Angst hatte Naomi auch, aber das war zu verkraften. Es war weniger die Angst um sich, als mehr doch die Angst um Ren. Vor allen anderen und vor jedem wollte sie ihn so gerne beschützen, auch wenn er wahrscheinlich ihren Schutz nicht brauchte. Blieb er aber doch, einer der wirklich schützenswerten Menschen in ihrer kleinen Welt, für den sie unbedingt alles tun wollte, was in ihrer Macht war. Doch ließen sich starke Männer wie er, selten von ihren schmächtigen Begleiterinnen in Schutz nehmen, es war ja auch unnötig. So wie es für sie nicht nötig war, irgendwem zu erklären, warum sie sich dennoch hinaus in die Nacht begaben. Es war wie ein Ruf, dem sie folgten, denn die Nacht war in dieser Stadt lebendig geworden, hatte sich in ein alles verschlingendes Monster verwandelt, was sich am Leben der Menschen labte und genau das mussten sie ändern, wenn sie dieser Stadt etwas Gutes tun wollten. Während sie so zusammen durch die Stadt wanderten, kamen sie in dunklere Gefilde. Wahrscheinlich ein Grund sich zu fürchten, oder sich Sorgen zu machen, doch das brauchte Naomi nicht, denn sie war nicht allein. Ren war bei ihr, so nah bei ihr, dass sie außer seinen Geruch nichts wahrnahm, bis es schließlich etwas lauter um sie herum wurde.
Ren legte seinen Arm erneut etwas enger um sie und zog sie zu sich heran. Es schien so selbstverständlich inzwischen, dass Naomi kaum noch errötete, aber dennoch fühlte es sich warm an. Mit ihrem Ohr auf seine Lippen gerichtet wartete sie darauf, was er zu sagen hatte. Heute sollte also ein reiner Spiontag sein. Sie würden sich nur umsehen und sonst nichts weiter. Nur herum gucken und sehen, ob sie was über diese ominösen Banden herausfinden konnten, das war doch mehr als in Ordnung. Das hieß, sie würde nicht zwingend in Schwierigkeiten geraten. Wieder waren sie sich so nah und als er seine kurze Rede unterbrach, lehnte sie ihr Gesicht an ihn. Ein wunderbares Gefühl, für sie, dass es ihm vielleicht nicht so ging, das vermutete sie ebenfalls, aber das war schon in Ordnung. Dann allerdings kam etwas, was sie wirklich überraschte, hatte er gerade vorgeschlagen, dass sie ein Pärchen spielen sollten? Nun sah sie zu ihm auf und errötete leicht: "Ich wäre sehr geehrt deine Freundin zu sein, wenn auch nur zum Schein", dann sah sie kurz die Straße hinunter und wieder zurück zu ihm, "Wenn wir diesen Job beendet haben, gibst du mir einen Kuss?" Eine wirklich merkwürdige Bitte, aber sie auszusprechen, ließ ihren Magen tanzen.
Wahrscheinlich war es eh eine Bitte, an welche er sich nicht binden würde, oder doch? Vielleicht ihr zuliebe, doch im Endeffekt würde es ihm wohl nichts bedeuten. Doch allein schon, dass er ihr zumindest Nähe nicht verneinte, die Unsicherheit welche er gezeigt hatte, als sie ihn geweckt hatte, das war es, was Naomi Zuversicht gab. Doch nun zurück zum Auftrag, vor ihnen hatte sich eine Art Ballungszentrum geöffnet. Dort fand wohl eine Tanzveranstaltung oder mehr ein Saufgelage statt. Genau zu einem solchen Ort mussten sie. Gelockerte Zungen, Menschen, die sich hier auskannten. Ein Blick zu Ren hinauf und ein bestätigendes Nicken, sie würden dort hineingehen. "Da drin bekommen wir sicher ein wenig mehr zu hören als hier draußen, vielleicht fällt ja auch ein Bier für dich ab", kurz musste sie an ihren ersten Auftrag denken, wo er ja eine Flasche Wein getrunken hatte und danach total verkatert gewesen war.

Was machten sie nun mit dieser Lagerhalle? Ren war sich da selbst noch nicht so ganz einig, wie man mit der Situation am besten umging. Klar mussten sie Informationen von dort erlangen, doch er war sich ziemlich sicher, dass sie dort nicht unbedingt willkommen waren. Nicht nur, dass sie dort nicht zu der Gruppierung gehörten, die dort eine riesige Fete veranstaltete, sondern es kam auch noch dazu, dass sie immer noch nicht wussten, wer der Angreifer war, der es zu Beginn auf Naomi abgesehen hatte. Sie brauchten Informationen, aber seinen oder Naomis Kopf zu riskieren, war dann auch nicht unbedingt das, was er gern machen wollte… Er hatte ja noch ein wenig Zeit sich darüber Gedanken zu machen, bis es soweit war. Denn zunächst mussten die beiden sich ja langsam aber sicher an die Halle heranwagen…
Allerdings hatte Ren nun erst einmal eine andere Hürde zu nehmen. Dass er Naomi mittlerweile so entspannt in den Arm nehmen konnte, hing nicht unbedingt nur damit zusammen, dass es ihn nicht mehr so sehr störte, sondern auch damit, dass sie sich dagegen nicht wehrte. Damit konnte er einigermaßen umgehen… Es wäre auch gelogen, wenn er sagen würde, dass so ein bisschen Körperkontakt absolut unangenehm war, aber so richtig darüber freuen, konnte er sich immer noch nicht. Als er seiner Begleiterin nun also wieder enger in den Arm nahm und ihr sagte, dass sie den Schein des Pärchens zu wahren hatten, reagierte sie wieder etwas unerwartet. Die Blondine wurde rot und erklärte, dass sie geehrt wäre seine Freundin zu sein. Wo kam das nun wieder her? Natürlich brachte so etwas sogar Ren ein wenig in Verlegenheit, weswegen er kurz seinen Blick abwandte und schwieg. Sich diese Schwäche einzugestehen, würde zu weit gehen… Dann setzte sie aber noch einen drauf, mit einer Frage, mit der er absolut nicht rechnen konnte. Sie bat ernsthaft um einen Kuss von ihm. Wieso? Nun blickte er sie wieder an, ein wenig irritiert, was man ihm von der Nasenspitze ablesen konnte. Weshalb sollte man einen Kuss von ihm einfordern? Mit welchem Ziel? Es dauerte einen ganzen Moment, bis er es vollbrachte sich wirklich ernsthaft darüber Gedanken zu machen. Er wollte fragen wieso, doch er hatte das Gefühl, dass er mit der Antwort nicht wirklich umgehen könnte… Nachdenklich blickte er in ihre Augen, legte sich einige Worte zurecht und seufzte leise… „Ich weiß nicht… Versteh mich nicht falsch. Rein Körperlich hätte ich ganz sicher kein Problem damit, aber… Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Vielleicht fiel es nicht auf, aber er drückte sich vor einer Antwort. Es war nicht unbedingt das Thema, über das er so gern sprach. Kein nein war kein nein, aber auch kein ja. Natürlich würde er es ihr zuliebe machen, weil es ihn nicht sonderlich störte. Glaubte er zumindest… Aber dennoch war es nicht besonders gut, weil er ohnehin schon das Gefühl hatte, dass sie zu viel von ihm wollte, was er ihr vermutlich nicht geben konnte. Er mochte sie ja, also wollte er ihr nicht wehtun, aber ob er all das tun konnte, was sie wollte, nur um ihr einen Gefallen zu tun? Das war fraglich…
Vielleicht konnte er das Thema mit der Aussage einfach so stehen lassen… Oder es wurde möglicherweise sogar hinfällig. Wie auch immer… Sie standen nun in unmittelbarer Nähe des Lagerhauses. Es war laut und der Geruch von Alkohol schien die ganze Straße einzunehmen… Ren sah sich um und erblickte, dass in einer Gasse neben dem Lagerhaus einige Kartons standen… Außerdem waren die Fenster sehr hoch angebracht. Vielleicht konnten sie einen Blick riskieren und so ausmachen, ob es gefahrlos war hineinzugehen… Ren blickte Naomi an. Ohja, er konnte sie mit Sicherheit einfach auf seine Schultern setzen zum Gucken, aber ob sie das wollte. Er lief mit ihr näher heran und deutete auf die Fenster. „Meinst du, dass du hereinsehen kannst, wenn ich dich hochhebe?“, fragte er zunächst etwas vorsichtig… Nicht, dass man glaubte er führte etwas Böses im Schilde, wenn er eine Frau hochhob. Das nun wirklich nicht!

Dieses schreckliche hin und her, das Tanzen um den heißen Brei. Sicher wollte er ihr genau damit eigentlich den Schmerz einer Antwort zu ersparen. Doch genau dieses Gerede, dieses indirekte Ja oder Nein Spiel, das tat eigentlich noch viel mehr weh. "Schon gut, mach dir keinen Kopf darüber, es war nur so eine Idee die ich hatte." Es war wahrscheinlich doch etwas dreist um so etwas zu bitten. Aber immer noch besser als sich so etwas zu erkaufen vielleicht. Wobei es sicher einfach wäre, für ein paar Stunden für eine wahrscheinlich lächerlich hohe Summe Geld, nur für ein paar Stunden, einmal der Mensch zu sein, dem ein anderer sein Leben widmete. Wenn sie mit Ren allein war, fühlte es sich fast so an, aber auch nur fast. Ein wenig starrte sie ins leere und die Lichter der Lagerhalle verschwommen vor ihren Augen zu einem Meer aus Licht und verzerrten Farbe und sie verlor kurz den Halt zu dieser Welt. Eine andere schien sie zu rufen, weg von dem Licht tiefer hinein in die Dunkelheit die an den Seite lag, die sich hinter ihr ausbreitete. Etwas, dass sich bereits in ihrem Herz eingenistet hatte und sich mit jedem kleinen Traueranfall ein wenig vergrößerte. Eine Krankheit, die kein Gerät entdecken könnte und keine Medizin heilen konnte.
Es war als stünde sie vor einer Tür, mit einem großen Schloss, sollte sie es wagen, diese jemals zu öffnen, zu sehen, was sich hinter ihr verbarg? Ein großer Drang danach sie einfach aufzustoßen brannte in ihr. Die Kleine Stirn legte sich gegen das Schloss und bettelte darum, dass es doch endlich öffnen würde, damit sie sehen konnte, was sich hinter der nächsten Tür verbarg. Der nächste Schritt ihres Lebens, die nächste Entscheidung, welche ihr Leben auf den Kopf stellen würde. Wie konnte man sich so sehr nach etwas sehnen, von dem man nicht einmal wusste, ob es gut für einen war. Es zitterte unter ihren Fingern, es schien fast so, als wäre bald der Zeitpunkt gekommen an dem es sich bald öffnen würde. Wenn sie hätte ahnen können, was für eine Dunkelheit bald über sie hereinbrechen würde, hätte sie wahrscheinlich nicht so sehr darum gebeten, dass es sich öffnete. Konnte physischer Schmerz eigentlich über psychischen hinwegtäuschen? Nein konnte er nicht, Leute, die sich mit scharfen oder stumpfen Gegenständen die Haut aufrissen, nur damit der Schmerz ihrer blutenden Wunde für kurze Zeit den Schmerz ihres Herzens übertönte. Irgendwo in dieser kalten Umgebung war allerdings Wärme und die Quelle dieser Wärme lag außerhalb, es war Ren und zu dem wollte sie zurück.
Es war, als wäre sie die ganze Zeit nicht wirklich da gewesen, denn als sie aus der Schwärze ihres Herzens zurückkehrte stand sie plötzlich in der Nähe eines Fensters, welches wohl in die Lagerhalle blicken lassen würde. Ein wenig verwirrt sah sie sich um, wie war sie hier her gekommen? Stimmt, sie hing ja so nah an Ren, wenn er einen Schritt machte, würde er sie automatisch dazu bewegen sich ebenfalls zu bewegen. Ob sie hineinsehen konnte, wenn er sie anhob. Sicherlich konnte sie das, wieso tat er es nicht einfach? "Ja natürlich, es sei denn du brichst neuerdings unter meinem Gewicht zusammen, das will ich aber nicht glauben, so schwer kann ich nicht sein", leicht stieß sie ihm mit ihrer Hand in die Seite.

Natürlich merkte sie das… Wie konnte er sich einbilden, dass es möglicherweise nicht auffallen könnte, wie er sich vor einer Antwort drückte? Ihre Reaktion löste in dem Hünen erstaunlich viel aus. Obwohl sie gefasst wirkte, machten ihre Worte bei ihm den Eindruck, als hätte er sie mit dieser Antwort schwer enttäuscht. Sie schien für jede Berührung, egal ob sie ihm irgendetwas bedeutete, so unendlich dankbar zu sein und immer wieder machte sie deutlich, dass sie sich über jedes nette Wort freute. Außerdem sagte sie immer wieder, dass sie nur zu gern seine Freundin wäre und stellte solche Fragen, die ihn in eine Situation brachten, vor der er nur zu gern fliehen würde, weil er mit einer Antwort überfordert wäre. Für ihn selbst grenzte es schon an ein Wunder, dass sie ihm überhaupt ernsthaft irgendetwas bedeutete. Darum fiel es ihm auch so schwer sie zu enttäuschen… Normalerweise wäre es für ihn eine Leichtigkeit solche Bitten abzulehnen, aber bei Naomi war das schon gar nicht mal so einfach. Da war es fast schon egal ob sie so gefasst reagierte oder in Tränen ausbrach… Es störte ihn. Aber er wusste nicht wirklich was er machen sollte. Es wäre im fast sogar lieber, wenn sie zeigen würde, wie sie sich fühlte, weil dann könnte er irgendwie darauf eingehen. So stand er da und wusste nichts. Aber selbst wenn es ihr zu Hause so schlecht ging, sagte sie nur, dass sie sich darüber freute, dass er sie dort herausholte. So wirklich wusste er nicht woran er war. Was machte man in einer solchen Situation? Das wusste Ren wohl am allerwenigsten…
Die nächsten Schritte bis zur Halle war Naomi schweigend gegangen. Sie hatte sich seit diesem Satz überhaupt nicht mehr geregt und war still und ausdruckslos neben ihm hergelaufen, sogar fast nahezu gleich mit ihrem Schritt. Er wusste nicht ob er noch was sagen sollte und wenn ja was… Also ließ er sie erst einmal in Ruhe. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er sie fragte, ob er sie hochheben durfte. Darauf reagierte sie jedoch wieder scheinbar völlig normal. Ob sie das alles einfach gar nicht mehr störte? Das glaubte er irgendwie nicht, denn dafür versuchte sie es zu oft. Sollte er es dabei belassen? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, machte es ihn zornig, wenn es so war. Sie sagte ihm überhaupt nicht was sie empfand, sondern versteckte sich mehr oder weniger… Oder war sie darum so abwesend gewesen? Sie witzelte, stieß ihn in die Seite, als wolle sie ihn aufziehen… Und das nachdem er ihr einen Korb gegeben hatte? Wollte sie wirklich nur diesen absolut bedeutungslosen Körperkontakt? Wie anders konnte sie so etwas nicht stören? Ein wenig reizte ihn das Ganze schon… Er wollte zwar davor weglaufen, aber er wollte auch wissen was all das sollte. „Warte…“, grummelte er und griff nach der Hand, die in seine Seite gestoßen hatte. „Ich hasse das…“ Wie sollte er nun erklären was er daran nicht mochte? Er war nun wirklich nicht der Typ, der gut mit Worten umgehen konnte. Er konnte sich das einfach nicht so leicht aus dem Kopf schlagen und bei einer so gefährlichen Aufgabe, sollte er sich doch konzentrieren können… Also gut! „Warum machst du das ausgerechnet mit mir? Wieso stellst du mir solche Fragen? Was erwartest du von mir?“ Dann machte er eine Pause, weil er merkte, dass er sauer wurde. So wütend sogar, dass er etwas zerschlagen wollte… Aber er versuchte diese Zerstörungswut zu unterdrücken… „Du bist das erste Mädchen, nein… Die erste Frau mit der ich so gut klarkomme, aber immer wenn du so bist, dann weiß ich nicht was ich tun soll… Und dann stellst du mir solche Fragen und tust hinterher als wäre nichts gewesen! Wie soll ich das verstehen können?“ Gerade er, der ja absolut gar nicht mit anderen Menschen umgehen konnte, quälte sich da… Warum? Eigentlich könnte er das doch einfach sein lassen und sie hinter sich lassen. Könnte er das nur… Nur war es dafür zu spät und nun war nichts mehr so einfach, wie es mal war. Wenn man sich selbst am nächsten und wichtigsten war, dann hatte man keine Sorgen mit den Gefühlen, weil man sie verstand… Und gerade deshalb wollte er es ja nicht versauen, denn nun bedeutete sie ihm etwas, vermutlich mehr als sie glaubte und er zugeben würde… Aber er verstand sie einfach immer noch nicht, wie er immer wieder in diesen Situationen zu spüren bekam… Das war vermutlich das höchste Maß an Offenheit für Ren, denn schon jetzt fühlte es sich eng und unangenehm in seiner Brust an, weil er wusste, dass solche Gespräche für ihn sicher nicht gut ausgingen.

Anstatt sie anzuheben und es ihr zu ermöglichen durch das Fenster zu sehen, wie er selbst es gerade vorgeschlagen hatte, ergriff er nur ihre Hand. Wieso tat er das? Doch dem nicht genug, es störte ihn etwas, nein, nicht nur stören, er meinte er hasste es. Was denn, sie hatte ihn durch nur ganz kurz berührt und es dürfte wahrscheinlich wenig schmerzhaft für ihn gewesen sein. Also was um alles in der Welt hasste er so sehr, dass er es ihr jetzt hier so dringend sagen musste? Doch natürlich würde sie sich die Zeit nehmen zu zuhören, wahrscheinlich würde sie für ihn immer die Zeit haben zu zuhören, ganz egal was sie diese Geste kosten würde. So sah sie in sein Gesicht. Die Eröffnung des Ganzen war ein wenig verwirrend. Sie tat etwas mit ihm, dann allerdings wurde er etwas deutlich. Er fragte einfach nur nach ihren Erwartungen an ihn. Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Erwartungen an ihn. Natürlich sah sie die Anspannung in ihm aufsteigen und deshalb sagte sie vorerst nicht, damit er sich weiterhin sammeln konnte. Dass er jetzt sauer wurde, das wollte sie nicht. Wahrscheinlich war es wirklich egoistisch von ihr gewesen ihm so viel abzuverlangen, denn auch eine Bitte konnte einen Menschen schon unter Druck setzen. Was hatte sie ihm nur angetan?
In dem Fall war es nicht einmal besonders schmeichelhaft, dass er sie gerade von einem Mädchen hochgestuft hatte zu einer Frau. Normalerweise hätte sie sich sicher ein wenig darüber gefreut, doch gerade war sie ein wenig zu besorgt ihn wegen irgendwas was sie nun sagen würde wieder für sich zu verlieren. Es war wie ein Dolch der sich in ihrem Herz hin und her drehte und ihr so unsägliche Schmerzen bereitete. Nun war sie sich recht sicher, dass er fertig war, weshalb sie all ihren Mut zusammenkratzte. "Weil ich dich sehr lieb habe und gerne mit dir zusammen meine Zeit verbringe", eröffnete sie die Erklärung die sie ihm wahrscheinlich mehr als Schuldig war. "Ich kann und will dich aber zu nichts zwingen, besonders weil du mir ja oft genug sagst und zeigst, dass du Nähe zu anderen Menschen nicht so magst wie ich. Deshalb frage ich dich. Ich weiß, dass es ein wenig unfair ist, weil es für dich wahrscheinlich genau so hart wäre ja zu sagen wie nein und das tut mir sehr leid, aber ich will es zumindest versucht haben", soweit so gut, nun zu ihrer merkwürdigen Art einen Korb wegzustecken. Immerhin hatte er dies ebenfalls aufgezählt, zu den Dingen, die ihn scheinbar so schrecklich irritierten.
"Zu meiner merkwürdigen Fassade, nun ja, weinen bringt mich nicht weiter, außerdem verstopft es die Nase immer so und das macht mir Kopfschmerzen. Auch wenn mir wirklich danach ist, es würde jetzt wahrscheinlich nur die Arbeit behindern und das kann ich mir nicht leisten, nicht wirklich zumindest. Zu Hause, wenn ich wieder in meinem Zimmer habe ich genug Zeit mich mit meinen Gefühlen zu beschäftigen, da ist dann auch niemand dabei, den ich damit stören könnte. Es tut mir schrecklich leid, wenn ich dir weh getan habe Ren, du bist der letzte Mensch auf dieser Welt, den ich gegen mich aufbringen möchte", ihre kleinen Finger schlossen sich um seine Hand, hielt sie ein wenig fester in der Angst er könnte plötzlich einfach irgendwo in den Schatten der Nacht verschwinden.

Mit anderen Menschen umzugehen, war sogar noch deutlich schwieriger, als Ren es sich jemals vorgestellt hatte. Eigentlich hatte der Hüne genug Probleme damit mit seinen eigenen Gefühlen auszukommen und diese richtig zum Ausdruck zu bringen, doch dabei noch Rücksicht auf andere zu nehmen, war unglaublich anstrengend. Vor allem weil er nicht einschätzen konnte wie Menschen auf seine Reaktionen reagierten. Das war das dumme an anderen Personen. Sie waren alle unterschiedlich, weshalb er weder von seiner eigenen Reaktion ausgehen konnte, noch von der einer einzelnen anderen Person… Sie waren alle so anders und das machte es so schwierig… Ren wollte aber alles richtig machen. Zumindest bei Naomi wollte er es nicht versauen, sie verstehen und nicht ständig verletzen, indem er einfach nur so war, wie er eben so wäre. Genau davor hatte er sie zwar gewarnt, aber er wollte ihr dann doch nicht wehtun, weil sie so nett zu ihm gewesen war und man so gut mit ihr arbeiten konnte. Ja natürlich mochte er sie irgendwie, auch wenn es für Ren vermutlich eine etwas merkwürdige Art und Weise war jemanden zu mögen, aber es war immerhin eine. Denn es gab nicht viele Menschen, die er in soweit akzeptierte, dass er hinnahm, dass sie ihm etwas bedeuteten… Also nervte es ihn umso mehr, dass er nicht wusste woran er war, was er richtig und falsch machte und vor allem wie er es nun richtig machen sollte. Es schien keinen Weg zu geben, mit dem er alles genau so machte, wie es sein sollte. Also was macht man da?
Da hilft nur unverblümt danach fragen. Und genau das tat er gerade. Wieder auf seine etwas merkwürdige Art und Weise, die sicher auch nur zum Vorschein kam, weil er gerade zornig war darüber, dass er nicht wusste was er tat, beziehungsweise tun sollte. Und Naomi? Die guckte ihn erst einmal an wie ein Ufo… Er ahnte, dass es an seiner Art zu reden lag, weshalb er sich erst einmal nicht darüber aufregte, dass sie nicht reagierte. Dann antwortete sie jedoch und er versuchte zu folgen. Zumindest so gut es ihm möglich war… Ren war nicht allzu gut darin Gedankengänge zu verfolgen, die nicht seiner eigenen Logik folgten. Sie wusste also ganz genau, dass sie es ihm nicht wirklich leicht machte und entschuldigte sich dafür. Doch das brachte ihm herzlich wenig, wenn er immer noch nicht wusste was genau sie denn wollte oder was sie dabei fühlte, wenn sie ihm solche Fragen stellte. Dann kam sie doch zu dem, was ihn wirklich interessiert hatte. Dass sie stets und ständig seine Nähe wollte, war ihm klar gewesen und dass es ihnen wohl beiden nicht leicht fiel damit umzugehen genauso… Aber ihre Fassade verstand er wirklich nicht. Sie redete, versuchte sich so zu erklären, dass er sie verstand und er hörte einfach nur zu und spürte, dass sie seine Hand fester drückte. Ob sie Angst hatte, dass er ging? Weglaufen war in der Regel nicht so sein Ding. Ren stellte sich eigentlich jeder Krise, selbst wenn das bedeutete mit dem Kopf durch Wände zu gehen. „Du tust mir nicht weh.“, begann er erstaunlich gelassen. „Dafür müsstest du erst ganz andere Geschütze auffahren, denn das hat lang niemand mehr geschafft.“ Ren seufzte, kratzte sich mit der freien Hand am Hinterkopf und überlegte, wie er rüberbringen sollte, was für einen Schluss er aus dieser Unterhaltung gezogen hatte. Dann ließ er ihre Hand los, legte die Arme um das Mädchen und drückte sie ein wenig an sich, damit er sie nicht ansehen musste. Es beschämte ihn so etwas zu tun, aber er wusste genau, dass es sie erst einmal ruhigstellen würde. „Für dich ist es so. Dich bringt es nicht weiter zu weinen, aber darum geht es gar nicht, wenn man seine Gefühle ausdrückt. Es geht nie darum, dass du etwas machst, sondern darum, wie du dich anderen begreiflich machst. Wie soll ich verstehen, dass du heulen willst, wenn du nie heulst? Was bringt es mir, dass du dir zu Hause die Augen ausweinst, wo ich davon nichts mitbekomme? Und warum zur Hölle sollte mich sowas stören?“ Er stoppte kurz und streichelte dem Mädchen über den blonden Schopf. „Du bist ziemlich blöd wenn du glaubst, dass es besser ist das zu verschließen, damit es die Arbeit nicht behindert. Es behindert uns viel mehr, wenn etwas zwischen uns steht, das ungeklärt bleibt, weil wir einander nicht verstehen.“ Das sollte erst einmal reichen. Nun hatte sie genug zum Überlegen. Natürlich wäre es ihm mit Sicherheit lieber, wenn sie zu Hause heulte und er damit nicht umgehen konnte, aber er wusste genauso gut, dass das wirklich nichts bringen würde…

Sie tat ihm also nicht weh? Was für eine Erleichterung, dennoch war da noch der Stein in ihrem Bauch, der ihr sagte, dass dieser Satz noch nicht das Ende der Unterhaltung war. Als er sie dann plötzlich an sich drückte. Es könnte ein so schönes Gefühl sein, jetzt hier in seinem Arm zu liegen, so dicht an seinem Körper, dass es nur noch ihn gab in ihrer kleinen Welt. Sein Herz schlug, es schlug so laut, dass es ihre Ohren füllte und sie fast nicht hören ließ, was er sagte. Wahrscheinlich wäre es sogar besser gewesen, wenn sie es nicht gehört hätte, aber wer weiß das schon. Warum sollte ihn ein weinendes Kind stören? Weinende Kinder störten doch jeden, er mochte doch auch keine Kinder. Auch wenn er sie zuvor als Frau bezeichnet hatte, mit tränengeröteten Augen kehrte sie zurück zu dem Bild, was sie als Kind gegeben hatte. Dass jetzt doch kleine Tränen aus ihren Augen rannen, das konnte sie einfach nicht aufhalten. Es störte sie, dass es nicht möglich war, das zurückzuhalten, es war schmerzlich, wenn man sich eingestehen musste, dass man etwas nicht erreichen konnte, selbst wenn man es nicht konnte. Dabei wollte sie doch keine Schwäche zeigen, nicht vor ihm, noch vor irgendwem anderes.
Nein es war mehr vor anderen. Ren wusste doch schon, dass sie schwach war, zumindest in manchen Momenten war sie das. "Ich will doch nur nach außen hin nicht schwach wirken, du würdest doch auch nicht auf offener Straße weinen wollen, sofern es überhaupt etwas gibt, was dich wirklich zu dazu bringt zu weinen. Ich hoffe es wird nie passieren, aber dafür bin ich einfach ein wenig zu stolz und zu dickköpfig, sollte dir bekannt vorkommen. Was geht es die Penner da drin an, wie ich mich gerade fühle? Sie werden es schon früh genug merken, sollten sie es wagen, mir auf den Nerven herum tanzen und ich denke, auch wenn du immer denkst, dass du mit Menschen nicht viel am Hut hast, aber ich denke du hast zumindest, was mich angeht, doch ein paar emphatische Antennen, die dir sagen, wenn etwas nicht stimmt. Im Zweifelsfall reicht die Logik, die sagt, über einen Korb freut sich keiner, aber das wirst du aus mir nicht heraus bekommen, ich liebe dich dennoch sehr", auch wenn diese Gefühle niemals erwidert werden würden. Das war eben so, wenn man sein Herz irgendwo an irgendwen verlor, man bekam es nicht einfach so zurück, es war dann weg und hing seinen Träumen nach.
Träume die manchmal zu unwirklich, waren, als dass sie jemals in Erfüllung gehen konnten, aber manchmal waren es diese Träume, die Menschen am Leben halten konnten. Wie sehr sie diese Liebe zu ihm brauchen konnte, das würde ihr wahrscheinlich erst nach dem Auftrag klar werden, denn sie danach sollte sich wirklich in die Hölle wiederfinden. Nun drückte sie gerade ihr Gesicht an seine Brust, wollte eigentlich nie wieder loslassen, aber das war wahrscheinlich nur natürlich. Kurz blickte sie zu ihm auf, in sein Gesicht, das Gesicht was sie so gern hatte. "Bitte lass uns jetzt weitermachen, ich will eigentlich bald von diesem Ort verschwinden."

An einem zweifelsohne nicht ganz so ungefährlichen Ort stand Ren hier in einer düsteren Gasse, ein blondes Mädchen in den Armen halten und konnte nicht umher, als sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Das war immer so eine Sache mit der Zukunft, denn Ren konnte sehr genau mit detaillierten Erinnerungen an seine Vergangenheit zurückdenken, doch kam nicht auf einen festen Weg, der in seine Zukunft führte. Er war verlassen, ungeliebt und einsam gewesen, hatte sich deshalb an sein Leben als Schandfleck in allen Geschichten gewöhnt und versteckte sich gern im blickdichten Schatten seiner Rolle des Parasiten dieser Gesellschaft. Ren war nicht der Protagonist irgendeiner Geschichte und im Zweifelsfall schaffte er es mit seinem Talent nur zum Antagonisten. Eine Hauptrolle, welche er eigentlich nie hatte spielen wollen…
Nun hielt er dieses Mädchen im Arm, von dem er immer noch nicht mit voller Zuversicht sagen konnte, ob es sich hierbei um Frau oder Kind handelte und fragte sich, was diese merkwürdige Art von Beziehung für eine Auswirkung auf ihn haben könnte. Eigentlich wollte er keine Antwort auf diesen Gedanken finden… Er erklärte dem Kind mit absoluter Zuversicht und Sicherheit, dass es so wichtig wäre seine Gedanken und Gefühle zu äußern, während er doch der Heuchler war, der über sich kaum eine Kleinigkeit Preis gab. Und schon wieder sprach sie das Wort aus, welches er nicht sonderlich gut kannte. Wenn Naomi von Liebe redete, dann wusste Ren nie welche Art dieses Gefühls das war. Es gab auf der einen Seite freundschaftliche bis familiäre Emotionen in diesem Bereich, aber auch Romantik spielte gerade bei diesem Wortlaut eine große Rolle. Der Akuma kannte weder die eine, noch die andere Seite dieser Geschichte… Weder seine Familie, noch sonst irgendjemand hatten ihn jemals geliebt. Und auch wenn es ihn schon irgendwie kratzte, wenn sie das behauptete, keimte nur immer mehr der Gedanke daran auf, dass es für ihn ohnehin kein Happy End geben würde. Selbst wenn er danach streben würde… So blieb er lieber bei dem was er hatte: Seine Sicherheit, verborgen lebend im Schutz seiner harten Schale. Ein Seufzen überkam den Hünen, als Naomi versuchte sich zu erklären. Wo er eben fast noch zornig über die Situation gewesen war, fiel es nun von ihm ab. Die Wogen schienen, zumindest oberflächlich, geglättet worden zu sein. Doch Ren glaubte nicht daran, dass das alles ein gutes Ende nehmen würde. Gern tat er aber so, um das Mädchen zu beruhigen. Empathie war es vermutlich nicht einmal, was ihn auf die richtige Spur brachte. Ren fiel es nicht besonders leicht sich in andere hineinzuversetzen. Stattdessen blieb er bei der Methode sich selbst an dieser Stelle stehen zu sehen… Wie auch immer. Er schien zumindest das kleine, blonde Ding nun gut genug zu kennen, um kategorisch zu sagen, dass etwas im Argen lag. Etwas entspannter drückte sich das Mädchen an ihn und Ren blickte in die dunkle Ferne, während er in Gedanken noch einmal durchging, was sie vor sich haben würden… Als sie dann aufblickte und ihn darum bat weiterzugehen, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Diese gedrückte Stimmung auf einer Quest, die nicht gerade ungefährlich war, machte ihm allmählich zu schaffen. Mit einem Nicken löste er die für ihn anstrengende Umarmung und ging in die Hocke, wonach er auf seinen Rücken deutete. „Dann kommen wir zurück zum ursprünglichen Plan.“ Mit einem Nicken in Richtung des Fensters machte der Hüne deutlich, dass sie hineinsehen sollte. Jede Schlägerei der Welt wäre dem Akuma lieber, als diese quälenden Gespräche, welche ihm den Hals zuschnürten, weil er sich bewusst war, dass es keine Antwort gab, welche beide Parteien zufrieden stellen würde…

Naomi hatte es genossen, sich eng an ihn zu kuscheln. Nähe war etwas Wunderbares, wenn man sie mit jemandem teilen konnte, den man mochte. Doch Ren schien das Thema, welches er selbst gewählt hatte, doch nicht so sehr zu mögen, wie es vielleicht sein musste. Immerhin hatte er doch darauf bestanden, dass sie ihm ihre Gefühle offenbarte. Das war nicht immer einfach, aber wenn es gewünscht wurde, dann war es eben so. Dieser Wunsch schien mehr oder minder nach hinten losgegangen, aber so war es eben. Wahrscheinlich war die junge Magierin nie so nah daran gewesen, jemand wirklich von Herzen zu lieben. Klar hatte sie auch Seraphim lieb, aber nur lieb und nicht, aber was soll's. Leicht seufzte sie als sie sich dazu entschieden ihrer Aufgabe weiterhin nachzugehen. Als er seine Arme von ihr genommen hatte, ging er vor ihr in die Knie. Was wurde das nun? Ach ja sie sollte ja auf seine Schultern klettern und ins Fenster sehen, um herauszufinden, was dort geschah. Klar das hatte sie fast total vergessen. Ein prüfender Blick in Richtung Halle bestätigte ihren Augen und Ohren, dass da drin noch alles im Gange war. Die Menschen waren laut und Musik ertönte aus allen Öffnungen. Scheinbar waren die Unterweltler dieser Stadt schienen auf jeden Fall gerne und gut zu feiern.
Mit sanften Schritten begab sie sich auf Rens Rücken, ganz vorsichtig stieg sie einfach hinauf auf seine Schultern. Mit den Füßen fand sie auf den breiten Schultern ihres riesigen Freundes wieder und richtete sich auf. Fest war ihr stand und zuversichtlich ihre Gedanken, also alles im grünen Bereich. "Ist in Ordnung denke ich. Wenn du dich nicht zu schnell aufrichtetest, sollte ich keine Probleme haben oben zu bleiben", meinte sie, während sie sich noch einmal vergewisserte, dass sie wirklich richtig stand. Alles war gut, zumindest soweit sie darüber nachdenken konnte. Wenn sich also Ren aus der Hocke nun wieder in den Stand begeben würde, war alles in bester Ordnung. Zwischen ihren Füßen nun diese wunderbaren Haare, so weich, so lang. Wahrscheinlich konnte sie eine kleine Ewigkeit damit verbringen, sie einfach nur zu bewundern, so wie sie eine Ewigkeit damit verbringen konnte, den Besitzer dieser Haare zu bewundern. Nur leider würde es sie keinen Schritt weiter zu ihm bringen, sondern eher einen zurück. Irgendjemand würde heute ihren Frust darüber sicherlich noch zu spüren bekommen, auch wenn er oder sie an diesem keine Schuld trug, oder sie würde damit schlafen gehen und es am Morgen hoffentlich vergessen oder verdrängt haben.

Dieses unangenehme Gefühl würde Ren wohl für eine ganze Weile nicht loswerden können, oder? Der Akuma hatte keine andere Wahl als Naomi früher oder später zu verletzen. Egal wie sehr er versuchte das vor sich herzuschieben, er trat nur immer tiefer hinein und tat ihr scheinbar immer häufiger weh. Was er machen sollte, wusste er nicht. Immerhin war der Hüne es dann doch nicht so sehr gewohnt mit anderen Menschen in so engem Kontakt zu stehen. Klar genoss er irgendwie die Beziehung zu Naomi, denn ihr gegenüber konnte er erstaunlich offen sein, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, dass er sie oder sie ihn stören könnte. Es war fast zu schön um wahr zu sein, würde Naomi nicht etwas von ihm erwarten, was er nicht konnte. Mit anderen Menschen eine so nahe Beziehung, dass das Ganze körperlich wurde, machte ihm, so konnte man es nur ausdrücken, irgendwie Angst. Egal ob er es einfach machte oder eben immer wieder ablehnte: Er tat ihr damit weh. Früher oder später. Also war es besser einfach alles hinzunehmen? Oder immer wieder abzulehnen und Salz in die Wunde zu streuen? Wieso mochte man überhaupt jemanden wie ihn? Hatte er nicht von Anfang an versucht ihr zu erklären, dass er niemand war den andere Menschen mochten? Man konnte es drehen und wenden wie man wollte… Ren hatte keine Chance… Aber das konnte jemand wie er nicht akzeptieren. Bisher hatte er in seinem Leben immer am Ende das bekommen was er wollte. Aber sobald es darum ging gut mit anderen Menschen umzugehen, ja wenn er wirklich wollte, dass es auch jemanden abgesehen von ihm gut mit einer Sache ging, dann hatte er keine Wahl. Diese Welt zeigte wieder ihr wahres Gesicht: Sie war voller Scheiße …
In die Knie gegangen, versuchte Ren einfach dieses unangenehme Gefühl nun völlig auszublenden. Es half ihnen wohl beide nichts, wenn sie sich nun stundenlang schlecht fühlten. Vielleicht konnte er sie später fragen, wie er das alles wieder gutmachen könnte. In solchen Dingen war er nämlich auch nicht gut. Woher sollte er wissen was andere Leute gern hatten? Die Welt war echt unfair, wenn sich nicht gerade alles um ihn drehte… Vorsichtig versuchte Naomi auf seinen Rücken zu steigen, was ihr doch erstaunlich gut gelang. Sie hielt sich fest und richtete sich auf, wobei ihm ein anderes unangenehmes Gefühl im Magen aufstieg, welches er jedoch erstaunlich schnell ausblendete. „Halt dich am besten gut fest, okay?“, ermahnte er leise und blickte auf seine Schulter, wo ihre Füße standen. Bevor er aufstand, streckte er ihr die Arme entgegen, damit sie seine Hände nehmen konnte, während er lief. Immerhin verlor man sonst recht schnell das Gleichgewicht. Naomi mahnte ihn noch, dass er sich nicht zu schnell bewegen sollte und so richtete er sich langsam auf und ging zu der Wand, an der sich die Fenster befanden…
Diese lagen ziemlich hoch, doch mit seiner Hilfe müsste Naomi nun genau in die Halle blicke können. Und vermutlich würde sie dabei nicht einmal jemand sehen. Draußen war es viel zu dunkel, sodass man nicht viel außerhalb der Halle erkennen konnte. Außerdem waren die Fenster so hoch, dass die Wahrscheinlichkeit gering war, dass jemand dorthin sah. Ren konnte natürlich nichts sehen und versuchte sich krampfhaft von dem Gedanken abzulenken, dass Naomis Allerwertester direkt über seinem Kopf war. Ja, der Gedanke war für Ren irgendwie merkwürdig… Er hörte allerdings durch die Spalte, welche die Fenster weit geöffnet waren, dass sich drinnen die Leute laut unterhielten. Sie sangen und feierten ordentlich… Was Naomi jedoch da drin sehen würde, konnte Ren nicht ahnen… Denn die Leute feierten da drinnen nicht nur eine riesen Fete, sondern diese Lagerhalle hielt noch etwas anderes bereit. In einem Lagerhaus lagert man bekanntermaßen Dinge und hier waren es Waffen. Glücklicherweise keine Pistolen oder Kanonen, aber es waren sonst Waffen aller Art von Schlag- über Stangen- und sogar Klingenwaffen. Und eine laute Parole brach plötzlich aus, als sie ihre Krüge erhoben: „Diese Stadt gehört uns! Uns ganz allein! Wer sich mit uns anlegen will, wird bald nicht mehr sein!“ Das konnte sogar Ren hören… Diese Stadt gehörte also ihnen? Dann war das die Bande, die zuerst hier war… Das Laute Anstoßen war kaum zu überhören, bis plötzlich Sirenen aus einer anderen Richtung ertönten. In der Halle brach derweil eine eisige Stille aus, während die Männer die Gläser abstellten und sich ihre Jacken anzogen. Was war das? Sollten sich Ren und Naomi verstecken?