Es war eine wunderbare Sache, mit Madeleine auf Quest zu gehen. Zumindest, wenn man das als selbstbestimmtes, denkendes Wesen tat, welches das Denken auch gerne für zwei Personen übernehmen konnte, weil das ja bekanntlich nicht so ihre Sache war. Dafür konnte man als Teamleiter sozusagen im Ausgleich davon ausgehen, einen Mitstreiter zu haben, der sich nicht beschwerte und auch keine nervigen Gegenvorschläge brachte, der nicht zögerte und nur sehr selten Befehle hinterfragte, so selten sogar, dass man von nahezu null Prozent reden konnte. Allerdings bekam man dafür leider auch keinen intelligenten Gesprächspartner oder jemanden, der einem auf interessante Weise Paroli bieten konnte, nicht einmal einen Kameraden wenn man Pech hatte, weil Madeleine gar nicht verstand, was Freundschaft eigentlich bedeutete. Jedenfalls wäre es ihr natürlich niemals eingefallen, eine Einladung oder einen Befehl zu missachten, ebenso wenig wie zu spät zu einem Treffpunkt zu erscheinen. Allerdings kam sie auch keine Sekunde zu früh, denn in genau dem Moment, in dem der Zeiger umsprang, schlenderte das kleine Mädchen um die Ecke, an welcher sich ein Blumenladen befand, den man ihr bei Nachfrage beschrieben hatte. Madeleine kannte sich nicht mit Blumen aus und fand auch wenig an ihnen und da sie zudem nicht unbedingt lange in der Stadt wohnte, hatte sie sich den Weg erklären lassen müssen. Der Akt, der dies dargestellt hatte, war wahrscheinlich verständlich, wenn man bedachte, dass Madeleine im Allgemeinen nicht von sich alleine handelte, sondern für alles Anweisungen brauchte. In ihrem Fall war die Stimme im Kopf daher eher von Vorteil, einfach weil sie ohne Olphard sicherlich eingehen würde, der sie nach einer Viertelstunde endlich darauf gestoßen hatte, was sie tun musste, damit die nette Dame ihr den Gefallen tat: Einfach fragen.
Der rüschenbesetzte Saum ihres dunkelvioletten Kleides wischte in einer gleichförmigen Bewegung fast über den Boden, als sie mit regelmäßigem Schritt und seltsam unfokussiertem Blick auf das blauhaarige Mädchen zuging, welches dort offensichtlich wartete. Das musste die Verfasserin dieses Briefes sein, den sie erhalten hatte, da war sie sich aus irgendeinem Grund sehr sicher. Sie selbst schrieb es in diesem Moment einer spontanen Eingebung zu, Verfechterinnen der weiblichen Überlegenheit hätten es als weibliche Intuition betitelt und streng logisch betrachtet war Kohana die einzige Person in Sichtweite, welche augenscheinlich wartete. Madeleine trat bis auf eineinhalb Meter an sie heran und neigte sich danach zur Seite, um einen Block aus ihrer Umhängetasche zu ziehen, auf den sie schrieb: Guten Tag, werte Teamleiterin. Mein Name ist Madeleine. Ihr fiel spontan nichts Besseres ein, womit sie sich hätte vorstellen können und sie tat es auch nur, weil ihr Brief so klang, als sei es ihre Pflicht, vorstellig zu werden. Mehr konnte man aber auch wirklich nicht von ihr verlangen, denn egal, wie man es drehte und wendete, es war schon eine Wahnsinnstransferleistung von ihr, dass sie überhaupt so einen großen Schritt wagte. *Na, aber schlecht war das doch nicht.*, hörte sie eine bekannte Stimme in ihrem Kopf sagen, die sie leicht zum Lächeln brachte. Es war immer wieder interessant, wie gerade Olphard immer wieder versuchte, sie zu aktiverem Verhalten zu bringen, obwohl sie es ihm zuliebe doch abgeschafft hatten. Oh, darüber sollte sie besser nicht nachdenken, das wurde gerade paradox und Paradoxien waren nicht gut für ihren Kopf. Wenn sie nämlich zu lange und intensiv über ein Thema nachgrübelte, bekam sie immer Kopfschmerzen, was wohl ein Zeichen dafür war, dass sie ihr Gehirn einfach nicht lange und nicht intensiv genug benutzte.

Konnte jemand mehr ihren Tag versüßen, als dieses kleine, zierliche Mädchen, welches sich gerade in ihre Richtung begab? Naja, zugegebenermaßen konnte das jemand, aber der würde hier nicht auftauchen. Umso besser war es, dass das Mädchen, in das sie ihre Hoffnungen gesetzt hatte, tatsächlich gerade auf sie zuging. Sie hatte recht blasse Haut, wenn auch nicht ganz so sehr wie Kohana selbst. Dafür war sie jedoch noch ein ganzes Stück kleiner und wirkte noch kindlich und zerbrechlich. Wenn Kohana sie so betrachtete, überlegte sie wie alt das Mädchen wohl war… Aber sie war sicher lang nicht so alt, wie es die Dragonslayerin war. Umso besser! Jüngere Menschen kauften ihr ihre Show meist besser ab und steckten mehr Vertrauen in sie. Dann waren sie leichter zu beeinflussen und Kohana hatte leichtes Spiel. Freude strahlend blickte sie das Mädchen vor sich an. Doch diese sagte nichts. Stattdessen drehte sie sich etwas zur Seite und fasste in ihre Tasche. Wollte sie Kohana etwa angreifen? Kurz überlegte sie, ob sie das Mädchen außer Gefecht setzen sollte, als jedoch deutlich wurde, dass sie nur einen Block und einen Stift aus der Tasche zog. Leise seufzte Kohana, ein Seufzen der Erleichterung und lächelte das Mädchen wieder an. Ihr Name war also Madeleine und offensichtlich konnte sie nicht sprechen. Naja, da war ja nichts dabei. Vielleicht war das etwas hinderlich, aber so konnte man Kohana auch nicht ins Wort fallen, nicht wahr? Die Ansprache war sehr höflich, sodass die blauhaarige Magierin fast wieder Höhenflüge bekam. Aber das verkniff sie sich lieber… Immerhin musste dieses kleine Ding hier irgendwas auf dem Kasten haben, sonst hätte man ihr nicht zu ihr geraten, als es um diese Quest ging… Doch wie würde Kohana ihr gegenüber treten? Welche Maske war wohl passend für so ein kleines, zerbrechliches Ding? Sicherlich war sie empfindlich… Also doch wieder süß und herzlich!
„Hey Madeleine! Ich bin Kohana, freut mich dich kennenzulernen. Du musst nicht so förmlich sein, wir sind schließlich Kollegen!“, erklärte sie freudestrahlend und reichte dem Mädchen ihre kalte, blasse Hand. „Ich hoffe du hast dich leicht hergefunden und nicht verirrt. Bist du denn gut vorbereitet für unsere Quest? Das wird sicher nicht leicht, aber wir schaffen das schon, nicht wahr?“ Ein ganzer Redeschwall würde das Mädchen nun überkommen und selbst wenn sie sprechen könnte, hätte sie es wohl kaum geschafft den Fluss der übereifrigen Eismagierin zu unterbrechen. Diese gab sich jedoch sehr herzlich und freundlich. Tatsächlich interessierte sie Madeleine nicht wirklich. Sie war sich sicher, dass man ihre Fähigkeiten für eine schwierige Aufgabe gut gebrauchen konnte, aber der Mensch dahinter war ihr egal, so lang sie diese nutzen könnte. Dabei hätte es viel leichter sein können, hätte sie gewusst, dass dieses Mädchen so leichtgläubig und untergeben war… Ob sie sich wohl von Kohana herumkommandieren ließe? Nur wenn diese Stimme in ihrem Kopf nichts anderes behauptete… Doch von all dem wusste Kohana nichts… Sie versuchte erst einmal eine möglichst positive Basis zu schaffen, um das Mädchen langsam, aber stetig in ihren Bann zu ziehen, damit sie das Kind gut beeinflussen konnte… Aber sie war ja auch Teamleiterin… Auf wessen Wort sonst sollte man auch hören? Das würde ein interessantes Spiel für die Dragonslayerin werden…

Natürlich nahm Madeleine Kohana ihr Spielchen ab, hatte jemand irgendwann das Gegenteil erwartet? Das kleine Mädchen würde niemals auf die Idee kommen, dass sich jemand anders gab, als er eigentlich war, weil sie das ja auch nicht tat und nicht wüsste, dass es jemand in ihrem Bekanntenkreis jemals getan hatte. Das war eine traurige Fehleinschätzung, aber nichts, was sie besser gewusst haben könnte. Die Wahrheit war, dass mindestens der Hohepriester ihres Ordens ganz und gar nicht immer die Wahrheit sagte und seine Weste sicherlich nicht halb so säuberlich war, wie er behauptete. Nichts davon wusste Madeleine, die Kohana spontan als freundlich abhandelte. Es wäre ber auch falsch zu behaupten, dass sie das blauhaarige Mädchen mochte, weil das bei ihr immer etwas länger brauchte. Sie wusste jedoch genau, dass das, was sie sagte, eindeutig sehr nett und aufgeschlossen war, auch wenn sie nicht recht schlau aus ihren Anweisungen wurde. Sie sollte nicht so förmlich sein? Was genau meinte sie nur damit? An dieser Stelle wäre vielleicht zu erwähnen, dass Madeleine sich nicht bewusst war, irgendwann in ihrem Leben förmlich gewesen zu sein. Sie hatte von Anfang ihrer Kindheit an gelernt, wie man sich auszudrücken hatte und genau so war es eben gewesen... die Angehörigen ihres Ordens waren ihre Sprache betreffend ein wenig rückständig, wenn man das so sagen durfte. Im Grunde genommen passte ihre Art der Kommunikation ziemlich gut zu dem Verfallsdatum ihrer Kleidung. Noch einige Zeit später würden ihre Gedanken um den Hinweis mit der Form ihrer Sprache kreisen, aber für's Erste standen wichtigere Dinge an, so zum Beispiel die Frage, ob sie gut vorbereitet war. Das war schwer zu sagen, was allein schon ein Grund dafür war, dass sie daran ein wenig verzweifelte. Anders als viele andere Magier hielt Madeleine es nämlich ein wenig anders mit ihrer Magie oder auch nur ihren Aufträgen. Sie wusste, dass besonders ehrgeizige odrer einfach interessierte Kollegen anders daran gingen, übten, ganze Trainingssessions einlegten, nur damit sie am Ball blieben und nichts verlernten, aber sie war da ein wenig anders. Sie lernte dann und wann einen neuen Zauber, aber wirklich üben tat sie diese nicht, weil sie dafür auch gar nicht die richtigen Magien besaß. Andere konnten solange Feuerbälle gegen die Wand schießen, bis sie das im Schlaf konnten, doch Madeleines Zauber waren entweder immer gleich - Stichwort Masken - oder sie bezogen sich stets auf ein Subjekt, dass es zu verstärken galt. Dumm nur, dass es dieses in ihrer Umgebung eigentlich nicht gab, wenn man die vereinzelten Fliegen mal außer Acht ließ. Insofern war sie nicht vorbereitet, aber sie beherrschte alle ihre Zauber gut, was dann wieder dafür sprach, dass sie der Mission gewachsen war und... Himmel, war das kompliziert. Außerdem fragte sie sich, wie Kohana denn wissen wollte, dass sie diese Quest absolvieren würden, wenn sie es noch gar nicht versucht hatten! Vielleicht war das süße Mädchen mit den langen Zöpfen ja eine Hellseherin! Ich glaube schon., schrieb sie schließlich mit leicht zögerlicher Hand und hielt es Kohana hin, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.

Wäre das Leben nicht so viel einfacher gewesen, wenn Kohana einfach gewusst hatte, was sie da für ein Mädchen vor sich hatte? Dann müsste sie diese ganze Show nicht abziehen, denn Madeleine etwas vorzumachen, war sicher nicht allzu schwer. Kohana hatte kein Problem damit zu lügen, aber es war doch etwas einfacher, wenn man sich nicht stets und ständig darum bemühen musste, dass jemand einen akzeptierte, damit man dies ausnutzen konnte. Manchmal wäre es schon schön, wenn man sich das Leben genau so einfach machen könnte, wie man eben war. Allerdings wusste die Eis Dragonslayerin, dass dies so nicht funktionieren würde. Sie war nicht die Art Mensch, welche andere Menschen liebten. Das war sie nur, wenn sie sich so zuckersüß und niedlich darstellte. Aber Kohana war auch pfiffig. Früher oder später würde sie schon begreifen, dass Madeleine ziemlich weltfremd und gutgläubig war. Dieser Moment war etwas, was Kohana sich herbeisehnte… Menschen waren dann so leicht zu manipulieren…
Doch nun sollte ihre Reise erst einmal beginnen. Sie hatten keine leichte Aufgabe und da sollte man die wertvolle Zeit nicht verschwenden. Ehrlich gesagt, war Kohana nicht ganz so optimistisch, wie sie es vor ihrer Begleiterin darstellte. Sie würden es mit einem gegnerischen Magier zu tun haben und die waren immer sehr gefährlich. Erstens konnte man nicht einschätzen mit was für einem Kerl man es zu tun hatte… Ein Magier, der sich gegen seine eigene Gilde richtete und das Weite suchte, war immer eine gewisse Gefahr. Man konnte nicht einschätzen aus welchem Grund und mit welchen Motiven er dies tat, doch dass seine Gilde ihn zurückorderte, sagte schon viel darüber aus, dass der Typ etwas ausgefressen haben könnte. Allerdings war dies auch die Art Aufgabe, für die es sich lohnte sich anzustrengen. Kohana interessierten die Schicksale der Menschen herzlich wenig, da es ihr nur darum ging ihren Auftrag zu erfüllen, um ihre eigenen Wünsche zu verwirklichen. Was mit den anderen Menschen war, war Kohana wirklich absolut egal, denn deren Schicksal hatte für sie nur sehr wenig Wert…
Mit einem freundlichen Lächeln reagierte die Magierin auf die Aussage ihrer Begleiterin, welche ihr etwas zögerlich verdeutlichte, dass sie recht unsicher war. Woran das lag, konnte Kohana natürlich nicht ahnen, aber sie tippte wirklich einfach darauf, dass ihr das Ganze nicht geheuer war. Dies wäre auch verständlich. Schließlich war sie ein recht kleines, zartes Ding und hatte vermutlich genauso wenig wie Kohana mal etwas mit einer fremden Gilde und einem abtrünnigen Magier zu tun gehabt. Nichtsdestotrotz schätzte Kohana ihre Begleiterin noch lang nicht als schwach ein, weil sie so still und unbeholfen wirkte. Irgendeinen Grund musste es haben, dass man ihr nahe gelegt hatte dieses Mädchen als ihre Begleitung auszuwählen. Und gerade deshalb nahm sie diese unsichere Reaktion des Mädchens mit einem Lächeln auf. Dass sie jedoch keine Zeit verlieren wollte, zeigte sie recht deutlich, als sie begann sich in Bewegung zu setzen. Nicht jede Gilde war hier um die Ecke… Sie hatten einen weiten Weg vor sich…

Es war schon ziemlich unmoralisch, seine eigene Gilde einfach so im Stich zu lassen und wegzurennen, das war ohne Frage wahr. Das unterhaltsame daran war allerdings, dass Madeleine genauso weit entfernt von einem solchen Akt war, wie sie nah dran war. Das Mädchen war im Grunde ihres Wesens nämlich eine Art schwere, große Steinkugel, welche, solange man ihr keinen Anstoß gab, träge an einem Platz verweilte. War dieser Anfangsimpuls in eine bestimmte Richtung allerdings erst einmal gegeben, so konnte sie selbst nichts mehr an ihrer Bahn ändern, wenn es keine kräftige äußere Kraft gab, die ihr Einhalt gebot. Sicherlich war es traurig, so wenig Kontrolle über sich selbst zu haben, aber dennoch musste man ihr wohl zugute halten, dass Amokläufer zwar unkontrolliert, aber nicht träge waren. Würde man ihr allerdings ein Sturmgewehr in die Hand drücken und ihr den Befehl geben, alles in Sichtweite zu erschießen... na ja, vielleicht sollte man dann auf Intervention ihres Manns im Ohr hoffen. Olphard war zwar nur selten anwesend, aber wenn er es war, so gehorchte sie eher der Stimme der Vernunft, als irgendwelchen aus der Luft gegriffenen Befehlen. War er gerade nicht aktiv, war sie so einfach zu manipulieren, dass man gar nicht so begnadet darin sein musste wie Kohana - es reichte vollkommen, wenn man einfache Anweisungen zu geben in der Lage war. Dafür brauchte es wahrhaftig nicht viel Grips, sodass die einzige Person, die das wahrscheinlich nicht konnte, Madeleine selbst war. Madeleine und Adelicia, welche genau wie sie aufgezogen worden war. Konnte man sich die Interaktion beider Mädchen in einem geschlossenen Raum vorstellen? Sie ähnelte in etwa einem Stillleben mit Personen darin, welche den Gegenständen in puncto Stille echte Konkurrenz machten. Eine Talkshow, die man die Kleine moderieren ließ, war sicherlich auch der Brüller, zumindest, wenn man auf Grillenzirpen stand.
Madeleine war noch nicht so oft gereist oder hatte gar lange Strecken überbrückt. Sicherlich stammte sie aus der Nähe von Oak Town, doch eine Zugreise von A nach B ohne Zwischenstopp und ohne großartige Musterung der Umgebung war wohl kaum als Erfahrung zu betrachten. Tatsächlich gehörte sie zu denjenigen, die eine Zugfahrt verbringen konnten, ohne auch nur einmal aus dem Fenster zu gucken. Wahrscheinlich könnte ein Drache an ihr vorbei fliegen und sie wäre in der Lage, ihn zu ignorieren. Obgleich das eine geradezu meditative Form der Konzentration voraussetzte, war es doch eher als eine ihrer vielen Schwächen einzuordnen. Allerdings hatte es auch den Vorteil, dass sie niemals fragen würde, wann sie denn endlich da waren. In einen Zug würden sie wohl einsteigen, weil ihre Schritte sie immer näher in Richtung Bahnhof trugen, aber mehr über den Inhalt ihrer Quest wusste Madeleine noch nicht. Auch danach würde sie nicht fragen, nicht, weil es sie nicht interessierte, sondern, weil man sie gelehrt hatte, nicht neugierig zu sein. Wenn der richtige Moment dafür gekommen war, würde man es ihr schon mitteilen und wenn nicht, dann hatte sie das als ihr Schicksal zu akzeptieren. Treuherzig tapste sie also Kohana hinterher und wartete darauf, dass diese das Wort ergreifen würde.

Was für eine ungewöhnliche Stille… Nachdenklich lief die selbstsichere Kohana Schritt für Schritt über die Pflastersteine. Worüber sie sich solche Gedanken machte? Diese tatsächlich etwas merkwürdige Ruhe beschäftigte sie. Dieses kleine, zierliche Mädchen hatte bisher kaum gesprochen. Naja, um genau zu sein, hatte sie gar nicht wirklich die Lautsprache als Kommunikationsmittel benutzt. Tatsächlich hatte Madeleine sich über ein Stück Papier mitgeteilt und auch das sehr kurz und knapp. Sie hatte sich vorgestellt, war höflich gewesen und Kohana auf eine Frage hin zugestimmt. Aber… Ihre Masche hatte nicht funktioniert. Was das Mädchen möglicherweise immun dagegen? Man konnte aber auch nicht erkennen, dass sie genervt davon war. Dieses Mädchen war absolut nicht einzuschätzen! Kohana wusste einfach nicht wie man sich ihr gegenüber verhalten musste und genau das verwirrte sie gerade ziemlich. Aber nicht nur das… Madeleine folgte Kohana einfach wortlos ohne sich irgendwelche Gedanken darüber zu machen was sie wohl vor sich hatten. Das heißt, soweit Kohana es tatsächlich einschätzen konnte. Es war so kompliziert! Dieses Mädchen erschien undurchschaubar. Sie fragte nicht nach ihrer Quest, nicht nach Kohanas Magie, nicht wohin sie gingen… Die Dragonslayerin hätte sie auch direkt in die Hölle führen können, was, wenn man ihr Temperament betrachtete, gar nicht mal so unwahrscheinlich war, und dieses Mädchen fragte nicht einmal danach!
Kurz vor dem Bahnhof ging der Eismagierin dann ein Licht auf. Was wenn es gar keinen spezifischen Grund dafür gab, dass Madeleine sich für nichts interessierte? Wäre es nicht möglich, dass sie einfach blind auf Kohana vertraute? Stellte sie deshalb absolut keine Fragen und sagte keinen Ton? Möglicherweise war sie ja eingeschüchtert von der Großartigkeit der Dragonslayerin! Und das ohne von ihrem einzigartigen Talent zu wissen. Nun… Wer konnte ihr das schon verübeln? Die Eismagierin strahlte ihre Genialität sicher aus. Nur wie sollte sie nun damit umgehen? Bevor sie sich auf das absolute Vertrauen der anderen jungen Dame verlassen würde, hatte sie eine Art Test geplant. Genau das bot sich nämlich an, als sie gerade die ersten Schritte in den Bahnhof setzten und sich in einer großen Halle wiederfanden. „Ahhh, ich verirre mich hier jedes Mal!“, sagte sie seufzend und blickte sich augenscheinlich orientierungslos in der Halle um. „Wo waren sie noch mal…“, murmelte sie leise und setzte dann ein strahlendes Lächeln auf, als sie das offensichtliche Objekt ihrer Begierde entdeckt hatte. Mit ausgestrecktem Arm lief sie auf einen Fahrscheinautomaten zu, drückte einige Knöpfe und nur Sekunden später stand vor den Nasen der Magier ein Preis, den sie für ihre Tickets zu zahlen hatten. „Dann wollen wir mal…“ Kaum hatte sie das gesagt, schon wühlte sie in ihrer Tasche herum und machte schlagartig ein schockiertes Gesicht. „Oh nein!“, platzte sie heraus und wiederholte dies einige Male, während sie umso panischer in ihrer Tasche herumwühlte. „I-Ich habe das Geld vergessen…“ Ein deprimierter Gesichtsausdruck machte sich bei ihr breit. Dann keimte jedoch ein Hoffnungsschimmer auf, als sie sich an Madelein wandte. „Sag, hast du vielleicht Geld, das du mir dafür leihen kannst? Ich habe meins offensichtlich vergessen…“ Und… würde sie das mit sich machen lassen?

Es war ja nicht so, als würde Kohanas Magie Madeleine überhaupt nicht interessieren. Sicherlich würde sie die Tatsache, dass sie eine Dragonslayerin war, irgendwie cool finden, wenn sie dazu überhaupt in der Lage war, aber sie würde niemals von selbst fragen. Das tat sie einfach nicht und selbst wenn der Wunsch nach diesem Wissen sie innerlich verbrennen würde, sie würde nicht fragen... das machte Reisen mit ihr auch immer so extrem unspannend, denn sie konnte wirklich stundenlang in einem Zug sitzen und nichts machen. Hinter Kohana war sie ja auch wortlos hergetrottet, bis sie schließlich beim Bahnhof angekommen waren. Dort stellte sich heraus, dass sie wohl nicht so einfach würden abfahren können, denn offenbar hatte die junge Dame entweder ihre Fahrkarten verloren oder noch keine gekauft und nun kein Geld dabei. Anfangs hatte Madeleine das Konzept von Geld ja gar nicht verstanden. In ihrem Kloster hatte man immerhin keines gebraucht und erst die Begegnung mit der Welt außerhalb hatte ihr gezeigt, dass Menschen nicht einfach Dinge füreinander taten, weil man das als soziales Wesen tat. Nein, in der Gesellschaft verlangte man eine Gegenleistung inform von Geld und das war eine Art Gedankenkonstruktion, die besagte, das kleine Stücke Metall oder Papier einen Wert hatten, der eigentlich nicht stimmte. Was passierte, wenn man das Geld einfach anzündete? Was passierte, wenn man nicht mehr daran glaubte, dass es etwas Wert war? All diese Fragen stellte man sich allerdings nicht, man verbrachte seine Zeit lieber damit, Geld zu verdienen und es auszugeben, oft für Kram, den man doch eigentlich gar nicht brauchte. Selbstverständlich konnte Madeleine deswegen auch nicht mit Geld umgehen. Sie war allerdings nicht die Art Mensch, die stets zu viel davon ausgab, nein, sie gab am liebsten gar nichts aus. Das erklärte zum Beispiel, warum sie nie etwas anderes trug als die Gewänder, die sie auch schon vor Jahren besessen hatte... doch sie war auch nicht knausrig oder so. Deswegen kramte sie wie automatisiert in ihrer Tasche, als Kohana nach Geld fragte und übergab ihr treuherzig ihren Geldbeutel. Sie war sowieso nicht das absolute Mathegenie, das konnte das Mädchen mit den blauen Haaren sicherlich viel besser - und sie würde sie ja auch bestimmt nicht über den Tisch ziehen, denn sowas tat man ja nicht. Das war ein durchaus naives Verhalten, aber konnte man es ihr denn verdenken? Kohana war doch bisher so nett gewesen, dass es gar keinen Zweifel daran gab, dass sie nichts böses tun würde! So ein nettes, liebes Mädchen begegnete einem bestimmt selten... was hatte sie doch für ein Glück! Und das, obwohl Olphard ihr erklärt hatte, dass es Menschen gab, die überhaupt nicht nett waren, die die Leute ausnutzten und logen. Im Grunde genommen fand sie es ja faszinierend, dass manche das konnten, denn sie wäre dazu sicherlich zu unfähig, selbst wenn sie es versuchen würde. Außerdem tat man das nicht und sie durfte es wahrscheinlich gar nicht, denn damit würde sie die Leute zu anderem Handeln bringen, als sie sonst angestrebt hätten und das war doch irgendwie ein Eingriff in den Lauf der Dinge, oder? Andererseits müsste sie sich dann wohl einschließen und nicht mehr aus dem Haus gehen, weil jede Interaktion mit ihr nicht hätte sein müssen... nun ja, man musste eben Opfer bringen. Und da fragte man sich, ob sie leicht zu benutzen war?

Hachja… Die arme, gutherzige Kohana hatte doch tatsächlich ihr Geld vergessen. Was für ein armes, schusseliges Ding. Aber wie konnte man ihr das bei diesem beschämten und deprimierten Blick schon verübeln? Und erstrecht, wenn sie einen mit ihren großen, hoffnungsvollen Augen ansah, als sie hoffte, dass sie sich auf ihre Kollegin verlassen konnte… Kaum hatte sie das getan, schon drückte ihr das zierliche, schweigsame und vor allem kleine Mädchen namens Madeleine ihre Geldtasche in die Hand. Dies überraschte selbst die berechnende Kohana ein wenig. Ob sie wirklich ihr Geld vergessen hatte, es gar nicht dabei hatte oder was auch immer sie ausgefuchst hatte, sei mal völlig dahin gestellt. Aber… Dass ihr jemand so viel Vertrauen entgegenbrachte, nachdem sie dieses Mädchen ja kaum kannte, dass sie ihr ihre Geldtasche anvertraute, war doch wirklich deutlich mehr als die Magierin wirklich erwartet hatte. Sie lächelte das Mädchen sehr dankbar an und tippte kurzerhand auf dem Automaten herum, bevor sie die nötigen Geldscheine hineinsteckte und die Tickets zog. Dann gab sie dankend das Portmonee zurück und übergab ihr einen der Fahrscheine. Wäre es nicht gerade dieses naive Mädchen gewesen, das tatsächlich sogar so weit ging ihr ihre gesamte Geldtasche anzuvertrauen, hätte sie sich daraus möglicherweise noch einen kleinen Zuschlag genehmigt. Aber in diesem Moment wurde ihr klar, dass dieses Mädchen noch ein wenig sonderbarer war als sie selbst, weshalb sie davon absah dies noch weiter auszunutzen, als sie es bisher ohnehin schon getan hatte…
Ihr noch einmal dankend, machte sie sich mit ihr gemeinsam auf den Weg zum Gleis, wo sie nicht mehr lang auf den Zug warten mussten. Ein grimmiger Bahnangestellter entwertete kurzerhand wortlos ihre Tickets und ließ sie eintreten. Kohana führte ihre Begleiterin in ein ruhigeres Abteil, wo sie Platz nahm. Der Zug war recht voll gewesen, doch hier und da, wenn man sich ein Weilchen hindurch kämpfte, kam doch noch eine stille Ecke in den Blick der Magierinnen. Crimson Dragon… Diese Gilde war nicht unbekannt und hatte ihren Sitz im Moment in der Hauptstadt Fiores. Sicher hatten sie sich da auf eine große Sache eingelassen… Doch was würde da wohl passieren? Sie hatte noch genug Zeit zum Spekulieren, wenn sie sich mit der Gilde direkt auseinandergesetzt hatten. Bis dahin mussten die Magierinnen wohl abwarten. Da fiel Kohana etwas ein… Die Hauptstadt war für ein so weltfremdes Ding wie Madeleine vielleicht gar nicht mal so bekannt… „Sag mal Madleine, warst du denn schon einmal in Marokkasu?“, fragte sie freundlich wie eh und je. Irgendwie mussten sie sich wohl unterhalten. Die Reise war nicht gerade kurz, ihre Begleiterin ohnehin viel zu schweigsam. Da musste man erst einmal irgendetwas tun! Wenn sie tatsächlich nicht viel aus ihr herausbekam, konnte man vielleicht doch etwas schlafen… Allerdings war Kohana irgendwie aufgeregt und neugierig. Was war das wohl für eine Gilde? Und vor allem… Wer war dieser Magier, der sich seiner Gilde so mutig entgegen stellte? Warum klärte man das nicht untereinander? All das war komplizierter, als man erwarten könnte… Aber Kohana war guter Dinge diesen Auftrag einfach zu erfüllen. Schließlich war sie eine Dragonslayerin!

Madeleine hätte es nicht einmal bemerkt, wenn sich Kohana an ihrem Geld bedient hätte, weil sie gar nicht wusste, wie viel in dem Beutel drin war. Sie hoffte einfach immer, dass es reichen würde und offenbar hatte es das getan. Natürlich hatte sie auch nicht angenommen, dass die nette junge Dame sie bestehlen könnte, denn das war ja absolutes Unrecht. Für die meisten Menschen galten lockerere Regeln, was Umgangsformen und Regeln anging, als für sie, aber dennoch hatte sich die menschliche Gesellschaft einen grundlegenden Kodex zurecht gelegt. Man stahl nicht. Töten war verboten. Nette und höfliche Umgangsformen wurden bestärkt. Kinder mit Kindern und Erwachsene mit Erwachsenen. Nackt herumlaufen konnte man bei sich zu Hause. Das waren einfache Regeln, an die sich die meisten Menschen hielten, sodass sie miteinander auskamen. Ansonsten stand ihnen so ziemlich alles frei, sie stritten sich und rangen miteinander, konkurrierten und arbeiteten so, wie das Schicksal es eben für sie bereithielt. Da sie allerdings nichts davon wussten, glaubten sie wirklich an ihren freien Willen und Madeleine riss sich nicht darum, ihnen die Wahrheit klar zu machen. Das war ihre Zusatzregel, konnte man meinen: Sie musste dem Schicksal seinen Lauf lassen. Wenn man schon die Ehre erfahren hatte, vom Gott des Schicksals auserwählt worden zu sein, dann durfte man ihn nicht enttäuschen, indem man ihm ins Handwerk pfuschte! Madeleine hatte gegenüber von Kohana Platz genommen und ließ die kurzen Beine baumeln. Andere Menschen machten in Zügen Sudokus, spielten gegeneinander Schach oder Karten oder lasen ganz einfach, aber das kleine Mädchen konnte stundenlang einfach nur dasitzen und nichts tun. Sie konnte praktisch einen Schalter umlegen und sich ausschalten, als wäre sie nicht mehr als eine Maschine. Ungefähr so funktionierte sie auch, eine Art Telefon für Olphard.
Doch Kohana ließ nicht zu, dass sie allzu lange in Schweigen versunken, denn sie stellte dem Mädchen eine Frage, die es nun zu beantworten hatte. Glücklicherweise war das wirklich schnell getan, denn eine Sekunde später stand da ein Nein. ohne weitere Erklärung oder Erläuterung. Vielleicht hätte sie schreiben sollen, dass sie außer in Oak Town und Hosenka noch nirgends gewesen war und dass selbst diese zwei Städte schon mehr waren, als sie für sich von Anfang an erwartet hatte. Ihr Leben hätte sich, wäre es vollständig nach Plan abgelaufen, wahrscheinlich innerhalb der geschlossenen Klostermauern abgespielt und besonders lang wäre es auch nicht geworden. Unaussprechliche lebten nun einmal nicht lange... Madeleine hatte sich nie daran gestört, wie ihr Leben verlaufen würde. Wenn es das Schicksal so wollte, dann sollte es eben so sein. Nun aber, da sie aus dem Kloster gekommen war und inzwischen schon so viel mehr von der Welt kannte, war sie nicht sicher, ob sie ohne weiteres zurück in ihr altes Leben gehen könnte. Es mochte ein Zeichen von Schwäche sein, aber stundenlange Meditationen in Dunkelheit und graue Steinmauern übten nun einmal keinen besonderen Reiz auf sie aus, wenn sie Alternativen in Sicht hatte wie den Besuch der Hauptstadt von Fiore. Sie hatte gehört, dass die Leute dort technologisch fortschrittlicher waren und dass der Regierungsturm an ein ganz bestimmtes Körperteil erinnern sollte... welches das sein sollte, wusste sie allerdings nicht. Mit großen Augen blickte sie Kohana an. Vielleicht würde diese ihr noch etwas erklären, wenn sie schon gefragt hatte, immerhin wäre das wirklich spannend!