Seraphim zu fragen, ob er den Weg wusste, hatte denselben Charme, wie einen Kartografen zu fragen, ob er sich mit der Gegend auskenne. Tatsächlich gehörte er nämlich zu den Menschen, die nicht nur einen guten Orientierungssinn besaßen, sondern die sich auch noch in einer breiten Mehrzahl der Städte Fiores auskannten. Diese Tatsache gab er auch gerne zum Besten, dafür allerdings eher weniger, was der Grund dafür war. Andere Leute reisten vielleicht gerne, weil sie sich Sehenswürdigkeiten anguckten, doch obwohl Seraphim öfter ins Theater ging und das natürlich als Auslöser anführen könnte, so war das wohl kaum eine Erklärung für detailliertes Wissen über kleine Nebenstraßen, Abkürzungen und besonders schöne Plätze... denn eigentlich hatte Seraphim sich seine inneren Karten eher erschlafen, denn erarbeitet. Es entsprach nun einmal der Realität, dass er in jeder der größeren Städte bereits mindestens eine Liebelei verbrochen hatte, sodass er sich seine Karten aus den Wohnorten und Umgebungen dieser Personen zusammen stückelte. Das war eine sowohl effektive, als auch angenehme Art, die Gegend kennen zu lernen, sodass er sich nicht wunderte, dass Ciel dieses Wissen offenbar nicht besaß. Wenn er den Blauhaarigen beobachtete, bekam er nicht das Gefühl, dass dieser in dieser Richtung allzu viel vorzuweisen hatte, aber das räumte ihm einiges an Privilegien ein, wenn er so darüber nachdachte. Jemand, der scheinbar mit sozialer Interaktion entweder nicht vertraut war oder einfach nur verdammt schreckhaft war, konnte naiver sein als seine Mitmenschen... dabei hatte er sich doch eigentlich vorgenommen, Ciel nicht sofort anzubaggern, sondern ihm eine Chance zu geben, als Mensch rüberzukommen - und nicht als Häppchen. Sicherlich würde er ein besonders schmackhaftes abgeben... warum war ihm eigentlich noch nicht früher aufgefallen, dass seine Augen von einem geradezu hypnotischen Blau waren? Irgendwie schienen sie heller als die Standardfarbe zu sein, die man bei so vielen Menschen fand, besonders am Rande, wo die Iris schon beinahe weiß wurde. Wahrscheinlich hatte er sich zu sehr mit der zierlichen Statur des schlaksigen jungen Mannes aufgehalten, immerhin schreckte diese den Dragonslayer nicht gerade ab. Auch wenn sie so überhaut nicht männlich wirkte, war es doch gerade sie, die den Metall Dragonslayer noch ein wenig mehr in Seraphims Beuteschema rückte, weil dieser nämlich etwas gegen allzu muskulöse Wesen dieser Gattung hatte. Er selbst war nun nicht gerade körperlich schwach zu nennen, aber es gab sie dennoch, die kräftigeren Kerle. Und mit denen versuchte der Dragonslayer nach Möglichkeit wenig zu schaffen zu haben, weil der Umgang mit ihnen riskant sein konnte. Ironischerweise war der Rothaarige, der unter Seraphim wohnte, ein ganzes Stückchen stärker als er und hielt ihn damit dennoch nicht davon ab, sich ihm zu nähern - aber Ausnahmen bestätigten eben die Regeln. Mit dem Blauhaarigen hatte er es da wahrscheinlich deutlich einfacher, zumal dieser auch noch wahnsinnig niedlich war. Allein dieses zurückschrecken, wenn er ihm nahe kam, hatte Potenzial. Nervosität lud ihn beinahe ein, da war der Unterschied zwischen ihm und einem wilden Tier gar nicht mal so groß. Wenn er jetzt nun auch noch fiepen würde, wenn er ihm... oh, wollte er nicht eigentlich eine Frage beantworten? "Keine Sorge... ich kenne mich beinahe in jeder Stadt recht passabel aus, Ciel~", schmunzelte er und ließ den Namen des Kleineren über seine Zungenspitze rollen. Das war ein wirklich melodischer Name, der mit einem Zischlaut begann und mit einer Bewegung endete, als wolle man Honig kosten. Süß.
Aber wollten sie eigentlich schon zum Bahnhof? Die Frage des Blauhaarigen machte klar, dass er selbst sich wohl noch nicht so gut auskannte, was nahe legte, dass er noch nicht besonders lange hier wohnte. Das stimmte auch mit seiner Aussage überein, dass er neu in der Gilde sei, immerhin waren Dragonslayer dafür berühmt, dass sie bei einem Drachen aufwuchsen, die im Allgemeinen nicht in Städten lebten. Denen war es da nämlich meist viel zu laut und nervig, als dass sie sich dort breit machen würden - und die Straßen waren zu schmal. "Du aber scheinbar nicht, richtig?" Er lächelte den Blauhaarigen breit an. "Wie wäre es mit einer kleinen Sightseeing-Tour, bevor wir uns aufmachen? Ich würde mich mit Freuden als dein Führer anbieten~"

Selbstverständlich ahnte Ciel nichts von den wahrem Grund hinter Seraphims offensichtlich faszinierenden Ortskenntnissen, denn ansonsten hätte er sich wohl nicht so beeindruckend von dessen Eröffnung gezeigt. Er kannte sich in jeder Stadt einigermaßen gut aus? Nun, der Valentine selbst verfügte ebenfalls über ein sehr gutes Gedächtnis, nur bezog sich das weniger auf Straßen und Gebäude als auf Informationen und diverses Hintergrundwissen. Umso praktischer war es, eine Person dabei zu haben, die diese kleine Lücke in seinen Talenten scheinbar füllte und die folgenden Quest um einiges angenehmer machen würde. Nach dem Weg fragen war nämlich etwas, das nicht zu den favorisierten Beschäftigungen des Metall Dragonslayers gehörte. Und als hätte Seraphim geahnt, dass Ciel eine kleine Aufmunterung nach dem Katzenvorfall gebrauchen konnte, bot er ihm auch noch eine kostenlose Rundführung an. Das bedeutete im Klartext: kostenlose Informationen für den sachverliebten Magier. Für einen kurzen Augenblick wollte Ciel seine Siegelringe küssen, dafür, dass sie ihn zu mindestens für wenige Minuten vor Unheil und Pech bewahrt und etwas Angenehmes geschehen lassen hatten. Auf der anderen Seite würde das vielleicht zu einer unangenehmen Situation mit Seraphim führen und das war etwas, dass er um jeden Preis vermeiden wollte. Wer wusste schon, was hinter dem hübschen Gesicht des Dragonslayers für diabolischen Abgründe lagen? "Das klingt nach einer unfassbar guten Idee!", meinte Ciel daher begeistert und strahlte seinen Gegenüber fröhlich an. Es wurde schließlich mal höchste Zeit, dass er die hübsche Stadt, welche er sich als sein neues zuhause ausgesucht hatte besser kennen lernte. "Das einzige was ich hier bisher gesehen habe ist die Bücherei, du kannst mir also im Prinzip alles zeigen. Hast du etwas bestimmtes im Sinn?" Eigentlich spielte es keine große Rolle, denn der Valentine wollte auch wirklich alles sehen. Welchen Sinn machte es schließlich, wenn er sich später unnötig bei fremden Personen durchfragen musste, sollte er einmal auf der Suche nach einem bestimmten Ort sein? Da nutzte er doch lieber sich die ihm nun bietende Gelegenheit und vertraute sich jemandem an, von dem er sich sicher sein konnte, dass er ihn an den richtigen Ort führte. Zu mindestens hoffte er, dass es sich bei Seraphim um eine solche Person handelte. Schließlich fühlte er sich bei dem Weißhaarigen gut aufgehoben und konnte sich nicht vorstellen, dass dieser irgendwelche komischen Hintergedanken bei seiner Einladung verfolgte. Zu mindestens, wenn er Naomis Warnung einmal vollkommen beiseite schob und sich auf seine eigene Intuition verließ.
Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck fischte der Dragonslayer in seiner Hosentasche nach einem Löffel, welchen er sich zuvor als Imbiss mitgenommen hatte und wartete gespannt darauf, was Seraphim ihm wohl als erstes zeigen würde, während er an seinem Schatz knabberte. Grundsätzlich kam dem Magier ausschließlich Metall als Besteck ins Haus, für den Fall das er kurzfristig etwas zu Essen brauchte und keine Zeit hatte sich etwas anderes zu suchen. Außerdem boten diese auch noch den praktischen Nutzen, dass er sie einfach überall ohne große Probleme mit hinnehmen konnte und das meiste Besteck schmeckte außerdem auch noch viel besser als diverses Werkzeug wie Schrauben und Muttern. Ob Seraphim wohl Luft essen konnte, wenn er der Himmels Dragonslayer war? Dann würde das Sprichwort "Der ernährt sich nur von Luft und Liebe" wohl wie aufs Auge passen. Bei dem Gedanken musste der Valentine leise Glucksen, passte es doch irgendwie zu jemandem wie Seraphim. Generell konnte Ciel sich überhaupt nicht vorstellen, wie es wohl aussah, wenn jemand Luft verspeiste. Reichte es da schon zu atmen oder musst man in diesem Fall eine besondere Atemtechnik anwenden? Ein Frage, die sich Ciel für ein anderes Mal aufheben würde, genauso wie die brennende Neugier, ob es wohl eine gewisse Unzufriedenheit hinterließ, beim Essen auf rein gar nichts herumzukauen.

Grundsätzlich wäre die Antwort auf Ciels Frage natürlich Seraphims Bett. Das war schön groß und weich und momentan mit einem blutroten Laken bespannt, zu welchem die gleichfarbige Decke hervorragend passte. Grundsätzlich war das Schlafzimmer des Weißhaarigen recht hübsch eingerichtet, mit weichem, flauschigen Teppichboden und einer Art Marmordecke, war es schnell zu glauben, dass es praktisch das Herzstück seiner Wohnung darstellte. Diese befand sich im obersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses und war sogar mit Dachterrasse ausgestattet, deren Glastür zu seinem Schlafzimmer praktisch immer angelehnt war. Seraphim mochte keine stickige Luft, also war diese Art der Ventilation notwendig, aber die Kühle konnte er seinen Gästen meist auf ansprechende Weise vertreiben. Leider konnte er Ciel wohl kaum genau dorthin bringen, weil man ihn ja erst auf zivilisierte Art darauf stoßen musste, dass dieser Ort der schönste der ganzen Stadt war. Daher gab es einige andere Dinge, die man einem neuen Bewohner zeigen sollte, schon allein deswegen, weil man gewisse Grundbedürfnisse einfach abdecken musste, selbst wenn man nicht Seraphim war, der in mancher Hinsicht da ziemlich versiert war. Beispielsweise sollte der Kleine ja wissen, wo man sich mit adäquatem Essen eindecken konnte, wenn man mal davon ausging, dass er, wie die meisten Herren, eher schlecht als recht kochen konnte. Das wiederum vermochte der Dragonslayer sogar recht gut - aus dem Grunde, dass er gutes Essen zu schätzen gelernt hatte und es verdammt gut ankam, wenn man so etwas konnte. Vieles, das er sich beigebracht hatte, war immerhin aus diesem Grunde geschehen... hatte aber nun den Vorteil, dass er nicht unbedingt einseitig war. "Ich würde sagen, wir verschaffen dir einen kurzen Überblick~" So viel also zu Seraphims Zielen. Seine Motivation war natürlich eine andere, als der Metall Dragonslayer annahm, denn sein himmlischer Cousin tat nichts ohne Hintergedanken oder Gegenleistung. Die ganz besonders begehrten Dienste des Weißhaarigen waren unbekannt, aber wenn es sich herumsprechen würde, dass er über Heilmagie gebot, so wären die Preise geradezu gigantisch. Nicht einmal finanziell anspruchsvoll, sondern eben bestehend aus Dingen, die der Dragonslayer mehr schätzte als das schnöde Geld. Es war zwar angenehm, flüssig zu sein, aber es war eben nicht alles, zumal diese seltsame, menschengemachte Idee praktisch nur dafür da war, sich angenehme Dinge leisten zu können - und das bekam Seraphim auch ohne hin. Wobei gutes Essen eben doch etwas hatte. Die Gegenleistungen, die man dem Dragonslayer zu erbringen hatte waren also... anderer Natur. Der Art eben, die man im Allgemeinen nicht verkaufte, wenn man nicht gewissen Berufsgruppen angehörte. Wahrscheinlich könnte er seine eigene kleine Mafia gründen, wenn er sich nur Mühe gab, aber dazu hatte er gar keine Lust, das wäre ihm viel zu stressig... Irgendwann würde Ciel ihm schon noch zurückzahlen, was er für ihn tat, und niemand sagte, dass es ihm nicht gefallen würde.
Der Weißhaarige beobachtete den Kleineren dabei, wie er scheinbar an einem Löffel zu knabbern begann und lächelte, ehe er eine Hand in Richtung des Jungen ausstreckte, auffordernd beinahe. Ein Rundgang war langweilig und dauerte zu lange, also würden sie das ganze etwas dynamischer gestalten. Dazu mussten sie allerdings eine Sache im Voraus klären. Mit einem breiten, beinahe lauernden Lächeln, schnurrte er: "Vertraust du mir, Ciel?~"

Ciels spontane Reaktion auf Seraphims frage war ein "Oh Gott, nein!" welches er sich nur durch eiserne Willenskraft und jahrelanges Training verkneifen konnte. Wirklich, allein der Ton und der Blick, den Seraphim ihm während seiner Frage zu warf ließ einen wachsamen Schauer über den Rücken des Achtzehnjährigen huschen und wäre da nicht doch ein gewisser Stolz, der ihn begleitete, so hätte er wahrscheinlich prompt kehrtgemacht und wäre in genau die gegensätzliche Richtung davon gelaufen. Oder noch schlimmer: Er hätte gefiept. So aber schluckte er die Reste seines Löffels und versuchte sich an einem tapferen Lächeln, ehe er versuchte seine abermals zitternden Hände vor seinem Gegenüber zu verbergen. Das war allein unter dem Umstand, dass Seraphim ganz offensichtlich erwartete er würde seine Hand ergreifen, eine ziemlich lächerliche und hoffnungslose Aktion. Ihm blieben nun also zwei Möglichkeiten. Entweder er versuchte Seraphim vorsichtig und durch die Blume klarzumachen, dass sie sich noch gar nicht lange genug kannten, als das er ihm wirklich vertrauen könnten oder aber er ergriff einfach die Hand und stürzte sich damit ganz untypisch in ein Abenteuer. Oh und natürlich die dritte Variante die das Weglaufen beinhaltete. Ganz von diesem Vorschlag hatte Ciel sich nämlich immer noch nicht verabschiedet. Vielleicht sollte er versuchen irgendwie Zeit zu gewinnen? Andererseits würde sich die Situation wohl nicht großartig ändern und der Valentine war sich nicht sicher wie sehr er Seraphims Geduld auf die Probe stellen wollte. Aber war er auf der anderen Seite auch wirklich bereit einfach blindlings in etwas hineinzustolpern dessen Folgen er momentan noch nicht einmal erahnen konnte? Er, der immer so sehr an Regeln, Strukur und Planung festhielt? Der die Dinge die er tat meist Stunden oder Tage im vorraus plante und über jegliche strategischen Änderungen meist mehr als verärgert war?
Auch im Nachhinein würde Ciel nicht sagen können welcher Teufel ihn geritten hatte und was genau Seraphim mit ihm angestellt hatte, dass er ohne weiteres Nachdenken und Analysieren ganz einfach nach seiner Hand griff und ein "Nah dann los." murmelte. Er wusste es nicht. Das einzige was er mit Sicherheit wusste war, dass er eigentlich keinerlei Grund hatte Seraphim so blindlings zu vertraue und beinahe töricht und ohne weiteres Nachdenken seiner stummen Aufforderung zu folgen. Denn auch wenn Ciel sich sicher war, dass ihm von dem Weißhaarigen keinerlei körperliche Gefahr drohte, so schloss das alle anderen Gefahren nicht automatisch aus und dessen war sich der Valentine auch durchaus bewusst. Und trotzdem hatte er mit zitternder Hand nach der ihm Dargebotenen gegriffen und musterte nun sehr interessiert die hübsche Pflastersteinverziehrung zu seinen Füßen. Er war so nervös und so aufgeregt, dass er es nicht einmal wagte seinen Partner auch nur anzusehen, geschweige denn noch einmal das Wort an ihn zu richten. Was genau hatte Seraphim denn nun vor, wo Ciel sich so tapfer überwunden hatte? Der Valentine konnte nicht ganz glauben, dass er ihn an der Hand durch die Stadt führen wollte und alle anderen Gedanken die ihm kamen beunruhigten ihn mehr als einen erleichternden Effekt zu haben. Und so sehr sich seine plötzliche scheu auch gegen die folgenden Worte sträubten, die hämmernde Ungewissheit war schlimmer als die zitternde Stimme, die er in Kauf zu nehmen hatte. "S-seraphim...was genau hast du jetzt eigentlich vor?" Unter anderen Umständen hätten diese Worte wohl ein wenig anders geklungen aber in dieser Situation drückten sie wohl einfach nur die Panik vor einer bitterbösen Überraschung aus. Ciel fühlte sich wie ein Lamm, dass vor dem bitterbösen Löwen stand.

Wenn Ciel wüsste, wie oft der Name des Weißhaarigen in ungefähr diesem Ton gestammelt wurde, hätte es ihm sicherlich den letzten Spaß daran verdorben. Das gute an dieser Situation war, dass dies im Allgemeinen nicht auf offener Straße geschah (oder zumindest sehr selten), sodass Seraphims Reaktion darauf auch nicht aus einer drückenden, sondern einer ziehenden Bewegung bestand, als er den Blauhaarigen nämlich mit einem Ruck an sich zog, während er darauf achtete, seine Hand zwar nicht zu zerquetschen, aber ein Ausweichen dennoch zu verhindern. Er würde Ciel natürlich nicht weh tun, immerhin tat er das nie, auch wenn seine Aktionen im ersten Moment vielleicht ein wenig ungewohnt sein konnten, aber da er selbst das in diesem Moment nicht plante, war der Metall Dragonslayer doch noch recht sicher. Dennoch würde es ihm sicherlich seltsam vorkommen, so nahe an dem kräftigeren Körper zu stehen, noch mehr wahrscheinlich, als sich ein Arm um seine Hüfte schlang und Seraphim kaum merklich in die Knie ging. Was also würde er wohl vorhaben, hm? Er fragte tatsächlich eher selten, ob die Leute ihm vertrauten, weil sie dann begannen, darüber nachzudenken, also konnte es mehr einen dramaturgischen Effekt haben als einen taktischen. Seraphim arbeitete nämlich im Allgemeinen mit genau dem, was Ciel gerade zu spüren bekommen hatte; er garnte seine Opfer langsam ein, ohne dass sie es merkten, bis sie schon bis zum Hals in etwas steckten, wovon sie sich fragten, wie sie da nur rein geraten waren. Sie danach zu fragen, ob ihnen bewusst war, was sie da taten, war also absolut antiproduktiv, sollten sie bemerken, dass es objektiv betrachtet nicht gerade klug war. Nur dann, wenn ihnen dennoch nichts passierte, konnte es das Vertrauen tatsächlich stärken - aber dies war in diesem Falle nicht mit der üblichen Planung geschehen, sondern war eher als Einleitung zu dem gedacht gewesen, was nun folgen würde.
Die Nähe des Blauhaarigen war durchaus angenehm, zudem der Himmelsmagier genau spüren konnte, wie schlank sein Körper wirklich war, als er ihn gegen sich drückte. Das geschah nicht nur zwecks einer genaueren Tuchfühlung, sondern auch, weil er ihm immerhin nicht entgleiten sollte. "Dann halt dich gut fest~", hauchte er ihm warm über die beringte Ohrmuschel, ehe er sich mit einem kräftigen Satz vom Boden abdrückte - und in den Himmel hinaufschoss. Scheinbar vollkommen mühelos schraubte er sich in Richtung der Wolken empor, den schmalen Körper an sich gedrückt, damit er auch ja nicht herunterfiel. Ebenso, wie Seraphim einer dieser Menschen war, die ihre Magie sofort und ohne Vorbehalte herausposaunten, war er sich nicht zu schade, gehörig damit anzugeben. Und die Fähigkeit, zu fliegen, war nun wirklich nicht gerade breit unter der magischen Bevölkerung gesät, sodass das eine gute Möglichkeit war, ohne gleich zu verraten, dass er heilen konnte. Ganz davon abgesehen, eignete sich nichts besser, um einem Neuling schnell die ganze Stadt zu zeigen, als wenn man einfach über ihre Dächer davon schwebte und die nervigen Menschenmassen mied? Zuerst allerdings beendete er seinen Auftrieb und ließ den Blauhaarigen kurz los, damit er dem Schwung folgend höher rutschte, sodass er ihn auf einem Arm auffangen konnte. Zum Glück war er stark genug, um einen solchen Spargeltarzan auf einem Arm zu halten, aber so hatte er zudem viel mehr Möglichkeit, dem Kleinen ins Gesicht zu blicken. Als er seine Hand ergriffen hatte, war sein Ausdruck wirklich zum anbeißen gewesen, so niedlich schüchtern und nervös, dass er immer mehr an dem Vorsatz zweifelte, ihm erst einmal Welpenschutz zu gewähren. Da er auch gar nicht mehr so unglaublich jung aussah, war dieser vielleicht auch gar nicht angebracht, zumal er sich doch eher selten an solche Richtlinien hielt... er hatte schon genug Erfahrung mit Menschen, dass er wusste, wenn jemand jünger als vierzehn Jahre alt war. Darüber allerdings schätzte er Ciel nun schon - aber warum nicht fragen, wenn man schon bei dem Thema war? "Bevor ich es vergesse, wie alt bist du eigentlich, Ciel?~", wollte er mit beiläufigem Tonfall wissen, ehe er nach links ausfiel und in Richtung des Marktplatzes lossauste.

Dem armen Cielchen blieb fast sein kleines Herz stehen, als er endlich begriff, was genau Seraphim mit ihm vorhatte. Jedoch kam diese Erkenntnis doch recht spät, denn vorläufig bemerkte er nur, wie der Weißhaarige ihn noch einmal mit einem Ruck näher zu sich zog und er sich auf einmal direkt mit der Körperwärme und dem Geruch des Himmels Dragonslayers konfrontiert fühlte, was leider nicht unbedingt zu seiner Beruhigung beitrug. Ciels Herz raste und seine Hände zitterten, als er sich beinahe panisch an Seraphim festkrallte und hoffte, dieser würde sich nicht plötzlich in einen echten Drachen verwandeln und ihn auffressen. Nun, dieses Schicksal sollte ihm offensichtlich erspart bleiben, dafür musste sich der Achtzehnjährige jedoch mit einer anderen Extremsituation auseinandersetzen, denn Seraphim stieß sich mit einem Mal vom Boden ab und schoss tatsächlich in die Lüfte. Er flog. Dieser verdammte Seraphim konnte tatsächlich fliegen. Unter anderen Umständen hätte sich unser Lieblings Metall Dragonslayer wohl eventuell an seine Ehre erinnert, so jedoch konnte er gar nicht anders und stieß ein sehr, sehr unmännliches und hohes "fiep" aus, ehe er seinen Kopf panisch an Seraphims Brust vergrub, um auch ja nicht zu viel von diesem Elend mitzubekommen. Zur Hölle mit seiner Ehre und seinem Stolz, dieser verdammte Kerl konnte fliegen. Fliegen wie...eine Hexe! Nur, dass Ciel sich ziemlich sicher war, dass Seraphim keine Hexe war. Nein, er war viel schlimmer. Dementsprechend panisch nahm er sich auch den Rat des Weißhaarigen zu Herzen, als er sich wie ein Besessener an dessen Körper festkrallte und sich immer wieder ermahnte auch ja keinen Blick nach unten zu werfen. Er war sich sicher, sollte er das tun würde ihn die Panik ganz einfach übermannen. Dabei musste man dazu vielleicht wissen, dass Ciel eigentlich nie von seiner plötzlich eintretenden Höhenangst gewusst hatte. Wie denn auch? Niemals hatte er wirklich hohe Gebäude besucht und Metallicana hatte von jeher die tiefen unterirdischer Höhlen einem hübschen Nest auf einem Berg vorgezogen, weshalb der Valentine niemals die Chance gehabt hatte, diese weitere Schwäche in seinem Charakter zu entdecken. Wenn dem so gewesen wäre, hätte er vermutlich auch doppelt so vorsichtig auf Seraphims Angebot reagiert und eventuell gleich mehrmals darüber nachgedacht. So allerdings erwischte ihn das Ganze ziemlich auf eiskaltem Fuß und er musste seine ganze Konzentration aufbringen, um seinen Rettungsanker in seiner Panik nicht einfach loszulassen. Obwohl dieser sicherlich keinerlei Schwierigkeiten gehabt hätte, sein Gewicht auch so in der Luft zu halten, denn seltsamerweise schien dieser Transport für Seraphim das reinste Kinderspiel zu sein. Tatsächlich schien es ihm so leicht zu fallen, dass er sogar in der Lage war, ganz spontan ein wenig Smalltalk zu beginnen, während Ciel das plötzliche Verlangen verspürte sein Gefährt zu erwürgen. Dabei war er doch sonst so ein besonnender und gelassener Charakter, der sich durch rein gar nichts aus der Ruhe bringen ließ. Nun, antworten würde er ihm wohl trotzdem müssen und vielleicht würde ihn ein wenig Geplauder ja auch von der Tatsache ablenken, dass er gefühlte dreitausend Meter über dem rettenden Erdboden schwebte. "A-achtzehn...ich bin achtzehn. Du...Seraphim...versprich mir, das du mich nicht fallen lässt." Zum Ende hin waren die Worte des Jungen immer leiser geworden, während das Letzte nur noch aus einem gehauchten Flüstern bestand, eher er seinen Kopf wieder an Seraphims Schulter vergrub. Allein der Gedanke, dass Seraphim ganz plötzlich die Kraft verlassen könnte und er auf dem Boden wie ein rohes Ei zerplatzen würde ließ einiges an Unbehagen in ihm aufsteigen. Dabei war er sonst gar nicht so anhänglich. Außer es ging um eine seiner Kuscheleinheiten, selbstverständlich. Und dafür, dass er Seraphim gerade mal wenige Minuten kannte schmiss er sich ihm doch schon recht wortwörtlich an den Hals. Diese Quest würde er mit Sicherheit nicht so schnell vergessen und Ciel hatte das üble Gefühl, dass das hier noch nicht einmal der Anfang allen Übels war, das ihn auf dieser Reise noch erwarten sollte.

Uhhh, der Kleine konnte ja richtig anschmiegsam sein! Seraphim verkniff sich ein Schnurren, als ein blauer Schopf an seinem Kinn kitzelte und er gar keinen Vorwand mehr brauchte, seinen Magiecousin an sich zu ziehen. Im Grunde war der Weißhaarige nämlich ein schrecklich verkuschelter Mensch, auch wenn er sich hütete, das zu sehr an die Oberfläche dringen zu lassen. Tatsächlich merkte man ihm schnell an, dass er nichts gegen wenig Abstand hatte, aber nur diejenigen, die es des Nachts schon einmal nicht geschafft hatten, sich aus seinem Griff zu eisen, wussten das wirklich. Eine weitere Möglichkeit dieser Informationsbeschaffung war wohl, ihm morgens den Kopf zu kraulen und ihn damit aufzuwecken, aber das passierte zum Glück eher selten. Tatsache war jedenfalls, dass Ciel wirklich nicht schlecht roch, was seine Attraktivität in Seraphims Maßstäben nur noch mehr steigerte, immerhin konnte er gar nicht anders, als darauf zu achten. Wie alle Dragonslayer hatte er einen gesteigerten Geruchssinn, was bedeutete, dass er sich den Geruch eines Menschen manchmal sogar schneller einprägte, als sein Aussehen. Und er konnte ihn ebenso sehr mögen, wie das Äußere einer Person, was bis zu der Eigenart kommen konnte, dass er an den Haaren einer Person schnüffelte, sobald er ihr begegnete - dieses Verhalten zeigte er inzwischen immerhin bei einem gewissen Nachbarn, den er schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Ein paar Tage waren es wohl gewesen und das war viel zu viel, als dass es akzeptabel gewesen wäre. Da bot der Löffelverspeiser eine willkommene Abwechslung von seiner Tristesse, einfach schon aufgrund seiner überbordenden Niedlichkeit. Souta war ja schon in mancherlei Hinsicht knuffig, aber Fiepen tat er dann doch eher selten - schon gar nicht, um sich danach an ihn zu klammern und das Köpfchen an seiner Brust zu bergen. Zum Glück würde Ciel das beinahe beunruhigend breite Grinsen auf den schmalen Lippen des Weißhaarigen aus dieser Position nicht sehen können, aber seine Tonlage, als er sanft über blaue Haare streichelte, war wahrscheinlich aussagekräftig genug. "Ich sagte doch, dass ich auf dich aufpasse, Ciel~" Dieser Name gefiel hm wirklich, sodass er sich nicht nehmen ließ, ihn noch einmal an den Satz zu hängen, obwohl eindeutig war, wen er meinte, immerhin gab es im Umkreis vielleicht ein paar irritierte Vögel, die sich sicherlich nicht angesprochen fühlen würden. Es würde ihm wahrscheinlich nicht einmal gefallen, dem Jungen sein Lieblingsnamenanhängsel zu verpassen, weil es nicht halb so schön wie sein purer Name klingen würde... was ja an sich wirklich vorteilhaft für das Ego des Metallvertilgers war. Auch sein Alter trug seinen Teil zum Lächeln Seraphims bei, denn das bedeutete, dass sich der Welpenschutz des Kleinen wohl wirklich nur auf sehr kurze Zeit beschränken würde und das auch nur, weil er ein Dragonslayer war, vor denen er wenigstens minimalen Respekt hatte.
Als erstes würden die beiden die Dinge abchecken, die wohl am wichtigsten für ein Leben in der Stadt waren, weswegen sie schon kurze Zeit nach dieser beinahe rührigen Szene über einem Platz schwebten, über den die Menschen wuselten, als gebe es dort etwas umsonst. Bis auf vereinzelte Geschmacksproben von Obsthändlern stimmte das aber nicht, doch zumindest konnte man sich dort mit Genießbarem eindecken. "Da ist der Marktplatz... wie du sehen kannst, dauert es zu Fuß nur ungefähr zehn Minuten vom Gildenhaus aus, um ihn zu erreichen." Besonders spannend fand er ihn aber nicht, also steuerte er kurze Zeit später das zweite Ziel an und blieb über einem großen Gebäudekomplex schweben. "Das hier ist das St. Draco Hospital, das örtliche Krankenhaus. Wie gut die sind, kann ich nicht sagen, ich war noch nie Patient. Allerdings ist das Outfit der Krankenschwestern echt enttäuschend schlicht." Das hatte er festgestellt, als er eine Freundin dorthin begleitet hatte, um ihren im Koma liegenden Ziehvater zu besuchen. Das hätte man ihm nicht zugetraut, hm? Der nächste Stopp war eine weite Grasfläche, die zu einem Park gehörte. "Der Jadeschlange-Park. Nicht gerade ein Szenetreff oder sonstiges, aber immer gut für einen Spaziergang. Die sollen ja auch die Nerven beruhigen - oder Meditation. Schonmal damit versucht, Ciel?~" Wieder dieses lange L, als lutsche man auf einem besonders schmackhaften Bonbon herum.

Auf Seraphims Wort war ganz offensichtlich Verlass, denn er ließ Ciel nicht fallen und schien ihn unbeschadet in der Luft halten zu können. Auch wenn diesen das nicht großartigen zu beruhigen vermochte, so schaffte es dennoch eine gewisse Erleichterung und nach einigen Sekunden gelang es ihm auch, einen Blick nach unten zu werfen ohne von plötzlichem Schwindel übermannt zu werden. Außerdem war da auch immer noch die nahe Präsenz des Weißhaarigen, welche ihn ablenkte und einen Großteil seiner Konzentration forderte. Irgendwie hatte es beinahe etwas intimes, wie Seraphim immer wieder seinen Namen an beinahe jeden seiner Sätze hing und ihn zudem auch noch immer wieder mit diesem seltsamen Unterton versah. Auch war der Metall Dragonslayer es gar nicht gewohnt so häufig mit seinem Geburtsnamen angeredet zu werden, griffen die meisten Leute mit denen er verkehrten doch häufig auf seinen Spitznamen zurück oder versahen die wenigen Buchstaben doch wenigstens mit einem Suffix. Auf der anderen Seite war es Ciel jedoch auch als beinahe selbstverständlich vorgekommen Seraphim ohne Anhängsel anzureden, klang alles andere doch irgendwie seltsam. Er hätte vermutlich nicht einmal gewusst, welche Endung angemessen gewesen wäre, weshalb er es am besten gar nicht erst versuchte. Das ersparte ihm die innere Diskussion, die andernfalls unter allen Umständen auf ihn zugekommen wäre. Seraphim-san? Seraphim-kun? Das klang doch albern. So jedoch schaffte diese persönliche Art der Anrede beinahe ein zutrauliches Verhältnis und die Tatsache, dass Seraphim scheinbar einen Narren an seinem Namen gefressen hatte machte die Situation für den Valentine nicht wirklich einfacher. Andererseits war er jedoch der Meister aller Tarnung und Anpassungsfähigkeit, weshalb er wirklich kaum jedes Mal zusammenzuckte, wenn er hörte, wie Seraphim seinen beinahe lächerlich kurzen Namen über seine Zunge gleiten ließ als wäre er etwas, dass es angemessen zu genießen galt.
Als der Himmels Dragonslayer schließlich über dem dicht bevölkerten Marktplatz hielt lauschte Ciel aufmerksam seiner Erklärung und musterte kurz darauf in einem rasch geworfenen Blick die dichte Traube an Menschen, die geschäftig über den Platz huschte. Aus dieser Höhe wirkten sie beinahe lächerlich klein und kurz fragte sich Ciel, ob die Menschen sie beide von dort unten wohl für einen Vogel halten oder das seltsame Abbild, das sie boten erkennen würden. Machte Seraphim sich keinerlei Gedanken darüber? Entdeckt zu werden und anschließend damit leben zu müssen, dass ein Großteil der Stadt über seine Fähigkeiten bescheid wusste? Andererseits wirkte er nicht wie der Typ, der sich über die Meinung anderer Leute großartig Gedanken machen würde. Und außerdem war der Großteil der Gesellschaft ohnehin zu oft mit den Dingen zu ihren Füßen beschäftigt um ab und an mal einen Blick in den klaren blauen Himmel zu werfen. Die Menschheit schien eine eigenartige Ignoranz zu den Dingen über ihrem Horizont zu besitzen, das hatte Ciel schon öfter feststellen müssen. Der nächste Ort den sie besuchten wurde dagegen gleich noch einmal interessanter, denn der Valentine war sich sicher, dass er in Zukunft mehr Zeit im Krankenhaus verbringen würde, als ihm lieb war. Auch wenn Metall und damit die meisten Waffen ihm beinahe nichts anhaben konnten, so war er dennoch nicht immun gegenüber magischen Angriffen und die schien er, wenn er denn einmal unterwegs war, wie Motten das Licht anzuziehen. Sobald auch nur irgendein Magier in der Nähe war schien es grundsätzlich immer ihn zu treffen. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass er die meiste Zeit allein arbeitete und daher unter dieser Illusion litt. Für Seraphims Kommentar hatte er jedoch nur ein irritiertes Stirnrunzeln und eine recht trockene Antwort parat. "Naja, aber es geht ja auch hauptsächlich darum, dass sie einem helfen und nicht, dass sie dabei irgendwie auffällig gekleidet sind, oder?" Naivität war wohl in vielerlei Hinsicht oftmals ein unerwarteter Segen. Wenn seine Begleitung jedoch niemals Patient in diesem Krankenhaus gewesen war, dann musste er entweder über ein herausragendes Immunsystem verfügen, oder aber ausschließlich dem Hausarzt seiner Wahl vertrauen. Ihm war beides zuzutrauen, weshalb Ciel beschloss sich diese Frage ebenfalls aufzuheben und später noch einmal genauer nachzuharken. Vielleicht, wenn er wieder sicheren Boden unter seinen Füßen verspürte. Das nächste Ziel schien eine Parkanlage zu sein, wie der Valentine an der großen Grünfläche erkannte und schließlich von seinem Reiseführer bestätigt bekam. Jadeschlangen-Park also, mh? Auch wenn Seraphims Worte in seinen Ohren wie Hohn klangen, so hatte er mit seinem Rat dennoch nicht ganz unrecht. Spaziergänge und Bewegung generell beruhigten Ciel auch Abends vor dem Einschlafen immer, weshalb er sich diesen Ort unbedingt würde merken müssen. Andererseits sträubte sich in ihm auch alles gegen die irgendwie abwertende Anmerkung des Weißhaarigen. Ciel hatte das unbewusste Gefühl, dass Seraphim sein Problem nicht wirklich ernst nahm und das gefiel ihm ganz und gar nicht. "Findest du das witzig?", zischte er bösartig und war kurz versucht dem Himmels Dragonslayer mit seinen Eisenfingernägeln eine mehr oder minder angenehme Akkupunktur zu verpassen. Dann jedoch fiel ihm wieder ein, in welchen Höhen er sich befand, weshalb er von dieser Idee rasch abließ. Die "Rohes-Ei"-Theorie schien immer noch nicht wirklich angenehm. "Ich finde wir sollten landen." Ja, Ciel war beleidigt und diesmal würde er das Seraphim auch ganz deutlich zeigen. Es ging diesen dahergelaufenen Himmelsdrachen schließlich gar nichts an, wie genau er seinen Stress bewältigte. Ob er sich wohl allein aus Protest gleich eine Zigarette anzünden sollte?

Aw, war er nicht niedlich? Seraphim begegnete der plötzlichen Verstimmung des anderen Dragonslayers mit einem kichernden Ausatmen, ehe er das genaue Gegenteil von seinem Wunsch tat und noch ein Stückchen höher flog. Mit einer Serie von Handgriffen veränderte er die Position des Blauhaarigen auf eine Art, die ihm wahrscheinlich nicht sehr zusagen würde, ihn aber zwang, dem Größeren ins Gesicht zu blicken. Um genau zu sein könnte er ihm nun nämlich die Beine um die Hüfte schlingen, wenn er das Verlangen danach verspüren sollte, auch wenn das wohl eher unwahrscheinlich war, weil er immerhin beleidigt schien. Seraphim hatte nun aber eine sehr eigenwillige Art, mit solchen Verstimmungen umzugehen, wie schon einige Menschen vor Ciel hatten feststellen müssen, denn anstatt sich zu entschuldigen, provozierte er eine direkte Konfrontation, wurde ernst und erklärte sich, auf eine ruhige, gelassene Art. In diesem Falle wirkte das wenigstens nicht ganz so befremdlich und gewöhnungsbedürftig, wie die Szene, in der er ein Baby gefüttert hatte, während er über den fragilen Schädel und dessen geringe Belastbarkeit geredet hatte. Und das, obwohl er kleine Schreihälse hasste. Ciel konnte so gesehen also zum einen froh sein, dass der Grund seines Einschnappens wenig Möglichkeiten für derlei Aktionen ließ und zum anderen, dass der Himmelsmagier ihn so weit ernst nahm, dass er ihn nicht noch weiter damit aufzog. Wäre das nicht der Fall, würde er nämlich deutlich offensichtlicher auf der Schwäche des Jungen herumhüpfen. Sein rechter Arm stützte den unteren Rücken des Metallvertilgers, während der zweite momentan als Bank diente - und dabei sollte wohl erwähnt werden, dass es ihn einiges an Willenskraft kostete, um nicht zuzupacken, als seine Hand etwas rundes, festes passierte, aber er sich beherrschte. An sich war das hier nämlich der ideale Ort, um Leute zu begrabschen, aus dem einfachen Grund, dass jegliche Gegenwehr einen Absturz provozieren würde. Ciel jedoch wurde verschont... um plötzlich von einer fremden Nasenspitze an seiner berührt zu werden und in das breit lächelte Gesicht vor ihm zu gucken. "Aw, Ciellll~ Ich meine das doch nicht böse." Die beiden drehten sich einmal in der Luft, sodass ein leichter Luftstrom auch die blauen Haare durchwuschelte. Seine eigenen machten seit Abflug sowieso auf Windspiel, was bekanntlich eine Nebenwirkung des Zaubers war, da er ja die Luft um sie herum manipulierte. "Ich mache mir nur Gedanken, wie ich dir zu ein wenig mehr Entspannung verhelfen kann~" Das entsprach der Wahrheit! Allerdings kreisten bezüglich des Themas Entspannung einige Szenarien in Seraphims Kopf, die eher weniger mit Meditation als mit Anspannung zu tun hatten - bis es dann alles doch ganz entspannt wurde. Wahrscheinlich würde er dem Neurotiker damit sogar wirklich helfen, aber das war leider nichts, was er ihm rundheraus vorschlagen konnte, nicht nach seinem niedlich unschuldigen Kommentar zu den Krankenschwestern. Natürlich sollten diese vor allem helfen - aber er hatte ja auch nicht ihre Funktion, sondern das gemeint, womit man sie in anderem Zusammenhang gerne assoziierte. Und da er ein Genie darin war, so ziemlich alles in diese Richtung zu interpretieren, waren Krankenschwestern da eher eine leichte Übung. Ganz davon abgesehen, dass sogar eine davon unter seinen Bekannten war; diese allerdings arbeitete in Hosenka Town und auch wenn er nicht annahm, dass sie diese Klamotten auch auf der Arbeit trug, hatten sie ihr wirklich gut gestanden. "An sich bin ich nämlich ganz gut, was solche... Verspannungsprobleme... angeht." Oh ja. Wie würde er auch überleben, wenn er nicht dazu in der Lage wäre, Anspannungen zu lockern und zu durchbrechen... das würde ja nicht lange gut gehen. Ciel hatte nun also genau zwei Möglichkeiten: Entweder er beschloss, weiterhin die beleidigte Leberwurst zu spielen oder er vergab seinem armen Magiecousin - das war seine Wahl, die in beiden Fällen Konsequenzen tragen würde – nur wahrscheinlich nicht die, die er erwarten würde.

Seraphims Worte stimmten den jungen Mann ein wenig milder, weshalb er seinen Griff um dessen Schultern ein wenig entspannte und beinahe erschöpft in seine lila Augen blinzelte. Diese ständigen emotionalen Umschwünge von Gut gelaunt zu Furcht und anschließendem Zorn ermüdeten ihn und laugten ihn emotional aus. Irgendwie schaffte es der Weißhaarige, ihn in einen ständigen Strudel aus emotionalem Durcheinander zu reißen und jegliches Entkommen unmöglich zu machen. Man konnte sich bei ihm einfach nicht sicher sein, was genau er nun ernst meinte und wann er einen einfach nur auf die Schippe nahm. Das machte ihn in Ciels Augen zu einem wirklich unberechenbaren Begleiter, eine Eigenschaft, die der Valentine alles andere als schätzte. Er mochte die Sicherheit von simplen Gewohnheiten und strukturierten Abläufen. Seraphim dagegen schien von viel impulsiverer und aufgeweckterer Natur als er selbst zu sein. Es schien, als würde Spontanität aus jeder Zelle seines Körpers tropfen und den Kleineren damit in einem See aus neuen Eindrücken ertränken. Er war spontane Planänderungen nicht gewohnt und unter anderen Umständen fanden sie auch keinerlei Anklang bei ihm. Nur irgendetwas war da an Seraphim, etwas, das ihn in kurzer Zeit immer wieder dazu brachte sich aus seinem üblichen Verhaltensmuster zu lösen und Dinge zu tun, die man eigentlich nicht von ihm erwartete. Dieser spontane Flug war eines davon. Eigentlich war er kein Mensch, der sich auf Abenteuer und kurzfristige Ausflüge einließ. Im Gegenteil, bei ihm wurden solche Dinge immer Stunden im voraus geplant. Allerdings hatte dieser Tag ohnehin schon seltsam angefangen, hatte der Blauhaarige doch sogar kurzfristig beschlossen die Gilde das erste Mal zu besuchen, ein Fehler, die ihm an einem anderen Tag mit Sicherheit nicht passiert wäre. Nun, da Seraphim ihm allerdings nur helfen wollte, konnte Ciel ihm gar nicht lange böse sein. Es gab schließlich nicht oft Menschen, die sich lange genug mit seiner Psyche und seiner Person an sich beschäftigten, um sich darüber Gedanken zu machen, wie genau man dem Metall Dragonslayer helfen konnte. "Ich mag es einfach nicht darauf angesprochen zu werden...", meinte der Valentine schließlich zögerlich und knabberte nachdenklich an seiner Unterlippe. "Aber es ist nett, dass du versuchst, mir zu helfen. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass dir das nicht gelingen wird..." Wie denn auch? Über was für Fähigkeiten sollte er schon verfügen, die Ciel ganz plötzlich zu ungeahnter Gelassenheit verhelfen würden? War doch beinahe alles, was Seraphim bisher in ihm heraufbeschworen hatte pure Nervosität und einiges an Unbehagen gewesen. Aber vielleicht schätzte er den Weißhaarigen auch falsch ein und dieser war letztendlich doch eine ganz andere Person, als er selber dachte. Mochten Ciels Beobachtungskentnisse auch noch so gut sein, um ein angemessenes Bild von Seraphim zu haben würde er wohl doch noch mehr Zeit mit ihm verbringen müssen. Dafür war der Weißhaarige einfach zu komplex. Allerdings musste er erst einmal aus dieser schwindelnden Höhe zurück auf den rettenden Erdboden. "Können wir bitte landen? Ich glaube sonst wird mir gleich schlecht..." Und Ciel war sich ziemlich sicher, dass Seraphim das nicht unbedingt erleben wollte. Außer natürlich der Himmels Dragonslayer legte es auf einen weiteren seltenen Besuch im Krankenhaus an, denn der Achtzehnjährige war sich sicher, dass er genau dahin gebracht werden musste, wenn er nicht bald wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Er war schließlich ein Metallmagier, die hatten in der Luft einfach nichts verloren. Höhlen und andere unterirdische Gebilde boten für ihn kein Problem, aber warum musste man ausgerechnet auf den Berg, wenn man genauso gut um ihn herum oder zur Not auch durch ihn hindurch marschieren konnte?