Emaru stellte aber komische Fragen. Es war doch sehr höflich einen alten Mann mit solch einer Anrede beizukommen. Vielleicht verwunderte es ihn auch einfach nur, warum die junge Dame plötzlich so freundlich war. Älteren Leuten sollte man schließlich ein wenig Respekt entgegen bringen. Vor allem alten, mächtigen Gildenmeistern. Soviel hatte ihre Ziehmutter ihr noch beigebracht. "Ich habe realisiert, dass ihr eine sehr große Persönlichkeit sein müsst, Shi-giisan ... das ist alles", kam ihre Antwort schnell und präzise. Nun tänzelte sie ein wenig um den jungen Mann mit dem Anzug herum, bevor sie die andere Frage auch beantworten wollte. "Natürlich das Treffen der Gildenmeister, werter Shi-giisan", fügte sie hinzu. Schließlich war es doch eine Pflicht eines jeden Opa's an diesem Treffen teilzunehmen. Da wäre selbst Shi-giisan nicht ausgeschlossen. Als Gildenmeister von Blue Pegasus, für den Shizuka ihn hielt. Vielleicht war er aber auch nur ein seeehr altes Mitglied der Gilde? Das konnte natürlich auch sein. Dann wäre er aber bestimmt schon ein mächtiger S-Rang Magier. Die Dragonslayerin bezweifelte, dass jemand der einen so guten Verjüngerungszauber drauf hatte ein schlechter Magier sein konnte. Obwohl ihm noch kleine Fehler bei der Haarfarbe unterlaufen waren, die war schließlich immernoch weiß. Was für eine Haarfarbe der Opa wohl hatte, als er noch jung war?

Immer mehr verwirrte ihn das kleine Mädchen, ihre Worte ergaben zwar an sich Sinn, wenn man jedoch bedachte, mit wem sie redete und wie sie sonst sprach, so konnte das doch wohl kaum Shizuka sein, die diese Worte von sich gab. "Nun ja... Du hast natürlich recht, ich bin wirklich eine großartige Persönlichkeit, aber ein Gildenmeister bin ich nun wirklich nicht", antwortete Shi, fügte aber sogleich noch etwas hinzu: "Es ist nicht so, dass ich kein Gildenmeister sein könnte, ich bin geradezu perfekt dafür... Aber für einen derartigen Beruf bin ich dann doch etwas arg jung, findest du nicht? Übrigens auch für diese Bezeichnung!" Bei dem letzten Satz wurde seine Stimme etwas harsch, aber als Opa bezeichnet zu werden war schon ziemlich hart, besonders bei seinem Aussehen. Die Jugendlichkeit strahlte doch geradezu aus ihm heraus, und seine wunderschönen, weißen Haare konnten doch nicht zu einer alten Person gehören. Diese Begleiterin war nun wirklich ziemlich seltsam, aber einen neuen Tiefpunkt hatte sie noch nicht erreicht, so beleidigend er die Anspruchsform auch fand. Doch wollte er dieses Thema erst einmal beiseite legen, war es doch ein schlechter Einstig für eine große Veränderung. Zuerst einmal sollte sie sich angenehm und beachtet fühlen, daher sollte er sie nach sich selbst fragen, und zwar nach etwas, das sie auch selbst interessierte. Wie wäre es also mal mit ihrer Magie?
"Um mal auf etwas interessanteres zurückzukommen: Du bist also Dragon Slayerin? Wie fühlt es sich denn so an, Kräfte zu nutzen, die man sich angeeignet hat von einem Wesen, das sehr viel mächtiger und wertvoller ist als man selbst? Also, ich würde mich schämen, wundervollen Wesen wie Drachen ihre Körperteile zu nehmen, nur um selbst stärker zu werden!" Ups, das war nun vielleicht doch nicht genau das Richtige gewesen, doch nun war es zu spät, es war bereits draußen. Und das auch noch mit einem leicht übertriebenen, etwas säuerlichem Lächeln. Als hätte er sich vorgenommen, sie herauszufordern, anstatt sie zu beruhigen...

Er war also kein Gildenmeister? Dann also doch das mächtige S-Rang Mitglied was sie erwartet hatte. Sehr interessant. Er fand sogar, dass er zu jung wäre, für diese Bezeichnung. Wahrscheinlich vor kurzem erst die grauen Haare bekommen und es noch nicht akzeptierend? Oder vielleicht hatte er garnicht bemerkt, dass seine Haare bei der Verjüngerung weiß geblieben sind? Vielleicht war er so unglaublich stolz auf seine Magie. Er dachte tatsächlich, dass man ihm die Nummer abkaufen würde. Aber der schlechte Kleidergeschmack und die Haarfarbe machten einfach alles zunichte. Ansonsten hätte Shizuka es ihm vielleicht sogar abgekauft. "Ich möchte wirklich nicht beleidigend erscheinen, Shi-Giisan. Aber eure Haare sind immernoch weiß. Ja, tut mir leid es euch sagen zu müssen. Vielleicht hat sich Niemand getraut etwas zu sagen, weil eure jüngeren Mitglieder einfach respekt vor dem Alter haben und euch nicht enttäuschen wollten. Ich bin mir sicher ihr gebt einiges auf eure verjüngernde Magie. Ist eigentlich auch garnicht so schlecht geworden der Zauber. Aber wisst ihr was euch noch verrät? Die alte Mode die ihr so bevorzugt. Daran erkennt man gleich, dass ihr älter sein müsst, als es scheint. Ich hätte es euch wirklich abgekauft, Gii-san, wenn ihr diese zwei Fehler irgendwie vertuscht hättet. Ich meine, wie gesagt, man kann sich auch im hohen Alter noch die Haare färben. Außerdem müsst ihr etwas gegen diesen stacheligen Stil tun. Wolltet ihr damit jünger wirken? Lasst das mal besser sein. So ein Look ist schon lange nicht mehr in Mode", meinte die Dragonslayerin und lächelte freundlich. Scheinbar war sie sich nicht einmal im klarem, dass sie Emaru damit zutiefst beleidigen könnte. Ihn einfach als alten Greis zu bezeichnen, mit schlechten Klamotten und noch schlechterer Frisur.
Als er sich zu den Dragonslayerin äußerte, fiel ihr wieder ein, dass der Magier sie doch aus irgendeinem Grund nicht so richtig leiden mochte. Vielleicht wurde dieser Umstand jetzt endlich aufgeklärt. Er fragte auch gleich, wie es sich anfühlte, so zu sein wie Shizuka. "Nun es ...", wollte sie anfangen, doch als er so weitersprach verstummte die freche Dame wieder. Hörte ihm zu. Diese ganze Geschichte mit wertvollen Wesen und das sie Körperteile angeblich klaute um stärker zu werden. Die Magierin blickte ihr über eine ganze Weile lang ziemlich perplex an, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrechen musste. So etwas lächerliches hatte sie noch niemals in ihrem Leben gehört. Drachen ihre Körperteile nehmen?!! Es dauerte fast fünf Minuten, bis Shizuka endlich wieder zu Luft kam. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und grinste Shi breit und heiter an. "Och, dass ist doch nicht dein ernst? Glaubst du das wirklich? Woher hast du das? Einem Märchenbuch?", fragte sie spöttisch, bevor sie erneut in schallendes Gelächter ausbrach. Das war wirklich unfassbar wie wenig dieser Kerl über Dragonslayer zu wissen schien.

Als Shizuka endlich enthüllt hatte, dass sie ihn für einen alten Mann hielt, war Shi relativ geschockt, auch wenn sein gutes Aussehen wieder bestätigt worden war, glaubte sie doch an einen wirklich guten Verjüngungszauber. Dennoch schüttelte er den Kopf und berichtigte sie: "Es tut mir sehr leid, dich enttäuschen zu müssen, Kleines, aber ich bin gerade mal sechzehn. Meine Haare waren schon von Geburt an weiß, und wie meine Kleidung auch, haben sie einiges an Stil. Unglücklicherweise muss man Stilbewusstsein besitzen, um Stil zu erkennen, was der Grund dafür ist, dass du es bisher nicht realisieren konntest. Aber jeder Mensch hat so seine Macken, ich habe eine gespaltene Persönlichkeit, du weißt nicht, was gut aussieht. Ist doch nicht schlimm." Mit ein wenig Sarkasmus gegen Ende erklärte der Weißhaarige der Magierin ihre Fehler und nickte dabei kurz, um es noch einmal zu verdeutlichen.
Dann kam das Thema mit der Magie des Mädchens und den Drachen mit - oder eher ohne - ihren Körperteilen, und ganz plötzlich begann die Kleine zu lachen. Minutenlang, ohne Unterbrechung, und sie schien auch kaum Luft zu holen dabei. Er hatte eher eine beleidigte oder wütende Reaktion erwartet, doch sie lachte einfach nur, und das offensichtlich über ihn. Nervensäge. Als sie irgendwann fertig zu sein schien, grinste sie ihn doch tatsächlich an wie eines dieser dummen Mädchen, denen er den Kopf verdreht hatte, und wenige Sekunden, bevor er ihnen das Herz brach, nur um sie in nächster Zukunft ein wenig zu ignorieren und irgendwann später dasselbe Spiel verwendete, nur um ihnen dabei weiszumachen, dass er dieses Mal eine Beziehung wollte, ehe er sie zwei, drei Tage später wieder abschoss. Emaru war immer dagegen gewesen, dass er das machte, aber von ihm ließ sich Shi doch nichts sagen. Doch zurück zu der aktuellen Situation, Shizuka grinste also wie ein Honigkuchenpferd. Dann gab sie ein paar absolut nichtssagende Sätze von sich und brach wieder in Gelächter aus. Viele Männer sagten immer, alle Frauen seien kompliziert... diese hatten sich aber wohl nie mit Shizuka und einer normalen Frau unterhalten, mit Sicherheit nicht. Jede andere war so einfach zu durchschauen, dass es schon fast eine Schande für sämtliche männlichen Wesen der menschlichen Rasse sein musste... bis auf ihn natürlich. Er war die eine, strahlende Ausnahme, das Genie hinter sämtlichem psychologisch verwertbaren Wissen, welches jedes Wort und jeden Ausdruck perfekt machte, damit jede Dame dieser Welt für ihn nichts weiter war als eine steuerbare Marionette, damit er ihre Herzen brechen und sich an ihrem Leid weiden konnte... Emaru hatte natürlich weder die nötigen Fähigkeiten, noch das Verständnis für das, was Shi tat, aber das zu erwarten wäre viel zu hoch gewesen. Auf dieser Welt war Shi nur von Idioten umgeben, die man durchschauen und manipulieren konnte, wie auch immer man wollte - und dann war da noch Shizuka, neben ihm das einzig wirklich komplexe Wesen dieser Rasse. Sie war interessant, und manchmal auch recht amüsant, ein wirklich akzeptabler Mensch, auch wenn ihr Verhalten zu wünschen übrig ließ. Verlieren wollte er sie nun wirklich nicht, daher sollte er sie nun vielleicht beschwichtigen, doch was Dragon Slayer anging hatte er einfach eine vorgefasste Meinung, und diese konnte er nicht einfach über den Haufen werfen. Daher zog er nichts von dem, was er gesagt hatte, zurück, er sagte bloß ruhig und deutlich hörbar: "Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht, Shizuka-san..." Lust auf dieses Gespräch hatte der Weißhaarige keine, aber vermeiden ließ es sich auch nicht mehr, dafür war es bereits zu weit gegangen. Die Meinung des blau-pink-Schopfes stand noch aus, bisher hatte sie ja noch nichts konkretes gesagt.

Er benutzte also überhaupt keinen Zauber? Seine Haare waren von Natur aus so gefärbt? Und diese Klamotten trug er also gerne, obwohl er jung war? "Mein Beileid ...", kam es nur erschüttert von der jungen Magierin. Was für eine grausame Vergangenheit dieser Kerl durchlebt haben musste, dass er so eintönig und langweilig wurde. Sicherlich interessierte sich kein Mädchen seiner Stadt für ihn. Wahrscheinlich fiel er noch nicht einmal auf. Och, dieser arme, weißhaarige Magier. Ein wahrlich tragisches Schicksal, wie Shizuka doch fand. Wenn Shi es zuließ, würde die Dragonslayerin ihn nun sogar umarmen wollen, wobei sie sehr sanft und freundlich etwas flüsterte. "Ach, mach dir nichts drauß. Es zählen doch viel mehr die inneren Werte ...", wollte sie den Magier aufmuntern. Sie wusste nicht ob es klappen würde, da es eher ein Standart-Spruch für Menschen war, die etwas schlechter aussahen. Aber genug davon. Hier ging es schließlich um ihren Ruf als Dragonslayerin, der gerade etwas ins lächerliche gezogen wurde. Scheinbar mangelte es Shi wirklich enorm an Fachwissen, weshalb die Magierin nur den Kopf schüttelte und sich gegen die Stirn klatschte. Unfassbar, was man der Jugend von heute beibrachte. Da war es auch garnicht verwunderlich, warum der Weißhaarige so dämliche Klamotten trug. Wahrscheinlich hat ihm der selbe Lehrer auch das Wissen über Dragonslayer vermittelt. "Hör zu ...", fing sie an und holte erstmal ordentlich Luft. Eigentlich durfte sich Shizuka garnicht beschweren, schließlich war Shi nicht der Erste, dem sie erklären musste was Dragonslayer eigentlich sind. Die älteren Generationen wussten darüber mehr bescheid, machten sich scheinbar aber nicht die Mühe die neue Generation aufzuklären. "... meine Mutter heißt Kyrona und ist ein Eisdrache. Und bevor du fragst. Nein, ich bin kein Eisdrachenwelpe in Menschengestalt. Ich war schon immer so, ich weiß nicht warum. Jedenfalls hat Mutter mir alles beigebracht was ich wissen muss, dazu gehört auch die Dragonslayer-Magie. Und nein, sie hat sich dafür bestimmt nicht den Arm ausgerissen! Im Grunde ist jeder Drache ein Dragonslayer, schließlich ist nur ein Drache in der Lage einen anderen Drachen zu besiegen. Ich selbst könnte nicht einmal im Traum daran denken meine Mutter zu bezwingen. Weißt du eigentlich wie grausam sie beim Training war? Weißt du was für eine Bestie sie ist? Manchmal hat sie mich tagelang eingefroren, weil ich nicht aufgepasst habe und danach hat sie so getan als würde sie mich fressen!! MICH FRESSEN!!", die letzten Worte klangen ziemlich traumatisch. "Manchmal hat sie mich auf den Boden gelegt und die ganze Zeit mit den Klauen hin und her geschubst, so dass ich auf dem Eis entlang schlitterte, als wäre ich ein Spielzeug! Hach, dass hat immer solchen Spaß gemacht ...", fiel ihr am Ende plötzlich wieder ein. Dabei wurde die junge Dame etwas rot im Gesicht und blickte in Erinnerungen schwelgend in den Himmel. Nach einigen Sekunden kam Shizuka aber wieder zu sich und schüttelte den Kopf, um sich wach zu rütteln. "Egal, genug davon. Was ich damit sagen möchte ist. Ich bin kein Dragonslayer weil ich anderen Drachen ihre Kraft raube. Ich bin ein Dragonslayer weil ich die Tocher einer Drachin bin!!", erklärte sie dem Weißhaarigem nun. Ob er es endlich verstanden hatte? Ob er nun aufgeklärt über Dragonslayer war, oder er immernoch an die verrückten Lehren seines Meisters glaubte? Eigentlich konnte es Shizuka auch gleichgültig sein, im Moment hatte sie irgendwie Lust wieder irgendwo entlang zu schlittern, auch wenn es nicht so toll war wie mit Kyrona, gab es ihr doch schon ein wenig Trost.

Kaum hatte Shi ausgesprochen, sprach auch das Mädchen aus, ihr Beileid nämlich. Dann folgte tatsächlich noch eine Umarmung, wobei die Magierin ihn noch weiter zu trösten versuchte. Nervig und verwirrend war das, aber er ließ ihr ihre Meinung und murmelte nur ein: "Vielen Dank, Shizuka-san..." Das sollte reichen, um diesen Punkt vorerst abzuschließen, vielleicht sollte er sie zu einem späteren Zeitpunkt aber nochmal darauf ansprechen, wenn sie etwas verständlicher und weniger kindisch war. Ihr fehlte es durchaus an Erziehung, aber dafür würde er nicht den Drachen zur Rechenschaft ziehen, der sie aufgezogen hatte, denn Drachen hatten es einfach viel leichter, mit Menschen fertig zu werden, und ihre "menschlichen Kinder" brauchten daher nicht so viel Erziehung. Mächtige Wesen wie Drachen mussten diese erbärmlichen Wesen eben nicht verstehen, sie waren ja nicht in einem ihrer Körper gefangen wie er es war. Hach, Drachen hatten so ein Glück, wenn er einer von ihnen, würde er keinesfalls einen Menschen zum Dragon Slayer aufziehen, wenn überhaupt zu einem "Human Slayer". Ja, das war doch mal eine Idee...
Übrigens versuchte Shizuka inzwischen, sich zu rechtfertigen, und das auch noch ziemlich mies. Was er heraushörte, war, dass sie glaubte, die Eisdrachin Kyrona wäre tatsächlich die leibliche Mutter dieses erbärmlichen Menschleins. Außerdem hatte sie das Mädchen wohl ziemlich gequält, aber die unglaublichen Kräfte dieser wundervollen Wesen waren das ja wohl mehr als Wert. So jemand glaubte also, dass er keine Ahnung hatte? Enttäuschend. Scheinbar hatten die großen, geflügelten Wunder keinerlei Kriterien, was die Auswahl ihrer Lehrlinge anging. Wenn Emaru keine Eltern gehabt hätte, würde es heute vielleicht einen sehr glücklichen und stolzen Drachen geben, der sich darüber freuen konnte, den besten aller Dragon Slayer ausgebildet zu haben, jemanden, der diesem Ruf tatsächlich gerecht wurde und seinen Meister zu achten wusste. Kyrona wäre wahrscheinlich unglaublich neidisch, wenn man ihre Schülerin und ihn verglich, dann war er eindeutig die bessere Wahl, und das noch kombiniert mit der Kraft eines Drachens. Daher begann Shi, kaum dass Shizuka geendet hatte, laut zu lachen, wie sie zuvor, bloß stilvoller und kürzer. Dann lächelte er sie freundlich an und stellte eine einfache kleine Frage: "Und, was würdest du jetzt gerne machen?" Das einzige, was er zu ihrer Aussage hätte sagen können, hätte ihr die Illusion genommen, dass Kyrona ihre echte Mutter war, und so gemein war er nicht. Der Weißhaarige liebte es, Menschen leiden zu sehen, sie langsam und schmerzhaft verbluten zu lassen, aber er war nicht so gemein, der einzig interessanten Person des Planeten ihre größte Illusion zu nehmen.

Es freute Shizuka wirklich, dass er ihren Trost annahm, sich umarmen ließ. Emaru, oder besser gesagt Shi, musste es wirklich sehr schwer haben, mit diesen starken körperlichen- und geistigen Defiziten aufgewachsen zu sein. Er bedankte sich sogar dafür, was nochmals eine Bestätigung war, dass er die Aufmunterung wirklich gebrauchen konnte. Doch sollte der Weißhaarige sich nicht mehr sorgen müssen. Die Dragonslayerin hatte bereits Pläne, wie sie ihm die Haare färben würde und ihm neue Klamotten besorgte. Er würde ein ganz neuer Mensch sein, der sich sogar in der Öffentlichkeit zeigen konnte, ohne ausgelacht zu werden! Ein modebewusster junger Mann. Ein Frauenschwarm! Und die Verantwortliche für diesen Zustand wäre Shizuka! Er wäre ihr also etwas schuldig, bis auf ihr Lebensende. Für einen kurzen Moment schweifte die Magierin in merkwürdige Phantasien um, bis sie sich schließlich selbst mit einem Kopfschütteln in die Realität zurück rief.
Auf ihre kleine Geschichte mit ihrer Ziehmutter fing der Weißhaarige plötzlich an lauthals zu lachen. Man konnte der Magierin ansehen, dass sie ziemlich verwirrt war über diese Reaktion. "W ... was ist so komisch??", fragte sie mit gerötete Wangen und leicht aufgebrachter Tonlage. Irgendwie war es doch unangenehm so ausgelacht zu werden, nachdem man einem seine Lebensgeschichte erzählt hatte. So witzig fand das Mädchen ihre Geschichte doch garnicht, dass man so ausgelassen darüber lachen musste. Seine Frage, was sie nun gerne machen möchte, wurde dabei getrost ignoriert. Shizuka wollte nun erstmal eine Antwort haben. Schließlich war er es doch, der im Eisladen die Fassung verloren hat. Er war es, der die Dragonslayer aus irgendeinem Grund hasste. Wenn Shizuka wüsste, dass es purer Neid war, aus dem dieser Hass enstand, würde sie wohl selber wieder in schallendes Gelächter ausbrechen. Die nervige Göre würde für den Rest seines Lebens auf Shi herumreiten, dass er nicht zu so einem Auserwähltem wurde. Dass eine freche, geschmacklose Göre diese sagenumwobenen Kräfte bekommen hatte und nicht der modische, tolle und gutaussehende Magier. Das der Weißhaarige auch gerne die Kräfte eines Drachen besitzen würde, sollte er deshalb besser für für sich behalten, da die junge Magierin in diesem Fall wohl nicht mehr zu ertragen war. Bei jeder Gelegenheit würde Shizuka den Jungen daran erinnern, dass die heutigen Drachen, diese stolzen und edlen Wesen, wohl mehr interesse an kleinen, nervigen Mädchen hatten, als an dem möchtegern Opa!

"Was war denn so komisch, als du über mich gelacht hast?", war Shis Antwort auf Shizukas Frage. Sie hatte mehr als genug über ihn gelacht, das offenbar grundlos und nicht nur einmal. Eine richtige Antwort gehörte einfach nicht zu ihrer Frage, wie sollte er ihr denn erklären, dass er mehr über Dragon Slayer wusste als sie selbst, obwohl sie eine war? Nein, das war nicht möglich, genau wie er ihr nicht sagen konnte, dass Kyrona nicht ihre echte Mutter gewesen war. Aber er merkte schon, dass er langsam ein wenig in die Ecke gedrängt wurde, auch wenn seine Absichten nur die besten waren, so kamen seine Worte nicht unbedingt gut an. Ach, es war schon immer so gewesen in der Geschichte der Menschheit: Die einzig wirklich guten Menschen wurden von der Gesellschaft gehasst und hatten keine Wahl, als zu schweigen, nur um anderen etwas Schlimmes zu ersparen. Shizuka würde derartiges niemals tun, sie würde ihren Mund keine Sekunde lang geschlossen halten, egal wie sehr sie andere damit verletzte. Natürlich war es unmöglich, ihn auf emotionaler Ebene zu verletzen, aber dennoch wäre es eine nette Geste, die von ihr nicht zu erwarten war. Sie sagte direkt heraus, was sie dachte, wann sie es dachte, es war nicht davon auszugehen, dass sie sich in andere Leute hineinversetzen konnte. "Wer hätte gedacht, dass jemand wie ich ein besserer Mensch ist als ein kleines Mädchen...?", murmelte Shi leise, für die Magierin dürfte es kaum hörbar und keinesfalls verständlich sein. Sie würde es eh nicht verstehen, selbst wenn die Worte klar gewesen wären, warum sollte er sie also dazu zwingen, ihren Kopf unnötig anzustrengen? Das war sowieso nicht ihre Stärke...

War das Tatsächlich seine Antwort? Das lag doch klar auf der Hand. Wegen seiner kuriosen Vorstellung von Dragonslayern natürlich. Shizuka war ziemlich baff und schaute ihn eine Weile lang ziemlich perplex an, ehe sie realisierte was hier los war. "Ich verstehe ...", kam es etwas überrascht von der Magierin. Sie hätte sich auch eigentlich gleich denken können, dass es sich bei Emaru um einen geistig Zurückgebliebenen handelte. Er lachte einfach nur über die Magierin, weil sie zuvor über seine Aussage gelacht hatte. Eigentlich eine völlig sinnlose und vor allem kindische Aktion. Simple Rache, ohne wirkliche Basis. Sie rollte mit den Augen und schaute sich schon nach einem Grund um, damit sie hier verschwinden konnte. Es machte keinen Spaß sich mit einem Trottel zu unterhalten. Jetzt konnte Shizuka sich auch erklären, warum er bei ihren Beleidigungen so ruhig blieb. Er stellte sich nicht über ihre Worte, sondern verstand sie einfach nicht. Sein simpler Verstand war einfach nicht für komplexe Beleidigungen ausgelegt. Wahrscheinlich wäre es auch zwecklos ihn von seinem schlechten Geschmack überzeugen zu wollen. Sicherlich war sein wirrer Geist komplett davon überzeugt, dass er sich modisch kleidete, genauso wie er sein Haar toll fand. Vielleicht hatte er auch keine gespaltene Persönlichkeit, sondern das war alles die folge seines unterentwickelten Verstandes. Garnicht so einfach, am Ende auf diese Feststellung zu kommen, aber Shizuka war auch keine Psyschaterin. Sich in die Gedanken von anderen Menschen hinein zu versetzen war wirklich nicht ihre Sache. Dazu war sie, um ehrlich zu sein, einfach zu faul. Diese ganzen Analysen anstellen, sich den ganzen Tag mit seinen Patienten zu befassen war doch stinklangweilig. Nagut, sie interessierte sich auch für die unimagischen theorien des Dr. Magnus Linecliff, aber das war auch ein ganz anderes Themengebiet. "Nichts! ... absolut garnichts ...", rief sie sich wieder in die Realität zurück und beantwortete damit auch gleich die erste Frage von Shi. Das gemurmel danach verstand die Magierin zwar nicht, jedoch stufte sie es einfach als wirres Geschwätz ein. Langsam distanzierte sich das Mädchen auch ein wenig von dem Weißhaarigen, der scheinbar nicht mehr alle Tasten im Schrank hatte. "Eh ... es ist schon spät. Ich muss nach Hause ... ich wünsche dir noch einen schönen aufenthalt in Mangolia ...", kam es etwas zögerlich von ihr. "... hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder ...", fügte sie noch mit einer wundervoll gespielten Freundlichkeit hinzu. Natürlich meinte sie das nicht ernst. Hoffentlich war der Verrückte nur auf der Durchreise und würde schon bald aus der Stadt verschwinden. Hier wohnen konnte er nicht, dazu kannte die Dragonslayerin die Stadt einfach zu gut. Zwar hatte er zuvor behauptet, dass er ein Magier von Blue Pegasus war, allerdings gab es da auch Zweifel. Es war unwahrscheinlich, dass diese Gilde einen Verrückten aufnahm. Wahrscheinlich konnte Emaru noch nicht einmal Zaubern, sondern bildete sich das genauso ein, wie alles andere was ihn umgab ...

Irgendwie wirkte Shizuka nun ein wenig... beängstigt. Was genau jetzt mit ihr los war, verstand Shi nicht, allerdings war es auch ziemlich schwer, sie zu verstehen. Sie nahm Abstand von ihm und sah irgendwie eingeschüchtert aus, und gleich darauf sagte sie auch schon, dass es spät war und sie Heim gehen musste. Eigentlich war das ziemlich normal, doch die Art, wie sie es sagte, war relativ verdächtigt; sie hatte eindeutig Angst, und nicht etwa vor der Dunkelheit oder Räubern, sondern tatsächlich vor ihm. Ziemlich verwirrend, aber das war man von ihr ja gewohnt. Um sie nicht einzuschüchtern, blieb der Weißhaarige stehen, anstatt sich auf sie zuzubewegen oder sie gar festzuhalten, und sagte ihr: "Ich weiß zwar nicht, warum... aber es tut mir leid, dass du Angst vor mir hast, Shizuka-san. Das war wirklich nicht meine Absicht." Dabei blickte er ein wenig reuig, aber dieses Mal war es nicht gespielt, sondern sein voller Ernst. Diesmal verstand der Weißhaarige absolut nicht, wieso sie sich so verhielt, etwas Abneigung wäre verständlich gewesen bei dem, was er über Dragon Slayer gesagt hatte, aber das war doch etwas viel. Irgendwie musste sie etwas, das er gesagt hatte, falsch verstanden oder sehr persönlich genommen haben, aber darauf, dass sie ihn für bescheuert hielt, würde er niemals kommen. Es gab außer ihr sicher kaum jemanden, der auf so einen Schluss gekommen wäre, und er hatte ihre Art zu denken noch lange nicht durchschaut, wie sollte er also wissen, was sie dachte? Nein, das war vollkommen unmöglich.
Aber da das Mädchen ihn scheinbar wirklich nicht mehr leiden konnte, entschloss sich Shi, ihrer Aufforderung Folge zu leisten, doch nicht gleich. Er ging noch einmal zwei Schritte auf sie zu, ehe er stehen blieb und erneut zum Reden ansetzte: "Ich bin zwar nicht sicher, wieso, aber da du willst, dass ich dich in Ruhe lasse, werde ich gehen. Aber lass mich dich noch um eine Kleinigkeit bitten... War da etwa Trauer zu erkennen, als er diese Worte aussprach? Ja, das konnte durchaus sein, hatte Emarus Alter Ego die Göre doch inzwischen ein wenig ins Herz geschlossen. Momentan ging es ihm bloß darum, ihr zu helfen, daher auch diese letzten Worte, ehe er sich, wenn sie ihn nicht aufhielt, zurück Heim begeben würde: "Du bist ein... relativ guter Mensch, versau dir das nicht. Könntest du den Leuten in Zukunft nicht etwas freundlicher begegnen? Es kommt für gewöhnlich nicht sehr gut an, wenn man jeden einfach beleidigt..." Der letzte Teil war ein wenig scherzhaft gemeint, das war aber kaum sichtbar. Mit einem finalen Schulterzucken drehte er sich um und ging langsam in Richtung des Bahnhofs. Langsam genug, um problemlos eingeholt zu werden. Die Frage war bloß, ob Shizuka das tun würde; welchen Grund hätte eine sture Göre wie sie, jemandem zu folgen, vor dem sie offensichtlich Angst hatte? Nein, Shi erwartete keine Veränderung, er erhoffte sie sich nur. Emaru dagegen würde wohl froh sein, wieder Heim zu kommen. Es sah aus, als würde es in dieser Nacht regnen, über ihnen bäumten sich bereits Wolken auf, demnach würde er also heute mal wieder durchschlafen können. Hach, wie gut, in einer Gilde ohne feste Arbeitszeiten zu arbeiten. Wann er wohl das nächste Mal nach Magnolia kommen würde...?