Er küsste sie, eigentlich hatte sie kaum eine Erinnerung daran, wie es sich anfühlte geküsst zu werden. Ihr letzter Kuss lag etwas weiter zurück und er kam auch von ihm. Damals hatte er ihre Nase geheilt. Jetzt hatte sie wieder diese warmen weichen Lippen auf ihren und es kam wieder. Das Gefühl an seiner Hand durch Oshibana zu laufen, mit ihm in einem Geschäft ein Kleid zu kaufen. Diese Komische Zugfahrt und wie sie so eng zusammen im Gepäckregal gehockt hatten. Damals hatte sie diese Nähe wie ein kleiner Schwamm in sich aufgesogen, doch inzwischen war sie so ausgetrocknet gewesen, dass sie sich kaum daran erinnert hatte, dass es sie einmal gegeben hatte. Er meinte die vernachlässigten Besuche würden sie nachholen, doch das war wohl nicht so einfach, doch sie freute sich darüber. "Ich habe dich vermisst Cyrus", kleine Tränen rollten über ihre Wangen. Das war in der Tat etwas, was sie gequält hatte, sie hatte ihn vermisst. Irgendwo in ihr war nun allerdings etwas gebrochen und sie konnte zumindest weinen. Ihr Gesicht schmiegte sich an seine Schulter doch kehrte wieder zurück als er vom Examen sprach. Sie hatte ihn erschreckt, womit? Dunkel erinnerte sie sich daran, dass sie ihm einiges um die Ohren gehauen hatte und ihn dann durch die Tür gestoßen hatte.
Dass es wirklich gewesen war wie in einem Film und er an der Tür gestanden und ihren Namen gerufen hatte, konnte sie nicht wissen, aber einen Teil dieser Angst hatte sie geteilt. Sie hatte ihn doch sehr gern und sie wollte es auch gern mit ihm teilen. Dann nahm er ihre Hände in seine und meinte, dass er ihr helfen würde ein neues zu Hause zu finden und hier aufzuräumen, ein neues Leben anzufangen, ohne all dies. In der Tat hatte sie schon mit Jonathan über diese mögliche Situation gesprochen. Er wusste, dass sie plante seinen Vater zu töten. Sie waren sich überein gekommen, dass sie beide keine wirkliche Zukunft vor sich hatten, wenn sie sich weiterhin in diesem Haus aufhalten mussten. Es wäre Jonathans Part gewesen irgendwie Hauro auszuschalten und Naomi hätte sich dem Monster widmen müssen, nur waren beide noch nicht so weit gewesen. "Wir werden das Haus hier verkaufen und uns in der Stadt Eigentumswohnungen oder kleine Häuser kaufen, ich werde die Vormundschaft für ihn übernehmen, bis er achtzehn ist. Er hat bereits einen Platz in der Gilde, das bedeutet er wird für sich selbst sorgen." Alles war also wirklich in trockenen Tüchern und wenn es so lief wie besprochen, dann würde es auch keine weiteren Probleme geben.
Dann allerdings sprach Seraphim Rio an. Naomi hatte sich nicht wirklich von ihm verabschieden können, denn zur Trauerfeier hatte man sie nicht mitgenommen. Die Erklärung war gewesen, sie hatte sich nicht allzu wohl gefühlt und war deshalb nicht in der Lage gewesen dabei zu sein. Eine Dreiste Lüge, aber nachdem sie kurz darauf ebenfalls verstorben war, für jeden deutlich logischer. Bei einem Ausgang mit Jonathan hatte er ihr dann ermöglicht das Grab zu besuchen und das Kind hatte sich sprichwörtlich in die Erde gelegt. Das Grab war kahl gewesen, so hatte sie zumindest keine Blumen zerdrückt, als sie sich dort nieder warf wo tief unter der Erde nun der Körper den Menschen lag, der sie so sehr geliebt hatte. Zurück in der Wirklichkeit lud Seraphim sie auf einen Spaziergang ein, weshalb sie nickte: "Ja, das klingt gut."

"Aber Engelchen~" Seraphim lachte und rappelte sich hoch, wobei er sie mit sich zog, "Du kannst keine Vormundschaft für jemanden übernehmen, wenn du selbst noch nicht erwachsen bist, weißt du? Er wird es schon ohne schaffen." Man vergaß gerne, dass Naomi vier Jahre jünger als er war und da er immerhin noch eine Null hinter seinem Alter stehen hatte, reichte das ihre noch nicht ganz für derlei Dinge aus. Allerdings war er sich sicher, dass jemand, der ein Mitglied ihrer Gilde war, bestimmt Unterstützung erhalten würde, wenn diese nötig war. Sie waren zwar nicht Fairy Tail, wo man einander sogar in seinem Bett schlafen ließ, aber wenn sie sich gegenseitig völlig egal wären, dann sähe das anders aus. Um die Wahrheit zu sagen, so waren Seraphim die meisten Gildenmitglieder wirklich egal, aber er war trotz seinem S-Rang sicherlich kein repräsentatives Beispiel. Er kümmerte sich nur um diejenigen, die ihm etwas bedeuteten und das waren in ihrer Gilde bei optimistischer Schätzung vielleicht drei Stück, wobei Naomi unter ihnen war. Insofern war ihm persönlich zwar nicht wichtig, was mit ihrem Cousin passierte, zumal er eigentlich eher in Erinnerung hatte, dass er ein ziemliches Rattengesicht war, aber wenn es sie kümmerte, würde er diese Entscheidung mittragen, wie schrecklich nett und lieb sie auch sein mochte. Ihm war aufgefallen, dass sie ihn mit seinem Vornamen angeredet hatte, aber auch wenn das ein seltenes Phänomen war, hatte er eigentlich nichts dagegen. Diejenigen, die seinen vollen Namen kannten, durften entscheiden, welchen sie benutzten und er trug ihnen keine Entscheidung nach. Tatsächlich verblieben die meisten allerdings bei dem altbekannten Seraphim, mit der Ausnahme von Naomi, die manchmal zu Cyrus überwechselte, Souta, der es sehr selten verwendete und Ciel, der ihn tatsächlich immer so nannte, nachdem er ihm Phimchen streng verboten hatte. Solange man seine Namen nicht ins Lächerliche zog, war er in der Hinsicht eigentlich sehr tolerant, sonst hätte sie schon längst etwas zu hören bekommen.
Mit Naomi an der Hand verließ er das Haus durch die Eingangstür. Er war sich sicher, dass sich ihr Cousin schon um alles zuerst Wichtige kümmern würde, wenn man ihn dazu zwang und mit Naomis Abwesenheit würde er genau das erreichen. Die Last dieser Geschichte sollte nicht alleine auf ihren schmalen Schultern liegen und er wusste, dass er durch fehlende Intervention genau das erreichen würde, weil Naomi einfach dazu tendierte, sich alles und noch mehr aufzubürden, statt etwas dagegen zu unternehmen. Manchmal war es daher von Vorteil, wenn man sie einfach von allem fernhielt, weil es andere sicherlich ebenso gut hinbekommen würden. „Ich habe deine niedlichen Flügel gesehen, Engelchen~ Probierst du sie mit mir aus?“, fragte er lächelnd und wandte sich ihr zu, drehte sich um, sodass er ein Stück des Weges rückwärts zurücklegte. Ja, warum sollten sie eigentlich spazieren gehen, wenn spazieren fliegen so viel aufregender war. Zur Not konnte er sie auch tragen, sie sah nicht aus, als sei sie spontan zum Gewicht eines Elefanten herangereift, auch wenn sich ihre Masse an manchen Stellen sicherlich vervielfacht hatte. Nicht, dass das negativ einzustufen war oder so, es fiel nur eindeutig auf.

Klar war sie vielleicht ein wenig zu jung, um rechtlich die Vormundschaft für diesen Jungen zu übernehmen. "Ich muss es aber tun, wenn ihn der Mensch erzieht, der aus Gideon so ein schreckliches Wesen gemacht hat, dann haben wir bald einen zweiten von dieser Sorte und des will ich hier nicht haben, ich will endlich meine Ruhe haben, in dieser Stadt", in der Tat sie wollte sehr gerne verhindern, dass am Ende noch dieser gruslige Großvater nach Oshibana kam, oder ähnliches. Das hatte der Stadt noch gefehlt, die Wurzel des Übels, die eigentlich viel zu beschäftigt war. Das wusste Naomi, denn immerhin war er nie da. Er kam nicht zu Besuch und er kümmerte sich nicht wirklich um seinen Enkel. Es gab nicht einmal eine Karte zu Weihnachten, aber im Wohnzimmer über dem Kamin hing ein Bild von ihm. Es war wie das Bild eines Diktators, welches an einem Ort hängen musste, wo es die Familie definitiv sehen konnte. Immer wenn das Mädchen dieses Bild gesehen hatte, war ihr ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Es war zwar nur ein Gemälde, aber der Künstler hatte sich definitiv verausgabt und das strenge Gesicht mit den ernsten Augen fühlte sich an, als wären sie wirklich lebendig, als würden sie wirklich alles beobachten.
Nun allerdings war nicht die Zeit über das nächste Monster nachzudenken, mit welchem sich Naomi hoffentlich niemals befassen musste. Im Moment wollte sie auch nicht an etwas Schlimmes denken, sie blickte in die Violetten Seelenspiegel ihres Begleiters und diese erinnerten sie daran, dass ihr Alptraum jetzt vorbei sein konnte. Er wollte mit ihr fliegen, was für eine schöne Idee. Das Mädchen erinnerte sich an eine Begebenheit bei der sie ihn gefragt hatte, ob er ihr das Fliegen beibringen würde, wenn ihr Flügel wuchsen. Nun waren ihr Flügel gewachsen und sie wollte sehr gerne mit ihm fliegen. "Ja, ich will gerne mit dir fliegen, darauf warte ich, seit ich diese Flügel habe", ihre Bernsteinaugen bekamen etwas von diesem Glanz zurück, den sie als junges Mädchen gehabt hatte, sie würde wieder frei sein, wie ein Vogel und mit ihrem Lieben Freund sogar den Himmel durchstreifen. Kurz schlug sie kraftvoll mit den Flügeln, sie fühlte sich wieder stark genug, um sich selbst zu tragen. "Doch bitte nicht so schnell, es ist für mich noch recht anstrengend", sie hatte schon gesehen was er mit seinen Fähigkeiten anstellen konnte, aber sie war noch nicht stark. Bei ihm war es Magie, bei ihr war es körperliche Arbeit.

Naomi konnte fliegen… aber es war fraglich, wie lange sie das durchziehen konnte. Nicht, dass es etwas änderte, denn zur Not konnte er sie einfach tragen, aber es war vielleicht aufschlussreicher, als erwartet. Es bedeutete, dass seine Pflicht hier noch nicht getan sein würde und dass das alles mehr seiner Zeit beanspruchen würde, als er vielleicht selbst gutheißen würde. Daran ließ sich aber nichts ändern, wenn man zumindest ein wenig darauf bestand, seinen Freunden etwas Gutes zu tun – und er hatte wirklich nicht gerade viele davon. Nicht, dass er von ihnen abhängig wäre oder so, nein, dazu würde es Cyrus Ikaros Seraphim niemals kommen lassen (!), aber er war sich sicher, dass Naomi seine Hilfe im Moment gerade dringend nötig hatte. Er würde einen netten Rundflug mit ihr machen, sie zum Essen einladen und danach mit ihr auf Wohnraumsuche gehen, denn davon gab es in einer Großstadt nicht gerade übermäßig viel, selbst wenn man genug Geld auf der Kante hatte. Als er Souta eine Wohnung vermittelt hatte, hatte er immerhin selbst schummeln müssen… und da dabei der Unfall einer alten Frau im Spiel war, würde das wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Immerhin war es eines von denen, mit welchen er sehr gut leben konnte. „Wir können es langsam angehen lassen, Engelchen~“, schnurrte er und lächelte ihr zu, im Hinterkopf, dass er diesen Satz schon öfter verwendet hatte, aber es dabei niemals um das Verlassen des Erdbodens im körperlichen Sinne gegangen war. Alles andere, was er persönlich damit assoziieren würde, wäre allerdings noch etwas verfrüht, selbst wenn man darüber philosophieren konnte, wie sehr. Im Grunde genommen musste er Naomi wohl erst einmal ein wenig anfüttern, sie wieder auf ein Gewicht bringen, das irgendwo im Normalbereich angesiedelt war, denn wenn er sich nicht sehr täuschte, lag sie ziemlich stark unter dem Durchschnitt. Sie war schon immer eher dünn gewesen, aber wenn ihn nicht alles täuschte, hatten sich die Tendenzen nur noch verstärkt. Das war nicht schön… aber es war einfacher zu beheben, als wenn das Gegenteil der Fall wäre. Viele Menschen aßen nun einmal gerne viel, aber wenn man viel aß, dann gewann man im Allgemeinen auch schnell an Gewicht, weil nicht alle auf Nahrung zurückgreifen konnten, die sie satt machte, aber knallhart null Kalorien besaß. Was könnte er für ein Geld verdienen, wenn er dieses Konzept an mode- und körperbewusste junge Damen verkaufen könnte… und was für Kontakte sich daraus ergeben würden! Seiner Erfahrung nach waren viele besagter Frauen leicht herumzukriegen, weil man leicht mit Komplimenten über ihr Äußeres punkten konnte… oder zumindest konnte er das. Das bedeutete allerdings nicht, dass das bei grauen Mäusen nicht klappte, denn diese waren meist sehr froh über ein wenig Aufmerksamkeit, weil sie selbst sich keine derartige sichern konnten. Generell mochten Frauen es, wenn man ihr Aussehen mit Komplimenten versah, man durfte es bloß nicht zu plump und offensichtlich anbringen. Wenn sie nämlich bemerkten, dass man das nur tat, um bei ihnen zu landen, hatte es einen anderen Wert, als wenn man es „einfach so“ bemerkte. Frauen waren kompliziert, das war es, was er an den meisten Männern schätzte. Naomi konnte auch ziemlich schwierig sein, wenn man mit ihr umzugehen versuchte: Man erinnere sich an das zurückliegende S-Rang Examen, aus dem Seraphim zwar mit einem Rang, aber nicht mit besonders viel mehr Ahnung herausgegangen war. Darauf würde er sie dann beim Essen ansprechen, wahrscheinlich war es gut, wenn man dabei etwas zwischen den Zähnen hatte. Apropos… „Möchtest du vorher oder nachher etwas essen, Naomi-chan? Du siehst nicht gerade überernährt aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Ich lade dich ein, wozu immer du auch Lust hast.“

Er schnurrte wieder, das bedeutete nicht selten, dass die Hintergedanken dabei nicht gerade einen Sauberkeitscheck überleben würden, aber Naomi wusste, oder eher behauptete, dass es dabei keinesfalls um sie gehen konnte. Sie kannte das eingefallene Bild einer jungen Frau welches sie abgab, wenn sie die Chance bekam in einen Spiegel zu sehen, das konnte nicht der Typ Frau sein, den ihr Freund so sehr bevorzugte. Also war dies doch nur ein leicht spitzbübisch betonter Satz sein, der ihr sagen sollte, dass er ihr nicht gleich davon fliegen würde. Sehr liebenswürdig, wollte man doch meinen. Vorsichtig entfaltete sie die Flügel auf ihrem Rücken wieder, die sie hatte einklappen müssen, um durch die Tür gehen zu können. Mit zweit kräftigen Schlägen erprobte sie, wie gerade die Verhältnisse waren. Eigentlich fühlte sie sich ganz gut, etwas Fliegen würde ihr sicher gut tun. Dann sah sie zu Seraphim und lächelte: "Ich denke erst zu fliegen wäre besser, ich habe gerade wenig Appetit und dann will ich irgendwo essen, wo es zum Nachtisch Waffeln gibt." Waffeln, die hatte sie seit ihren Besuch beim Dragonslayer in seinem Nest nicht mehr gegessen, es war einfach etwas was zusammengehörte, Seraphim und süße Waffeln. Kräftige Flügelschläge trugen sie nun ein wenig in die Lüfte und sie wartete darauf, dass ihr Begleiter ihr folgen würden.
Die Luft wurde besser, sie fühlte sich freier, ein wenig seliger. Erlöst von den Fesseln welche sie gerade noch am Boden gehalten hatte. Es fühlte sich klasse an während sie immer weiter empor kam, half auch der Wind ein wenig nach, der ihren Flügeln Auftrieb verschaffen. Wenn sie hier doch mit dem Winddrachen unterwegs war, sollte ihr heute wohl das Fliegen leichter fallen als sonst, wenn ihr der junge Mann wohl gesonnen war wie er es bisher geschienen hatte: "Komm Seraphim-sama, ich will hier oben nicht alleine sein, ich habe mich schon so sehr darauf gefreut mit dir zu fliegen." Sie neckte ihn ein wenig mit der lockenden Hand.

Zum Nachtisch Waffeln... das war nicht gerade ein besonders aussagekräftiges Kriterium. Die meisten Restaurants boten diese Süßspeise an, weil sie nämlich einfach und billig war, so einfach, dass Seraphim sie sehr gerne selbst machte. Er war ein Fan von süßem Frühstück, gerade an Wochenenden und da er einen Beruf ausübte, der mit flexiblen Arbeitszeiten gesegnet war, gönnte er es sich öfter mal, wenn er denn Zuhause war. Tatsächlich konnte man so statistisch feststellen, dass er Samstags öfter im eigenen Bett schlief als an den meisten anderen Tagen, auch wenn das seit neustem dazu führen konnte, dass er am nächsten Tag einen Mitesser hatte und nur noch einen Bruchteil der Waffeln oder Pfannkuchen bekam, die er eigentlich sonst gehabt hätte. Der Qualität des vorhergegangenen Abends wegen, duldete er dies allerdings und stempelte den Verlust als notwendiges Übel ab. Er war es immerhin gewohnt, dass man seine Kochkünste ausnutzte, denn diese waren wirklich nicht zu unterschätzen. Mit einem Lächeln beobachtete Seraphim, wie sich Naomi in die Lüfte schwang und stieß sich danach ebenfalls vom Boden ab. Er konnte die Luftstöße spüren, welche die Flügel des kleinen Mädchens verursachten und dachte kurz darüber nach, wie einfach es für ihn sein musste, etwas geflügeltes abstürzen zu lassen - er würde das mal bei Vögeln üben.
Es gab einen kleinen Unterschied zwischen Naomi und Cyrus, was ihr Verhalten in der Luft anging. Die blonde Take Over-Magierin hatte sich Flügel wachsen lassen, um dem Erdboden zu entfliehen und es war bemerkbar, dass sie das Fliegen doch noch sehr anstrengte. Die schwarzen, ledrigen Schwingen hoben und senkten sich stetig, spannten sich an und griffen Luft, hievten das Mädchen nach oben. So wunderbar ein Schwingenzauber auch war, es war immer sehr deutlich, dass ein menschlicher Körper weit davon entfernt war, aerodynamisch zu sein. Er hatte seine Ecke und Kanten und war sicherlich nicht Tropfenförmig genug, um keinen Luftwiderstand zu haben. Zwar war das eigentlich ein physikalisches Phänomen, aber Seraphim hatte sehr stark das Gefühl, dass man das bemerkte. Er selbst war wahrscheinlich noch weniger aerodynamisch als das Mädchen - aber er hatte keinen Luftwiderstand. Während Naomi sich mit Muskelkraft in der Luft halten musste, manipulierte er die Windströme um sich herum, um sich zum Schweben zu bringen, sodass er die physikalischen Gesetze der Reibung und des Widerstandes umschiffte. Wenn er flog, war das wie das Tauchen eines Pinguins, auch wenn er deutlich schmeichelhaftere Proportionen hatte. Er hätte sich ewig darüber auslassen können, aber im Moment reichte es ihm vollkommen, dass Naomi scheinbar Spaß daran hatte, dass sie, wenn auch noch ungeschickt, fliegen konnte. Kinder mussten Fahrradfahren doch auch erst lernen, selbst wenn Seraphim stark bezweifelte, dass auch nur irgendein Magier jemals so gut würde fliegen können wie er - er würde ja auch niemals einem Drachen das Wasser reichen, egal wie sehr er sich anstrengte. Doch obwohl er von den Limitationen von Naomis Zauber überzeugt war, gab es da ein paar Sachen, die sie besser machen könnte, fand er. Zu ihrer Verteidigung waren das Kleinigkeiten, die wahrscheinlich in kaum einem Buch standen und die man nur dann kannte, wenn man es selbst sehen oder spüren konnte. Er selbst hatte eben einen besonderen Draht zum Wind, nicht wahr? "Du machst das ein wenig zu hartnäckig, Engelchen~", säuselte er und drehte sich auf den Rücken, ehe er mit einer Seitwärtsrolle neben Naomi flog, "Wind ist etwas sehr Dynamisches und wenn du ihn richtig ausnutzt, sparst du sehr viel Kraft. Warst du schon einmal segeln?" Er selbst hatte das tatsächlich zwar nur einmal gemacht, aber er hatte sofort die Ähnlichkeiten bemerkt, die sich zwischen seiner Art des Fliegen und diesem Wassersport befanden. Vielleicht konnte er ihr so helfen, damit sie sich etwas leichter tat - denn das kleine Mädchen sah wirklich nicht so aus, als habe sie über die Maßen viel Kraft.

Es war fast frustrierend zu sehen wie leicht sich der andere Magier durch die Luft bewegen konnte, er schien so viel freier zu sein und nicht an die Kraft des eigenen Körpers gebunden. So war es eben, wenn man den Wind manipulieren konnte, sie war nicht ganz so glücklich was ihre Fähigkeiten mit dem Wind anging. Was sie über das Fliegen wusste, hatte sie aus Büchern über Vögel und Fledermäuse. Doch deren Körperbau war viel vorteilhafter als ihrer. Doch mit mehr Übung würde es besser werden, da war sie sicher. Da allerdings kam auch schon der Ratschlag, von dem sie sich fast gedacht hatte, dass er kommen würde. Zu hartnäckig war sie also, wie sollte sie es anders machen? Ausnutzen und Kraftsparen, das hatte auch dauernd in diesen Büchern gestanden, aber es war so viel schwerer umzusetzen, als es den Anschein hatten. Segeln, nie hatte sie wirklich ein Boot gesehen, noch war sie am Strand gewesen. Die junge Frau versuchte den Kopf zu schütteln, doch es ging nur im Wind und wehenden Locken unter. "Nein, ich habe niemals ein solches Schiff gesehen, noch bin ich am Wasser gewesen." Doch es war in der Tat etwas einfacher, als sie sich ein wenig mehr entspannte und ihre Flügel mehr von Wind tragen ließ, als sich von den Flügeln. Doch es war trotzdem schwer, wie beim Schwimmen auf dem Rücken zu liegen. Sie hatte immer Angst doch zu ertrinken.
Ihr Blick wanderte wieder zu ihren Begleiter: "Es ist ein merkwürdiges Gefühl etwas wie dem Wind zu vertrauen und sich einfach von ihm tragen zu lassen, ich habe Angst doch jede Sekunde zu fallen, aber alles in allem ist es doch entspannender als dieses elendige Geflatter." Ihr Blick wandte sich wieder der Stadt zu, welche unter ihr lag, es war ein merkwürdiger Anblick die Stadt durch welche sie oft gelaufen war nun von oben zu sehen. Da war das Gildenhaus, so viele Erinnerungen hingen an diesem Gebäude, gute und schlechte. Irgendwie riss ihr Herz sie gerade in die Richtung, vielleicht würde sie ihn dort sehen und ... nichts tun? Was sollte sie schon tun, wenn sie ihn jetzt treffen könnte, alles war so schrecklich verfahren. Schnell wendete sie den Blick ab, um einen andere Ort zu sehen, der Bahnhof, auch nicht viel besser. Vielleicht war es doch besser bald wieder nach unten zu gehen. "Es macht müde, ich bin ja leider nicht so ein Luftikus wie du einer bist mein Lieber, vielleicht sollten wir bald landen, sonst musst du mich wieder retten", leicht lachte sie um ein wenig Verlegenheit zu verbergen. Woher sollte er den wahren Grund kennen. Sicher er kannte sie, aber ihre Herzen waren so verschieden. Könnte er je diese Schwere fühlen, wenn er sich in der Luft befand? Wohl kaum.

Irgendwie war dies hier gerade ein wenig wie Schwimmen lernen. Zumindest Seraphim konnte eindeutige Korrelationen dazwischen herstellen und er fand es an sich ganz unterhaltsam. Der einzige Nachteil hieran war die Bekleidung, denn Naomis Kleid kam einfach nicht an das heran, was die meisten weiblichen Wesen so an Stränden zu tragen oder vielmehr auszusparen pflegten. Im Grunde war einer seiner Hauptgründe, warum er solche Ortschaften manchmal besuchte, dass er dort viele Menschen beobachten konnte. Er selbst hatte es nicht so mit Sonne, weil er schnell einen Sonnenbrand bekam, aber andere ließen das Licht gerne und exzessiv auf ihre Haut brennen, die danach angenehm duftete und warm war. Sie schmeckte sogar etwas anders, wenn man ihn fragte, aber Naomis Bekleidung war so schrecklich verschleiernd, sodass es beinahe nur noch an einem Kopftuch fehlte, um das Bild zu vervollständigen. Er beobachtete Naomis Gesicht, während sie sprach und Anstrengung war daraus zu lesen. Es war vollkommen normal, dass die Multitaskingfähigkeit arg unter zusätzlicher Anstrengung litt, sodass man bei sehr schweren Aufgaben kaum noch sinnvoll reden oder gar einen Witz erzählen konnte. Die Mundwinkel des Weißhaarigen hoben sich und schwebte mit einem Schlenker unter Naomi, drehte sich auf den Rücken und legte seine Hände ganz sanft an ihre Taille. Das hier konnte man im Wasser auch toll machen, auch wenn Normalsterbliche wohl kaum mehr als eine halbe Minute Luft haben würden. „Ich helfe dir, Engelchen. Lass mich einfach führen~“, hauchte er und ließ sich, einer Luftströmung folgend, leicht zur Seite abgleiten, die Hände nach wie vor an dem Mädchen festhaltend. „Falls du fällst, ist es also nicht schlimm!“ Apropos führen: Seraphim konnte ja wirklich gar nicht mal schlecht tanzen. Eigentlich fand er das ja irgendwo ein wenig albern, aber er hatte in Erfahrung gebracht, dass man solches Wissen nicht nur gut dafür nutzen konnte, bei Frauen Eindruck zu schinden, sondern auch, dass es Rhythmusgefühl verbesserte und übte und DAS konnte er nun wahrhaft gebrauchen, wenn er seinen Ruf nicht verlieren wollte. Immerhin klagten die meisten seiner Exfreunde und –freundinnen über seinen untreuen Charakter und die kalte Berechnung mit der er ihre Beziehung eingegangen war, aber kaum jemand kam auf den Gedanken, sich über seine Fähigkeiten bezüglich des Grundes für ihr Zusammenkommen zu beschweren… und das steigerte sein Ego selbstverständlich enorm. Der Körper des Weißhaarigen ging abrupt in eine Aufwärtsbewegung und er steuerte kurz gegen den Wind, ehe er eine neue Böe fand und sich auf ihr weiterbewegte. Diese ganze Chose konnte er sowieso nur gefahrlos durchziehen, weil sie höher als das höchste Gebäude der Stadt flogen und er so wohl kaum in eines davon krachen konnte, immerhin hatte er keine Augen im Hinterkopf. Wahrscheinlich würde Naomi ihn sowieso warnen, bevor so etwas passierte, aber sicher konnte man sich da niemals sein. „Aber stimmt es wirklich, dass du noch nie am Strand warst?“ Sollte das der Fall sein, dann war das etwas, was man ohne Zweifel nachholen musste. Nicht nur, weil Seraphim wirklich neugierig war, wie sehr genau sich weiche Bereiche ihres Körpers entwickelt hatten, sondern auch, weil man das mal gemacht haben musste. Schwimmen war etwas Schönes, aber auch genau das, was man mit Souta auf keinen Fall tun konnte, weil dieser nämlich nicht nur unfähig dazu war, sondern auch panische Angst vor großen Wassermassen hatte. So war Seraphim auch schon länger nicht mehr baden gewesen und wenn er damit noch zusätzlich Naomi eine Freude machen würde, waren das verdammt viele Fliegen, die da von einer Klappe erschlagen wurden. „Magst du Fischgerichte, Engelchen?~“

Erst war sie ein wenig überrascht, als er plötzlich unter ihr auftauchte, wie kam er dazu, aber dann kam es ihr wieder, er musste sich nicht auf Flügel verlassen, nein er legte sogar seine Hände an ihre Seiten. Das war eine etwas merkwürdige Haltung, die zum Glück ihre Befremdlichkeit verlor, weil er ihr recht vertraut war. Es störte sie nicht, dass er so nah war, dass er sie berührte. Nicht viele Menschen konnten das tun, ohne dass es ihr Unbehagen bereitete, inzwischen zumindest. Es gab Zeiten, da hätte sich dieses Kind sicher in die Arme von jedem begeben, wenn es dafür etwas Wärme und Liebe gegeben hätte. Er meinte er wollte ihr helfen, nun wenn er konnte würde sie es nicht ablehnen, also versuchte sie einfach seiner Führung zu folgen, im Vertrauen auf seine Stärke und sein Wissen. Es war in der Tat wie tanzen, eines der wenigen Dinge für die sie dankbar war, dass sie diese lernen durfte. Tanzen war etwas wirklich wunderbares, wenn man sich auf seinen Partner verlassen konnte, so wie sie es jetzt erlebte. Gerne hätte sie nun Seraphim gebeten einmal mit ihr zu tanzen, aber da kam ihr in den Sinn, hatte sie nicht auch Ren um diese Gunst gebeten? Hier war es nie dazu gekommen, also sollte sie wohl lieber nicht weiter deswegen fragen.
Dann kam er auf ihre Aussage über den Strand zurück und sie nickte: "Ich war noch nie dort, es gab bisher keinen Grund für mich einen solche Ort aufzusuchen und deshalb hielt ich mich nie dort auf." Wieder zierte ein Lächeln ihre Lippen. Sie hatte viel von diesem Ort gelesen, oft ging es dabei um Sommerspaß oder Sonnenuntergänge. Wäre es nicht schön mit ihrem Freund ein wenig im noch warmen Sand zu sitzen und zu sehen, wie die Sonne scheinbar im Wasser verschwand? Nein, das war gefährlich, er wäre dann gefährlich. Wie eine Droge, der schon viele zum Opfer gefallen waren und jene, die sie überlebten waren unsagbar süchtig danach und ließen sich von ihr zum Spielball machen, das war etwas was sie nicht wollte. Aber es blieb, ein Strandbesuch mit Serapim war sicher etwas was man ersterben sollte, immerhin konnte man dann schwimmen und sich sonnen und Eis essen. Er würde wahrscheinlich alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber so war er eben. "Ja ich mag Fisch sehr gerne leiden", antwortete sie ihm auf die nächste Frage, wahrscheinlich war dies seine Überlegung zum Essen, klang eigentlich schon recht einladend.
Ein wenig verträumt sah sie in sein Gesicht: "Es ist so viel einfacher mit dir zu fliegen als allein, aber was habe ich erwartet, der Wind ist wie deine zweite Haut." Das stimmte, wo er war, da war Wind und er hatte sogar seinen ganz eigenen Geruch und das mochte sie, wahrscheinlich konnte sie im Wind riechen, wenn er in der Nähe war wenn sie sich genug anstrengte. Natürlich war das nicht der Fall, nur wenn sie ganz nah bei ihm war, aber es war ein netter Gedanke.

Auf Nachfrage würde Seraphim immer behaupten, dass er eigentlich nicht so sehr die Fischperson war. Allerdings stimmte das nicht ganz, er konnte nur einfach ranzigen Fisch nicht leiden, aber wer konnte das schon. Das bedeutete, dass das Meerestier einfach einigermaßen frisch sein musste, damit er es mochte und das waren Anforderungen, die die meisten guten Restaurants doch erfüllten. Sogar diejenigen, die einfach nur einen gewissenhaften Koch besaßen, weil Meerestiere, die schon etwas länger verschieden waren, oft der Grund für eine derbe Lebensmittelvergiftung waren. Seraphim hatte keine Lust, das Krankenhaus der Stadt zu besuchen oder seine Mutter, weil er ihr nicht das Gefühl geben wollte, dass er immer nur dann zu ihr rannte, wenn er irgendwelche gesundheitlichen Mängel hatte, die er gerne beheben wollte. Tatsächlich passierte das durchaus manchmal, aber er liebte sie doch nicht nur wegen ihrer Heilfähigkeiten... sie war immerhin seine Mutter. Naomi hatte gesagt, dass sie Fisch gerne aß, zumindest interpretierte er das so, weil sie ja wohl kaum den Umgang mit Fischen meinen konnte, wenn er anfangs gesagt hatte, dass sie essen gehen würden. Das bedeutete, dass er sich nun besser einfallen lassen sollte, wo genau sie hingingen, weil er es schon vorgeschlagen hatte. Das Problem, das sich ihm hier auftat, war einfach ihre momentane Position, denn nicht die Restaurants, die er nun als erstes erwogen hätte, befanden sich alle in Hargeon Town, was ja auch nicht weiter verwunderlich war: Die Stadt lag am Meer und hatte daher den besten Zugang zu Fisch. Allerdings würde es ein wenig dauern, bis sie da waren, einfach weil sie sich hier in Oshibana Town befanden... aber er hatte eigentlich auch wirklich keine Lust, nun extra zum Essen den Zug zu nehmen oder gar den ganzen Weg zu fliegen. Also musste es etwas sei, das näher dran war... der Weißhaarige zermarterte sich den Kopf, denn er hatte mit ungefähr dem umgekehrten Problem zu kämpfen wie die meisten anderen in solch einer Situation: Er war einfach schon in zu vielen Gastronomien gewesen, um sich noch perfekt an alle zu erinnern. Allerdings wollte er sich nun auch nicht vertun, weil er sein Wiedersehen mit Naomi - oder ihren Weg in die Freiheit, wie auch immer man das nennen wollte - feiern wollte. Normalerweise hätte er das auf andere Weise getan, aber da sein Gegenüber nun einmal Naomi war, stand das momentan noch außerhalb jedes Plans. Egal, was er sich früher gedacht hatte, es war ein wenig anders als erwartet. Er hatte gedacht, er könnte Naomi einfach wachsen sehen und dann irgendwann einen Schalter in seinem Kopf umlegen und sie als Frau betrachten, aber momentan war sie entweder doch noch nicht weit genug oder er versagte darin gerade enorm. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie er übellaunig ins Gildenhaus gekommen war, weil man ihm einen Brief mit Anweisungen an seinem freien Tag geschickt hatte und sie einfach dagesessen und auf ihn gewartet hatte. Unglaublich, wie ihm jemand durch pure Freundlichkeit so schnell den Wind aus den Segeln hatte nehmen können... "Ich weiß etwas~", schmunzelte er und gab ihr einen Kuss, der ihren Mund knapp verfehlte und ihre Wange traf, ehe er den Kopf nach hinten lehnte und versuchte, seine momentane Flugbahn zu überschauen. Als er sich einigermaßen orientiert hatte, drehte er nach rechts ab und ließ ihre Hüfte los, nur um sich eine ihrer Hände zu schnappen und neben ihr herzufliegen. Ganz ohne Reißleine wollte er sie nicht lassen, weil er das für zu riskant hielt, immerhin flog sie noch nicht allzu lange. Ihm war nur ein Ort eingefallen, der gut und näher als Hargeon Town war, wo es einen Strand und Fischgerichte gab, also würde der Nachtisch anstehen müssen. Zur Not machte er ihr höchstpersönlich so viele Waffeln, dass sie nach deren Verzehr als übergewichtig galt. Nicht, dass ihr das irgendwie schaden würde. "Ich kenne da ein nettes Restaurant in der Nähe eines Sees, in dem man Baden kann. Er hat sogar einen Strand... hast du Schwimmsache- eher nicht, hm?" Er wusste ganz genau, was er nun normalerweise vorschlagen würde, aber in diesem speziellen Fall hieß es wohl eher, dass sie noch einen Abstecher würden machen müssen.