Manche Leute sagen: Wissen ist Macht. Das mag auch gut und richtig sein, aber dieses Wissen wollte dann auch richtig eingesetzt werden - oder überhaupt erst eingesetzt werden. Im Fall Yureikos wäre es zum Beispiel vollkommen unerheblich, ob sie wüsste, dass man den Drachenlehrling mit viel nackter Haut ablenken können würde, oder ob es ihn völlig kalt lassen würde. Auf diese Stufe würde sie sich mit Sicherheit nicht herablassen, sowas kam gar nicht in Frage. Die Magierin wollte als das gesehen werden, was sie war: Eine starke Kämpferin, ein Mitglied ihrer Gilde und allem voran einer der genialsten Köpfe, der jemals über die Straßen der Städte dieser Welt gewandelt war - letzteres war zugegebenermaßen zum größten Teil ihre ganz eigene Meinung. Als das und nur als das, nicht als Stück Fleisch oder Person, die man mal einfach so rumkriegen konnte. Dafür war die Forscherin schlicht und ergreifend zu stolz, viel zu stolz. An und für sich war das zwar auch eine gute Eigenschaft, aber es konnte eben auch sein, dass man so einen nicht unerheblichen und auf Wissen beruhenden Vorteil aus der Hand gab. In diesem Fall war das aber völlig egal. Zum einen, weil die Kabane sowieso nicht wusste, dass sie mit solchen Methoden einen Stich machen könnte, zum anderen, weil der Einsatz auch nicht groß genug war, um ihren Gegenüber austricksen zu müssen. Ja, Wissen wäre aber dennoch Macht - zum Beispiel wenn es um Seraphims betrügerische Ader ging, die er bei diesem Kartenspiel ausleben würde, und deren Wissen der hübschen Blondine sicher noch den einen oder anderen ärgerlichen Moment erspart hätte. Aber sie wusste ja auch davon nichts. Für ihn zum Glück, für die Zauberin war es dann doch eher Pech.
So widmete Yureiko sich mittlerweile eifrig dem Kartenspiel. Nachdem der Drachenzögling ihr, nett und fair wie er war, die Karten zum Abheben hingestreckt hatte und sie auch genau das getan hatte, ziemlich mittig, betrachtete die Magierin mit nachdenklicher Miene ihr ausgeteilt bekommenes Blatt. Es war im Prinzip ganz gut, aber auch nicht perfekt. Aber immerhin, man konnte ja nicht erwarten, immer von Anfang an großes Glück zu haben und schlecht waren sie ja eben nicht. Ausbaufähig war ein sehr passendes Wort. Genau das würde die Forscherin jetzt auch tun, indem sie, wie von ihrem Gegner vorgeschlagen, das Spiel begann und somit die erste Karte vom Stapel zog. Auch keine schlechte, wie sie zugeben musste. Aber was sollte sie dafür abwerfen? Sie entschied sich für eine Herz Sieben, die nicht so recht zum restlichen Blatt passen wollte und wartete den Spielzug ihres Gegners ab. Inzwischen bequemte die Magierin sich dazu zu antworten: "Allerdings, das war es. Gar nicht schlecht beobachtet." Vor allem das letzte Wort betonte sie, nicht ohne ein wenig Schalk in ihrer Stimme. Ihr Magierkollege hätte froh sein können, wenn er nur beobachten hätte können. "Errätst du vielleicht auch, in was ich mich verwandle, Seraphim-san?" , führte die junge Frau ihren Satz fort. Ob er wohl wirklich so gut im Beobachten und Kombinieren war? Eher unwahrscheinlich, immerhin hatte sie bisher kaum Hinweise geliefert, die auf ihre versteckte Affinität hindeuteten. Oder waren es doch mehrere gewesen?

Beobachten? Oh ja, er tat das immer so, indem er sich das zu observierende in den Körper steckte und darauf wartete, dass es ihm Flüssigkeit aus eben diesem saugte. Natürlich. Dennoch schmunzelte er bei ihren Worten leicht und warf einen schnellen Blick auf seine Karten, ehe er beobachtete, wie sie eine Herz Sieben neben den Stapel legte und auf seinen Zug wartete. Herz Sieben... welch eine interessante Eröffnungskarte. Wusste Kabane, dass man Karten Bedeutungen zuschrieb? In diesem Falle auch "große Liebe", wie reichlich unpassend das doch war. Er hatte das nagende Gefühl, dass sie wohl eher unfähig zu solchen Gefühlen war, aber das würde er ihr nicht auf die Nase binden. Vielleicht hatte sie die Karte auch deswegen abgelegt, weil sie sonst gar kein Herz hatte. Hab doch einmal ein Herz, sogar Cyrus hatte davon gleich mehrere...haha. "Ich wurde mir geradezu schmerzhaft dessen bewusst...", meinte er mit abwesender Miene, ehe er die Karte aufnahm und stattdessen eine Pik Neun dort deponierte. Er selbst hatte keine überraschenden Karten, denn was wäre es auch für ein Spiel, wenn er es dem Zufall überlassen hätte, welches Blatt er bekommen würde. Er hatte sich sogar einen Spaß daraus gemacht, am Ende fast komplett mit einer einzigen Farbe zu gewinnen, einer, mit der sogar Kabane eröffnet hatte. Welches Take Overs bediente sich die Magierin allerdings bloß... er war sich nicht ganz sicher. Immerhin hatten sicherlich einige dieser Magien Zauber, die ebenmäßige Zähne in kleine Beißerchen verwandelten, die man dann in seine glatten und erstaunlich langfingrigen Hände versenken konnte... allerdings hatte Kabane danach ja nicht etwa aufgehört, sondern munter damit begonnen, sein sicherlich wahnsinnig wohl schmeckendes Blut aus seinem Arm zu saugen und es allem Anschein nach wirklich zu trinken. Nun gab es auch eine Menge Tiere, die das Blut eines Lebewesens nicht verschmähten, aber er würde nicht auf ein solches Tippen, aufgrund der sich rot färbenden Augen. Er hatte zwar keine Ahnung, welches Fabelwesen rote Augen bekam, wenn es Blut süffelte, aber ein echtes Tier konnte es nicht sein. Nein... blieben noch Wesen, die magischer Natur waren und das erste, was einem da aus Schauergeschichten, die der Dame vor ihm sicher sehr mögen würde, einfiel, war Graf Dracula. Besagter Vampirfürst, der mit einer Horde sicherlich sehr ansehnlicher untoter Gespielinnen auf einem Schloss wohnte und seinen Opfern das Blut aus den Adern sog. Ob der dabei rote Augen bekam oder nicht war ihm entfallen, aber da er eh nur raten konnte... "Graf Dracula?", kam es daher aus seinem Munde, mit leicht nachdenklicher Stimme, "Spitze Zähne, blasse Haut, schwarze Kleidung... blutrünstig. Durchaus Besitz ergreifend..." *Und mit einem Faible für sehr attraktive Gespielinnen?* "Ich nehme an, dass es sich bei deinem Zauber um die Nachahmung eines Vampires handelte oder zumindest das Thema aufgreifend. Mal sehen, was sind Vampire... Untote?" Er lachte leise und stützte nachsichtig lächelnd den Kopf in die Hand, während die andere seine Karten vor ihren Blicken schützte. "Wir sind schon wieder bei deinen Leichen... langsam glaube ich ja nicht mehr an einen Zufall~"

Zufälle, Zufälle, Zufälle. Irgendwie schienen bei diesen Unterhaltungen immer besonders viele davon zu passieren, so viele, dass es schon absurd war. Ja, eigentlich sogar so viele, dass man durchaus davon ausgehen durfte, dass es eine oder mehrere höhere Mächte gab, die das Geschehen lenkten. Quasi so etwas wie Schicksalsgötter oder wie jemand, der gerade eine Geschichte schrieb - beides natürlich noch absurder als die Zufälle, denn an beides glaubte die Kabane nicht. Nun, an Menschen die Geschichten niederschrieben, also Autoren, an die glaubte sie natürlich schon. Allerdings war die Vorstellung von so einer Person gelenkt zu werden einerseits ziemlich schräg und auf der anderen Seite auch mehr als beängstigend. Die Magierin konnte sich einfach nicht vorstellen, ihr Leben nicht selbst in der Hand zu haben. So musste man das alles wohl doch dem Zufall zuschreiben. Eine ziemlich ärgerliche Sache für die junge Wissenschaftlerin, war sie doch sonst so erpicht darauf, für jedes noch so kleine Phänomen eine ansprechende Erklärung bieten zu können. Aber in Zufallsfällen ging das eben nicht, weswegen man sich auf die Dinge beschränken musste, von denen man zumindest erahnen konnte, wie oder wieso sie geschahen. Ein Beispiel waren da Seraphims überaus potente Ratefähigkeiten. Wie konnte ein einziger Kerl nur so oft richtig liegen? Er riet sicher nicht einfach ins Blaue, nein. Dieser junge Mann musste eine erstaunlich gute Kombinationsgabe besitzen, sehr ähnlich der ihren, aber scheinbar etwas weiter verzweigt und geschulter wenn es darum ging, andere Menschen einzuschätzen. Das war eine weitere Erkenntnis, die Yureiko nicht schmeckte, allerdings auch eine, die sehr wichtig war. Ihr Gegenüber war sicher nicht schlauer als sie, da waren sie vielleicht sogar auf einem Level. Leider aber war er solche Situationen besser gewohnt als sie, was dazu führte, dass er sie einfach souveräner meistern konnte als seine blonde Gegnerin. Zum Glück hatte sie diese Erkenntnis nun gewonnen - das hieß, dass sie wohl oder übel besser aufpassen musste, egal ob sie das wollte oder nicht. Mit spontanen Angriffen würde die Zauberin nie etwas wirklich interessantes zu hören bekommen, das stand fest.
Nachdem die Kabane die Karte betrachtet hatte, die abgelegt worden war, und danach selbst eine neue aufgenommen hatte, entschied sie sich ihren bisherigen Überlegungen folgend zu antworten. Es würde nicht viel bringen zu lügen, sie konnte höchstens verschleiern, wobei auch das auf Dauer keinen Sinn ergab. "Beeindruckend. Du erkennst solche Dinge ziemlich schnell. Gelernt oder ein Talent, Seraphim-san?", gab die Blondine in überraschend ruhigem Ton zurück. Ja, mittlerweile hatte sie sich schon daran gewöhnt, dass der Drachenzögling solche Dinge beim ersten Versuch traf. Das machte die Sache an sich zwar nicht besser, aber wenigstens war sie nun schon darauf eingestellt, dass selbst der kleinste Hinweis reichte, um durchschaut zu werden. Vielleicht würde sie das auch noch nutzen können, indem sie falsche Lunten legte? Eine nette Idee, aber eigentlich nicht ihr Stil. Man konnte der Formwandlerin vieles vorwerfen, aber eine Lügnerin war sie für gewöhnlich nicht. Eine Geheimniskrämerin vielleicht, wie es laut Familientradition üblich war, aber selbst dabei ging sie viel weniger weit, als es ihre Vorfahren getan hatten. Sie brauchte Verbündete und irgendwann würde sie genügend davon haben - vielleicht würde Seraphim ja einer davon werden, seine Fähigkeiten waren durchaus brauchbar. Während sie noch überlegte, warf sie eine eigene Karte ab, die ihr keinen Nutzen mehr bringen würde: Einen Pik-König.

Wie schrecklich wäre es tatsächlich, wenn die Handlungen des Violettäugigen von einem pubertären Mädchen gelenkt werden würden, das dabei immer zwischen Fangirlgekreische und abgrundtiefer Verachtung schwankt... das würde ihn sicherlich seltsame Dinge tun lassen, welch ein Glück also, dass Cyrus schlichtweg keine Veranlassung dazu hatte, über solch abgehobenen Dinge nachzudenken. Es war ihm einfach egal, ob es Schicksal gab, ob er gelenkt wurde oder sonst etwas, er tat sowieso nur, wozu er gerade lustig war, wie er es wollte und das mit größtmöglichen Erfolgsaussichten. Deswegen hatte er langsam aber sicher aufgegeben, die blonde Frau gegenüber von ihm weiter subtil darauf hinzuweisen, dass sie vielleicht mal damit anfangen könnte, ihn auf eine mehr romantische Art und Weise zu mögen, sondern war dazu übergegangen, herauszufinden, was sie umtrieb. Neben der Tatsache, dass sie gut aussah und ihre Kleidung nicht vorteilhaft war, musste sie ja noch irgendwas ausmachen, denn obwohl er gerne dazu neigte, Menschen auf ihr Äußeres zu reduzieren, wenn sie keinen Charakter aufzuweisen hatten, konnte er nicht behaupten, dass er das bei Kabane tun durfte. "Eine gute Mischung, würde ich sagen, Kabane-san~", schmunzelte er, während er sich eine Karte vom verdeckten Stapel angelte, die einmal kurz gemustert und dann in seine Hand gestreckt wurde. "Ich...", wie sollte er das am unverfänglichsten formulieren..., "...habe Übung darin, Menschen einzuschätzen und mit ihnen zu interagieren, während ich zu behaupten wage, dass ich eine logisch geprägte Veranlagung besitze." Ja, das war die volle Wahrheit. Er hatte früher überhaupt nicht mit Menschen zu tun gehabt, weswegen seine Bemühungen, sie zu verstehen, umso größer gewesen waren, als er sie zum zweiten Mal neu kennen lernte. Tatsächlich hatte er wohl vor allem mehr als genug Training darin, ihnen Honig um den Mund zu schmieren, sie in seinen Bann zu ziehen und dann mit ihnen zu interagieren, selbst wenn diese Interaktion meistens klar geprägt von Dingen waren, die seine Natur nun einmal ausmachten. Er suchte nach dem, was ihm Spaß machte und nüchtern betrachtet machten einem Menschen körperlich gesehen zwei Dinge Spaß: Nahrung aufnehmen und sich fortpflanzen. Das war bei generell allen Lebewesen so, mit der menschlichen Ausnahme, dass letzteres (zum Glück) nicht immer auf Nachkommen hinaus lief, denn wäre das der Fall, müsste er sich um eine Armee von Kindern kümmern. Auch hatte er die Wahrheit gesprochen, wenn er behauptete, zu rationalem Denken in der Lage zu sein - schließlich war er trotz primitiver Beweggründe nicht gerade auf den Kopf gefallen. "Zugegebenerweise sind einige Fähigkeiten beim Raten recht hilfreich, beispielsweise, was dein Getränk und dessen Zusammensetzung anging... ich nehme an, dass die Mischung es am Ende tatsächlich macht." Damit zog er eine Karte aus seiner Hand und legte sie auf den Ablagestapel, die Pik-Dame. Das Schmunzeln hatte sich noch lange nicht von seinen Lippen verflüchtigt, als er die Hand wieder wegdrehte, sodass man ihm unmöglich in die Karten schauen konnte und sie sogar schlussendlich auf den Tisch legte, Bild nach unten natürlich. Seine flache Hand deutete auf die der Magierin gegenüber von ihm, als wolle er andeuten, dass er diese nun ergriffen hätte, wenn das nicht spontanen Gewichtsverlust dank Zwangsamputationen bedeuten würde. "Zusätzlich achte ich auf Details, selbst wenn du es mir sehr schwer machst, aus solchen etwas über dich herauszubekommen." Er lächelte und stützte das Kinn auf die locker zusammen gefalteten Hände. "Du trägst kein Parfüm, dein Körpergeruch an sich lässt nur auf das schließen, was deine Fingernägel und ihre Maniküre sowieso schon offenbaren, nämlich dass du nicht hergekommen bist, ohne dich entsprechend hygienisch darauf vorzubereiten. Deine Hände sprechen nicht gegen körperliche Arbeit, aber zeigen ebenso, dass du sie entweder penibel pflegst oder sie nicht ungeschützt für gröbere Dinge verwendest, die Hände eines Normalsterblichen also. Hättest du mir nicht sehr eindeutig demonstriert, dass deine Körperkraft die meine weit übersteigt, hätte ich fast schon gedacht, du würdest dich wirklich auf dem Geld ausruhen, das du oder deine Familie scheinbar besitzt. Hinweise darauf sind sowohl deine Beschreibung deines Domizils als Villa, als auch der wenige und dezent gesetzte Schmuck, den zu trägst. Es ist nicht viel, aber dieser dafür kein Ramsch." Er atmete kurz durch. "Du bist eine durchaus attraktive Frau, aber weigerst dich dennoch konsequent durch die Wahl deiner Kleidung mehr von deinem Körper zu enthüllen, als unbedingt nötig - ob das daran liegt, dass du einfach prüde bist oder es unangemessen findest, weiß ich nicht genau, dennoch würde ich von deinem sonstigen Temperament her eher auf zweites tippen. Wahrscheinlich wäre dir Starren aus solch primitiven Gründen zuwider, nicht wahr?" *Was für ein Jammer...* Der linke Arm glitt zur Tischplatte hinunter, ehe er die Wange in die rechte Handfläche kippte und er Kabane aus hellvioletten Augen anblickte. "Wie steht es mit deinen Beobachtungsfähigkeiten, Kabane-san? Was kannst du über mich sagen?" Mal sehen, wie sie reagieren würde... entweder er bekam hier und jetzt die Eier abgerissen oder die Unterhaltung würde an Spannung gewinnen. Er sollte dringend mal mit der Dame pokern... da ihr Dekolleté bekanntlich nicht existent war, würde es nicht viel geben, was ihn ablenken könnte.