Moralische Grundsätze waren für gewöhnlich ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um sich selbst Grenzen aufzuerlegen, doch gerade aus diesem Grund hatte Souta ihnen gegenüber ein nicht ganz und gar positives Verhältnis. Wohingegen es manchmal eher schien, als wäre sein bester Freund ein skrupelloses Monster, so war es doch der Rothaarige, der in dieser Hinsicht wankelmütiger agierte. Seraphim hatte vom Fundament seiner Persönlichkeit her nur wenig, was er nicht tun würde, was er eklig fand oder was ihn abstieß. Gepaart mit seinem Genuss am Leid anderer war das eine explosive und gefährliche Mischung, weswegen sich diese Dinge auch oft vor die scheinbar festen Moralvorstellungen des Kettenmagiers schoben und Souta die Stimme der Vernunft war, die den Dragonslayer auf den Boden zurückholte. Was viele allerdings nicht wussten, war, dass Seraphim generell sehr statisch war und ebenso nach Prinzipien handelte wie jeder andere … außer der Einäugige. Selbstverständlich beobachtete man ihn nie dabei, wie er jemanden böswillig folterte oder beraubte oder auslachte, denn Souta war nett. Aber er hielt sich auch nicht an Regeln, nicht einmal an seine eigenen, und so hatte es eine Zeit in seinem Leben gegeben, in der das Blut anderer an seinen Händen klebte. Der Abschnitt seines Lebens, der ihn in tiefe Dunkelheit getrieben hatte, war zwar schon seit längerer Zeit vorbei, doch wer davon Kenntnis hatte, der wusste auch, dass der Rothaarige seine Meinung schnell ändern konnte, was so ziemlich alles betraf. Im Moment war Souta außerordentlich wütend auf Jones, der seine Identität angenommen zu haben schien, um Nora hinzurichten, wie der Blutfleck im Zimmer indizierte, der einen fahlen Geschmack auf seiner Zunge hervorrief, sobald sein Auge darüberglitt. Seine Wahrnehmung war von einem rötlichen Zornschleier verhängt und er hatte den ganzen Weg schon die Hände zu Fäusten geballt, so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten und er sich sicherlich in die Handflächen geschnitten hätte, wären seine Nägel nicht auf eine ungefährliche Länge abgekaut. Der Druck schmerzte mittlerweile in seinen Handgelenken, aber es war eine befreiende Art von Schmerz, der etwas Fokussierendes hatte, ihn darauf hinwies, was er mit dem Verbecher zu tun gedachte, sobald er ihn in die Finger bekommen würde. Souta hatte Blut geleckt. Er schüttelte den Arm um seine Schulter auf für ihn untypische Weise ab, als Seraphim ihn vom Tatort wegzog, so als würde er gleich zu heulen anfangen, wenn er mit etwas brutaleren als bloßem Hörensagen über einen Mord konfrontiert wurde. Er hatte nicht die Intention, seine Wut an seinem Freund auszulassen oder ihn zu ignorieren, doch gerade konnte er einfach nicht mit seinen Betatschungen mithalten, weil er sich auf diese Aufgabe konzentrieren musste, die eindeutig etwas Persönliches geworden war. Am Fuß der Treppe angekommen gab es keine direkte Lichtquelle, deshalb war der kleine Übergang zum Haupteingang in leichte Dunkelheit getaucht, was sehr gut zu der momentanen Laune des Rotschopfes passte, der sich umdrehte, bevor er sich auf dem Weg machte, und Seraphim eine Hand auf die Schulter legte, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keiner der Polizisten nachgekommen war, um sie zu beobachten. „Wenn ich Jones erwische“, begann er und neigte sich ihm entgegen, damit auch ja niemand ihn belauschen konnte, denn wer wusste schon, was dieses offensichtlich imkompetente Hotel an neugierigen Mitarbeitern besaß, „werde ich jeden einzelnen Knochen in seinen Körper brechen und meine Klinge so oft in sein lügnerisches, verachtenswertes Fleisch stoßen, bis nicht einmal seine Mutter ihn mehr erkennt.“ Er stockte kurz, schaute auf den Hals seines Freundes hinab und fuhr mit seinen Fingern leicht über seinen Kragen. „Und das nur dafür, dass er es gewagt hat, mein Schwert anzufassen.“ Er lächelte und im nächsten Moment bekam seine Stimme wieder den fröhlichen Souta-Klang, den sie immer hatte, wenn er sich auf etwas festgelegt hatte und nun mit jeder gutgelaunten Faser seines Körpers danach strebte, dies auch in die Tat umzusetzen. „Beantwortet das die Grundsatzfrage? Ja? Dann lass uns gehen, Seraphi~him“ Nur ein Kuss auf die blasse Wange später und er drehte sich in Richtung Eingangstür, um beschwingten, leicht hüpfenden Schrittes in Richtung Polizeiwache zu laufen. Langsam wurde es Zeit für ein bisschen Unterhaltung!

Seraphim wusste einen Moment nicht, wie ihm geschah. Da war dieser Augenblick, in dem Soutas Finger über seinen Kragen strichen, langsam, wie in Zeitlupe und sein Atem über seinen Hals strich. Eine beinahe zarte Geste war es, die aber von Worten unterlegt wurde, die aus der warmen Stimme des Rothaarigen geformt so unwirklich wie falsch wirkten. Er sprach von Mord, von Gewalt und vergossenem Blut, von Untaten, bei denen er dem Dragonslayer Einhalt gebieten würde und Cyrus spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Das hier war eine Facette, die er an seinem Freund sonst eher nicht zu sehen bekam, eine neue Nuance, die ihn seine Gedanken kurz zum Entgleisen brachte, weil er sie ungemein sexy fand. Und das kam immerhin von jemandem, der den Anderen ansonsten am liebsten schluchzend, heulend oder erwartungsvoll zitternd hatte, weswegen es ihn ja auch so irritierte. Er hatte einfach mit nichts vergleichbarem gerechnet und so musste er sich erst einmal damit abfinden, dass der Kettenmagier ihn wohl auch auf andere Weise bezaubern konnte. Verwunderlich war es eigentlich nicht, wenn man bedachte, dass der Dragonslayer neben einer großen Vorliebe für den Rothaarigen auch noch auf Gewalttaten stand, doch dass sich beides irgendwie kombinieren ließ, war bis jetzt nicht zu erwarten gewesen. Souta war eigentlich derjenige von ihnen, der mit rosa Wattebauschen herumwarf und niemand, dessen Kuss einen Schauer über seinen Rücken jagte.
Einen Augenblick stand der Weißhaarige wie vom Donner gerührt da und blickte Souta hinterher, der scheinbar wieder allerbester Laune die Treppen herunter hüpfte, ehe er sich zusammen reißen konnte und ihm folgte. Ja, das hatte seine Frage nach den Grundsätzen des Rothaarigen allerdings zu vollster Zufriedenheit beantwortet, denn wenn er schon nicht davor zurück schrecken würde, jemanden auf brutale Weise zu ermorden, würde ein kleiner Diebstahl wohl das geringste seiner Probleme sein. Allerdings sollten sie sich wohl wirklich besser nicht erwischen lassen, weil es nicht gerade für sie sprechen würde, wenn sie an den Beweisen manipulierten. Seraphim hielt es aber nun einmal für nötig, sich anzugucken, mit was die Polizei zu arbeiten hatte, denn für wirklich kompetent hielt er diese nicht, nachdem man schon sie beide verdächtigt hatte. "Warte auf mich...", murmelte er mehr zu sich selbst und lief seinem Freund nach, der sich bereits in die richtige Richtung in Bewegung gesetzt hatte. Vielleicht war das hier ja auch ein einzigartiger Augenblick gewesen und Souta würde den Rest des Tages der liebe, knuddelige Spargel sein, dessen größte augenscheinliche Sorge sein nicht vorhandenes Übergewicht war... das einzig schlimme war, dass Seraphim sich nicht sicher war, ob er das eher begrüßen oder es ihn enttäuschen würde. Neue Charakterzüge bei Menschen, die man so liebte, zu entdecken, konnte etwas unheimlich aufregendes sein, aber es konnte auch nach hinten losgehen… zumal er sich fragte, wo sich das sonst noch so alles zeigen könnte. Darüber wollte er allerdings eigentlich gar nicht nachdenken, denn im Zuge dieser Gedanken würde er zweifelsohne bei Themen landen, die gerade weder angebracht, noch benötigt wurden. „Du kannst ja richtig furchteinflößend sein, süßer Souta-chan~“, flüsterte er seinem Freund ins Ohr, als er zu ihm aufgeschlossen hatte, denn so ganz kommentarlos konnte er ihn nicht davon kommen lassen.

Souta konnte tatsächlich „süß“ sein, sowohl in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes als auch in der, welche manche Leute nutzten, um die Attraktivität ihrer Mitmenschen zu beschreiben. Aber es gab eben auch eine andere Seite an ihm, wenngleich er natürlich immer er selbst bleiben würde und daher leicht lächelte, als er den Kommentar des Weißhaarigen vernahm. Manchmal war es besser, wenn man andere nicht zuviel von sich preisgab, was hätte Seraphim nämlich zu seiner Berserkertour auf der Suche nach seiner letzten großen Liebe gesagt, oder zu seiner Vergangenheit in der Hafenstadt Hargeon Town, oder zu der Geschichte, wie er sein Auge verloren hatte? Der Kettenmagier war zwar die meiste Zeit über eher ein strahlendes Licht, doch dass er auch Schatten werfen konnte, ging da eben gerne unter … und das war ihm ganz recht so. Es lebte sich deutlich leichter, wenn die Menschen einem mochten und nicht fürchteten, ganz davon abgesehen, dass er ja trotz allem ein Menschenfreund war und alle retten wollte, die er konnte. Für seinen Freund gab es nicht mehr als ein freundliches Gesicht, denn gerade dieser sollte ihn ruhig für ungefährlich und niedlich halten, wenn er so besser schlief. Souta war eben nicht ganz das, was er auf dem ersten Blick zu sein schien und selbst momentan ohne Waffe brandgefährlich, aber da der Weißschopf es nicht mochte, wenn er ihm seine körperliche Überlegenheit auf die Nase band, unterließ er es, bis sie sich einem wirklichen Notfall gegenübersahen. Die momentane Situation kam dem zwar schon nahe, lag aber sicherlich noch nicht an den Grenzen ihres Könnens, schließlich hatten sie es in der Vergangenheit schon mit übernatürlichen Wesenheiten zutun gehabt, während Jones wohl wirklich einfach nur ein kluger, aber schrecklich menschlicher Verbrecher war.
Die Polizeiwache von Marokkasu Town sah auf dem ersten Blick ein bisschen so aus, als wolle sie ein Gildenhaus sein, könne es aber nicht. Ein altes Gebäude schraubte sich in die Höhe wie ein aufrecht stehender Quader, mit einer großen Uhr an der Front und einem breitem Eingangsportal aus massivem Holz. Da sie etwas abseits der gewöhnlichen Geschäften stand, hatte irgendeine gute Seele ein paar Büsche und Bäumchen gepflanzt, welche den Sitz der örtlichen Gerechtigkeit schmuckvoll in den Vordergrund rückten. Leute in Uniformen bewegten sich wie fleißige Ameisen durch den Haupteingang hinein oder schwärmten aus – allgemein wirkten die Leute hier ganz schön beschäftigt, was vermutlich an den kürzlichen Entwicklungen lag. Souta hielt sich hinter einem der Bäume, weil er das Gefühl hatte, dass er das Gebäude so schnell nicht verlassen würde, wenn er sich erwischen lassen sollte, warf Seraphim einen Blick zu und huschte dann durch einen der Sträuche zur Seite des Gebäudes unter eines der Fenster. In Bodennähe befanden sich einige vergitterte, kleine Luken, welche die Sicht auf Aktenschränke und Regale freigaben, sowie auf einem etwas dicklichen Typen, der gerade dabei war, eben diese einzusortieren. Auf allen Vieren linste der Rotschopf in den Keller der Polizeiwache, überdeckt von einem Busch, der seinen Arm ein wenig angekratzt hatte, als er hindurchgehechtet war wie ein Geheimagent auf einem wichtigem Auftrag, doch er ignorierte das und wartete, bis der Archivarbeiter sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt hatte, von wo aus er das Fenster im Rücken hatte und hakte dann die Finger in die dünnen Eisenstäbe des Gitters. Das Fenster war klein, aber ein erwachsener Mann konnte sich sicher mit etwas Beweglichkeit hindurchquetschen, wenn er nicht allzu voluminös war. „Schieß ihm eins von deinen Luftkugeldingern an den Kopf, bevor er uns sieht", wisperte er und riss dann, ohne auf Zustimmung oder Kommentare zu achten, mit einem Ruck das Gitter aus der Wand.

Seraphim mochte den Kettenmagier schätzen und lieben wie er wollte, aber es gab Aktionen, für die er ihm ab liebsten einen großen Knüppel über den Schädel ziehen wollte, weil sie schlicht und ergreifend riskant und dumm waren. Der Dragonslayer war kein Mensch, der unnötige Risiken schätzte, also machte er sich im Allgemeinen einiges an Gedanken darum, was nun zu tun war und was man besser ließ. So ungefähr ging er doch auch an andere Menschen heran und vielleicht war es vor allem seine Expertise, die es ihm ermöglichte, dabei einigermaßen spontan zu wirken. Was der Grund auch war, in diesem Moment war er kurz perplex ob der Dummheit des jungen Mannes neben ihm. Sie waren hier gerade ohne Frage dabei, das Gesetz zu brechen. Noch schlimmer, sie waren auf dem besten Wege, Beweise zu manipulieren, die zumindest oberflächlich auf sie selbst hinwiesen. Wenn man sie bei dieser Aktion erwischte, würde er die Polizisten nicht halb so einfach wegscheuchen können wie zuvor, wo ein wenig Fingerknöchelknacken im Grunde genommen gereicht hatte. Klar, dieses war wohl mit harten Fakten unterlegt gewesen, aber es war immer ein schlagkräftiges Argument, wenn der Beschuldigte den Verfolger mit Leichtigkeit in Boden und Himmel stampfen konnte. Ertappte man sie allerdings bei diesem Stunt hier, würde man ihnen sogar nicht glauben, wenn sie zur betreffenden Zeit eine Gruppe Kindergartenkinder bespaßt hätten, was hoffentlich nicht der Fall gewesen war. Nicht, dass es ihn in irgendeiner Weise gestört hätte, aber verstört hätte es die kleinen Blagen garantiert und das hätte Souta sicherlich nicht gemundet.
Aber genug von ekeligen Gedankenexperimenten, denn der Kettenmagier hatte gerade ohne ausreichende Ankündigung das Gitter des Kellerfensters vor ihnen herausgerissen. Grundsätzlich sei es ihm ja vergönnt, seine Kraft auf diese Weise zu demonstrieren, aber doch nicht, während sie beide in eine verdammte Mordermittlung verwickelt waren! Am liebsten hätte der Weißhaarige den roten Hinterkopf neben ihm malträtiert, einfach nur für die Beklopptheit dahinter, aber dafür war jetzt einfach keine Zeit. Er würde es nachholen, sobald er den Mann, der sich in unmittelbarer Reichweite des Fensters befand, ausgeschaltet hatte, denn wenn dieser sich umdrehte und sie sah, waren sie ziemlich verloren. Die Hand des Himmelsmagiers schnellte vor und schoss eine unsichtbare Druckwelle ab, die den sich rapide in hre Richtung drehenden Kopf seitlich traf und den daran hängenden Körper gegen die nächste Wand donnerte- also bitte, wenn man ihm so gar keine Zeit gab, dann konnte er seine Kraft auch deutlich schlechter dosieren, musste doch klar sein. Ihn persönlich störte das nicht, aber Souta würde es wohl ärgern, immerhin konnte der Wachhabende ja nichts dafür, das man sie beschuldigt hatte. Getötet hatte er ihn damit ja wahrscheinlich nicht... “Bist du von allen guten Geistern verlassen?!”, zischte er Souta ins Ohr, verkniff sich aber, seine Stimme zu erheben, weil er sowieso schon fürchtete, dass das Krachen des Gitters Zuschauer anlocken würde. “Was, wenn die uns erwischen?” Er wollte sicherlich nicht den Feigling raushängen lassen, aber diese Art von ungestümem Vorgehen war schlicht und ergreifend gefährlich. Und bescheuert. Er seufzte, schwang sich allerdings kurz darauf durch die Fensterlücke und landete sanft wie eine Feder auf dem Boden. Als Souta hinter ihm gelandet war, drehte er sich zu ihm um und packte ihn ein wenig gröber an den Schultern, als nötig gewesen wäre, blickte ihm ins Gesicht und flüsterte: “Ich kann verstehen, wenn du wütend bist, Souta. Mich würde es auch stören, wenn man meinen Namen so durch den Dreck ziehen würde... halt, tut man ja sogar... aber kopfloses Handeln ist jetzt wahrhaftig nicht angebracht. Schluck's runter.” Eine Sekunde schaffte er es, ernst zu bleiben, danach huschte ein Grinsen über seine Züge, das ziemlich schnell wieder verschwand, als ihm klar wurde, dass er darauf wohl lange warten konnte. “Nein im Ernst.” Er strich mit dem Daumen über die Wange seines Gegenübers, “Ich versteh dich.” Inwiefern diese Aussage der Wahrheit entsprach, war eine gute Frage, denn er hätte das wohl auch gesagt, wenn es nicht stimmen würde. Zwar hatte der Rothaarige ziemlich deutlich gesagt, dass er etwas dagegen hatte, angelogen zu werden, aber Seraphim vertrat da dann doch eher eine Variante der vernünftigen Dosierung, was das betraf.

Souta Dummheit vorzuwerfen, ohne seinen genauen Plan zu kennen, war sicherlich überzogen und im Kern nicht gerade schlau, aber man musste natürlich auch berücksichtigen, dass Seraphim ihn vermutlich besser kannte als der Rest Fiores. Es stimmte bis zu einem gewissen Grad, was er sich da zusammenspekulierte, doch es war dennoch günstig für ihn, dass Souta nicht in seinen Kopf gucken konnte, weil es sonst wahrscheinlich unangenehm für ihn ausgesehen hätte. Der emotionale und menschenfreundliche Rothaarige wurde gerade von seinen Gefühlen geleitet, wenn auch sicher nicht beherrscht. Auf der letzten Quest hatte er es geschafft, ihren Auftraggeber am Leben zu lassen, obgleich er deutlich traumatisierendere Neuigkeiten in Erfahrung gebracht hatte und auch sonst lebte er mit suizidalen Gedanken, Selbsthass und dem gelegentlichen „Heirate mich!“ Momenten gegenüber seinen Freund, ohne jeder seiner Regungen nachzugeben. Souta war ein spontaner Mensch, was seine Bedürfnisse anging absolut unkontrolliert und unkontrollierbar, eine Naturkatastrophe eben, die dazu neigte, Wände einzureißen, um das zu bekommen, was sie wollte. Ehrlich gegenüber sich selbst (meistens) und sich seiner Emotionen nicht schämend, handelte er oftmals wirklich unüberlegt und bedachte nicht alles, doch heute, in diesem Augenblick, hatte er sich sogar etwas bei seinem Einbruchversuch gedacht, selbst wenn es nicht so aussah. Man will nun nicht in allen Einzelheiten die Denkprozesse hinter den roten Strähnen beleuchten, da er, kaum dass Seraphim ihn gepackt hatte, bereits zu einer Antwort angesetzt hatte, die all das erklären sollte … Stattdessen war seine Miene bei der wuchtvollen Kollision des Wachmannes mit der Wand alles andere als freundlich und bestätigte ihn in allem, was sich sein Gehirn an schlagfertigen Argumenten zurechtlegen konnte. Es stimmte, dass seine Denkprozesse in manchen Situationen limitiert waren und dies gerade dann vorkam, wenn der Weißhaarige ihm besonders nahe war, doch im Augenblick wollte er den Dragonslayer eher zu Boden schmeißen und über ihn hinwegtreten, was er nur nicht tat, weil er ihn liebhatte und sich das ein oder andere Mal eben doch beherrschen konnte. Um sich nicht auf weitere dumme Gedanken zu bringen, grabschte er nach den Händen des Älteren und löste sie von seinem Körper, rammte ihn beim Vorbeigehen kurz eher absichtlich und beugte sich zu ihrem Opfer hinunter, dessen Puls er checkte. Na ja, tot war es immerhin nicht. Als er sich dessen sicher war, hob er den etwas dicklichen Mann auf und blickte sich in den Archiven um, die nach altem Papier und Spinnweben rochen, ehe der Blick seines Auges auf Seraphim fiel und er soweit heruntergekommen war, ihm zu antworten. „Tust du nicht. Mir geht es nicht um mich oder meinen Namen. Eine Frau ist tot. Ein lebendes Wesen, das ich gerne beschützt hätte. Ich weiß, dass sie dich nicht weniger kümmern könnte, aber mir geht das nahe und ich hoffe, dass sich das nicht ändert.“ Er schleppte den Typen in die etwas dunklere Ecke des Raumes, von wo aus er vom Kellereingang nicht zu sehen sein würde, ohne ein paar Regale zu durchqueren und legte ihn betont sanft dort ab. „Ich bin hier eingestiegen, weil wir schlecht durch den Haupteingang marschieren können. Unsere markanten äußeren Merkmale haben uns vorhin bei der Patrouille schon verraten und ich bezweifle, dass sie uns einfach so gehen lassen und uns genau im Auge behalten hätten. Hier finden wir alle Akten im ganzen Polizeipräsidium und können außerdem gucken, ob es in der Vergangenheit ähnliche Fälle gab, oder vielleicht sogar Einträge zu Jones' Opfern, was sicherlich interessant wäre. Irgendwie muss er sie schließlich auswählen. Wir haben hier Dutzende Regale, schlechtes Licht und nur einen einzigen Eingang, den wir im Auge behalten müssen. Ideale Versteckplätze, wenn jemand kommt.“ Er hatte das alles mit Nachdruck gewispert und schritt in Seraphims Nähe die Regale mit den Buchstaben A bis D entlang, auf der Suche nach mehr Alphabet. „Und selbst wenn sie merken, dass das Gitter fehlt, müssen sie erstmal durch den Busch und würden dann bemerken, dass irgendjemand mit übermenschlicher Kraft das Teil rausgerissen hat. Sie würden sich erst einmal erkunden müssen, wo so jemand sein könnte und möglicherweise sogar die Gilde kontaktieren, die, soweit ich dachte, unsere Identität bestätigt. Selbst wenn sie uns wegen den ausgeliehenen Beweisen drankriegen, werden wir Jones schnappen und sie entweder dumm aussehen lassen, weil sie die ganze Zeit alle nötigen Beweise hatten, ohne sich einen Reim darauf zu machen – ganz schlechte Publicity für die Polizei der Hauptstadt – oder wie jemand, der aus diesem Grund Helden einsperren will. Wirf mir nicht vor, dass ich kopflos handle. Ich hab vielleicht nicht deinen Intellekt, mir super Pläne auszudenken, aber ...“ Er fuhr mit den Fingern über die Aktenkisten und betrachtete die Regale, als wären sie sein einziger Halt im ganzen Universum. „Ich kann das nicht runterschlucken. Ich werde mich immer verantwortlich fühlen, wenn soetwas passiert, wenn jemand stirbt. Weil ich das muss. Für ihre Familie, die sich fragt, wie es dazu nur kommen konnte. Für sie selbst, die ihr Leben dafür gegeben hat. Für Menschen wie dich, die ihr Schicksal nicht interessiert oder berührt und sie als Rivalin sehen, obwohl es das dümmste ist, was ich je gehört habe, dass ich dich für sie verlassen könnte oder so. Ich werde niemals aufhören, mich darum zu kümmern und zu versuchen, alle zu beschützen. Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass ich das nicht kann … Ich kann mir vorstellen, dass Rachedurst dir nicht unbekannt ist und du weißt, wie es sich anfühlt, wenn man etwas verliert, das einem etwas bedeutet, aber das hier ist eine Charakterfrage ... Nenn mich ein Weichei, weil mir das nahe geht, nenn mich ruhig schwach, aber sag nicht, dass du mich verstehst. Du wirst das nie verstehen. Dafür hast du einfach nicht das nötige Equipment.“

Dafür, dass der Kettenmagier Bäume ausreißen könnte, wenn er denn wollte und schneller als das meiste andere war, was man in Fiore finden konnte, kam er dem Dragonslayer sehr oft wahnsinnig fragil vor. Wie der Zufall es wollte, war er das sogar körperlich, denn obgleich er Seraphim dort in jeder Hinsicht übertraf, würde er doch nicht einmal einen Schlag des Weißhaarigen aushalten. Auch seelisch gab es einiges in Souta, was empfindlich war, schnell kaputt ging und es großteilig sogar schon war und das war es, was Cyrus die größeren Sorgen bereitete. Er war der Himmels Dragonslayer und somit der Heilung mächtig, aber die Ruinen und Splitter im Inneren seines Freundes bewegten sich weit außerhalb seiner Reichweite. Vielleicht lag das tatsächlich daran, dass ihm das passende Equipment fehlte, wie er es so schön ausgedrückt hatte, denn mit menschlichen Gefühlen hatte er durchaus seine Probleme. Aller Wahrscheinlichkeit nach war die Aussage, er würde ihn verstehen, daher auch eine Lüge, aber die Wahrheit war nichts, was er dem Kettenmagier an den Kopf werfen konnte oder auch nur wollte. Seraphim interessierte es nämlich wirklich nicht die Bohne, wie es den anderen Menschen so erging... aber das änderte nichts daran, dass es in seinem vollen Interesse war, ganz genau darüber Bescheid zu wissen, was seinen Freund bedrückte. So gleichgültig ihm der Rest der Welt war, Souta... war etwas ganz anderes. Und deswegen kam er auch keine Sekunde auf die Idee, das Angebot anzunehmen und ihn ein Weichei zu schimpfen. Im Geiste hatte er das vielleicht schon öfter getan, aber er würde ihn nicht damit beleidigen, oh nein. Allerdings würde er einiges klarstellen müssen, so viel war sicher. Dazu war zwar eigentlich kein Körperkontakt nötig, aber nachdem der Kettenmagier ihn vorhin von sich gerempelt hatte, hatte er diesen mit einem Mal ganz schrecklich nötig.
Er legte Souta nach leichtem Zögern die Hand auf die Schulter und trat erst einen Schritt näher, als er sich sicher war, dass diese nicht abgeschüttelt wurde. Er konnte Souta nicht verstehen, in Ordnung. Er fand es tatsächlich albern, sich um jedes beendete Leben Gedanken zu machen, weil man am Ende weder etwas dran ändern konnte, noch es wirklich wollte. Was brachte das schon, wenn nicht schlaflose Nächte, die man viel besser als mit Grübeln verbringen könnte? "Ich will einfach nur nicht, dass es dir schlecht geht, Souta." Die Worte kamen geflüstert, weniger aus Sorge, dass man sie hören könnte, als aus schierer Unfähigkeit, es laut zu sagen. "Denn auch wenn du mir keine Empathie zutraust, zieht sich in mir alles zusammen, wenn es dir nicht gut geht. Ich finde, dass du dich damit nicht belasten solltest, dass Abstand dir gut tun könnte, aber vor allem möchte ich einfach, dass du zufrieden sein kannst." Er ließ seine Hand sinken und kratzte sich damit am Hinterkopf, trat ein wenig auf der Stelle und fügte dann beinahe unhörbar hinzu: "Ich hab sie nicht als Rivalin gesehen, ich war einfach ein bisschen... neidisch." War das richtige Wort nicht eher eifersüchtig? Hatte Seraphim, der ansonsten immer predigte, dass dieses Wort in seinem Vokabular nicht vorkam, vielleicht eher Eifersucht verspürt, als Souta sich nur um Nora gekümmert hatte? "Ich mag es nicht, wenn du dich so fertig machst, weil ich nicht weiß, wie ich dir in einer solchen Situation helfen kann. Verstehst du mich denn wenigstens, wenn ich dich schon nicht verstehe?" Bevor sie weiter machen konnten, musste das jetzt geklärt werden, denn sonst würde er sich noch im Zuge seines Grübelns unkonzentriert verhalten und ihre ganze Aktion gefährden. Generell fragte er sich aber, wie er sich hier verstecken sollte, wenn jemand herein kam, denn nicht nur war das Fenster sehr offensichtlich herausgerissen, seine Haare waren auch so hell, dass man sie durchs Halbdunkel immer noch gut erkennen konnte.

Die Krux daran mit einer Person zusammen zu sein, die irgendwie alle schlecht behandelte außer einem selbst war, dass man die Wahl hatte, sie zu aktzeptieren oder alles daran zu setzen, sie irgendwie zu verändern. Souta mochte es als freiheitsliebendes Individuum nicht, wenn man an seinem Äußeren herumkritisierte oder ihn irgendwie in eine bestimmte Schublade zwingen wollte, also konnte man von ihm eine deutlich liberalere Sicht auf derartige Dinge erwarten. Obwohl er in dieser Beziehung wohl irgendwie die Frau war, was gewisse Situationen anging und er durchaus etwas für Gefahr übrig hatte und gefährliche Personen daher weit oben auf seiner Favoritenliste standen, so würde er niemals den Platz einer Freundin einnehmen, die dachte, dass sie ihr Herzblatt ändern konnte. Als egoistischer Mensch war der Rotschopf grundsätzlich damit zufrieden, wenn Seraphim bei ihm eine Ausnahme machte, ihn umsorgte und für sein persönliches Wohlbefinden sorgte, was er mit anderen tat, das war ihm egal, solange er sie nicht abschlachtete oder anderweitig in seiner Gegenwart folterte. Witzig eigentlich, dass er nur betonen wollte, wie unangenehm es ihm war, wenn man log, und sein Freund das direkt als universale Aussage aufnahm und sich berufen fühlte, ihm zu sagen, dass er doch wollte, dass es ihm gut ginge. Natürlich tat er das. Im unsicheren Leben des Kettenmagiers gab es zumindest die eine Konstante, dass Seraphim immer und uneingeschränkt dafür sorgen würde, dass er nichts zu leiden hatte, was er verhindern konnte. Der Dragonslayer mochte die Menschheit verachten und als minderwertig ansehen, aber der Rotschopf war eine der Spezialfälle und dessen war er sich bewusst. Nur weil er ihm Empathie absprach, was die momentane Situation anbelangte, bedeutete nicht, dass er ihm seine Zuneigung entzog, denn das wäre nicht nur ungerecht, sondern auch lächerlich. Vielleicht hatte er es etwas übertieben, wie so oft, aber er würde sich davon nun nicht unterkriegen lassen und möglicherweise die rationalen Entscheidungen demjenigen von ihnen überlassen, der weniger spontan war und deutlich seltener unüberlegt handelte. „Ich mache mich nicht fertig … Jedenfalls nicht so schlimm. Ich bin einfach sauer auf Jones. Dass du in gewissen Gebieten ein Arsch bist hat überhaupt nichts mit uns zu tun, Seraphim.“ Als Meister der Verdrängung negativer Emotionen riss sich der Rotschopf nun endlich einmal ordentlich zusammen und schenkte dem Älteren ein Lächeln, immerhin musste man differenzieren und es war bestimmt nicht okay, dass er seinen Zorn nun ausgerechnet an der Person ausließ, die das wortlos hinnehmen würde und ihn nicht verletzen wollte. Das war undankbar … „Ich verstehe dich ganz und gar nicht, aber das ist egal. Ich akzeptiere dich so, wie du bist … Und … Das klang in meinem Kopf weniger kitschig.“ Peinlich berührt schlurfte er ein paar Schritte nach rechts, vorbei an G und H und I … Irgendwo musste doch J anfangen und tatsächlich, dort befand sich ein geradezu monströser Karton mit der Aufschrift „Jones“, der ihnen hoffentlich dabei helfen würde, das Verbrechen aufzuklären und den Übelttäter zu finden. Souta hatte langsam genug von Unsicherheiten!

Wahrscheinlich hatte der Kettenmagier Recht, wenn er behauptete, dass es viel wichtiger war, sich einfach so zu respektieren und akzeptieren, wie man war. Ändern würde sich wohl keiner von ihnen und bei näherem Überlegen war das vielleicht auch besser so. Würde sich Souta an seinen Freund anpassen, würde er grausamer werden und das würde nicht nur seinem Wesen widersprechen, es würde ihm auch überhaupt nicht gut stehen. Seraphim hatte wiederum gar kein Interesse daran, etwas mehr wie der Kettenmagier zu sein, sich vielleicht ein wenig heldenhafter zu geben und darüber hinwegzusehen, alles zu verachten, was sich ihm bat. Er kam ganz wunderbar damit zurecht, ein Arschloch zu sein, also mussten sich eben alle anderen damit arrangieren. Nur zu Souta und einigen wenigen anderen Menschen war er fürsorglich und kümmerte sich um ihre Gefühle und das war auch gut so. Souta schien damit zurecht zu kommen und sich auch wenig daran zu stören, also musste er sich keine Sorgen machen, dass er ihn deswegen vielleicht verlassen könnte. Alles war gut - bis auf, dass er hier gerade untätig im Keller der Polizeiwache standen und jeden Moment entdeckt werden könnten. Es war ein nicht unbedingt vorteilhafter Ort, den sie sich zur Klärung ihrer Differenzen ausgesucht hatten, aber wann taten sie schonmal das richtige am angemessenen Ort? Immerhin waren sie noch clever genug, ihre Zuneigung zueinander hier und jetzt zu demonstrieren, aber so nötig hatte es wahrscheinlich dann doch keiner von ihnen. Viel wichtiger war es, dass sie mal langsam mit ihrer Quest zu Rande kamen, denn je länger sie diesen Jones auf freiem Fuß herumlaufen ließen, desto mehr brachten sie letzten Endes auch sich selbst in Gefahr, auch wenn Seraphim es für relativ unwahrscheinlich hielt, dass man ihn wirklich einbuchten würde. Es wäre schon Ironie des Schicksals, wenn man ihn für keinen der Morde, die er tatsächlich begangen hatte, dran kriegen würde, sondern für etwas, das er mal gar nicht getan hatte...
Seraphim nahm den Karton mit dem Namen "Jones" aus dem Regal und stellte ihn nach kurzem Umsehen auf einem kleinen Tisch an der Wand ab. Im Vergleich zu all den anderen Ordnern oder Kistchen, war diese Sammlung regelrecht gewaltig und auch noch bis zum Rande voll, als er den Deckel abhob und daneben stellte. Aktenmappen, vollgestopft mit Zetteln, Berichten, Fotos, Notizen, kleine Tüten, in denen sich offenbar handlicheres Beweismaterial befand. Der Dragonslayer pfiff leise ob der Menge und zog einen der Hefter heraus, um ihn aufzuschlagen. Vor ihm sah er einen Bericht, der nach kurzem Überfliegen offenbar einen Einbruch in die Villa eines reichen Bürgers der Stadt beinhielt. Die violetten Augen des Dragonslayers sprangen über die Zeilen, bis er sich schließlich ein Bild gemacht hatte und das Dokument sinken ließ. "Eigentlich klingt das hier gar nicht so brutal.", stellte er mit beinahe enttäuschter Stimme fest. Und er hatte Recht, denn auf dem Papier hieß es nur, er habe die schwerreichen Besitzer ausgeraubt und einen kleinen Haufen Kohle auf ihrem Tisch zurück gelassen... aber kein Wort ließ erahnen, dass jemand körperlich zu Schaden gekommen wäre. Er hatte hier eigentlich erwartet, dass er ein paar interessante Geschichten über Morde oder andere brutale Verbrechen lesen könnte, aber aus diesem Bericht heraus kam Jones ihm eher wie eine Art Robin Hood vor. Einer, der dazu auch noch Humor hatte. "Hm.", machte er und nach einen zweiten Bericht auf, sprang aber gleich zu den wichtigen Passagen. Wieder wurde er nicht fündig, auch im dritten und vierten nicht. "Das klingt aber gar nicht nach einem Mann, der sich als du ausgibt und hübsche Frauen erschlägt..." Seraphim hatte durchaus schon einmal davon gehört, dass es Menschen gab, die Verbrechen nachahmten, damit sie den Serientätern zugesprochen wurden, aber in diesem Fall schien man sich ja nicht einmal Mühe gegeben haben… wobei er bisher noch keinen Bericht über den heutigen Fall gefunden hatte.

Merkwürdig … wie waren die Polizisten von Marokkasu Town nur dazu gekommen, den heutigen Vorfall Jones zuzusprechen, ohne Fragen zu stellen? Natürlich hatte sich der Mörder Noras als diesen ausgegeben und ihnen ziemlich eindeutige Hinweise vorgelegt, doch ein einigermaßen kompetenter Polizeibeamter hätte sofort bemerkt, dass sich die Vorgehensweise der Verbrecher vollkommen unterschied. Von Kohle in jeder Hinsicht zu Mord war schon ein großes Stück und obwohl sich bestimmt so mancher Krimineller im Laufe der Zeit hochschaukelte, so war es doch kaum zu glauben, dass Jones von absolut keinen Opfern zu brutaler Tötung überging, oder? Souta durchforstete stirnrunzelnd einige Akten, die unter seinen suchenden Fingern raschelten, konnte aber nicht umhin zu bemerken, dass er als Einbrecher in die reichen Häuser ihre schlafenden Bewohner durchaus verletzen hätte können, aber jedes Mal davon abgesehen hatte, was wohl Bände sprach. Vielleicht hatte er sie in Ruhe gelassen, weil sie ihn nicht bemerkt hatten und hätte sie ermordet, sobald sie gefährlich für ihn erschienen, aber das erklärte nicht, wieso es sein oberstes Motiv war, sie auszurauben und er Nora plötzlich einfach so erstochen hatte. „Na ja, Seraphim … Er hat meine Waffe benutzt, um sie zu töten. Vielleicht wollte er sie nicht umbringen und sich einfach in meiner Gestalt die Beweise krallen, aber sie ist ihm irgendwie draufgekommen und er hat in Panik gehandelt ...“ Es war nun nicht so, dass er ihn verteidigen wollte oder irgendwelche Ausreden für einen Mord zu finden gedachte, doch wenn er nicht mit einer Waffe aufgetaucht war, hatte er ja unmöglich ahnen können, dass sich etwas in ihrem Zimmer befinden würde, womit er einen Mord begehen konnte, außer er wollte sie mit dem Stuhl erschlagen oder so … Souta leckte sich über die Lippen und behielt die Zunge konzentriert zwischen ihnen eingeklemmt, während er angestrengt darüber nachdachte, was in aller Welt nur in den Beweisen stecken musste, das einen Mord wert war. „Wie es auch ablief, es muss etwas geben, was ihn verrät. Und ich wette, dass er genau das mitgenommen hat. Wir dürfen also nicht darauf achten, was wir haben, sondern, ob etwas fehlt!“ Klang insofern logisch, nur wie genau sollten sie sich einen Beweis aus den Fingern saugen? Vielleicht war es ja doch eine Verbindung zwischen den Opfern oder irgendetwas Anderes Simples wie eine chemische Analyse der Kohle. „Apropos – guck dir diese Akte an und die Menge der Opfer. Das war ziemlich viel Kohle, die er gebraucht hat, um den Typen mit der Rute zu spielen.“ Er zog die Augenbrauen zusammen und ließ die Akten und Berichte liegen, um sich tiefer in die Beweismittelkiste zu beugen und ein paar Papierschnippsel in Plastiktüten hervorzuholen, die wohl einmal Quittungen gewesen waren. Woher bekam man denn ganze Säcke Kohle und wie konnte man es einem Verkäufer glaubhaft machen, dass man diese auch brauchte, ohne Aufsehen zu erregen? „Was muss man denn viel heizen?“, fragte Souta mit schiefgelegtem Kopf und kramte weiter, auf der Suche nach irgendetwas, was sie auf eine etwas heißere Spur führen könnte. „Firmengebäude? Was wenn … Oh! Oh! Seraphim!“ Mit einer Drehung stand er auf und packte den Weißhaarigen bei den Schultern, ehe er ihm ernst in die Augen schaute, die seinigen vor Ideen nur so funkelnd. „Er muss irgendwie an die Pläne der Häuser gekommen sein oder sie sich genau angesehen haben, oder? Vielleicht hat er sie ja beliefert oder geschäftlich mit ihnen zu tun!“

An sich war Souta ja durchaus ein cleverer Bursche, auch wenn er sehr oft einfach darauf verzichtete, nachzudenken. Auch Seraphim war inzwischen der Meinung, dass der Verdacht, Jones könne Nora ermordet haben, ein wenig hastig verfasst worden war und das warf vor allen Dingen kein gutes Licht auf die Polizisten, die sie hatten verhaften wollen. Hätte Nora nicht zuvor verkündet, dass man Maulwürfe in der Polizei befürchtete, hätte der Dragonslayer diesen Verdacht vielleicht gar nicht formuliert, aber was wäre denn nun, wenn die wahren Übeltäter die Männer waren, die sie beinahe mitgenommen hätten? Er war ihnen nicht allzu gram, weil sie immerhin gewartet hatten (im Gegensatz zu manchen weiblichen Kapitänen), aber nichtsdestotrotz traute er ihnen allemal zu, dass sie die junge, aufstrebende Kollegin in ihrer Mitte umgebracht hatten, weil diese so kurz davor gestanden hatte, sie zu enttarnen. Menschen taten solche Dinge und er selbst hätte das sowas von gemacht, dass er das auch allen anderen unterstellte. So oder so, wer auch immer das getan hatte, hatte Soutas Namen dazu verwendet und das ging dem Dragonslayer gegen den Strich. Aktionen gegen das Wohl seines Freundes waren nun einmal nicht von seinem Interesse. Soutas Einwand war in gewisser Weise allerdings auch gerechtfertigt, denn es könnte tatsächlich ein spontaner Akt gewesen sein, Totschlag vielleicht, weil er immerhin nicht seine eigene Waffe mitgenommen hatte. Allerdings würde Seraphim sich doch nicht gegen ein süßes Mädchen mit einem schweren Zweihänder zur Wehr setzen, das machte relativ wenig Sinn. Es wunderte ihn überhaupt, dass sie Noras Leiche bisher nicht gesehen hatten und er setzte das auf die Liste der noch zu erledigenden Dinge, denn bevor er diese nicht sah, war er nicht überzeugt, dass die überhaupt tot war. Er hatte inzwischen die Bringer der schlechten Nachricht im Verdacht, also wäre es doch blöd, jedes Detail zu glauben, das sie ihnen übermittelt hatten. Souta wiederum ging einen anderen Weg. Er dachte darüber nach, wie man Jones wohl identifizieren könnte und wählte als Startpunkt den Haufen Kohle, den er bei seinen Opfern auf dem Schreibtisch zurück zu lassen pflegte. Der Dragonslayer war sich nicht ganz sicher, inwiefern das sie zu einem sinnvollen Ergebnis bringen würde, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es so schwer war, diese Mengen an Kohle zu beschaffen, ohne dass es auffiel, aber einen Versuch war es sicherlich Wert. Ihm selbst fiel allerdings noch eine Möglichkeit ein, wie man vielleicht herausfinden konnte, wer als Täter in Frage kam.
Cyrus blickte Souta in das eine, grüne Auge, das momentan vor Begeisterung ob seines eigenen Gedankenblitzes funkelte und überlegte einen Moment, ob er ihm einen Kuss geben sollte, entschied sich dann aber doch dagegen. "Wir sollten außerdem beachten, dass sein Schema mehr einem typischen "die Reichen bestehlen" gleicht... am Ende gibt er dieses Geld wirklich noch denen, die es nicht so leicht haben. Wir sollten unsere Suche auf Personen ausweiten, die zum Beispiel oft spenden oder ähnliches. Die Frage ist nur, wo wir diese Informationen finden. Außerdem möchte ich nicht vergewissern, ob Nora wirklich tot ist." Leichen wurden aber selten im Polizeipräsidium der Stadt aufbewahrt und Souta sollte vielleicht auch nicht dabei sein. "Das kann ich aber alleine erledigen, wenn du nicht möchtest." Immerhin war zu erwarten, dass der Anblick der Toten ihn wieder fertig machen würde. Solange er sie allerdings nicht gesehen hatte, solange konnte es sein, dass sie einer noch viel größeren Verschwörung auf den Leim gingen. Lebte sie noch, konnte das hier nämlich auch ein Komplott gegen sie beide sein und nicht gegen Jones. Momentan sah es immerhin so aus, als wolle man entweder Jones ein schwereres Verbrechen anhängen oder ein eigenes vertuschen. Würden sie mögliche Motive herausfinden, wüssten sie wohl auch, was der Fall war, aber im Moment war das alles ein wenig unklar.