Seraphim würde ziemlich viel tun, um den Rothaarigen nur in Unterwäsche bekleidet herumlaufen zu sehen, aber eben nicht alles. Er hatte ihn immerhin schon in diesem und in noch weniger bekleidetem Zustand gesehen, da war der Anreiz nicht mehr ganz so präsent, als wenn er das noch nie gesehen hätte. Verrückten Wissenschaftlern traute er nämlich aus Prinzip nicht, wenn diese sagten, es ginge um Tests. Dieses Wort war nämlich ein extrem dehnbarer Begriff und konnte so ziemlich alles beinhalten, von Reflextests bis hin zu Vergasungen unter dem Mantel der allgemeinen Verträglichkeit von Raumerfrischungssprays. Und da dieser Mann bisher vor allem seine fehlende Sensibilität für die Schmerzempfindlichkeit seiner Mitmenschen unter Beweis gestellt hatte, wollte er nicht einfach einschlagen und Souta für ein paar blöde Infos verkaufen, denn die würde er zur Not schon aus dem Kleinen herausbekommen. Andererseits hatte ihm natürlich die Miene des Kleinen gefallen, als sein gerät bei ihm durchgebrannt war, was allerdings nicht viel hieß, da er es gewohnt war, bewundert zu werden und dem keine Beachtung zu schenken. Außerdem war dieses Gerät eindeutig überempfindlich, denn so unglaublich viel Mana besaß er gar nicht, es war nur eine einigermaßen brauchbare Menge, die seinem Körper innewohnte. Das einzig gute, was dieser Mann also zustande gebracht hatte, war, dass Souta sich hinter ihn verkrochen hatte, was er zum einen unglaublich süß fand und ihm zum anderen auf eine primitive Art ziemlich gut gefiel. Er hatte nichts dagegen, wenn sich die Leute in seiner Anwesenheit ein bisschen kleiner machten, auch wenn das ja nun nicht Soutas Grund dafür war. Der wollte wohl einfach nicht schon wieder einen Schlag in den Magen erhalten, was er ihm wohl kaum verübeln würde. "Was für Tests?", fragte der Dragonslayer mit misstrauischer Stimme und verengte die Augen ein wenig, was sicherlich eindrucksvoller ausgesehen hätte, wenn er nicht von Kopf bis Fuß durchnässt gewesen wäre. So konnte man sich sogar einbilden, er würde einfach nur frieren, was wohl auch bald geschehen würde. Ausziehen wollte er sich allerdings momentan auch wieder nicht, denn besonders viel wärmer würde ihm dadurch nicht werden.
"Nichts wildes, ich möchte seine Körperfunktionen und dergleichen messen. Jemand, der so schnell laufen kann, müsste doch auch in anderen Dingen schnell sein!", antwortete der Mann, der sich mit Namen Tann vorgestellt hatte und blickte die beiden enthusiastisch aus großen Augen an, das kaputte Manameter in Händen wie ein Kind, das sein liebstes Spielzeug umklammerte. Vielleicht stimmte ja, was man über Männer sagte, dass sie nur neun Jahre alt wurden und danach maximal noch wuchsen - auch wenn der Wissenschaftler diese Phase wohl übersprungen hatte. Vielleicht, kam dem Dragonslayer in den Sinn, sollte man ihn einmal zusammen mit KnackiMcstockpo, der Kapitänin "ihres" Luxusdampfers zusammen in einen Raum stecken und gucken, wie die Nerven der beiden danach aussahen... vielleicht wäre der alte Mann dann auch tot, immerhin konnte er sich nicht ganz s gut wie die bissige Bulldogge von einer Kapitänin verteidigen, die ja schon Schwule nicht tolerieren konnte. "Schnell? Oh ja, Souta-chan ist in einigen Bereichen seines Lebens schnell~", flötete er mit unschuldiger Miene und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Wenn Souta nichts dagegen hatte, waren diese Tests vielleicht wirklich der schnellste Weg zu ihren Informationen... "Wenn Souta nichts dagegen hat... aber beeilen Sie sich." Sie hatten immerhin nicht den ganzen Tag Zeit, denn wenn tatsächlich so etwas großes wie ein Tsunami über die Stadt hereinbrechen würde, konnten sie sich keinen Müßiggang leisten. Zudem es eigentlich auch im Interesse dieses Mannes sein sollte, dass die Riesenwelle gestoppt wurde, immerhin war dieser Leuchtturm vielleicht hübsch - aber nicht solchen Kräften gewachsen.

Oh, natürlich hatte er nichts dagegen, wenn man Tests an ihm ausführte, wie kam man denn auf diese Idee? Jeder in Fiore wusste doch, dass Souta schmerzunempfindlich und unerschrocken war, wenn es um soetwas ging, er hatte gar kein Problem damit, an sich herumdrücken zu lassen, zum Dienste der Wissenschaft tat er ja alles. Tatsächlich war das hier wohl eher ein Dienst an den Doktor, der dadurch nicht Seraphims Überredungskünsten ausgesetzt wurde, die mit Sicherheit nicht übermäßig freundlich ausgefallen wären. So hatte er im Prinzip gar keine Wahl und musste zustimmen, was er auch tat, reichlich zögerlich zwar, aber immerhin sagte er Ja, da durfte man ihm nun auch keinen Strick draus drehen. Nachdem sich Professor Tann wieder beruhigt hatte - er war ganz schön eurphorisch geworden und hatte von Körperfunktionen geschwärmt - und nachdem Souta Seraphim für seinen Kommentar gegen den Oberarm geschlagen hatte, begab sich die Gruppe auch schon den gefährlichen Weg die Wendeltreppen hinauf, wobei der Rothaarige natürlich feststellte, dass er aufgrund seiner Steiggeschwindigkeit mit seinem Hintern auf Gesichtshöhe des Himmelsmagiers war, ein Umstand, der ihn noch ein wenig weiter entnervte. Irgendwie bekam Seraphim hier den roten Teppich ausgerollt und er musste ein zugemülltes Büro betreten, in dem es zwar aufgrund eines offenen Fensters recht gut durchlüftet war, aber nicht unbedingt gemütlich. Überall lagen Bücher herum, es gab Tabellen und Tafeln, auf denen komplizierte Rechnungen standen, die Souta nicht einmal verstanden hätte, wenn es ihn interessiert hätte. Eine steril aussehende Deckenlampe tauchte alles in übermäßig helles Licht. Souta legte sein Hemd auf einen Stapel Büchern ab und machte ein paar Schritte in das Turmzimmer, welches in luftiger Höhe über der Stadt thronte. Eigentlich war es hier ja ziemlich cool, wenn es nicht so vollgestellt wäre. Der kleine Professor wuselte an ihm vorbei und machte einen Hocker frei, indem er einfach alles darauf auf den Boden warf, ehe er mit diesem zu Souta trippelte und ihm gestikulierte, darauf Platz zu nehmen. Etwas zögerlich ließ sich der Kettenmagier darauf nieder und konnte nicht umhin, sich merkwürdig zu fühlen, als der Doktor mit einer scheinbar gigantischen schwarzen Tasche angelaufen kam, in der er herumwühlte. Außerdem war fraglich, wo der Typ eigentlich das Stethoskop herbekommen hatte, das er sich nun um den Hals legte. Für einige Sekunden starrte er dem Rotschopf erwartungsvoll in das Auge, ehe Souta fragend mit den Achseln zuckte. Was genau sollte er tun? "Oberteil ausziehen!" Oh, natürlich. Der junge Mann rollte mit dem Auge, seufzte, dann zog er sich das Ding über den Kopf und legte es auf seinem Oberschenkel ab. Wundervoll, nun saß er hier und reagierte auf die kühle Luft, indem sich alles aufstellte. Ungeduldig legte Souta sich die Hände auf die Knie und beugte sich etwas vor, als der Mann nun näherkam und ihn genauestens betrachtete: Den fast vollständig verheilten Kratzer an seiner Seite, das Gildenzeichen, eben alles, was es dort zu sehen gab. Letztendlich streckte er die Hand aus und berührte das rote Pferd, als wäre es das Tollste, was er je gesehen hatte, doch dann setzte er das Abhörende auf seine Brust und lauschte, während Souta unter der Kälte erschauderte und sein Mundwinkel zu zucken anfing. "Ohh ...", machte der Doktor und fuhr mit dem Kopf weiter hinab, "Ahhh ...". Der Kettenmagier seufzte noch einmal. "Hm ... Wie schnell kannst du laufen?"
"Ich weiß nicht. Müssen Sie da unten auch hinfassen ...?" Langsam wurde das etwas unangenehm.
"Pass auf - kannst du für mich so schnell wie du kannst gegen die Wand laufen, wenn ich dir eine Matratze aufstelle?"
"... Was?"
"Okay, vergiss es. Darauf kommen wir später zurück. Hose runter, ich will sehen, wie biegsam du bist ..."
Einige Sekunden lang starrte Souta dem vollkommen ernsten Doktor ins Gesicht, dann warf er Seraphim einen Blick zu, der definitiv "Du schuldest mir 'was" beinhaltete, und dann rutschte er vom Hocker, ließ die Jeans fallen und streckte sein Kreuz durch. Langsam legte er eine Hand auf dem Boden, beugte diesen Arm, bis sein Gesicht knapp über den Boden schwebte, und riss dann seinen Körper nach oben. Damit er nicht auf der Nase landete, fing er sich mit der verbleibenden Hand ab und stand so in einem Handstand da, gebeugt und angespannt. Der nächste Schritt war es, das Ganze auf eine Hand zu beschränken und mit dem Arm nach seinen Füßen zu fassen, die er soweit nach innen drückte, bis eine seiner Fersen beinahe seinen Kopf berührte. So blieb er ein paar Sekunden stehen, dann ließ er sich wieder zu Boden fallen und schaute reichlich angepisst zu dem Professor auf, der sich ihm schon wieder näherte und an seinem Hals herumzudrücken begann. "Deine Herzfrequenz ist ziemlich hoch ... Wie ernährt er sich?" Wieso genau stellte er Seraphim diese Frage?! Irgendwie hatte Souta ja den Eindruck, dass man ihn plötzlich zu einem Objekt degradiert hatte. Wunderbar, das.

Entweder amüsierte ihn das Spektakel gerade göttlich oder es pisste ihn über die Maßen an, was es war, hatte Seraphim noch nicht so ganz herausgefunden. Unterhaltsam war es vor allem, weil Souta sich auszog und er dabei ganz gemütlich auf einem Stuhl sitzend zugucken konnte, während er die unschuldigste Miene der Welt machte und überhaupt nicht starrte. Niemals wäre er auf die Idee gekommen, zu bemerken, dass die immer mehr schwindende Kleidung des Rothaarigen aufgrund der Nässe auch noch an seinem Körper klebte oder dass seine Boxershorts da am Saum ein kleines bisschen kaputt war und man deswegen ein bisschen Haut durch das Loch sehen konnte. Er war doch schließlich ein anständiger Kerl, er bespannte doch keine Menschen, seien es nun Frauen oder Männer und schon gar nicht Souta...! Tatsächlich war der einzige Grund, warum Professor Tann sein Starren nicht bemerkte, dass er selbst zu sehr mit Souta beschäftigt war, als dass er auch noch Kapazitäten für Seraphim gehabt hätte, der so alle Zeit der Welt hatte, um Soutas Körperbeherrschung zu bewundern. Wahrscheinlich hatte dieser vollkommen recht gehabt, als er gemutmaßt hatte, er sei wohl in der Lage, an einer Stange zu tanzen, wo er doch auch am Boden zu solchen Kunststücken in der Lage war. Das musste er sich merken, immerhin konnte er dieses Wissen ja in die Gestaltung anderer Dinge miteinbeziehen, die zum Glück nichts für den Professor waren, sondern unter ihnen bleiben würden. Er selbst hatte zwar grundsätzlich nichts gegen weitere Teilnehmer, aber diese sollten nach Möglichkeit nicht mit einem Bein im Grab stehen, während Souta ihm das schon einmal verboten hatte, weil er, wie er es erklärt hatte, nicht gerne teilte.
Ärgerlich war es, weil da ein kleiner, hässlicher Gnom um seinen halb nackten Souta herumhüpfte und ihn betatschte, mit kleinen, runzeligen Händen, die der Dragonslayer ihm in einer spontanen Anwandlung von Eifersucht gerne abgerissen hätte. Es war sicherlich schön, den Kettemagier so leicht bekleidet zu sehen, aber andererseits beobachtete er jede Bewegung des kleinen Mannes mit scharfen Augen, weil er keine Lust auf unliebsame Überraschungen hatte. Es gab Grenzen, die nicht überschritten werden durften und er würde darauf pochen, dass er das nicht wagte. Es hatte ihm ja schon nicht gefallen, als er vorgeschlagen hatte, er könne doch einfach mal gegen eine Wand rennen, immerhin wusste Seraphim über die Schmerzempfindlichkeit des Rothaarigen besser Bescheid als manch anderer. Sein Mund war also recht schnell zu einem etwas verkrampften Lächeln geworden, sein Blick konzentriert und die Hände fest auf den Lehnen seines Stuhles gelegt, bevor er sich wieder ein wenig entspannte, als der Professor eine Frage zu Soutas Ernährung stellte. Warum ging die eigentlich an ihn? Egal... "Ziemlich ausschweifend im Allgemeinen, obwohl er heute geradezu erschreckend wenig gefrühstückt hat.", erklärte er und setzte schnell hinzu: "War es das jetzt?" "Eine Sekunde noch...!", setzte Professor Tann jedoch an, "Renn' einmal den Leuchtturm runter und wieder hoch, dann messe ich deinen Puls noch einmal..." Was genau wollte er damit nur bezwecken, fragte der Dragonslayer sich, während der Kettenmagier aus dem Raum verduftete und wahrscheinlich sogar froh drüber war. Es war ja nicht so, als sei Souta körperlich gesehen etwas besonderes, außer eben, dass er sehr schnell war. Das wiederum waren andere auch, wenngleich er noch niemals jemanden in Soutas Tempo hatte rennen sehen. Als Souta zurückkam und der kleine Professor seinen Puls gemessen hatte, bekam er als erstes seine Sachen von Seraphim an den Kopf geworfen, immerhin war es jetzt langsam mal wieder Zeit, dass er die anzog. Nicht, dass er sich noch verkühlte oder so. "Also, was ist jetzt mit den Informationen?", fragte er leicht genervt und blickte den Kittelträger an.

In Unterwäsche Wendeltreppen hinabrennen und dann das Ganze aufwärts zu wiederholen hatte schon seinen ganz eigenen Charme, das musste man zugeben. Vielleicht würde er das ja zu seinem Hobby machen, einfach mal leichtbekleidet die Treppen von Seraphims Wohnhaus erklimmen, was sollte bei solchen Tätigkeiten schon passieren? Möglicherweise mochte die Vergewaltigungsrate in dem Wohnhaus drastisch ansteigen, aber das war ja nur bedingt sein Problem. Ja, er konnte sich durchaus vorstellen, noch ein paar Mal hin und her zu rennen, doch leider gab es da ja diese Quest, die von ihm verlangte, dass er sich beeilte, so dass er zwar in normalen Tempo nach unten joggte, den Weg nach oben dann aber doch eher im Schnelldurchlauf zurücklegte, so dass er relativ zeitig wieder eintrudelte und sich nach einer nervtötenden Pulsnahme direkt ein Gesicht voller Kleidung einhandelte, was er mit beinahe ehrfürchtiger Hochachtung besah und dann benutzte, um seinen Körper wieder vor neugierigen Blicken zu beschützen. Weil das alles ein wenig feucht war, kniff es an ein paar unangenehmen Stellen, so dass der Kettenmagier erst einmal einen Stepptanz hinlegte, damit sich sein Zeug wieder an die richtigen Orte verteilte. Gott sei Dank war dieser Mist nun vorbei. War schon eine Weile her, dass ihm etwas so unangenehm war. Nun hatte er auch keine große Lust mehr, auf unnötige Höflichkeit zu pochen, so dass er keinerlei Einsprüche erhob, als Seraphim zum Gegenstand ihres Besuches kam. Damit riss er den Wutzelmann natürlich aus höchst wissenschaftlichen Gedanken, die Souta nicht wirklich wissen wollte, aber vermutlich hatte er keine Wahl, weil Wissenschaftler nun einmal die Angewohnheit hatten, ihre Erkenntnisse allen möglichen Leuten auf die Nase zu binden - zumindest die Wissenschaftler, die er so kannte. Der Kettenmagier seufzte also, als der Kleine nicht sofort antwortete, sondern stattdessen ein wenig herumdruckste und durch den Raum schlenderte, als würde er die richtigen Worte sammeln. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Wahrscheinlich war es bereits hoffnungslos und der Doc hatte seinen letzten Lebenstraum erfüllt, einmal im Leben einen knackigen jungen Mann von oben bis unten zu begrabschen. Dann aber ...! "Du bist nicht sonderlich gesund, weißt du das? An deiner Stelle würde ich mich mal genau untersuchen lassen ..." Ach, das. Natürlich war er nicht gesund, das wusste er ja. Wer mit seinem Körper umging wie mit einer Müllhalde konnte nicht erwarten, dass er die besten Lebensaussichten aller Zeiten hatte, oder? Außerdem konnte es ja gar nicht normal sein, wenn man ständig soviel aß, als würde man einen Bandwurm ernähren. Unbeeindruckend. "Ja, ja. Der Tsunami." Nun legte sich ein Schatten über das Gesicht des Wissenschaftlers und er ließ die Schultern sacken, so dass er sogar noch ein wenig kleiner als zuvor wirkte, was auf eine verquere Art irgendwie knuffig war. "Ja ... es gibt tatsächlich einen Tsunami. Ich habe ihn auf den Maschinen gesehen ... Er wird vermutlich heute Abend diese Stadt zerstören und alle töten. Mh ... ich hätte gerne noch eine Blutprobe ..." Oh nein, ganz sicher nicht. Souta hätte vielleicht etwas vehementer widersprochen, wenn er nicht von der Antwort des Alten auf dem falschen Fuß erwischt worden wäre. Heute Abend? Das waren nur wenige Stunden ... Und sie hatten gerade bestimmt unendlich viel Zeit vertan. Diese Menschen durften nicht alle sterben ... Was dachte dieser Hornochse eigentlich, dass er ihm nun auch noch ein wenig Blut aus den Adern quetschen würde? Souta strich sich über eine der Narben an seinen Handgelenken und erschauderte beim Gedanken daran, dass der Tod wirklich gar nicht lustig war. "Und ... Und wie können wir einen Tsunami aufhalten?"

Souta war nicht sonderlich gesund? Auch wenn er fest entschlossen war, einem Mann, der die Medizin und Magie als bloßes Hobby zu betrachten schien, kein Wort diese Themen betreffend zu glauben, hatte dieser Satz ein unschönes Gefühl im Magen des Weißhaarigen ausgelöst. Wie ein unterschwelliges, dumpfes Pochen fühlte es sich das an, was sich da in seiner Leibesmitte zu entfalten begann, den Vorboten von Erbrechen recht ähnlich. *Der hat doch eh keine Ahnung, lass ihn reden. Und wenn doch, hat er immer noch mich... ich bin der fähigste Heiler Fiores!* Das war falsch - er könnte der potenteste Heiler dieses Landes werden, wenn man seine Mutter ausschloss und ihn dazu bringen würde, dieses Talent etwas mehr zu trainieren, denn im Moment war es noch etwas unterentwickelt. Wenn auch nur ein Funken Wahrheit in den Worten des alten Irren lag, würde er sich in Zukunft so viel mehr anstrengen müssen, damit er sie ungeschehen machen konnte - immerhin sollte es seinem Souta gut gehen, er sollte gesund und munter sein und ein langes, lustiges Leben genießen dürfen! War ihm doch egal, wenn tausende Menschen wegen einer Flutwelle starben, wenn es dem Einäugigen dafür besser ging, durften auch noch ein paar mehr ihr Leben lassen. Er war ein wertender Mensch und das Leben des Rothaarigen war ihm nun einmal unendlichmal wichtiger als das irgendwelcher anderen Wesen - Drachen vielleicht mal ausgenommen. Diese jedoch spielten sowieso in einer ganz anderen Liga als die Menschen, weswegen man darüber auch gar nicht zu diskutieren brauchte. Diese Einschätzung der Wertigkeit von Informationen war es aber auch, die ihn die Nachricht von der baldigen Ankunft des Tsunamis mit deutlich weniger Hektik annehmen ließ, als sie es wohl verdient hätte. Eigentlich sollte er wohl ähnlich wie Souta entrüstet über die Zurückhaltung des Professors sein und mit ihm schimpfen, weil er es nicht für wichtig erachtet hatte, sie sofort davon in Kenntnis zu setzen, aber er zuckte nur mit den Schultern und murmelte "Da hat wohl jemand Spaß am sterben..." in seinen nicht vorhandenen Rauschebart. Es war immerhin viel schockierender und wichtiger, was Souta denn nun fehlte...!
Das einzige, was seine auf dieses Problem fixierten Gedankengänge unterbrechen konnte, war etwas, auf das die violetten Augen des Dragonslayers stießen, als sie Soutas Gesten folgten, nachdem dieser die offensichtliche Frage gestellt hatte, die sich schon seit Akzeptanz der Quest angebahnt hatte: Wie zur Hölle stoppte man einen ausgewachsenen Tsunami? Das interessierte den Weißhaarigen allerdings kein Stück, denn das, was da unter der streichelnden Hand des Kettenmagiers zum Vorschein gekommen war, war eindeutig eine Narbe. Warum hatte er die noch nicht vorher bemerkt? War er tatsächlich so auf aufregendere Körperstellen fixiert gewesen, dass er die einfach übersehen hatte. Einen Moment lang hielt er tatsächlich den Atem an, seine Pupillen schien kleiner zu werden, während er stocksteif vor dem Stuhl stand, aus dem er sich gerade erhoben hatte. Diese winzige Sekunde schien die Zeit stehen geblieben zu sein, ging unter in einem Pochen in seinen Ohren, das wahrscheinlich von seinem eigenen, heftig klopfenden Herzen kam, ehe er vorschnellte und nach Soutas Hand griff. Er drehte sein Handgelenk unwirsch zu sich um, hoffte, dass er sich verguckt hatte, doch noch während er nach der zweiten Hand des Kettenmagiers fischte, wusste er, was diese Art von Narben im Allgemeinen zu bedeuten hatten.
Tatsächlich bezeugten sie, dass Souta mehr von der Anatomie des menschlichen Körpers wusste, als so manch anderer Suizidale, der es eher fertig brachte, sich alle möglichen Nerven und Sehnen zu zersäbeln, als tatsächlich die Adern zu treffen. Ebenso zeigten die längs seines Unterarmes laufenden Narben jedoch auch, dass jemand - und das war aller Wahrscheinlichkeit nach er selbst - versucht hatte, ihm die Adern aufzuschlitzen, nacheinander und mit fast sicherer Hand. Die Konsequenzen aus diesen Schlussfolgerungen wollte Seraphim nicht wahrhaben. Das würde bedeuten, dass Souta versucht hatte, Selbstmord zu begehen... dass er versucht hatte, zu sterben, dass er drauf und dran gewesen war, das, was er an Fiore am meisten schätzte, endgültig zu vernichten. Das konnte einfach nicht wahr sein... "Was... ist... das?", kam es stockend und mit hohler Stimme über seine Lippen, eine redundante Frage, weil er ja sowieso wusste, wie so etwas zustande kam. Seine Hand, die Haut noch eine Nuance weißer also sowieso, krampfte sich fest um das geschundene Handgelenk, fester, als er eigentlich beabsichtigt hätte, wenn es ihn gekümmert hätte. Es kam ihm vor, als würden diese Narben sich nicht nur in seine Netzhaut einbrennen, sondern auch auf seine Lunge übergreifen und die Luft darauf ziehen, sodass er kaum atmen konnte. Wieso... wieso hatte er das nicht vorher bemerkt? Er hatte Souta vollkommen unbekleidet vor sich gesehen, aber nie hatte er einen Blick dorthin verschwendet... wie unaufmerksam konnte er sein, dass er ihn tagelang nicht aus den Augen lassen und dennoch nichts sehen konnte? "Ich sagte: WAS IST DAS?!" Deutlich aggressiver, lauter und wahrscheinlich auch so verzweifelt, wie er sich gerade fühlte, hallte seine Stimme im Leuchtturm wider und brachte den kleinen Professor, der die Szene aufmerksam beobachtet hatte, dazu, hinter den Stuhl zu springen, auf dem er gesessen hatte. Er wollte eine Erklärung haben, einen Grund für etwas Unverzeihliches, den er akzeptieren konnte, damit er sich keine Sorgen mehr machen musste, dass sich so etwas je wiederholen würde. Er war monatelang weg gewesen und offenbar hatte die Möglichkeit bestanden, dass er nie wieder zurückgekommen wäre. Er wäre einfach für immer fort gewesen, ohne sich je von ihm verabschiedet zu haben... wie konnte er so etwas tun? Wusste er denn nicht, was er ihm bedeutete? War das nicht absolut klar, wenn er auf dieser Erkenntnis reagierte, als habe Souta nicht versucht sich selbst, sondern Seraphim das Leben zu nehmen?!

Das … war genau das, was nicht hätte passieren dürfen. Es war nicht Seraphims Unaufmerksamkeit, dass er diese Narbe nicht gesehen hatte, nicht nur jedenfalls. Souta hatte alles getan, damit dieser Makel an seinem sonst so perfekten Körper nicht ans Tageslicht gelangte, insbesondere nicht vor den Augen seines besten Freundes. Tief in seinem Inneren hatte der Rothaarige gewusst, dass der das nie und nimmer verstehen würde, nicht einmal, wenn er es mit tausend Worten umschrieb, deshalb hatte er sich still darauf geeinigt, dass er es einfach nicht bemerken musste. Das hatte ausgezeichnet funktioniert. Über Tage hinweg hatte er ihn nicht darauf angesprochen oder irgendwie anderweitig gezeigt, dass er Notiz von diesem Schandfleck genommen hatte. Also war er unvorsichtig geworden. Er hatte seine Arme nicht mehr bedeckt, sich sicher gefühlt. Aber das war offenbar ein Schritt zu weit gewesen. Er war über die unsichtbare Linie der Blindheit getreten und hatte nun doch etwas auf dem Silbertablett geliefert, was er mit aller Kraft geheimhalten wollte.
Dementsprechend war es nicht Schuld, die ihn umfing, als seine Arme von seinem Körper gerissen wurden, sein Handgelenk sich dem blasser werdenden Gesicht des Älteren entgegenneigte – denn er war sich keinesfalls sicher, ob er Schuld empfinden konnte. Im ersten Moment ärgerte er sich vor allem deshalb, weil er nicht aufmerksamer gewesen war, dass die Erinnerung an seine eigene Todeserfahrung ihn weich gemacht hatte. Da hatte er einen ganz dummen Fehler gemacht, der sich nun natürlich nach dem Worst-Case-Szenario auffädelte, welches er sich anhand der gegebenen Informationen zusammengestellt hatte. Irgendetwas musste Seraphim an ihm gelegen sein – etwas, was Souta nicht verstand. Für ihn war es vor allem unerfreulich gewesen, sich diese Schnitte zuzufügen, weil sie physischen Schmerz verursacht hatten. Aber er bereute es nicht. Schuld und Reue gehörten nicht in sein Emotionsspektrum. Er war überhaupt erst in eine solche Situation geraten, weil er nicht anders konnte, als diese Emotionen in sich einzusperren, wo sie wie unverdauliche Pfefferminzbonbons lagerten, nur darauf wartend, dass seine negativen Gedanken über sich selbst Cola über die ganze Sache gossen und die Party abgehen konnte. Es tat Souta Leid, dass Seraphim auf diese Weise erfahren musste, dass sein ganzer Charakter eine Lüge war und dass er keineswegs der lustige Rothaarige war, den er allen Leuten vorspielte. Wirklich. Es tat ihm Leid, dass er ihn ausgetrickst hatte, seit er ihm das erste Mal gesehen hatte. Er konnte nicht anders – er verarschte alle Menschen. Das war sein Ding. So kam er über die Runden, und obwohl er geglaubt hatte, dass Seraphim anders war als die anderen, so hatte er ihn nie wirklich in sich hineingelassen. Er war abgehauen, nicht mit der Möglichkeit, sondern mit der Hoffnung, im Laufe seiner blutigen Bahn durch Fiore zu sterben, wenn er sein Ziel nicht erreichte. Und er hatte dabei keine Sekunde lang an den Weißhaarigen gedacht. Oh, er hatte Nachts wach gelegen und violette Augen vor sich gesehen. Er hatte auf seiner Reise mit Leuten geredet, die ihn „chanten“ und dann ein gequältes Lächeln von sich gegeben, wie es ein Soldat tat, der an eine schöne Erinnerung denkt, ohne großartig zu versuchen, irgendjemanden davon zu überzeugen, dass diese Zeit vorbei war. Nein, Seraphim konnte nicht zu ihm durchdringen, das war … Das ging einfach nicht. Nicht, weil es schwul war. Menschen kamen einfach nicht in Soutas Geist, er teilte diese Festung nicht. Bei seiner Schwester hatte er es getan, und sie war aus ihm herausgerissen worden, hatte mit ihren Widerhaken der Liebe alles mit sich genommen, was ihn ausgemacht hatte. Er hatte so unglaubliche Angst davor, dass das wieder passierte, dass er lieber alleine war und starb, als dass er dieses Risiko erneut einging. Kabane war so knapp davor gewesen, diese Grenze zu überqueren, und dann hatte auch sie ihn verlassen. Alles hatte sich wiederholt und er war noch ein Stück leerer geworden. Jede Person, die Souta traf, jede Person, die er liebte, tat ihm weh, und deshalb wollte er einfach nicht mehr. Es gab eine gewisse Grenze, wie viel Schmerz ein menschliches Wesen ertragen konnte und bei ihm war diese einfach schon lange überschritten. Wenn er morgens die Augen aufschlug, wünschte er sich … Er wünschte sich einfach, dass er sie nicht mehr aufschlug. Er wollte nicht atmen, weil das einfach schmerzte. Ja, Schuld war nichts für ihn, aber er fühlte sie trotzdem, wenn er daran dachte, dass er weiterleben musste, während alle anderen, guten Menschen, starben. Er lebte sein Leben aufgespießt und innerlich von klaffenden Wunden entstellt – er bettelte durch seine Lebensführung jeden Moment darum, dass man ihn erlöste. Wieso durfte er da nicht das Schicksal in die eigene Hand nehmen? Er hatte nie irgendetwas für sich selbst getan, immer war er derjenige gewesen, der andere zum Lächeln brachte. Es interessierte niemanden, ob er zerbrochen war. Und das einzige Mal, in dem er sich auch nur ansatzweise so gefühlt hatte, als hätte er Macht über sich war ihm auch vereitelt worden. Man hatte ihn zusammengeflickt, ihm ein paar Kampfstricks beigebracht und ihn dann wieder ins Leben geworfen, in eine neue Gilde. Er kam sich vor wie ein Zombie und fühlte sich leerer als je zuvor. Aber er war so, so gut darin, es zu verbergen, alles unter den Teppich zu kehren und zu lächeln.
Er wusste, dass Seraphim ihn nicht verstehen würde. Sein Blick bestätigte alle Befürchtungen, die er hatte. Am Ende hatte er ihm mehr wehgetan als sich selbst, wieso auch immer das so sein mochte. Vielleicht war er am Ende selbst mit Widerhaken in seine Brust gestürmt, in seiner Panik, er wusste es nicht. Aber er musste beinahe lächeln: Was der Weißhaarige da fühlte war nur ein kleines Ruckeln an der Konstruktion, da wurde noch lange nichts herausgerissen. Wie konnte er nur daran denken, ihn zu verurteilen, wenn er doch offenbar schon von dieser milden Sensation in seinen Grundfesten erschüttert wurde, so sehr, dass er ihm ins Gesicht schrie. Seine Frage war sinnlos – sie wussten doch beide, was das war. Sein bester Freund war schlau. Souta bewunderte ihn dafür. Er hob den Kopf, hatte gar nicht realisiert, dass er zu Boden geblickt hatte, und fixierte die violetten Augen seines Gegenübers mit einem Blick, der nicht einmal annähernd das aussagte, was er wollte. Es rührte ihn, dass der Ältere sich so aufregte – es brach ihm das Herz. Und es bestätigte zugleich all seine Vorsicht, die er ihm gegenüber walten lassen hatte, all seine Zweifel bezüglich ihrer nicht-existenten Beziehung. Der Rothaarige hatte nicht gedacht, dass er so objektiv auf die Sache blicken würde, wenn er realisieren würde, was die ganze Zeit zwischen ihnen gelauert hatte – nun, wahrscheinlich wusste er nicht alles. Und er konnte auch nicht objektiv bleiben. Seraphim hatte schon zu viele Zehen über die Grenze gestreckt, als dass er das könnte, deshalb nahm ihm der Schmerz in seinem Gesicht auch einen Moment den Atem und senkte seine Stimmlage auf ein Flüstern. „Du weißt, was das ist. Tut mir Leid, dass du es so erfahren musst.“ Das war die Essenz seiner Gefühle, nun musste er sich rechtfertigen. „Ich … habe Probleme. Mit mir selbst. Und ich bin es Leid, sie mit mir herumzuschleppen, weil sie sich nicht lösen lassen. Ich werde sie dir nicht auf die Nase binden, weil du das nicht verstehst, das nicht verstehen kannst. Das war eine einmalige Sache, ich werde es nicht mehr selbst versuchen, aber du solltest die Wahrheit kennen, wenn du mich schon anschreist.“ Er holte tief Luft und schloss für einen Moment das Auge, weil er glaubte, die Illusion einer Träne dahinter zu spüren. „Ich möchte sterben. Dafür stehe ich morgens auf. Um zu sterben. Okay? Ich bin es Leid, ich zu sein. Das ist scheiße. Warum macht dich das so fertig? Bin ich dir so wichtig?“ Nun kiekste seine Stimme eine Nuance nach oben, ehe sie brach und er sich räuspern musste, weil sich Rotz in seiner Nase sammelte und sich eine Träne aus seinem Augenwinkel abseilte. „Das tut mir wirklich Leid, Seraphim. Ich wollte – ich will dir nicht wehtun ...“ Er hatte keine Ahnung, wie er diesen Satz beenden wollte. Es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, dass er versucht hatte, nicht mehr er selbst zu sein, zumindest keine, die sein Gegenüber verstehen würde. Wenn er irgendetwas verstanden hatte, jetzt in diesem Moment. Er bezweifelte es. Souta glaubte, dass der Andere ihm nun einreden würde, dass er es wert war, zu leben, dass er wichtg war und vielleicht würde es ein Zugeständnis geben – aber das wäre nicht das erste Mal. Seine Mutter hatte ihm dieselbe Predigt gehalten und er hatte damit reagiert, dass er das Haus verlassen hatte und nie wieder zurückgekehrt war. Für Seraphim würde er lächeln und nicken, immerhin hatten sie eine Quest zu erledigen, oder? Es hatte sich doch nichts geändert, wegen einem weißen Mal an seinem Handgelenk, zumindest nicht für ihn. Es war überfällig gewesen, diese Grenze in den Sand zu zeichnen. Nur … wieso fühlte es sich nicht nach einer erledigten Aufgabe an, sondern eher nach einem ganz neuen Grad der Verwüstung?

Seraphim hatte gewusst, dass Souta nicht das fröhliche Stehaufmännchen war, das er zu sein vorgab. Er hatte erlebt, wie er unter einer Last zusammenbrach, die er selbst ohne es zu wollen verursacht hatte, indem er die Bewohner von Hargeon davon abhielt, Souta zu verprügeln; hatte gesehen, wie Ströme silberner Tränen aus seinem Auge flossen und seine Kleidung durchnässten. Es waren immer kurze Augenblicke voller Emotionen gewesen, die schnell wieder vorbei gewesen waren, weil es Souta gewesen war, der sich selbst wieder für normal erklärte, einfach aufhörte, die Tränen fließen zu lassen oder ihnen in Windeseile die Bedeutung nahm. Der Weißhaarige hatte beobachtet, wie die Maske voller Wärme und Freude mitten in seinem lachenden Gesicht zersprang und eine andere Seite ans Licht trat, unsicher und dunkel, verzweifelt. Er hatte gesehen, wie er des Nachts so plötzlich aus seinen Träumen geschreckt war, mit verwirrtem, verstörtem Gesicht, dass er sich hatte unter sein Bett rollen müssen, um nicht entdeckt zu werden, um ihn davonstolpern zu sehen, unsicher, als wolle er vor etwas Unausweichbarem fliehen. Natürlich hatte er gewusst, dass er nicht eine so glatte, sorglose Persönlichkeit sein konnte, wie er andere gerade glauben ließ, aber er hatte nicht erwartet, solche Abgründe hinter dem grünen Auge zu finden. Er hatte sie schon das eine oder andere Mal durch den Schleier der Herzlichkeit erspähen können, aber die Bodenlosigkeit wurde ihm erst bewusst, als Souta ihn nun ansah, mit einem leicht feuchten Auge, das etwas ausdrückte, was man nicht in Worte fassen konnte.
Natürlich war er erschüttert. Er war entsetzt darüber, den wichtigsten Menschen in seinem Leben sagen zu hören, dass er nur lebte, um zu sterben, dass er so etwas wie Todessehnsucht verspürte. Niemals würde er zulassen, dass ihm etwas geschah, weil er sein Leben offenbar mehr wertschätzte, als der Rothaarige das selbst tat, weil er sich dadurch nur selbst verletzen würde. Und dennoch war es nicht nur Schock, der seinen Körper mit einem mal hatte kalt werden lassen, der seine Hände zittern ließ, als sei er einen Marathon mit leerem Magen gerannt, sondern auch Entrüstung darüber, was sich dieser Kerl eigentlich erlaubte. Da stand er, scheinbar seelenruhig, und schoss ihm Worte entgegen, die einer Maschinengewehrsalve gleich kamen, die man auf ein weiches Stück Butter gerichtet hatte. er war so weich geworden, wenn es um Souta ging, so unglaublich weich, dass er sich dafür selbst verachtet hätte, wenn er zu ernsthafter Selbstkritik fähig gewesen wäre. So blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterhin seine Handgelenke umklammert zu halten und ihm mit plötzlich sehr ausdruckslosem Gesicht ins Auge zu blicken. Als Souta nach Seraphims Wutanfall angefangen hatte, sich selbst zu schlagen und heulend zusammengebrochen war, hatte er versucht, ihn um Entschuldigung für sein Verhalten zu bitten und ihn angefleht, damit aufzuhören, sich selbst so schlecht zu behandeln. Kurze Zeit darauf hatte Souta einfach so getan, als sei nichts passiert, hatte die Probleme weggelächelt und ihn damit verhöhnt, dass er nicht so auf ihn reagiert hatte, wie er es beabsichtigt hatte. Das war also keine Alternative.
Wohl wissend, dass er sich wahrscheinlich mit der nun folgenden Aktion selbst deutlich mehr weh tun würde, als Souta und eine Misskalkulation gefährlich werden würde, holte er Luft und löste seine rechte Hand von Soutas Arm, hielt dessen Rechte jedoch weiterhin fest. Ohne die Miene zu verziehen wanderte sein Blick zu seinen Lippen, doch anstatt sich vorzubeugen und ihn zu küssen, holte er aus und verpasste ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht. Natürlich hatte er nicht mit aller Kraft zugeschlagen, weil er ja wusste, wie empfindlich der Junge war, aber es sollte doch reichen um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Seine Hand sprang von seinem Handgelenk zu seinem Kragen und zog ihn näher zu sich heran, während er ihn zurück drängte, bis da nur noch eine kahle Wand hinter ihm war, gegen die er den Kettenmagier drückte und sanft über dessen geprellte Wange streichelte. Das Lächeln hatte zu seinen Lippen zurückgefunden, zwang sie in die Breite, auch wenn es selten einen Moment in seinem Leben gegeben hatte, der ihn weniger zum Lachen animierte. "Weißt du was, Souta?", säuselte er, die Stimme kaum mehr als ein Hauch, der zittriger war, als er geplant hatte, "Ich glaube dir nicht~" Er ließ seine Worte einen Moment sacken, den er dafür nutzte, seine Finger aufleuchten zu lassen und vorsichtig über seinen Wangenknochen fahren zu lassen. "Du findest es also scheiße, du zu sein, ja? Verständlich. Du behauptest, mir nicht weh tun zu wollen, nachdem du mich fragst, ob du mir etwas bedeutest und hast die Dreistigkeit, auch noch zu behaupten, es würde dir Leid tun? Du bist ein Egoist. Und du bist ein Lügner. Die ganze Welt lügst du an, jeden der dich schätzt, damit es dir selbst besser geht und deswegen - deswegen glaube ich dir nicht. Wenn dir dein Leben egal wäre, würdest du nicht versuchen, dich damit zu arrangieren, dann würdest du gar nicht erst versuchen zu kämpfen, dann wärst du nicht derjenige, der du bist. Du magst verzweifelt sein, aber das solltest du nicht mit Todessehnsucht verwechseln. Sich in die Hoffnung zu stürzen, der Tod würde einem Vergebung gewähren, ist feige und deiner nicht würdig." Seraphim schüttelte sich mit einem Ruck seines Kopfes eine Strähne schneeweißen Haars aus der Stirn und fixierte Souta erneut, das Gesicht inzwischen nicht mehr ansatzweise in einem Zustand, wie er es gerne hätte. Kein Lächeln zierte mehr seine Lippen, die zu einem Strich geworden waren; seine Kiefermuskulatur war verspannt und auf seiner Stirn hatten sich Falten gebildet, wie man sie selten bei ihm sah. "Ich habe keine Ahnung, was dich heimsucht, dich aus dem Schlaf reißt und sich dir als Last aufbürdet, aber es ist mir auch egal. Du wirst dafür nicht sühnen können, indem du dein eigenes Leben wegwirfst, du musst stark genug sein, um es dir selbst zu vergeben oder du musst mit deiner Schuld leben können. Aber das kannst du ganz offenbar nicht - weil du zwar nicht der strahlende Held bist, den du gerne mimst, aber trotz all deiner Macken, Ecken und Kanten ein guter Mensch, Souta. Versteh mich nicht falsch, du bist ein verdammtes Arschloch - aber das bin ich auch. Du kannst vergangenes nicht ungeschehen machen, auch nicht, indem du dich selbst degradierst, also hör auf damit, es zu versuchen. Kleine Kinder heulen, wenn sie etwas kaputt gemacht haben, aber auch sie lernen irgendwann, dass manche Dinge im Leben endgültig sind und wachsen an dieser Einsicht. Also werd' mal langsam erwachsen." Inzwischen hatte er den Schaden, den er im Gesicht des Kettenmagiers angerichtet hatte, wieder geheilt, doch noch immer strichen seine Finger am Unterkiefer des jungen Mannes herum, streichelten über die glatte Haut als suchten sie nach etwas bestimmtem.
"Ich bin ein Mörder, weißt du...", kam es nach einem Augenblick über seine Lippen, während sich sein Gesicht wieder entspannt hatte, "Ich habe schon so einiges absichtlich aus dem Leben gerissen, was nicht hätte sterben müssen und es bekümmert mich nicht. Ich zerstöre Leben und habe Spaß daran, einfach, weil ich es kann und ich breche den Willen von Menschen, damit sie mir dienen. Wenn du wirklich glaubst, dass du den Tod verdient hast, dann müsstest du doch eigentlich kein Problem damit haben, mich mit dir zu nehmen, oder?" Der Dragonslayer nahm die Hände des Rothaarigen in die seinen und platzierte sie vorsichtig um seine Kehle. Kurz wartete er, ehe er erneut zu Sprechen ansetzte, wobei er den Kopf ein wenig zur Seite drehte, um nicht länger in dieses Gesicht blicken zu müssen, dass er so sehr liebte, aber auch so gerne ohrfeigen wollte: "Oh, aber beeil dich bitte, sonst komme ich noch darauf, dich die Frage bereuen zu lassen, ob du mir etwas bedeutest... Blödmann."
Und einen ganz kleinen Augenblick sah er beleidigt aus.

Souta war aufgrund seiner Persönlichkeit schon öfter ins Gesicht geschlagen worden, was für eine solch schmerzempfindliche Person natürlich fatal war, aber dieses Mal war die ganze Sache noch etwas schlimmer, da es vor allem immer auf den Ausführenden ankam, wie schnell man sich wieder aufrappelte, wenn man aus den Schuhen geknockt wurde. Der emotionale Stress des Rothaarigen ließ sich also wunderbar allein an der Tatsache ablesen, dass Seraphim es überhaupt schaffte, ihm die Faust ins Gesicht zu schmettern, ohne postwendend gegen die Wand zu fliegen. Stattdessen spürte Souta wenige Sekunden später selbst eine gewisse Härte in seinen Rücken, die er müde zur Kenntnis nahm. Der Schmerz, der durch seine Gesichtsmuskeln ebbte, hatte eine betäubende Wirkung auf seine Gedanken, aber er hatte auch grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Seraphim ihn als Boxsack benutzte. Das Traurige an der Sache war wohl, dass die Aktion als Aufkweckruf gedacht war, für den jungen Mann aber eher den Effekt eines Schlafliedes beinhaltete. Negative Reaktionen auf sich selbst wurden gefiltert, das sollte sein bester Freund mittlerweile wissen; sie gingen zu einem Ohr rein und zum anderen wieder hinaus, ohne, dass er einen weiteren Gedanken auf sie verschwendete. So erfüllte der Hieb vermutlich seine Intention, eine einschlägige Verdeutlichung seines Standpunktes darzustellen, ansonsten war er allerdings vollkommen sinnlos. Souta hatte keine Sekunde lang plötzlich Zweifel an seinem inneren Aufbau. Wenn es so einfach wäre, zu ihm durchzudringen, wäre die ganze Diskussion um Selbstmord schließlich nutzlos und lächerlich gewesen, er hätte sich einfach einer zünftigen Schlägerei umschauen müssen. Von daher tat es dem Kettenmagier vor allem Leid, dass Seraphim keinen anderen Ausweg gesehen hatte, als ihn zu schlagen, wo er sich doch geschworen hatte, dass niemand ihm wehtun sollte und ansonsten wie eine Glucke darauf aufpasste, dass er keinen Schaden erlitt. Mit ausdruckslosem Gesicht hing Souta an der Wand, der Schmerz zwang ihm, das Auge halb zu schließen und seine ganze Haltung war auf eine Art kraftlos, die nicht nur in einem plötzlichen Schwindelgefühl verhaftet zu sein schien. Jede Faser seines Körpers sagte „Komm schon, reg dich nicht auf, das bringt nichts.“, weil das der Wahrheit entsprach. Nach einer anfänglichen Schockreaktion (weite Augen, keuchendes Einatmen) hatte er bemerkt, dass Ältere ihn nicht ernsthaft verletzen wollte, also hatte er nicht einmal Angst vor ihm. Er konnte die Handlung nicht ernstnehmen, wenn der andere im nächsten Moment die Hand ausstreckte und ihn heilte. Das hatte einen verzweifelten Charakter, als wollte er nicht die Prellung heilen, sondern sein Hirn, oder was auch immer dafür verantwortlich war, dass er seinem Leben so lustlos gegenüberstand. Klappte nicht, aber netter Versuch.
Einen Augenblick lang war er tatsächlich überrascht von der Aussage, dass Seraphim ihm nicht glaubte, maß ihr aber im nächsten Moment eine gewisse Logik bei. Jemanden, der jeden anlügte zu glauben, war dumm. Und selbstverständlich hatte er nicht die Wahrheit gesagt, das war ja wohl klar gewesen, schließlich wollte niemand eine ehrliche Rechtfertigung hören, egal, was man Gegenteiliges behauptete. Seine Erklärung war bestenfalls im Kern wahr gewesen, nämlich dem, dass er nicht er selbst sein wollte und, dass er Seraphim nicht verletzen wollte. Wobei Letzteres stark davon auf die Probe gestellt wurde, dass dieser mit einer nicht zu fassenden Ignoranz über sein Leben zu richten begann und es wagte, ihn feige zu nennen. Wäre er nicht so schlaff gewesen, hätte er den Anderen vielleicht nun seinerseits an die Wand gedrückt, doch so senkte er lediglich den Blick und dachte sich seinen Teil. Es lag ihm auf der Zunge, dass er nicht versuchte, sich zu arrangieren, sondern eher die Hoffnung auf Besserung aufgegeben hatte. Und eine fiese Stimme ganz hinten in seinem Kopf flüsterte, dass es vielleicht angebracht wäre, dem Weißhaar vor Augen zu führen, dass die letzten Male, in denen er sich zum Kämpfen gebracht hatte, nicht seiner eigenen Existenzerhaltung, sondern Seraphims gegolten hatten. Er hatte nicht versucht aus dem Wasser zu kommen, nachdem er hineingefallen war, und er hatte das sinkende Schiff nur deshalb verlassen, weil Seraphim ihn nicht abgeholt hatte und daher die Möglichkeit bestanden hatte, dass er in Gefahr geraten war und somit seine Hilfe brauchte. Das konnte er natürlich nicht wissen. Und in seinem momentanen Zustand wäre diese Information vielleicht auch nicht unbedingt günstig, aber er würde sie im Hintergrund behalten, denn noch musste er schweigen, noch kam mehr aus dem Himmelsmagier gequollen, offenbar hatte jemand einen Staudamm gebrochen, nun war es Zeit für die Enthüllungen des Jahrhunderts.
Soutas Kopf ruckte etwas zur Seite, während er den neuen Schwall aufnahm. Nun war er von einem Feigling zu einem kleinen Kind degradiert worden, oder war das eher eine Beförderung? Jedenfalls hatte er dieses Argument schon ziemlich oft gehört: Man musste irgendwann mit seiner Schuld klarkommen, weil man die Vergangenheit nicht ändern konnte. Das sagten jene, die keine solchen Ereignisse hinter sich hatten. Es war schwer, zu vergessen und weiterzumachen, wenn der durchdringende Schrei eines kleinen Mädchens in seinen Ohren explodierte, wann immer er die Augen schloss und sich ihr Bild in seine Netzhaut eingebrannt hatte. Als hätte er nicht versucht, damit abzuschließen, als hätte er sich nicht eingeredet, dass alles okay war. Seraphim verstand ihn nicht. Er nahm an, dass seine fehlende Bereitschaft, sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen, ein Zeichen dafür war, dass er unreif war. Ironischerweise musste er nicht erwachsen werden – er war das schon seit er Sieben war, dankeschön. Natürlich war es dem Weißhaarigen egal, was ihm heimsuchte, deshalb war er ja auch gar nicht aufgelöst … Nein, es war schon richtig. Wenn man sich selbst degradierte, konnte man nichts am Geschehenen ändern, aber es machte die Sache doch ein wenig erträglicher. Tatsächlich glaubte Souta daran, dass er sich vielleicht eines Tages besser fühlen würde, wenn er sich genug Hass aufgebürdet hatte. Vielleicht wachte er eines Morgens auf und hatte den Eindruck, dass seine Tat gesühnt war. Er war verzweifelt. Verzweifelte Menschen machten dumme Dinge.
Wie beispielsweise einem anderen anbieten, seine Komplexe zu übertragen und einen Mord zu begehen. Das war eine sehr dramatische Geste, die Souta einen Großteil der Emotionen offenbarte, die hinter den violetten Augen Zumba tanzten, aber mehr auch nicht. Natürlich würde er nicht zudrücken und erst Seraphim, dann ihn töten. Er hatte Angst vor dem Tod, und Selbstmord hatte sich erübrigt, weil das verdammt weh getan hatte. Nur, weil er wollte, dass sein Leben vorbei war und sich deshalb in irgendwelche Risiken bereitwilliger stürzte, bedeutete das nicht, dass er jeden Tag den Drang verspürte, sich abzumurksen. Darüber war er schon länger hinaus. Zumal der Mord an Seraphim ein solch gewaltiges Eigentor wäre, dass er nie wieder aufholen könnte, nicht einmal mit seiner Geschwindigkeit. Wie tote Fische lagen seine Hände also an der Kehle des Anderen, fühlten dessen Puls wie überschnelle Morsezeichen an seinen Fingern – und grinste dann. Mit einer einfachen Bewegung klappte er das Kinn des Älteren zur Seite, brachte die drei verfügbaren Augen in Kontakt zueinander und neigte zugleich den Kopf ein wenig, während auf seinem Gesicht ein Ausdruck erschienen war, als hätte er gerade den besten Witz des Jahrhunderts gehört. Seine Lippen spalteten sich, und dabei kamen sie denen des Himmelsmagiers so nahe, dass sie sich beinahe berührten. Souta wurde an diese Wand gedrückt, aber er schaute zumindest eine Sekunde lang fast bedrohlich aus, in der sein Lächeln verblasste. „Du hast keine Ahnung, wieso ich kämpfe, oder? Wirf mich in eine Löwengrube und ich spiele das 'sexiest Steak alive', aber spring mir hinterher und ich verwandele dir die Biester in einen Pelzmantel.“ Er suchte mit seinem Auge nach der Pupille des Anderen und runzelte leicht die Stirn, nachdenklich beinahe, dann umfassten seine Hände seine Wangen und er drückte mit den Daumen auf sein Jochbein. „Der Grund, dass ich noch lebe ist nicht meine Feigheit, meine Unreife oder, dass ich ein Blödmann bin. Der bist du. Also sag mir doch ...“ Er stockte kurz, ganz so als hätte er im Moment auch für sich selbst einige Dinge klargestellt, die ihn später sicher noch vefolgen würden. „Wieso sollte ich das Einzige töten, was mich am Leben erhält, hm? Du bist das Beste, dass mir – Wenn du das noch einmal von mir verlangst, dann werde ich abhauen und nie wieder zurückkommen, verstanden? Es hat sich nichts geändert, also können wir dann unsere Unterhöschen wieder entwirren und uns darauf konzentrieren, wie man einen Tsunami aufhält?“

Glaubte Souta wirklich, er würde Seraphim mit diesen nichtigen Worten beschwichtigen können, ihn davon abbringen, weiter auf sich einzudringen? Das hatte die letzten Male gut geklappt, doch nicht heute. Der Dragonslayer hatte zu oft beobachtet, wie der Kettenmagier erst zusammen brach und dann von ihm verlangte, einfach zu vergessen, wie er zerschmettert auf dem Boden gelegen hatte, obwohl es ihm jedes Mal in der Seele weh getan hatte. Mit seiner Maskerade verlangte er nicht nur von sich selbst, immer zu lächeln und immer gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sondern auch von allen, denen er etwas bedeutete. Merkte er denn nicht, dass es Seraphim schmerzte, ihn so zu sehen und danach so zu tun, als sei alles in bester Ordnung? "Dieser verdammte Tsunami ist mir vollkommen egal. Meinetwegen sollen alle Bewohner dieser Stadt absaufen, dafür, dass sie dich so behandeln." Er seufzte und schlang die Arme um die Taille des Rothaarigen, zog ihn von der Wand weg und legte sein Kinn auf seine Schulter. Langsam über seinen Rücken streichelnd drehte er den Kopf und küsste sein Ohrläppchen, bevor er ein Stückchen weiter oben flüsterte: "Bitte glaub nicht, dass ich dich nicht verstehen könnte. Um so eine Behauptung aufzustellen, weißt du zu wenig über mich, Souta-chan. Vielleicht wäre es an der Zeit, das einfach auszutesten, anstatt meine Unfähigkeit in der Hinsicht als gegeben anzunehmen..." Tatsächlich interessierte es den Dragonslayer in diesem Moment nicht, ob ein Tsunami am anrollen war und was dieser wohl so alles zerstören würde, denn diese Stadt war ihm im Vergleich zu Souta so egal wie eine leere Konservenbüchse. Er war sich zwar nicht sicher, ob er unbedingt wissen wollte, was es nun war, was den Einäugigen so mitnahm, aber er war sich ziemlich sicher, dass er es wissen sollte. Er versuchte ihn doch so gut es ging vor allen Gefahren zu bewahren, also musste er wenigstens wissen, mit was er es hier zu tun hatte. Dafür mochte der Rothaarige ihn anfangs vielleicht hassen, aber er war sich sicher, dass es im Rückblick genau das Richtige sein würde. Allerdings war er sich ebenso sicher, dass Souta nichts von sich preisgeben würde, doch er hatte da ja nun etwas an der Hand, mit dem er ihm zur Not erpressen konnte: Wie wahrscheinlich war es, dass er Soutas Mutter nicht würde finden können, wo er doch schon einmal in der Stadt war? Und sie würde ihm sicher erzählen, was los war, weil sie es bestimmt wusste. Gerade eben, weil der Rothaarige sie so verzweifelt zu umgehen suchte. "Erzähl' es mir, Souta. Ich möchte wissen, was dich quält, damit ich versuchen kann, dir zu helfen. Ich kann dich nicht beschützen, wenn ich nicht weiß, wovor... aber ich möchte es so gerne." Das letzte Mal, dass er das Verlangen verspürt hatte, jemanden zu beschützen, hatte er es nicht geschafft, weil es ihm rein physisch nicht möglich gewesen war - aber seitdem war er gewachsen. "Hast du Angst, dass ich das nicht verkraften kann? Souta. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich versuche ständig so viel wie möglich über dich zu lernen, weil ich wissen will, wer du eigentlich bist, weil du mich interessierst - nicht Wissen tut mir weh, sondern Unwissen. Ich rätsele ständig, was dich belastet, aber alleine werde ich da nicht drauf kommen." Ein flehender Blick traf das vereinzelte Auge, während er wieder ein wenig Abstand zwischen sie brachte, aber nicht genug, dass er ihn loslassen müsste.

Verdammt. Einen Moment lang hatte sich Souta darauf verlassen, dass der alte Trick nun noch einmal funktionieren würde, dass es Seraphim vielleicht auf den falschen Fuß erwischen würde, dass er ihm Honig ums Maul schmierte, und dass dadurch die ganze Situation wieder in den Ursprungszustand zurückkehrte, nämlich, dass er umarmt und geküsst wurde ohne weiter befragt zu werden. Das Letzte, was Souta erzählen wollte, war das, was der Andere unbedingt wissen wollte, war das nicht tragisch? Der Kettenmagier konnte nicht einschätzen, ob er nach einer Enthüllung seine geistige Gesundheit noch erhalten konnte, aber irgendwie war er es Seraphim ja schuldig, ein wenig zu kooperieren, oder? Er hatte ihm gerade ziemlich wehgetan, und er wünschte sich, einen der schicken Heilzauber zu beherrschen und damit in die blasse Brust zu fassen, damit alles wieder gut wurde. Stattdessen wurde er umarmt und festgehalten, als müsse man darauf achten, dass er nicht einfach umkippte. Hatte er nicht gerade bewiesen, wie stabil er war? Er hatte es die ganze Zeit geschafft, seine Probleme zu verbergen und der liebenswürdige Typ zu sein. Nicht einmal Seraphim war es aufgefallen, was mit ihm los war. Alles erschien Souta geordneter und besser, wenn sich niemand um die negativen Dinge kümmerte, aber er konnte sie nicht ewig in sich hineinfressen. Er hatte keinen Platz mehr und er wollte nicht, dass der Ältere sich schlecht fühlte, weil er hilflos zusehen musste, er sein Hirn verlor und sich schlimme Dinge antat. Vielleicht war es tatsächlich auch eine Absicherung – vielleicht konnte er ihn vor sich selbst beschützen. Es widersprach Souta tiefster Überzeugung, einer Person seine Bürde aufzuladen, aber das war vermutlich ein bisschen wie mit dem Fliegen, oder? Wenn es in ganz Fiore jemanden gab, der seine Fehler akzeptieren konnte und ihn nicht dafür fallen lassen würde, war das wahrscheinlich sein bester Freund … Allerdings bestand die Möglichkeit, dass er ihn nach dieser Sache nicht mehr mochte. Man wusste vorher nie, wie ein anderer auf seine tiefsten Geheimnisse reagieren würde, aber Souta war klar, dass er an diesem Punkt nicht mehr umkehren konnte. Er war schon zu weit nach draußen geschwommen, wenn er nicht untergehen wollte, musste er weiterstrampeln. Das hieß für diesen Fall, dass er einen Moment brauchte, um sich zu sammeln, einen Plan zu fassen. Plötzlich hatte er so viel auf einmal zu erzählen, wusste nicht, wo er anfangen sollte, um Seraphim alles begreiflich zu machen. Souta hatte noch nie jemanden getroffen, der alles über ihn wissen wollte – den alles interessierte. Jetzt war er beinahe nervös. Was, wenn er es nicht richtig rüberbrachte, sich nicht die richtigen Worte finden ließen? Er hatte nur bis zum Abend Zeit, Dampf abzulassen, eigentlich weniger, da sie diesen Tsunami wirklich aufhalten mussten. Er konnte behaupten, was er wollte, aber er wollte nicht, dass diese Leute starben, egal, wie sie ihn behandelten. Man mochte Gegenteiliges annehmen, aber er wusste am Ende doch ganz gut, wer den Tod verdient hatte und wer nicht. Diese Menschen gehörten nicht dazu. Aus diesem Grund verlor er keine weitere Zeit, sondern löste sich von dem Körper des Anderen, bis sie nur noch über eine Hand verbunden waren, welche gerade der magnetische Schwerpunkt seines Universums zu werden schien. Ohne einen weiteren Blick auf den Professor, der die ganze Szenerie mit riesengroßen Augen verfolgt hatte, senke der Rothaarige den Kopf. „Na dann komm mal mit.“
Er zog sanft am Arm, ging zunächst langsam die Treppen hinunter und verließ den Turm. Draußen riskierte er einen Blick auf die unruhige See, wandte sich dann allerdings nach rechts und zerrte den Weißhaarigen den Trampelpfad hinab. Mit jedem Meter, den sie zur Zivilisation machten, verkrampften sich seine Finger ein wenig mehr um die des Anderen, er warf hin und wieder einen Blick über die Schulter, als würde er sich vergewissern, dass er immernoch da war und ignorierte dabei das Getuschel der Einkaufenden und sich in den Nischen der Häuser vor dem Regen schützenden. Kam ihm das nur so vor oder war der stärker geworden? Souta überquerte drei Straßen, scheinbar ohne sich orientieren zu müssen, dann blieb er vor einer Rasenfläche stehen, die jemand mit einem Eisenzaun abgegrenzt hatte. Wege und Engelstatuen gab es dahinter, kleine rechteckige Blumenbeete, Steinhütten … Es war ein Friedhof. Seine Atemfrequenz schien sich nun mit zunehmder Nähe zum Tor zu erhöhen und er fürchtete, hyperventilieren zu müssen, als er es aufdrückte und es sich mit einem leisen Quietschen öffnete. „Schon ein paar Jahre her, seit ich das letzte Mal hier war. Wir müssen ganz nach links.“ Er lächelte nicht, aber es war ziemlich offensichtlich, dass er aufgeregt war; seine Hände schwitzten und sein Adamsapfel hüpfte beim Sprechen munter umher. Mit hastigen Schritten stieg er durch das Tor und wandte sich wie bereits vorausgesagt nach links, stolzierte an Reihen von Gräbern vorbei, ohne wirklich auf eines von ihnen zu achten, bis er unvermittelt vor einem stehen blieb, ganz am Rand, fast ein wenig einsam neben einer wilden Eiche, deren Blätter ein schönes Konzert mit den Regentropfen boten. Direkt vor Soutas Füßen lag ein winziges Rechteck, bepflanzt mit frischen Blumen – vermutlich von seiner Mutter, das wiederum grenzte an einen hellen Grabstein mit einer relativ schmucklosen Aufschrift: Itasa Suichuka, nebst einem Geburtsdatum, dass sie als Fünfjährige auswies. Keine zusätzlichen Worte. Und wenn er ehrlich war, fehlten sie Souta im Moment genauso. Er wusste nicht mehr, was er eigentlich hatte erzählen wollen – was er hier suchte. Er gehörte nicht hierhin, ein Mörder ging nicht zum Grab seines Opfers. Andererseits besuchte ein Bruder das Grab seiner Schwester durchaus … Das war doch alles zu kompliziert. Er musste jetzt loslegen, sonst würde er einfach wieder gehen und es wahrscheinlich nie fertigbringen, auszupacken. Wo sollte er nur anfangen? „Das ist meine kleine Schwester“, sagte er, einer spontanen Eingebung folgend, und er steckte sich die Hände in die Hosentaschen, weil das ganz gut klang, „Na ja, nicht wirklich. Es ist ein leerer Sarg, weil man sie nicht gefunden hat. Du weißt ja, dass ich Angst vor Wasser habe – sie ist der Grund dafür. Also … Ich meine … Schau.“ Es war schwer, sich zu erklären, vor allem, da sich gerade ein monströser Kloß in seinem Hals sammelte. Merkwürdig, wo er doch sonst so eloquent war. „Mein Vater war genau wie ich – Frauen, Spiele, Alkohol … Und meine Mutter hat gedacht, dass sie ihn zähmen könnte, dass sie eine Beziehung hinkriegen würde. Also haben sie geheiratet. Und dann kam ich. Natürlich hat das nicht funktioniert. Mein Vater hat Mama betrogen und sich danach wieder bei ihr eingeschleimt. Mama hat ihn wirklich geliebt … Jedenfalls, sie wurde dann wieder schwanger. Mit Suichuka. Also hat er sie verlassen. Uns verlassen. Nachdem sie geboren wurde, musste Mama arbeiten gehen, also war ich irgendwie da und … Ein Kind braucht Eltern, oder? Ich dachte mir, hey, wenn ich schon keinen habe, kann sie ja einen Vater haben, also habe ich versucht, sie großzuziehen. Ich war ein Kind, ich war dumm, aber es hat sich richtig angefühlt. Und dann ...“ Er ging in die Hocke und nahm eine vom Regen zerfetzte Blüte in seine Hand, starrte sie eine Weile an, als wäre sie ein Alien. „Dann haben wir uns rausgeschlichen und sind zum Fluss. Ich habe nicht aufgepasst, da ist sie reingefallen.“ Er ließ die Blüte los und beobachtete sie dabei, wie sie auf der Erde landete. „Ich bin natürlich hinterher, aber ich habe sie nicht gefunden. Sie ist ertrunken … Es war nicht blutig oder so, man hat fast nichts gesehen. Aber ich habe sie gehört … Ich kriege den Schrei nicht mehr aus dem Kopf. Kleine Kinder sollten nicht so schreien müssen, Seraphim.“ Er schniefte und raufte sich die Haare, seine Lippen ein dünner Strich. „Ich kam damit nicht klar, also bin ich abgehauen und nach Lamia Scale … Danach bin ich ausgetickt, aus der Gilde geflogen und nach Blue Pegasus. Den Rest kennst du ja … Das ist das große Geheimnis, warum ich bin, wie ich bin. Ich schätze, du bist jetzt der Einzige, der das weiß, und ich fände es toll, wenn das so bleiben würde.“ Wenn nämlich irgendjemand davon erfuhr, wie instabil er war, würde er es schwer haben, den Superman zu spielen, aber das wusste der Weißhaarige vermutlich. Ein bisschen unangenehm fühlte es sich ja schon an, dass er sich so geöffnet hatte. Jetzt war Seraphim genau da, wo seine Schwester gewesen war – der Teufelskreis war erneut auf Anfang gestellt. Souta hatte sich noch nie so nackt und ausgeliefert gefühlt, hoffentlich wusste der Himmelsmagier das zu würdigen. Mehr war wirklich nicht mehr zu erwarten, egal in welcher Hinsicht.