Was Reika wohl von Aurora denken würde, wenn sie wüsste, dass das Mädchen innerlich ganz anders tickte, als sie sich grade gab? Natürlich käme sie nie im Leben darauf, dass jemand anders war, als man ihn so sah. Zero war sehr vorurteilsfrei, zumindest so gut es ihr möglich war. Sie schätzte Aurora, aufgrund ihres bisherigen Benehmens, als ziemlich süß und umgänglich ein, aber nicht nur das. Auch erschien das Mädchen momentan sehr professionell und das trotz ihrer kleinen Körpergröße, wodurch sie für Reika etwas Vorbildmäßiges hatte. Im Traum wäre die kleine Reika nicht darauf gekommen, dass Aurora die Gilde zerstören wollte, oder naja, zumindest so wie sie momentan war in Grund und Boden stampfen wollte. Das konnte ja auch keiner ahnen, oder? Irgendwie machte Aurora das zu einem nicht zu unterschätzenden Gegner oder Partner? Jedenfalls würde Reika da sowieso sicher nie drauf kommen. Auch dass sie so stark und sicher war, hatte Reika zwar gehofft, doch konnte sie das nur schwer einschätzen, ohne es je richtig gesehen zu haben. Im Übrigen war die Beziehung zwischen Souta und Seraphim in Reikas Augen tatsächlich nur und zwar wirklich absolut freundschaftlich. Etwas anders verstand das Mädchen ohnehin noch nicht und es fiel ihr schwer einen Unterschied zwischen einer Liebesbeziehung und einer Freundschaft zu ziehen. Natürlich würde sich nie dasselbe zwischen Aurora und Zero abspielen, wie zwischen den Jungen, denn Reika würde das ohnehin gar nicht verstehen, wenn es auch nur annähernd in die Richtung ging, aber darum ging es nicht. Reika wollte eine Freundin, mit der sie über alles reden konnte und die sie verstand… Oder aber auch mal sich gegenseitig in den Arm nehmen, ja das war es was eine Freundschaft ausmachte. Wenn sie wüsste, dass Aurora ihr wahrscheinlich schon bei dem Gedanken an eine Umarmung den Arm brechen würde, wäre sie sicherlich schon in Tränen ausgebrochen. Doch konnte tatsächlich jemand Zero wehtun? So schwach und lächerlich sie auch war, war sie nicht irgendwie niedlich? Es war schwer sich vorzustellen, dass Aurora da nicht mitfühlen würde, denn sie war ja immer noch ein Mädchen… Naja, das lag wohl absolut in ihrer Hand…
Dass ihre Magien sich irgendwie so ähnelten, machte Reika stolz, denn das war ein weiterer guter Anhaltspunkt dafür, dass sie sicher gute Freundinnen werden würden. Zumindest bildete sie sich das ein. Oder eher sie hoffte es einfach nur… Wie auch immer! Klar war, dass es sicher unzählige Magier gab, die besser und stärker waren als Reika und das konnte sicher jeder sagen, der sie sah. Im Kampf ohne Magie war sie aufgeschmissen und allgemein im Kampf war sie meist nervös. Was sollte das nur werden? Hoffentlich würde das klappen. Aber Reika schätzte, dass Aurora ihr dafür nicht das Leben zur Hölle machen würde, wenn sie es nicht schaffte, oder? Immerhin machte sie den Eindruck, als würde sie es als ebenso gut finden, dass die beiden so ähnliche Magien hatten. Sie würden ganz sicher gute Freundinnen werden. Zero hoffte so sehr darauf!
Und da kam auch schon der Zug. Reika war noch nie mit einem Zug gefahren und war dementsprechend auch sehr gespannt darauf, was sie darin erwartete. Er machte großen Krach bei der Einfahrt, aber das war halb so wild, denn sobald er zum Stehen kam, war es vorbei. Reikas Augen strahlten dem Zug entgegen. Sofort wollte sie durch die Tür hereinrennen, als sie von den aussteigenden Leuten zur Seite geschubst wurde. Das hatte sie völlig vergessen. Wie peinlich… Naja, Aurora hatte ja sicher genug mit sich selbst zu tun. Reika hörte sofort auf das was das Mädchen gesagt hatte und stürmte vorneweg in den Zug herein und durch die Abteile. Sie schaffte durch ihr Drängeln und Schubsen viel Platz, sodass Aurora ihr einfach folgen musste. Drei Abteile war sie durchgegangen, ehe sie in einem ankam, in dem es relativ leer war. Sie hätte gar nicht gedacht, dass es so voll in Zügen war! Plötzlich erschrak sie, als der Zug anfuhr und sie sich an einer Stange festhalten musste. „Aurora-san? Hier ist genug Platz!“, schrie sie stolz über den Ort, den sie gefunden hatte. Wurde sie nun vielleicht von ihrer neuen Freundin gelobt?

Nein, wahrscheinlich würde Aurora Zero nicht gleich den Arm brechen, denn der Grund, warum die scheinbar Einäugige keine Umarmungen mochte, lag in der anderen Phobie begründet, die nicht ganz so offensichtlich zu Tage trat, wie die Angst vor zu engen Räumen: Aufgrund des Berufs ihrer Mutter und dem Umgang in alleruntersten Schichten, hatte das Mädchen eine extreme Abneigung gegen die intimeren Tätigkeiten zwischen Männern und Frauen entwickelt - und mochte deswegen alles, was darauf anspielte oder dessen Ziel eben jenes war, überhaupt nicht. Dazu gehörte eben auch inniger Körperkontakt, aber da Zero ein gleichaltes Mädchen war und Aurora ganz sicherlich nicht auf ebenjene stand, würde es da wohl weniger ein Problem geben. Sie würde eine Umarmung also höchst wahrscheinlich tolerieren, wenn auch nicht selbst herbeiführen; zudem würde sie Zero eher dieses Privileg geben, als zum Beispiel jemandem wie Yuuki, den sie zwar kannte, aber der halt eben kein kleines Mädchen war. Was sie bei anderen veranstalten würde, die hier bereits namentlich genannt worden waren? Man wollte es lieber gar nicht wissen.
Würde Aurora ihr das Leben zur Hölle machen, wenn sie bemerkte, dass Zero ohne Magie aufgeschmissen war? Nein, auch das war sehr unwahrscheinlich, sie würde zwar ein wenig in ihrer Beliebtheitsskala sinken, aber nur deswegen würde sie niemanden mobben. Äußerlich war sie doch das liebe, nette Mädchen von Nebenan, auch wenn ihr ein Auge fehlte, in dieses Image würde es wohl beim besten Willen nicht herein passen, wenn sie aufgrund von Schwäche jemanden ärgern würde, oder? Würde Zero Aurora besser kennen - wie Yuuki, sagen wir mal - dann könnte es durchaus angehen, dass die Ilia sie ein wenig triezen würde, wie sie nämlich auch manchmal auf ihrem rothaarigen Freund herumhackte, weil dieser körperlich schwächer als sie war. Dabei war das wirklich nicht schwer und sollte deswegen auch nicht negativ moniert werden, aber sie musste ihn einfach darauf hinweisen. Aurora schätzte körperliche Stärke an Herren sehr, schade, dass Yuuki die nicht besaß...
Während Zero beinahe richtig euphorisch in den Zug rannte, wartete Aurora scheinbar geduldig, bis alle Aussteigenden ausgestiegen waren, ehe sie den Stiefel vorsichtig ins Innere des Ungetüms stellte. Ihr Warten hatte vor allem den Grund, dass es die unangenehme Tat aufschob, wenn auch nur um einige Sekunden, die für sie allerdings Gold wert waren. erst einmal tief durchatmen, Mut sammeln und dann war sie drinnen. Ausatmen. Gut, so weit hatte doch alles geklappt, nun musste sie nur noch ein Abteil finden und den Rest der Fahrt überleben, ohne in Panik auszubrechen oder gar jemandem weh zu tun. Nun ja, immerhin hatte sie keine Waffe in der Hand, das machte die Sache doch tatsächlich etwas leichter, oder? Schritt für Schritt, mit konzentriertem Gesicht, folgte sie der Anderen, die sich offenbar ziemlich furios durch die Menge gedrängelt hatte - das hatte sie irgendwie gar nicht von ihr erwartet, Hut ab! Und da rief sie auch schon, sie habe ein Abteil gefunden, wenn das nicht einmal prima war...! Und es war zwar klein, wie gewöhnlich, aber immerhin leer. Gut. Sofort lief Aurora zum Fenster, riss es auf und ließ sich dann mit leicht steifen Gliedern in einen Sitz plumpsen. "Prima, Zero-san... Jetzt müssen wir nur noch die Reise überleben und dann gehts in die Wüste..." Lustig, nicht? Jeder andere hätte wohl eher Sorge, in der Wüste zu verdursten oder so, aber Aurora hatte tatsächlich mehr Angst vor dem Zug an sich... ob Zero wohl merkte, dass die zuvor zu lockere Aurora auf einmal starr und angespannt war?

Klein und niedlich zu sein, hatte schon so seine Vorteile, auch wenn Reika sich dem wohl am Wenigsten bewusst war. Man ging auf sie zu, weil sie ein strahlendes, kleines Mädchen war, vor dem man nichts zu befürchten hatte. Ja, man amüsierte sich sogar mit Reika, eben wegen ihrer kindlich naiven Art, der Unbeschwertheit und einfach ihrer Weltfremdheit. Mit ihr konnte man einfach über alle möglichen Dinge reden, ernst oder eher weniger ernst, einfach das wonach einem beliebte. Jeder tat sein Bestes, um sie zufrieden zu stellen, damit sie nicht weinen musste und manche schenkten ihr sogar Dinge oder machten ihr das Leben deutlich leichter. Die meisten duldeten den Körperkontakt zu dem zierlichen Mädchen, obwohl sie ja eigentlich fünfzehn Jahre alt war, mit der Begründung, dass sie eben ein Kind war und man ihr eh nicht irgendwelche falschen Hintergedanken zurechnen konnte. Ja, wenn Zero es sogar schaffte ein paranoides Mädchen wie Aurora irgendwie für sich zu gewinnen, wenn auch weniger als mehr, wessen Herz konnte sie dann nicht erweichen? Wer würde schon ein Kind verurteilen oder gar schlagen? Es war schon richtig, dass Reika es auf jeden Fall mit allem ihr möglichen vermeiden wollte, dass man sie als Kind bezeichnete, aber wenn sie sich dem nur ansatzweise bewusst und auch dazu in der Lage gewesen wäre, hätte sie es wahrscheinlich locker für sich selbst nutzen können. Zu dumm war sie dafür definitiv nicht, aber sie war einfach zu unschuldig, um auch nur darauf zu kommen andere Menschen für ihren eigenen Zweck auszunutzen. So war sie eben, niedlich und naiv…
Wo wir doch grade bei Auroras Auge waren… Jetzt wo Zero so langsam zur Ruhe kam und endlich etwas weniger nervös war, fiel ihr erst ins Auge, dass Aurora eben nur ein Auge hatte. Ob sie wohl mal einen Unfall hatte und ihr dieses Auge fehlte? Ohje, es ist eine ziemliche Einschränkung einäugig durchs Leben zu gehen. Viele können es sich gar nicht vorstellen, aber das behindert einen im Alltag schon auffällig. Einschätzen von Entfernungen ist zum Beispiel ein großes Manko… Vielleicht war ihr Auge aber auch einfach momentan verletzt oder besonders empfindlich. Man musste ja nicht immer vom schlimmsten Fall ausgehen. Oder aber es hatte etwas mit einer speziellen Magie zu tun? Also mit der genannten sicher nicht, aber seitdem Reika die Kräfte von anderen Magiern, wie zum Beispiel Seraphim, gesehen hatte, konnte sie sich unfassbar viele Arten von Magien vorstellen. Immer noch war sie neidisch auf seine Fähigkeiten… Sie konnte nur Leuten wehtun und er konnte heilen! Dabei wollte sie doch Menschen helfen! Das Leben war manchmal ungerecht, aber sie war sich sicher, dass er ein guter Kerl war und den anderen ganz sicher half… Sicher …
Von Auroras Panik und Gewaltbereitschaft, natürlich unbewusst, ahnte Zero natürlich nichts. Für sie war das Mädchen viel zu süß und eine richtige Freundin, die ganz sicher keinem wehtat. Und wie sollte man auch darauf kommen, dass jemand Angst vor Zügen oder engen Räumen hatte? Das stand nun wirklich keinem auf der Stirn. Zero merkte zwar, dass die Ilia langsamer hinterher kam, aber sie schätzte, dass diese einfach weniger hastig vorging und andere Leute vorbeilaufen ließ, oder so. Dennoch blickte sie sich hin und wieder um, um zu schauen, ob ihre Begleiterin überhaupt noch nachkam. Das Lob freute Reika richtig. Zwar war sie nicht auf Anerkennung aus, aber wenn es eine potentielle Freundin tat, dann füllte das die zierliche Brust schon mit Stolz. Dass mit dem „die Reise überleben“ bekam sie gar nicht so wirklich mit, denn sie starrte glücklich aus dem Zugfenster, während dieser sich in Bewegung setzte. Wieder woanders hin… Ja, jeder hätte wohl Panik vor der Wüste, Zero aber freute sich richtig darauf… Dass die Ilia angespannter war, fiel Reika aber tatsächlich ins Auge. Allerdings vermutete sie, wie ähnlich bei sich selbst, eine gewisse Aufregung und Nervosität wegen der Wüste und so. Außerdem war das ja irgendwie eine besondere Quest, deswegen war es nicht weiter schlimm aufgeregt zu sein. Sie bemerkte das nicht vor Aurora, denn vielleicht würde sie ihr damit ja zu nahe treten. Stattdessen beschäftigte Zero sich über die Zugfahrt mit sich selbst. Naschte ein paar Süßigkeiten, nahm hin und wieder einen Schluck Wasser und begann fröhliche Lieder zu summen. Manchmal mochte man ihr wirklich Wasser über den Kopf kippen um zu sehen, ob sie aus Zucker war… Nach einer Weile kündigte eine Ansage an, dass sie sich dem Wüstengebiet näherten. Da Reika allerdings nicht wusste wann genau sie aussteigen mussten, folgte sie einfach mit dem Blick Aurora, wann die verkündete, dass sie soweit waren. Immer wenn ihre Blicke sich trafen, schmunzelte Reika leicht und begann dann auch irgendwann die richtigen Klamotten für die Wüste auszupacken. Sie war gut vorbereitet, eigentlich konnte es nun endlich losgehen!

TBC: ?

Während Yuuki gar nicht geschlafen hatte, hatte Aurora eine der erholsamsten und ruhigsten Nächte ihres Lebens hinter sich. Sie war früh zu Bett gegangen, um den Schlafmangel der letzten Woche wieder auszugleichen und hatte durchgeschlafen - wie ein Stein. Zugegebenerweise wie ein Stein, der mit Wohlwollen von Gemetzeln träumte, aber dennoch ziemlich tief. Aufgewacht war sie erst mit dem Klingeln ihres Weckers, das durch die Leere ihres Dachbodens geschallt hatte. Ausgeschlafen und aufgeräumt hatten sich die verschieden farbigen Augen geöffnet, sie war aus dem Bett gesprungen und hatte sich erst einmal ein ausgiebiges Frühstück gegönnt. Auch wenn das Mädchen eher zu den schlankeren und zierlicheren Vertretern seiner Gattung gehörte, dann bestimmt nicht, weil sie sich weigerte, viel zu essen, es war mehr die Tatsache, dass sie sich bewegte wie kaum ein anderer. Aurora war nicht deswegen als stark verschrien, weil sie eine gefährliche und besondere Magie beherrschte, sie war schlichtweg stark. Körperlich stark. Sie trainierte inzwischen nicht mehr nur mit den Wachen der Stadt, sondern hatte ihr Training wohlweißlich zu großen Teilen in den Wals verlegt, wo sie nicht nur Dinge kaputt machen konnte, ohne dass man es gleich bemerkte, sondern wo sie auch vor den meisten Blicken geschützt war. Denn ob man es glaubte oder nicht, sie legte es nicht besonders drauf an, dass die ganze Welt wusste, dass sie Bäume ausreißen konnte. Es war doch viel subtiler, wenn sie diese Trumpfkarte nutzen konnte, wenn es drauf ankam. Beispielsweise, wenn sie ihre Gilde stürzen würde. das kam doch viel besser und vor allem mal viel überraschender, nicht wahr? Zufrieden mampfe sie in Seelenruhe ihr Müsli, das sie mit einigen Stücken kandierter Ananas versüßt hatte, während sie auf dem Teppich in ihrer Wohnung lag und an die Decke starrte. Sechzehn Jahre war sie bereits alt, sechzehn Jahre weilte sie auf dieser Erde - das kam ihr ziemlich lang vor, auch wenn sie natürlich wusste, dass es deutlich ältere Menschen gab, die sie nur als Welpen ansehen würden. Sie schluckte den letzten Bissen hinunter und streckte sich. Irgendwie war sie zu faul, um aufzustehen, wollte noch ein wenig in ihrem kurzen Nachthemd daliegen bleiben und nichts tun, doch sie wusste, dass die Zeit des Faulenzens vorbei war. Nicht nur war sie ein wenig knapp bei Kasse, auch war ihre letzte Mission, die sie in die Wüste geführt hatte, schon eine ganze Weile her. Das bedeutete, dass sie sich würde aufschwingen müssen und ihre Schritte zum Gildenhaus würde lenken müssen... aww! Unmotiviert stand sie auf, spülte ihre Schüssel ab - wobei sie sich viel Zeit ließ - stellte sie ebenso langsam in den Schrank, säuberte mit akribischer Genauigkeit ihren Löffel und als sie keine Zeit mehr damit totschlagen konnte, jede noch so feine Verunreinigung wegzupolieren, gähnte sie theatralisch. Streckte sich und voilà: Schon stand sie in ihrer Arbeitskleidung da, das beinahe durchsichtige Nachthemd war durch eine lange, dunkelblaue Jacke ersetzt worden, die nicht nur hoch schloss, sondern ihren Bauch zur Abwechslung mal bedeckte, einen kurzen gleichfarbigen Rock, lange, durchsichtige Strümpfe, die erst über ihrem Knie endeten und hohen, ebenso dunkelblau-grauen Stiefeln, die um ihre Waden gewickelt schienen und an der Krempe mit jeweils einem silbernen Totenkopf verziert waren. Auch ihr rechtes Auge lag nun nicht mehr frei, sondern wurde von einer schwarzen, ledernen Augenklappe mit aufgearbeitetem metallenen Totenkopf geschützt. So ausstaffiert hüpfte sie die lange, metallene Außentreppe ihrer "Wohnung" herunter und spazierte langsam in Richtung Lamia Scale Gildenhaus davon.

Dort angekommen blickte sie sich wieder besser gelaunt um, ob sich vielleicht ein paar bekannte Gesichter blicken ließen. Zwar könnte es auch Zero sein, aber durchaus mehr würde sie sich über die Anwesenheit ihres besten Freundes freuen, doch dessen Rotschopf war nirgends zu sehen. Mh... gefrühstückt hatte sie schon, das musste sie hier also nicht nachholen, dann würde sie sich mal die zur Verfügung stehenden Quests antun. Hoffentlich war etwas spannendes dabei! Alle Aufträge, die sie in die Wüste führten, wurden ignoriert, sodass am Ende nicht viel spannendes übrig blieb. Ach Manno, musste sie tatsächlich den Tag damit verschwenden, für wenig Geld langweilige Sachen zu machen? So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Seufzend fasste sie sich an den Kopf und liebäugelte mit der einzigen einigermaßen annehmbaren Aufgabe, die sie aber unterfordern würde. Meh... und schon war jegliche Motivation wieder hin und weg.

Was hatte Gale wohl so Wichtiges mit Yuuki besprochen, dass sie sich dafür extra in dessen Büro zurückgezogen hatten? Und warum war der Grynder nun in Besitz gerade jenes Zettels, welcher vor kaum einer halben Stunde von niemand weniger als einem persönlichen Boten des magischen Rates von Fiore überbracht worden war. Das und viel mehr fragten sich wohl viele in der Gilde, die in eben jenem Augenblick in der Nähe gewesen waren und deshalb genug Einzelheiten gesehen hatten. Dennoch trauten sie sich nicht, den Rotschopf persönlich nach dieser Information zu fragen. Durchaus verständlich, einerseits ging es einfach niemanden an, mit was Gale Yuuki aufgetragen hatte, andererseits hatte ja wohl jeder selbst genug zu tun, als dass man sich durch ein wenig Detektivarbeit ablenken lassen wollte. Darauf würden nur die ganz Dummen oder Neugierigen zurückgreifen, die sich einfach nicht halten konnten. Auf jeden Fall konnte es der junge Mann selbst noch nicht glauben, was er da, vor kaum einigen Minuten erfahren hatte ...

Nachdem er durch die schwarze und schwere Tür getreten war, begann er sich sofort umzuschauen. Natürlich war er bisher nur eins oder zwei Mal hier gewesen, da es sich hierbei um den Bereich der Ace handelte, den S-Rang Magiern von Lamia Scale, und dieser war nur ihnen zugänglich. Das erste Mal hatte er sich hier befunden, als er sich mit kaum sieben Jahren in der Gilde angemeldet hatte. Das zweite Mal war einige Jahre später, als Gale mit ihm über Ryos Verschwinden hatte reden wollen. Anscheinend war der große und breite Mann eine der wenigen Personen gewesen, welchen Ryo durch und durch vertraut hatte. Doch sie verblieben nicht lange in diesem Bereich und die Zeit reichte auch nicht für viel mehr aus, als einen Ace zu erblicken, ehe sie schon in Gales Büro angelangt waren. Wie gewohnt nahm die Autorität in Person in seinem edlen und großen Stuhl hinter seinem Schreibtisch Platz, während sich Yuuki auf einen der gewöhnlichen Sessel setzte. Unglaublich, selbst sitzend, strahlte der Meister eine Aura von unglaublicher Stärke aus. Bestimmt hatte er dadurch schon einige Kämpfe beendet oder gar ganz vermieden. Aber der Erwachsene hatte ihn keineswegs hierher zitiert, um sich bewundern zu lassen, es gab ein viel ernsteres Anliegen zu besprechen. Was der Jüngste der Grynder hier nun erfuhr, ließ ihn im wortwörtlichen Sinne baff werden und so war es auch ziemlich verständlich, dass sich ein ungläubiger Ausdruck auf seinem Gesicht bildete und ihm der Mund leicht aufklappte. Denn Gale hatte es tatsächlich geschafft, an Informationen über seinen älteren Bruder zu kommen! Wie er dies bewerkstelligt hatte, konnte er nicht wissen, viel weniger konnte er es sich überhaupt nur vorstellen. Doch er sagte, dass er sie hätte und Yuuki glaubte ihm sofort. Für gewöhnlich war der Andere nämlich niemand, der einfach Lügen erzählte. Leider gab es nun ein kleines Problem, mit welchem der junge Mann nicht wirklich gerechnet hatte. Eigentlich war es ja zu erwarten gewesen, dass ihm der Meister freudig die Informationen über seinen älteren Bruder in die Hand drückte und ihm viel Glück bei der Suche wünschte. Das Problem war, dass sich Gale um Yuuki sorgte und er deshalb erst ein Mal mit eigenen Augen sehen wollte, ob der Kleinere überhaupt in der Lage war, sich den großen Gefahren zu stellen, die ihm bei der Suche nach dem älteren Grynder begegnen würden. Egal wie egoistisch Yuuki ihn in diesem Augenblick fand und egal, wie sehr er bettelte und flehte, Gale ließ sich nicht erweichen und im Nachhinein betrachtet, fand sogar er, dass der Andere recht hatte. Stattdessen durfte er sich nun sozusagen einer kleinen Prüfung stellen, die zeigen würde, ob er bereit für sein wohl größtes Abenteuer war. Und diese Aufgabe bekam er nun in Form eines Zettels überreicht, der genauso aussah wie der, welcher ihm von dem Boten überreicht worden war. Wissbegierig schnappte sich der junge Mann den Zettel und begann diesen sofort zu studieren. Den zweiten Zettel, den er mitgereicht bekam, verstaute er sich in einer seiner Hosentaschen. Er musste diese Aufgabe möglichst kompetent, schnell und zufriedenstellend erledigen, denn nur dann würde er seine so sehr begehrten Informationen erhalten ...

Und aus diesem Grund benötige ich jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Es handelte sich hierbei schließlich um einen der wichtigsten Aufträge in seinem ganzen Leben, und den durfte er einfach nicht verlassen. Dass es auch noch eine der Schwersten werden würde, konnte er ja nicht mal ahnen. Deshalb würde er auch nicht jede x-beliebige Person nach Hilfe fragen, nein, es kam nur eine Einzige in Sinn. Und dann erblickte er sie endlich, die Person, nach welcher er gesucht hatte und der er im Moment mehr vertraute, als jedem anderen. Kurz gesagt, die Person, welche die höchste Stellung bei Yuuki inne hatte: Seine beste Freundin Aurora Ilia. Schnell ging er zu dem Mädchen, nein, inzwischen der jungen Frau, da auch sie genau wie alle anderen gealtert war und sich somit dem Erwachsensein näherte. Er selbst hatte immerhin nur noch ein einziges Jahr vor sich, ehe er diesen Status erreichte. Gelinde amüsiert beobachtete er sie dabei, wie sie nicht gerade mit bester Laune und Motivation das Questboard betrachtete und wurde von einem Déjà-vu überkommen. Genauso hatte er sich selbst vor etwa zwanzig Minuten gefühlt, als dann aber das Schicksal gekommen war und seiner Zukunft einen bedeutsamen Ruck gegeben hatte. "Hey Aurora.", sagte er, während er zu ihr trat. "Du wirst hier nichts finden, heute gibt es echt keine gute Auswahl. Aber ich bräuchte deine Hilfe, und zwar bei dem hier. Von Meister Gale persönlich.", merkte er noch an. Und damit drückte er ihr den so wichtigen Zettel in die Hand, auf dem alles stand, was sie wissen musste. Vor einigen Stunden war ein Luftschiff auf einer bis dato unbekannten Insel im Meer Fiores abgestürzt. Es waren Passagiere an Bord und es hatten mindestens ein Dutzend überlebt, die nun auf Rettung warteten. Da jede Sekunde kostbar war, hatte die Regierung sofort gehandelt und Eilboten zu allen kompetenten Gilden geschickt und diesen Auftrag ausgegeben. Und niemand Geringeres als Yuuki Grynder hatte sich dessen angenommen. "Und, bist du dabei?" Ob es wohl interessant genug für Aurora war? Auf jeden Fall war es besser, als jede andere Quest, die heute am Queastboard hang, das konnte er aber wirklich garantieren.

Aurora Ilia war eine wandelnde Falle. So wie eine Mausefalle mit verführerisch duftendem Käse der Tod einer Feinschmeckermaus sein konnte, so konnte das Mädchen mit dem durchtrainierten, aber dennoch schlanken Körper und der Kleidung, die tendenziell eher weniger davon versteckte, ein Abenteuer ohne Wiederkehr für Aufreißer oder sonstige Weiberhelden sein. Auch wenn sie noch so offen mit dem Körper umging, der in letzter Zeit von Mutter Natur um einiges schöner geformt worden war, reagierte sie nach wie vor allergisch darauf, wenn man in der falschen Weise darauf einging. Am besten man sagte gar nichts dazu, denn auch wenn sich die Sache mit ihrer Claustrophobie in den letzten Monaten schon deutlich gebessert hatte, so blieb die andere Angst mehr als erhalten. Sicherlich hatte sich schon manches männliche Mitglied der Gilde gefragt, was man mit der einäugigen Amazone alles anstellen könnte - aber diese Menschen sollten froh sein, dass sich ihre Fähigkeiten nicht auf das Lesen von Gedanken ausweiteten, denn allein der Gedanke an solche Dinge in Verbindung mit ihr wäre dem Mädchen Grund genug gewesen, sie alle in den Boden zu stampfen. Insofern hatte sich der Kontrast zwischen ihren Abneigungen und ihrem gelebten Äußeren sicherlich noch verschlimmert, aber damit hatte eben die Person, die die Rettung ihrer Motivation verhieß, kaum ein Problem. Yuuki Grynder war schon seit Jahren einer der besten Freunde Auroras und daher auch jemand, der ihr Nahe sein konnte, ohne gleich Schläge einstecken zu müssen. Und man darf mit Fug und Recht behaupten, dass diese Schläge es in sich hatten! Also lebte das Rothaar wahrscheinlich in ihrer Gegenwart sicherer als der Rest der Gilde zusammen, denn sie ärgerte ihn zwar gerne und regelmäßig, aber man merkte dem allen an, dass es nur freundschaftlich gemeint war. "Aloha Yuuki-kun!", begrüßte sie den Anderen und drehte sich um. Mpf! Warum eigentlich trug sie diese Schuhe, wenn dann doch alle noch größer als sie waren - wobei sie mit Genugtuung feststellte, dass es nicht mehr besonders viel Abstand zwischen ihren Köpfen war, auch wenn das wohl tatsächlich vor allem den Absätzen zu verdanken war. Es war so albern, dass in einem so zierlichen Körper so viel pure Muskelmasse und Kraft steckte, so ironisch, dass es ihr jedes Mal wieder gegen den Strich ging. Aber darum ging es hier nicht, da der Ältere offenbar eine Quest an Land gezogen hatte, die laut seiner eigenen Aussage deutlich interessanter als der schäbige Rest hier war. Mit interessiertem Blick nahm sie den Bogen entgegen und ließ ihr Auge über die Zeilen wandern. Einsame Insel? Rettungsaktion? Das klang eher nach Abenteuer als diese albernen Lieferaufträge...! "Mhh...", sie nickte, "Das hört sich in jedem Falle mehr nach Spannung an als der Rest. Und wenn es vom Meister ist, dann wohl erst recht!" Warum sie das so formulierte? Man erwartete diese Antwort doch sicherlich von jedem guten Lamia Scale Mitglied, oder? Auch wenn es Aurora eigentlich vollkommen piep war, ob die Quest von Gale oder vom Weihnachtsmann kam, sie wollte wenigstens den Eindruck erwecken, als würde sie diese Tatsache verpflichten. Eher war es noch ein Argument, dass Yuuki dieses Ding wohl gerne erledigen wollte, als dass der Gildenleiter - den sie ja schließlich stürzen wollte - seinen Senf dazu abgegeben hatte.

In der Tat, mochte es eine glückliche Fügung vom Schicksal oder einfach nur purer Zufall sein, Yuuki wusste es nicht. Auf jeden Fall stand eine Sache wirklich fest, gerade durch seinen speziellen, emotionalen Zustand, hatte er kein wirkliches Interesse an Frauen. Warum, konnte man sich ja denken, das musste nicht weiter erörtert. Gesagt sei nur, dass sich der Grund hierfür in dem silbernen Medaillon befand, welches der junge Mann stets mit sich herumtrug. Auf jeden Fall hatte er kein Interesse an Frauen und somit auch keines an Aurora in dieser Hinsicht, sonst hätte er sich von ihr bestimmt noch die eine oder andere schallende Ohrfeige eingefangen. Und der Grynder wusste ziemlich gut, dass bei der jungen Frau das Sprichwort – "Stille Wasser sind tief" – mehr als nur zutraf. Wahrscheinlich war sogar, dass sie körperlich stärker war, als die meisten anderen hier in der Gilde. Und auch die Ilia schien Glück zu haben, dass es sich bei ihrem Partner um den Rotschopf handelte. Kein Wunder, denn jeder andere junge oder ältere Magier an seiner Stelle, hätte bestimmt ganz schön bei Auroras Outfit gegafft. Schlimmer noch, sie hätten gewiss nicht die Augen davon abwenden können, sodass es die Frau irgendwann gemerkt hätte, und dann wäre es abgegangen. Der Magnetismusmagier war sich nicht sicher, wie viele Verwarnungen es aufgrund von tätlichem Angriff auf Gildenmitglieder nötig waren, um von der Gilde verwiesen zu werden. Doch so wie es um seine beste Freundin stand, wäre dies mit einer anderen Person früher oder später passiert. Beispielsweise mit jemandem wie Souta, einem weiteren Freund von Yuuki, der in Lamia Scale tätig war. Er war das komplette Gegenteil von ihm, Frauen waren bei dem anderen Rotschopf an erster Stelle. Tja, das Schicksal hatte es also schon passend entschieden, wie die Leute zusammengewürfelt worden waren.
Wie der Grynder es aber teils erwartet und teils wiederum lediglich gehofft hatte, war Aurora dafür, sich seiner Quest anzunehmen. Ob er ihr aber von den wahren Gründen erzählen konnte und sollte, die ihn in diesem Falle antrieben? Langsam schaute er sich in der Gilde um und bemerkte einige Gildenkollegen, die dann und wann unauffällig zu ihnen herüberschauten. Gewiss wollten sie unbedingt erfahren, was es mit dieser Sache auf sich hatte und hofften vielleicht, etwas zu erhaschen, wenn Yuuki mit einer Person sprach, welcher er vertraute. Aus diesem Grund entschied er sich dagegen, der falschen Einäugigen von Ryo und den Informationen zu erzählen, die ihm Gale nach dem Erfolg dieses Auftrags überreichen würde. Dennoch sollte er ihr wenigstens fürs Erste klar machen, wie viel ihm wirklich an diesem Fall lag und wenn es auch nur ein Happen wäre, der sie befriedigen würde, bis er schließlich mit der gesamten Geschichte rausrückte. Er beugte sich etwas vor und begann zu flüstern, sodass nur sie seine leise Stimmen vernehmen mochte. Egal wie wenig es war, er wollte einfach nicht, dass jemand anderes von der Sache erfuhr. "Du musst wissen, dieser Auftrag ist sehr, sehr wichtig für mich." Hierbei betonte er das Wörtchen "sehr" ziemlich nachdrücklich, um dessen Wichtigkeit klarzustellen. "Ich kann es dir hier zwar noch nicht erklären, da für meinen Geschmack zu viele lauschende Geier anwesend sind, aber wenn wir etwas Abgeschiedenheit finden und es ruhiger ist, werde ich dich über alles aufklären." So, das war es auch schon. Der junge Mann war sich auch dessen bewusst, dass Aurora nicht zu packen brauchte, immerhin hatte sie ihre nützliche Taschendimension, aus welcher sie einfach Sachen beschwören konnte. Irgendwann würde er sich mit ihr zusammensetzen und an der Erfindung einer Taschendimension für ihn tüfteln, aus welcher er jeglich gelagertes Essen beschwören konnte, nach dem es ihm in diesem Moment beliebte. Doch für diese Art von Luxus und Zeitvertreib hatte er an dem heutigen Tage keine Zeit, weshalb er diesen Gedanken schnellstmöglich wieder verscheuchte. Und da auch er alles mit sich führte, was er benötigte, konnte es ja los gehen. "Dann mal los.", teilte er ihr mit und machte sich eiligen Schrittes in Richtung Ausgang der Gilde. Sollte man den jungen Mann schon länger kennen, so würde man ganz leicht erkennen, dass da mehr im Busch war, als man auf den ersten Blick denken konnte. Seine sonst eher gemächliche Gangart war wie vom Erdboden verschluckt und durch eine angespanntere ersetzt worden. Ja zielstrebiger mochte man beinahe meinen.
In Gedanken ging er nochmals seine gesamte Ausrüstung durch, um auch ja sicher zu sein, alles was er benötigte, bei sich zu haben. Bei dieser wichtigen Mission musste er auf alles vorbereitet sein, er durfte einfach nicht versagen. Seine übliche Ausrüstung, das kleine Medikit, die Rationsriegel, Trinkflaschen und weitere nützliche Dinge befanden sich immer in seiner Reisetasche. Und diese kontrollierte er immer abends, sodass er es getrost auslassen konnte. Vielmehr tastete er nach seinem metallenen Bo, der in kleiner Form an seinem Gürtel ruhte und dem Set Dolche, welches er gut versteckt unter seine Jacke mit sich herumführte. Mithilfe seiner Kräfte fungierten sie als ziemlich wirkungsvolle Wurfgeschosse, dessen Bahn er auch noch kontrollieren konnte. Egal ob nach vorne oder zurück, nach oben oder unten, es war alles möglich. Da er die Gute seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte – genau genommen nach seinem katastrophalen Absturz auf seinem Geburtstag die vergangene Woche (und an den, wollte er nun wirklich nicht erinnert werden ) – war es mal wieder an der Zeit, etwas Konversation zu führen. "Was hast du denn so die vergangene Woche getrieben?" Ob es aber der Ilia auffiel, dass sie nicht den gewöhnlichen Weg zum Bahnhof einschlugen? Und was hatte es mit diesem zweiten, mysteriösen Zettel auf sich, den der Rotschopf von Meister Gale erhalten hatte?

Wenn man davon redete, dass es sich bei Yuuki um einen Freund Auroras handelte, musste man im Vorhinein einige Dinge klar stellen, so zum Beispiel, dass das Mädchen nicht besonders viele davon hatte und das auch so haben wollte. Sie war ein Einzelkämpfer und hatte diesen Pfad, glaubte sie zumindest, selbst gewählt, zu viele Freunde halfen ihr dabei eben nicht. Ebenfalls sollte man wissen, dass auch Auroras Freundschaft nicht bedeutete, dass man sicher vor ihr war, denn für gewisse Dinge würde sie sicherlich auch Yuuki umbringen, zum Glück war diese Hemmschwelle jedoch deutlich höher als bei anderen Menschen angesiedelt. Diese wiederum würde sie sicherlich nicht einfach umbringen, wenn ihr der Sinn danach stand, denn das wäre ihrer Maskerade sehr hinderlich. Sie versuchte sich stets zurückzuhalten und selbst wenn es ihr noch so in den Fingern juckte, drohte sie erst und verlieh dem Glaubwürdigkeit, indem sie beispielsweise wie nebenbei das Besteckstück in ihrer Hand komplett deformierte. Erst, wenn jede Sicherung durchbrannte, schlug sie zu - damit war das Problem meist aber auch erledigt. Wirklich Ärger mit der Gildenobrigkeit hatte sie deswegen aber selten gehabt, da sie es immer so hinstellen konnte, dass sie nicht Schuld war und dass man sie belästigt habe - was ja auch im Grunde genommen stimmte. So bekamen die Anderen immer den Ärger, was ihr zusätzliche Freude bereitete, dennoch waren sie selber Schuld - mann sollte eben nicht alles angraben, was Brüste besaß! Welch ein Glück, dass Yuuki nicht so war, auch wenn sie zumindest ahnte, wo das seine Ursprünge hatte und sie wusste, dass das eher ein trauriger Grund, denn einer war, welcher Frohsinn verbreitete. Trotzdem wusste sie es zu schätzen, würde sie aber alles nicht davon abhalten, den rothaarigen Jungen auf Befehl ihres Vaters umzulegen. Dennoch: Wenn ihm diese Quest wichtig war, dann war das ein Grund, sich alle verfügbare Mühe zu geben, was bedeutete, dass man eine ziemlich gute Unterstützung an seiner Seite hatte. Vor allem bei jemandem wie Yuuki, der im Nahkampf zwar schon besser geworden war, aber dessen direkte Fähigkeiten an jeglichen Waffen doch eher zu wünschen übrig ließen. Auch sie musste mal wieder an ihrem Fingerspitzengfühl arbeiten, denn das ging ziemlich verloren, wenn man die ganze Zeit an der Grobmotorik feilte. Sie ergänzten sich ziemlich gut, der Junge und sie, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, dass er sie mitnehmen wollte. "Wenn du es nicht erzählen willst, dann lass es.", meinte sie schulterzuckend, "Ich muss das auch gar nicht wissen. Reicht schon, wenn‘s dir wichtig ist." Dass es ihm allerdings wirklich sehr, sehr und noch einmal sehr (wie hätte man es denn noch mehr betonen können?) wichtig war, merkte man schon daran, wie schnell er sich dem Gildenausgang näherte. Na klar, es ging darum, eben erst verunglückte Menschen zu retten, aber das alleine war für den sonst eher gemütlichen jungen Mann sicherlich kein Grund, auf einmal seine Verhaltensweisen über den Haufen zu werfen, oder? Musste wohl wirklich von wahnsinniger Brisanz sein, anders war das nur schwerlich zu erklären. Erneut zuckte das Mädchen mit den Schultern, schüttelte lächelnd den Kopf und spazierte dann hinter ihm her. Er mochte schnell gehen, aber sie war natürlich rein theoretisch schneller… aber das musste man ja auch nicht so raushängen lassen, oder? Als sie ihn eingeholt hatte und locker neben ihm ausschritt, fragte er sie auf einmal nach den Ereignissen letzter Woche. Schwierig, da würde sie wohl lügen müssen. Den einen Tag hatte sie nämlich endlich mal wieder in Begleitung ihres Vaters beim Training verbracht, der ihr eine andere Art der Magie nahe gelegt hatte. Da sie selbst bereits ein Auge (Haha, der Brüller!) darauf geworfen hatte, hatte sie das so hingenommen und würde sich in nächster Zeit damit auseinander setzen. Ansonsten war da natürlich noch die Geburtstagsfeier von Yuuki selbst, das war… nun ja, sie hatte sie dann irgendwann verlassen, weil es ihr zu dumm wurde, schon alleine wegen dieser blöden Kerle, die sich als Freunde von Yuukis älterem und offenbar verschollenen Bruder herausgestellt hatten. "Nicht viel. Ich hab mich ein wenig mit einer anderen Magie auseinander gesetzt, aber ist nicht viel bei rum gekommen. Und du? Schon komplett ausgenüchtert?" Sie merkte übrigens, dass sie in eine ungewöhnliche Richtung gingen, aber da vertraute sie dem Rothaar einfach mal.

Stirnrunzelnd schaute er zu Aurora rüber, während er sich fragte, ob sie ihn möglicherweise doch falsch verstanden hatte. Keinesfalls wollte er ihr überhaupt nicht erzählen, was ihn beschäftigte und ihn so sehr antrieb, er stand einfach auf ein bisschen Privatsphäre. Immerhin wollte er nicht, dass die ganze Welt über sein Leben und seine Probleme Bescheid wusste, da sowieso der Großteil davon dachte, dass es ihm wirklich verdammt gut ginge. Was für eine Naivität, so etwas wie ein sorgenfreies Leben gibt es heutzutage nicht mehr, dachte er sich traurig. Lediglich jemand, dem all seine Wünsche von den Lippen abgelesen wurden und der nichts von den Problemen der Welt mitbekam, könnte solch ein Level der Freiheit erreichen, doch selbst diese Person würde gewiss das eine oder andere zu bemängeln haben. Auf jeden Fall war die Sache ungefähr mit ihrem versteckten Auge vergleichbar, über dass auch so gut wie niemand Bescheid wusste. Seines Wissens nach, war er die einzige Person in seinem Bekanntenkreis und in der Gilde, der darüber Bescheid wusste. Woher er die Information mit solcher Sicherheit nahm? Nun ja, ganz leicht, schließlich hatte er bereits vom Hörensagen mitbekommen, dass viele dachten, dass das Mädchen wirklich einäugig war. Dabei waren Dinge wie "Schade, dabei hatte sie doch so viel Potenzial gehabt." und "Irgendwie gibt es ihr aber eine exotische Erscheinung." gefallen, wobei Yuuki ziemlich erleichtert war, dass Aurora diese nicht mitbekommen hatte. Wer konnte schon sagen, wie das Mädchen auf solche Aussagen reagiert hätte. Automatisch beförderte der junge Mann seine linke Hand an dem Kopf und fuhr sich durch die Haare. Sollte er jetzt klären, dass sie ihn womöglich falsch verstanden hatte? Oder sollte er es ihr später einfach sagen? Er entschied sich einfach für einen Mittelweg, der ihm am wenigsten problematisch schien. "Doch, klar will ich es dir erzählen. Nur später halt.", fügte er noch schulterzuckend hinzu.
Als die Ilia aber schließlich das Thema Geburtstag auf den Tisch legte, bereute er es wieder, das Gespräch überhaupt angefangen zu haben. Sein vermaledeiter, 17. Geburtstag ... Irgendwie lag es doch auf der Hand, dass sie diesen verhängnisvollen Tag ansprach. Es hatte eigentlich alles ganz gut begonnen, er hatte eine Feier im kleinen Kreis geplant und nur wenige Leute eingeladen. Dazu hatte er einen Tisch in einer Bar reserviert, um ein bisschen in mit seinen wenigen Freunden zu trinken und sich gemütlich zu unterhalten. Dann waren ihm jedoch alte Freunde von seinem Bruder über den Weg gelaufen, die von seinem Geburtstag wussten und so nahm das Übel seinen Lauf. Ein Maß Bier nach dem anderen wurde ihm aufgedrängt, und je mehr er davon trank, desto mehr veränderte er sich. Und desto mehr wollte er leider. Dabei machte er auch alle Phasen des Trinkens durch, erst war er fröhlich, dann lachte er, schließlich wurde er melancholisch und ganz am Ende lag er in der Ecke und brabbelte nur noch Mist. Das an sich wäre ja nicht so schlimm gewesen, wären ihm dabei nicht immer wieder Zigaretten und Zigarren aufgedrängt worden. Das alles kombiniert wurde ihm letztendlich zu viel, sodass er sich unwürdevoll übergeben musste, was dazu führte, dass er seit diesem Tage Hausverbot hatte. Die Tage danach waren aber mit am schlimmsten. Den ersten Tag verließ er sein Zimmer im Gildenquartier aber überhaupt nicht und lag nur im Bett herum, während er nur Tee süffelte. Jedes Mal, wenn er aufstand, wurde ihm übel und starke Kopfschmerzen machten sich bemerkbar. Am zweiten Tag ging es ihm zwar schon besser, doch blieb er immer noch in seinem Zimmer eingesperrt. Er hatte nur noch leichte Kopfschmerzen und konnte zum Glück wieder etwas zu sich nehmen, auch wenn es nur eine Miniportion war. Erst am dritten Tag vermochte er sein Quartier verlassen. "Muss ja.", antwortete er etwaa peinlich gerührt. "Auch wenn ich erst am dritten Tag wirklich so weit war.", fügte er noch etwas genuschelt hinzu. Gott war ihm das peinlich. Der Rotschopf würde nie wieder Alkohol oder Zigaretten anrühren. Mittlerweile wurde ihm allein schon vom Geruch enorm schlecht, sodass ihn das altbekannte Übelkeitsgefühl überkam. Aber was ihn viel mehr interessiert – und auf was er das Gespräch unter allen Umständen konzentrieren wollte – war ihre neue Magie. Davon hörte er heute zum ersten Mal. Er selbst wollte sich für die nächste Zeit noch auf seinen Magnetismus konzentrieren, er befand sich nämlich immer noch bei den Grundzügen der Magie. Erst wenn er diese wirklich gemeistert und perfektioniert hatte, würde er sein Augenmerk auf eine weitere und vor allem ergänzende Magie richten. "Was für eine neue Magie hast du denn angepeilt?" Yuuki wettete so ziemlich viel dafür, dass es sich um eine Nahkampfmagie handelte. Wenn überhaupt, kam lediglich so etwas bei der Powerfrau infrage. Ihr Weg führte sie übrigens in Richtung Stadtmitte, wobei der Rotschopf auf das größte Gebäude der Stadt hielt. Was sich dort befand, würde ihnen ihre Reise wirklich versüßen. Weiterhin würden sie ziemlich schnell da sein, mal schauen, was Aurora davon halten würde. Dort hätten sie dann auch die Ruhe, um all die wichtigen Sachen zu besprechen.