Es mochte zwar stimmen, dass Cyrus' Lächeln eine Maske war, die ihn undurchschaubar zu machen hatte, aber das bedeuetet noch lange nicht, dass es nichts besonderes war. Im Gegenteil konnte er nur mit dieser eher beschränkten Mimik durch das variieren winziger Feinheiten eine Menge unterschiedlicher Aussagen treffen. Natürlich war diese Fähigkeit nicht etwa angeboren, stattdessen hatte der Junge es sich antrainiert, immer das ausstrahlen zu können, was er gerade wollte. Auch wenn er innerlich höhnisch über jemanden grinste, so konnte er verständnisvoll und zärtlich wirken - das Ziel war so jedenfalls einfacher zu erreichen, als wenn er sein Herz offen auf der Stirn tragen würde. Dann würde er wahrscheinlich nicht mal das hässlichste, verzweifelste Mädchen ins Bett kriegen, von denen, die er temporär begehrte, mal ganz abgesehen. Wie er mit den Menschen zu spielen hatte, hatte der jüngere Cyrus auch erst vor etwa zweieinhalb Jahren in Erfahrung bringen können; wenn man sich darüber klar wurde, wie selbstverständlich er heutzutage mit seiner Sexualität hausieren ging und man erfahren würde, dass er davor nicht einmal genau wusste, dass Mädchen überhaupt existierten, würde man mit Sicherheit lachen. Aber das stimmte so, es war der angeborenen Neugier des jungen Mannes zu verdanken, dass er diesem Mysterium der anders geformten Wesen auf den Grund gehen wollte - und Grandine, dass er dabei niemanden zu etwas hatte zwingen können, was diese Person nicht wollte. Immerhin hatte er nie wirklich gelernt, auf andere Rücksicht zu nehmen und wenn er gerade dabei war, etwas zu erkunden, dann störten ihn auch mehrfache Aufforderungen in allen Lautstärken, das gefälligst sein zu lassen. Das war auch einer der Tage gewesen, an die sich Cyrus wohl immer erinnern würde, allerdings nicht wegen der gerade noch verhinderten Schandtat des Jungen, sondern wegen der auf den Fuß folgenden Bestrafung seiner Ziehmutter. Wenn es jemanden gab, den der Dragonslayer fürchtete, dann die Drachin des Himmels. Sie war auch diejenige, die den meisten Respekt genoss, in ihrer Gegenwart traute er sich nicht, großspurig, überheblich oder gar arrogant zu sein, wenn er auch versuchte, einen letzten Rest Würde zu bewahren, dann äußerte dieser sich darin, dass er immerhin noch aufrecht ging, mit fester Stimme sprach und es fertig brachte, nicht zu zittern. Ansonsten aber hörte er nicht nur aufs Wort, sondern hatte fast ständig Sorge, dass sie vielleicht zu viel aus seinem Leben mitbekommen hatte und der Meinung war, dass man ihm mal wieder ein wenig Benehmen einbläuen müsse. Ganz im Gegenteil dazu, dass sie friedfertig war und der Urdrache, der den Menschen sogar manchmal half, indem sie sie heilte, hatte sie beizeiten bemerkt, dass man das Monsterego ihres Zöglings nur mit Gewalt in die Knie zwingen konnte. Das mochte hart klingen, war aber die Wahrheit. Zwar schaffte sie es bemerkenswert gut, rein verbal durch seine Schutzschichten zu schneiden, aber er war dagegen weitaus besser gefeiht, als wenn sie ihm einfach... zum Beispiel entlang der Narben den Rücken aufschlitzte und ihn ein wenig bluten ließ, während sie ihm seine Vergehen vorhielt. Tatsächlich heilte sie ihn danach sowieso wieder und er wusste das, aber es führte zumindest dazu, dass er in den Wochen darauf durchaus... umgänglicher war. Er traute sich erst mit der Zeit wieder, über die Strenge zu schlagen, dann aber wieder richtig. Und so ging das weiter und weiter... bis er es wieder übertrieb. Da Grandine aber keine besondere Beziehung zu seinen Opfern hatte, war das Strafmaß wahrscheinlich noch milde, was passieren würde, wenn sie eine Beschwerde von einem ihrer Geschwistern bekommen würde, weil sich Cyrus an deren Zöglingen vergriffen hatte... darüber dachte man besser nicht nach. Es war allerdings schon etwas her, dass sich das ungleiche Paar gesehen hatte, sehr zum Bedauern des jungen Mannes, denn ebenso wie er sie fürchtete, liebte er den riesigen, geschuppten Drachen auch. Das war allerdings in etwa das Gefühl, was ein Kind an seine Mutter band, ob er ansonsten zu lieben in der Lage war? Nicht sicher jedenfalls.
"Ach, hattest du das?~", murmelte er mit immer noch geschlossenen Lidern und kratzte leicht mit zwei Fingern über seine Wange. Selbst die Bartstoppeln, die jede Wette dort sprießen würden, wenn er sie nicht regelmäßig mit penibler Sorgfalt entfernen würde, hatten die Farbe frisch gefallenen Schnees, ebenso wie seine Augenbrauen und Wimpern. Was seinen Plan Naomi betreffend anging, natürlich war allein der Gedanke grausam. Aber Cyrus mochte grausame Spiele, wenn er denn derjenige war, der die Kontrolle über sie behielt. Zudem er ja nicht gleich alle Jungen, die Naomi sympathisch fand, umbringen musste, das wäre wohl zu drastisch. Nein, er musste sie nur vergraulen und das würde er schon schaffen. Zunächst einmal musste die Blondine noch eine Runde Teddy spielen, denn er hatte zumindest für die nächste Viertelstunde nicht vor, sich aus dem Bett zu bewegen. Ein kühler Wind zog durch die offenen Fenster hinein und umspielte seine Haare; die Lippen des jungen Mannes öffneten sich einen Spalt und er atmete tief ein - und schluckte. Frühstück im Bett, da konnte man fast schon neidisch werden, nicht wahr? Zudem Naomis Finger weiterhin in seinen Haaren kraulten und ihm ein wohliges Seufzen entlockten. Doch, doch... wahrscheinlich könnte sie auch ganz wunderbar massieren. Er schnurrte und legte den Kopf in den Nacken, um sein Grinsen zu verbergen. "Dein Vater... ist der auch Magier?", fragte er dann plötzlich ohne erkennbaren Zusammenhang. Eigentlich interessierte er sich nicht so besonders für Väter, hatte er doch seinen schon früh verloren und bereute es nicht einmal besonders, aber doch... wie Familie wohl war, wenn sie nicht aus einem haushohen, Respekt einflößenden Drachen bestand?

Er schien das Kraulen zu genießen, weswegen sie damit fortfuhr und sich dabei entspannt an seiner Brust noch etwas Ruhe gönnte. Das war wirklich etwas Besonderes, was er an sich hatte. Von einem Moment, indem ihr vor Unwohlsein der Magen im Dreieck gesprungen war, hatte es sich innerhalb von Sekunden in einen Zustand ausgeglichener Ruhe. Man musste diese Momente mit ihm wahrscheinlich genießen, bevor er einen im nächsten Moment wieder auf die Palme brachte. Als er wohlig seufzte, musste sie leicht grinsen, da war er wieder das Kätzchen. Das Mädchen konnte sich den jungen Mann sehr gut als Katze vorstellen, eine weißschwarze, auf der einen weiß auf der anderen Seite schwarz. Je nach dem nach was ihm gerade war würde er nur die eine oder die andere Körperhälfte zeigen. Doch der Schein war falsch, nicht die weiße Seite, welche er gerne nach außen trug barg, die Wahrheit seines Wesens in sich, es war schlicht weg eine Art Tarnung um die Mäuse, welche er mit Vorliebe verspeiste zu täuschen. Dass in deren Köpfen nicht mehr als heiße Luft war, wenn sie den weißen Kater sahen, der in ihre Augen leuchtete wie der helle Sonnenschein, die schwarze, schattige Seite sahen sie nicht, wie auch, sie war ihnen abgewandt. Wenn sie dann nah genug kamen, schnappte die Falle zu. Der Kater verzehrte sie mit Haut und Haar und ließ von ihnen nur das übrig, was er nicht verwerten konnte. Die Frage, die offenblieb, war Naomi auch eine Maus? War sie vielleicht doch eher ein Vogel, der davon fliegen konnte? Oder doch die ungenießbare Kröte? Ein verwirrendes Tierkarussell drehte sich vor ihrem inneren Augen und es war ungewiss, wo es stoppen würde. Allerdings machte das auch nichts, was auch immer sich in ihren Gedanken ergab, es war eh das, was sie am liebsten wollte und nicht das was die Wirklichkeit bestätigen würde. Eine Frage, die ohne Zusammenhang gestellt wurde, winkte sie zurück aus ihren Gedanken. Ob ihr Vater Magier war? "Ja, ein recht Guter, angeblich, davon ist nichts mehr übrig befürchte ich, zumindest wüsste ich nichts davon, dass er überhaupt noch zaubert", sagte sie ruhig, leichte Enttäuschung schwang in der Stimme des Mädchens mit. Es wäre sicher gut für Rio sich wieder damit befassen würde und sei es nur deswegen um sich selbst etwas zu beschäftigen. Außerdem gab es noch einige Dinge mehr, die sie interessieren würde. Zum Beispiel woher der Adelstitel de Avillon kam, den er trug, warum er nie von seiner Familie erzählte und wo diese war. Fragen, die sie noch nie wirklich gestellt hatte, weil sie sich nicht traute. Wahrscheinlich, weil er alles tat, um es zu vermeiden. Es störte den Mann nicht, wenn man ihn mit Kagekami ansprach. Dieser Name war laut den Gastwirten, bei denen sie gewesen war, ihr Nachname nicht der seine. Viele ungeklärte Fragen taten sich ihr auf, doch das sollte nicht ihr Problem sein, zumindest glaubte sie daran. "Du lebst alleine oder?", ihre Hand kraulte immer noch den Kopf des jungen Mannes. Die Haut, auf der sie lag war, warm und blass, sehr blass, fast dieselbe Farbe wie seine Haare, ob das normal war? Aber sie wollte nicht fragen, was es damit auf sich hatte. Es reichte ihr vollkommen einfach dazu liegen und es zu genießen. Langsam und leise atmete sie und kuschelte sich an ihn. Am liebsten hätte sie diesen Moment festgehalten, für immer, allerdings mussten sie sich doch wohl irgendwann erheben. Allerdings war es noch nicht so weit und dafür war sie dankbar. Immerhin hätte einiges passieren können, nachdem der Magier die Kontrolle über seine Handlungen verloren hatte. Allerdings war er friedlich geworden, warum genau hatte sie sich nicht ausmalen können, aber vielleicht brodelte er innerlich ja noch und wollte ihr bloß nicht unnötig Angst einjagen.

Oh nein, Cyrus hatte sicherlich nicht die Kontrolle über sich verloren, offenbar hatte Naomi immer noch ein harmloseres Bild von ihm, als es der Wahrheit genüge getan hätte. Sie war ein so zartes Geschöpf, dass er sie ohne weiteres zu Tode hätte prügeln können, immerhin waren die Muskeln, die sich unter der ebenen Haut abzeichneten, nicht nur zum Angucken da. Aber er hatte keinerlei Gewalt angewendet, stattdessen ihr nur ein paar ehrliche Worte ins Gesicht gesagt und sie abschließend in eine Umarmung gezogen. Er verhielt sich also richtiggehend brav, wenn man mal davon absah, dass er sich vorgenommen hatte, Naomis Unschuld solange zu behüten, bis er sie sich selbst nehmen konnte. Aber da das noch nicht mit realen Handlungen verbunden war, sondern nur auf schmutzige Gedanken hinwies, hielt er sich doch noch ganz gut. Naomi kam wohl gerade in den Genuss einer Situation, die einmalig war: Sie lag mit Cyrus in einem Bett und er hatte nicht vor, sie auf der Stelle flachzulegen. Das war beinahe schon so besonders, dass es notiert gehörte, aber wer würde so etwas schon aufschreiben? Jedenfalls war es nicht verwunderlich, dass ihr seine helle Haut auffiel, aber es gab keinen Grund zur Sorge, diese Farbe stammte weder von zu wenig Sonneneinstrahlung noch von irgendeiner Krankheit. Auch wenn sich Cyrus nicht mehr richtig an seine Eltern erinnern konnte, so hatte man ihm erzählt, er habe die Hautfarbe seines Vaters geerbt und sogar beide Elternteile hätten weiße Haare gehabt. Also war das alles eine Sache der Vererbung. Ob Naomis Vater auch blonde Haare hatte? Oder doch eher ihre braunen Augen? Oder gar nichts davon? Er wusste ja immer noch nicht, dass Naomi nicht einmal ihren leiblichen Vater kannte und sie nur adoptiert worden war, aber woher auch? Allerdings musste man schon sagen, dass es ihn auch eigentlich gar nichts anging, er band ja auch nicht jedem auf die Nase, dass seine Eltern beide an einem Tag gestorben waren und er damals auch nicht lange überlebt hätte, wenn der Zufall nicht eingegriffen hätte. Hätte sich Familie Seraphim nicht dazu entschlossen, jenen Ausflug in den Wald zu machen, dann wäre er nun sicherlich ein freundlicher und höflicher junger Mann, der Windmagie praktizieren würde und sich wahrscheinlich mehr um das Wohlergehen anderer sorgen würde, als um das eigene. Und ob er je auch nur eine leicht bekleidete Frau gesehen hätte, wäre fraglich gewesen. Diese unglückliche Fügung des Schicksals jedoch hatte aus ihm das egoistische Arsch gemacht, das nun die Streicheleinheiten des vier Jahre jüngeren Mädchens genoss.
"Ja.", kam die knappe Antwort auf Naomis Frage, ob er alleine wohnte. Wie sollte sich sein Lebensstil auch ansonsten realisieren? Immerhin schlief er genauso oft bei sich, wie bei irgendjemand anderem und hatte zudem generell eine sehr wenig sozial förderliche Einstellung zu anderen Menschen. Außerdem... mit wem sollte er denn zusammen wohnen? Seine Familie war ohne Ausnahme tot und eine Freundin... mal ehrlich, sollte das ein Witz sein? Es stand immer noch zur Debatte, ob ein Egomane wie Cyrus überhaupt zur Liebe fähig war, derweil er sicher nicht in der Lage dazu sein würde, einer Person auf lange Sicht treu zu bleiben, dazu musste diese ihn schon dermaßen in ihren Bann ziehen, dass er keine Ambitionen hatte, sie zu betrügen. Aber ob eine solche Person überhaupt existieren konnte, war fragwürdig. Deswegen hauste der Dragonslayer allein in seinem Nest, einer Dachwohnung in Oshibana Town, die allerdings durchaus einen Besuch Wert war. Auch wenn man es nicht von ihm erwarten würde, so war sie stets sauber und aufgeräumt, auch wenn er sich sowieso am liebsten auf der Dachterrasse aufhielt, über die der Wind nur so hinwegzog. "Ist deine Mutter gestorben oder warum hast du bisher nur deinen Vater erwähnt?"
Naomi war übrigens ein süßes kleines Babymäuschen, was noch zu wenig Kalorien hatte, als dass es sich zufressen lohnen würde.

Natürlich lebte der Dragonslayer alleine. Das hätte sie sich auch denken können. Es gab wohl kaum jemanden, der es ertrug, wenn er mit jemandem zusammenlebte, der Frauen öfter wechselte als seine Wäsche. Eltern, die ihn bevormunden würden, konnte sie ihm nicht zutrauen, dafür war er viel zu gerne frei. Eine Freundin hatte er auch nicht, man musste wahrscheinlich sehr wenig Selbstwertgefühl haben, um jemanden zu lieben, der diese Gefühle nicht erwiderte und sich einem nur dann zukehrte, wenn gerade nichts bessere da war. Mal ganz davon zu schweigen, dass es sicher einiges brauchte, um sich dauerhaft für diesen Kerl interessant zu machen. Jedoch waren dies keine Dinge, um die sie sich sorgen musste, immerhin war es nicht von Nöten, sich zu interessant zu machen. Eher uninteressant, aber so wie es jetzt war, war es ihr ganz angenehm. Während sie weiter sanft über den Kopf des jungen Mannes strich, und massierte ihm ab und an mit sanften, kreisenden Bewegungen die Kopfhaut. "Ich denke, dann komme ich dich mal besuchen und dann kannst du dich mal bekochen lassen", sie musste leicht grinsen, bei dem Gedanken. Wahrscheinlich würde jetzt etwas kommen wie zum Beispiel, dass er niemanden außer sich in seine Küche ließ, aber das sollte sie nicht weiter stören, immerhin war es nur ein nett gemeintes Angebot von ihrer Seite. Dass Seraphim sowieso plante, sie länger im Auge zu behalten. Tja, wenn sie sich dessen bewusst wäre, würde sie wohl etwas vorsichtiger mit dem Magier umgehen, aber so hatte sie ihn recht gern und lag in einem wohligen Zwischenstadium von Schlafen und wachen auf seinem Körper. Dieser roch immer noch angenehm nach frischem Wind, und auch wenn die beiden Fenster offen standen war, ihr nicht kalt. Man könnte wirklich sagen, dass es ihr gut ging, bis er plötzlich eine Frage stellte. Ihre Mutter, sie schloss die Augen und ihr Körper verkrampfte sich, als das Kind mit allen Mitteln versuchte eine Erinnerung zutage zu befördern. Da waren einige weibliche Gesichter, die Nachbarin mit den zwei Kindern, doch sie war deren Mutter und nicht ihre. Weiter zurückblickend war da noch diese komische Frau, welche sie aufgezogen hatte, bevor ihr Vater sie zu sich nahm. Aber auch die sah ihr nicht im geringsten ähnlich und ihr Mann ebenfalls nicht. Vor Verzweiflung begann sie zu zittern, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, es war einfach unmöglich die Frage des anderen zu beantworten: "Ich ... ich kann nichts sagen ... ich weiß es nicht." Zwei Augen huschten durch ihre Erinnerung, ihre eigenen? Sie sahen so aus, aber doch blickten sie das Kind an, also waren es ihre Augen? Das Mädchen bemühte sich das sanfte Streicheln, Kraulen und Massieren des anderen nicht zu vernachlässigen, aber ihre andere Hand, die griff in das Laken neben seinem Bett, während sie krampfhaft versuchte sich an mehr zu erinnern, aber da war nichts, es war einfach Leere in ihrem Kopf und das machte ihr Angst. "Ich weiß es nicht, ich kenne meine Eltern nicht, sie wollten mich wahrscheinlich nicht haben." Allein die Vorstellung verursachte bei ihr gehörige Magenschmerzen. Eigentlich hatte sie noch nie darüber nachgedacht, jeder in ihrer Umgebung dachte wohl, dass die Wirte ihre Eltern waren, oder sie fragten nicht, weil Rio sie gebeten hatte, dies nicht zu tun. So kam es, dass sie bisher, diese Frage nie hatte überdenken müssen. Nun da es so weit war, fühlte sie sich hilflos und dumm. Naomi war nicht in der Lage Auskunft über ihre Familie zu geben, wahrscheinlich konnte das keiner. Dann zwang sie sich wieder zur Ruhe, atmete einige Male tief ein und aus und sagte dann: "Es tut mir leid, ich weiß die Antwort auf die Frage nicht", nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu, "mit Glück gibt mir das Schicksal vielleicht eine, wobei die Chancen da nicht gutstehen." Ja der Rollstuhlfahrer war sicher attraktiv, keine Frage, aber welche Frau würde sich mit einem Querschnittsgelähmten einlassen?

"Glaubst du, ich könne nicht kochen?", murmelte er mit geschlossenen Augen, sich unter den kraulenden Fingern des Mädchens zunehmend entspannend. Wohlig räkelte er sich etwas unter ihrem Körper, der auf dem seinen lag, es tat beinahe schon richtig gut, was sie da anstellte. Eigentlich war es nur eine kleine Aufmerksamkeit, in etwa wie eine Umarmung und trotzdem hieß er sie gerade richtiggehend gut. Es war wohltuend und schön und nicht nur einmal hatte er bisher leise geseufzt oder gar geschnurrt. Warum sollte er das auch nicht tun, viele Tiere gaben ähnliche Laute von sich und er hatte immerhin zehn Jahre in der Wildnis verbracht. "Besuchen kannst du mich vielleicht, wenn du mich denn antriffst." Es kam eben oft vor, dass er nicht da war. "Ich wohne ganz in der Nähe von Hanibis Café, frag einfach eine der Kellnerinnen, die sollten es fast alle wissen." Warum sollte sie ihn auch nicht besuchen kommen und ihm etwas kochen, das war doch praktisch und... vielleicht könnte sie das, was sie gerade tat ja noch einmal wiederholen - vielleicht auf seiner Dachterrasse, wenn es schön windig war. Woher besagte Kellnerninnen seinen Wohlsitz kannten? Nunja... nicht nur eine gehörte zu denen, mit denen sich Cyrus noch immer manchmal vergnügte, ohne dass sie ihn gleich hassten.
Oh, da schien er ja einen Nerv getroffen zu haben, als er nach ihrer Mutter fragte. Das kleine Mädchen schien mit einem Mal ganz steif und kalt zu werden, ihre Bewegungen wurden mechanischer und sie zitterte. Danach faselte sie etwas von wegen dass sie ihre Eltern nicht kennen würde - obwohl sie doch noch zuvor von einem Vater geredet hatte. War sie nun vollkommen Banane oder war dieser Mann auch kein Blutsverwandter, sondern hatte sie adoptiert? Ja, das schien wohl eher der Fall zu sein, denn trotz ihres noch jungen Alters schien Naomi erstaunlich rational und vernünftig zu sein, beinahe so sehr, dass man sie für deutlich älter halten könnte. Beruhigend streichelte er ihr durch die Haare und zog sie etwas mehr zu sich, als wolle er sie trösten. Das war auch mehr oder minder der Fall, da er immerhin wusste, wie es sich anfühlte, seine Eltern zu verlieren, auch wenn er inzwischen mehr als gut über ihren Verlust hinweg gekommen war. Zwar schien es ja ganz so, als ob Naomi ihre Eltern nicht einmal gekannt hatte, aber dafür war sie ja auch noch einen Ticken jünger als er, der mit ansehen musste, wie sie ermordet wurden, als er gerade einmal sechs Jahre alt war. Dabei fand er es in der Retrospektive irgendwie viel schlimmer, dass er an diesem Tag auch beinahe gestorben war und sich so schrecklich hilflos gefühlt hatte, als dass er seine Eltern verloren hatte. War wohl seinem schlechten Charakter zu verdanken, dass er nicht zu mehr in der Lage war, aber wer wäre er denn, wenn ihn diese Tatsache auch nur im Geringsten ärgern würde? Nein, aber in jedem Falle konnte er sich zumindest denken, wie sich Naomi fühlen würde, auch wenn er dieses Gefühl nur in anderem Zusammenhang kannte. Er hatte höchstens Sorge, Grandine zu enttäuschen, begehrt und gewollt wurde er genug. "Ach, Naomi-chan, Zieheltern haben auch was an und für sich, da sitzen wir wohl in einem ähnlichen Boot...", meinte er mit ernster, aber tröstender Stimme. *Auch wenn sie erst dann wunderbar werden, wenn sie nicht menschlich sind.* "Du solltest sie einfach vergessen, das ist das beste." *Habe ich auch gemacht, funktioniert prima* "Außerdem ist es ganz lustig, manchmal kommen Kinder nach ihren Eltern, manchmal auch nicht. Es ist deswegen nicht schlimm, seine Eltern nicht zu kennen, weil man wahrscheinlich eh nicht viel verpasst. Ich meine, meine Erzeugerin soll Nonne gewesen sein..." Er kicherte belustigt und tätschelte Naomi die Wange. "Vielleicht war deine ja eine Tyrannin, würde denselben Effekt haben."

Erneut schien es ihr gut, dass sie begonnen hatte, ihn zu kraulen. Fast konnte sie fühlen, wie er sich zunehmend entspannte und das war mehr als vorteilhaft, immerhin waren entspannte Leute erträglicher als gereizte. Besonders, wenn man selbst gerade auf ihnen lag, und versuchte sich zu entspannen. Auf ihr Angebot hin bei ihm vorbei zu sehen und ihm etwas zu kochen schien er gespielt empört und fragte, ob sie glaubte, er könne nicht kochen. Doch das glaubte sie, immerhin hatte er bis jetzt überlebt. „Nein ich bin mir sehr sicher, dass du kochen kannst, immerhin hast du bis jetzt auch allein überlebt, aber es ist doch immer etwas entspannender, wenn das jemand anderes übernimmt oder?“, sie war davon überzeugt, denn auch Naomi war glücklich, wenn sie gerade mal nicht kochen musste. Doch das musste nicht für jeden gelten, immerhin waren die Menschen deshalb so besonders, weil sie alle verschieden waren. Während das Kind, weiter darin verschwand ihn sanft zu kraulen stellte er diese Frage, welche dem Mädchen doch recht schwer zusetzte. Als sie zitternd und verzweifelt nach der Antwort suchte, geschah etwas, was sie nicht vermutete hatte. Die Arme des jungen Mannes schlossen sich enger um sie, hielt das Wesen an seinem Körper dicht an seinem Körper und das verschaffte eine überraschende Sicherheit. Auch wenn die Magierin gerade leicht verzweifelte und sich nicht sicher war, wie sie nun auf das alles antworten sollte schien, der eigentlich so kühle andere sie trösten zu wollen. Das war doch etwas überraschend, denn Seraphim, war kein Menschenfreund und auch vorher schon war eigentlich mehr als deutlich geworden, dass es ihn recht wenig interessierte, was sie tat oder wie es ihr ging. Nun jedoch hört sie seine Stimme, die sanft erklärte, dass er genau wusste, wie sie sich fühlte. Dass er ebenfalls keine Eltern hatte, schien zwischen ihnen eine kleine, schwache Verbindung entstehen. Der Rat ihre Eltern zu vergessen, so wie er es getan hatte schien gut und es war denkbar einfach, denn immerhin hatte sie keine Erinnerung an diese Menschen, mal abgesehen von einem Namen, den sie immer noch trug. Doch eines Tages würde sie ihn ablegen und dann war alles nur ein böser Traum gewesen. Leicht legte sie ihre Wange an seine und schloss die Augen. Ob es so war, wenn man kein Einzelkind war? Manchmal hatte man das Gefühl, dass einen das andere „Kind“ hasste und dann wiederum wurde man in schöneren Momenten warmgehalten. „Ich werde es versuchen Seraphim-sama“, murmelte sie leise in sein Ohr, „Danke.“ Zart legte sie ihre Lippen an die Wange ihres Begleiters. Nicht so provokant, wie er es am Abend zuvor getan hatte, sondern einfach und vorsichtig. Es zeigte sich mal wieder, dass sie nicht wusste, was man mit etwas so Simplen alles signalisieren konnte. Es war ihr möglich mit zu zeigen, dass sie ihn gerne hatte, das reichte ihr, denn genau das war der Fall. Wahrscheinlich hätte man sie für verrückt erklärt, manch eine junge Frau hätte sie wohl auch vom Körper des Dragonslayers herunter gerissen. Entweder um diesen für sich zu beanspruchen oder um das arme kleine Mädchen vor den bösen Dingen zu schützen, die er ihr antun konnte. Allerdings war es ihr gerade egal, Naomi tat es gerade sehr gut, dass genau dieser Magier bei ihr war, er schien erstaunlicherweise gerade wirklich das bisschen Einfühlungsvermögen zusammenzukratzen, was er besaß und das machte sie glücklich und dankbar. Ihr Körper entspannte sich wieder und etwas erleichtert seufzte sie. Ihr Gesicht schmiegte sich wieder an den Brustkorb des Himmelsmagiers und alles schien in Ordnung zu sein. Es war wahrscheinlich erschreckend gewesen, dass sie sich so wenig hatte beherrschen können, außerdem war es peinlich, aber nun gut, er hatte wohlwollend darüber hinweggesehen und ihr sogar Trost gespendet. Langsam erschien ein Lächeln auf ihre Lippen, es war einfach ein Zustand von Zufriedenheit, gemischt mit der Wärme, die von dem wundersamen Mann unter ihr kam, die sie in Geborgenheit einhüllte.

Cyrus war eigentlich zur Genüge an Küsse gewöhnt. Zwar hatte er als Heranwachsender nie welche bekommen - schon einmal einen Drachen küssen gesehen? - aber in Zwischenzeit stahl er sie der weiblichen Bevölkerung geradezu reihenweise. Dabei bedeuteten sie für die anderen meistens viel, Begierde oder sogar Liebe, aber er hatte nie wirklich etwas dabei empfinden können. Es war eine menschliche Art der Kontaktaufnahme, wenn auch eine deutlich intimere als beispielsweise ein Händeschütteln es jemals würde sein können; auch gefiel es ihm inzwischen, aber mehr als ein körperliches Gefallen konnte er damit nicht verbinden. Andere Menschen schienen das zu können, aber wenn er jemanden küsste, dann tat er das nur, weil er wusste, was der Andere damit verband. Er spielte mit dieser Geste, weil man meistens erwartete, dass er genauso menschlich darüber dachte, wie man selbst. Es wurde leichter, Gefühle vorzugaukeln, wenn er sich solcher Gesten bediente - er konnte so auch damit spielen, indem er diese Gesten missbrauchte. Der Kuss, den er Naomi geschenkt hatte, war so emotionsfrei gewesen, weil er nicht das ausstrahlte, was man von einem Küssenden erwarten würde. Somit entstand Verwirrung, die im Allgemeinen Kälte erzeugte; Absicht und Ausführung schienen eben nicht zusammen zu passen. Er konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem er gelernt hatte, was ein Kuss war und was er zu bedeuten hatte. Sicherlich hatte seine Mutter ihn früher auch geküsst, aber nach neun Jahren ohne solchen Kontakt hatte er es absolut verdrängt gehabt. Er war zum dritten Mal von Grandine in einem Menschendorf abgesetzt worden und sich mit einem netten Mädchen unterhalten, deren Name... irgendwas mit Z gewesen war. Es hatte ihn schon damals nicht sonderlich interessiert, ganz anders als die Tatsache, dass sie eines der seltsam geformten Exemplare der Gattung Mensch war, die irgendsolche seltsamen Ausbuchtungen an Stellen besaßen, die laut seiner Erfahrung eigentlich flach waren. Wie es dann zu dem Kuss gekommen war, wusste er auch nicht mehr, jedenfalls hatte er sie mit misstrauischem Blick gefragt, warum sie das denn getan hätte, woraufhin das Mädchen ganz rot wurde und er alle Mühe hatte, ihr die Antworten auf seine nächsten Fragen abzuluchsen. Jeder normale Mensch, der schon einmal in der Pubertät war, würde sie aber auch bedauern, denn den Schwankungen des eigenen Hormonpegels ausgesetzte Kinder haben es natürlich schwer, Fragen wie "Was ist das da (Fingerzeig auf die Oberweite) und wozu hast du das?", "Warum gibt es Mädchen überhaupt?", "Damit es Kinder gibt? Wie hängt das denn zusammen?" und natürlich "Etwa so...?" zu beantworten. Der Tag hatte dann abrupt damit geendet, dass Grandine ihn gepackt und davon geschleppt hatte, bevor er sein neu erworbenes Wissen in die Tat umsetzen konnte. In jedem Falle wusste er nun zur Genüge, wie er diese Berührungen zweier Lippenpaare für sich nutzen konnte.
Aber selbst wenn er daran gewöhnt war, von anderen geküsst zu werden, die leichte Berührung der Lippen des Mädchens an seiner Wange waren ihm doch schrecklich fremd. Was wollte sie damit ausdrücken? Er dachte, sie wollte nichts von ihm, hatte sie das denn nicht gerade noch deutlich verbalisiert? Warum tat sie das dann? Mh... Er runzelte die Stirn und starrte weiter an die Decke, während sich das Mädchen an ihn kuschelte. Es war vielleicht ein wenig anders als normal, aber für ihn war es gewohnter, wenn man ihn liebte, begehrte oder hasste, als wenn man ihn mochte. Logisch, es gab von den ersten drei Kategorien deutlich mehr als von der vierten und da er meist nur rein körperliche Beziehungen pflegte, war freundschaftliche Zuneigung sowie Liebe ihm absolut fremd. da dachte er natürlich erst ziemlich verspätet daran, dass Naomi ihn vielleicht einfach nur mögen konnte, allerdings ergab ihre Handlung in diesem Licht durchaus viel Sinn... auch wenn er nicht verstand, warum ausgerechnet ein kleines Mädchen, das noch zu jung war, als dass er sie hätte flachlegen wollen, Gefallen an ihm fand. Sicherlich wäre es durchaus nützlich, so würde sie am richtigen Zeitpunkt sicherlich leichte Beute sein - offensichtlich mochte sie es, wenn man sich verständnisvoll und lieb gab. Mh... würde er sich merken. Entgegen anderer Meinungen war er nämlich wie ein Chamäleon dazu in der Lage, seinen Umgangston entscheidend zu ändern, je nachdem, auf welchen Typus Mensch er sich einzustellen versuchte. Und Naomi würde kein Abenteuer, sondern einen Freund suchen, einfach einen Freund. Obwohl er sich nicht sicher war, ob er das sein wollte. "Gern geschehen~", flüsterte er also zurück, mehr automatisiert als aufmerksam, aber das merkte man seiner Sprache kaum an. "Aber so schön das hier auch ist...", säuselte er plötzlich theatralisch, ehe er sich mit Naomi in den Armen aufsetzte, "...es wird langsam Zeit aufzustehen." Er schwang die Beine über den Bettrand und bewegte seine Arme mit Naomi beim Aufstehen so ruckhaft nach oben, dass sie leicht hochgeworfen wurde und er sie um Rücken und unter den Kniekehlen wieder zu fassen bekam, um sie mit einem Grinsen auf ihr Bett zu schmeißen. "Ich geh dann mal duschen~", flötete er und schnappte sich eines der zwei Handtücher, die man für sie bereit gelegt hatte, ehe er aus der Tür schlenderte und Naomi auf ihrem eigenen Bett zurückließ. Im Bad angekommen stellte er das Wasser an und grinste in den harten Strahl hinein. Menschen waren so... einfach gestrickt.

Es gab eine Zeit lang keine Reaktion von ihm, hatte sie es etwas wirklich geschafft, ihn zu verwirren? Immerhin war das keine sehr einfache Aufgabe, einen so selbstbewussten Magier wie Seraphim einer war, zu überraschen, geschweige denn zu verwirren, mit etwas Simplen, wie einer Berührung. Gut, sie hatte seine Wange mit ihren Lippen berührt, das war sicher etwas anderes, als ihm die Hand zu geben oder ihm den Kopf zu kraulen. Doch dann meinte er, dass er es gern getan hatte. Ein Lächeln zauberte sich auf das Gesicht des Kindes in seinem Arm. Doch dann kündigte sich das Ende dieser Zweisamkeit an, denn er wollte ins Bad gehen. Der junge Mann setzte sich auf und so saß sie wieder in der Waagerechten, das war nicht ganz so gemütlich wie das Liegen eben, aber es sollte noch ungemütlicher werden. Mit einem Schwung warf er sie hoch und fing sie wieder in seinem Arm um sie nur kurz darauf wieder zurück aufs Bett zu werfen. Überraschtes Aufschreien ihrerseits sorgte für die entsprechende Geräuschkulisse. Weich landete sie auf dem Bett und versank in der Decke. Aus dem Augenwinkel sah sie noch, wie er sich ein Handtuch nahm und im Bad verschwand. Was sollte sie so lang jetzt machen? So kurz wie gestern würde er sicher nicht im Bad bleiben, wenn er duschen wollte, würde es sicher etwas dauern. Dann kam ihr in den Sinn, dass in ihrer Tasche immer noch das Buch war, welches sie mitgenommen hatte. Also streckte sie sich zu ihrer Tasche, nahm diese zu sich und das Buch heraus. Weiterhin eingekuschelt in die Bettdecke, des fremden Bettes schlug sie es auf, sie war schon über die Hälfte gekommen. Es war gefüllt mit den Reiseberichten eines wandernden Magiers. Er beschrieb unzählige wundersame Orte, die er gesehen hatte und welche meist ihre eignen kleinen Geheimnisse hatten. Gerade beschrieb er wie er eine Höhle betrat, in der angeblich Kristalle wachsen sollten, vielleicht würde es sich wirklich mal lohnen seine Wege nach zu verfolgen, immerhin waren einige der genannten Orte sehr interessant und hatten ihren eigenen Hauch von Magie. Leider war vorerst nicht daran zu denken ziellos durch die Gegend zu wandern, immerhin hatte sie einen Vater zu versorgen, welcher nicht mehr aus eigener Kraft dazu imstande war. Bücher waren der einzige Weg von diesen Dingen zu erfahren, bisher zumindest, aber immerhin etwas. Ihre Fantasie malte ihr die wundervollsten Bilder in den Kopf von glühenden Steinen, die aus schwarzen Felswänden sprossen, Blumen, die erst im Mondschein ihre Knospen öffneten und die ganze Herrlichkeit ihrer Schönheit offenbarten. Ein Sonnenstrahl fiel auf die Seiten ihres Buches, sie hatte es also geschafft so hoch zu klettern, dass ihre Strahlen den Weg durch eines der Fenster in den Raum fanden. Naomi wandte sich um und lächelte leicht, es war immer schön die Sonne zu sehen, ihre Wärme machte glücklich und das Licht ließ vermuten, dass es ein schöner Tag werden würde. Was wollte man eigentlich mehr um diese Quest zu begehen, von dem Zettel, welchen er ihr vor der Bahnfahrt gegeben hatte, war davon die Rede gewesen, dass irgendwas Wichtiges verschwunden sei und sie waren nun hier um es zu finden. Was auch immer dieses Es war. Allerdings hoffte sie, dass es etwas von hohem Wert war, sie wollte sich ungern vorstellen was passierte, wenn dieses Ding nur ein Gehstock wäre, der seid Jahren von Opa zu Opa weitergegeben wurde und nun durch Zufall im Holzschneider gelandet war. Wobei man sich dann die Suche sparen konnte, außer sie sollten aus den Holzsplittern den alten Spazierstock zusammensetzen. Aber vielleicht war es ja auch ein Schmuckstück oder ein Kunstwerk, es gab viel zu viele Möglichkeiten, aber bald würde sie es ja erfahren, wenn Seraphim herauskam und sie sich waschen und anziehen gehen konnte. Dann würden sie zu dem gehen, der ihnen die Quest gestellt hatte und der würde schon Aufschluss darüber geben, was zu machen war. Gemütlich ließ sie sich wieder auf das Bett nieder und suchte ihre Kleidung aus der Tasche heraus. Dann schob sie das Buch wieder zurück in die Tasche und wartet darauf, dass der weißhaarige Mann wieder aus dem Bad kam.

Während Naomi sich also mittels viel kindlicher Fantasie ein eigenes Universum zu erschaffen versuchte, schüttelte sich der Dragonslayer schon recht bald die Tropfen aus den weißen Haaren, die durch das zusätzliche Gewicht ein wenig nach unten gezogen wurden, sodass sie beinahe bis auf seine Schultern reichten. Man unterschätze schnell, wie lang sie eigentlich waren, da sie in alle Himmelsrichtungen abstanden und somit ein Volumen bekamen, um das ihn sicherlich manche Dame beneiden würde. Allerdings würden sie nicht lange so bleiben, es reichte schon ein gewisser Grad an Trockenheit und sie kräuselten sich wieder nach oben. Schon so mancher hatte ihn gefragt, wie er das anstelle, dass sie so gut hielten, die Wahrheit war, dass er es nicht anders hinbekam. Eine geordnete Frisur war absolut undenkbar und es hatte ihn schon oft aufgeregt, denn er war eigentlich ein ziemlich ordentlicher Mensch, dessen übelste Widersacher darin auf seinem eigenen Kopf sprossen. Aber irgendwie hatte man sich daran gewöhnt, denn er hatte dieses Problem schon immer gehabt. Als kleines Kind musste er ein ziemlicher Wattebausch auf Beinen gewesen sein und sicherlich wahnsinnig niedlich - er war so dankbar darüber, dass es keine Aufzeichnungen mehr über ihn aus dieser Zeit gab. Ein Foto von Klein-Cyrus wäre sicherlich zum Kotzen, so knuddelig hatte er ausgesehen. Das erzählte zumindest Grandine mit einer Spur Hohn in der Stimme immer wieder gerne und betonte dabei, dass er sicherlich noch niedlicher gewesen wäre, wenn er nicht verblutend inmitten von Flammen gelegen hätte, er habe eh schon einen so blassen Teint, dass der Blutverlust ihn wirklich bleich gemacht habe. Dazu hatte er dann nichts mehr gesagt, sondern lieber den Mund gehalten, ehe er seine Ziehmutter noch auf Touren brachte. Auch während er sich abtrocknete, gab er keinen Ton von sich. Cyrus führte weder Selbstgespräche, noch schimpfte mit Gegenständen noch summte oder sang gar, wenn er alleine war, machte er sich akustisch unsichtbar und gab keinen Ton von sich. Man lernte ein solches Verhalten, wenn man nicht sicher sein konnte, ob man damit nicht ein Raubtier oder ähnliches anlocken würde. Erpel hatten ein schillernd buntes Gefieder, um Enten anzulocken, deren bräunlich-matschige Färbung zwar nicht besonders aussah, aber es ihnen ermöglichte, auf dem Nest mit der Umgebung zu verschmelzen. Es war für die Jäger viel einfacher, die bunten, farbenfrohen Vögel zu erlegen, als die unscheinbaren. Zwar legte er großen Wert darauf, nicht als weiblich dargestellt zu werden, aber draufgängerisch musste man deswegen nicht gleich werden, gab es doch einige Tiere, die sein Verhalten auf interessante Weise widerspiegelten - aber weiblich waren. Zum Beispiel Gottesanbeterinnen, die das Männchen nach der Begattung auffraßen. Er brachte seine Opfer zwar nicht um, aber seelische Schmerzen blieben oft nicht aus.
Schließlich trottete er in das Zimmer der beiden zurück und sah dort schon Naomi sitzen, die offenbar auf ihn gewartet hatte. Dieses Mädchen war ein Fall für sich, sie schien in kindlich-naiver Manier an das Gute im Menschen zu glauben und war doch erwachsen genug, um sich zusammen zu reißen. Zudem hatte sie keine Eltern mehr und schien diesen Fakt verdrängen zu wollen, hätte sie damit abgeschlossen, dann hätte sie anders reagiert, nicht so krampfhaft. Sie lebte bei einem offenbar behinderten Ziehvater und kümmerte sich um ihn... wahrscheinlich würde sie mal eine tolle Mutter sein. Er hatte Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. Wie konnte man es als Ziel im Leben haben, Kinder groß zu ziehen, das war eine absolute Verschwendung, seiner Meinung nach. Sicher, gäbe es diese gar nicht, dann würde die Menschheit auf kurz oder lang aussterben, aber das sollten andere machen. Kinder raubten den gestressten Eltern all das, was sie rein biologisch gesehen glücklich machte und gaben ihnen dafür Arbeit und heischten nach Aufmerksamkeit. Ob Naomi sich ein wenig wie die Mutter ihres Vaters fühlte - metaphorisch gesprochen? Ob sie ihn wie ein Kind umsorgte? Mh... aber das war alles unwichtig. "Das Bad ist frei.", stellte er trocken fest und ging zu dem Stuhl, über dessen Lehne er seine Sachen deponiert hatte, schlüpfte in seine schwarze Hose und schloss den Gürtel, während er aus dem Fenster blickte. Ja, ein sonniger Tag, aber der gestrige war so viel toller gewesen! Es wunderte einen sicherlich nicht mehr, dass er Regen mochte, wenn man sich darüber klar wurde, dass auf diesen ebenso oft auch Wind folgte, der wiederum sein Element war. Aber mit ein bisschen Glück würde es sich noch bessern... wenn nicht, dann eben nicht. Das weiße Shirt und die schwarze Jacke, deren Kragen er noch nie eingeschlagen hatte, folgte und er setzte sich nun seinerseits auf die Bettkante, um auf die Blondine zu warten. Irgendwie fühlte es sich gut an, dass man die Narben nicht mehr sehen konnte, da war seine Kleidung wie eine Art Panzerung, die ihn schützte. Wenn sie zurück kam, dann würden die beiden erst einmal etwas essen, langsam bekam er Hunger...

Es war schon richtig, dass sie sich um ihren Vater kümmerte, aber in welcher Beziehung sie dabei zueinanderstanden, war nicht klar. Das Gefühl ein Kind zu sein war ihr bereits abhandengekommen, auch wenn sie sicher ab und an daran dachte, wie es wohl war nicht morgens vor dem Kühlschrank zu stehen und die Einkaufsliste zu schreiben. Einfach in der Küche sitzen, frühstücken und dann raus, mit den anderen Kindern diese komischen Ballspiele spielen, die diese ab und an machten, wenn das Wetter draußen schön war. Irgendwann würde man sie zum Essen rein rufen, aber so war es nicht. Diejenige die in der Küche stand war ja sie selbst und deshalb war das nicht möglich. Dem Mädchen war nicht klar, ob sie es vermisste, immerhin erinnerte sie sich nicht mehr daran. Vorsorglich hatte sie ihre Kindheit weit hinter sich gelassen, sich schmerzlich daran zurückzuerinnern würde nur zusätzlich unnötigen Schmerz verursachen. Eines war allerdings klar, so lang sie eine Magierin war, würde sie keine Kinder haben wollen. Es war zu wahrscheinlich, dass ihre Arbeit dazu führte, dass diese zu viel Verantwortung für sich selbst übernehmen musste und dann würden sie so werden, wie sie jetzt war. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Seraphim erschien im Zimmer und verkündete trocken, dass nun das Bad frei wäre. Ja das konnte sie erahnen. Mit den Sachen, welche sie herausgesucht hatte, stand sie auf und ging an ihm vorbei ins Bad. Nach einer kurzen warmen Dusche putzte sie sich wieder die Zähne und betrachtete sich im Spiegel. Manchmal fand sie sich viel zu niedlich. Wie ein kleines Püppchen sah sie aus und das wurde noch mehr bestätigt, als sie sich die Schleife ins Haar knotete. Ein kleines, blondes Püppchen aus Porzellan. Fehlten nur noch die hässlichen roten Flecke auf den Wangen und ein greller und unpassender Lippenstift und dann wäre die Maskerade perfekt, aber das würde sie sich nicht antun. Allerdings würde sich das ändern, sicher würde es das. Vor einigen Wochen hatte sie sich dazu entschieden, ihre Haare entgegen dem eigentlichen Plan, lang wachsen zu lassen. Wahrscheinlich sah das schön aus, vielleicht etwas zu sehr wie diese doch leicht langweiligen Mädchen, die als Vorbild für wahrscheinlich jede blonde Märchenprinzessin gedient hatten, aber nun gut, es ging auch nicht darum aufzufallen, sondern darum einfach in der Masse unterzugehen und sich dann aus den Schatten wieder zu erheben. Kurz löschte sie das Licht im Bad und alles war schwarz. Wenn sie sich manchmal einfach in eine Kugel einwickeln könnte, das wäre wohl wirklich herrlich, aber das ging nicht. Erwachsene konnten nicht einfach abschalten und wegrennen und sie durfte es leider auch nicht. Das Licht wieder angemacht rückte sie ihre Kleidung noch mal zurecht und ging dann zurück ins Zimmer. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und legte sich die Tasche um. "Wir können jetzt endlich Seraphim-sama." Sie war sich nicht sicher, wohin es gehen würde, deshalb wartete sie, bis sich der andere erhoben hatte. Diesen Ort ließen sie hinter sich, vielleicht würden sie heute sogar schon zurückfahren. Der Weg zur Bahnstation war zwar lang, aber nun gut, damit musste man leben, wenn man auf Reisen ins Ungewisse war. Bisher war ja alles ganz nett gewesen, dachte sie. Wenn sie geahnt hätte, wie sehr dieser erste Begegnung ihr Leben von nun an bestimmen würde. Mit dem Schatten des Himmelsmagiers über ihrem. Da zeigte sich das viel zu kindliche Herz des Mädchens, welches sich dafür entschied Menschen erst bedingungslos zu lieben und das auch krampfhaft bei zu halten, ganz egal was geschah. Wahrschein glaubte sie, dass es zu viel werden würde, wenn sie die wenigen Leute, die sie kennenlernte, auch noch nicht leiden konnte. Dass dies ein Irrglauben war und auf Dauer ungesund für sie, daran dachte sie natürlich nicht, aber sie würde schon noch dahinter kommen, später.