Ein Klogang, der fünf Minuten dauerte war total okay. Zehn Minuten gingen auch noch, wenngleich man einem da vielleicht schon peinliche Fragen stellen könnte, aber ab zwanzig Minuten kam es wohl zu Problemen, wenn man sich eine plausible Erklärung überlegen wollte, wieso man denn so lange brauchte. Es war nicht Soutas erster Rückzug auf die Toilette und sicherlich auch nicht der Letzte, aber mit Sicherheit einer der eher Peinlichen. Wenn man mit einem Dragonslayer zusammen war, wollte man möglichst nichts produzieren, was man vielleicht riechen könnte, doch nicht einmal, wenn man das Hotel unter Geruchsquarantäne hätte setzen müssen, wäre es dem Rothaarigen unangenehmer gewesen, das Badezimmer zu verlassen. Seinetwegen würde er hier den Rest seines Lebens verbringen, oder zumindest so viel Zeit, bis Seraphim alt und vergesslich war oder sie einfach verschwunden waren. Das grüne Auge richtete sich konzentriert auf das winzige Fenster neben der Dusche, durch das nicht einmal seine schlanke Gestalt passen würde, und er überlegte, ob er sich vielleicht mit dem Rasierer in seinem Kulturbeutel die Gliedmaßen abschneiden könnte, um doch noch hindurchzupassen. Letztendlich würde dieser Plan jedoch versagen, weil man vielleicht das Blut riechen könnte und er kein Gepäck dabeihatte, also blieb er einfach sitzen, nachdem er erledigt hatte, wofür er sich in dieses Zimmer zurückgezogen hatte und hoffte, dass ihn die Kloschüssel vielleicht einsaugen könnte. Als jedoch auch diese Taktik versagte, betrachtete er sich noch einmal im Spiegel, schaute wegen des gequälten Ausdrucks noch gequälter und öffnete dann ganz vorsichtig die Tür, um sich noch viel vorsichtiger vorbeizudrücken. Das allein passte schonmal gar nicht zu ihm und bedeutete meistens, dass er etwas ausgefressen hatte. Für gewöhnlich war ihm in solchen Momenten etwas kaputtgegangen, was ihm nicht gehörte oder er hatte etwas aus Seraphims Kühlschrank gegessen, was dieser sich ziemlich offensichtlich hergerichtet hatte oder hatte sich ein Date mit einer Frau organisiert, wofür er andere Angebote ausschlug… Es gab nichts, was er sich mehr wünschte, als eine solche Banalität, da man ihm immer dann nicht lange böse sein konnte, solange er einfach nur versuchte, herzallerliebst zu sein und die richtigen Knöpfe drückte. Man konnte zum Beispiel etwas auf den Boden fallen lassen und es in Zeitlupe aufheben, oder zufällige Kleidungsstücke abwerfen … Leider würden diese Taktiken hier nichts bringen, zumal er diese eigentlich auch nur dann anwandte, wenn er keine zusätzlichen Beobachter zu befürchten hatte. Die Szene, die sich ihm bot, als er aus dem Badezimmer gekrochen kam, bot ihm Jones, der leger auf dem Bett saß und keine Sorge der Welt zu haben schien – obwohl seine Schwester in Lebensgefahr war, aha – und die blonde Frau namens Natalia, die immernoch etwas eingeschüchtert wirkte. Mit einem entschuldigendem Lächeln, das so falsch war, dass es wahrscheinlich nicht einmal einen Blinden getäuscht hätte, kurvte er durch den Raum. „Am besten, wir bringen euch beide zur Polizeiwache und du erzählst uns dort von deiner Schwester, ja...? Können wir los?“ Manche Probleme musste man einfach ignorieren, oder? Wenn man so tat, als wäre nichts gewesen, würde auch niemand auf die Idee kommen, seine Taten in Frage zu stellen, nicht wahr ...

Souta musste Seraphims Blick wohl aktiv ausweichen, denn es war praktisch unmöglich, dass er das Starren aus violetten Augen nicht sofort auf seiner Haut brennen spürte, als er das Badezimmer verließ. Jede weitere Minute, die er hatte warten müssen, hatte an den Nerven des Dragonslayers gezerrt, weil sie immer mehr auf den Klumpen in seiner Brust geschmiert hatten, erst Scham und Unzulänglichkeitsgefühle, dann Zorn, um beides zu kaschieren. Da saß Sam Jones mit einem entspannten Grinsen auf dem Bett und hatte dafür gesorgt, dass sein Freund gefühlte Stunden im Badezimer verschwinden musste und er war nun genötigt, hier zu stehen und so zu tun, als sei es vollkommen normal und überhaupt keine persönliche Beleidigung. In diesen zwanzig Minuten dachte er mindestens ebenso oft darüber nach, den feixenden Schwarzhaarigen zu erwürgen, erdrosseln oder auf sonst einem Wege in die ewigen Jagdgründe zu verbannen, damit er seinen Blick nicht mehr spüren musste. Natalia war inzwischen nur noch ein Häufchen Elend in der Ecke, denn sie schien die Spannung, die sich im Zimmer aufgebaut hatte, körperlich zu spüren und hatte wohl bemerkt, dass ein falscher Satz Seraphim zum Ausrasten bringen könnte. Es war eben nicht so, als frage sich der Dragonslayer, ob sein Freund vielleicht Verdauungsprobleme hatte, denn das war nicht im Spektrum des Rothaarigen enthalten, es war eher so, dass er genau wusste, was er da tat und das macht ihn sauer. Es gab ihm das Gefühl, ein wenig versagt zu haben, wenn jemand, den der Kettenmagier nicht kannte, so etwas in so kurzer Zeit zustande brachte, aber das wollte er sich natürlich nicht eingestehen. Ein ärgerlicher Seraphim wiederum war eine tickende Zeitbombe, da er seine negativen Gefühle im Allgemeinen schnell auf andere abwälzte, damit er wenigstens aus der Tatsache, dass er ihnen weh tat, ein wenig Zufriedenheit ziehen konnte.
Er dachte also bei Soutas Vorschlag, zu gehen, daran, ihn jetzt auf der Stelle damit zu konfrontieren, was er gerade falsch gemacht hatte, vor den Augen und Ohren der beiden Anwesenden, verkniff es sich aber und hauchte ihm nur beim Verlassen des Zimmers ins Ohr: "Darüber sprechen wir noch." Das reichte, um ihn einigermaßen zufrieden zu stellen, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Souta diesen Satz zu einfach verdrängen würde. Seraphim konnte dem Rothaarigen meist nicht lange böse sein, das war richtig, aber im Allgemeinen handelte es sich dabei auch um Dinge, die sein Ego nicht anfraßen. Das zu schaffen, war nicht unbedingt einfach und wenn es erst einmal geschehen war, musste man eben auch mit den Konsequenzen leben.

Der Weg zur Polizeistation war mit einem Wort beschrieben unangenehm. Seraphim rauchte immer noch vor unterdrücktem Frust, Souta sagte nicht viel, Natalia war ein Schatten ihrer selbst und nur Sam schien das Selbstbewusstsein gepachtet zu haben. Allein dafür würde der Himmels Dragonslayer ihm gerne eine runterhauen. As sie ankamen, schlug ihnen zwar keine Feindseligkeit, dafür aber Irritation entgegen, da man sie früher erwartet hatte, sie aber dafür schon einen Verdächtigen mitbrachten, der ihnen aus irgendeinem Grunde auch noch freiwillig folgte. Das fand Seraphim nicht nur schaden, sondern auch ein wenig seltsam. Klar, er wollte, dass sie seine Schwester retteten, aber er schien doch selbst nicht gerade kampfuntauglich zu sein, da fragte man sich doch, warum er es nicht selbst versuchte. Außerdem hätte er ihm weh tun können, wenn er sich gewehrt hätte und nichts wollte er gerade lieber tun. Am Ende war das alles sein Plan und er wollte bloß zur Polizei geschickt werden oder er wollte die Magier in eine Falle locken und oh, wenn das stimmte... Seraphim würde ihm solche Schmerzen zufügen. Bei dem Gedanken an diese Möglichkeit zeigte sich endlich wieder ein Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes und er trat mit einem Gefühl in den Befragungsraum, das wenigstens nicht mehr komplett von unterdrücktem Ärger stammte.

Souta fühlte sich nicht besonders gut. Nur wenige Augenblicke nach seinem mutigem Verlassen des Badezimmers durchzuckte ihn der heftige Drang, sich wieder auf das Porzellan zu setzen und für den Rest seines Lebens jedem Kontakt mit dem Himmelsmagier zu entgehen. So war er: Wenn sich ein Konflikt anbahnte, dann ging er diesen unangenehmen Erfahrungen aus dem Weg, ganz besonders dann, wenn er das durchdringende Gefühl hatte, dass er im Unrecht war und einen möglichen Streit verlieren würde. Souta wollte sich nicht mit Seraphim bekriegen, aber er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es vielleicht auf etwas Ähnliches hinauslaufen mochte. Für's Erste würde ihnen ihre Quest wahrscheinlich genug Ablenkung liefern, um ein ernstes Gespräch zu vermeiden, und vielleicht konnte er sich ja geschickt zurückziehen, bis der Weißhaarige ihn so sehr vermisste, dass er ihm das verzieh … Allerdings war fraglich, ob das so einfach klappen würde. Die Nackenhaare des Rotschopfes stellten sich auf, so als hätte man ihn einen Stromschlag verpasst oder einen besonders gruseligen Horrorfilm gezeigt, als der Ältere klarstellte, wie wenig er über diesen Fauxpas hinwegsehen würde, doch er reagierte nicht darauf und tat ganz so, als habe er nichts vernommen, was ihn in leichte oder starke Panik versetzen könnte. Manche Dinge konnte man zwar nicht durch Ignorieren wieder loswerden, manche wurden jedoch weniger bedrückend, wenn man erst einmal nicht zu sehr über sie nachdachte und sich am Ende vor lauter schlechtem Gewissen nicht mehr auf ihre Aufgabe konzentrieren konnte. Streng genommen sollte er so eines auch gar nicht haben, denn was ihm anging, gab es in ihrer Beziehung keine Regeln. Er fing nicht an, allen Männern hinterherzusabbern, nur weil dieser spezielle Typ irgendetwas an ihm berührt hatte, das er sich selbst nicht so ganz erklären konnte. Vielleicht hatte er seine Lippen ja mit einem Sexpollen oder einer anderen giftigen Substanz bestrichen, der man nicht widerstehen konnte. Er stand nicht auf Männer, schließlich war er ein echter Kerl, da musste mehr dahinterstecken …! In seine Verschwörungstheorien und Schönreden verstrickt, sprach Souta uncharakteristisch wenig, während sie zur Polizeiwache gingen, was vielleicht sogar besser war. Beinahe hatte der Kettenmagier eine Falle oder eine andere Komplikation erwartet, nach dem, wie ihre Quest bisher gelaufen war, doch nichts Dergleichen geschah. Sie kamen vollkommen unbehelligt an, wurden aufgenommen und waren im Endeffekt ein paar Stunden zu spät am Anfang ihres Auftrages, der zufällig auch das Ende war. Nun gut … Nicht ganz. Sie hatten Jones gefangen, doch dass es sich bei Jones um zwei Personen handelte, stellte den Abschluss ihrer Mission in Frage, zumindest, was Soutas Ehrgefühl anging. Nora erschien ihm zwar unschuldig und lieb, doch auch sie gehörte zu dieser Familie und musste nun gerettet werden. Abgesehen davon hatten diese Bastarde immernoch sein Schwert! Souta ging nicht direkt in den Befragungsraum, den man ihnen zur Vefügung gestellt hatte, sondern blickte sich noch ein wenig in der Wache um, stellte sicher, dass man sich um ihre weibliche Begleitung kümmerte und zögerte im Allgemeinen so lange, wie er brauchte, um sich genug Mumm zusammenzukratzen, alleine mit Seraphim und Jones in einen Raum zu sitzen. Als er schließlich überlegte, dass jede Sekunde, in der diese beiden Männer privat waren wahrscheinlich negativ auf die Lebenserwartung von Sam wirkte, trat er doch ein und schloss die Tür hinter sich. Jones saß sehr zufrieden auf seinem Stuhl, dem gegenüber konnte man Platz nehmen, wenn man so wollte, doch Souta stand lieber und blickte auf den Mann hinab, der ihm emotionale Qualen bereitet hatte. Als hätte er genau gewusst, wo er ansetzen musste …
Der Kettenmagier nickte und verschränkte die Arme, wobei er sich so weit wie möglich von allen Lebewesen in dem kleinem Raum fernhielt.
„In Ordnung … In der Stadt gibt es eine alte Kirche mit einer zerfallenem Gruft. Die Bande hatte zu meiner Zeit dort ihren Hauptsitz, weil sich nur wenige in den uralten Kammern zurechtfinden. Ich weiß nicht, wo sie dort unten ist, doch ich bin mir absolut sicher, dass sie irgendwo da drin versteckt wird...“

Seraphim gefiel Jones‘ Selbstgefälligkeit wirklich überhaupt nicht. Die Tatsache, dass er seinetwegen auf seinen Freund sauer war, schwächte diese Antipathie nicht gerade ab und obgleich er sich gerade höchst friedfertig verhielt und keinen Grund zur Aggressivität bot (sein bescheuertes Lächeln mal abgesehen), durchzog ihn das dringende Verlangen, ihm weh zu tun. Das Problem war, dass diese Örtlichkeit, namentlich die Polizeiwache, gleichzeitig auch einen Schutz für den Schwarzhaarigen darstellte, denn wenn er hier unnötige Gewalt gegen ihn walten ließ, machte er sich selbst strafbar. Für jemanden wie ihn, der sowieso öfter mal an der Grenze zur Legalität kurvte (teilweise im wahrsten Sinne des Wortes), waren das einfach keine idealen Voraussetzungen und wenn er Jones so ansah, würde er fast behaupten, dass dieser das genau geplant hatte. Generell war der junge Mann viel zu selbstsicher, in einem Ausmaß, das seiner Meinung nach nicht mit viel Selbstvertrauen erklärbar war. Sogar er selbst, der normalerweise in sich ruhte, weil er der Welt nicht zutraute, dass sie ihn bezwingen konnte, wäre in solch einer Situation nicht so cool, ganz besonders nicht, wenn ein geliebter Mensch in Gefahr war. Irgendetwas war hier im Busch und obwohl er noch nicht wusste, was, würde er es schon noch herausfinden. Er sah sich um und entdeckte keine Scheiben oder Spiegel, durch die man vielleicht in diesen Raum hineinsehen konnte. Das war von Vorteil, denn so würde maximal der Kettenmagier bezeugen, was er hier tat – den mochte man vielleicht verschrecken können, aber das hatte er auch gerade verdient.
Der weißhaarige Dragonslayer schnappte sich den Stuhl gegenüber von Jones und drehte ihn um, sodass er sich vorne über der Lehne abstützen konnte, setzte sich und blickte in grüne Augen. Es war faszinierend, wie ähnlich sich Soutas und seine Seelenspiegel waren, ohne sich jedoch vollständig zu gleichen. Diese Einschätzung mochte aber auch von seinen höchst unterschiedlichen Gefühlen beiden gegenüber stammen, denn objektiv betrachtet waren sie schon ziemlich identisch. Sam Jones war ohne jede Frage ein durchaus attraktiver Mann, sodass Seraphim Souta unter anderen Umständen wahrscheinlich gar keinen Vorwurf gemacht hätte, aber er war seiner bescheidenen Meinung nach auch nicht hübscher als er selbst. Davon abgesehen war er selbst stärker, bewundernswerter und im Allgemeinen einfach viel toller als ein dahergelaufener Dieb, weswegen sich seine Einschätzung bereits wieder relativierte. Seraphim legte das Kinn auf die auf der Lehne übereinander gestapelten Hände und blickte seinen Kontrahenten mit einem abschätzenden Ausdruck in den violetten Augen an. Er hatte gerade schon gesagt, was er wusste, aber das reichte ihm noch nicht. Das war niemals die volle Wahrheit und mit weniger würde er sich nicht begnügen. „Also. Was wird hier wirklich gespielt, Jones?“, fragte er in einem sanften Ton, der unrealistische Milde versprach, die es sowieso nicht geben würde. Er schien sich Zeit lassen zu wollen, was eigentlich nicht im Sinne des Diebes sein sollte, wenn doch seine Schwester in Gefahr war. Sollte er nichts sagen, hatten sie immer noch Natalia, die sicherlich mit der Sprache rausrücken würde und wenn das nicht half, konnte man auch einfach beide zusammen in diesem Raum lassen und sie dann belauschen. Er hatte es nicht eilig, solange er am Ende erhielt, was er haben wollte – ganz im Gegensatz zu dem Schwarzhaarigen, für den laut eigener Aussage immerhin seine Familie auf dem Spiel stand. Dem Dragonslayer hätte es nicht egaler sein können: Dieser Mann hatte dafür gesorgt, dass er nun sauer auf Souta war und das war eigentlich überhaupt nicht in seinem Sinne, da war es nur gerecht, wenn er ihn nun auch ein wenig leiden ließ. „Was verschweigst du uns?“ Da war garantiert etwas, das er nicht erwähnt hatte, so eine Art Falle oder ähnliches. Eine ganz besonders abgedrehte Theorie in seinem Hinterkopf flüsterte ihm, dass er vielleicht auch ein Gestaltwandler war und mit Nora identisch. Das würde zumindest erklären, warum Souta so auf ihn stand… der Gedanke machte ihn wütend.

Wenn Seraphims Misstrauen berechtigt war und Jones ihnen tatsächlich soetwas wie eine Falle vorenthielt, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er ihnen davon erzählen würde? Souta lehnte sich gegen die Wand des kleinen Raumes und beobachtete seinen Freund dabei, wie er sich vor ihre Zielperson setzte und trotz fehlender Gemeinheit einen sehr bedrohlichen Eindruck machte. Im ersten Moment wollte er sich freuen, dass er nicht in der Haut des Dunkelhaarigen steckte, doch dann fiel ihm ein, dass der Dragonslayer auf keinen der Männer in diesem Raum gerade gut zu sprechen war und verschränkte die Arme noch etwas fester vor der Brust. Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck betrachtete er Seraphim und versuchte sich auf die Lage zu konzentrieren, da das wohl das Einzige war, was er einfach so in Ordnung bringen konnte. So lange sie mit dieser Quest beschäftigt waren, so sicher war er vor einer Konfrontation, der er wirklich am liebsten aus dem Weg gegangen wäre.
Rein logisch betrachtet, machte sich Jones wohl tatsächlich eher verdächtig. Statt zusammengesunken und geplagt, erschien er eher zufrieden und selbstgefällig, was nicht unbedingt die Emotionen waren, die man erwartete, wenn ein Familienangehöriger in Gefahr schwebte. Es gab durchaus Menschen, welche ihre Probleme hinter derartigen Masken verbargen, aber dafür kam ihm dieser Sam irgendwie zu direkt vor, selbst wenn er seinen Lebensunterhalt damit verdiente, unbemerkt bei anderen Leuten einzusteigen. Vielleicht hätte er es auch einfach nur gerne, dass es sich bei dieser Person bis auf milde kriminelle Machenschaften um eine ehrliche Seele handelte, die sich rührend um ein Waisenhaus kümmerte, denn dann könnte er sich dadurch herausreden, dass es der Charakter des Anderen war, der ihn ansprach, nicht sein muskulöser Körper oder die samtigen Haare, die sich dieser in einer recht beiläufigen und dennoch eleganten Bewegung hinter das Ohr strich. Jones lächelte, wobei sich seine Augen eindeutig in Soutas Richtung bewegten, der von dem durchdringendem Blick auf den falschen Fuß erwischt wurde und sich an der Wand noch etwas mehr verspannte. Ja, irgendetwas schien faul an ihm zu sein, doch Souta wusste nicht was und war theoretisch bereit, in eine Falle zu laufen, wenn die Alternative darin bestehen mochte, dass ein unschuldiges Leben in Gefahr war. Nur um dies noch einmal zu betonen: Es gab eine durchaus existente kriminelle Organisation, der sie auf jeden Fall Aufmerksamkeit schenken sollten, während sich Jones bisher nicht als gewalttätig herausgestellt hatte. Die einzigen Dinge, die sich nicht ganz deckten, war seine Unberührbarkeit, der falsche Mord oder die Entführung Noras und die Tatsache, dass man ihn als Täter identifiziert hatte … Wie mochten diese Stränge zusammenlaufen? Vielleicht wären sie auf eine interessante Idee gekommen, wenn sie sich zusammengesetzt hätten, um all das zu besprechen, doch im Moment erschien es Souta absolut unmöglich, sich privat mit Seraphim zu treffen. Es war schon eigenartig, wie Jones es geschafft hatte, spielerisch leicht auf ihren wunden Punkten herumzureiten …
„Wieso sollte ich etwas vor euch verheimlichen? Wenn es mir daran liegen würde, euch loszuwerden, wieso hätte ich euch dann im Hotelzimmer aufgesucht und Nora auf euch angesetzt. Ich wollte herausfinden, wie nahe ihr mir kommt – sonst nichts. Vielleicht bin ich nicht ganz ehrlich, aber ich versichere euch, dass dies zu eurem Schutz ist. Alles, was ich will, ist, dass ihr Nora befreit und so viele von den Mistkerlen abschlachtet, wie ihr könnt. Meine Gründe sind doch vollkommen unerheblich ...“

Sams Gründe waren alles andere als unerheblich, wenn sie ihnen unter Umständen schaden könnten, vor allem, weil sein eigentliches, moralisches Druckmittel bei Seraphim nicht funktionieren würde. Es war ihm egal, wie viele Schwestern des schwarzhaarigen draufgehen würden, weil sie ihn nichts angingen und weil ihr Bruder gerade viel zu wenige Anstalten machte, sie dazu zu bewegen, ihr zu helfen. Einfach zu sagen, dass sie in Gefahr war und man sie retten musste, war bei weitem zu wenig; auch das Ausliefern einer kriminellen Bande, auf die sie nicht angesetzt gewesen waren, lohnte noch nicht. Wenn Souta in Gefahr wäre und Seraphim wüsste, dass seine einzige Chance die Hilfe einer Person war, was würde er darum betteln… aber Sam saß hier vollständig entspannt, so als wäre die Welt vollständig okay. Das konnte nicht stimmen. Zu viel stützte sich auf seine Aussagen und nur auf diese, sodass er ihm vertrauen musste, wenn er diese Quest auf seine vorgeschlagene Art absolvieren wollten – aber der Dragonslayer wollte dem Dieb nun einmal nicht vertrauen. Wenn sie einmal rekapitulierten, was heute bereits geschehen war, dann zeichnete sich nur in einer gewissen Weise ein klares Bild: Die falschen Polizisten hatten versucht, ihnen den Mord an Nora anzuhängen. Die falschen Polizisten und Natalia waren auf gegnerischen Seiten. Sam stand nicht auf der Seite der Polizisten, verstand sich aber offenbar auch nicht mit Natalia, weil diese ihnen etwas hätte erzählen können. Der Schwarzhaarige würde wahrscheinlich nichts sagen, ganz egal, wie sehr er sich anstrengte, aber inwiefern das auch auf die Frau zutraf, war noch nicht sicher. Sie war seht eingeschüchtert gewesen, als Sam wütend geworden war, aber wenn man sie trennte und den Druck auf sie erhöhte, würde es Seraphim nicht wundern, wenn sie einknicken würde. Sie schien mehr über Sam und Nora zu wissen, sonst hätte sie nichts gehabt, was sie verraten könnte… aber zuerst musste er mal mit Souta reden. Hier würde es sicherlich noch ein paar andere einsame Räume geben, die man sich zeitweilig ausborgen konnte. In einen konnte man Natalia stecken, im anderen sich unterhalten, über dieses und jenes, wie zum Beispiel Richtungen und Ausrichtungen. Es brachte wenig, ihre Quest fortzusetzen, wenn er innerlich kochte und Souta fast schon ängstlich an der Wand stand. Offenbar hatte er wenigstens bemerkt, dass er seinen Freund sauer gemacht hatte, was klüger war, denn ansonsten würde er sich dezent verarscht fühlen, noch mehr, als er das ohnehin schon tat. „Nicht du entscheidest, ab wann fehlende Informationen unserem Schutz dienen.“, stellte er nüchtern fest und blickte starr in die grünen Augen, die sich schon wieder verräterisch in Richtung des Kettenmagiers bewegten. Entweder er peitschte ihn absichtlich durch den Wind oder er baggerte ihn ernsthaft weiter an… im zweiten Falle würde er noch Körperteile verlieren. „Und es wäre sicherlich unvorteilhaft für dich, wenn Nora ernsthafte Schäden davontragen würde, oder?“ Die Drohung war nicht einmal subtil, aber dennoch stand er auf und ging zur Tür, wobei er Souta am Arm packte und ihn mit sich zog. Er war sich sicher, dass Sam nichts mehr sagen würde und wenn seine Drohung dennoch Wirkung zeigen sollte, so konnte er ihn ja immer noch zurückrufen, oder? Tat er es nicht, hinterließ es ihn wenigstens mit einem faden Gefühl im Magen.
„Teambesprechung, Schatz.“, hauchte er dem Rothaarigen ins Ohr, als sie den Raum verlassen hatten und sich mit ein paar Polizisten und Natalia wiederfanden. Er bedeutete den Polizisten, den Raum abzuschließen und hier zu warten, ehe er eine weitere Tür öffnete, probeweise hineinsah und den Kettenmagier danach hindurch zog. Mit einem Klacken schloss sie sich und ließ die beiden Männer in durchdringender Stille zurück. Seraphim lehnte sich gegen das Holz, verschränkte die Arme und wippte ein wenig auf den Fußballen herum, ehe er fragte: „Gefällt er dir?“

Auch wenn sie in ihrem Umgang miteinander manchmal geradezu romantisch waren, freute sich Souta gerade nicht sonderlich darüber, dass sein Freund ihn mit einem Kosenamen ansprach. Sie waren nicht die Art von Pärchen, das sich mit peinlichen Tierverniedlichungen verzierte oder plötzliche Vornamenamnesie erlitt, daher griffen sie nur dann auf derartige Anreden zurück, wenn sie einen Witz machen oder spöttisch sein wollten. Da es auszuschließen war, dass Seraphim momentan besonders zum Scherzen aufgelegt war, handelte es sich dabei wohl um Letzteres, zumal es auch einen leicht drohenden Teil beinhaltete, der dem Rothaarigen einen Schauer über den Rücken jagte. Eigentlich wollte der Rotschopf gerade nichts weniger, als dieser Bitte nachzukommen und sich unter drei Augen mit seinem Freund zu unterhalten, doch er hatte im Gefühl, dass ein Nein an dieser Stelle nicht nur unklug wäre, sondern auch vollkommen wirkungslos. Mit gequältem Gesichtsausdruck schaute er zu ihrem Verhöropfer und fragte sich, wieso sie nicht einfach diese Gruft aufräumten, diese Gangmitglieder ausschalteteten und Nora retteten … So hätte er nämlich eine Beschäftigung und sie konnten zwei kriminelle Fliegen mit einer Klappe schlagen. Klang doch nett? Da war es doch gänzlich überflüssig, eine Besprechung abzuhalten, schließlich war ihnen der Ort ihres nächsten Zieles ja schon genannt worden. Vielleicht sollte er wirklich auf diese Tatsache pochen oder einfach verschwinden, während Seraphim ihm den Rücken zudrehte, das wäre doch ein toller Plan, der unmöglich schiefgehen konnte. Während der Weißhaarige gegenüber Jones beteuerte, dass dieser ein persönliches Interesse daran haben sollte, dass Nora nichts geschah, was ja auch stimmte, schien das den Kerl überhaupt nicht zu berühren. Es kam Souta fast vor, als hätten sie es mit einer fetten Katze zu tun, als wäre das mit dem Bruder und der Sorge nur eine Maske gewesen, aber noch war er zu gutmütig und zu befangen im Thema kleine Schwestern, als dass er ihm ernsthaft etwas in diese Richtung vorwerfen könnte. Der Kettenmagier seufzte stattdessen und akzeptierte sein Schicksal, ehe er hinter Seraphim aus dem Raum trat und gerade noch hörte, wie sich Sam zurücklehnte: „Ja … Das wäre ein sehr … persönlicher … Verlust.“

Die Lage in dem kleinem Zimmer, in das sie der Dragonslayer verfrachtet hatte, aktivierte sämtliche Schutz-und Fluchtreflexe des Rotschopfes. Normalerweise war das eher nicht der Fall, denn wenn er zusammen mit der ihm momentan gegenüberstehenden Person isolierte Räumlichkeiten aufsuchte, war das für gewöhnlich eher ein Quell der Freude und der netten Erfahrungen, aber diese Absichten hegte wohl gerade keiner von ihnen. Wäre sein Vergehen weniger ernst gewesen, hätte er vielleicht einfach die Hose runterlassen und sich auf den Tisch setzen können, um Buße zu tun, doch das war eher unpassend, als fühlte er sich etwas verloren und zudem auch noch scharf beobachtet, was vermutlich am durchdringendem Blick der violetten Augen lag. Ob Jones ihm gefiehl … Was für eine weit formulierte Frage, die man glüklicherweise auf alle möglichen Ebenen interpretieren konnte und so gar nicht nach Falle roch … Souta durchschritt den Raum, bis auch sein Körper bemerkte, dass es neben der Tür keine Fluchtmöglichkeit gab und diese versperrt war und sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Seraphim würde ihn nicht verletzen, er würde ihn wahrscheinlich zusammenfalten und ärgerlich werden, aber mit Streits konnte man umgehen, die waren manchmal sogar gesund für eine Beziehung, nicht wahr? Einfach mutig sein und zu seinen Fehlern stehen, was sollte schon passieren … „Der Plan? Ich weiß nicht so recht … Könnte eine Falle sein, aber wenn jemand Unschuldiges in Gefahr ist ...“ Soviel dazu. Aber rein theoretisch konnte man die Frage ja ganz einfach so verstehen, das war überhaupt kein Ding und stieß sicher auf Verständnis von Seraphims Seite, nicht wahr? Wenn er nicht wusste, was er antworten sollte oder die Antwort womöglich verletzend war, dann wich er eben aus … So machte es doch jeder Mensch.

Seraphims Miene verdüsterte sich, als er Soutas Antwort hörte. Sicherlich war es der Theorie nach möglich, seine Frage auf den bisherigen Plan zu beziehen, aber irgendwie glaubte er nicht so recht, dass der Kettenmagier zu blöd war, den eigentlichen Inhalt zumindest zu erahnen. Natürlich ging es ihm um Jones, was denn sonst? Alles drehte sich hier um den schmucken Dieb, der es so einfach geschafft hatte, Souta um den Finger zu wickeln. Der Plan interessierte den eigentlich so auf die Erfüllung ihrer Quests fokussierten Weißhaarigen gerade deutlich weniger als er sollte, alles nur die Schuld ihres Diebes. Vor allem natürlich war es ein Problem, dass er Sam einfach hier lassen könnte und dafür die Belohnung bekommen müsste. Er konnte viel behaupten, dass Nora zu ihm gehörte und sie zusammen der Gesetzesbrecher Jones waren, niemand musste ihm das glauben. Warum sollte die Polizei davon ausgehen müssen, dass er die Wahrheit sagte, wenn sie gegenteiliges behaupteten? Andererseits würden sie wohl bemerken, wenn die Einbruchsserie weiterging, auch wenn man sich zurecht fragen durfte, inwiefern die tollpatschige Nora das Zeug dazu hatte. Sicher wusste man allerdings auch nicht, ob sie diese Eigenschaft nicht nur gemimt hatte… war das alles unnötig kompliziert! „Nein, nicht der Plan. Du weißt genau, dass ich von Sam rede, Souta.“, säuselte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Vielleicht wirkte er ein bisschen trotzig, aber das war immer noch besser, als wenn man ihm seine wahren Emotionen von der Stirn ablesen könnte. Selbst wenn er den Kettenmagier liebte, musste dieser dennoch nicht wissen, wie sehr es ihn verunsicherte, dass es für den Anderen so einfach gewesen war, seinen Freund in Bedrängnis zu bringen. Er bezweifelte, dass er so gut darin gewesen wäre, ihn in dieser geringen Zeit so weit zu zwingen, das Badezimmer eine halbe Stunde lang zu belagern und das fraß mehr an seinem Ego, als er einzugestehen bereit wäre. „Was ist es, was du an ihm magst? Mehr seine Augen? Seine muskulöse Figur? Die Tatsache, dass er dein Gegner ist? Vielleicht seine Schwester?“ Er seufzte und blickte zur Seite, ein wenig resigniert aussehend. „Ich hatte nie Geschwister, aber ich wage zu behaupten, dass der Kerl dich in dieser Hinsicht verarscht. Er wirkt nicht so, als würde ihn Noras Schicksal wirklich interessieren.“ Wenn man bedachte, wie sehr der Kettenmager zusammen gebrochen war, als er von seiner eigenen, toten Schwester erzählt hatte, passte Sams Reaktion vorne und hinten nicht. Seraphim hatte außer Souta und vielleicht Naomi niemanden, der ihm genug bedeutete, um sich bei seiner Entführung Sorgen zu machen, aber das würde er dann auch tun, es nicht so einfach abfertigen wie der Einbrecher. Für ihn wäre das wirklich ein persönlicher, ein schrecklicher Verlust und schon ihm warf man Gefühlslosigkeit vor. Was war dann bitte Jones, ein Stein?

Dieser Raum kam Souta viel zu klein vor, zu eng und geradezu erdrückend. Es erschien dem Kettenmagier beinahe so, als würden sich die Wände nach dem bekannten Klischee auf ihn zubewegen und ihn unter ihrem Gewicht zermürben, während er durch das Zimmer schritt wie ein Raubtier im Käfig. Hin und wieder warf er einen verstohlenen Blick auf seinen Wärter, der die Tür blockierte und spielte im Kopf ab, wie er ihm entkommen konnte, ohne sich mit diesem heiklen Thema auseinandersetzen zu müssen. Schließlich dämmerte ihm, dass er Seraphim schon zur Seite stoßen musste, um die Tür zu öffnen, was er allerdings nicht tun wollte. Es wäre doch eine ziemlich verkorkste Ironie, wenn er sich nicht aussprechen wollte, weil er dem Älteren nicht wehtun wollte und der einzige Ausweg wäre, ihn möglicherweise zu verletzen, oder? Souta sprach nicht gerne über unangenehme Angelegenheiten, zumindest nicht über emotionale Probleme, und dazu hatte sich ihre Situation entwickelt. Umso schwerer fiel es ihm, soetwas vor einer Person anzusprechen, die ihm sehr viel bedeutete und die ihn lesen konnte. Jeden Anderen hätte er wahrscheinlich irgendwie täuschen können, wenn er es darauf angelegt hätte, sich ein Lügenmärchen ausdenken und sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, aber dieses Weißhaar konnte er nicht an der Nase herumführen, weil es ihn kannte und wusste, wie er mit seinen Problemen umging. Der Rotschopf hatte die Angewohnheit, die schlimmen Dinge herunterzuspielen, um selbst leichter damit klarzukommen, deshalb durfte er hier nun keine Diskussion über seine diffuse Ausrichtung lostreten, denn das mochte Wellen schlagen, in denen er nicht zu schwimmen gedachte. Andererseits war es ziemlich offensichtlich, dass Seraphim eine Antwort erwartete, also musste er sich schnell entscheiden, wie diese ausfallen sollte. Souta verschränkte die Arme, wie um sich von der düsteren Miene des Anderen zu schützen, und blickte ihn dann mit einer Mischung aus Belustigung und Irritation an, in der Hoffnung, dass der erste Teil davon nicht ganz so künstlich wirkte, wie er war. „Keine Ahnung. Vielleicht finde ich ihn einfach heiß. Ist das hier ein Verhör? Unsere richtigen Zeugen sitzen in einem anderen Raum … Und selbst wenn ich Sam für attraktiv halte ...“ Er runzelte beim letzten Wort die Stirn, als wäre er von sich selbst angewidert, „Aber hab ich ihm meine Liebe gestanden? Ihm gesagt, dass ich den Rest meines kostbaren Lebens mit ihm verbringen will? Nein. Ich weiß nicht, worüber du dich aufregst, denkst du etwa nur an mich, wenn wir … Egal. Du bist mein Leben, er ist irgendwie interessant. Capiche? Und es ist mir total egal, ob er uns anlügt oder nicht. Sofern die Chance besteht, dass Nora da drin hockt und gefoltert oder misshandelt wird, werde ich diese Stadt nicht verlassen, so einfach ist das.“ Das klang vielleicht etwas kitschiger, als er das beabsichtigt hatte, aber nun hatte er es schon gesagt und konnte genausogut aussehen, als habe er es auch gemeint.Was waren ihre kleinen Probleme denn schon gegen die Wichtigkeit ihrer Quest? „Wenn sie wirklich seine Schwester ist, muss irgendjemand auf sie aufpassen.“ Souta unterbrach den Blickkontakt, um seine Füße zu betrachten, weil er keine richtigen Argumente für seine Überzeugung hatte. Gerne wäre er aufgestampft und hätte EINFACH WEIL gebrüllt, aber das würde ihn nicht nur dumm, sondern auch kindisch erscheinen lassen. Er wollte hier seriös an diese Sache herangehen, aber er war verwirrt .. Wegen seiner Reaktion auf Sam, dem Verlust seiner Waffe und der Tatsache, dass er nicht wusste, warum sich Seraphim so aufregte, wo sie doch eine offene Beziehung führten und er kein schlechtes Gewissen haben sollte. Zu allem Anderen kam eben noch die Tatsache, dass Nora vielleicht gefangen war und irgendjemand sie retten musste, selbst wenn Jones einfach nur wollte, dass sie die Gang für ihn ausschalteten und sich kein bisschen um seine ominöse kleine Schwester scherte. Kleinen Schwestern durfte nichts passieren … Einfach weil.

Ach nein, der Theorie nach durfte Seraphim gar nichts gegen Soutas Spielereien haben und effektiv war es auch nicht das, was ihn so mitnahm. Der Kettenmagier durfte aber trotz aller Offenheit nicht alles tun, worauf er vielleicht gerade Lust hatte, grob beschrieben also alles, was er Seraphim nicht geben konnte. Dazu gehörte eben auch, sich von einer männlichen Person so einfach wuschig machen zu lassen, denn das war etwas, das der Dragonslayer seit längerem relativ vergeblich versuchte. Ab und zu kamen Launen über den Kettenmagier, in denen das vergleichsweise einfach war, aber diese waren selten gesät und reichten bei weitem nicht, um ihn zufrieden zu stellen. Dass Sam das so schnell geschafft hatte, war einfach nur unfair, wenn man ihn fragte. Er kümmerte sich immerhin nicht um Souta, er bekochte ihn nicht oder ertrug seine divenhaften Launen, es gab also wirklich gar keinen Grund, warum er so auf ihn reagieren sollte! Es war nicht gerecht, wenn er sich jedes Mal vorhalten musste, dass er im Grunde genommen gar nicht dem Interesse seines eigenen Freundes entsprach und dieser blöde Typ einfach ankam und diese Tatsache einfach so aushebelte! Der Dragonslayer drückte die Arme ein wenig fester vor die Brust, wie um die Zweifel, die in ihm aufstiegen, zu erdrücken, blickte angestrengt nicht zu Souta und räusperte sich. „Ich dachte immer, dass dein Interesse an deinem eigenen Geschlecht eher marginal wäre.“ Das war eine sehr neutrale Aussage und sicherlich immer noch besser, wenn er hier nun einen Nervenzusammenbruch erleiden würde, aber die Essenz blieb dieselbe – nämlich die Frage, ob sich das in der letzten Zeit geändert hatte. Würde der Kettenmagier diese Frage positiv beantworten, würde Seraphim ihm sicherlich alles sofort verzeihen, immerhin wäre das die frohste Botschaft, die er seit längerer Zeit vernommen hatte. Sein Leben wäre perfekt, wenn Souta seinen Horizont mal endlich erweitern würde, das musste man sich immer vorhalten… aber das war selbstverständlich nicht die Antwort, die er erwartete. Der Kettenmagier hatte sich schon immer gescheut, so etwas zuzugeben, also würde er jetzt wohl kaum erklären, dass er sich geändert hatte. Nein, eine konkrete Antwort würde umgangen werden und Seraphim könnte es ihm wahrscheinlich nicht einmal verdenken, da er selbst ungerne auf solche festnagelnden Fragen wahre Antworten gab. Im Gegensatz zu ihm hatte Souta allerdings etwas gegen offensichtliche Lügen, blieb nur die Frage, ob diese Abneigung auch auf ihn selbst anwendbar war oder ob das als Notlüge zählte. „Und nur weil vielleicht eine kleine Schwester involviert ist, musst du nicht gleich deinen Verstand über Bord werfen. Wenn du in Mitleidenschaft gezogen wirst, weil du dich übermäßig heldenhaft benimmst, wird Nora das auch nicht unbeschadet überstehen, das garantiere ich dir.“ Was auf den ersten Blick eine dreiste Drohung gewesen war, beinhaltete auf den zweiten Blick auch das unterschwellige Einverständnis, sich nun in die Höhle des Löwens zu begeben, nur weil ein daher gelaufener Dieb das forderte. Der Kettenmagier sollte nun nur zusätzlich wissen, dass er sich besser nicht aufopferte, da er sonst nichts erreichen würde – zumindest, solange er dem Dragonslayer zutraute, seine Worte auch wirklich in die Tat umzusetzen. Immerhin bedeutete das, einem wehrlosen Opfer zu schaden, nur weil dessen Retter ernsthaft verletzt worden war… und wer würde schon so etwas tun?!