Der große Mann war an einer Tür angekommen und öffnete sie, um seinen Kopf hinein zu stecken und jemanden darin zu begrüßen, bevor er sich wieder zu Souta umdrehte. Offenbar waren sie bei der Küche angekommen. "Ich wohne tatsächlich alleine, auch wenn mich mein Bruder und mein Neffe manchmal besuchen kommen. Frag Pierrot einfach nach etwas zu essen, vielleicht hat er noch etwas übrig oder er macht dir etwas, er ist eigentlich ganz umgänglich, was das angeht. Ich werde mich dann in mein Arbeitszimmer zurückziehen, wenn noch weitere Fragen bestehen, kannst du mich dort gerne besuchen. Es ist da hinten am Ende des Ganges." Und mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in Richtung der benannten Tür.

Zeitgleich begann Seraphim langsam, sich zu langweilen. Es war eine seltsame Kombination aus Langeweile und Wachsamkeit, Müdigkeit und Anspannung, die ihn durchflutete und er konnte sich nicht daran erinnern, das in dieser Kombination bereits einmal erlebt zu haben. Wäre das keine Quest gewesen, hätte er sich vermutlich zu einem Nickerchen hingelegt, hätte er nicht auf genau diesem Dach gesessen, hätte er sich vielleicht ein wenig bequemer gemacht, damit das Wachschieben nicht allzu unangenehm war, aber hier traute er sich das nicht. Es kam ihm ein wenig so vor, als würden die Ziegel unter seinen Füßen ihn auffressen, sobald er nur ein Auge zumachte und er hatte das dringende Gefühl, als würden sie ihn damit in schwarze Untiefen von Albträumen reißen, die er lieber meiden würde. Normalerweise schlief er angenehm ruhig, aber er wusste, dass das diese Nacht auf keinen Fall so sein würde. Wahrscheinlich würde er kein Auge zubekommen, aus Angst vor Bildern, die ihn aus dem Schlaf rissen, Gefühlen, die er schon längst vergessen geglaubt hatte und dem allumfassenden Ekel, der ihn dabei immer durchzog. Es war schwer, den Dragonslayer dazu zu bringen, dass er sich ekelte, aber offenbar war es zumindest möglich. Er konnte alles Mögliche anfassen oder sogar in den Mund nehmen ohne es widerlich zu finden, aber diese Träume schafften es dennoch, diese Gefühle in ihm zu beschwören. Es war wie ein Fluch, von dem ihn wahrscheinlich nur der Kettenmagier erlösen konnte, doch der war gerade nicht da. Wahrscheinlich verhielt er sich momentan ganz furchtbar kindisch, aber so war es immer, wenn er sich richtig unwohl fühlte. Wenn man sich zurück erinnerte, an eine Quest auf einem Luxusliner, so hatte er auch dort, umgeben von Flammen, ein ganz anderes Gesicht gezeigt, als die Welt es von ihm kannte. Wenn Seraphim richtig Nerven zeigte, verlor er in rasender Geschwindigkeit die Jahre und wurde beinahe wieder zu einem kleinen Kind, welches in Flammen gelegen und fast gestorben wäre. Hier wurde er nur zu einem verschüchterten Vierzehnjährigen, aber wirklich besser machte es die Sache dann doch nicht. Gerade jetzt war seine Motivation, den Kettenmagier bei sich zu haben, nur darauf gestützt, dass er ihn gerne umarmt, ihm gesagt hätte, wie lieb er ihn hatte - er wollte nicht einmal mehr als das. Normalerweise wünschte er sich eher, dass seine Kleidung spontan evaporierte, aber gerade hatte er nicht einmal darauf Lust... er wollte einfach von hier verschwinden und den Rest seines Lebens einen großen Bogen um die Villa machen, weil er irgendwie ahnte, dass Souta doch noch rauskriegen würde, was ihm über die Leber gelaufen war... und ein Gespräch, das sich damit befasste, würde er wahrscheinlich nicht ohne einen der verhassten Nervenzusammenbrüche überstehen, die er wirklich nicht brauchte. Er würde sein Gesicht vor dem Einäugigen verlieren und dann gab es wirklich gar nichts mehr, was ihn aufheitern würde... und deswegen durfte das nicht geschehen.

Das hatte ja wie immer wundervoll funktioniert. Souta befand sich zwar nun in unmittelbarer Reichweite von Nahrungsmitteln, doch das, was ihn eigentlich interessierte, entfernte sich von ihm. Einen Moment lang war er fast schon versucht, den Mann mit einem Rufen Einhalt zu gebieten, allerdings wollte er nicht so wirken, als müsse er sich nun unbedingt jemanden anvertrauen. Er hatte Seraphim nur ungerne alleine gelassen und sollte wohl eigentlich versuchen, so schnell wie möglich zu ihm zurückzukehren. Aus eigener Erfahrung wusste Souta, dass man sich oft noch mehr in Probleme hineinsteigern konnte, wenn man niemanden oder nichts hatte, womit man sich ablenken konnte, weswegen er selbst immer auf der Suche nach Gesellschaft und Abwechslung war. Dennoch war der Rotschopf gerade nicht dazu in der Lage, das Thema einfach so fallen zu lassen. Er hatte sich entschieden, die Wahrheit über Seraphims Vergangenheit mit Christophe Loire zu erfahren und genau das würde er tun, ungeachtet der Konsequenzen. Bisher konnte er sich nicht vorstellen, was zwischen ihnen vorgefallen sein mochte, was wahrscheinlich sowohl positiv als auch negativ ausgelegt werden konnte. Mit vollem Wissen über die Folgen, die seine Schnüffelei haben könnte, hätte er sicherlich nicht so energisch nach einer Antwort verlangt, aber da er eben dieses nicht besaß, war für ihn recht schnell klar, dass er den Himmelsmagier noch eine Weile in der Einsamkeit zurücklassen würde, um sich den dringenderen Problemen zu widmen. Bevor er allerdings einen weiteren Schritt in diese Richtung unternahm, griff er nach dem Türknauf und begrüßte seinerseits einen Mann mittleren Alters, der ebenso gepflegt wie sein Arbeitgeber, aber recht rundlich aussah. Eine Kartoffelnase und eher kleine Augen beherrschten sein Gesicht, doch er lächelte Souta an und schwang eine Bratpfanne, weswegen er dem Rothaarigen sofort sympathisch war. So schnell konnte das gehen: Alle Menschen, die ihn freiwillig mit Essbarem versorgten, standen sehr hoch in seiner Gunst. „Ich bin ein Magier, ich arbeite für Herrn Loire, und ich wollte fragen ...“ Er hatte sich um Höflichkeit bemüht, denn jeder Trottel wusste, dass man sich mit denen, die das eigene Essen würzten, nicht anlegen sollte, doch er kam gar nicht dazu, auszusprechen, da sich der Koch sofort in seine Richtung bewegte und der Kettenmagier plötzlich einen Löffel im Mund hatte, der sich ohne Inhalt wieder zurückzog und einen ihn aufmerksam betrachtenden Pierrot freigab, während er damit beschäftigt war, das, was man ihm gegeben hatte, herunterzuschlucken. „Hah! Du kommst mir genau recht. Ich habe gerade diese Soße gemacht und brauchte jemanden zum Probieren. Was sagst du? Kann ich dir helfen?“ Der dickliche Mann redete sehr schnell und wedelte dabei aktiv mit den Armen, so als wolle er abheben, doch das störte den Rotschopf nicht, da er sich eher gerade in den siebten Himmel verabschiedete. „Gut! Ich meine … Sehr lecker. Kann ich vielleicht etwas zu essen haben?“ Eines war sicher: Sollte er jemals an Geld kommen, würde er sich definitiv auch einen privaten Koch anschaffen, der dann zwar Vollzeit beschäftigt war, aber immerhin einen sehr aufnahmebereiten Kunden hatte. Pierrots Gesicht wiederum hellte sich auf und Souta könnte schwören, dass er ihm geradezu geheimnisvoll zuzwinkerte, ehe er ihn mit sich zerrte und ihm ein paar der Gerichte zeigte, die sich offenbar gerade in der Herstellung befanden. Wahrscheinlich würde er sich gut mit diesem Herren verstehen. Warum waren alle in diesem Haus nur so nett...?

Obwohl Souta sich vorgenommen hatte, die Speisekammer des Mannes zu leeren, musste er sich nach noch nicht einmal zehn Minuten geschlagen geben, in denen er – nachdem der Koch erkannt hatte, dass er jemanden vor sich hatte, der sehr gerne aß – durch die halbe Küche gejagt worden war, um die verschiedensten Dinge zu probieren, sich zumindest durch den halben Raum gefressen hatte. Irgendwann hatten sie sich dann darauf geeinigt, dass er mit einem geradezu monströsem Sandwich zufrieden sein würde, welches er dann auch vertilgt hatte, und nun fühlte er sich ein wenig so, als habe man ihn ausgestopft, doch das war nicht weiter schlimm, denn wirklich schmerzhaft überfressen hatte er sich nicht, was man wohl als Rücksichtsnahme auf alle Beteiligten verstehen konnte. Irgendwann würde er zu Seraphim zurückkehren müssen und es wäre peinlich, wenn dieser ihn die Wand hochfliegen müsste, weil er seine Gelenkigkeit eingebüßt hatte. Momentan war er lediglich etwas überrascht von der Gastfreundlichkeit der Hausbewohner und verließ die Tür mit einem Keks in der Hand, von dem er nicht so richtig wusste, wo er den eigentlich herhatte. Da er gerade keine Lust mehr auf Nahrung hatte, schob er sich das doch recht stabil aussehende Ding in die Tasche und durchquerte dann zielstrebig den Raum zum Büro des Schwarzhaarigen. Nein, er würde nun nicht sofort zu Seraphim gehen, erst musste er noch einmal versuchen, zu Loire durchzudringen oder ihn zumindest dazu bringen, ein wenig mehr zu verraten. Aus diesem Grund klopfte er auch recht bald gegen die Tür und öffnete diese dann, um den Kopf hineinzustrecken und das Gesicht leicht zu verziehen, so als täte ihm diese Störung durchaus Leid. „Ähm … Da sie es angeboten haben, hätte ich doch noch eine Frage. Wieso können sie meinen Freund nicht leiden?“ Mit der Tür ins Haus fallen konnte er doch recht gut … Aber wenn er nicht endlich mal seine Anliegen vortrug, würde er niemals weiterkommen und er hatte durchaus vor, heute noch auf einen grünen Zweig zu stoßen ...

Zum Glück trat Souta dem am Schreibtisch sitzenden und in einige Dokumente vertieften Loire die Tür nur symbolisch ins Gesicht, denn ansonsten hätte er wie mit wirklich einigem an Schwung bewegen müssen, da zwischen seinem Arbeitsplatz und dem Eingang doch einiger Abstand war. Es handelte sich um einen langgezogenen Raum mit hohen Fenstern an der linken Seite und dunklen Vorhängen zu beiden Seiten. Die Wände waren mit Regalen bedeckt, in denen sich Ordner und Bücher befanden, die sich zum Großteil mit Recht beschäftigten; offenbar handelte es sich bei Loire also tatsächlich hauptberuflich um einen Juristen, der sein Hobby zum Beruf gemacht hatte. Man konnte nur hoffen, dass er sich in der Wahl seiner Methoden geändert hatte, aber sonst wäre er wohl kaum so erfolgreich. Der Schreibtisch selbst war massiv, aus feingemasertem, dunklen Holz mit einer ledernen Unterlage darauf. Ein schlichter, aber sicherlich bequemer Ledersessel trug den Hausherren, der aufgrund dessen Größe nicht einmal halb so überdimensioniert wirkte, wie er ansonsten vielleicht ausgesehen hätte. Der Fußboden war mit Parkett überzogen, aber im hinteren Teil des Raumes wurde es von dunkelgrünem Teppich verdeckt, der nicht nur hübsch, sondern auch irgendwie teuer aussah. Der Schwarzhaarige schien eine Moment sehr irritiert ob des Themas der Störung oder vielleicht auch der Tatsache, dass Souta sie zwischen Tür und Angel besprechen wollte, doch er fing sich recht schnell und fragte "Möchtest du dich nicht setzen?" während er auf einen der beiden etwas kleineren Sessel deutete, die ihm gegenüber standen. Scheinbar hatte er ein Faible für diese Art Polstermöbel, immerhin waren sie überall in der Villa verteilt. Tatsächlich zögerte der Rothaarige kurz und setzte sich danach, während Loire seine Zettel zusammen schob und sie schließlich zur Seite schob, scheinbar, weil er plante, sich bei der Erklärung ein wenig Zeit zu lassen und um Souta nicht den Eindruck zu vermitteln, dies geschehe über seine Arbeit hinweg. "Es wundert mich, dass dich das interessiert, Souta. Immerhin scheinst du Seraphim ja sehr zu schätzen und du müsstest wissen, dass ich dir wohl kaum besonders gute Dinge von ihm erzählen werde, nicht wahr?" Er machte eine Pause und fuhr danach mit der Hand zu seiner Schläfe, massierte sie kurz, ehe er wieder zu sprechen ansetzte. "Ich habe dir ja bereits erzählt, dass ich einen Neffen habe. Er und sein Vater - mein Bruder - wohnen weit außerhalb der großen Städte, in einem kleinen, unberührten Dorf. Luca, das ist sein Name, war für mich schon immer mein ein und alles, nachdem meine Frau... nun." Er stockte eine Sekunde, ehe er fortfuhr: "Solche Dörfer sind Oasen des Friedens und Kinder, die dort aufwachsen, tun das frei von allen Sorgen und Schlechtigkeiten dieser Welt. Natürlich sind sie dann naiv..." Wieder machte er eine Pause, um die Hände auf dem Tisch zu verschränken und Souta ins Auge zu sehen. Sein Blick war deutlich grimmiger geworden. "Dein Freund hat versucht, die Naivität meines Neffen auszunutzen, um ihn nicht nur seiner Unschuld zu berauben, sondern auch all das zu zerstören, was für ihn bisher die Welt ausmachte. Ich habe gesehen, wie er ihn umgarnt hat, um den Finger gewickelt hat er den dummen Jungen. Hätte ich ihm die Chance gelassen, er hätte Lucas gesamtes Leben ruiniert!" Seine Stimme war agitierter geworden, beruhigte sich jedoch wieder und er räusperte sich. "Also habe ich Luca verboten, in der Nacht, in der er sich mit diesem Teufel treffen wollte, rauszugehen, bin an seiner statt bei der Scheune aufgetaucht und habe ihm hoffentlich nachhaltig demonstriert, dass er seine Finger von meiner Familie zu lassen hat." Die tiefe Stimme des Mannes hatte sich inzwischen wieder auf einen beinahe sachlichen Ton heruntergefahren und er lehnte sich in seinem Sessel zurück, scheinbar eine Antwort erwartend.

Mittlerweile hatte Souta ernsthafte Zweifel daran, ob es so eine gute Idee gewesen war, den Kontakt mit Cristophe auszuweiten und sich noch tiefer in diese Angelegenheit zu verstricken, denn je mehr er davon erfuhr, desto mehr bekam er den Eindruck, dass diese Sache ihn rein gar nichts anging. Während er auf dem gepolstertem Möbelstück saß und seine Hände über seine Oberschenkel fuhren, um sich zu beschäftigen, betrachtete er den Mann, der ihm so ehrlich über seine Erfahrungen berichtete, dass an der Geschichte kaum etwas falsch sein konnte. Sie deckte sich mit der des Himmelsmagiers bis auf den individuellen Standpunkt und das war beunruhigend. Sollte es sich hierbei wirklich nur um eine derartige Lappalie handeln? Ließ sich Seraphim wirklich aus der Bahn werfen, weil er bei einem einfachen Flirt auf die Nase geflogen war? Souta hatte auch schon irrtümlich Frauen umgarnt, die sich in festen Händen befanden und dafür in seinen wenig kampferprobten Zeiten manches Mal aufs Maul bekommen, doch nie würde er deshalb einen der Kerle mit Angst begegnen. Wenn man die Freundin einer Person anbaggerte, hatte man es nicht anders verdient. Würde irgendsoein Horst versuchen, Seraphim flachzulegen, würde er ihm auch ... Halt.
Das Auge des Kettenmagiers verengte sich und er hielt inne, um die Worte des Mannes noch einmal Revue passieren zu lassen, bevor er sich dazu entschließen konnte, eine Antwort zu geben, weil er gerade nichts Falsches sagen wollte. Zum Beispiel könnte er nun sehr leicht gestehen, dass er dann wohl nicht viel anders als Seraphim war, wo er doch auch wehrlose Bauernmädchen verführte und sich früher recht oft durch Dörfer geschlafen hatte, statt Geld bei einem örtlichen Gasthof auszugeben. Zwar bevorzugte er generell eher erfahrenere Partner, aber es waren wahrscheinlich durchaus ein paar Naivchen dabeigewesen ... Und deren Leben hatte er sicherlich nicht zerstört. Fragte sich nur, wie der Andere das denn nun sah, denn in Souta keimte gerade ein ziemlich bohrender Verdacht, der sich hoffentlich nicht bestätigen würde. Niemand starb gleich, nur weil er von einer Person ausgenutzt wurde, niemand wurde für den Rest seines Lebens depressiv, weil man verlassen wurde ... Das gehörte eben dazu, war es nicht so? Wenn es sich um echte Liebe gehandelt hätte, wäre das wohl etwas Anderes gewesen, doch wer verliebte sich schon innerhalb so kurzer Zeit unsterblich, nein ... Das musste andere Gründe haben. Vielleicht hatte dieser Mann seinen Herzschmerz ja projeziert und sah sich als privaten Rächer aller ungerechte Behandelten? Oder war es vielleicht sogar noch schlimmer ... Der Kettenmagier lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorne, so dass dieser leicht ächzte, und verschränkte die Hände ineinander. “Sie denken, eine Nummer mit einem aufregenden Fremden hätte sein Leben zerstört, ja?”, fragte er, mit einem extrem ungläubigen Blick. Nicht nur erschien ihm das hoffnungslos aus der Luft gegriffen, er musste sich außerdem daran erinnern, dass Seraphim ganz ähnlich in SEIN Leben getreten war. Hätte er sich nicht in einem Café durch Kaffee und Zucker angetrieben mit ihm gemessen und wäre aschließend aus Dummheit und Neugierde mit ihm gegangen, wäre er jetzt sicherlich deutlich einsamer. Niemand hatte ahnen können, dass sich der Weißhaarige ausgerechnet in ihn verlieben würde, doch alles in allem war es eine lehrreiche Erfahrung gewesen, auch wenn er sich danach ziemlich gehasst hatte. Dieser Mann schien seinen Freund allerdings regelrecht dafür zu verachten, was Souta nicht verstand. Hielt er den Rothaarigen vielleicht für ein Opfer des Dragonslayers, hatte er ihm deshalb damals geraten, sich ihm nicht übermäßig zu nähern? Kannte er eine Seite von ihm, die Souta verborgen geblieben war...? Nein, der Ältere würde ihn niemals verletzen oder einfach fallen lassen, das würde er niemals tun, schließlich führten sie eine Beziehung ... Das war schon eher etwas, was man von Souta erwarten könnte, dem diese Sache allmählich ein schlechtes Gewissen machte, doch er ignorierte das zugunsten einer Erweiterung seiner Aussage. “Oder ging es Ihnen vielleicht eher darum, dass dieser heiße Fremde ein Mann war?”

Der Schwarzhaarige lächelte, blieb aber trotz Soutas Fragen ruhig, selbst wenn man deren Formulierung vielleicht als Provokation hätte sehen können. Wollte man Loire beschreiben und sollte dafür nur wenige Worte verwenden, so würde sicher bestimmt darunter auftauchen, denn genau das vermittelte er durch jede Bewegung, jeden Blick, jeden Satz. Er schien sich seiner sehr sicher zu sein, beinahe so, als ob er unangreifbar wäre. Vielleicht war er das als hochrangiger Regierungsbeamter auch, als scheinbar im Recht beschäftigter Mensch, der zudem offenbar über große finanzielle Mittel verfügte. Unter Umständen deckten sich die Geschichten von Seraphim und ihm, nicht weil sie der Wahrheit entsprachen, sondern, weil sie beide aus unterschiedlichen Gründen dieselben Details verschwiegen. Der Weißhaarige tat das mit Sicherheit aus Angst, sein Gesicht zu verlieren oder der fehlenden Bereitschaft, sich zu erklären, aber was die Motive des Riesen waren, blieb bis dato ungeklärt. Vielleicht blieb er bei dieser Geschichte, weil er wusste, wann man ihm nichts anhängen konnte... "Ein ausgesprochen hübscher junger Mann sogar, aber nein... ich habe kein Problem mit Homosexualität, Souta. Allerdings müsstest du doch wissen, wie das in kleineren Dörfern so ist..." Kleine Käffer waren ja eher dafür bekannt, stockkonservativ zu sein. Vielleicht hatten sie dann auch noch alle dieselbe Glaubensrichtung und wenn man nicht ihrer Meinung war, fand man nicht einmal einen vernünftigen Job. Es wäre also durchaus denkbar, dass man als jemand, der dieses Stigma trug, ziemlich verschissen hatte... "Luca ist ein sehr sensibler junger Mann und es hätte ihm sehr wehgetan. Er hat so herzzerreißend von deinem Freund geschwärmt, dass ihn der Sturz sehr verletzt hätte." Scheinbar reichte dem Schwarzhaarigen das vollständig als Grund aus und offenbar steckte auch nicht mehr dahinter. Ganz offensichtlich war er einfach jemand, der überreagiert hatte, ebenso wie Seraphim momentan scheinbar überreagierte, sodass Souta in seinen detektivischen Tätigkeiten arg behindert wurde. Das passierte oft in derlei Fällen, weil die Zeugen selten die Wahrheit sagten und das Opfer manchmal auch nicht, während sich der Täter sehr oft mit Lügen vor Strafverfolgung zu schützen suchte. Vor allem natürlich, wenn er genau wusste, worauf er zu achten hatte, wovon man bei Loire ausgehen konnte, wenn man die ganzen Rechtsschinken in seinen Regalen bedachte. "Zudem musste ich weiter denken... auch wenn er Luca bis zu dem Punkt, an dem ich ihn gestoppt habe, körperlich scheinbar nicht geschadet hatte, woher sollte ich wissen, ob jemand, der dazu fähig ist, für sein eigenes Amüsement die Psyche eines Unschuldigen zu beschädigen, nicht noch weiter gehen würde? Was wäre gewesen, wenn Luca im letzten Moment Muffensausen bekommen hätte und Seraphim nicht aufgehört hätte? Zuzutrauen war es ihm allemal." Das war nicht zu bestreiten logisch, wenn auch überflüssig, da sich der Weißhaarige ganz offensichtlich in seinem jetzigen Stadium zu fein für so etwas war. Wenn er jemanden herumbekommen wollte, wurde das mit normalen Mitteln versucht und nicht erzwungen, denn das wäre immerhin ein Armutszeugnis. Doch für einen sowieso schon überprotektiven Mann schien diese Sorge dennoch damals allgegenwärtig gewesen zu sein. Loire schürzte die Lippen und betrachtete die vorgebeugte Gestalt des Kettenmagiers. "Ich an deiner Stelle wäre nicht so vertrauensselig." Ob er wohl aus Erfahrung sprach? Vielleicht kannte er Fälle, die auf diesen gepasst hätten, solche, in denen Gefühle ausgenutzt worden waren, um Unrecht zu tun? Vielleicht hatte er selbst Erfahrungen gemacht, die er verschwieg, weil sie noch persönlicher als der Tod seiner Frau waren? Vielleicht trug er schwer an Geheimnissen, die ihn selbst belasteten, die er aber niemals enthüllen würde? Oder projizierte er wirklich auf Seraphim, um jemanden zu haben, auf den er die Schuld abwälzen konnte, eine Art Feindbild sozusagen? War das wirklich wichtig, wenn Souta vorhatte, etwas über die seltsame Reaktion seines Freundes zu erfahren?

Souta mochte Menschen nicht, die sich nach ein paar Sekunden sofort für einen Experten hielten, was andere Leute betraf. Woran das genau lag, das wusste man nicht, aber vermutlich hatte es damit zu tun, dass der Kettenmagier sich nicht gerne auf eine einzige Sache festnageln ließ und allgemein dafür bekannt war, sich sehr flexibel zu verhalten. Wahrscheinlich hätte er noch mit einer Homophobie des Schwarzhaarigen fertigwerden können, weil erstaunlich viele damit ein Problem hatten – bis zu einem gewissen Grad auch der Rothaarige selbst – von daher könnte man immerhin verstehen, woher dieser Hass kam. Doch stattdessen behauptete der Riese, dass es ihm gar nichts ausmachte und faselte etwas von Dörfern und deren strengen Sitten. Souta kannte sich damit nicht aus, er hatte stets in einer großen Stadt gewohnt. Vom belebten Hafen Hargeon Towns hatte es ihn in die Touristenmetropole Hosenka verschlagen und jetzt lebte er ziemlich zentral in Oshibana Town, keine dieser Orte war klein oder ähnelte einem Kaff. Man war anonym, auch wenn sich die Kunde über seine Taten in seiner Heimat wie ein Lauffeuer verbreitet hatte und er seither dort verhasst war, da er allerdings auch nicht so auf Bootstouren abfuhr, konnte er um den Hafen Fiores auch einen großen Bogen machen, ganz ohne Probleme. Was war also Loires Grund, dass er Seraphim verprügelt hatte … Dass es richtig gewesen war? War dieser Mann einer von denen, die alles rechtfertigen konnten, solange sie es sich nur genug einredeten? Wahrscheinlich hatte dieser Schwarzhaarige noch Glück, dass Souta so wenig Ahnung von dieser ganzen Sache hatte, denn wenn er wüsste, was der wirklich getan hatte, so wäre er sicherlich sehr kurz davor, ihn allein wegen seiner Scheinheiligkeit zu kastrieren oder Schlimmeres mit ihm anzustellen. Gerade hatte die Wut begonnen, das Sandwich in seinem Bauch zu verschlingen und sich feurig seinen Rachen hinaufzubewegen, auf der Suche nach einem Ausweg, schien in seinen Adern zu brennen und brachte ihn zum Zittern. Er wusste nicht einmal, wieso ihn die Aussagen seines Gegenübers so ärgerten, aber mit zunehmender Zeit konnte er sich kaum noch zurückhalten. Wie konnte er Seraphim nur etwas so niederes, schmutziges vorwerfen? Natürlich war er manchmal geradezu penetrant dabei, andere zu überreden und hatte auch Souta schon so manches Mal überzeugt, wenn dieser gerade eigentlich weniger Lust auf Anstrengungen hatte, aber der Kettenmagier war sich hundertprozentig sicher, dass er niemals zu solchen Mitteln greifen musste, weil er sich dafür zu gut war. Was wäre das schon für ein Erfolg … Sicherlich hatte er das nicht einmal als Teenager nötig gehabt. Wie konnte Loire nur im selben Atemzug behaupten, wie sehr sein Neffe ihm verfallen war und dann etwas Derartiges von sich geben? Er widerte ihn an, dieser selbstgefällige, scheinheilig gerechte Bastard, der ihn für ein unschuldiges Kindchen hielt, das sich vom großen bösen Wolf hatte verschlingen lassen und nun nicht mehr aus dem Bauch der Bestie entkommen konnte. Wahrscheinlich hielt er sich für den Jäger, der alle retten musste, aber Souta war vielleicht rothaarig und hatte auch nichts gegen Kuchen, doch naiv war er eigentlich nicht … Und auch nicht ungefährlich. Es brauchte nur eine fließende Bewegung für ihn, um sich aufzurichten und die Hand in den Kragen des Mannes zu versenken, ihn zu sich zu ziehen und dabei so nah an sein Gesicht zu geraten, als wolle er ihn küssen, dabei hatte er ganz andere Dinge vor. „Wie lange haben Sie ihn gekannt, huh? Ein paar Tage?“ Souta schnaubte abfällig und funkelte den Mann hasserfüllt an, der sich nun zumindest ansatzweise auf seiner Höhe befand, was ihm nur recht war. Es war ihm gerade egal, dass er einen Regierungsbeamten angegriffen hatte, seiner Meinung nach hatte der noch Glück, dass er ihn nicht windelweich prügelte, nur um seine Stellung zu verdeutlichen. „Sie kennen mich nicht, also versuchen Sie nicht, mich einzuschätzen, denn das können Sie nicht. Sie haben mir gesagt, dass man auf seine Familie aufpassen soll und es kam Ihnen nicht in den Sinn, Ihrem Neffen ordentlichen Menschenverstand beizubringen? Ich will gar nicht wissen, was für eine charakterlose und schwache Person aus diesem armen, sensiblen Jungen geworden ist. Aber was erwartet man auch bei einem Vorbild wie Ihnen … Statt dafür zu sorgen, dass Ihre Familie ordentlich erzogen wird, verprügeln Sie lieber die Kinder anderer!“ Er stockte kurz, holte Luft und riss dann noch etwas fester am Kragen, strich mit seiner Hand fahrig über den Griff seiner Peitsche, als könnte er sich nicht ganz entscheiden, ob er doch noch zuschlagen wollte oder nicht. „Da Sie offensichtlich nicht dazu in der Lage sind, Konflikte mit Worten zu lösen, werde ich das auch nicht tun. Sollte ich noch einmal mitbekommen, dass Sie irgendwie abfällig über meinen Freund sprechen oder ihm Böses wollen, dann werde ICH derjenige sein, der IHNEN Manieren beibringt.“

Unter Umständen war es relativ mutig von Souta, seinen Auftraggeber körperlich anzugehen, wenn man bedachte, dass dieser gefühlt eineinhalb Köpfe größer als der Rothaarige war und ungemein kräftig aussah. Es blieb allerdings offen, ob diese Aktion riskant gewesen war, weil Loire nämlich keine Anstalten machte, Souta daran zu hindern, den Kragen seines wahrscheinlich teuren Kleidungsstücks auszuleihern. Positiv insofern, als dass der Ersatz dieses Teils den Kettenmagier wahrscheinlich teuer zu stehen gekommen wäre, negativ, weil er sich auch nicht im Mindesten beeindruckt zeigte. Offenbar hatten Seraphim und Loire in dieser Hinsicht etwas gemeinsam. Statt also verängstigt zurückzuschrecken oder zumindest einzusehen, dass er zu weit gegangen war, blieb ihr Auftraggeber ganz ruhig und lauschte den Worten des Kettenmagiers, als berichtete ihm dieser von den Ergebnissen eines interessanten Fußballspiels. Er schien sich nicht darüber lustig zu machen, aber die Drohung in den Worten des jungen Mannes ignorierte er offenbar vollkommen, als könne dieser sie sowieso nicht wahrmachen. Wahrscheinlich konnte er das, aber es wäre sein soziales Ende, weil der Riese ihm das Leben zur Hölle machen könnte, wenn er dieses nicht gerade als Eremit auf dem Mount Hakobe verbringen wollte, wo es unendlich einsam und bitterkalt war. Als Souta ausgesprochen hatte, schwieg Loire ein paar Sekunden, ehe er sanftmütig lächelte und unerwartet fragte: "Das hat er dir also gesagt, hm?" Erneute Schweigepause. "Wenigstens ist er nicht dumm." Er musste wissen, dass diese Mitteilung mehr als kryptisch war und entweder ging er das Risiko ein, dass der Einäugige verstand, was er meinte - unwahrscheinlich - oder dass er ihn damit nur noch mehr reizte. Wenn man bedachte, dass er ihn bereits am Kragen gepackt hatte, mochte das leichtsinnig sein, aber offenbar hatte es Loire sowieso nicht so viel mit Zurückhaltung, weil er sich seiner sehr sicher schien.

Bevor Souta allerdings seine Drohung wahrmachen oder seiner Wut noch mehr Luft machen konnte, rummste etwas mit offenbar großer Wucht knapp neben das Fenster des Arbeitszimmers und machte dabei ein dumpfes Geräusch, das vielleicht von einem gefüllten Sack kommen könnte und entließ ein Stöhnen, das maximal von etwas in besagtem Sack stammen könnte. Vielleicht handelte es sich dabei auch nur um einen Menschen, denn im Allgemeinen veranstaltete man kein Mensch-im-Sack-Weitwerfen. Während der Kettenmagier und ihr Auftraggeber nämlich über längst vergangene Zeiten geplauscht hatten, war Seraphim in seiner Selbstmitleidserfüllten Langeweile aufgefallen, dass sich Teile des heckendurchzogenen Rasens offenbar selbstständig gemacht hatten. Da er allerdings nicht so recht an Wunder glaubte und ihm nach einem Drehen des Windes ein unangenehmer Geruch nach Schweiß in die Nase gezogen war, hatte er sich nicht von der sicherlich gut gemachten Tarnung der Männer täuschen lassen, die da kackdreist über den Rasen robbten. Normalerweise hätte er sich wohl darüber geärgert, dass er aktiv werden musste, aber gerade war es eine willkommene Abwechslung. Wie ein Raubvogel, wenn auch deutlich weniger fedrig, war er vom Dach gestürzt und hatte die ersten zwei Männer noch in ihren Verstecken in die Luft geschleudert. Die anderen waren sofort aufgesprungen und hatten sich verteilt, was klug war, weil er sie so nicht alle auf einmal treffen konnte - theoretisch zumindest. Da er allerdings auch keine Lust hatte, über die Maßen viel Mana zu verschleudern, hatte er nicht angefangen, Zauber auszupacken, mit denen er das tatsächlich vollbringen konnte. Das würde außerdem viel zu schnell gehen, denn gerade hatte er irgendwie das Bedürfnis, es diesen Räubern zu unangenehm wie möglich zu machen. Sie konnten vielleicht ein wenig Katz und Maus spielen, mit dem Unterschied, dass er sie wohl kaum aufessen würde. Er zielte extra nicht sofort auf ihr Genick, sondern traf sie vorher an allen möglichen und unmöglichen unangenehmen Stellen, wofür er mit dem einen oder anderen Schrei belohnt wurde. Gut, dass Loire gerade mit Souta beschäftigt war, denn dieses Verhalten hätte seine Hypothese wahrscheinlich nur noch angefeuert. Schließlich schnappte er sich einen der Räuber an den Haaren und zerrte ihn hoch, auch wenn er dafür eine Hand gegen die Wange geschlagen bekam, drehte ihn ein paar Mal im Kreis und schleuderte ihn schließlich vor die Wand des Gebäudes, welche aus Zufall diejenige war, hinter der ein Rothaariger gerade dabei war, einem Regierungsbeamten das über die Maßen dicke Fell über die Ohren zu ziehen.

Da Souta sich gerade an einem Punkt befand, an dem seine Wut sich über sein logisches Denken hinweggesetzt hatte, könnte man den fliegenden Körper, der die Situation entspannte, wohl als eine Art göttliche Gabe interpretieren, sonst wäre er vermutlich dazu übergegangen, seine Drohung wahrwerden zu lassen. Es gab Menschen, die andere leicht verletzten und bei denen man alle weiteren Worte als leere Sprüche auffassen konnte, doch wenn sich Souta einmal dazu entschloss, jemanden zu bedrohen, dann durfte man nicht damit rechnen, einfach so vom Haken gelassen zu werden. Er war ein friedliebender Mensch, konnte viele Nervensägen besser ertragen als andere und ließ sich allgemein kaum reizen oder verunsichern, aber wenn man Menschen anging, die ihm wichtig waren, kannte er kein Pardon. Nach den Worten des Mannes war er zudem noch verwirrter als vor dem Gespräch. War das nun nur eine Aussage gewesen, die ihn verspotten sollte, oder hatte sie womöglich einen anderen Hintergrund? Was sonst könnte dieser Kerl getan haben, als ihn zu verprügeln, das die Verletzungen bewirkte, die der Weißhaarige ihm beschrieben hatte? Der Rotschopf war momentan zu wütend, um darüber nachzudenken und war nur noch kurz davor, den Körper des Schwarzhaarigen über den Tisch zu schleifen und ihn wider besseren Wissens zu verdreschen, ungeachtet der Konsequenzen, als plötzlich das Einzige durch die Gegend flog, was momentan seine Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte: Irgendwo neben dem Fenster klatschte eine Person stöhnend gegen die Hauswand, kurz darauf waren Schreie zu hören, die ebenso wenig tierisch klangen. Hatte man sich nun doch dazu entschlossen, das Haus anzugreifen? Souta lauschte kurz, ohne Loire loszulassen, doch dann entschied er sich, nicht lange herumzuwarten, sondern einzuschreiten. Es war ihm egal, ob Seraphim mit den Männern zurechtkam oder nicht. Seine Gedanken galten dem Rang der Quest, ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Rang ihrer Quest und der Tatsache, dass er vielleicht nicht diesen Regierungsbeamten, aber ein paar andere windelweich schlagen konnte. Aggressivität war sicherlich mindestens ein so gutes Triebmittel wie Langeweile, zumindest für Souta, weswegen er den Mann an seiner Hand gegen die nächste Wand schubste, den Griff des Fensters umschloss und einen Fuß auf das Brett setzte. Bevor er sich ins Freie schwang, drehte er sich noch einmal um und betrachtete Loire von oben bis unten, ehe er sich abdrückte. „Wir sind noch nicht fertig.“
Seine Schuhe landeten mit einem dumpfen Geräusch im Gras, das man durch den Lärm der Räuber nicht wirklich hören konnte, die wie aufgescheckte Hühner über den Rasen liefen. Souta fragte sich, wie er das Ganze übersehen hatte können, doch da er nirgendwo einen leblosen Weißhaarigen herumliegen sah, nahm er das jetzt nicht so genau. Kurz wandte er sich der zusammengesunkenen Gestalt des menschlichen Wurfgeschosses zu, das sich krümmend auf dem Boden wand und schon bessere Zeiten gesehen hatte, pfiff leise durch die Zähne und spazierte dann in Richtung der nächsten Eindringlinge davon, während er seine Finger knacken ließ und sie zum Test ein paar Mal spreizte und zur Faust ballte. Jeder, der sich ihm auf hundert Meter Entfernung näherte, konnte sehen, dass er mehr als nur angepisst war, was den armen Räubern wahrscheinlich nicht gut bekommen würde. Dieser bescheuerte Loire hatte einen Samen der Zweifel in ihn gesetzt und bewiesen, wie unantastbar er war, egal ob er ihn nun verdrosch oder mit seiner Geschichte an die Presse ging, es würde nichts bringen und am Ende verloren sie dabei noch ihre Stellung in der Gilde. Das konnte er nicht riskieren, weswegen er absolut hilflos war, doch das vertrug sich gerade nicht so gut mit seiner Wut, also musste, wenn er schon keine großkotzigen Zweimetermänner umlegen durfte, eine Schar Räuber dran glauben. Der gemäßigte Schritt des Kettenmagiers beschleunigte sich etwas, bis er bei einem der Männer angekommen war, die sich ihm mit beeindruckendem Mut entgegenstellte. Souta näherte sich ihm und wich einem seiner Schläge aus, den zweiten fing er mit der Hand. Etwa eine Sekunde später roch man verbranntes Fleisch und der Mann zuckte zurück, ehe der Rotschopf ihn am Kragen packte und aus seiner Bahn warf. Ein paar Meter weiter kam er auf und hielt wimmernd seinen Arm an den Körper gedrückt, aber Souta achtete kaum darauf. Sie sollten froh sein, dass er seine Waffe nicht zog … Das war das Einzige, was er ihnen gönnen würde. "Seraphim?" Seine Stimme hallte durch den Garten und klang gerade weder liebevoll noch besorgt, weil er dafür allgemein zu angefressen war. Manche Leute sollte man eben nicht reizen ...

Irgendwie klang sein Name, egal wie sehr er die Stimme liebte, die ihn durch den Garten rief, nach Ärger. Es war die Art, wie er ihn aussprach, wie er ihn schrie und seine Betonung, die den Weißhaarigen zusammen zucken ließ, wie ein Knabe, der wusste, dass man ihn nun aufgrund seiner unerlaubten Nascherei ausschimpfen würde. Er war sich zwar keiner (gut, sagen wir, keiner zusätzlichen) Schuld bewusst, aber offenbar hatte er etwas verpasst, denn der Kettenmagier klang geradezu anklagend. Dieser Eindruck wurde vielleicht davon unterstützt, dass er gerade einen aus unerfindlichen Gründen schreienden Räuber zur Seite stieß oder davon, dass er im Allgemeinen aufgewühlt wirkte. Er hatte etwas von einem ausbrechenden Vulkan, fand der Himmelsmagier, wie seine roten Haare leicht im Wind wehten, die seinen ärgerlichen Gesichtsausdruck mit dem funkelnden grünen Auge untermalten und sogar der Geruch... Seraphim sog die Luft ein und blickte verwirrt erst an Souta vorbei und musterte ihn danach schnell, denn was er da roch, war eindeutig verbranntes Fleisch. Es gab kaum einen Gestank, den er mehr als diesen hasste, beinahe noch mehr als der des Feuers selbst, weil dieses keinen Unterschied zwischen totem und lebendigem machte. Es brannte einfach alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte und schämte sich nicht, unschuldige Menschen, die ihm nahe gestanden hatten, in ihre Flammen einzuhüllen... sollte das etwa der Geruch von Soutas verkohlendem Körper sein?! Doch augenscheinlich war er körperlich in bester Verfassung, also starrte er nur ein paar Sekunden, ehe er einen der Räuber von hinten heranpreschen hörte und sich mit einem winzigen Manaschub vom Boden verabschiedete, ehe er ihn mit einem Windkugelhagel eindeckte. Er sollte dazu übergehen, sie kurz und schmerzlos aus dem Gefecht zu ziehen, da Souta nicht gerade ein Fan von seinen Gewaltexzessen war, wenn sie denn auftraten, doch er sah auch nicht so aus, als wäre es weise, ihn zu ignorieren. Den Wind in den Haaren schoss er zu dem Kettenmagier herüber und landete neben ihm, wobei er einen weiteren Moment nach Brandwunden suchte und keine fand. Das war seltsam, woher kam denn dann dieser durchdringende Gestank? "Hast du dich verbrannt, Souta-chan?~", fragte er, die säuselnde Stimme vielleicht ein wenig drängender als geplant, weil er sich auch nicht sicher war, wo sich der Kettenmagier hätte verletzen sollen. Er hatte doch nur nach etwas zu essen gesucht und der Koch dieser Villa würde ihn wohl kaum angegriffen haben... so unglaublich ungeschickt, dass er sich andauernd in dieser Art verletzen würde, war er ja zudem wahrhaftig nicht, also wusste er wirklich nicht mehr weiter. Keiner dieser Räuber hatte etwas heißes dabei gehabt, denn sonst hätten sie sich wohl kaum von Kopf bis Fuß mit Grünzeug tarnen können, ohne es in Flammen zu stecken, also... sein Blick fiel auf den nun am Boden liegenden Mann, den Souta zur Seite gestoßen hatte. Er umklammerte sein Handgelenk, welches rot angelaufen war und Blasen warf. War es etwa sein Gestank gewesen, der ihn so in Panik versetzt hatte? Und wenn ja, womit hatte der Rothaarige ihn verbrannt? Er trug nichts außer seinen normalen Waffen bei sich, welche allerdings noch steckten, sodass er auch keine von ihnen hätte anheizen können. Zudem wirkte das gar nicht wie eine Taktik für den sonst so fairen Einäugigen... "Souta-chan...?" Seine Stimme war ein wenig misstrauisch geworden, gespeist von seiner Abneigung gegenüber diesem Element. Sicherlich hatte er seine blanke Furcht davor weitestgehend im Griff, doch mögen würde er es wohl nie, denn dafür verknüpfte er mit ihm viel zu schlechte Erinnerungen.

Souta hatte nicht vorgehabt, Seraphim auf eine so direkte Art von seinen neuen Fähigkeiten zu erzählen, weil er natürlich wusste, wie dieser über Elementarmagier und insbesondere Feuer dachte. Sicherlich konnte man sich nun damit herausreden, dass er sich dieses Element ausgesucht hatte, gerade, weil es dem Wasser am Unähnlichsten war, das er über alles hasste und weil er geglaubt hatte, so jeglichen Schaden durch Flammen von seinem Freund abwenden zu können, aber in Wirklichkeit hatte er das gar nicht so aktiv ausgewählt. Da er bisher genau einen Zauber beherrschte, hatte er sich noch nicht sonderlich lange mit dieser Magie beschäftigt. Es war eine schnelle Entscheidung gewesen, sein Repertoire zu erweitern, nachdem er beim Examen an seinen Fähigkeiten gescheitert war, die ihm bisher immer genügt hatten. Obwohl er mit voller Kraft gegen ihren Feind angegangen war, hatte er ihn buchstäblich ausgelacht und sich innerhalb von Sekunden wieder erholt. Die logische Konsequenz war gewesen, auch auf anderer Ebene gefährlich zu werden – und was passte da besser als Hitze? Verbrennungen taten sehr lange weh und waren an den richtigen Stellen sogar lebensbedrohlich, und wenn er so weitermachte, konnte er endlich diejenigen beschützen, die mit ihm auf Quests gingen, die immer schwieriger wurden. Er hatte sich unzureichend und schwach gefühlt, also hatte er daran gearbeitet wie an seinen Muskeln und daraus war eine neue Magie entstanden, etwas, worin er zwar nicht talentiert war, aber mit verbissenen Zähnen arbeitete. Es gefiel ihm nicht, wenn man so brutal mit seinen Opfern umging, aber gerade hatte er das gebraucht, damit er beginnen konnte, sich abzuregen. Er war noch immer fuchsteufelswild und konnte sich kaum beherrschen, nicht einfach gegen die nächste Wand zu dreschen, weil er sich hiflos und verunsichert fühlte, wie ein blinder Stier, der nicht wusste, wogegen er eigentlich anrannte. Es drang nur schwach zu ihm durch, dass Seraphims Geruchsinn ihn verraten hatte, und er diese große Neuigkeit weniger direkt geplant hatte. Er hätte ihm das gerne privat gesagt, seine Hände gehalten und ihm die Gründe dafür dargelegt, sich mit Gegenargumenten eingedeckt, was man eben so tat, aber das war jetzt wohl kaum nötig. Selbstverständlich könnte er nun lügen, doch was würde das schon bringen? Statt sich aus dieser Situation zu winden, erwiderte Souta den Blick des Himmelsmagiers und hob die Hände, als wolle er sich vor ihm ergeben, doch er tat nichts dergleichen und runzelte lediglich leicht die Stirn, woraufhin ein dumpfes Glühen von seinen Handflächen ausging und schnell wieder erlosch, als er sie locker ließ und zu seinen Seiten fallen ließ, weil er die Konzentration nicht aufbringen wollte, diesen Zauber übermäßig lange aufrechtzuerhalten. Zwar hatte er auch an seinen Manavorrat gearbeitet, doch übertreiben musste man es auch nicht, zudem war er immernoch sauer, auch wenn er gerade nicht mehr wusste, auf wen. „Er hat dich also nicht verprügelt...“, meinte er, eher faktisch als irgendetwas anderes und hechtete nach vorne, um seinen Fuß im Magen eines Räubers zu versenken, der durch die Wucht einen ganzen Schwall Speichel im Gras verteilte und einen Rückwärtspurzelbaum machte. „Dieser arrogante, hochnäsige, selbstgerechte … Ich werde ihn ...“ Er drehte sich auf der Wiese um und suchte nach einem weiteren Gegner, ohne sich von der Präsenz des Dragonslayers stören zu lassen. „Was hat er dann gemacht … Was könnte er gemacht haben …“ In Soutas Kopf ratterten gerade die Zahnräder gegeneinander und arbeiten fleißig, doch es war schwer, auf die richtige Lösung zu kommen, wenn man nur darüber nachdenken konnte, wie man einem Riesen wohl sein eigenes Hemd die Speiseröhre hinabdrücken wollte und wie gut er sich in Scheiben machen würde, oder als blutiger Haufen gebrochener Knochen, oder ... "Wieso solltest du mich anlügen..."