Als sie wieder sehen konnte, sah er, dass er grinste, es war nicht etwa das sichere oder freche Grinsen, was man vielleicht schon von ihm kannte, nein es schien verlegen, berührt wie ein Schuljunge, der gerade seinen ersten Kuss vergeben hatte. Nun gut ein Schuljunge war er nicht mehr, aber es war sein erster Kuss gewesen. Etwas was Naomi leider nicht wusste, aber irgendwie ahnte. Doch das machte diesen Moment nicht weniger besonders für sie. Er sprühte quasi so vor Magie, dieser eine Moment in der wahrscheinlich dunkelsten Gasse dieser Stadt, aber er war perfekt. Sanft schmiegte sich das Kind an die Brust des Dämonen, wer hätte gedacht, dass wenn man den Himmel um Hilfe bat, sich die Hölle auftat und einem den perfekten Beschützer ausspuckte. Dann allerdings kam eine erneute Rüge, er meinte sie solle besser auf sich aufpassen und sie musste leicht schmunzeln. "Ich versuche es", doch sie verstummte, als er plötzlich grimmig guckte, was hatte sie nun schon wieder verbrochen, doch diesmal ging es nicht um sie. Scheinbar war der Angriff auf sie wirklich als eine Warnung zu verstehen. Ren machte sich Sorgen und Naomi war auch nicht ganz wohl bei der Sache. Doch da hellte sich ihre Mine wieder auf, als er sie rügte, dass sie ihn das nächste Mal nicht loslassen sollte.
Leicht senkte sie den Kopf und nickte: "Entschuldige Ren, ich werde besser achtgeben. Ich weiß es war ein dummer Gedanke, aber ich hatte Angst es würde dich vielleicht mitziehen. Jetzt wo es nicht mehr darum geht, da kann ich klarer denken, mein Gewicht ist niemals groß genug, dass es dich auch nur im Entferntesten erschüttern könnte, aber im Moment als ich fiel, da wusste ich es nicht mehr, ich hab mich so schwer gefühlt, wie ein Elefant, ich konnte mich ja selbst nicht halten", leise seufzte sie und dann fühlte sie seine Hand erneut auf ihrem Kopf, er ordnete ihre Haar, was er zuvor zurückgestrichen hatte. Dabei erkundigte er sich, ob sie stark genug war um weiterzumachen und bestätigend nickte sie. Zwar wollte sie sich eigentlich noch nicht von seinem Schoß erheben, aber ein Mörder ließ sich nicht von alleine Fangen. Deshalb erhob sie sich langsam auf ihre Beine, die in der Tat noch leicht weich waren und beugte sich dann vor zu seiner Stirn, nein diesmal kein Kuss, sie lehnte einfach ihre eigene Dagegen: "Ich danke dir dafür, dass du mir deine Kraft geliehen hast. Mit dir an meiner Seite kann ich alles schaffen, da bin ich sicher."
Nun richtete sich das Mädchen wieder auf und hielt dem großen Kerl ihre Hand entgegen, wartete darauf, dass er sie erneut ergriff. Es war klar, dass er sie zum Aufstehen nicht benötigte, aber je früher er sie wieder an die Hand nahm, desto sicherer war sie doch. Es war nicht nur seine Nähe und sein Schutz, sondern das Wissen darum, dass da jemand war, der einen liebte, nein nicht liebte, natürlich nicht, aber er mochte sie und das reichte ihr vollkommen. In seinem Schatten würde sie immer wohl behütet sein, wie ein Kind im Arm seiner Mutter.

Recht erleichtert stellte Ren fest, dass Naomis Laune offensichtlich wieder deutlich besser geworden war als zuvor. Trotzdem er sie gemaßregelt hatte, schien das Mädchen aus ihrem Loch herausgekommen zu sein und redete endlich wieder normal mit ihm. Nun hatte er nicht mehr das Gefühl, dass er sich Gedanken machen musste, dass sie sich etwas antun könnte. Ein wenig betroffen wirkte sie, als sie anfing sich für ihre Unachtsamkeit zu entschuldigen und als sie fortfuhr, konnte Ren nicht anders als sich die Hand leicht vor die Stirn zu schlagen. Sie hatte ihn allen Ernstes losgelassen, weil sie sich sorgte, dass ihm dabei etwas passieren konnte? Auch wenn sie selbst erkannte, dass es nicht unbedingt logisch war wie sie gehandelt hatte, reagierte Ren noch einmal weniger zurückhaltend als zuvor. Er schüttelte den Kopf und seufzte leise… „Du solltest dir um mich wirklich die wenigsten Gedanken machen, wenn dir etwas passiert… Klar?“ Immerhin hatte sie ja nun begriffen, dass das nicht unbedingt gut war, dass sie so gehandelt hatte und sie stimmte auch zu, dass sie ihn das nächste Mal nicht loslassen würde. Selbst wenn Ren dabei ein wenig zu Schaden kam, war das alles in Ordnung, so lang er nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Der Akuma hatte nicht umsonst immer so großen Wert auf körperliches Training gelegt, weshalb er so einiges aushalten würde. Also sollte sie sich wirklich eher Sorgen um sich selbst machen… Irgendwo war sie eben doch noch dieses naive, kleine Mädchen, das vermutlich auch noch viel zu gutmütig war. Jemanden wie Ren schützen zu wollen, war nicht gerade üblich.
Auf seine Frage hin, ob sie nun schon wieder auf die Beine kam, reagierte sie sofort und erhob sich langsam. Ren konnte sehen, dass sie noch nicht ganz fit war, weil sie noch ein wenig wackelig auf den Beinen war, aber wenn es nicht ging, konnte er sie ja immer noch fangen. Plötzlich kam sie sogar ein wenig auf ihn zu und lehnte ihre Stirn an seine. Wieder diese merkwürdige, menschliche Wärme, die er nicht gewohnt war. Als sie ihm gedankt hatte und sich wieder erhob, schüttelte er erneut mit dem Kopf und packte ihre Hand, während er sich aus eigener Kraft erhob. „Du hast mir doch erklärt, dass du kein Kind mehr bist… Also will ich beim nächsten Mal auch sehen, dass du stark bist, verstanden?“ Obwohl er dies sagte, hatte er dennoch ein gewisses Mitgefühl für sie. Nach allem was passiert war, fühlte sie sich sicher schlapp und angreifbar. Ren hatte schon ein paar Nahtoderfahrungen hinter sich und die wären sicher leichter zu verkraften gewesen, wenn er jemanden an seiner Seite gehabt hätte. Darum hielt er ihre schlanke Hand fest zwischen seinen großen Fingern und lächelte sie aufmunternd an. Jetzt war eben auch mal ein freundliches Lächeln angebracht.
Mit ihr an der Hand setzte sich der Akuma dann in Bewegung in Richtung Ende der Gasse. Er fühlte sich nun deutlich besser als zuvor, obwohl er nicht verstehen konnte warum. Da war etwas von ihm abgefallen… Manchmal schien es doch hilfreich zu sein einfach mit anderen Menschen zu sprechen. Als sie aus der Gasse herauskamen, befanden sie sich auf einer Marktstraße, die relativ voll war. Ren wusste zwar wohin sie eigentlich gehen sollten, um sich die Informationen zu dem Fall anzuhören, aber er wollte sich erst einmal ein Bild von der Situation hier machen. Manchmal erzählten die mit den unüberlegten Mäulern die ehrlichsten Geschichten. Kaum setzten die beiden Blue Pegasus Magier die ersten Steine aufs Pflaster, gingen sie nicht nur in der Masse unter, sondern wurden auch Zeugen davon, wie ernst die Lage hier eigentlich war. Man hörte hier und da überall Tuscheln zum Thema. Die Menschen schienen trotz offenbar unbesorgter Miene allesamt angespannt und unter Druck. Das musste eine wirklich große Sache sein die Ren sich da geangelt hatte. Erst da fiel Ren auf, warum man ihn und Naomi offenbar so schnell erkannt hatte. Er deutete mit seinem Finger unauffällig auf ihr Gildenzeichen, um ihr klarzumachen, dass sie es lieber verdecken sollte. Sonst wurden sie mit anderen Augen betrachtet und die Menschen überlegten sich was sie sagten… Ren wusste aus der Questbeschreibung, dass es bei den Morden nicht nur um typische Machtkämpfe ging, sondern auch normale Bürger dort hinein verwickelt wurden. Vermutlich hatte deswegen jeder Einzelne hier schon allein durch die Mimik in seinem Gesicht eine Geschichte zu erzählen… Ob sie die Angst überspielten oder nicht, es lag eine undurchdringliche Anspannung in der Luft…

Was war schon eine Rüge von Ren, wenn es sie gleichzeitig so in die Lüfte katapultierte. Es war merkwürdig, dass er immer sehr deutlich machte, dass er sie scheinbar um jeden Preis beschützen würde. Er war doch ein Ritter. Fehlte nur noch eine strahlende Rüstung, das fliegende Pferd hatte er ja schon auf seinem Körper. War er nun doch Schild und Schwert eines kleinen Mädchens geworden, was nach und nach zu einem Schatten von dem wurde, was es einmal gewesen war. Doch wen kümmerte es schon, ob ein kleines Mädchen zu etwas wurde, vor dem man sich vielleicht fürchten sollte? Bisher niemand und das war vielleicht auch ganz gut so. Wenn jemand entdeckte, das sie langsam aber sicher versuchte sich zu befreien, würde man sie vielleicht doch noch aufhalten. Aber sie hatte Ren und er passte auf sie auf. Kurz hielt sie seine Hand ein wenig fester. Es war merkwürdig, dass sich ihr Leben immer wieder auf einen Menschen Zentrierte. Dieser Mensch war ihre Kraftquelle, und wenn er weg war, würde sie dann einbrechen wie ein Kartenhaus, dem man die Stütze genommen hatte? Er wollte sehen, dass sie stark war. Körperlich war sie ein Witz, aber wer so dumm war, ihr in die Schatten zu folgen sollte nicht wieder zurückkehren.
Oder war das gar nicht so gemeint? "Es ist nicht immer leicht stark zu sein, aber ich will es gerne versuchen", dabei lächelte sie ihn an, das wollte sie wirklich. Nun betraten sie wieder das Getümmel von Menschen. Man konnte sie hier und dort reden hören und das kleine Mädchen rutschte sofort etwas näher an die Seite seines Begleiters. Dieser wies sie auf ihr Gildenzeichen am Arm hin. Das war in der Tat etwas auffällig. Aber dagegen ließ sich etwas tun. Vorsichtig hielt sie ihn an und griff in ihre Tasche. Entnahm der Schere und Verbandszeug. Erst schnitt sie sich ein wenig mit der Schere in die Haut über dem Gildenzeichen, dann wickelte sie eine leichte Schicht Verband drüber und legte den Rest wieder zurück. Vielleicht etwas radikal, aber wer einen Verband sah, wollte auch einen Grund dafür sehen. Wieso hatte sie das Zeichen nicht an einer unsichtbareren Stelle? Weil sie nicht wie Seraphim und Ren dauernd irgendwas ausziehen wollte, um ihre Gildenzugehörigkeit zu beweisen. Als Mann konnte man so was machen, es war sogar dezent toll, dass ihre Gildenmitglieder der männlichen Art immer halb strippten, wenn sie sich zu erkennen gaben, ohne daran zu denken, dass sie einfach nur den Arm heben brauchte.
Sie würde es ihnen sicher nicht ausreden, immerhin hatte sie davon etwas. Diese Menschen allerdings sahen alle aus, als würden sie etwas verheimlichen. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Wie schön war es in Rutsuki gewesen. Die ländliche Idylle hatte das Ganze etwas aufgehellt. Dieser Ort jedoch schien alles noch gruseliger erscheinen lassen zu wollen. Was war nur los in Oaktown, dass die Menschen so wahnsinnig wurden? Naomi hatte keiner Ahnung, wieso man überhaupt Menschen tötete, wenn man eine Wahl hatte. Gut sie hatte das schon sehr oft mit sich selbst diskutiert und manchmal hatte man keine Wahl, aber hier doch ganz bestimmt, oder?

Ren und ein Ritter? Diese Assoziation war schon ein wenig anders, als der Akuma es gewohnt war. Vielleicht hatte er da ja doch ein bisschen mehr von seiner Mutter geerbt als gedacht. Sie war bekannt für ihre Magie „The Knight“ gewesen, mit deren Hilfe man heroische Waffen und Rüstungen herbeizaubern und damit kämpfen kann. Außerdem hatte sie einen unwahrscheinlichen Sinn für Loyalität und Gerechtigkeit… Von letzterem hatte Ren nicht ganz so viel mitbekommen, beziehungsweise hatte er ja seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit, die sich meistens auf die Sachen bezog, die ihn angingen, aber wenn ihm jemand am Herzen lag, dann war seine Loyalität vermutlich nicht vergleichbar mit anderen. Vermutlich hing es auch viel damit zusammen, dass Ren gut wusste was er sich zutrauen kann und wo seine Grenzen liegen, denn wüsste er dies nicht, hätte er vermutlich einiges in seinem Leben nicht so getan, wie er es getan hatte. Wenn er aber wüsste, dass Naomi sich nun so sehr auf ihn fixierte, würde er sich vermutlich große Sorgen machen. Ren hatte nie viele Menschen gehabt, an die er sich band, doch wenn er dies tat, dann nie so, dass er ohne sie zusammenbrechen würde. Zugegeben, es würde ihn vermutlich ziemlich kränken, wenn Naomi etwas passierte oder sie sich nun zerstritten, aber er würde nicht völlig die Nerven verlieren oder keinen Sinn mehr in seinem Leben finden können…
Doch davon wusste er ja nichts, auch wenn er wusste, dass sie momentan nicht so stabil im Leben stand, rechnete er nicht mit solchen Dingen, weswegen er unbesorgt in Anbetracht ihrer Aufheiterung mit ihr gemeinsam an der Hand die Straßen der Stadt betrat. Im Vergleich zu Rusuki war das hier schon eine wirklich große Sache, auch wenn Oak Town an sich rein vom technischen Fortschritt her nicht so weit war und noch relativ ländlich wirkte, war es eine wirkliche Großstadt, in der früher einmal eine große Gilde ansässig war. Ren beschäftigte sich oft mit den Geschichten der Städte, die er besuchte und Oak Town war mal wieder auch für ihn ein neues Land gewesen. Nachdem er Naomi darauf hingewiesen hatte, dass ihr Gildenzeichen sehr offensichtlich war, blieb sie kurz darauf stehen und holte Verbandszeug aus ihrer Tasche. Das war gar nicht mal eine schlechte Idee, doch was Ren nicht besonders gefiel, war dass Naomi eine echte Wunde fabrizierte, um etwas zum Verstecken zu haben. Man konnte an seinem Blick erkennen, dass dem jungen Mann dies missfiel, denn dann hatten die silbernen Augen noch eine etwas wütendere Wirkung als sonst. „Mach sowas nicht.“, zischte er leise in ihre Richtung und nahm dann ihre Hand um weiterzugehen. Doch gerade als er sich in Bewegung setzen wollte, drang eine Stimme mit interessanten Worten zu ihm durch. „Habt ihr das gestern Nacht mitbekommen? Sie waren genau hier vor der Tür… Die Männer haben die Türen verriegelt und dennoch kamen sie herein…“ Der Akuma drückte die Hand von Naomi etwas fester und lief mit ihr unauffällig näher heran. „Was wollten sie?“, fragte eine Frau mit ängstlichem Ton nach. „Sie haben nach den Red Scars gesucht… Aber dann sind sie weitergezogen.“ Eine weitere Frau mischte sich ins Gespräch. „Ja, ich habe gehört, dass sie einige Straßen weiter fündig wurden und dann…“ Sie stockte und blickte eingeschüchtert in die Gruppe. „… fand man am Morgen wieder Tote…“ Red Scars? Was sollte das sein? Was für Menschen nannten sich so? Irgendwie klang das nach einer Gruppierung, aber wenn man erneut Leichen fand, scheint es in die richtige Richtung zu gehen. Ren beschloss lieber an einen anderen Stand zu gehen, um ein wenig nachzufragen. Die Tratschweiber hatten so schon die Hosen voll. Er sah zu Naomi und nickte weiter in Richtung des Marktes… Man würde sicher bald fündig werden.

Leicht amüsiert beobachtete Naomi Rens Reaktion auf ihre Wunde. Er war doch sonst nicht zu zimperlich. "Keine Angst ich ritze mich nicht in meiner Freizeit", beschwichtigte sie den Kollegen und fügte ergänzend hinzu, "Die Schere es scharf, es tut gar nicht weh, versprochen." Damit setzten sie ihren Weg durch die Menschenmassen fort. Hier und da wurde wieder gedrängelt und geschoben, sodass sie recht froh war, dass er ihre Hand wieder fest im Griff hatte. Ohren und Augen des Mädchens schienen umher zu wandern. Nun gut, wenn man ehrlich war, konnten Ohren nicht wirklich wandern, aber angespannt lauschte sie, versuchte Gesprächsfetzen aufzugreifen, die vielleicht zu irgendetwas führen würde. Dann fühlte sie einen Druck an ihrer Hand, Ren schien etwas gehört zu haben, denn er ging nun etwas zielstrebiger auf eine Unterhaltung zu. Irgendwer hatte nach einer Gruppierung gesucht die sich Red Scars nannten. Was hatten diese roten Narben angestellt, dass man sie suchte und scheinbar auch tötete? Leise seufzte Naomi und rückte enger zu ihrem Begleiter. Das war wohl Teil der herzlichen Begrüßung, die sie bestellt hatten, nur statt Blumen und Glückwünschen gab es Nachrichten von neuen Morden, sie mussten wirklich schnell zur Tat schreiten. Am liebsten hätte die Blonde noch mehr erfahren, aber wahrscheinlich wussten diese Tratschen nicht mehr als sie gesagt hatten oder sogar noch weniger.
Somit führte der Weg die Zwei weiter Richtung Markt und sie nickte dem Riesen kurz zu. Ein Markt war immer ein guter Ort, um Neuigkeiten einer Stadt in Erfahrung zu bringen. Auch hier schienen die Ohren des Mädchens sich trotz anatomischer Unmöglichkeit um ihre eigene Achse zu drehe wie kleine Echolote, um etwas aufzufangen. Doch bisher blieb nur der Marktpreis für frische Melonen darin hängen. Wenn sie dies überlebten, würde Naomi eine Melone kaufen und diese dann zusammen mit Ren im Zug nach Hause essen. Doch es war vielleicht etwas früh, um schon an die Rückfahrt zu denken, denn nun mussten sie erst mal die Red Scars finden, oder diejenigen, die ihnen so ans Leder wollten. "Sie sind angeblich wieder da", beinahe wäre Naomi dies gar nicht aufgefallen, nun allerdings blieb sie abrupt stehen und horchte. "Die Black Furys sie sind wieder da", der Händler hatte seine Stimme fast ehrfürchtig gedämpft. Sein Zuhörer zuckte ein wenig unruhig. "Sind sie wirklich so schlimm?", erkundigte er sich etwas zurückhaltend. Ein stämmiger älterer Mann gesellte sich zu den zwei Unterhaltenden: "Diese Gruppen gibt es schon, seit ich ein kleiner Lausbub war", begann er und irgendwie konnte das Mädchen eine imaginäre, düstere Wolke über seinem Kopf aufziehen sehen, "Sie sind radikal und streiten sich hier in dieser Stadt schon ewig, wie zwei Wolfsrudel, die sich ein zu kleines Revier teilen."
Das reichte wohl, scheinbar schlugen sich hier zwei Banden die Köpfe ein. Die Bernsteinaugen wanderten nach oben zum Gesicht des jungen Mannes. Diese Stadt hatte ein größeres Problem als erwartet, aber dafür waren sie ja hier, nicht wahr?

Ein begeistertes Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Akuma. Weshalb? War es nicht eine wundervolle Quest, welche die beiden da abgegriffen hatten? Es roch hier immer mehr nach einer großen Sache und das gefiel Ren mehr, als man nur mit dem Wort „gut“ hätte beschreiben können. Ihm war es doch völlig egal, ob die Menschen von Oak Town darunter litten, dass hier offenbar ein Bandenproblemchen aufgetreten war, denn er und Naomi konnten damit nicht nur gut Geld machen, sondern auch mal richtig jemanden aufmischen. Nicht eine Sekunde dachte der Hüne daran, dass die beiden sich in etwas verstricken könnten, was ihre Fähigkeiten möglicherweise übersteigen könnte. Er würde auf Naomi achten und ihn würde sowieso niemand umhauen können, oder?
Red Scars… Einen solchen Namen gaben sich nur dubiose Gruppierungen, aber wenn man der Geschichte Glauben schenkte, dann waren es gar nicht die besagten Personen, die in der vergangenen Nacht das Problem darstellten. Jemand suchte nach ihnen… Na wenn das nicht nach einer gewalttätig, auf den Rücken der Bürger dieser Stadt ausgetragene Rivalisierung war? Ren kribbelte es richtig im Bauch vor lauter Aufregung! Und das lag nicht mal an Naomi… Sondern einfach daran, dass sie hier sicher endlich mal das zu tun hatten, was er sich unter Magierarbeit vorgestellt hatte! Und niemand würde ihn dafür belangen, wenn er zu grob war… Es sei denn, die beiden zerstörten irgendwelche persönlichen Güter von anderen Leuten. Aber Materialschaden war, in der Regel, vermeidbar. Als sich die beiden, Hand in Hand, weiter fortbewegten, schien Naomi bald den nächsten Tratsch wahrzunehmen. Es war immer wieder faszinierend, wie viel tatsächlich hilfreichen Gesprächsstoff man dem einfachen Bürgertum entnehmen konnte. Und das obwohl es ein ganzer Sack voller nutzloser Trottel war! Aber diese erzählten meistens die Wahrheit, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Black Furys… Noch so ein pseudoharter Gruppenname. Aber wenn Ren richtig schlussfolgerte, dann waren es diejenigen, welche die andere Gruppe gejagt hatten. Also war es tatsächlich ein territoriales Machtgeplänkel. Ob es noch mehr Banden gab? Das würden sie wohl bald herausfinden. Ren zog nun Naomi unauffällig ein Stückchen näher heran, sodass sie besser hören konnten. Nun wurde aber schon sehr schnell deutlich, dass die beiden Banden hier zu zweit um ihr Revier kämpften. Zwei Wolfsrudel… Die würden schon noch lernen, dass selbst eine Bestie vor Dämonen zurückschreckt!
Doch nun verstummte ganz schlagartig das Gassengeblubber und die Menschen verteilten sich ängstlich, suchten das Weite und keiner sprach mehr ein Wort über die Vorfälle. Ren zog Naomi mithilfe seiner Hand ein Stück näher an sich heran und blickte in die Richtung, von der alle sich abgewandt hatten. Aus einer dunkleren Gasse lief eine junge Frau, die kaum mehr weiblich wirkte… Sie war unfassbar muskulös, so groß wie Ren und hätte sie keine langen Haare gehabt, hätte Ren sie vermutlich nicht einmal ihrem Geschlecht zuordnen können. Zudem war sie trotz der angenehmen Temperaturen voll und ganz mit Lederklamotten eingekleidet und ihr Blick war kalt, abfällig, was vermutlich die riesige Narbe, welche sich an ihrem Auge entlang zog, nur noch unterstrich. Ren war sich hundertprozentig sicher, dass die Frau zu den Banden gehörte, wenn sie nicht sogar ein höheres Tier war. Doch der Hüne machte Naomi mit einem Kopfschütteln deutlich, dass sie sich ihr nun nicht annähern würden. Typische Bandenzeichen hatte sie auch an sich. Zum einen ein rotes Halstuch und auf ihrer Lederjacke war hinten ein blutiges Messer aufgedruckt. In der Stille schnappte Ren irgendwo das Wort Scar auf, wobei klar war, dass das mit ihrer Bande zu tun hatte… Nachdem er sie kurz gemustert hatte, drehte Ren sich bewusst von ihr weg und ging mit Naomi ein Stück weiter die Handelsstraße entlang, weg von der Frau. Man würde sie sicher wiedersehen… Diese lief ebenso die Straße entlang, aber eben in die andere Richtung, zum Bahnhof hin.
Als sie weiter weg von ihr waren, hörte Ren eine aufgelöste Frau sagen: „Das kann doch nicht sein… Jetzt kommen sie schon am Tag raus? Sonst… waren sie doch erst da, wenn es dunkel ist! Was soll das nur werden?“ Ihr Mann stieß sie zornig an und bedeutete ihr mit dem Finger zu schweigen. Nachtaktiv also? Natürlich, sich vor dem Auge der Stadtwache anzufeinden, war ein bisschen zu viel. Aber halt… Die mussten das doch auch nachts mitbekommen, oder? Ren sah zu Naomi hinunter. „Ich schätze, dass unsere richtige Arbeit erst anfängt, wenn die Sonne untergeht… Aber mir ist gerade ein interessanter Gedanke gekommen…“ Für einen Moment schweigend lief er die Straße weiter hinunter, darauf wartend, dass es wieder lauter wurde. Bald konnte er dann Naomi schon sagen, was er nun vor hatte bis zum Anbruch der Dunkelheit… Diese Aufgabe würde sicher einige Tage kosten…

Wo waren sie hier nur gelandet. In diesem Land schien es nur schräge Vögel zu geben, die nichts mehr wollten, als sich gegenseitig die Köpfe zu perforieren. Warum konnten Menschen an so was nur Begeisterung finden. Nicht ein Tier im Tierreich war so darauf aus, seine eigenen Artgenossen derart zu terrorisieren, selbst so einzelgängerische nicht, weil sie einen Instinkt hatten, der sie leitete und nicht pure Emotionsregungen. So nah wie Naomi Ren jetzt war wirkte er wahrscheinlich wie ein großer Bruder, der im Gedränge des Marktes seine kleine Schwester nicht verlieren wollte. Dass sie inzwischen doch alt genug war, dass die Menschen auch auf andere Ideen kommen konnten, das entglitt ihr. Für sie war sie immer noch klein und niedlich, dass aus ihr inzwischen eine junge Frau geworden war, hatte sie gekonnt ignoriert, immerhin war das nicht gerade gut. Wer wollte schon erwachsen werden, wenn er dadurch etwas Wichtiges verlieren würde. Kurz sah sie zu Ren hinauf, würde er sie auch verlassen, wenn sie groß war? Während sie so nachgedacht hatte, war es plötzlich auf den Markt still geworden und Ren hatte sie noch näher zu sich geholt. Erst dann hatte das Mädchen es überhaupt bemerkt. Da war jemand Neues erschienen und das schien den meisten Anwesenden Angst zu machen, der Grund sollte wohl klar sein.
Das blonde Mädchen jedoch schmiegte sich vertrauensvoll an den warmen Körper hinter sich und betrachtete die Frau? Es war gruselig, dass diese Dame Ren in Männlichkeit in kaum etwas nachstand. Noch nie hatte Naomi eine Frau gesehen, die so extrem daneben wirkte. Sie war sich fast mehr als sicher, dies war keine wirkliche Frau, das war nur ein Mann mit ausgestopftem Dekolleté, aber darüber konnte man sich streiten, es sah dennoch scheußlich aus. Ren hatte inzwischen die Richtung neu bestimmt, sie bewegten sich von der Frau weg deren Anblick sich gerade für immer in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte, als negatives Beispiel für weibliche Menschen. Scheinbar gehörte sie zu einer der Gruppen und von der Furcht ausgehend die sie verbreitete und der Tatsache, dass sie mitten am Tag ungestört herumlief, musste sie entweder hochrangig oder hochgradig blöd sein. Das Zweite wäre der Blondine deutlich lieber gewesen, allerdings war es wohl unwahrscheinlich, dass sie ihr den Gefallen tat einfach strohdoof zu sein. Als sie fast wieder am Bahnhof waren meinte Ren, dass sie wohl die Aufgabe nachts fortsetzten, mussten und Naomi nickte zustimmend. Wenn sie einen Zugang in diese Szene wollten, mussten sie in ihrer Sternstunde nach ihnen suchen, das war sicher einfacher.
Dann teilte er ihr mit, dass er einen Gedanken hatte, schien dabei sogar ganz begeistert. Was könnte es sein, dass ihn so fesselte. Es schien so wichtig, dass er sie an einen Ort von schrecklichem Lärm führte, wo es so laut war, dass sie ihre eigenen Gedanken nicht richtig hören konnte. Geduldig sah sie ihn an, was hatte er denn nun zu sagen ihr Begleiter?

Nachdem sie sich von der mehr als nur verdächtig wirkenden Frau entfernt hatten, war Ren, aufgrund eines banalen Gedankens, ein Geistesblitz gekommen. Die beiden hatten kaum eine Wahl den ganzen Tag irgendetwas Sinnvolles zu tun, denn wie sich so eben herausgestellt hatte, waren ihre Zielobjekte überwiegend nachtaktiv. Also brauchten die beiden Blue Pegasus Magier zunächst eine Aufgabe für die nächsten Stunden und Ren hatte da schon eine gute Idee. Im Moment war der Akuma so an seine Aufgabe gebunden, dass er völlig ausblendete, wie er wohl auf andere Personen neben Naomi wirkte. Auch er ging überwiegend davon aus, dass die Menschen ihn wohl für eine Art großen Bruder hielten, neben der zarten Blondine. Immerhin waren sie sich ja auch nicht so nah, dass man sie für ein Pärchen halten könnte, oder? Daran hatte er, ehrlich gesagt, noch gar nicht allzu viele Gedanken verschwendet…
Der Hüne lief nun mit Naomi an seiner Hand weiter in Richtung der Stadtmitte, denn er hatte eine Idee gehabt, die er nun verfolgen wollte. Als die ominöse Bandenlady, wenn man sie in irgendeiner Art als solche bezeichnen konnte, dann wohl so, die Marktstraße in weiter Ferne verließ, wurde es in der Stadt wieder lauter und Naomi und Ren waren wieder unauffällig im Getümmel versunken. „Mir kam gerade ein entscheidender Gedanke.“, begann er, als ihre Existenz zwischen den Bewohnern nicht mehr wirklich auffiel. Er hatte sich überlegt wann er mit ihr darüber sprach, doch nun wo es laut war, empfand er ein solches Gespräch als angemessen. „Es sieht stark danach aus, dass wir es hier mit einer Art Bandenkrieg zu tun haben, der über den Köpfen der Bewohner dieser Stadt ausgetragen wird, richtig?“, wiederholte er nur noch einmal rein rhetorisch. „Findest du es dann nicht auch komisch, dass die Bewohner eine solche Angst vor diesen Menschen haben? Ich meine, hast du bisher nur einmal gehört, dass irgendjemand oder irgendeine Institution etwas dagegen unternimmt?“ Wieder ließ er eine kurze Pause, in der er sich folgende Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ. „Es kann doch nicht sein, dass man hier Verbrechern freien Lauf lässt… Hier gibt es doch hundertprozentig ein Stadtoberhaupt und auch eine Garde, die zum Schutz der Bürger dienen soll… Die Frage ist, wie dann das Problem hier überhaupt so groß werden konnte, dass Unschuldige nach und nach draufgehen…“ Ren lief mit Naomi an der Hand in Richtung eines großen Glockenturms, den er in der Ferne entdeckte. Er wirkte ein wenig wie das Zentrum der Stadt, denn er ragte zwischen allen anderen Häusern hoch hinaus und rund um ihn herum musste ein Platz sein, denn die Sicht wurde von nichts eingeschränkt. „Wir suchen nun einmal die Basis der Gesetzeshüter der Stadt auf, um herauszufinden was die zu der Sache hier eigentlich sagen… Im Stadtzentrum werden wir vermutlich die besten Wegbeschreibungen zu ihrem Quartier bekommen. Das Reden würde ich gern wieder dir überlassen… Du weißt ja, ich wirke so einschüchternd auf die Leute, dass sie oft ganz schnell dicht machen, wenn ich den Mund aufmache.“ Während all seiner Erklärungen wirkte Ren unglaublich nüchtern und unberührt von alle dem was hier vorging. Er dachte momentan nur noch daran ihren Job so effizient und erfolgreich wie möglich zu erledigen und dazu trug eine geplante Herangehensweise bei. Vielleicht fiel ja auch Naomi auf, dass Ren für seine sonst so rüden Verhältnisse auch viel sein schlaues Köpfchen benutzte. Es wurde allmählich enger und voller in der Marktstraße und dennoch bahnte Ren sich seinen Weg voran, auf dem er die kleine Blondine hinter sich herführte. Bestimmt war es eine gute Idee ihr nun eine Weile das Reden zu überlassen… Das letzte Mal hatte sie sich ja auch darüber gefreut und auch bewiesen! Da hatte er ja eine ganz andere Seite des Mädchens kennengelernt… Ob sie wieder so selbstsicher auftreten würde gegenüber einer relativ hohen Institution?

[Ooc: Du darfst dich erst einmal bei Leuten nach dem Weg erkundigen und gehen soweit wie du willst. Das dazugehörige Gebäude kann ganz nach deinen Vorlieben gestaltet werden. Für Informationen zum Stadtwachenpersonal, schreib mir bitte noch einmal.]

Als es so laut war, dass selbst sie Mühe hatte, seine Stimme zu verstehen, begann er ihre seinen Vorschlag zu erläutern. In der Tat schien es mehr als logisch, dass die zwei Magier sich mit den örtlichen Gesetzeshütern zusammensetzten, diese möglicherweise davon in Kenntnis setzten, dass sie bei der Lösung dieses Dilemmas helfen würden. Eine gute Idee eigentlich, wenn man bedachte, dass diese scheinbar der Sache nicht Herr wurden. Doch wieso wurden sie der Sache nicht Herr? Waren sie einfach zu dumm, oder war da mehr. Man musste wahrscheinlich davon ausgehen, dass es dort jemanden gab, der ihre Aktionen verriet. Sie einfach an den Feind verkaufte und verhinderte somit dessen Verhaftung. War es eigentlich krank, dass sie schon bei der bloßen Erwähnung einer möglichen Garde daran dachte, dass diese einen Verräter unter sich haben könnten? Wahrscheinlich glaubte sie bereits, dass Verrat hinter jeder Ecke lauerte? Nein, so war es eben, Menschen waren nicht freundlich, besonders wenn sie sich in Gruppen zusammenrotteten und sich gegenseitig und Unbeteiligte töteten. Es war allerdings wirklich nett, dass er ihr das Wort überließ, immerhin hatte er recht. Er konnte schon Furcht einflößend sein, das stimmte und es störte sie persönlich nicht. Auch wusste sie, dass es ihn nicht störte, aber es machte ihm die Kommunikation mit Zeugen besonders schwer.
Bestätigend drückte sie seine Hand: "Ich will gerne unsere Stimme sein, allerdings fürchte ich, dass nicht Inkompetenz allein, vielleicht haben sie jemanden in ihren Reihen, der eventuell Informationen aus den Gebäuden heraus trägt. Möglicherweise sogar zwei Stimmen, da es auch zwei Gruppen gibt. Ich denke es ist mehr als sicher, wenn ich unsere Sicherheit, deinen Augen überlasse", da war sie sich wirklich sicher. Uns? Gab es zwischen ihnen schon kein ich und du mehr? Scheinbar hatte Naomi diese simplen Worte außer Acht gelassen. War doch dieser Mensch zu ihrem längeren Arm geworden, hielt er nicht ihre Hand in der Seinen. Wieder streiften ihre Gedanken zurück zu ihrer Hinfahrt, von der sie nichts mitbekommen hatte, als den Geruch, der von ihm ausging, die Wärme, welche sie in seiner Nähe fühlte, so sicher war sie, dass sie trotz der vielen Menschen nur geschlafen hatte. Sein Kopf hatte auf ihrem gelegen und auch er hatte geruht, in sanftem Schlaf, den sie geteilt hatten. Ob die Träume, die ihre gefehlt hatten, wohl die Seine gewesen waren? Nun gingen sie durch die Straßen der Stadt, die ihnen unbekannt war und als einziges Zeichen um sie zu führen, hatten sie einen Glockenturm. Es schien ein wenig wie ein Märchen.
Natürlich würde Naomi selbstsicher auftreten, wenn sie diesen Ort erreichten, sie war Magierin der Gilde Blue Pegasus, auch wenn sie klein war und noch nicht so richtig auf dem Damm, aber sie war stark. Etwas was sie sich selbst immer wieder sagte, damit sie es selbst nicht vergaß. Ihr Weg hatte sie auf den Platz geführt, mit dem Glockenturm, der zu einer recht imposanten Kirche gehörte. Vermutlich ein Dom, wenn er sich so im Zentrum der Stadt befand. Auch hier gingen viele Leute hin und her, scheinbar ihrem alltäglichen Treiben nachgehend. Bei jenen, die stehen blieben, um wie Rehe im Scheinwerferlicht hinaufzustarren, brauchte sie gar nicht erst nachfragen, diese waren augenscheinlich Touristen und kannten sich wahrscheinlich ebenfalls nicht aus. Sie wirkten sogar etwas sorgloser als die Bewohner an sich, wahrscheinlich, weil die Geschehnisse an ihnen vorbeiplätscherten, weil sie weder Zeitung lasen, noch betroffen waren. Anhand der Wegbeschreibung eines älteren Herren fand sie dann den Weg zur Wache. Ein schmuckes Fachwerkhaus, welches sich nur durch ein Schild mit zwei gekreuzten Schwertern über seinem Eingang, als Wachhaus identifizieren ließ. Es fügte sich schön in das Altstadtbild ein und wurde so quasi unsichtbar. Blumenkästen an den Fenstern ließen sie wie ein Wohnhaus erscheinen.

Auf dem Weg in die Stadtmitte hatte Ren der kleinen Blondine seinen Plan deutlich erläutert und ihr rübergebracht, dass es in seinem Interesse war, wenn sie das Sprechen mit den meisten Personen übernahm, sodass er im Hintergrund beobachten und die Fäden ziehen konnte. Er wollte nicht, dass sie sich so fühlte, als wäre sie nur ein Anhängsel für ihn, welches die lästigen Arbeiten übernahm, aber sie verstand sicher auch, dass er nicht unbedingt weit kam bei den meisten Menschen mit seiner Eigenart, seinem Aussehen und dem Ausdruck in der tiefen Stimme. Meist war es sogar egal wie sehr er sich bemühte herzlich oder warm zu sprechen. Sobald seine Augen ins Spiel kamen, waren die meisten auf Abstand aus. Aber die süße, kleine Naomi, welche in ihrer Gildenarbeit bisher immer souverän und herzlich gewirkt hatte, machte deutlich besseren Eindruck. Dahinter fiel er auch nicht mehr so als böser Bub, sondern eher als ihr Beschützer auf, was es für sie beide leichter machte…
Auf dem Weg in die Nähe des hohen Glockenturms blickte der Hüne immer neugierig an die Spitze. Je näher sie kamen, desto bewusster wurde ihm, dass er zuvor noch nie so eine große, alte Kirche gesehen hatte. Es wäre sicher interessant diesen endlos hohen Turm einmal zu erklimmen, aber für Sightseeing hatten die beiden sicher nicht allzu viel Zeit. Kurz nachdem er darüber nachgedacht hatte, meldete sich die kleine Blondine auch schon zu Wort. Der Druck an seiner Hand weckte ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn aufhorchen. Er grinste über das, was sie äußerte. Dies mochte er irgendwie an ihr. Ähnlich wie es sich bei ihm verhielt, glaubte auch Naomi nur selten an das Gute im Menschen und hielt immer nach dem bösen Kern Ausschau. Anstatt nur an die Inkompetenz der zuständigen Behörde zu glauben, unterstellte sie ohne einen Grund zu dieser Annahme, dass es sich um Korruption handeln könnte. Und ehrlich gesagt, hatte auch Ren daran schon gedacht. In einer so großen Stadt war es nicht üblich, dass man eine breite Menge an Einsatzkräften zur Verfügung hatte, die vermutlich auch einer solchen Bedrohung Herr werden konnte… Aber ob sie das wollten, war fraglich. „Schlaues Mädchen…“, sagte er grinsend zu ihr, als er nickend zustimmte. „Wir werden sehen müssen, wie sie sich verhalten. Vielleicht sind sie geschickt dabei oder zeigen ganz offen, dass sie etwas zu verbergen haben… Oder aber wir haben beide ein falsches Gefühl. Mal sehen. Während du mit den zuständigen Personen kommunizierst, werde ich mal genauer im Blick haben wie sich verhalten, okay?“ Manchmal wollte er Naomi richtig an sich drücken dafür, dass sie so nützlich und geschickt war. In der Regel war das nicht seine Art, aber es freute ihn schon in hohem Maß, wenn ihm jemand die Arbeit so erleichterte und angenehm machte.
Einige Minuten später waren sie auf dem großen Platz angekommen. Es schien sich hierbei tatsächlich um das Stadtzentrum zu halten und ein riesiger Dom krönte diesen, sodass man ihn von allen Seiten erspähen konnte. Viele noble Geschäfte und Restaurants waren hier zu sehen, doch noch dazu kam das Gebäude, nach dem sie gesucht hatten. Erkenntlich gemacht mit einem Schild mit gekreuzten Schwertern an der Front des schicken Fachwerkhauses, stand vor ihnen der Stützpunkt der Stadtwache. Zunächst beschloss Ren erst einmal voran zu gehen. Immerhin war er ja hier der Gentleman und Naomi sollte nur das Reden übernehmen, was nicht bedeutete, dass er nicht jemanden begrüßen oder sie vorstellen konnte. Also ging er voran mit ihr an der Hand zur Tür, dann blickte er kurz auf ihre Hände… Nein, es sah nicht gut aus, wenn er das schmale Händchen der Dame hielt, während sie herein spazierten. Deshalb ließ er los, rückte aber ein Stück näher heran. Zeitgleich hob er den Arm, um an die hohe Tür zu klopfen. Warum ihm dies so auffiel? Ren war selbst ein Hüne, doch dieses Tor war quasi sogar für Menschen seiner Größe ausgerichtet! Ob bei der Stadtwache auch ein paar Riesen waren? Kaum hatte er geklopft, klirrte es leise und nach einigen getrampelten Stampfern auf dem Holzfußboden näherte sich eine Person, die sofort hastig die Tür aufriss.
Das war nicht der Riese, den Ren erwartet hatte. Vor ihm stand ein schmächtiger Zwerg, gerade einmal so groß wie Naomi, wenn nicht sogar etwas kleiner. Er war dürr, wirkte prinzipiell eingeschüchtert und als Stadtwache würde er vermutlich ausgelacht werden. Vermutlich ein Auszubildender oder eine Art Wachpersonal im Innendienst. „Guten Tag!“, begann er ein wenig nervös, sodass sich seine Stimme überschlug. „Kann ich ihnen helfen?“ Ren nickte zustimmend und begann in ruhigem Ton: „Können wir reinkommen, bevor wir mit Ihnen sprechen?“ Er wollte nicht unbedingt draußen offenbaren wer sie sind, denn das würde vielleicht ein falsches Ohr mithören. Der Mann schien verdutzt, nickte dann jedoch beharrlich. „Aber natürlich! Treten Sie bitte ein!“ Die Anwesenheit der Beiden schien ihn sichtlich aus der Fassung zu bringen, weshalb er arglos voranstürmte. Ren hielt Naomi die Tür auf und trat nach ihr ein. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, folgte er dem Mann an einen Tisch, an den er sich gesetzt hatte und pflanzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. „Wir kommen aus Oshibana Town von der Gilde Blue Pegasus und sind zu Ihrer Unterstützung hier, um die öffentlich bekannte Bandenproblematik in den Zaum zu kriegen.“, begann er erst einmal betont ruhig zu erklären, denn er wollte den Jungen nicht völlig aus dem Konzept bringen. „A-Ah! Ihr seid es… O-Okay… Mein Chef sagte mir, dass Sie sicher bald kommen würden… Er ist jedoch zur Zeit unpässlich und darum kann ich Ihnen nicht wirklich weiterhelfen.“ Wie jetzt? Die Stadtwache hatte keine Zeit ihr wichtigstes Anliegen mit ihnen zu klären? Wäre Ren nun allein hätte er vermutlich so lang rumdiskutiert und gedroht bis er zu der zuständigen Person gekommen wäre. Doch wie würde es Naomi wohl machen? Sie mussten den Pimpf irgendwie dazu bekommen sie zu seinem Chef zu führen, denn das der Junge ihnen wohl kaum eine Auskunft geben konnte, stand auf seiner schweißgebadeten Stirn… So wanderten die silbernen Augen erwartungsvoll in Richtung der Blondine und sprachen quasi die Worte: Was nun?