte er nicht lang an diesen Orten, denn eines war klar, sein größtes Interesse galt Frauen. Auf der einen Seite sicherlich sehr praktisch, denn bei seiner Ausstrahlung ließ sich dies sehr gut nutzen, um sich die Zeit zu vertreiben oder auch Dinge in Erfahrung zu bringen. Allerdings war es Zeit, zurückzukehren. Das Shirt, welches sie gedachte zum Schlafen zu tragen, hatte kurze Ärmel und reichte bis zu ihren Knien. Erstmals zeigte sich das Gildenzeichen an ihrem rechten Unterarm und sie überlegte, ob sie nicht doch besser noch ihre Hose anziehen sollte, aber sie würde nicht mit Straßenkleidung ins Bett. Also ging sie nun zurück zu dem Wartenden. Dieser war ebenfalls umgezogen und hatte sich dabei auf seine Shorts beschränkt. Daraus leitete sie ab, dass er wohl auch plante, im Anschluss schlafen zu gehen. Auf seinem Rücken zeigten sich zwei Narben, fast als könnten an diesen Stellen mal Flügel gewesen sein. Vor ihrem inneren Auge entfalteten sie sich, groß und schön. Schwingen aus weißen Federn, die entspannt auf seinem Rücken ruhten. War das alles ein Traum? Einbildung das war es und trotzdem glitten ihr die Worte über die Lippe: „So wunderschön.“ Verträumt verharrte sie eine Weile und blickte ihn an, „Du bist ja wirklich ein Engel Seraphim-sama.“ Leicht musste sie grinsen, denn nun merkte sie, was für einen Unsinn sie gerade geredet hatte. Dafür würde der ältere Magier sicher gleich wieder irgendeinen Spruch auf sie los lassen, der ihr unmissverständlich sagte, wie ungeschickt sie sich anstellte, aber das sollte ihr recht sein. Dann ging die Kleine zum zweiten Fenster, welches sich näher an ihrem befand und öffnete es zusätzlich. Es war eine herrliche Nacht und es schlief sich viel besser, wenn man nicht fürchten musste zu ersticken. Im Anschluss setzte sich Naomi auf das freie Bett ihm gegenüber und lächelte freundlich. Hoffentlich schnarchte er nicht, das würde sie nerven.

Naomi hatte beinahe korrekt aus Cyrus Verhalten geschlussfolgert, dass das größte Interesse des jungen Mannes wohl beim anderen Geschlecht liegen mochte. Bisher hatte es auch alles danach ausgesehen, immerhin hatte er auf der Zugfahrt nichts besseres zu tun gehabt, als sich einen Spaß daraus zu machen, möglichst das gesamte Abteil dazuzubringen, sich schlecht zu fühlen. Wenn man es präzisieren wollte, dann musste man allerdings sagen, dass sein Hauptinteresse in der Befriedigung seiner Bedürfnisse lag, vor allem der sensorischen. Der junge Mann hatte nun einmal einen recht stark ausgeprägten Sexualtrieb, daran war gar kein Zweifel. Ebenso war er im Grunde genommen sadistisch veranlagt, obwohl man das wohl nur merkte, wenn man ihn schon länger kannte oder das Pech hatte, auf ihn hereingefallen zu sein. Also brach er reihenweise Herzen, war doch beinahe schon eine logische Schlussfolgerung, oder? Dass er den Blonden im Zug allerdings nicht nur geküsst hatte, um sein weibliches Publikum zu schocken, konnte Naomi ja nicht ahnen - wie sollte man auch darauf kommen, dass Cyrus gut und gerne auch mal Kerle abschleppte? Es stand ja nicht auf seiner Stirn geschrieben.
Als Naomi reinkam, erhob sich der Ältere und wollte sich in Richtung Bad aufmachen, als das Mädchen ihn wie hypnotisiert anstarrte und etwas von Engel murmelte. Engel, ja... das waren laut den Sagen und Mythen die Diener des Himmels, mit großen, weißen Schwingen versehene Gestalten, deren Aufgabe es war, über die Menschen zu wachen und ihnen gutes zu tun. Meistens stellte man sie sich wunderschön und gütig vor, körperlich gesehen idealtypisch. Es war gar keine Frage, dass man ihn äußerlich für einen Engel halten könnte, passten seine weißen Haare doch ebenso wie seine helle Haut erste Klasse ins Schema. Auch seine Kräfte waren die eines Engels - er konnte heilen und damit rein theoretisch das Leid der Menschheit verringern. Er war ein Engel wie er im Buche stand, nicht wahr? Und auch, wenn ihm die Flügel fehlten, so konnte man immer noch behaupten, dass man sie ihm gestutzt hatte, damit er auf Erden wandeln musste, die Narben auf seinem Rücken ließen sich doch auf diese Weise prima erklären. Es war sogar seine favorisierte Antwort, sollte jemand fragen, was diese Verletzungen verursacht hatte, denn die Wahrheit würde er niemandem erzählen. Für jemanden, der so auf Kontrolle aus war, wie Cyrus, war es eine Schmach, sich an den Tag in seinem Leben zu erinnern, an dem die Welt, wie er sie gekannt hatte, zu existieren aufgehört hatte. Zwar hatte er damals auch Grandine getroffen, aber er musste ja nicht jedem auf die Nase binden, dass diese Narben die Überbleibsel von zwei Messerstichen waren, die den damals Sechsjährigen mit Sicherheit getötet hätten, wenn nicht Magie im Spiel gewesen wäre. Nein, das würde er nicht erzählen. Was genau Naomi mit ihrer in Verzückung schwimmenden Stimme meinte, war ihm nicht klar, vielleicht litt sie auch unter optischen Halluzinationen. Der Weißhaarige lächelte jedenfalls nur nichtssagend und beugte sich zu der Blondine herunter, deren zum Nachthemd umfunktioniertes Shirt an ihren Knien endete. "Ich dachte, du wärst etwas klüger, Naomi-chan~", schmunzelte er, während er ihrem Gesicht mit dem seinigen immer näher kam, die Augen fest auf die ihren gerichtet. Dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Wange, beinahe ihren Mundwinkel streifend, während er mit der rechten Hand sanft durch ihre Haare streichelte. Doch dieser Moment war fragil, er zerbröckelte bereits im nächsten Moment, als er mit tonloser Stimme "Geh jetzt schlafen." in ihr Öhrchen raunte, sich von ihr löste, sich aufrichtete und ins Bad verschwand. Man sollte nicht nach dem Aussehen gehen, das wusste wohl niemand besser, als jemand, der sein Aussehen als eine seiner stärksten Waffen nutzte. Mochten sein Körper und auch sein Name so engelhaft sein, wie man es sich nicht besser vorstellen konnte, war sein Geist verdorbener als der eines Dämons. Er genoss nicht nur Anerkennung und Begehren anderer, sondern ebenso den Neid und den Hass, den er ebenfalls hervorrufen konnte. Er liebte es, seine Opfer in Scham und Trauer, sowie Wut auf ihn und auf die eigene Dummheit ertrinken zu sehen, es machte ihn geradezu an, sie leiden zu sehen. Insofern konnte man mit Fug und Recht behaupten, dass Cyrus ein Teufel in Engelsgestalt war... der sich gerade die Zähne putzte. Nun ja, auch das musste geschehen, er beeilte sich dennoch damit - wenn er schon einmal ausschlafen konnte, dann bitte auch möglichst lange. Als er zurück ins Zimmer kam, streckte er sich kurz, stellte mit Wohlwollen fest, dass auch das andere Fenster geöffnet war und legte sich in sein eigenes Bett, wo er schon nach wenigen Minuten in Rückenlage einschlief.
Und nein: Cyrus schnarchte nicht. Das wäre wenig hilfreich, wenn man das Ziel verfolgte, vor seiner Bettnachbarin aufzuwachen, um sich im ersten Licht des neuen Morgens still und heimlich aus dem Staub zu machen.

Während sie noch da stand und ihren kleinen Tagtraum von dem Mann genoss, der gerade bei ihr war und sie auf der Quest begleitete kam dieser auf sie zu und beugte sich herunter. Dabei kam er wohl zum zweiten Mal an diesem Tag so nah, dass sie seine Präsenz fast schmecken konnte. Es war kein gutes Zeichen, wenn er von alleine so schrecklich nah zu ihr kam, das entsprach einfach nicht dem bisherigen Verhalten, besonders weil kein Grund dafür vorherrschte wie auf der Zugfahrt. Ganz mulmig war ihr, als er meinte, dass er sie für klüger hätte sein müssen. Schon wieder hatte sie die Erwartungen des Magiers enttäuscht und das setzte ihr einen imaginären Schlag in den Magen. Doch das konnte sie getrost vergessen, denn das Nächste hätte sie wirklich nicht vorhersehen können. Es war schon irgendwie bezaubern zu sehen, wie diese wundervollen Augen den ihren immer näher kamen. Die violette Farbe war einfach fesselnd, allerdings hing an den Augen ein ganzes Gesicht. Nase, Ohren und Lippen. Wieso also kam er gerade noch so viel näher als es eigentlich nötig war. Leicht schluckte sie und versuchte ruhig zu bleiben, obwohl ihr Puls schon in ihrem Hals klopfte. Das Ergebnis dieser langsamen aber doch sehr bestimmten Annäherung war ein Kuss, er war so nah an ihren Lippen, dass sie fast gefürchtet hätte, er würde ihr den ersten Kuss einfach so verderben, aber so war alles noch in bester Ordnung. Obwohl er wieder durch ihr Haar strich, fühlte sie sich unwohl. Dieser Kuss war kalt, wie ein Winterwind strich er über ihre Wange und ließ sie erzittern. Wie konnte jemand so einen emotionsfreien Kuss vergeben und das auch noch ohne ersichtlichen Grund. Stand irgendwo in den Questanweisungen, dass er ihr einen Kuss geben musste, wenn es zu einer Übernachtung kommen würde? Das könnte es für sie erklären aber das war sicherlich nicht der Fall, deshalb blieb diese Frage unbeantwortet. Mit einer tonlosen Aufforderung an sie schlafen zu gehen erhob er sich wieder und ging hinaus. Naomi öffnete dann das Fenster und krabbelte ins Bett. Dort rutschte sie weit unter die Decke und schloss die Augen. Wenig später verrieten ihr Schritte, dass Seraphim zurück war und bald darauf war es still in dem kleinen Zimmer. Kurz darauf hüllten sanfte Träume das kleine Mädchen ein und sie schlief bis in die frühen Morgenstunden.

Auch wenn der Schlaf in dem fremden Bett nicht lange gewährt hatte, war sie entspannt und wach, als sie noch früh am Morgen wieder erwachte. Die Blonde richtete sich auf und rieb sich die Augen. Dann drehte sie sich zum Fenster, doch die Sonne stand noch nicht hoch genug, um hineinzuscheinen, weswegen sie ihr Gesicht in der Scheibe sehen konnte. Ihr Haar war etwas platt gelegen, aber eines war klar, der Vater des Mädchens sah morgens deutlich schlimmer aus, weswegen sie ihn gerne auslachte. Mit den zarten Fingerchen strich sie sich die Haare notdürftig glatt und blickte zu dem schlafenden Seraphim. Leicht grinste sie, man konnte kaum glauben, dass er eigentlich nicht so unschuldig war, wie er gerade aussah. Es konnte ein unschönes Ende nehmen, das wusste sie, aber widerstehen konnte sie auch nicht. Deswegen erhob sich die junge Magierin und ging wie auf Samtpfoten zum Bett ihres Begleiters, ließ sich sanft auf der Kante nieder und betrachtete ihn kurz. Nach einmaligem Durchatmen streckte sie die Hand aus und ging mit warmen Fingern über seine Wange und durch sein Haar, dabei näherte sie sich mit ihren Lippen seinem Ohr. "Seraphim ... Seraphim, der Morgen ist da", ihre Stimme klang leise und sie bemühte sich um einen melodischen Klang. Immerhin wollte sie ihn nur ganz zart wecken und nicht aufschrecken. Immer wieder strich ihre Hand durch sein Haar, es war weich, nicht zu sagen luftig und scheinbar hatte er noch weniger Probleme morgens eine Frisur hinzubekommen. Die Entscheidung wurde ihm praktischerweise abgenommen.

Oh ja, wenn Cyrus schlief, hatte er geradezu die Unschuld gepachtet, konnte man zumindest meinen, wenn man es nicht besser wusste. Selbst im Schlaf zierte ein Lächeln seine Lippen, allerdings wirkte es einfach nur entspannt und hatte nichts von den anderen Assoziationen, die es im wachen Zustand erreichen konnte. Man konnte das Gefühl bekommen, dass der junge Mann, der ausgestreckt auf dem Bettlaken lag, einen Arm über den Kopf gelegt, den anderen irgendwo unter der Bettdecke, die seinen Körper nur noch zur Hälfte bedeckte, in einem wunderbaren Traum steckte. Tatsache war aber eher, dass Cyrus sich nie an seine Träume erinnern konnte und er auch froh darüber war. Er würde sich durchaus zutrauen, seine Vergangenheit immer wieder vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen und darauf hatte er nicht so sehr Lust, wenn er ehrlich war. Auch hatte die junge Blondine, die sich so unbefangen naiv an sein Bett schlich, Recht damit, dass Cyrus auch nicht mehr Probleme nach dem Aufstehen hatte, seine Frisur zu richten, als sonst. Er besaß einfach so viele Wirbel auf der Kopfhaut, dass seine Haarsträhnen von Natur aus kreuz und quer standen und es ihm unmöglich machten, Ordnung hinein zu zwingen; er sah einfach immer aus, als sei er gerade aus dem Bett gefallen. Er regte sich leicht, als sich die Matratze unter Naomis Gewicht einbeulte, drehte den Kopf ein wenig, aber schlief weiter. Man konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass Cyrus ein Frühaufsteher war, er hatte nur die Fähigkeit, dann aufzuwachen, wenn er es geplant hatte. Wollte er früh aufwachen (was oft der Fall war), dann tat er das meistens auch, hatte er sich aber vorgenommen, mal auszuschlafen - wie heute... - dann konnte er das auch. Also döste er seelenruhig weiter, auch als das unvorsichtige Mädchen die Hand ausstreckte und damit begann, durch sein Haar zu kraulen. Es war durchaus irgendwie niedlich, was sie da tat, aber besonders schlau war es nicht. Wenn man sich dem Dragonslayer in unmittelbarer Nähe eines Bettes zu sehr näherte, konnte es wirklich unschön enden, zumindest für ein Mädchen, dass schon Sorge gehabt hatte, der Ältere könnte ihr ihren ersten Kuss verderben. Das war noch gar nichts, wirklich nicht, wenn sie schon davor Angst hatte, dann sollte sie nicht auf die Idee kommen, Cyrus zu wecken. Wer konnte schon wissen, wie der junge Mann darauf reagieren würde? Zunächst jedoch entrang sich ein zufriedenes Schnurren seiner Kehle, während er sich unwillkürlich den streichelnden Fingern entgegenstreckte, aufwecken tat ihn das jedoch nicht. Als sie sich seinen Namen flüsternd über ihn beugte und ihren Körper dafür halb über das Bett lehnen musste, da er ja nicht direkt am Rand lag, machte es irgendwo in seinem schlaftrunkenen Gehirn klick. Wenn ihn jemand normalerweise auf eine ähnliche Art und Weise aufweckte, dann konnte das mehrere Dinge bedeuten. Möglichkeit eins war, dass er verschlafen hatte und sein Vorhaben, bei Nacht und Nebel zu verschwinden, vergessen konnte. Das bedeutete, er musste noch irgendetwas drauf setzen, damit seine unmissverständliche Abfuhr auch schön deutlich war und tief traf. Nummer zwei bedeutete, dass er mit einer der wenigen Personen im Bett gewesen war, die er nicht abserviert hatte, sondern die er sich warm hielt, weil sie tolerant genug dazu waren und irgendetwas hatten, was ihn faszinierte. Eine andere Möglichkeit gab es für das noch halb im Koma liegende Gehirn des Dragonslayers nicht, da er im Gegensatz zu dem jungen Mädchen, welches er als dritte Option gar nicht in Betracht zog, keine Familie hatte, die ihn auf diese Art wecken könnte. Also tat sein Körper das, was er getan hätte, wenn das nicht Naomi gewesen wäre. Mit einem plötzlichen Vorschnellen seiner linken Hand packte er das Handgelenk der streichelnden Hand Naomis, während die Rechte sich auf ihre Hüfte legte und sie mit einer Drehung seines Körpers und dem Ziehen an beiden Punkten unter sich brachte. Erst währenddessen öffneten sich die violetten Augen und blieben leicht geschockt geöffnet, als langsam zu ihm durchdrang, wen er da unter sich festgenagelt hatte. Mooooment... hatte er irgendwas getrunken oder so? Was machte Naomi in seinem Bett?! "Eh...?" Er dachte scharf nach, aber kam zu dem Schluss, dass er keinesfalls unter Alkoholeinfluss etwas so dummes gemacht haben könnte, da er keinen Schluck getrunken hatte. "Was machst du in meinem Bett, Naomi-chan?~", fragte er mit immer noch leicht beunruhigtem Tonfall, während er ihr Handgelenk freigab und sich rückstandsfrei von ihr entfernte, indem er sich wegrollte und dann etwas zurückkroch. Das war sicherlich nicht die Reaktion, die die Blondine erwartet hatte, oder?

Rückblickend wird es Naomi niemals gelingen zu sagen, ob diese Aktion gut war oder nicht. Natürlich war sie nicht gut durchdacht, aber sie hatte ihr deutlich etwas vor Augen geführt. So verdorben ihr Begleiter auch war, er hielt an seinen Prinzipien fest. Gut, was passiert wäre, wenn er die Augen einfach zu gelassen hätte, wollte sie lieber gar nicht wissen. Aber alles war gut, wie es war. Das Kraulen hatte ihm sichtlich gefallen, wie ein Kater reckte er sich nach den zarten Fingern des Mädchens, es war fast putzig, selbst wenn er bereits so erwachsen war. Er schien es zu genießen und das erfreute sie wirklich, aber wecken wollte sie ihn trotzdem. Dafür musste sie sich weit über ihn beugen, das war schon recht anstrengend, wenn sie nicht auf ihn drauf fallen wollte. Er schien darauf zu reagieren, denn er zuckte leicht. Allerdings das, was als Nächstes kam, schlug all ihre Erwartungen an den hab schlafenden Seraphim. Umdrehen und weiter schlafen, das war wahrscheinlich, leicht grummeln und sie böse angucken, wegen des frühen Weckens, auch eine Möglichkeit. Das kleine Mädchen, das sie doch war vom Bett schubsen, weil es nervte, sie hätte es wahrscheinlich selbst getan aber all diese Optionen ließ der Magier unbedacht. Dann griff er plötzlich ihre streichelnde Hand und sie hielt den Atem an, irgendwas würde gleich passieren. Gerade als sie versuchte zu überlegen was er nun tun würde legte er die zweite Hand an ihre Hüfte und schob sie unter sich. Das Mädchen atmete flach. Dass sie jetzt so tief in den Kissen lag und über ihr der Kerl hing, war nicht geplant gewesen. Dann öffnete der Dragonslayer endlich die Augen und sie fixierte diese. Ein Schock bildete sich darauf ab, er stellte sie wahrscheinlich gerade die Frage, wie sie in sein Bett kam. Nun ja die Antwort darauf war eine simple. Als er es wirklich fragte, hätte sie so gerne mal gelogen, aber das tat sie nicht. "Ich bin aufgewacht und zu dir gekommen, entschuldige, dass ich dich geweckt habe Seraphim-sama ich wollte dich nicht erschrecken", sie versuchte, wieder ruhig und gleichmäßig zu atmen. Scheinbar waren sie beide leicht verwirrt und überrascht von dem Verlauf. Sich auf die Seite drehend sah sie ihn an: "Was hast du denn gedacht, warum ich hier bin", leicht kicherte sie, "Okay es gibt einige Möglichkeiten nerven, ärgern, eine Kissenschlacht oder knuddeln, Letzteres wäre definitiv das Angenehmste von allen Optionen, aber ich denke du hattest an keine von denen gedacht. Ich denke ich will gar nicht wissen was du gedacht hast", für kurze Zeit schloss sie die Augen, "War das Kraulen schön, du hast dich gestreckt wie ein Kätzchen, das war süß." Wahrscheinlich wieder so eine Bemerkung, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Irgendwie war das Bett kuschelig und sie mochte es leiden, es roch herrlich nun gut, es war wieder dieser windige Geruch, den sie schon an seiner Brust in der Nase gehabt hatte. Langsam entspannte sich ihr vor Schreck steif gewordener Körper wieder und sie wurde ganz ruhig. Irgendwie schien es ganz verlockend doch noch etwas liegen zu bleiben, aber das würde natürlich nur gehen, wenn Seraphim nicht gleich aufstand, wie konnte sie ihn davon abhalten. Langsam krabbelte sie zu ihm und beugte sich vor. "Ich hoffe du bist mir nicht bööööö!", eben hatte es noch so gut geklappt, aber ihre noch zitternden Arme hielten sie nicht so gut, weswegen sie auf ihn stürzte, "se ... Ach Mist jetzt mache ich dich auch noch platt, tut mir leid Seraphim-sama, aber ich liege gerade so bequem." Das war nicht gelogen und sie fühlte sich trotz der merkwürdigen Umstände recht gut da, wo sie gerade war. Allerdings wusste sie, dass ein keinem wirklich bewusst war, dass sie immer die Wahrheit sagte, aber das tat sie.

Erst kam die Erleichterung. Naomi war erst heute Morgen zu ihm herüber gekommen, was mit ziemlicher Sicherheit ausschloss, dass er irgendetwas getan hatte, was er im Nachhinein bereuen würde. Normalerweise bereute der junge Mann wenig, zudem er nicht dazu neigte, sich zu betrinken und in einem solchen Zustand Dummheiten zu begehen - er war generell experimentierfreudig, was das anging, aber es stimmte: Selbst er hatte ein paar Prinzipien und diese hatte er im ersten Moment als gefährdet angesehen. Naomi war schlichtweg ein kleines bisschen zu jung für ihn und er hatte es nicht nötig, sich an solch jungen Menschen zu vergreifen, wenn es doch so viele reifere Frauen gab, die sich bereitwillig von ihm verführen ließen. Es wäre also nachteilig gewesen, wenn er irgendeine Dummheit begangen hätte, wie zum Beispiel das kleine blonde Mädchen flachzulegen. Nun, aber genau daran hatte er gedacht, wer hätte das schon nicht getan, wenn man mal ehrlich war? Cyrus schlief wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte des Jahres in seinem eigenen Bett, da war es ganz natürlich, dass er zuerst an solch eine Verwicklung dachte, zuzutrauen war es ihm ja eigentlich auch. Aber nein, es war nicht seine Schuld gewesen, er hatte ganz brav in seinem eigenen Bett gelegen, ganz alleine und ohne böse Hintergedanken. Stattdessen war die wahre Schuldige das Mädchen selbst, das offenbar hirnloserweise auf die Idee gekommen war, ihre Grenzen auszutesten. Das erklärte sie mit entschuldigender Stimme, die es beinahe geschafft hätte, den Dragonslayer zu besänftigen.
Denn nach der Erleichterung kam der Ärger. Die nächsten Sätze jedenfalls schafften es, seine Laune rapide fallen zu lassen. Zuerst einmal war er nicht süß, man konnte ihn mit vielem betiteln, er konnte überheblich, gemein, sadistisch, aber auch zärtlich, elegant und verführerisch sein, aber er war nicht süß. Ebenso wie das Wörtchen "lieb" passte es einfach nicht zu dem weißhaarigen Mann, dessen liebstes Hobby im subtilen Quälen von Menschen bestand. Zumal man meistens kleine Mädchen oder Kinder im Allgemeinen als solches bezeichnete und Cyrus allergisch dagegen reagierte, wenn man seine Männlichkeit in Frage stellte. Als nächstes nahm sie sich irgendwie heraus, vollkommen entspannt da liegen zu bleiben, wo er sie losgelassen hatte und ironisch anmutende Kommentare über seine absolut ernst gemeinte Frage von sich zu geben. Auf dem Gesicht des jungen Mannes bildete sich wieder das Lächeln, welches aufgrund der etwas ungewissen Situation schon beinahe verschwunden gewesen war, aber wer sich Zeit nehmen würde, seine Mimik genau zu studieren, der würde bemerken, dass er angespannt war. Auch seine restliche Muskulatur verkrampfte sich kurz, ehe er sie wieder zum entspannen zwang. Naomi tappte gerade mit schweren Stiefeln auf sehr dünnem Eis, ohne dass sie es richtig bemerkte, in jedem Falle gefiel ihm gar nicht, was sie da tat. Warum sie dann auch noch unbedingt auf ihn zu krabbeln musste, war ihm schleierhaft, hatte er sich nicht gerade eindeutig von ihr distanziert? Er war eigentlich ein Mensch, der keine Scheu vor Körperkontakt zu anderen hatte, aber er hatte in keinem Falle Lust, nun mit einer Vierzehnjährigen zu kuscheln. Nein, wirklich nicht, so verschmust war er nun auch wieder nicht. Als sie dann auch noch vor lauter Inkompetenz auf ihm zum liegen kam und durchblicken ließ, dass sie auch nicht vorhabe, sich wegzubewegen, lief das Fass über. Sie hatte ihn geweckt, ihm einen Höllenschrecken eingejagt und nun versuchte sie sich ernsthaft an ihn zu kuscheln?! Um es nicht falsch zu verstehen, es war kein Wutausbruch, den das bei Cyrus auslöste, wer den jungen Mann bei einem solchen erlebt hatte, konnte froh sein, noch zu leben und hatte zumeist einen ziemlichen Respekt vor ihm; aber angepisst war er gerade allemal. Wie sich das bei ihm zeigte? Ganz einfach: Er würde ihre Fragen ohne Umschweife beantworten. Und zwar mit der Wahrheit, so wenig jugendfrei sie auch sein mochte.
Indem er sie von seiner nackten Brust schubste, beförderte er sie dahin zurück, wo sie schon zuvor gelegen hatte und wuchtete seinen Körper hinterher, sodass es dieses Mal er war, der obenauf saß, wenn auch mehr kniete, da er den fragilen Körper nicht belasten wollte. Die Hände links und rechts neben ihren Kopf gestützt, blickte er relativ gleichgültig auf sie herunter. "Ich dachte im ersten Moment, ich hätte dich besoffen flachgelegt und dürfte mir nun dein Gejammere anhören. Und um richtig mit dir zu kuscheln, habe ich - wie schon gesagt - zu wenig intus. Zumal ich nicht süß bin und du, wenn du auf die schlechte Idee kommst, mich zu nerven, erfahren wirst, dass ich auch richtiggehend gemein sein kann.", trug er mit vollkommen emotionsfreier Stimme vor, ihre braunen Augen mit den seinen fixiert. Spätestens jetzt könnte man merken, dass er etwas sauer war. Er atmete einmal tief durch und packte sie dann unter den Achselhöhlen, um sie auf seinen Schoß zu ziehen, ihr einen Arm um die Taille zu legen und die andere Hand in ihrem blonden Haarschopf zu versenken. "Vielleicht, wenn du ein wenig älter bist, Naomi-chan~", hauchte er in ihr Ohr und schmiegte sich an sie. Hachja... und er kuschelte doch gerne...

Hätte sie merken können, dass er langsam aber sicher die Geduld mit ihr verlor? Ja hätte sie sicherlich, wenn sie nur etwas mehr auf ihn geachtet hätte, aber nun gut so war es wahrscheinlich vorherbestimmt. Mit einem unsanften Stoß beförderte er sie von sich herunter, das war keine Überraschung. Als sie allerdings wieder nach oben sah, kniete er über ihr und seine Hände waren neben ihrem Kopf platziert. So hatten den jungen Mann sicher schon viele Frauen erlebt und sie konnte sich denken, was danach kam. Doch sie wusste, ihr blieb es erspart, sie war zu klein, wahrscheinlich auch nicht ansprechend, das machte soweit nichts. Wer sich nicht darum sorgen musste, dass er die Männer nicht los wurde, hatte mehr Zeit für andere Dinge. Bis vor zwei Jahren etwa hatte man sie noch als Junge erkannt. Was wahrscheinlich auch an dem damaligen Kleidungsstil gelegen hatte. Eine Nachbarin hatte die alten Kleider ihres Sohnes vorbei gebracht und die hatten eben am besten gepasst. Einmal hätte man sie fast aus der Umkleide der Frauen im Badehaus geworfen, weil sie, als sie eintrat, wie ein Junge ausgesehen hatte. Zum Glück war ihnen dann doch noch klar geworden, dass sie ein Mädchen vor sich hatten und ihr war der Anblick vieler nackter Männer erspart geblieben. Nun ja die Fragen, die sie gestellt hatte, schienen ihm extrem auf die Nerven zu fallen, weswegen sie sich diese getrost hätte sparen können aber gut, er war sauer, das wusste sie jetzt. Wahrscheinlich hätte sie es vorher erkennen können, hatte es aber grob und wahrscheinlich mit Absicht missachtet. Musste man ihn wirklich erst so schwer provozieren, um eine wahrheitsgemäße Aussage zu erhalten. Auch wenn für die meisten die Wahrheit nicht das liebste Gut war, so bedeutete sie Naomi sehr viel. "Solange es ehrlich ist, was du tust will ich nicht jammern. Du nimmst dir immer, was du willst, wenn dir gerade danach ist und kein allzu unbequemes Hindernis dazwischen ist, aber was die Wahrheit dahinter ist, werden die Betroffenen nie erfahren, weil sie nicht daran denken zu fragen." "Du brichst in die engsten Kreise anderer Personen ein und bist wütend, wenn sie es bei dir tun. Holst sie mit einer Schnur zu dir hin und bindest sie nach Gebrauch an einen Pfahl, damit sie dir nicht folgen können, aber was willst du damit?" Ihre Gedanken stoppten, als er unter ihre Arme griff, würde er sie erneut stoßen? Langsam schloss sie die Augen, es war, egal was er tat, wahrscheinlich konnte er sie einfach aus dem Fenster werfen und behaupten sie hätte sich zu weit hinausgelehnt. Es war zu beachten, dass er alles tun konnte und sie würde keinen Gegenschritt mehr einleiten wollen, wahrscheinlich war es immer so. In Erwartung allen Übels was diese Welt wahrscheinlich zu bieten hatte war sie verwundert, dass sie sich auf dem Schoß des Magiers wieder fand. Sein Arm lag um ihre Taille und hielt sie, aber nicht wie kurz zuvor um sie irgendwo hin zu schieben, sondern da zu halten, wo sie war. Die andere Hand hatte sich wieder im kurzen Haar der Blonden vergraben. Die Stirn an seiner Schulter abgelegt lauschte sie seinen Worten und es wurde klar, was das zu bedeuten hatte. Was hatte er für ein Bild von ihr, doch sie durfte sich nicht beschweren, aber irgendwie musste sie ihm sagen, dass sie so nicht dachte, so nicht fühlte. Immerhin wollte das Mädchen in zwei oder drei Jahren nicht vor ihm stehen, dazu genötigt etwas nachzuholen, was sie eigentlich nie hatte haben wollen. "Seraphim-sama", ihre Stimme war leicht erstickt von der Zurückhaltung, die sie sich aufzwang, "Wenn älter werden bedeutet, dass du mich, wie du so nett gesagt hast, flach legst, dann bleibe ich lieber ewig klein und vierzehn, bis ich alt und sehr hässlich bin. Nichts wäre es wert auf Momente wie diese zu verzichten, für wahrscheinlich eine Nacht, aus der ich einsam erwache", die Zähne des Mädchens gruben sich in ihre Lippe. Als sie klein war, hatte sie oft bei ihrem Vater mit im Bett geschlafen und wenn dieser auf seine Quests gegangen war hing er früh los, so war sie oft in einem leeren Bett erwacht und allein die Erinnerung konnte noch bestätigen, dass es nicht leer gewesen war, als sie die Augen geschlossen hatte. Wie es jemandem ging, der gerade den Spielen eines Cyrus Ikaros Seraphim auf den Leim gegangen war, wusste sie nicht, aber es war sicher ein schlimmeres Gefühl. Warum überforderte sie sich eigentlich immer mit so was, sie hätte es von Anfang an einfach haben können. Im Zug hätte sie an der Tür sitzen können, auf dem Weg hätte sie lesen können, sie waren nicht von ihm abgebogen, als sie aus dem Bad kam, hätte sie sich einfach in ihr Bett fallen lassen sollen, und als sie am Morgen wach wurde, hätte sie weiter schlafen können wie jeder normale Mensch. Nun ja sie war nun leider nicht normal, deshalb saß sie wieder auf seinem Schoß, wieder in seinem Arm und hoffte, dass die Tränen, die sich mit einem üblen Magengefühl ankündigten, einfach irgendwo stecken bleiben. Einmal hatte man ihr eine komische Puppe gegeben, diese hatte immer denselben doofen Gesichtsausdruck. Wenn man ihr per Flasche Wasser in den Plastikköper pumpte und sie dann auf den Kopf drehte, lief es ihr aus den Lücken bei den Augen wieder heraus, obwohl sie immer noch fröhlich guckte. Das mit dem Gucken klappte gerade nicht so sehr hoffentlich kam Seraphim nicht auf die Idee, sie auf den Kopf zu stellen. Wahrscheinlich wäre es dann mit ihrer Selbstbeherrschung dahin und sie würde weinen, sie war so schon kurz davon und es war bitter. Immerhin würde der eh schon genervte Questleiter sie dafür noch mehr hassen. Dieser konnte Kinder nicht leiden und kindliches Verhalten schon gar nicht. Erwachsene weinten nicht nur in extremen Situationen und das war diese sicher nicht, immerhin hielt er sie gerade sehr versöhnlich im Arm, nachdem das Gerüst dieser eh fragwürdigen Beziehung nur noch aus drei Stelzen befand. Wackelig balancierte sie auf der einen, aber der Wirkliche halt kam von ihm. Alles richtete sich nach ihm, musste es sogar, sonst war es nicht praktikabel.

Ja, um sicher zu gehen, dass Cyrus die Wahrheit sagte, musste man ihn wohl oder übel aufregen. Normalerweise war der junge Mann ein fanatischer Anhänger der Ironie, gerne auch mal des Sarkasmus. Dazu passend lächelte er auch eigentlich immer, sodass man aus dieser normalerweise Freude verkündenden Gefühlsregung auch nicht mehr schlau werden konnte. Das einzige, was da half, war Erfahrung mit ihm - denn auch er zeigte subtil und manchmal ungewollt, wie er sich fühlte. Offenbar war Naomi eine wahre Analytikernatur, da sie recht schnell ihre Theorie dazu aufstellte, wie er wohl funktionierte, auch wenn sie ihm im selben Zug eine Art Abfuhr erteilte, mit einer Stimme, die einen Tränenschwall zurückzuhalten schien. Cyrus saß wortlos da und schluckte jedes einzelne Wort des kleinen Mädchens, das Lächeln unbewegt, die Augen auf einen Punkt an der hinteren Wand gerichtet. Zwar schaffte sie es sicherlich nicht, ihm ein schlechtes Gewissen einzureden, aber zumindest hatte sie seinen aufkeimenden Zorn recht schnell beruhigen können. Seltsam, dass ihn gerade diese Offenlegung der Tatsachen dazu brachte, wieder ruhiger zu werden, nicht wahr? Auch wenn er sich fragte, warum Naomi kurz vorm Weinen stand - er verstand das gerade nicht. Natürlich hatte er nicht nur einmal weibliche Wesen zum Heulen gebracht, aber wenn man die Gründe dazu nun mal verglich, war Naomi doch wirklich gut weggekommen. Er hatte sie nämlich nicht nach einer wahrscheinlich atemberaubenden Nacht vollkommen allein zurück gelassen, in dem Wissen, dass er sie einfach nur ausgenutzt hatte. Er hatte ihr nur die Möglichkeit nahegelegt, dass er das tun würde, wenn sie älter wäre oder noch zu tun gedachte, wenn sie ein entsprechendes Alter erreicht hatte. Warum fing sie denn jetzt schon an zu heulen, obwohl er ihr noch gar nichts getan hatte? Glaubte sie irrsinnigerweise, dass ihm dieser mühsam unterdrückte Ausbruch ein schlechtes Gewissen machen würde und ihn davon abhalten würde? Das war nicht der Fall, eher bestärkte es ihn noch in diesem Gedanken. Er wollte ihr nichts böses, bisher konnte er das kleine Mädchen recht gut leiden, aber in ihm keimte die Neugier auf, wie sich Naomi wohl in ein paar Jahren anstellen würde - vor allem, wenn sie sich jetzt schon das Ziel setzte, dem Älteren nie die Chance zu geben, seinen Spaß auf diese Weise mit ihr zu haben. Eigentlich hatte er genug Vertrauen in sich selbst, um davon auszugehen, dass sie an diesem Vorhaben nicht würde festhalten können, wenn er es erst darauf anlegte - aber ein kleines Spiel war doch auch nicht schlecht. Selbst wenn es lange weilte und sich über mehrere Jahre ziehen würde, so empfand er es gerade als eine lustige Idee. So lange würde er aber dafür Sorge tragen müssen, dass Naomi sich nicht einen Freund oder ähnliches angelte, ehe er zum Zuge gekommen war... auch wenn er es für unwahrscheinlich hielt, dass sie so jemanden finden würde, ehe er der Meinung war, dass sie fällig war. Mmhja... das würde er tun. Das Lächeln wurde zu einem Grinsen, aus Vorfreude gespeist - aber zum Glück war es für Naomi unsichtbar, da sie sich an seine Schulter gelehnt hatte. "Aber, aber, Naomi-chan~", säuselte er und streichelte sanft über ihren Kopf, rutschte etwas zurück und lehnte sich an das Kopfende des Bettes zurück, sodass er wieder einigermaßen waagerecht lag und das kleine Mädchen ebenso bequem auf sich liegen ließ, wie sie zuvor aus Dummheit gelandet war. "Ich habe dir doch noch gar nichts getan, jetzt zu weinen erschiene mir ein wenig voreilig. Außerdem gibt es einige, die das in Kauf nehmen - dennoch musst du dir sicherlich keine Sorgen machen... meinetwegen können wir auch kuscheln. Aber nun, wenn du jetzt nicht zu heulen anfängst~", wisperte er mit freundlicher Stimme, die nicht vermuten ließ, dass er sich zuvor noch dermaßen anmaßende Gedanken gemacht hatte und legte einen Arm hinter seinen Kopf. Mit der anderen Hand strich er über die Wange des Mädchens und blickte sie lächelnd an, ehe er gähnte und die Augen wieder schloss. Es war noch so früh, da musste er ja nicht schon aufstehen, oder? "Wenn du nämlich weinst, dann wird es mir hier eindeutig zu feucht... aber man höre und staune - du bist doch ganz schön schlau, Naomi-chan~" - Und dabei war es doch ärgerlicher, wenn es trocken bleib, nicht wahr? Aber nein, Naomi sollte nicht weinen, das würde man noch Stunden später sehen und man könnte sich fragen, ob er daran Schuld war. Da er nun aber Menschen nach Informationen befragen musste, war es im Allgemeinen nützlicher, wenn man nicht wie ein Kinderquäler rüberkam. Außerdem erzählte man strahlenden, süßen Mädchen sicherlich gerne mal etwas mehr, als einem verschüchterten Kind, welches unter seiner Fuchtel zu stehen schien. Zudem war sie irgendwie niedlich - und wenn auch nur als Teddy im Moment. Warum er sie als schlau bezeichnete? Im Gegensatz zu gestern Abend schien sie verstanden zu haben, wie der Teufel hinter der Engelsfassade tickte.

Es stand ein Kampf ins Haus, Naomi Willen gegen den Willen Seraphims. Zwei Dickschädel knallten aufeinander und was dies betraf, würde wohl keiner von ihnen nachgeben. Wenn Naomi gewusst hätte was er dachte, wäre sie wohl nicht so ruhig geblieben. Allein der Plan zu verhindern, dass sie einen Freund bekam war schon grausam, denn immerhin war es doch der Wunsch jedes Mädchens sich einmal zu verlieben. Zum Glück verfolgte Naomi dieses Thema nicht allzu eifrig, weshalb es noch nichts gab wobei sich der Junge hätte in den Weg stellen können. Langsam trocknete sie allerdings aus, er wurde ruhiger. Das entspannte sie etwas, denn es war doch etwas leichter mit ihm umzugehen, wenn er nicht gerade sauer war. Auch, wenn man dann von ihm die Wahrheit über seine Gedanken erfuhr, es war eine unangenehme Weise sie zu erfahren. Wieder konnte das Mädchen seine Hand in ihrem Haar fühlen und diese komisch säuselnde Stimme. Ja der Dragonslayer hatte sich wieder gefasst, diese Tonlage war irgendwie ein Vorbote dafür, dass man nicht mehr so ernst nehmen durfte was er sagte. Dieses einlullende, was die Frauen reihenweise in seinen Bann zog. Sicher man konnte sich einbilden, dass sie einen liebevoll, sanften oder sogar verführerischen Klang hatte, aber so langsam sah Naomi eher einen Witz darin. Dann legte sich ihr Kissen wieder auf das Bett zurück und zog sie mit sich. Leise atmend beruhigte sich die Magierin an der Brust des anderen. Neben den Worten des Weißhaarigen, die ihr sagten, dass sie kuscheln würden, so lang sie nicht weinte hörte sie wieder den Herzschlag, sie mochte diesen Ton, das Einzige in ihm, das niemals log. Mit dem langsamen Schlagen sagte es immer wieder, dass er noch lebte, das Einzige, was es sagte und es war die Wahrheit. Dann wanderte seine Hand aus ihren Haaren an die Wange und sie blickte zu ihm auf und sie sah ihn lächeln, Seraphims Lächeln war allerdings ebenso wenig besonders wie ihres. Eine natürliche Maske die alle anderen Emotionen verdecken sollte, nur, dass er schon um einiges mehr Übung darin hatte. Mit einem Gähnen schlossen sich seine Augen wieder, das hieß sie würden wohl noch ein wenig liegen bleiben und den Morgen vertrödeln. Wahrscheinlich war so früh keiner wach, obwohl die Sonne einen herrlichen Tag versprach. Dann griff er die Sache mit dem Weinen wieder auf, der Drang dazu war allerdings längst verschwunden. Doch der letzte Satzteil überraschte die Kleine, schlau sollte sie sein? "Irgendwie hatte ich geahnt, dass etwas in dir steckt, was nicht so ist, wie du von außen scheinst, aber das stört mich nicht", ruhig kuschelte sie sich an ihn und genoss einfach die Ruhe, welche wieder herrschte. Allerdings würde sie nicht erwarten, dass es so blieb. Stumm schob sich die kleine Hand wieder in sein Haar und kraulte ihn liebevoll, dabei sah sie ihn nicht an. Vielleicht konnte er es so sogar genießen und das Mädchen konnte wieder sein Haar berühren. Kühle Luft wehte durch die Fenster herein, es war doch recht angenehm und besonders, weil sie ahnte, dass er ebenfalls nichts gegen das Lüftchen einzuwenden hatte, sonst hätte er nicht toleriert, dass sie die Nacht mit zwei offenen Fenstern verbrachten. Auch Naomi schloss ihre Augen wieder und erneut erschien es, eine Art Plateau, die Sonne stieg gerade über seinen Rand und der Wind fegte durch das hohe Gras, in dem sie lag. Es überragte sie weit, weshalb sie sehen konnte, wie es im Wind hin und her wog, ein friedlicher Ort. Warum sie diesen ausgerechnet sah, wenn sie bei dem Jungen lag war, ihr schleierhaft, im Zug hatte sie diesen Tagtraum. Seraphim war der begleitende Wind, der immer wieder durch ihre Gedanken rauschte und dort alles durcheinanderwirbelte. Zu seinem eigenen Vergnügen wahrscheinlich.