Eine kleine Mütze tiefer Komaschlaf, das hatte Ren nun ereilt. Er war noch immer so erledigt vom gestrigen Abend, dass er selbst seine körperliche Verfassung völlig überschätzt hatte. Eigentlich war er ja ein großer und vor allem sehr starker Mann, doch da er normal nicht allzu viel Alkohol trank, hatte ihn das wohl ganz schön den Boden unter den Füßen weggezogen. Dieses Koma, von dem eben gesprochen wurde, endete allerdings so plötzlich, wie es auch gekommen war. Schlagartig riss der Akuma schon wenige Minuten später die Augen auf und zuerst wanderte seine Hand zu seiner Brust, um sich mit seinem eigenen Herzschlag zu beruhigen. Warum? Es regte ihn ziemlich auf, wenn er so nachsichtig war und sich so wenig auf das wichtigste Gut konzentrierte: Sein Leben. Erleichtert seufzte er und zog den Kopf unter der Decke hervor, bevor er beschloss sich langsam zu erheben. Die Tablette schien schon ein wenig zu wirken, zumindest fühlte er sich ein wenig besser als zuvor und das tat ziemlich gut, denn sonst wäre er wohl kaum auf die Beine gekommen. Erneut seufzend lief der Hüne langsam zu seinen Klamotten und zog sich zumindest eine Hose und ein paar Socken an. Sonst würde ihm wohlmöglich noch zu kalt werden. Dass Naomi nicht da war, fiel ihm erst dann auf, als er seine Hose zumachte. Wo sie wohl hin war? Egal wohin die Blondine verschwunden war, sicherlich würde sie schon bald wiederkommen und nicht ewig auf sich warten lassen. So hatte er sie zumindest gestern kennengelernt. Es war irgendwie merkwürdig zu sagen, dass er sie nur einen Tag kannte und meinte sie wirklich zu kennen. Aber naja, für Rens Verhältnisse war das schon ein ziemlich inniges Verhältnis zu einer anderen Person, wenn man sich öfter als einen Tag lang sah.
Gerade als er darüber nachdachte, öffnete sich die Tür und der junge Mann ging ein Stück zurück, um ihr nicht im Weg zu stehen. „Guten Morgen.“, sagte er nun das erste Mal richtig und man merkte sicher, dass es ihm nun besser ging. Tatsächlich war ihre Tablette also echt und keine Falle gewesen zu sein. Vermutlich sollte er sich dafür bei ihr bedanken, doch dann wurde ihm bewusst, dass er dies bereits getan hatte. Er schnappte sich sein Shirt und zog es gerade über den Kopf, als er sah, was Naomi mitgebracht hatte. Frühstück für zwei Personen… Tatsächlich war sie ziemlich gut zu ihm und das brachte ihn ein wenig in Verlegenheit, denn so etwas war er weiß Gott nicht gewohnt. An dem kleinen Tisch in dem Zimmer begann der Akuma aufzuräumen, damit sie dort gemeinsam essen konnten. Kaum hatte er alles bei Seite gestellt, entschuldigte er sich kurz, denn er wollte sich die Zähne putzen. Ein wenig schlampig von ihm, dass er das Bett nicht gemacht hatte, aber das hatte er in diesem Moment nicht wirklich bedacht. Einige Minuten verschwand er im Bad… Mal sehen was Naomi derweil so tat… Er überlegte übrigens wie er sich für diese ungewohnte Behandlung erkenntlich zeigen sollte… Über was würde sich ein Mensch wie Naomi wohl freuen?

Als Naomi die Tür öffnete, stand Ren vor ihr. Scheinbar ging es ihm inzwischen etwas besser. Zumindest wirkte er nun nicht mehr ganz so zerknautscht wie zuvor. Er begrüßte sie sogar mit einem Guten Morgen, welches sie gerne erwiderte: "Schön, dass es dir besser geht." Nachdem er das Shirt übergezogen hatte, was vor Kurzem sie noch getragen hatte räumte er ihr sogar den kleinen Tisch frei, auf dem sie das Tablett abstellen konnte. Wirklich nett von ihm dies zu tun. Während sie die Teller und Tassen auf den Tisch stellte, verzog er sich ins Bad, scheinbar war er noch nicht ganz durch gewesen. Zeit die sie nutzte um das Bett zu machen und neben etwas Licht auch etwas frische Luft in das schon etwas muffige Zimmer zu lassen. Diese Stadt schien von oben so friedlich wie jede andere. Niemals wollte sie ihr solche garstige Zungen zuschreiben, doch es war so, diese Stadt war voller garstiger Menschen, die einander nur das Schlimmste wollten. Leich seufzte sie und streckte sich ein wenig. Dann schlug sie die Decke zurück, so würde es wohl besser lüften, das Bett. Naomi war nicht sicher, wie oft sie noch darin schlafen würden oder ob sie die Arbeit heute schon erledigen würden. Dann setzte sie sich an den Tisch und wartete auf Ren.
Es war schon merkwürdig, wie ein wenig Freundlichkeit die Beziehung zweiter Menschen beeinflussen konnte. Naomi betrachtet ihren Kakao und dachte zurück an eine Zeit, in der sie Kind gewesen war. Rio hatte ihr auch immer Kakao gemacht, diese Zeit jedoch schien so weit weg, dass Naomi sich manchmal fragte, ob sie wirklich existiert hatte, ihre Kindheit. Nun war eigentlich die Zeit in der sie es nachholen konnte ein Kind zu sein, sie hatte keine Verantwortung mehr, doch es war zu spät. Ihre Finger schlossen sich um die warme Tasse. Ren würde sich gleich aus dem Bad kommen, also war es an der Zeit ein fröhlicheres Gesicht aufzusetzen, immerhin sollte sie ihm nicht als Trauerklos in Erinnerung bleiben. Also lächelte sie vor sich hin, rief sich den gestrigen Abend in Erinnerung. Den Moment, indem er ihr seinen Namen nannte. Dies brachte ein Lächeln zurück in ihr Gesicht, so wollte sie immer sein.

Seufzend stand Ren vor dem großen Badezimmerspiegel über dem Waschbecken und betrachtete misstrauisch sein Gesicht. Er hatte so starke Augenringe, dass man mit etwas Fantasie meinen könnte, dass da nochmal Tränensäcke drauf saßen. Doch ihn störte das wohl kaum. Etwas in Gedanken versunken ließ er lauwarmes Wasser über die großen Hände laufen und wusch sich einmal ordentlich das Gesicht. Danach wischte er sich eilig das Gesicht wieder trocken und schnappte sich ein Haarband aus seiner Hosentasche, mit dem er nun begann das lange, dunkle Haar nach oben zu stecken. Ein paar gezielte Hand- und Fingerbewegungen und schon hatte Ren eine perfekte Frisur, die kaum erahnen ließ, was für eine lange Haarpracht er da versteckte. Während er sich die Zähne nun putzte, rutschte er immer näher an den Spiegel heran um sich zu betrachten. Er zog sein Shirt hoch und strich sich die Haare aus den Augen. Egal wie oft er sich ansah, alles war noch immer so, wie es immer gewesen war. Also war nichts dabei die Nacht mit einem anderen Menschen zu verbringen, oder? Wenn er so darüber nachdachte, waren all seine Ängste und Sorgen völlig umsonst gewesen. Natürlich war ihm klar, dass das, nur weil es bei Naomi so gelaufen war, nicht bei allen Menschen so funktionierte, aber es hatte ihn schon einmal gelehrt, dass nicht alles auf der Welt böse war… Vor allem das Kleine und Niedliche, was er bisher immer gemieden hatte, schien gar nicht mal so schlecht für ihn zu sein. Hatte er sich getäuscht? Mit den Augen rollend spülte er seinen Mund aus und machte in aller Ruhe sein Gesicht sauber… Worum sollte er sich schon sorgen? Alles war gut.
Langsam öffnete der Hüne die Badezimmertür und blickte an dieser vorbei zu der zierlichen Blondine, die sich schon an dem kleinen Tischchen platziert hatte. Er ließ seinen Blick über das Zimmer und seine Sachen schweifen und sah, dass sie ein wenig aufgeräumt hatte. Der frühe Vogel fängt den Wurm… Eigentlich für Ren eine recht typische Phrase, denn in der Regel schlief er nicht allzu lang. Aber heute galten andere Bedingungen. Gemächlich setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch. Wieder dieselbe Situation wie gestern. Sie saßen sich beim Essen gegenüber, sahen einander direkt an und der einzige feine Unterschied lag darin, dass er diesmal nüchtern war. Zumindest weitestgehend. Ein wenig beschämt blickte er auf das Tablett mit dem Essen. Sie hatte wirklich an alles gedacht und sogar einen frischen Kaffee für ihn mitgebracht. Ren seufzte leise und rückte mit seinem Stuhl an den Tisch. Er wusste nicht so recht wie man damit umging, weswegen er einen Moment lang zum Fenster hinaussah. Als er zurücksah, lächelte sie ihn an. Sofort wandte er seinen Blick auf die schwarze, heiße Suppe in seiner Kaffeetasse und legte die Hände um diese. Schwarzer Kaffee, ohne Milch und Zucker… Kaum hatte er über seinen nächsten Schritt nachgedacht, als er die Tasse anhob und sich einen kräftigen Schluck genehmigte. Sein Blick sprach Bände. Es war eklig, aber es würde sicher helfen ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Kurz darauf stellte er die Tasse wieder ab und starrte Naomi an. Ihm ging einiges durch den Kopf, aber weder sein Blick noch sonst irgendwas schien zu verraten, was er sagen wollte… Es war einfach still.

Naomi sah zum Badezimmer als Ren hinaus kam. Zufrieden lächelte sie, er sah zwar immer noch ein wenig aus, wie als hätte ihn ein Bulldozer überfahren, aber es war nicht mehr ganz so schrecklich wie kurz nach dem Aufstehen. Er sagte nichts, sonder kam einfach zu ihr hinüber und setzte sich zu ihr. Scheinbar hatte er an seinem Frühstück nichts auszusetzen, ein weiterer Punkt, der sie sehr freute. Das Mädchen war in der Tat leicht glücklich zu machen und schwer loszuwerden. Nun gut, wenn man sie näher kannte, war es sicherlich deutlich einfacher, aber es schien nicht danach, als würde Ren dies noch wollen. Der Magier schien sich an ihre Anwesenheit gewöhnt zu haben. Er wandte seinen Blick zum Fenster und Naomi nahm noch einen Schluck aus ihrer Kakaotasse. Kurz, nachdem sie diese wieder niedergestellt hatte, drehte er den Kopf zurück und schenkte ihr ein wirklich wunderbares Lächeln. Einer der Momente, die sich Naomi gerne in ihrem Kopf einprägte und bewahrte. Es war wunderschön zu sehen, wie er lächelte und es war rar. Wie ein Schatz, dem man nachgejagt hatte. Besonders jetzt, da er weitestgehend nüchtern war und nicht mehr grinste, weil er total beschwipst war. Mit sich zufrieden blicke Naomi zum Frühstück und war sich sicher, es war nun Zeit dieses zu beginnen.
"Guten Appetit", meinte sie und sah zu, wie er sich seinem Kaffee zuwandte. Das Gesicht was er machte als er den ersten Schluck nahm ließ darauf schließen, dass er wirklich kräftig war und dementsprechend bitter. Ein kurzer entschuldigender Blick huschte über ihr Gesicht, aber es hatte ihn wahrscheinlich gut aufgeweckt. Während sie in ihr Salamibrot biss und darauf herum kaute, fragte sie sich, was sie heute wohl tun würden. Doch noch wollte sie Ren etwas Zeit lassen, immerhin sah er noch nicht ganz wach aus. Das Mädchen wartete also, bis sie ihre erste Brothälfte aufgegessen hatte, bevor sie das Wort an ihren Gildenkollegen wandte. "Ren, wie gehen wir die Sache heute an", er hatte wahrscheinlich noch gar keine Zeit darüber nachzudenken, aber vielleicht hatte er dennoch eine Idee und wenn nicht sollten sie die Frühstückszeit dazu nutzen, eine solche zu entwickeln. Beim Sprechen war ihr sehr wichtig gewesen keine zu hohen Töne anzuschlagen, soweit es mit einer doch recht hohen Stimme möglich war, aber es machte die Stimme schön ruhig und leise. Immerhin wollte sie den neuen Freund so gut wie möglich schonte, bevor es wieder daran ging, Arbeit zu machen. Wenn es möglich gewesen, wäre sie wieder auf seinen Schoß gekrochen und hätte sich angekuschelt. Ob man ihn dafür öfter begeistern konnte? War sie verzweifelt genug, ihn mit Alkohol oder Ähnlichem zu bestechen, ja war sie.

So einen Morgen hatte der als Akuma bekannte, junge Mann lange nicht mehr gehabt, aber davon ließ er sich recht wenig anmerken und zeigte sich als recht entspannt, wenn auch deutlich müde. Ein einziger Schluck der kräftigen, braunen Flüssigkeit reichte noch lang nicht aus, um den Hünen wieder auf die Beine zu bringen. Aber nach und nach zwang er sich dazu sich einen Schluck nach dem anderen einzuverleiben. Auch nahm er sich schon bald eine Scheibe Brot mit irgendwas, was ihm gerade in die Finger kam, und schon war er relativ zufrieden gestellt. Ren war nicht der Typ, der sich großartig über Speisen oder Getränke beschwerte, denn er war froh, wenn er überhaupt irgendetwas angeboten bekam. Dafür hatte er sich gegenüber Naomi ja auch erkenntlich und dankbar gezeigt. Lang brauchte er zum Essen nie, denn er war es von seiner Kindheit her gewohnt, dass man nicht wirklich viel Zeit dazu und vielleicht sogar etwas Angst, dass man ihm etwas wegnahm hatte. Zwar hatte er einmal gelesen, dass es nicht besonders gesund war, wenn man das Essen so hastig herunter schlang, doch was einmal drin steckte, das wurde man nur schwer wieder los. Nachdem er nun eine Kleinigkeit zu sich genommen hatte, blickte er zu Naomi und nippte an dem bitteren und starken Getränk. Fast hatte er den Job der beiden ein wenig ausgeblendet, da er gerade noch ein wenig andere Gedanken gehabt hatte, weswegen er einige Male irritiert blinzelte, als sie danach fragte. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn und warf einen Blick zum Fenster. Als er vorhin raus gesehen hatte, war auf dem Marktplatz eine große Menschenmasse zu sehen. Hin und her wuselten die Besucher, so als gäbe es dort um die Zeit etwas, was man sonst nicht so leicht erreichte? Auf jeden Fall deutete dieses Verhalten deutlich auf einen Morgen- oder gar Wochenmarkt hin. Je seltener, desto besser für die beiden, denn so kamen die rareren Geschichten zu Tage. Er nahm einen weiteren Schluck und grinste dann mit einem weniger freundlichen, als ein vielmehr überlegten Lächeln in Richtung der jungen Magierin. „Hast du heute schon aus dem Fenster gesehen?“, begann er ziemlich ruhig und deutete hinter sich zu der Scheibe. „Dort sind eine ganze Menge Menschen unterwegs und ich schätze, dass es sich dabei um einen Marktplatz handelt. Dementsprechend stehen unsere Chancen gut, dass wir dort einige Menschen treffen. Immerhin lebt diese Stadt von Tourismus und Handel, da werden die Einheimischen sicher auch auf diesem Markt einkaufen. Also… Wäre mein Plan folgender: Wir gehen auf den Markt, suchen dort nach den Wirten und versuchen ein wenig ins Gespräch zu kommen… Das ist auf jeden Fall schneller und effektiver, als jedes Lokal einzeln abzuklappern, nicht wahr?“ Er lächelte Naomi noch immer so merkwürdig an und leerte seine Kaffeetasse. Damit war er fertig, nur was hielt die Dame von seinem Plan?

Schweigend hatte Naomi über ihrem Kakao gesessen und darauf gewartet, dass der Junge vor ihr endlich wach wurde. Dann hatte sie eine Frage gestellt und die Antwort war so simpel, dass ihr die Frage schon peinlich war. Außerdem blickte sie gerade in ein sehr merkwürdiges Lächeln, was irgendwas zwischen schön, dass du da bist und ich fresse dich gleich bedeuten konnte. Gestern waren von diesen Lippen noch Töne erklungen, die sie sanft in den Schlaf gewogen hatten und heute war es fast gruselig. "Tut mir leid, daran hätte ich denken müssen", ihr Kopf wandte sich zum Fenster, welches sie selbst geöffnet und wieder geschlossen hatte. Hatten sie nicht gestern Abend noch darüber gesprochen, dass es wahrscheinlich klug war, sich auf dem Markt umzuhören. Hatte nicht sogar ihr kleines Hirn diesen Vorschlag unterbreitet? Es war fast traurig, dass sie es nun übersehen hatte und natürlich schrecklich peinlich vor dem Kollegen, den sie nun eigentlich noch mehr beeindrucken wollte als zuvor. Manchmal spielte einem eben der Kopf Streiche und deshalb aß sie nun etwas schneller ihre übrigen zwei Hälften Brot auf und leerte die Kakotasse, um das Vorhaben nicht weiter zu behindern, immerhin stand der Lebensunterhalt von zwei Menschen auf der Kippe und das war wirklich keine schöne Sache. Doch wie sollten sie das nur kitten?
Als das Tablett dann endlich geleert war, blickte Naomi zu Ren auf: "Ich bring das Tablett eben zurück in die Küche, treffen wir uns gleich unten?" Es war eigentlich keine Frage, auf welche sie ein Nein als Antwort erwartete, weshalb sie bereits alles zusammengestellt hatte und aufgestanden war. Kurz lächelte sie Ren an und nahm dann das Geschirr an sich, um es hinunter zu bringen, auf ihren Lippen erneut die Melodie der letzten Nacht. Wahrscheinlich würde es für immer in ihrem Kopf herumgeistern. In der Küche schien auch gerade die Tochter noch ihren Abwasch zu machen, weshalb sie Naomi mit nassen Händen deutete, das Geschirr einfach dazu zu tun. Etwas, was die Blondine gerne annahm. Summend wollte sie schon wieder hinausgehen, als sie plötzlich vor dem Wirt stand: "Wenn das Haus von summenden Mädchen erfüllt ist, dann ist Frühling, und wenn Frühling ist, dann ist Liebe in der Luft." Genauso gut hätte er Naomi einen Schuh ins Gesicht pfeffern können, was redete er da, sie mochte doch nur das Lied, oder? Ja, ganz bestimmt, sie hatte nicht Seraphim widerstanden, nur um sich dann auf den nächsten Gildenkollegen zu stürzen, da war sie sich mehr als sicher. "Ähm, ich denke das missverstehen sie", sie nickte und quetschte sich an ihm vorbei.
"Creepy", dachte sie und erwischte sich selbst dennoch bei Gedanken, die ihre eigenen Wege gingen. Man hatte sie scheinbar auf den Geschmack gebracht und dafür hätte sie den Wirt gerne mit fauligem Obst geworfen. Allerdings gab es davon keines, hier war doch alles in bester Ordnung und das musste man jedem hier beweisen. Kurz schüttelte sie den Kopf, um ihn freizubekommen und sah sich dann nach Ren um, dieser würde sicher gleich hier irgendwo auftauchen.

Ganz so peinlich musste es Naomi nicht sein, dass sie vergessen hatte, dass die Sache mit dem Markt ihr eigener Vorschlag gewesen war. So genau hatte Ren sich nämlich auch nicht mehr daran erinnern können, was wohl mit den Ereignissen des gestrigen Abends zusammenhing. Naja, wie auch immer. Er selbst würde es ja nicht als seine eigene geistreiche Idee betiteln, denn darauf hätte jeder kommen können und so waren sie der Peinlichkeit mehr oder minder entronnen…
Kaum waren sie fertig mit dem Frühstück, schon räumte Naomi alles auf dem Tablett zusammen. Einen Moment lang beobachtete der große Mann sie dabei und blickte dann zu ihr auf, als sie ihn ansprach. Dass ihre Frage eher rhetorischer Natur war, konnte er sich denken und so nickte er es nur knapp ab. Während die junge Dame nach unten ging und sich um das Geschirr kümmerte, sammelte Ren seine restlichen Sachen zusammen. Irgendwie war es gar nicht mal so unangenehm nicht allein zu sein. Heut hatte er sich um kaum etwas selbst kümmern müssen, musste sich keine Sorgen oder Gedanken machen und der Tag war trotz der Strapazen, die er sich ja selbst zuzuschreiben hatte, recht entspannt für ihn gestartet. Ren zweifelte ein wenig an seinen Ansichten… Aber dann fiel ihm wieder ein, warum es ihm so lieb war allein zu sein. Und so zog er seine Jacke an und verschloss die Zimmertür hinter sich. Eine Diele knarrte unter seinem Fuß, als er sich auf den Weg zur Treppe machte. Als er die ersten Stufen hinunter getreten war, hörte er Geräusche aus der Küche. Es klapperte, man hörte das Wasser aus dem Wasserhahn zischen und auch einige Worte der anwesenden Personen drangen zu den Ohren des Hünen, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dafür bestimmt waren. Zunächst war es eine Melodie, die sich sein Gehör verschaffte. Einen Moment lang blieb er stehen und lauschte aufmerksam, als er die Worte des Gastwirts vernahm. Kurz verdrehte der Akuma die Augen… Einer mehr, der zwei Menschen mit einem verschiedenen Geschlecht, nur diese einzige Möglichkeit unterstellte… Ihre Reaktion wiederum beruhigte ihn. Leise schliff er rückwärts die Treppe wieder hinauf und lehnte sich mit dem Rücken an eine Wand, um für einen Moment einen klaren Gedanken zu fassen. Selbst wenn er sich für ihre Freundlichkeit irgendwie erkenntlich zeigen wollte, wäre wohl genau das, was man von ihm erwartete, nicht wirklich der richtige Weg. Ren war kein typische Mann, kein Casanova oder Ähnliches… Für so etwas war er mehr oder minder einfach zu simpel gestrickt. Wahrscheinlich würde er selbst beim Versuch einer Dame wirklich nahe zu kommen kläglich scheitern. Zwar konnte er tanzen und singen, womit man sicher viele Damen um den Finger wickeln könnte, doch sobald es um den zwischenmenschlichen Kontakt ginge, wäre er völlig aufgeschmissen. Mal ganz davon abgesehen, dass er für niemanden außer sich selbst solche Gefühle hegen könnte. Also war es wohl ganz gut, dass seine Questpartnerin auf nichts mehr aus war… Denn mehr war sie ja nun mal auch nicht, oder? Ein wenig entnervt wegen dieser ständigen Konfrontation mit dem ungeliebten Thema strich sich der Hüne die Haare aus dem Gesicht. So oder so war es nicht für seine Ohren bestimmt gewesen und hatte dementsprechend keinerlei Bedeutung, nicht? Gute Miene zum bösen Spiel. Ren ging einfach wieder die Treppe hinunter, voran in die Küche und bedankte sich bei dem Wirt und seiner Tochter für die Bewirtung. Ein absolut unhöflicher Klotz war er ja nun auch nicht… Und Dankbarkeit zeigen, drückte ja den Stolz nicht. Kaum war das erledigt, ging er zur Tür, wo Naomi schon auf ihn wartete. Um sie nicht zu erschrecken, weil er sich ja quasi von hinten anschlich, legte er die Hand auf ihre Schulter und grinste, während er sagte: „Dann wollen wir mal an die frische Luft gehen und nach den singenden Vögelchen suchen, hm?“ Im Vergleich zu sonst, schien der Akuma gegenüber der Blondine wie ein zahmes Lamm. Ob ihr dies bewusst war?

Naomi sah, wie Ren in die Küche ging, scheinbar würde er sich für das Essen bedanken. Leicht musste sie schmunzeln und widmete sie einem Fenster. Menschen ging am Haus vorüber, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Manchmal lachten sie, dann zeigten ihre Gesichter Empörung, schon interessant, was ein paar Gerüchte anstellen konnten, hoffentlich fanden sie die Quelle, damit es endlich ein Ende hatte. Leicht seufzte sie, als ihr plötzlich jemand seine Hand auf die Schulter legte. Überrascht blickte sie zur Seite und konnte Ren sehen, der grinste und meinte, dass sie jetzt gehen würden. Ein wenig ungläubig blinzelten die Bernsteinaugen dem Magier entgegen, bevor sie kurz lächelte: "Klingt gut." In der Tat war es ihr aufgefallen, dass er im Vergleich zum Vortag wirklich liebenswert war, doch sie glaubte einfach daran, dass es daran lag, dass er sich gut behandelt fühlte. Immerhin hatte sie ihn mit dem größtmöglichen Maß an Fürsorge behandelt, seit er wach geworden war. Etwas was sie eigentlich sehr gern tat, weshalb das Mädchen auch immer ihr ganzes Herz hineinsteckte. Außerdem war sie davon überzeugt, dass man jemanden nur mit Respekt und Zuneigung behandeln musste, um ebenso behandelt zu werden. Bisher schien es ganz gut zu funktionieren, er war doch eigentlich ein wirklich liebenswerter Mensch, oder?
Nun allerdings öffnete sie die Tür und sie verließen den Gasthof. Allein das schien schon ein paar Blicke auf die zwei Magier zu ziehen. Wie konnten sie nur in dieser merkwürdigen Herberge übernachten, die doch so schlecht und verschrien war? Langsam lenkte sie ihre Schritte Richtung Markt, wo scheinbar alle Leute der Stadt zusammenkamen, der perfekte Ort, um ein bösartiges Gerücht in die Runde zu werfen. Neugierig ließ das Mädchen Augen und Ohren über den Platz wandern, um hoffentlich irgendetwas aufzuschnappen, was sie verwerten konnten. Immer wieder sah sie jedoch nach hinten, es war als müsste sie sichergehen, das Ren ihr nicht verloren ging, wobei es eigentlich unmöglich war, dass man jemanden verlor, der so groß war, wie ihr Begleiter. Dennoch hatte sie ihn gerne in ihrer Nähe und wusste, dass er noch da war. Ob er Angst bekommen würde, wenn er ahnen könnte wie einnehmen dieses Kind sein konnte, wenn es darum ging, jemanden wirklich gern zu haben, ganz egal ob dieser das ebenfalls so wollte oder nicht? Sie war eben Naomi und eine ihrer Eigenschaften war es, Menschen zu mögen, egal was sie ihr antun wollten, allerdings musste sie dies wollen und bei Ren war dies schon längst keine Frage mehr.

Dann mal raus an die frische Luft! Sobald er sich sicher war, dass Naomi bereit war und diese das auch verbal noch einmal verdeutlichte, folgte der Hüne ihr nach draußen, wo die kleinere Dame erst mal die Führung übernahm. Ein wenig erschrocken darüber, dass die Massen sich noch mehr ausgebreitet hatten seitdem er das letzte Mal aus dem Fenster gesehen hatte, folgte der Akuma der kleinen Blondine durch die Menge. So klein war sie zwar nicht im Vergleich mit dem Durchschnitt, aber in einer solchen Menge fiel ein so zierliches Mädchen wie sie nicht wirklich auf und Ren hatte ordentlich damit zu tun sie im Auge zu behalten. Immerhin war sie es, die sich immer mal wieder nach ihm umsah und so konnte er in ihrer Nähe bleiben. So langsam hatte er das Gefühl, dass sein Plan nicht besonders großartig funktionieren würde, denn es war viel zu voll um irgendwas auszumachen. Aber man konnte ja hier und da immer noch ein wenig lauschen, nicht wahr? Zunächst musste er sich aber auf Naomi verlassen, denn das zarte Mädchen kam deutlich besser voran als er. Der große, breite Mann hatte es recht schwer sich an alten Damen und jungen Händlern vorbei zu quetschen, vor allem weil auch diese absolut keine Rücksicht auf ihn nahmen, was ihn schon wieder endlos reizte. Aber da er sich denken konnte, dass Naomi wenig Lust auf einen typischen Renkonflikt hatte, riss er sich zusammen und sah darüber hinweg. Mal davon abgesehen wäre es ja auch recht schwierig dann noch unerkannt über den Markt zu gehen, also hatte er gleich zwei Gründe nicht aus der Haut zu fahren…
Kaum waren sie an einigen Ständen vorbeigekommen, wurde es nach und nach komplizierter. Je näher sie zur Quelle kamen, desto voller schien es zu werden. Eigentlich hätten sie sich das denken können, denn bei einer Stadt, in der sich alles um Essen und Bewirtung drehte, war es recht klar, dass der Markt eine zentrale Rolle spielte. Wieder einmal musste Ren nun Ausschau nach der kleinen Blondine halten und was er dann zu sehen bekam, reizte ihn endgültig. Ein Händler, welcher gerade seine Waren anpries und herumzeigte, stieß die zierliche Blondine mit dem Ellenbogen einfach aus dem Weg. Es war nicht gerade der schmalste Typ und so schaffte er es locker die zarte Dame einfach wegzuschubsen, sodass sie das Gleichgewicht zu verlieren schien. Ren drückte sich an einigen Menschen vorbei, dabei war er diesmal nicht gerade zimperlich, und fing die kleine Blondine erneut an den Schultern auf, sodass sie nicht fiel. Mit einem deutlich unfreundlicheren Blick als zuvor musterte er das Mädchen, um sicher zu gehen, dass ihr nichts fehlte. Das konnte er ja so gar nicht leiden, denn der Typ hatte sich auch noch nach ihr umgedreht und einfach weiter gesprochen. Rens Zähne knirschten vor Wut und schon hatte er Naomi wieder losgelassen. Nun doch sehr rücksichtlos drückte sich der Hüne an den Menschen vorbei zu dem Mann… Die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben… Nun war er kurz vor dem Händler und ganz offensichtlich drauf und dran dem Typen eine Lektion zu erteilen, wie man auf seine Umwelt und Mitmenschen zu achten hatte. Ob das noch aufzuhalten war?

Naomi schlängelte sich durch die Leute, immer wieder darauf achtend, den Riesen, der in dem Wirrwarr nicht so gut vorankam, nicht zu verlieren. Doch er schaffte es scheinbar recht gut, ihr zu folgen, auch wenn alle anderen ihm dies nicht zwingend erleichterten. Es war in der Tat vielleicht etwas merkwürdig, wenn man eine Omi bat, Rücksicht auf einen Schrank wie Ren zu nehmen, aber in diesem Fall wäre es sicher hilfreich gewesen. Diese Damen hatten das seltene Talent ihre Körbe immer dort hinzustellen, wo man vielleicht seinen Fuß haben wollte, damit man sich nicht einfach hinlegte. Oder diese schrecklichen Obst- und Gemüsekisten, irgendwie immer total im Weg, sodass man quasi über die Ware stolperte, wohl noch in der Hoffnung, dass man diese dann ersetzen würde. Zum Haare raufen war das. Dann, mitten im Gedränge, eigentlich hatte das Mädchen es gar nicht erwarten, bekam sie aus einer Richtung einen üblen Schlag versetzt. Der Mann, der diesen an sie ausgeteilt hat, stand selbst auf einer dieser Kisten, um über die Menschen hinaus zu ragen und pries lauthals seine Waren an. Sein Ellenbogen hatte ihr einen netten Schlag gegen den Kopf gegeben, der sie deutlich ins Wanken gebracht hatte, gerade als sie dachte, sie würde gleich den gepflasterten Boden begrüßen, wurde sie aufgefangen.
Sich leicht die Stirn reibend sah sie auf und musste feststellen, das Ren wirklich fürsorglicher war, als er zu Anfang hatte zugeben wollen. Ein wirkliches Plus für den Wüstenjungen, der über diesen Unfall erzürnter zu sein schien als sie. Zumindest war seine Mine sehr verfinstert, und nachdem sie wieder sicher auf beiden Beinen stand ging, er zielstrebig auf den Mann zu, der sie gerade in seinem Feuereifer fast umgehauen hätte. Keine so gute Idee, weshalb seine Begleiterin ihm nachschlüpfte und als Allererstes nach seiner Hand griff. "Ren", daran zog sie sich durch die Menge zu ihm hin, "Es ist schon okay, wenn du ihn jetzt auseinandernimmst, drehen die Leute hier nur am Rad." Energisch drückte das Kind sich an die Brust des großen Jungen und umklammerte ihn. Klar fand sie jeden Moment toll, den sie dafür gebrauchen konnte, sich an jemanden anzukuscheln, doch eigentlich wäre ihr ein freudiger Anlass viel lieber gewesen. Der dumme Kerl ahnte nicht mal, dass er wahrscheinlich gerade seine körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzte, nur weil er so unachtsam war. Ob sie den Gildenkollegen davon abhalten konnte, seine plötzliche Wut an dem Unwissenden auszulassen. Dennoch war es irgendwie schmeichelhaft, das wegen ihr jemandem scheinbar wehgetan werden musste, doch war das nicht der Weg.